Liebe Leute,
das Label Sony bringt derzeit eine Reihe längst vergriffener Aufmahmen wieder auf dem Markt, darunter wird diese schmrzliche Lücke geschlossen:
Bei dieser Gelegenheit fällt mir auf, dass diese Oper noch keinen eigenen thread bei uns hat:
Gustave Charpentier (1860-1956)
Louise
Ileana Cotrubas, Placido Domingo, Gabriel Bacquier, New PO, Georges Pretre
Label: Sony , ADD, 1976
Und nein, ich bin leider auch nicht die Spezialistin dafür, weswegen ich mir erlaube, einen sehr schönen Beitrag aus diesem thread Neulich gerührt - Der Lösungsthread zum zweiten Eherätsel hierher zu kopieren (und das Einverständnis seines Autors dazu stillschweigend voraussetze - ich fände es schade, wenn diese schöne Einführung ungenutzt bliebe).
ZitatAlles anzeigenOriginal von Jacques Rideamus
Danke für Eure Rückmeldungen, die Ihr hoffentlich beibehalten werdet, denn sie würzen die Kärrnerarbeit an der Vorstellung dieser hier meist kaum schon besprochenen Werke, die deshalb zunehmend das Ausmaß längerer Threadeinführungen annehmen, was sie eines Tages wohl auch sein werden. Kommen wir also zum nächsten Werk, dem es genauso geht, weil über ein paar Erwähnungen in den Listen der besten französischen Opern bei Tamino noch kaum etwas zu finden ist, was Eure FIndgkeit aber um so bemerkenswerter macht, denn erstaunlicherweise schien dies für viele eine der leichteren Fragen zu sein.
4. Glückliche Ehen wohnen auch in der kleinsten Hütte. Dumm nur, wenn die glückliche Liebe der Tochter die glückliche Ehe der Eltern zerstört. Oder sind doch die Verlockungen der Stadt daran schuld, die hier eine Hauptrolle spielt?
Gesucht wird der vierte Buchstabe des Komponistennamens
Es gibt eine Fortsetzung und da zeigt sich, dass eine glückliche Liebe nicht in einer glücklichen Ehe enden muss. (Waltrada)
Die Huldigung an diese Stadt, die hier in Musik gefasst wurde, die kann ich nachvollziehen - eigentlich spielt die Stadt die Hauptrolle in diesem Werk. (Alviano)
Die Protagonistin findet man nicht bei Ralph Benatzky, dort fehlt ihr ein O (Emotione)
Die Stadt brachte es. Die ist aber auch eine Reise wert. (JR II)
Es gibt eine Gemeinsamkeit der Titelheldin mit Mimi (Elisabeth)
Der Komponist heißt mit Nachnamen genauso, wie ein anderer Komponist, der deutlich früher gelebt hat, und über den wir nicht so arg viel wissen - seine Musik ist uns allerdings bekannt geblieben, nicht zuletzt, weil ein berühmtes Thema früher als Jingle für eine länderübergreifende Ausstrahlung von Sendungen im Fernsehen Verwendung fand. (Alviano)
Ich kenne aus dieser Oper nur eine sehr berühmte Arie, die zumindest hier in Frankreich in allen Arienbüchern für Soprane zu finden ist. Helas!, seit jenem Tag....... (Fairy Queen)
Ein "o" fehlt auch der sonst namensgleichen Titelheldin in einem früher recht bekannten Epos von Johann Heinrich Voß. Der Komponist starb in seinem 96. Lebensjahr, was die Suche nach ihm vielleicht etwas eingrenzen hilft. (Waldi)
Lösung: Gustave Charpentier: Louise – R
O coeur ami! ô coeur promis! Mit diesem bereits zum Einsatz des Orchestervorspiels angestimmten und im Verlauf der Oper immer wieder anklingenden Motiv, mit dem der Poet und Bohemien Julien seine geliebte Louise auf den gegenüber liegenden Balkon ruft, beginnt das erste von mehreren viel gerühmten und dennoch leider weitgehend unbekannten Werken, nach dem hier gefragt wurde, und nicht von ungefähr habe ich lange gedacht, dass Julien da "O cher Paris" sänge, bis ich den Text nachlas.
Ein gegensätzlicheres Komponistenpaar als Marc Antoine Charpentier (1643-1704) und sein 400 Jahre jüngerer Namensvetter Louis Charpentier (1860-1956) ist kaum vorstellbar, denn während der Komponist der „Eurovisionshymne“ (die ursprünglich das Vorspiel seines TE DEUMs in D-Dur war) sich in seinen Opern, den Gepflogenheiten der Zeit gemäß, mit den großen Mythen der Antike beschäftigte, unterscheidet sich Louis Charpentier nur in einem nicht von den Interessen seines gleichnamigen Vorläufers: der Glorifizierung ihrer Heimatstadt Paris.
