Von Weihrauch umwölkt - Brucknerinterpretationen von einst und heute

  • Liebe Forianer


    Bruckners Sinfonien wurden im letzen jahrhundert unterschiedlich bewertet, jedoch tendenziell wuchs die Wertschätzung im Laufe der Zeit.
    Damit kein Irrtum entsteht, Bruckner war schon zu Lebzeiten eine Berühmtheit, allerdings erst in seinen späteren Jahren. Seine eigentliche Bedeutung wurde jedocht erst relativ spät gewürdigt. Das mag nicht zuletzt auch durch die Einführung der Langspielplatte verursacht sein, da Bruckner-Sinfonien durch ihre Überlänge kein Optimales Material für Schellabkplatten darstellten, sie waren einfach zu lang.....


    Sie erschienen erst in den Jahren 1959 -67 auf Schallplatte (DGG, Jochum, teilweise mit den Berliner Philharmonikern, teilweise mit dem RSO des Bayrischen Rundfunks, welches ja von Jochum gegründet wurde)


    Lange Zeit war es üblich Bruckners Sinfonien als "religiöse" Werke zu zelebrieren, stets mit einem Hauch "Weihrauch" darauf. Eugen Jochum vertrat diesen Interpretationsansatz, der lange Zeit das Brucknerbild prägte.


    In letzter Zeit, wahrscheinlich vereinzelt schon früher, gibt es Dirigenten, die sich vion diesem Brucknerbild lösen und zu anderen Resultaten kommen. Stellvertretend sei hier beispielsweise Roger Norrington genannt.


    Welche Bruckner-Lesart bevorzugt ihr - wie würdet ihr die einzelenen Dirigenten, die sich als Bruckner-Päpste einen Namen gemacht haben bewerten, bzw beschreiben ?


    mfg aus Wien


    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Interessantes Thema - danke für die Idee!


    Ich bevorzuge die Lesart von Sergiu Celibidache, wie sie in den EMI-Aufnahmen der 4., 8., und 9. Sinfonie dokumentiert wurde.


    Leider sind ihm nicht alle Sinfonien im selben Maße gelungen. Die 5. fällt ein wenig auseinander, auch bei der 7. stellt sich bei mir nicht das Gefühl von Ganzheit ein, das beim Hören der im ersten Absatz genannten Aufnahmen entsteht. Auch der 3. steht das bei Celi übliche langsame Tempo m. E. nicht so gut zu Gesicht. Seine Interpretation der 6. habe ich momentan nicht "parat".


    Ansonsten höre ich Bruckner auch gerne mit Günter Wand (vor allem die Mitschnitte mit den Berliner Philharmonikern, ich kenne noch die frühen Aufnahmen mit dem RSO Köln - ich mag hier vor allem die 5. und die 8. - und einiges mit dem NDR SO). Mit Harnoncourt haben mich die 4. und die 5. sehr überzeugt, weniger jedoch die 7., 8. und 9. Mit Giulini und den Wienern habe ich die 8. und 9., die finde ich auch sehr hörenswert. Allemal für Karajan-Fans (und die gibt es ja sogar hier, quasi in der Diaspora) sind die letzten Aufnahmen des Maestro mit den Wiener Philharmonikern ein Muss (7. + 8.). Seine Berliner Aufnahmen finde ich emotional ein wenig unterkühlt, wenngleich orchestertechnisch hochgradig brillant. Es lohnt sich, die ganz frühen Aufnahmen zu hören - es gibt eine Mono-Version der 8., bei der der letzte Satz stereo aufgenommen wurde - hier hört man, dass auch ein HvK noch lernen musste.


    Bruckers 5. habe ich mit Barenboim (Teldec) lieben gelernt, gebe jedoch mittlerweile Harnoncourt und Chailly den Vorzug.


    Mit Jochum kenne ich nur einige DG-Aufnahmen (4., 8., 9.), die jedoch nicht an mich gehen. Knappertsbusch, Horenstein und Schuricht stehen auf der Wunschliste ... wie so vieles ... seufz ...


    Meine Bruckner-Top-Liste:
    3.: Haitink WPO
    4.: Celi MPO
    5.: Harnoncourt WPO
    6.: Klemperer Philharmonia
    7.: hm. Böhm mit WPO oder Wand mit BPO
    8.: Celi MPO
    9.: Celi MPO

  • Bruckner ist für mich der vielleicht größte Sinfoniker und erst nach einer gewissen Anlaufzeit wird die Größe und die erhebende Wirkung seiner Werke deutlich. Sein Einsatz der Blasinstrumente ist grandios und in manchen Sinfonien, zB 1. Satz der 9., hört man die Engel singen.


    Ich habe schon einiges an Bruckner gehört und gekauft.


