Vorklassik - Frühklassik - eine ungeliebte Epoche ?

  • Schon bei der Rechereche zu diesem Thema beschleicht einen Unbehagen: WIE grenze ich WAS ein ?


    Handelt es sich um ein und dieselbe Epoiche mit verschiedenen thematischen und stilistischen Schwerpunkten oder um eine Übergangsepoche, die dannnoch dazu in zwei weitere aufgesplittet werden muß, bzw kann ??


    Was sind die Hauptstömungen dieser Epoche(n) ?
    Was zählt dazu, was noch nicht - und was nicht mehr ?


    "Galanter Stil" - "Mannheimer Klassik", "Sturm und Drang" ??


    Interessanterweise lag diese Epoche - zumindest was den Tonträgermarkt betrifft - lange Zeit im Dornröschenschlaf und wurde erst in den letzten 25 Jahren allmählich (SEHR allmählich - wenn ich mir die Bemerkung erlauben darf) wachgeküsst, obwohl da wahre Schätze in den Archiven liegen - teilweise bis heute noch nicht auf CD gebannt.


    Der vorliegende Thread soll das Interesse an dieser Epoche wecken, wo dies noch nicht der Fall war (aber dennoch Hoffnung besteht ;) ) und auf Komponisten und diverse Einspielungen aufmerksam machen.


    Dieses Thema ist indes ein weites Feld. Daher sollten die diversen Komponisten, nebst Hinweis auf eine oder 2 Aufnahme nur oberflächlich gestreift werden, da von den prominenteren Vertretern mittelfristig ohnedies Spezialthreads geplant sind.


    mfg


    aus Wien


    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Hallo Alfred,



    ich glaube man kann den musikalischen Bereich ganz gut umreißen, er beginnt etwa in den 1730er Jahren und endet mit "erwachsenen Mozart" um 1781.


    Ich hatte lange Zeit auch eher wenig übrig für diese Epoche und mittlerweile weiß ich wohl auch woran das lag.
    Es ist das "Zeitalter der Empfindsamkeit" das heißt dass man Emotionen mit minimalsten Mitteln erreichte, einiges davon ist noch stark bei Gluck zu spüren.



    Das Prädikat "Rokoko" ist genauso unpassend wie "Barock" (beides Begriffe die ursprünglich mal negativ besetzt waren) auch wenn ich damit alleine stehe, ich habe mich dazu entschlossen die Musik des 17. und 18. jahrhunderts als "Musik des Ancien Regime" zu bezeichnen, denn damit ist eindeutig klar um welche Zeit es sich handelt und sie ist frei von Wertung.


    Aber zurück zur Musik.


    Der "Galante Stil" ist falsch in Bezug auf diese Epoche, das Zeitalter des Galanten Stils ist um 1700 anzusiedeln, geht also dem "Empfindsamen Stil" direkt vorraus - sowohl musikalisch, als auch was die Literatur anbelangt.


    Man denke hier an Campras "L'Europe Galante 1697


    Es ist also das Zeitalter der Empfindsamkeit.
    Und diese Stilentwicklung ist ab 1725 zu beobachten, vor allem in der Oper.



    Lange hatte ich geglaubt, dass die Opern von Hasse, Vinci, Porpora usw. nur der Stimmakrobatik verpflichtet sind - nein, sie folgen dieser neuen Strömung und sind wie alle Opern hochdramatisch und tief emotional.
    Heute sind die Opern von Händel uns meistens emotional näher.
    Aber im Vergleich zu Hasse und Porpora wirkt Händel fast antiquiert - was von Zeitgenossen in dem Londoner Opernstreit ja auch so empfunden wurde. (Trotzdem gingen beide Opernhäuser unter)


    Diese neue Musik ist wesentlich leichter, anstatt mit der "Brechstange" regelrecht odinär auf diese oder jenes Empfindung zu verweisen, ist der neue Stil viel sensibler.


    Zuerst verstand ich nicht, wie man eine Rache Arie in Dur komponieren konnte (z.B. "quel ribelle e quell'ingrato" aus Mozarts Mitridate)
    Aber wenn man sich in diese Musik einmal eingehört hat - und das ist absolut notwendig, dann öffnet sich diese Emotionalität und wirkt sogar noch stärker als das was man bisher kannte.


    Das gleiche bei den Sinfonien - umso mehr bin ich von den Kompositionen des jungen Mozart begeistert, weil er in seinen Opern all das was nötig war beherrschte und noch übertraf.



    Ein anderes Beispiel.
    Neben Hasse war es vor allem Niccolo Jommelli der als Opernkomponist größten Ruhm erlangte.
    Seine Armida abbandonata (Rousset) war die erste Oper die ich hörte und sie hinterließ zuerst keinen bleibenden Eindruck, ich fand sie sogar stink langweilig.


    Aber als ich mich eben in diese Gefühlswelt eingehört hatte, da wurde Jommelli auf einmal ein Fixstern - er ist nun einer der ganz Großen für mich und sein Meisterwerk "Fetonte" (1768 für den Stuttgarter Hof geschrieben) hinterließ bei mir den gleichen Eindruck wie beim Herzog - das Finale ist so emotional und tragisch, dass man fürchtet man würde sterben, wenn man es nur noch einmal hören sollte. :faint:


    Hier ist die gesamte Oper, die es leider nicht im Handel gibt, als Radiomitschnitt (Stream) veröffentlicht worden:


    Zitat

    wähwähwäh.operatoday.com/content/2008/03/jommelli_fetont.php


    Es spielt das Ensemble der Ludwigsburger Festspiele unter Frieder Bernius.


    Ein Werk von unglaublicher Schönheit und Tiefe.
    Jommelli hat in seinen Opern versucht die Opera Seria und die Tragèdie Lyrique zu verbinden. Vor allem was die Chorszenen anbelangt.
    Es gab wohl auch viel Ballett (der berühmte Noverre war ja auch Hof in Stuttgart angestellt) aber wie bei den meisten Werken ist es nicht erhalten, bzw. nicht in der Partitur der Oper zu finden.


    Die Rezitative sind - ähnlich den späteren frz. Werken Glucks - völlig neugestaltet.
    Und natürlich gibt es breiten Raum für Stimmakrobatik.
    Fetonte ist eine der aufregensten und schönsten Opern des 18. Jahrhunderts - und wenn man an den Aufwandt denkt, wahrscheinlich auch eine der teuersten...



    Die Oper und die Sinfonie sind vielleicht ohnehin die wichtigsten Genres in denen dieser Empfindsame Stil zu finden ist.
    Aber ohne eine Einhöhrphase, wird man sich sicherlich schwer mit diesen Werken tun und sie als oberflächlich, glatt und vielleicht sogar als nichtssagend empfinden.


    Ich kann nur von mir sprechen, man sollte es unbedingt versuchen sich dieser Musik anzunähern, denn die Schätze die man hier entdeckt sind wahrhaft unglaublich.
    Wenn man wenigstens die frühen Opern Mozarts mag, dann hat man schon mal eine gute Chance :D


    Ich bin jedenfalls immer noch völlig von Jommellis "Fetonte" eingenommen, allein die Ouvertüre ist mehr als ungewöhnlich - nach dem A - Teil kommt als B-Teil gleich eine Gesangszene mit Chor, dann als C-Teil wieder eine Art Presto - sowas habe ich in der Art noch nie gehört.


    Zu Jommelli und Traetta gibt es übrigens bereits zwei Threads:



    Niccolo Jommelli 1714 - 1774


    Tommaso Traetta 1727 - 1779



    Und natürlich gehört da auch Rameau dazu, der vielleicht auch eine Möglichkeit darstellt sich in die Musik dieser Epoche einzufinden.