Tatsächlich ist die Stadt Paris, in die Louis Charpentier mit 21 Jahren zog um dort u. a. bei Jules Massenet, der ihn förderte, wo er nur konnte, seine Musikstudien abzuschließen, die er am Konservatorium von Lille begonnen hatte, die fünfte, wenn nicht die eigentliche Hauptgestalt seiner einzig erfolgreichen Oper, die nur wenige Monate nach dem Tod des Komponisten im hohen Alter von 96 Jahren allein an der Pariser Opéra comique seit ihrer Uraufführung im Jahr 1900 zum tausendsten Mal aufgeführt wurde. Charpentiers Liebe zum Montmartre war so ausgeprägt, dass er angeblich kaum zu überreden war, die Stadt für das obligatorische Aufenthaltsjahr in Rom zu verlassen, als er den begehrten Prix de Rome verliehen bekam, der ihn in eine Reihe mit vielen der berühmtesten französischen Komponisten von Halévy über Berlioz (der allerdings nur den 2. Preis erhielt), Bizet, Massenet, Gounod Debussy, den Schwestern Boulanger, Ibert und zuletzt Dutilleux stellte.
So ist es nur natürlich, dass der Montmartre mit seiner überwiegend armen Bevölkerung im Zentrum seiner Oper steht, die eine Allerweltsgeschichte erzählt: die Näherin Louise liebt ihren Nachbarn vom Balkon gegenüber, den Dichter Julien, der als sorgloser Bohèmien in den Tag hinein lebt. Natürlich haben ihr hart arbeitender Vater und die in dem ewigen Kampf gegen die Armut verhärtete Mutter etwas gegen diesen Luftikus. Nach langem Ringen um die Zustimmung der Eltern flüchtet Louise schließlich mit ihrem Geliebten in eine arme Stube in der Nachbarschaft, wo sie sich zu Beginn des dritten Aktes in der berühmten Arie „Depuis le jour“ selig an die glückliche Zeit erinnert, die sie seit dem Tag, an dem sie ihn erstmals traf, ihrem Julien verdankt.
Ihr Weggang hat aber den Vater, der zuvor trotz aller Härten mit seiner Frau eine nach üblichen Maßstäben glückliche Ehe geführt und sogar überlegt hatte, ob sie nicht zu hart mit ihrer Tochter umgingen, so unglücklich gemacht, dass er erkrankt. So jedenfalls die Darstellung der Mutter, als sie Louise bei einem Fest der Bohemiens aufsucht. Louise erklärt sich bereit, ihren Vater zu pflegen, nachdem sie der Mutter das Versprechen abgenommen hat, nach der Gesundung des Vaters wieder zu Julien zurück kehren können. Als ihr Vater sie jedoch anfleht, bei ihm zu bleiben, weigert sie sich, die Freiheit und Liebe aufzugeben, auf die sie in ihrer Jugend ein Recht habe. Zornentbrannt weist ihr der Vater die Tür, nachdem sie die Stadt Paris angefleht hat, ihr zu Hilfe zu kommen. Als der Vater wieder zur Besinnung kommt, muss er realisieren, dass er seine Tochter zum zweiten Mal verloren hat. Verzweifelt ballt er die Faust gegen die Dachfirste der Stadt, und mit einem hilflos zornigen „O Paris!“ schließt die Oper.
Charpentier kam selbst aus einem eher ärmlichen Elternhaus und musste schon im Alter von 15 Jahren ebenso wie Louise in einer Spinnerei arbeiten. Zu seinem Glück hörte eines Tages der Chef der Fabrik, wie gut Charpentier das Klavier beherrschte, was ihm sein Vater, ein Amateurmusiker, beigebracht hatte, und förderte ihn von da an. All diese biographischen Splitter lassen sich in dem dichten Gewebe der Handlung und natürlich auch der Musik der Oper wiedererkennen, die Charpentier mit gutem Grund nicht so nannte, sondern als einen „Roman musicale“ bezeichnete. Dessen breit erzählendes Stilmittel führt gelegentlich dazu, dass sich Charpentier etwas im Detail verliert, aber auch zu einer ungewöhnlichen Mixtur aus impressionistisch geprägter Atmosphäre und einem harten Realismus, der bis hin zur Verwendung lokalen Argots geht, der Charpentier seinerzeit heftig vorgeworfen wurde – und den Erfolg der Oper im Ausland behinderte.