    Mein derzeitiger Favorit für die Gesamteinspielung ist Skrowaczewski mit dem RSO Saarbrücken. Ich finde die Aufnahmen gut ausbalanciert und mit einem sehr schönen Zugang zur Musik. Den Klassiker Wand stelle ich ebenfalls auf diese Stufe.
    Karajan finde ich bemerkenswerter Weise ein bisschen zu hart. Die Brüche und atonalen Wendungen kommen hier fast ein wenig zu klar zur Geltung. Man denkt ja, Karajan würde hier mal so richtig in der Musik baden, aber die Bruckner-Aufnahmen machen deutlich, dass er sehr wohl nicht nur den Wohlklang und die dicken Streicher suchte.
    Die 7. mit dem WPO ist allerdings ganz beseelt. Es war Karajans letzte Aufnahme.
    Celi finde ich ein wenig zu breit. Da wird manches, was man "heiter" spielen könnte, durchaus in die Länge gezogen. Da legte er schon sehr sein eigenes Bruckner-feeling hinein.
    Inbal gefällt mir bei Mahler deutlich besser.
    Haitink und Chailly finde ich hervorragend, was natürlich auch an den hochklassigen Orchestern liegt, die zur Verfügung standen.
    Solti finde ich bei Mahler besser.
    Habe mir jetzt schon mal Jansons mit dem RCO im VVK (Amazon.co.uk) für 11,50 GBP gesichert. Doppel-CD Sinf. 3+4. Jansons ist großartig, gerade in der Endromantik.
    Ich warte und hoffe auf einen Thielemann-Zyklus. Dieses Jahr wird die 9. in München gespielt (wenn ich mich nicht irre). Habe 3,4,7,8 mit ihm und dem MPHIL gehört. Alles beeindruckend. Man kann ihm zwar eine gewisse Aufdringlichkeit bei der Interpretation nicht absprechen. Aber andererseits rumst und trötet und betört es ganz wunderbar. Der Effekt ist schon sehr gut.
    Jochum ist unaufgeregt und durchaus ebenso empfehlenswert.
    Bei Barenboim bin ich irgendwie nie restlos überzeugt. Toller Orchesterklang, aber letztlich bleibt man ein klein wenig ratlos zurück.
    Abschließend noch meine erste Bruckneraufnahme: Die 4. mit Muti und BPO. Die Tatsache, dass diese Aufnahme mein Brucknerglück begründet hat, sollte Aufschluß genug geben über ihre Qualität. Und dazu ist sie sehr günstig in einer der EMI-Billigreihen zu haben.

  • Über ein Jahrzehnt Funkstille zu diesem wirklich spannenden Thema.


    Denke ich an Weihrauch bei Bruckner, kommt mir ein Name sofort in den Sinn, der auch schon eingangs genannt wurde (Hervorhebung von mir):

    Lange Zeit war es üblich Bruckners Sinfonien als "religiöse" Werke zu zelebrieren, stets mit einem Hauch "Weihrauch" darauf. Eugen Jochum vertrat diesen Interpretationsansatz, der lange Zeit das Brucknerbild prägte.


    Interessant dann die ebenfalls getätigte Aussage:

    Jochum ist unaufgeregt und durchaus ebenso empfehlenswert.


    So seltsam es klingen mag: beides stimmt m. E. auf seine Art.

    Meine erste Gesamtaufnahme der neun Symphonien (ohne die Frühwerke) war jene der Deutschen Grammophon Gesellschaft unter Eugen Jochum (eingespielt zwischen 1958 und 1967). Die hat mich für Bruckner begeistert, dem ich lange sehr reserviert gegenüberstand. Sie rückte indes recht bald in den Hintergrund, als ich andere Bruckner-Interpreten kennenlernte, insbesondere Karajan und Solti, später dann auch den Japaner Asahina und viele mehr. Die letzte Zeit komme ich wieder vermehrt zu Jochum zurück. Er konnte wirklich beides: weihevolles Pathos und auch nüchterne Sachlichkeit. Bei den Symphonien Nr. 1 und 2 ist er z. B. erstaunlich flott unterwegs. Da fielen mir in der Kategorie weihevoll eher andere ein. Dann aber konnte er auch voll dem Klischee entsprechen, nämlich in der Symphonie Nr. 5, offenkundig seine persönliche Favoritin. Aber selbst da gibt es Unterschiede festzustellen. In der genannten DG-Einspielung, die bezeichnenderweise mit der Fünften 1958 eröffnet wurde, zelebriert er den sakralen Charakter des Werkes wie kein anderer. Mir ist keine Interpretation bekannt, bei der ich mehr an eine katholische Messe denken muss. Die apotheotische Schlusscoda ist hier in seiner Prachtentfaltung unübertroffen (manch einem ist es gar zu viel). In kluger Abwandlung der Idee von Franz Schalk verdoppelte Jochum hier nämlich die Blechbläser um die sog. "elf Apostel" (ohne Judas): vier Hörner, drei Trompeten, drei Posaunen und eine Bass-Tuba. Die Triangel und das Becken ließ er weg. Dies hätte es auch eher theatralisch aufgebläht statt in seiner himmlischen Wirkung zu unterstreichen. In seinen späteren Live-Aufnahmen aus Ottobeuren 1964 und Amsterdam 1986 (beide Male mit dem Concertgebouw-Orchester) sowie in Paris 1969 (mit dem Orchestre National de l'ORTF) gibt Jochum sich für meine Begriffe deutlich säkularisierter. Die "elf Apostel" entfallen. Den weihevollen Ansatz finde ich bei Jochum auch in der Symphonie Nr. 7, wo er unvergleichlich den umstrittenen Beckenschlag mit Paukendonner ausspielen ließ (offenbar aber auch nicht in jeder seiner vielen Aufnahmen).

    Das Weihevolle bei Bruckner will aber auch gekonnt sein. Es gab in jüngerer Vergangenheit einige Nachahmer, die dann aber oft eher fragwürdige Ergebnisse erzielten.

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões