Freischütz - Entführung - Fidelio - schwache Libretti ?

  • Zitat

    Ich werde nie verstehen, warum alle auf Fidelio wegen des Librettos rumhacken, aber kaum jemand auf Freischütz oder Entführung...)


    So macht man Threaderöffnungen: Man nehme das Zitat eines anderen Forianers (in diesem Falle Johannes Roehl) und setze es an die Spitze eines Threads - Fertig.


    Aber Spaß beiseite
    In der Tat ist das eine gute Frage.
    Und ich hätte einige Teilantworten dazu parat.


    Aber zuert lasse ich einige von Euch etwas zu diesem Thema sagen - so Ihr denn wollt. Ergiebig und interessant genung wäre es ja.



    mfg aus Wien


    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • In der Tat legen die jeweiligen Enden der Opern, in denen ein Deus ex Machina (im weitesten Sinne) die Lösung einer bis dahin auf eine Tragödie hinauslaufende Handlung plötzlich dreht, einen Vergleich nahe.

    mit freundlichen Grüßen
    Martina
    Auf dem Rohre taugt die wonnige Weise mir nicht!

  • Guten Morgen aus Sarajewo,


    mir fällt dazu spontan ein, daß der Unterschied zwischen der Erhabenheit der Musik und der relativen Belanglosigkeit der Ausführung des Librettos (nicht des Stoffes an sich) bei Fidelio eben besonders dramatisch ist - es geht um Leben, Freiheit, Revolucion o muerte, um die wesentlichen Dinge des Lebens also, etwas, das über Einzelschicksale hinaus weist, und das Libretto entspricht dem nicht - allein, was jeder für sich im Quartett (Mir ist so wunderbar) singt, überhört man lieber. Der Zuhörer sieht also seine Erwartungen an den Stoff etwas enttäuscht, denn von der Wolke des erhabenen Gefühls beim Hören der beethoven'schen Musik wird man durch den nachfolgenden Dialog nach jeder Nummer eben brutal wieder heruntergerissen, was manche Regisseure (mir zuletzt in Essen erinnerlich) dazu veranlaßt hat, den Dialofg vollständig zu streichen und die Musik sozusagen en suite zu spielen. Das war gut!


    Dagegen geht es weder im Freischütz noch bei der Entführung um mehr als Einzelschicksale, und ob da nun die Blonden und Agathen plappern und dummes Zeug reden, ist ohne Belang: das tun sie im wirklichen Leben ja auch und regt eine dumme Geschichte mehr oder weniger niemanden mehr auf. Daß die Musik an mancher Stelle, gerade bei der Entführung, die Blödigkeit des Textes Lügen straft und den aufmerksamen Hörer schauernd in seelische Abgründe blicken läßt, ist eine andere Sache: rein vom Libretto her lassen sich Entführung und Freischütz belang- und emotionslos inszenieren und verstehen. Beim Fidelio geht das nicht wirklich.


    Grüße!


    Honoria

    "...and suddenly everybody burst out singing"
    Busman's Honeymoon

  • Zitat

    Rein vom Libretto her lassen sich Entführung und Freischütz belang- und emotionslos inszenieren und verstehen. Beim Fidelio geht das nicht wirklich


    Honoria Lucasta hat hier mit einem Satz sehr vieles von dem vorweggenommen, was ich schreiben wollte, aber jeweils viel länger gebraucht hätte.


    In der Tat werden vom Zuhörer an Fidelio ganz andere Ansprüche gestellt, als an die beiden anderen Werke.
    Beethoven dürfte letztlich mit der textlichen Seite des Fidelio auch nicht ganz zufrieden gewesen sein, deshalb die Umarbeitung Lonore zu Fidelio. Andrerseits waren die Ansprüche an ein Libretto, bzw an die Glaubwürdigkeit eines Stoffes im späten 18. bzw frühen 19. Jarhundert nicht dieselben, wie (angeblich) heutzutage. Zu den "verpatzten" Libretti lisse sich mühelos noch Mozarts Zauberflöte hinzugesellen, Lortizings Texte hingegen nicht, weil die vermutlich als Parodie verstanden werden wollen.


    Bleiben wir bei der Entführung:
    Basierend auf dem nicht gerade weltberühmten Stück eines nicht weltberühmten Autors , "Belmont und Constanze", welches schon von Johann André (1741-1799) vertont wurde, bastelte Gottlieb Stephanie der Jüngere das Libretto zur "Entführung aus dem Serail" - übrigens unter dem Protest Bretzners, der darin eine (damals juristisch nicht verfolgbare) Urheberrechtsverletzung und Verbalhornung seines Stückes sah.