Mit Puccinis Mimi hat Louise den Beruf und das Milieu gemeinsam, und auch die musikalischen Motivsplitter, die Charpentier ähnlich wie Puccini, also als Erinnerungsstützen, aber nicht leitmotivisch einsetzt, legen, ebenso wie die zuweilen rauschhaften Passagen, eine enge Verwandtschaft mit LA BOHÈME nahe. Tatsächlich aber könnte die Titelheldin in ihrem emanzipierten Freiheitsdrang nicht verschiedener von dem romantisch verklärten Frauchen Puccinis sein, über dessen konkrete Lebensweise Puccini den diskreten Mantel der vagen Andeutungen legt, während Charpentier sogar dem Fabrikalltag seiner Heldin eine detaillierte Schilderung widmet, die auch vor einer musikalischen Nachzeichnung der ratternden Maschinen der Spinnerei nicht zurück schreckt. Der Erfolg des Werkes wäre jedoch undenkbar ohne den starken Melos, der irgendwo zwischen Massenet und Debussy einen ganz eigenen Reiz ausübt und mit zunehmendem Hören fast süchtig macht.
An den großen Erfolg der Oper schien 13 Jahre später ihre "Fortsetzung", JULIEN où LA VIE D’UN POÉTE“ zunächst anknüpfen zu können, obwohl Charpentier hier ganz anders vorgeht und ähnlich wie Berlioz in LÉLIO, der Fortsetzung seiner SYMPHIONIE FANTASTIQUE, eine nur lose zusammenhängende Folge von Traumlandschaften aufbaut. Der kurz danach ausbrechende Erste Weltkrieg und seine Nachwirkungen verhinderten indessen die Fortführung des Erfolges, denn inzwischen hatte man andere Sorgen als sich den Wahnvorstellungen eines verkommenden Drogensüchtigen zu widmen. Nach diesem Misserfolg versuchte sich Charpentier noch an einigen Projekten, die aber durchweg Fragmente blieben, und verlegte sch später auf Musikkritiken und Konzertveranstaltungen, veröffentlichte aber anscheinend nie wieder eine eigene Komposition.
Mit dem Aufziehen des Zweiten Weltkrieges interessierte sich erst recht kaum jemand mehr für den JULIEN, der im Gegensatz zu LOUISE, die in Frankreich ein fester Repertoirebestandteil ist, bis heute kaum mehr aufgeführt wird. Ich kenne das Werk nur aus einem Rundfunkmitschnitt der kurzen Aufführungsserie Dortmund Ende 2000, wo John Dew in Dortmund beide Werke hintereinander zeigte, wie es sich der Komponist wünschte. Leider war dem Experiment kein nachhaltiger Erfolg beschieden.
Zum Glück gibt es aber wenigstens von LOUISE eine Reihe von Aufnahmen, darunter diese hinreißende Einspielung mit Placido Domingo, Ileana Cotrubas, Gabriel Bacquier, Jane Berbié und Michel Sénéchal, die von Georges Pretre am PUlt des NPO geführt werden:
Leider scheint auch sie schon wieder vom Markt genommen worden zu sein. Da ich lange Zeit kein Bedürfnis nach einer Alternative zu dieser vorzüglichen Einspielung hatte, kenne ich keine andere, auch nicht diese hochinteressante Aufnahme mit Ninon Vallin und Georges Till:
Ich wäre sehr daran interessiert zu erfahren, ob sich diese Aufnahme lohnt, obwohl Charpentiers vielfarbiges Orchester ganz besonders einer adäquaten Tontechnick bedarf, wenn nicht zu viele Details untergehen sollen.
Kürzlich erhielt ich aber zum Glück doch eine sehr gute Alternative mit Bild: wer Glück hat oder findig ist, kann nämlich einen Mitschnitt der Pariser Aufführung von 2007 unter Sylvain Cambreling erhaschen, in der Mireille Delunsch ein Portrait zeigt, das fast an die beseelte Gestaltung von Ileana Cotrubas heran reicht, während Paul Groves zwar durchaus beeindruckend singt, aber hinter dem (trotz unidiomatischer Aussprache) berauschend singenden Dichter Placido Domingos leider merklich zurück bleibt. Dafür ist das Elternpaar mit Jane Herschel und José van Dam hervorragend besetzt, und auch die Inszenierung von André Engel wird sowohl der realistischen als auch der poetischen Dimension des Werkes absolut gerecht.
Jedenfalls ist LOUISE eine Oper, die weit mehr als eine flüchtige Begegnung verdient, und es würde mich sehr interessieren, welche Erfahrungen Ihr bislang mit ihr gemacht habt.
Jacques Riddleamus
Ich werde mir die wiederveröffentlichte Aufnahme nun endlich zulegen und freue mich nun meinerseits auf Eure Rückmeldungen.
LG, Elisabeth