    :hello:

  • Guten Morgen,


    möchte da auf zwei Komponisten der "Mannheimer Schulle" mit exemplarischen Aufnahmen hinweisen:



    Ignaz Holzbauer


    5 Symphonien






    Antonin Fils


    6 Symphonien


    Die beiden Aufnahmen mit ihrem besonderen Repertoirewert
    wurden vom L'Orfeo Barockorchester,
    Leitung: Michi Gaigg, eingespielt.


    Gruß :hello:


    aus der Kurpfalz


    Bernhard

  • Ohne diese Epoche - wie immer man sie auch nennen mag, wäre Beethoven und das 19.JH bis hin zu Schönberg nicht denkbar, da hier wesentliche neue Kompositionstechniken entwickelt worden sind, speziell die motivisch-thematische Arbeit. Beethoven selber hat dies erkannt, indem er über Carl Philipp Emanuel Bach sagte: "Dieses Genie entwickelte aus einem Minimum an Materie ein Maximum an Geist" - nichts anderes ist die motivische Entwicklungsarbeit bei Beethoven.


    Gruß aus dem Wiesengrund

  • Lieber Alfred,


    Ich bin mit dem Lullist qua Epoche einverstanden. Ich würde sie bei C.Ph.E. Bach beginnen lassen, also etwa 1735. Und tatsächlich wird sie mit dem reifen Mozart endgültig beendet.


    Dabei mache ich aber einen Unterschied zwischen C.Ph.E. und Bruder J.C. Bach. Denn ihre Stil ist deutlich anders. Der erste ist für mich Vorklassik, der zweite dagegen Frühklassik.
    Offensichtlich lebten beide "Strömungen" gleichzeitig neben einander. Die Mannheimer zähle ich dann auch zu Frühklassik. Vielleicht ist dies eher eine Trennung zwischen Nord- und Süd-Deutsche Stilen.


    Wenn Du Clavecimbelkonzerte von C.Ph.E. Bach hörst



    oder Hammerklavierkonzerte von J.C. Bach



    dann sind das ganz deutlich verschiedene Stilen. Die Konzerte von J.C. gleichen viel mehr Mozarts Stil.


    LG, Paul

  • Zitat

    Original von Alfred_Schmidt
    Dieses Thema ist indes ein weites Feld. Daher sollten die diversen Komponisten, nebst Hinweis auf eine oder 2 Aufnahme nur oberflächlich gestreift werden, da von den prominenteren Vertretern mittelfristig ohnedies Spezialthreads geplant sind.


    Ich streife mal oberflächlichst:
    Besonders überzeugt haben mich:


    1699 – 1783 Johann Adolf Hasse
    1700 – 1775 Giovanni Battista Sammartini
    1703 – 1759 Carl Heinrich Graun
    1703 – 1771 Johann Gottlieb Graun
    1706 – 1785 Baldassare Galuppi
    1709 – 1789 Franz Xaver Richter
    1709 – 1786 Franz Benda
    1710 – 1736 Giovanni Battista Pergolesi
    1710 – 1784 Wilhelm Friedemann Bach
    1711 – 1779 William Boyce
    1711 – 1783 Ignaz Holzbauer
    1711 – 1772 Jean-Joseph Cassanea de Mondonville
    1713 – 1788 Carl Philipp Emanuel Bach
    1714 – 1774 Niccolo Jommelli
    1714 – 1787 Christoph Willibald Gluck
    1715 – 1777 Georg Christoph Wagenseil
    1717 – 1750 Georg Matthias Monn
    1717 – 1757 Johann Stamitz
    1722 – 1795 Georg Anton Benda
    1723 – 1787 Carl Friedrich Abel
    1727 – 1779 Tommaso Traetta
    1728 – 1800 Niccolo Piccinni
    1729 - 1783 Padre Antonio Soler
    1732 – 1809 Joseph Haydn
    1733 – 1760 Anton Filz
    1734 – 1829 Francois-Joseph Gossec
    1735 – 1767 Johann Schobert
    1735 – 1782 Johann Christian Bach
    1740 – 1816 Giovanni Paisiello
    1741 – 1813 André Ernest Modeste Grétry
    1743 – 1805 Luigi Boccherini


    wobei ja Haydn, Gossec, JC Bach, Paisiello, Grétry und Boccherini in die Hochklassik hineinragen, jüngere habe ich jetzt nicht genannt. Bei Grétry schummle ich, da ich kein Frühwerk von ihm kenne, von den anderen kenne ich sehr schöne Sachen von vor 1780.