    Prinzipiell handelt es sich um ein Singspiel vom damals in Mode geweserm Typ "Türkenoper", dessen Handlung eher schematisch clichéhaft angelegt war, und vermutlich hauptsächlich deshalb so beliebt war, weil man die damals so beliebte "türkische" Musik - von abendländischen Komponisten selbstredend - ideal unterbringen konnte. Unterschwellig ist der Text ein Aufrug zur Toleranz gegenüber anderen Kulturen - zu Zeiten der Aufklärung gern gehört und gesehen.


    Mit anderen Worten. Tiefgang wurde hier nicht erwartet - und auch nicht geboten. Die Figur Osmins - heute gerne als dämonisch - trotz ihrer (angeblich scheinbaren) Lustigkeit interpretiert wurde damals vermutlich anders gesehen, nämlich als guter Kerl mit rauher Schale, die unter Alkoholeinfluß nur allzuschnell abbröckelt. Aber mit dieser Betrachtungsweise ist das Stück für "moderne Inszenierungen völlig ungeeignet....


    Nun mach ich wieder Platz für andere Teilnehmer an diesem Thread und melde mich zu einem späteren Zeitpunkt zum Thema "Freischütz" zu Wort...


    mfg aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Ich finde die Libretti aller drei Opern ganz und gar nicht schwach: Die Figuren handeln motiviert, die Handlung bietet überraschende Wendungen - der Freischütz macht dazu noch ordentlichen Buden - äh - Schluchtenzauber. Es ist eher unsere Zeit, die dem Gefühlsadel einer Agathe, Leonore oder Konstanze heute mit Zynismus begegnet. Das ist schade und ändert sich vielleicht auch mal wieder. Die Agathen-Interpretationen einer Elisabeth Grümmer oder einer Elsa Oehme-Förster beweisen, wie glaubwürdig man diese Rollen gestalten kann und muss. Und wer dann noch zynisch lächelt, dem ist sowieso nicht mehr zu helfen.

  • Ich lege in der Oper eigentlich mehr Wert auf die Musik als auf das libretto. Librettisten gelten literarisch nicht gerade als das Beste vom Ei. Sogar Metastasio mit seiner x.ten Vertonung eines seiner Texte wird heute nicht mehr gelesen. Für mich ist Oper ein besonderer Abend, den ich vor allem von der Musik her genieße und vom ganzen Ambiente, auch weil man den Inhalt meist schon kennt, ansonsten bin ich schon mal aufgestanden und aus dem Haus rausgegangen, bei Schostakovich: Katerina Ismailowa, war auch halb leer das Haus:yes:


    Michael


    PS: Fidelio gilt von der Dramaturgie her als besonders lahm, aber die Musik ist traumhaft schön

  • Ich schließe mich dem Michael an !
    Wer von Euch ist schon in eine Oper gegangen nur des Librettos wegen ? Und hat die Musik nur einfach so mitgenommen ?
    Ich glaube, das hat noch kein Opernfreund gemacht. Es gibt - wie überall - gute, mittlere und schlechte Libretti, und dann noch solche, die gänzlich uninteressant sind. Und solche gibt es massenweise - aber nicht mehr auf der Opernbühne zu sehen - und damit verschwindet leider auch oft sehr gute Musik, die wenn es sich um Ohrwürmer handelt, gelegentlich auftaucht.


    Aber zurück zu "Freischütz" und "Entführung" - wenn die beiden Komponisten ein besseres Libretto bekommen hätten, hätten sie dann auch andere Musik dazu geschrieben ??? Wenn ja, welche ???
    Wer kann mir das beantworten ?


    "Fidelio" ist ein anderer Fall, darauf ist in diesem Thread bereits eingangen worden und möchte nichts wiederholen.


    Daher scheint es mir müßig, über andere Texte zu spekulieren.
    Jeder Komponist plant ein Werk, hat einen Termin dafür und nur wenige Komponisten haben ihre Werke später überarbeitet (noch viel seltener nur des Librettos wegen).


    Meint Euer -


    Operngernhörer :hello:

  • Für mich fängt alles schon mit der Frage an, warum die Libretti eigentlich als schwach beurteilt werden.


    Liegt es an der Sprache, die auf uns heute eher unbeholfen wirkt? (Das Urteil von Goethe über das Libretto des "Freischützes" oder seine Bewunderung für die "Zauberflöte" könnten als Indizen dafür gelten, dass beide Libretti damals in den Rahmen dessen fielen, was zumindest von den meisten Zuhörern/innen als akzeptabel empfunden wurde.)


    Oder ist es doch die Handlung, die zu banal und zu oberflächlich wirkt oder einfach zu wenig motiviert scheint? Sind allerdings die Handlungen anderer Opern, bei denen die Libretto eher als lobend beurteilt werden, wirklich besser?


    Fakt ist, dass die drei hier zur Diskussion gestellten Libretti eine entscheidende Qualität haben, die für ein Bühnenwerk (und gerade auch als Grundlage für eine gelungene Oper) entscheidend ist.


