Bachkantaten - wo anfangen?

  • 176 Kantaten und kaum ein Anhaltspunkt: Ich möchte hier gerne einsteigen, weiß aber nicht, wo. Ich könnte jetzt die Anzahl an Beiträgen zu den Kantaten als Anhaltspunkt nehmen, in der Hoffnung, dass dies mit ihrer Beliebtheit korreliert, oder ich könnte 176 Threads lesen - ob mir das meine Fragen beantwortet, weiß ich aber nicht. Also frage ich Euch:


    Was sind die "Hits", was Eure Favoriten? Und was wäre eine Auswahl, die zusätzlich noch halbwegs repräsentativ für Bachs Kantetenwerk steht? Gibt es vielleicht empfehlenswerte und günstige Zusammenstellungen?



    Gruß,
    Frank.

  • Ich kenne bei weitem nicht alle Kantaten, vielleicht zwei Dutzend, allerdings sind meine bisherigen Favoriten immer noch BWV 137, BWV 56 und BWV 41. Relativ nahe dran sind aber auch die weltlichen Kantaten BWV 214 und BWV 215.

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Hallo Frank,


    die Kantaten sind ein Kosmos - ein kleineres Wort tut es leider nicht! Da gibt es kleine und größere Planeten, manche warm, manche kalt, mit Ringen und ohne, da gibt es Monde und Kometen... kurzum, wenn ich den Jupiter kenne, weiß ich nichts über Uranus! Soll heißen, die Konzentration auf Bachs " Kantaten- Hits" verzerrt das Bild dieses Kosmos. Du solltest - entweder in chronologischer Entstehungsfolge oder an den Anlässen des Kirchenjahres orientiert- alle Kantaten hören. Und gerade weil ich weiß, dass dem hier nicht viele zustimmen werden, empfehle ich Dir die Bach- Gesamtausgabe von Brilliant Classics. Beim Werbepartner z.B. für 79,99 zu haben


    Da sind die Leusink- Kantaten alle dabei - keine Spitzenaufnahmen, aber in der Summe solide musiziert ( mit einigen absoluten Perlen).


    Mir haben sich mit diesen Aufnahmen gerade die unbekannten Kantaten erschlossen, für die ich nie Hochpreis gezahlt hätte. Mittlerweile habe ich das für einige Vergleichseinspielungen- oft Herreweghe und den ganzen Gardiner getan.


    Wann hast Du nochmal die Möglichkeit, einen Kosmos für 80€ zu kaufen... ? :D


    Meine Lieblingskantate wechselt übrigens ganz mit meiner Stimmung, von triumphalem Jubel bis zu tiefster Traurigkeit ist Bach immer bei Dir.


    Gruß
    Stefan

    Psalmen sprechen und Tee trinken kann niemals schaden!

  • Oolong unterstützt meine Sammelgrundidee.
    Erstmal eine breite Basis schaffen, um sich mal zu orientieren. Wenn man dann einen Überblick hat, kann man einzelne Aufnahmen zukaufen oder eine teurere GA.
    Die Bach-GA bei Brilliant ist wirklich nicht schlecht fürs Geld.
    Ich habe mir jetzt die ersten 4 Sammelpakete mit insges. 40 CDs (ca. 120 Kantaten) von Suzuki bestellt. Sind heute angekommen. Und dann kaufe ichnoch alle Gardiner-Pilgrimage-Einspielungen. Interessant finde ich auch das Kuijken-Projekt.


    Bachs Werk ist so vielseitig, dass es wirklich schwierig ist, besondere Kantaten hervorzuheben. ZB Wurde auf meiner Hochzeit Was Gott tut, das ist wohlgetan gesungen und Lobet den Herrn. Das wird dann schnell zur Lieblingskantate (war es schon davor, aber jetzt erst recht). In manchen Kantaten sind die Chorgesänge toll, manchmal bestimmte Arien, manchmal die Sinfonien.
    Bei einer Gardiner-Aufn. wird auf einer Silbermann-Orgel gespielt, das klingt auch hervorragend.
    Es gibt wohl nur zwei Wege: Entweder mal mit irgendwas anfangen oder sich eine GA kaufen und querhören und sich dann überlegen, was man nochmal gesondert will.

  • Ich will den Vorschlägen mit einer preiswerten GA (auch Leonhardt/Harnoncourt ist durchaus erschwinglich und weitgehend auch einzeln erhältlich) nicht widersprechen, obwohl ich der Ansicht bin, daß man hier noch eher "erschlagen wird" als bei Haydns Sinfonien o.ä. Ich (und sicher auch einige andere) haben ja nicht einmal das Projekt, die Kantaten übers Kirchenjahr verteilt zu hören, durchgehalten. Ich kenne daher lange nicht alle Kantaten und noch weniger wirklich gut. Wenn man mit einzelnen Kantaten oder CDs beginnen möchte, würde ich empfehlen:


    Die Solo-Kantaten für Bass (bes. 56 und 82, die dritte ist weit weniger bedeutend, aber meistens noch mit dabei)




    Diese Solo-Werke sind aber eher untypisch. Daher würde ich außerdem noch einige mit üblicher Besetzung und besonders Choral-Kantaten empfehlen, bei denen ein Choral die Struktur mehr oder weniger bestimmt. Die vielleicht konsequenteste dieser Art ist allerdings ein sehr herbes Werk, BWV 4 "Christ lag in Todesbanden".
    Eingängiger sind z.B. die hier ausführlich diskutierte berühmte BWV 140 "Wachet auf...", BWV 1 "Wie schön leuchtet der Morgenstern" oder BWV 80 "Ein feste Burg" (Reformationstag ist ja relativ bald). Von all denen gibt es sehr viele Einspielungen. Herrweghe gefällt mir in BWV 80 sehr gut (Harnoncourt verwendet leider nicht die pompöse Fassung von Friedemann Bach mit zusätzlichen Trompeten), überdies gibt es dazu ein tolles Magnificat.
    Ein freier gestaltetes sehr beeindruckendes Werk ist BWV 21 "Ich hatte viel Bekümmernis" Bei den gewöhnlich noch zum Vollpreis angebotenen Scheiben mit Herreweghe lohnt das Warten; mir scheinen die regelmäßig ein bis zweimal jährlich im Sonderangebot für ca. EUR 10 verfügbar zu sein, außer vielleicht den allerneuesten.


    :hello:


    JR

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Danke für die Empfehlungen!


    Selbst wenn ich den Kosmos für 80 Euro kaufen würde, müsste ich trotzdem wissen, wo ich anfangen soll, damit ich den Kosmos nicht nach der fünften Kantate ernüchtert in die Ecke pfeffere. ;)
    Um festzustellen, ob die Kantaten überhaupt etwas für mich sind, möchte ich aber zunächst sowieso lieber ein paar günstige Scheiben anschaffen, wie z.B. die Auswahl von Johannes.
    Weitere Tipps sind natürlich hochwillkommen! :)



    Gruß,
    Frank.

  • Guten Abend


    ich habe ca. 130 Kantaten Bachs als HIP-Einspielungen (einige davon mehrfach),
    eine Empfehlung für eine bestimmte Gesamtaufnahme kann ich nicht geben.
    Die meisten Aufnahmen stammen aus der Reihe der Gesamtaufnahme durch Harnoncourt/Leonhardt,
    diese haben auch meine Hörgewohnheiten seit Jahrzehnten geprägt.
    Weiterhin (fast) alle Aufnahmen mit Ph. Herreweghes Collegium Vocale und einige mit dem Bach Collegium Japan;
    deren Interpretationen überzeugen mich.
    Gerne höre ich auch die Einspielungen mit dem Ensemble Baroque de Limoges unter Christophe Coin.
    Mit Gardiners Bach kann ich überhaupt nichts anfangen.
    Kaufe ich mir immer mal Interpretationen verschiedener Ensembles, da ist man oft positiv überrascht.
    (Ich will sie jetzt alle nicht aufzuzählen, im Thread des "Bach-Kantaten-Projektes" habe ich auf die meisten dieser Einspielungen hingewiesen).
    Interessant auch die Einspielungen mit Sigiswald Kuijkens La Petite Bande ,
    allerdings überzeugt mich seine These zur solistischen Besetzung von Bachs Leipziger Kantaten nicht,
    aber wenn man über die Chöre weghört, ausgezeichnet.