  • Ist halt wie mit vielen "Übergangsepochen", die so ein wenig nebenher laufen. Die Vorklassik bietet schöne Musik, aber nichts richtig greifbar und wegweisen Originelles. Sturm und Drang würde ich dabei außen vor lassen. Das ist nicht unbedingt Vorklassik, denkst man zB an Haydns Sinfonien.
    Im Gegenteil ist die Vorklassik eben nicht stürmisch, sondern wie das Tier im Käfig, dass ein wenig verzweifelt. Es ist keine tatsächliche Neuerung in den meisten Werken, sondern nur ein Klopfen an der Tür, die dann von Beethoven aufgestoßen wurde.


    Aber eine hochinteressante und sehr hörenswerte Epoche voller stiller kleiner Momente des lebhaften und differenzierten Musizierens.

  • Zitat

    Original von Luis.Keuco
    Die Vorklassik bietet schöne Musik, aber nichts richtig greifbar und wegweisen Originelles.


    Wobei mir ja besonders das Wegweisende und das Originelle an den Werken dieser Zeit imponieren.
    :D
    Die Meister der Hochklassik hatten dann die Aufgabe, das viele Originelle und Wegweisende der Vorklassik und Frühklassik unter einen Hut zu bekommen in Form einer genialen Synthese.

    Zitat

    Es ist keine tatsächliche Neuerung in den meisten Werken


    Das gilt natürlich in allen Epochen.


    Weshalb es vielleicht sinnvoll ist, besonders originelle, wegweisende Werke hervorzustreichen:


    Sinfonik:
    ab 1730 GB Sammartini
    Requiem:
    1760 Gossec
    Oper:
    na wer wohl


    So ziemlich alle Gattungen:
    CPE Bach


    (Aber das wird jetzt einer größeren Zahl anderer Pioniere auf allen möglichen Gebieten ungerecht, die um diese Zeit tätig waren.)

  • Zitat

    Ist halt wie mit vielen "Übergangsepochen", die so ein wenig nebenher laufen. Die Vorklassik bietet schöne Musik, aber nichts richtig greifbar und wegweisen Originelles.


    das ist eben eine Fehleinschätzung. Zumal diese Zeit alles andere ist, als eine bloße "Übergangsepoche"




    Zitat

    Sturm und Drang würde ich dabei außen vor lassen. Das ist nicht unbedingt Vorklassik, denkst man zB an Haydns Sinfonien. Im Gegenteil ist die Vorklassik eben nicht stürmisch, sondern wie das Tier im Käfig, dass ein wenig verzweifelt. Es ist keine tatsächliche Neuerung in den meisten Werken, sondern nur ein Klopfen an der Tür, die dann von Beethoven aufgestoßen wurde.


    wieder eine Fehleinschätzung.


    deshalb unbedingt mal Werke wie das von KSM angesprochene Requiem (Grande Messe des Morts) von Gossec hören.
    Und die anderen hier vorgestellten Werke (den fetonte kann man sich ja sogar kostenlos komplett anhören)



    Aber das ist genau das was ich meinte - man muss sich erst etwas näher mit dieser musikalischen Epoche beschäftigen.
    In den Werken von Hasse, Rameau, Jommelli und Gluck keine Neuerung zu sehen, ist für mein Empfinden eigentlich absurd.


    Zudem habe ich ja sowieso grundsätzlich etwas dageben alles nur als Entwicklungsstufen zu betrachten die ausschließlich zu Beethoven führen.


