Die Qual der Wahl: Welcher Knappertsbusch-"Parsifal" ist der beste?

  • Angeregt durch Alfreds Extra-Thread über die beste "Così" von Karl Böhm, kam mir gerade der Gedanke, etwas ähnliches zu eröffnen, diesmal aber bezogen auf den "Parsifal" und "den" "Parsifal"-Dirigenten schlechthin: den guten alten Knappertsbusch.


    Allerdings ist die Qual der Wahl hier noch weitaus schwieriger als bei der Böhm'schen "Così", zumal wir hier nicht nur drei bzw. vier Aufnahmen zur Diskussion haben, sondern ganze zwölf (!):



    1951




    1952



    (1953 dirigierte Krauss in Bayreuth)




    1954



    (1955 bis dato nicht auf CD erschienen)




    1956




    1957




    1958




    1959




    1960




    1961




    1962 (Stereo)




    1963




    1964



    Ich zitiere hierzu meinen eigenen Beitrag aus dem normalen "Parsifal"-Thread:



    Die bekanntesten Aufnahmen sind mit Sicherheit 1951 und 1962, allerdings sagt mir z. B. die Besetzung von 1956 fast eher zu.



    (Cover-Ergänzungen durch Th.)

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Nach anderhalb Jahren meine ich, daß ich mir die Frage nach dem besten Knappertsbusch-"Parsifal" weitgehend selber beantworten kann. Ich habe mittlerweile die Aufnahmen von 1951, 1952, 1954, 1956, 1958, 1959, 1960, 1962, 1963 und 1964, es fehlen also lediglich 1957 und 1961. Natürlich habe ich sie mir noch nicht alle ganz durchgehört, das verschlingt ja auch immer einiges an Zeit. Gleichwohl habe ich mir freilich die "Höhepunkte" vergleichend angehört. Meinen Gesamteindruck möchte ich einmal schildern:


    Man könnte ja meinen, die Aufnahmen würden sich kaum voneinander unterscheiden, aber es lassen sich sehrwohl (wenn auch z. T. eher marginale) Unterschiede feststellen. In manchen Jahre baute Knappertsbusch einige besondere Betonungen ein, die sonst fehlen. So etwa zusätzliche Bläsereinsätze in der finalen Apotheose am Ende des 3. Akts, angedeutet bereits 1959, besonders aber 1964. 1960, 1962 und 1963 fehlen sie, was wiederum bedeutet, daß sich der Dirigent offensichtlich jährlich neu mit der Partitur beschäftigt hat und nicht jedes Jahr das Vorjahr 1:1 kopierte.


    Orchestral scheinen mir die Aufnahmen von 1951, 1954, 1959 und 1964 besonders positiv hervorzustechen. Nicht, daß die anderen Jahre qualitativ besonders abfallen würden. Aber meine ich persönlich, daß ein paar Wackler im Blech (ich glaube, es war 1952 und 1956), für die Knappertsbusch vermutlich wenig kann, insgesamt den Hörgenuß doch etwas schmälern, und wenn man schon so eine gewaltige Auswahl hat (wo hat man etwas Vergleichbares sonst?), dann sollte man sich für das Bessere entscheiden, das bekanntlich der Feind des Guten ist. Am besten will mir das Orchester in Kna's allerletztem Dirigat erscheinen. Es ist beinahe, als hätte man auf dem Grünen Hügel bereits geahnt, daß es an diesem 13. August 1964 das letzte Mal sein würde, daß sich der mittlerweile 76jährige Dirigent in den berühmten verdeckten Bayreuther Orchestergraben begeben würde. Ein Sturz in seiner Wohnung im darauffolgenden Herbst, bei dem er sich einen folgenschweren Oberschenkelhalsbruch zuzog, beendete jäh die Dirigentenkarriere von Generalmusikdirektor Professor Knappertsbusch.


    Sängerisch stechen besonders folgende heraus:


    In der Titelrolle Jon Vickers (1964), Windgassen (1951, aber auch besonders 1963) sowie Beirer (1959/60). Jess Thomas ist zwar alles andere als eine schlechte Besetzung, aber fällt er m. E. besonders im direkten Vergleich ein wenig ab. Er wirkt auch im 3. Akt noch wie der "reine Tor". Bei Ramón Vinay, der zwar stimmstark ist, haben wir das gegensätzliche Problem: Den Jüngling im 1. Akt nimmt man ihm nicht wirklich ab. Favorit ist eindeutig Vickers.


    Als Gurnemanz sind Hotter (1962-64), Greindl (besonders 1954) und Hines (1959 besser als im Vorjahr) hervorzugeben. Natürlich, Hans Hotters "Wobble" ist nicht wegzudiskutieren, doch präsentiert er sich selbst 1964 noch in einem insgesamt überraschend guten Zustand. Ihm nimmt man den gealterten Gralsritter irgendwie am ehesten ab. Greindl und Hines sind sicherlich stimmlich intakter, allerdings werden sie dadurch der Rolle auch nur teilweise gerecht – freilich dennoch auf höchstem Niveau. Ludwig Weber fällt für mich im Vergleich ab, ohne schlecht zu sein.


    Beim Amfortas haben wir eigentlich lauter interessante Besetzungen: George London ist natürlich erste Sahne (1951, aber auch noch 1962/63). Eberhard Waechter (1958/59) und besonders Thomas Stewart (1960 und 1964) stehen dem eigentlich nicht nach. Hans Hotter sang tatsächlich auch einmal den Amfortas (1954), und überraschend gut, wenn auch etwas ungewohnt (der einzige Sänger, der drei Partien in dieser Oper übernahm: Gurnemanz, Amfortas und Titurel). Fischer-Dieskau (1956) ist natürlich Geschmackssache. Es gibt Dutzende, die schlechter sind. Heute wäre man froh um ihn.