    Gruß :hello:


    aus der Kurpfalz


    Bernhard

  • Eine (vielleicht zu persönliche ) kleine Geschichte:
    In den späten achtiger Jahren des vergangenen Jahrhunderts kaufte ich mir den damals aufwendigsten Heimcomputer seiner Zeit. Das gute stück nannte sich Amiga 500 war brandneu am Markt und verfügte über Features, welche PCs zur damaligen Zeit noch nicht bieten konnten. Eines dieser Features war die integrierte Soundkart, bzw der Soundchip befand sich am Motherboard. Für die damalige Zeit eine kleine Sensation.
    Diese Sensation wurde auch immer wieder demonstrier unter anderm durch eine Mitgleiferte Diskette, welche mehrstimmiigen elektronischen Sound enthielt. Ich erinnere mich, dasß ich eines dieser Musikstükke immer wieder abspielte, weil es mich faszinierte. Was es war wusste ich nicht - ich kannte das Stück nicht und es war auch nicht bezeichnet..


    Jahre später fuhr ich beim zufälligen Mithören eine Bachkantate (ich war damals von Bachs Kantaten wenig angetan und kannte sie deshalb auch kaum) wie von der Tarntel gestochen in die Höhe. Die vertraute anonyme Melodie war da. Bedauerlicherweise wusste ich letztlich nur, daß es sich um eine Bach-Kantate gehandelt hatte - leider nicht um welche. Bei der Suche mittels Hineinhören in etliche Kantaten CDs - die sich eher mühsam gestaltete - lernte ich dann noch etliche Kantaten von Bach kennen......
    Letztlich wurde die Kantate als BWV 147 "Herz und Mund und Tat und Leben" identifiziert, und zwar handelte es sich bei der gesuchten Melodie um die Choräle „Wohl mir, daß ich Jesum habe“ und „Jesus bleibet meine Freude“ .



    Cover anklicken und
    Tracks Nr 6 und 10 hören - aber auch sonst hat die Sonate eine Menge zu bieten, vor allem Prunk und Optimismus


    Der Preis der Einspielung ist passabel, der Interpret ein veritabler Bach-Spezialist.


    mfg aus Wien


    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Hallo Frank,


    ich bleibe aber dabei, dass es DIE Empfehlung für den Einstieg nicht geben kann. Ein abstraktes Kennenlernen der Essentials halte ich aus o.g. Gründen für verzerrend. Wenn Du aber nun sagst, mich interessieren eher Solokantaten oder eher Choralkantaten, ich möchte eher triumphalen Festklang oder eher herbe Bußklänge, ich möchte den gelehrten Tonsetzer oder den Seelsorger Bach kennenlernen, dann kann man schon Empfehlungen aussprechen.


    Dennoch würde ich Dir raten, kaufe eine preiswerte Gesamtaufnahme und bewege Dich im Lauf des Kirchenjahres. Besorg Dir den Kantatenführer von Alfred Dürr , lies die kundigen Einführungen. Lies - jenseits persönlichen Glaubens oder Nichtglaubens - unbedingt vorher die liturgischen Texte, die den Sonntagen zu Grunde liegen und die Bach sowohl im textlichen als auch im musikalischen Material häufig zitiert und beginne, vielleicht am Reformationstag mit " Ein feste Burg ist unser Gott" ( BWV 80) und Du bist mittendrin!


    Mit weniger Aufwand vergibt man sich viel vom Reiz dieser tollen Musik...


    Gruß
    Stefan


    Gruß
    Stefan

    Psalmen sprechen und Tee trinken kann niemals schaden!