    Beethoven war ein absolut mieser Opernkomponist - er ist keinesfalls dieser Übervater der Musik, ebensowenig wie Bach :beatnik: :untertauch:

  • Zitat

    Original von der Lullist
    In den Werken von Hasse, Rameau, Jommelli und Gluck keine Neuerung zu sehen, ist für mein Empfinden eigentlich absurd.


    Volle Zustimmung.

    Zitat

    Zudem habe ich ja sowieso grundsätzlich etwas dageben alles nur als Entwicklungsstufen zu betrachten die ausschließlich zu Beethoven führen.


    Sowieso. Das Auftauchen des Namens Beethoven hat mich ziemlich irritiert - da ist ja schließlich die Hochklassik dazwischen, die doch auch irgendwie eine ernstzunehmende Übergangsepoche ist ...
    :D
    Aber Beethoven wird offenbar als Angelpunkt empfunden, weil sich Schumann bis Mahler als Sinfoniker so deutlich darauf beziehen. Schön.


    Der Initiator der ganzen Sache "klassisch-romantische Sinfonik" ist aber eher Giovanni Battista Sammartini (auch wenn man das Gustav Mahler nicht so leicht anhört - und wenn man das vielleicht nicht so leicht von Barock-Concerti unterscheiden kann - ich habe das immer als revolutionär und neuartig gehört, und ich liebe diese Musik.)

    Besonders verglichen mit seinem Bruder sollte deutlich werden, dass er "Türen aufstößt".

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  • Lieber Lullist,


    ich bin wirklich begeistert von der Fachkenntnis, die hier im Forum von einigen incl. dir an den Tag gelegt wird. Wann hört ihr eigentlich die ganze Mucke?


    Zur Übergangsepoche folgende Überlegungen, die mir von JR bestimmt wieder um die Ohren gehauen werden:


    Renaissance: Italien, dann auch Deutschland


    Barock: Frankreich


    Klassik: Deutsche/Österreichische Gebiete (ist ja mit dem Flickenteppich der damaligen Karte nicht besser einzugrenzen)
    Dann frz. Einfluss durch Napoleon, aber letztlich nach dem Wiener Kongress wieder alles beim Alten


    Zur Rolle Englands verweise ich auf die Splendid Isolation. England, v. a. London, war zwar ein Zentrum von Macht, Kunst und Kultur, aber die großen, wegweisenden Einflüsse blieben aus. Hier saßen interessierte Konsumenten, aber die Zahl der großen Künstler engl. Herkunft ist doch eher klein.
    Das änderte sich mit der schieren wirtschaftlichen Kraft des Empires allerdings, wobei auf dem Gebiet der Musik weiterhin eher wenige Leuchttürme herausragen.


    Unter Zuhilfenahme dieser groben Zuordnung wird deutlich, dass die Vorklassik in der historischen Einordnung doch eine Übergangsepoche darstellt.
    Ich wage mich jetzt einmal ein wenig vor, gleichwohl wissend, dass meine Kenntnisse in manchen Stilepochen sicherlich begrenzt sind.


    Opern"erfindung": Monteverdi, Verbreitung in Italien, z. B. Cavalli
    Verschiebung des politischen Machtzentrums von Italien nach Frankreich durch Heirat der Medici mit dem frz. Königshaus.
    Übernahme der ital. "Erfindungen" und Vervollkommnung/Weiterentwicklung durch Lully, Marais, Rameau etc., natürlich dabei keine Beschränkung auf die Oper, sondern auch im Bereich Kammermusik und kammerorchestrale Werke.
    Das 17. Jht. stand im Zeichen Frankreichs. Die deutschen Landen, mit ihnen Spanien und Österreich (Habsburg) und die kleineren europäischen Mächte (Polen, Schweden) sich aufreibend im 30-jährigen Krieg, Spanien außerdem geschwächt durch die engl. Seeherrschaft. In Versailles Ludwig XIV, Sonnenkönig. Ganz Europa (also der Adel, der Rest interessierte zu der Zwit ja quasi nicht) kopiert ihn. Aukommen des Absolutismus. Bürgerkrieg in England.
    Dann jedoch der schwächere Ludwig XV, angeleitet von Mme Pompadour. Man schwelgt in Schönheit, Lust und Wonne, doch der Machtverlust schleicht sich ein. England ist unumstrittene Seemacht, der Handel mit Ostasien macht es reich und reicher.
    Die darniederliegenden deutschen Gebiete holen nach Beendigung des 30JK rasch auf. Das Französische lebt sich langsam ab, man sucht neue Wege. Paris ist nicht mehr das Zentrum der Welt, sondern London. Und Wien.