    Auf die Partie der Kundry hatte Martha Mödl sowas wie ein Abonnement: In allen 50er-Aufnahmen bis auf 1958 verkörpert sie diese. Régine Crespin (1958, 1960) ist ebenbürtig. Irene Dalis (1962/63) und Barbro Ericson (1964) sind vielleicht nicht ganz diese Liga.


    Beim Bösewich Klingsor haben wir auch überaus exquisite Namen zu nennen: Uhde (1951/52), Neidlinger (1954, 1960, 1962-64) und Blankenheim (1956, 1958/59). Im Grunde allesamt grandiose Besetzungen.


    Die relativ unwichtige Partie des Titurel glänzt auch mit erlauchten Sängernamen: van Mill (1951, 1957), Böhme (1952), Adam (1954), Hotter (1956), Greindl (1958/59), Weber (1963) sowie Talvela (1962). Weniger bekannt: Ward (1960) und Hagenau (1964). Alle völlig rollendeckend.


    Tontechnisch ist die Philips-Stereoaufnahme von 1962 natürlich die beste, der Rest ist Mono. An zweiter Stelle steht der von Orfeo hervorragend aufbereitete Mitschnitt von 1964. Tendenziell gilt: Je später aufgenommen, desto besser. Doch selbst die Aufnahmen aus den frühen 50ern sind alles andere als arg historisch im Klang und voll genießbar.


    Spielzeiten:



    Wie man sieht, war Knappertsbusch bei seinem ersten Bayreuth-Auftritt 1951 mit beinahe 272 Minuten gut 20 Minuten langsamer als bei seinem letzten 1964 mit 250 Minuten. Nach 1951 folgte ein kontinuierliches leichtes Zunehmen des Tempos. Am schnellsten war er 1959 unterwegs mit knapp 248 Minuten. Bis 1963 wurde das Tempo dann wieder ein klein wenig langsamer (knapp 255 Minuten), um im Jahr drauf wieder fünf Minuten schneller zu sein. Auf die drei Akte verteilt, nahm die Geschwindigkeit meist relativ gleichmäßig ab bzw. zu. Lediglich 1960 haben wir einen kleinen Ausreißer: Da war der 1. Akt um einiges langsamer als in den Vorjahren, während der 2. und 3. Akt ein bißchen schneller waren. Aber das artet in Beckmesserei aus. ;)


    Fazit:


    Mein persönlicher Favorit ist die Aufnahme von 1964 als Knappertsbuschs musikalisches Vermächtnis. Keine ist orchestral besser. Zudem haben wir hier den besten Parsifal und die vielleicht besten Gurnemanz und Amfortas. Die Kundry ist weit überdurchschnittlich. Es ist beinahe schade, daß man damals 1962 den Stereo-Mitschnitt machte. Bis auf Martti Talvella als (recht unbedeutender) Titurel ist diese Aufnahme der allerletzten m. E. in nichts überlegen, beim Titelhelden sogar deutlich unterlegen. Auch ist das Orchester 1964 noch besser aufgelegt.


    Meine zweite Empfehlung geht für die Aufnahme von 1959 heraus. Die Kombination Beirer/Hines/Waechter/Mödl/Greindl hat man nur hier. Der stimmgewaltige Jerome Hines und auch Hans Beirer scheinen mir 1959 besser als 1958. Vom Dirigat her ist die '58er-Aufnahme vielleicht sogar die schwächste, und tontechnisch ist sie auch nicht so gut wie 1959.


    Als drittes würde ich den Mitschnitt von 1954 hervorheben. Hier bekommt man Windgassen/Greindl/Hotter/Mödl/Adam geliefert. Windgassen scheint gereift, Greindl ist hier als Gurnemanz am besten, Hotter exquisit als Amfortas, Mödl sowieso genial, Adam als Titurel das Pünktchen auf dem "i".


    Eher abraten würde ich von 1952 und 1958. Für sich genommen sicherlich auch gut sind 1956 (wenn man Vinay als Parsifal will und mit Fi-Di leben kann), 1960 (Beirer mit Greindl als Gurnemanz) sowie 1963 (Windgassen nochmal als Parsifal). Wie gesagt, 1957 und 1961 kenne ich noch nicht, aber großartig Neues erwarte ich mir auch nicht, da die Besetzungen auch anderweitig irgendwo vorkommen. Wer Vinay unbedingt will und Fi-Di nicht ausstehen kann, der könnte zu 1957 greifen, da singt nämlich London den Amfortas.


    LG
    Joseph
    :hello:

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    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • So, mittlerweile kenne ich auch die zwei verbliebenen Mitschnitte von 1957 und 1961.


    Kurz gesagt: Sie verdrängen meine bisherigen Favoriten nicht von den Plätzen.


    Allerdings schätze ich die "offizielle" Stereo-Aufnahme von 1962 mittlerweile höher ein. Ideal wäre m. E. aber nach wie vor 1964 in Stereo. Aber gut, man kann ja nicht alles haben ... ;)


    Hier noch die Zeiten für 1957 und 1961, damit wir es komplettisieren:


    1957: I. Akt: 111:18, II. Akt: 66:23, III. Akt: 76:51, Gesamtspielzeit: 254:32
    1961: I. Akt: 110:26, II. Akt: 70:01, III. Akt: 73:55, Gesamtspielzeit: 254:22


    :hello:

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    – Luís de Camões