  • Ich pflichte Oolong bei.
    Die Einspielungen sind so verschieden wie die Kantaten verschieden sind.
    Habe gestern die erste meiner 40 erworbenen CDs mit Suzuki-Aufnahmen gehört. Die erste Kantate, BWV 4 Christ lag in Todesbanden, ist noch in der Vor-Bachschen-Tradition geschrieben. Sie kommt noch ohne Rezitative aus.
    Diese Kantate kann man mit den späteren gar nicht vergleichen.
    Es gibt sicher Klassiker unter den Kantaten, BWV 80, BWV 147, BWV 182, BWV 110, BWV 98-100, BWV 56 etc.
    Allerdings, und das wird in der Diskussion bereits deutlich, sind die Interpretationen so verschieden, dass selbst diese Evergreens sehr gut oder nicht so sehr gefallen können.
    Suzukis Einspielung von BWV 4 war gestern ein Erlebnis, man fühlte sich erhoben, alles schien von göttlicher Größe durchdrungen. GArdiners Einspielung gefällt mir dagegen nicht so gut. Dafür finde ich seine "fröhlichen" Kantaten bspw. sehr gelungen. Bei Koopman finde ich alles ein bisschen zu statisch, wobei ich mich da nicht durch alle Kantaten durchgehört habe. Man kann sicher auch Harnoncourt hören oder Richter. Herreweghe gefällt mir auch, aber auch da gibt es Licht und Schatten.
    Es ist schlicht unmöglich, eine allgemein gültige Empfehlung für oder gegen einen Interpreten auszusprechen. Und da die Freude an einer Kantate auch mit der Interpretation steht und fällt, sollte man sich wirklich davon frei machen, nach DER Kantate zu suchen. Mit dem Hören entwickelt man ein Verhältnis zur Musik und durch meine sonntäglichen Hörsitzungen stelle ich auch fest, dass es zu manchen Sonntagen eben eine Reihe toller Kantaten gibt und zu manchen vielleicht nur eine. Aber auch das ist subjektiv. Eine Kantate wie BWV 12 – Weinen, Klagen, Sorgen, Zagen oder BWV 21 – Ich hatte viel Bekümmernis ist nicht unbedingt ein Stimmungsmacher, aber bei der richtigen Stimmung ein überwältigend schönes Werk.
    Es bleibt wohl nur, sich zum Händler des Vertrauens zu begeben und Probe zu hören. Dann darf man aber zur Not nicht den Geldbeutel mitentscheiden lassen.

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  • Es gibt übrigens einige Radiosender, auf denen jeden Sonntag mindestens eine (meistens eine passende) Bach-Kantate zu hören ist. Bei hr2 war das jedenfalls immer so (weiß nicht genau, ob noch durchgehend praktiziert). Allerdings lag diese Geistliche Musik am Morgen meistens zwishcen 7 u. 8, was Sonntagmorgens nicht jedermanns Sache sein dürfte.
    Jedenfalls kann man so auch ein paar Werke kennenlernen, ohne durch Highlights einen falschen Eindruck zu bekommen.


    Andererseits kann man nicht davon ausgehen, daß jeder wirklich so begeistert sein wird, daß er alle Kantaten haben und entsprechend intensiv hören will.
    Um überhaupt zu entscheiden, ob sich das lohnt, muß man sich wohl oder übel an eine (keinesfalls abstrakte, sondern sehr konkrete ;)) Auswahl halten.


    :hello:


    JR

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Auch wenn ich jetzt Gefahr laufe hiermit eine Standardantwort abzuliefern: Ich glaube in der Tat, dass man mit der Kaffeekantate und Bauernkantate schon mal nicht schlecht liegt. Nun sind die Mehrzahl der Bachschen Kantaten geistlicher Natur. Da kann ich - auch wenn es eher nur zur Advents- und Weihnachtszeit passt - die Kantaten des Weihnachtsoratoriums nur wärmstens empfehlen. Schliesslich hat der Komponist da nicht nur viele seiner Ideen gebündelt, nein er liefert dort auch eine ständig wiederkehrende sehr schöne Bearbeitungsreihe des Chorales "Ein feste Burg ist unser Gott" ab. Also ich brauche diese Musik mindestens einmal im Jahr - ist ja bald wieder so weit :-)

    alle Menschen werden Brüder ...