    Alle drei Libretti sind jedenfalls äußerst bühnenwirksam und bieten eine Handlung, die sowohl Bühnentauglichkeit, Unterhaltung und auch ein wenig Tiefsinn hat. Hinzu kommen noch ein paar interessante Aspekte, die einer fähigen Regie Spielraum für eigene Ideen lassen, ohne deshalb gleich das Libretto auf den Kopf stellen zu müssen.


    Fakt - alle drei Libretti sind als Grundpfeiler für die Musik, zu der sie die drei Komponisten inspiriert haben, ausgesprochen stabil, sodass sich diese problemlos enfalten kann.


    Mag sein, dass sie den intellektuellen Ansprüchen für Essays und anderes nicht wirklich genügen, aber so etwas ist auch nicht für die Bühne gedacht.

    Il mare, il mare! Quale in rimirarlo
    Di glorie e di sublimi rapimenti
    Mi si affaccian ricordi! Il mare, il mare!
    Percè in suo grembo non trovai la tomba?

  • Hallo Waltrada!
    SCHWACH finde ich persönlich libretti nicht, eher literarisch nicht sonderlich wertvoll, also als Lektüre, da sie dafür nicht gedacht sind, sondern rein der Oper dienen sollen, wie soll ich sagen? Sie sollen den Inhalt eines musikalischen Bühnenwerkes "tragen", und von dieser Musik gelöst, sind sie irgendwie "nackt", wenn man so sagen kann.
    Gemeinhin wird man wohl annehmen, daß ein Bühnenwerk eine zumindest optisch dynamische Handlung haben sollte, wie ein Schauspiel, da ansonsten ein Oratorium oder dergleichen wohl sinnvoller wäre, nicht?
    In dem Sinne meinte ich auch, daß Fidelio eine wunderschöne Musik hat, aber nicht besonders viel Handlung.
    Die Frage ist, ob dies dem Werk Abbruch tut oder nicht. Ich persönlich finde, nicht, da der Gedanke dieser Oper so besser zum Tragen kommt, also dieser mystische Sieg der Gerechtigkeit, und der ehelichen Treue.


    LG Michael

  • Wenn ich einen "provokativen Thread" starte, dann heisst das nicht, daß ich mit dem Inhalt der von mir gewählten Schlagzeile einverstanden bin.
    Im Falle Fidelios bin ich eher der Meinung, daß das Libreto durchaus etliche Schwächen aufweist, aber zu Recht wurde darauf hingewiesen, daß das zu Zeiten der Uraufführung vom Publikum vermutlich anders gesehen worden ist.
    GEGEN ein "schwaches Libretto" spricht ja eindeutig, daß diese Oper von vielen noch HEUTE als DIE "Freiheitsoper" (sorry ich kann mit dieser Kategorie nichts anfangen, daher der Apostroph) gesehen und vergöttert wird.


    Die Entführung ist eigentlich ein Singspiel und unterleigt anderen Gesetzen. Auf mich wirkt das Werk (vor allem auf Tonträger !!! - und wahrscheinlich nur dort (?) ) eigenartig hölzern und unwirklich, aber das war vermutlich gegen Ende des 18. Jahrhunderts ganz andes: Das Publimum dürstet förmlich nach allem was auch nur entfernt orientalisch aussah, die Story ist leicht zu überblicken - die Ausstattug exotisch a la mode - und die Musik überragend. Publikum des Rokoko - was willst Du mehr ?


    Nun aber zum Freischütz.
    Betrachtet man das Genre, welches hier abgedeckt werden sollte, dann kann man das Libretto nur als "schlechthin geniial" bezeichnen.
    Alles wasd das Publijkum der Romantik sehen wollte war vorhanden:
    Ein alter Brauch, ein neurotischer Jägesbursch der solche Angst hat seine Braut zu verlieren, daß er immer daneben schiesst, Ein abgelehnter Liebhaber der die Situation ausnützt und zudem als typgerechter Bösewicht mit dem Teufel im Bunde ist. Ein wenig nachklang auds dem 30 jährigen Krieg. Viel Abergaube und dessen Überwindung,. Optisch wird viel geboten; Eine reale Konfrontation mit dem Teufel bekommt das Publikum nicht alle Tage geboten.
    Besonders delikat das von Ännchen gesungene roinische Lied gegen den Aberglauben ("Einst träumte meiner sel'gen Base") das -gut vorgetragen -. erahnen lässt, daß sie selbst TROTZEM an böse Vorzeichen glaubt - dies aber energisch unterdrückt.


    Der oft kritisierte Schluß mit (beinahe) Happy End durch Erscheinen des Eremiten ist Standard von Theaterstücken des 19. Jahrhunderts.


    mfg aus Wien


    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



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