Analyse von Operninhalten - Da lacht der Librettist (?)

  • Liebe Forianer, Liebe Opernfreunde


    Ich gestehe, ich geniesse sie sehr, jene Threads, wo Charaktäre von Opernfiguren analysiert werden, Verhaltensweisen beobachtet, moralische Wertungen - stets dem einstigen Zeitgeist auf der Spur - abgegeben werden, und über tiefere Hintergründe der oberflächlichen Handlung gegrübelt wird...
    Ein intellektuelles Vergnügen - ohne Zweifel.
    Aber - sind die meisten Inhalte wirklich derart bedeutungsschwer, wie ihnen unterstellt wird ? Sind die Personen in "Don Giovanni" komplexe Charaktäre mit mehrschichtigem Wesen - oder nur wirkungsvoll auf die Bühne gebrachte Marionetten ohne Seele - nur dazu da das Publikum - je nach Intenttion - zu verstören oder zu unterhalten ?


    Lacht sich Herr Schikaneder die Hucke voll, wenn er unsere Analysen der Zauberflöte liest, und grinst Herr da Ponte (er soll ja ein rechtes Schlitzohr gewesen sein) in Fäustchen angesichts unserer tiefschürfenden Auslegungen von Effekten, die vielleicht nur aus einer Laune oder aus Kalkül entstanden sind ??


    mfg aus Wien


    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Salü,


    wenn Mozart sein Quintett Es-Dur KV 452 als das beste, was ich noch in meinem Leben geschrieben habe beschreibt (Brief vom 10.04.1784) , so mag man dies verstehen und akzeptieren: Ob es das beste ist, was er je (oder vielmehr bis 1784) komponiert hat, darüber mag man streiten. Unzweifelhaft aber gehört das Werk zu Mozarts besten Kammermusikwerken. Das wird niemand bestreiten wollen.


    Was aber ist mit Lorenzo da Ponte, dessen Cosí fan tutte in letzter Zeit zunehmend die librettistische Meisterschaft anerkannt wird (die musikalische Mozarts wurde ja als Verschwendung an dem Libretto bezeichnet), nachdem sie jahrelang oder sogar jahrhundertelang als im Bezug zu Mozarts Musik als beschämendes Stück galt? Da Ponte selbst erwähnt das Werk in seiner Autobriografie mit keinem einzigen Wort. Stattdessen schreibt er zu L'arbore di Diana:


    Dieses Stück war meiner Ansicht nach das beste von allen, die ich geschrieben habe. (Lorenzo da Ponte: Mein Abenteuerliches Leben, Kapitel 6).


    Daraus entnehme zumindest ich, daß da Ponte seiner Cosí deutlich weniger Bedeutung beimaß, als wir dies heute tun. Offensichtlich hatte er ja auch einige Schwierigkeiten, daß Libretto unterzubringen (einen Kompositionsversuch brach Salieri ab). Die stoffliche und zeitliche Nachfolgeoper La Capricciosa corretta (vertont von Martín y Soler) mit dem Untertitel La scoula dei maritati bespricht er hingegen wieder in mehreren Absätzen. Ein wenig seltsam ist dies schon... und wer kennt schon da Pontes Baum der Diana? Dieses Libretto vertonte übrigens ebenfalls Martín y Soler, von dem heute unterschwellig nur ein Auszug aus seiner Cosa rara bekannt ist, weil Mozart in seinem Don Giovanni musikalisch zitiert.


    Man muß sich andererseits darüber im Klaren sein, daß z.B. die Texte eines Metastasio zum A und O der Opern-Literatur gehörten - es war lange Zeit eine Ehre, diese Texte vertonen zu dürfen. Erst allmählich lockerten sich die strengen Fesseln derartiger Sujets mit dem Umweg über das deutsche Singspiel (Schweitzer, Dittersdorf, Mozart) zur 'wahren Opera', namentlich La CLemenza di Tito, deren von Metastasio stammendes Libretto von Caterino Tommaso Mazzolà zur ebensolchen umgearbeitet wurde. Mitte des 18. Jahrhunderts wäre dies noch undenkbar gewesen - das wäre einem Attentat auf Metastasio gleichgekommen und konnte also erst nach seinem Tod stattfinden. Defacto wurde auch Metastasio auch als Poet, da Ponte als Librettist bezeichnet, einem Verhältnis, welches (vielleicht zu krass) auch jenem von Goethe zu Schikaneder entspricht.


    Da Ponte meint auch:


    Die große Kunst ist im allgemeinen zu hoch für die Menge; sie bedarf zuweilen eines oder zweier Jahrhunderte, um jene Jury des Genies zu bilden, welche endlich Kenntnis der Sache ohne Appellation und für die Nachwelt entscheidet.


    ...was aber auch nicht das Totschweigen der Cosí erklärt. Seine Momoiren schrieb und veröffentlichte er in der Zeit von 1823 bis 1827, eine Zeit, in welcher z.B. Beethoven seine große Abneigung gegen das Libretto ausstieß. Die Anzüglichkeiten des Textes aber können m. E. nicht zum Verschweigen geführt haben, da es im Baum der Diana auf wesentlich extremere Weise um die Wollust geht...


    :hello:


    Ulli

    Die Kunst ist [...] vielleicht das Denken des Herzens.
    (Blaise Pascal, 1623-1662)

  • Hallo Alfred!


    Du stellst hier eine interessante Frage, die ich mir in anderen Zusammenhängen auch schon gedacht habe: Werden Werke nicht überinterpretiert, egal welcher Kunst? Fakten für zu wichtig genommen, wie zum Beispiel in jenem Text, in dem Goethe über sein eigenes Leben als Prüfling abgefragt wird?


    Ich habe in letzter Zeit ein Buch über Abgrenzung in einer Zweierbeziehung gelesen und der Autor nahm zur Ausführung seiner Gedanken immer wieder Figuren und Paare der griechischen Mytholgie zu hilfe. Auch da könnte man meinen, der Erzähler lachen könnte, über die Ausführen des modernen Menschen.
    Vieles was damals implizit verständlich war, muss heute explizit erklärt werden. Vielleicht kommt auch daher ein Lachen über unsere Uninformiertheit.




    Am Ende bleibt doch, dass jeder Mensch jedes Werk nur mit seinen eigenen Erfahrungen und seinem eigenen Wissen deuten kann, um es für sich sinnvoll zu machen. Somit gibt es nicht eine richtige Sicht auf das Werk - nämlich die des Librettisten - sondern viele. Und somit scheint es mir auch viele Gewichtungen zu geben - ob der Librettist nun lacht oder nicht. Wenn es für mich wichtig ist, ist es das.


    lg,

    Sagt nicht:"Ich habe die Wahrheit gefunden", sondern:"Ich habe eine Wahrheit gefunden." (Khalil Gibran; Der Prophet, dtv, 2002)

  • Manchmal würden sie lachen, manchmal weinen - aber vielleicht würden sie auch ihre Anwälte schicken, um auf Unterlassung zu klagen.
    Ganz klar, in der gesamten Kunst wird überinterpretiert, manchmal ist es kaum noch auszuhalten.


    Heinz Erhardt drückt es in seinem Gedicht "Moderne Sinfonie" so aus:


    Droben schwitzet die Kapelle,
    auch der Dirigent hat´s satt-
    Morgen können wir dann lesen,
    ob es uns gefallen hat...!


    Ich bin oft erstaunt, wenn ich Kritiken lese; was sich da aufgeplustert wird, wenn der Schreibende so richtig herzeigt, was er denn alles drauf hat...