    Diese Übergangsphase meine ich, in die die Vorklassik fällt. Die Zeiten hatten sich schlicht geändert. Das bedeutet doch nicht, dass die Musik deshalb weniger wert oder weniger schön war. Und Übergangsphasen sind doch höchst spannend, z. B. die Pubertät (bei mir zumindest).
    Ich weiss auch sehr wohl um die Neuerungen in der Sinfonik, die bspw. CPE Bach entwickelte. Die Eigenständigekit der einzelnen Sätze einer Sinfonie, zB. Übergangsphase bedeutet ja nicht, dass man sie übergehen soll. Vielleicht wird man einer solchen Epoche mit der tragenderen Wortwahl der Brückenphase gerechter.


    Ich will die Vorklassik nicht abtun. Im Barock gibt es sicherlich eine große Zahl an Künstlern, die man nicht zwingend kennen muss, um trotzdem einen Eindruck von Barockmusik zu haben. Und wie das hier auch mehrfach schon dargestellt wurde, ist Musikentwicklung eher ein fließender denn ein ruckender Prozess.


    Was ich mit Beethoven sagen will, ist sein unbestrittener Einfluss auf die Neucharakterisierung der Sinfonie. Und die kann man wohl kaum wegdiskutieren.


    Was Opern angehthalte ich mich zurück. KSM würde jetzt vielleicht sagen, dass Beethoven ein großer Opernkomponist gewodern wäre, wäre er nicht taub geworden.


    Aber auch bei den Opern ist es ein Sprung von Lully oder Gluck zu Mozart, oder nicht?


    Zu Bach nur kurz: Die Vielseitigkeit seines Schaffens und die Tiefe seines Werkes ist außergewöhnlich. Die Qualität ragt heraus.
    Bei Lully kenne ich mich nicht so gut aus, wage aber zu behaupten, dass sein Schaffen enger begrenzt war als das Bachs und weniger komplex. Das hat aber nichts mit dem Klang zu tun. Da muss jeder Hörer selbst entscheiden.

  • Man sollte nur nicht glauben, dass politische Macht und Reichtum in der künstlerischen Produktion immer zusammenfallen müssen.


    Es gibt Beispiele, wo die bedeutendsten Phasen der künstlerischen Produktion eines Landes genau in die Zeit der politischen Machtlosigkeit fallen.


    Da mich die politischen Angelegenheiten nicht so interessieren, müßte ich nachlesen.


    Zu beobachten, welcher Staat wann das europäische Geschehen dominiert hat, ist also zur Beurteilung der Bedeutung kultureller Zentren völlig ungeeignet.

  • Zitat

    Original von Luis.Keuco
    KSM würde jetzt vielleicht sagen, dass Beethoven ein großer Opernkomponist gewodern wäre, wäre er nicht taub geworden.


    Solche Spekulationen sind mir fremd.
    (Ich stelle immer nur mal wieder fest, dass Schubert seinen - tatsächlich stattgefundenen - Erfolg erlebt hätte, wäre er älter geworden. Das ist keine Spekulation, sondern nur ein Feststellen, dass a) Schubert sehr jung gestorben ist und b) bald nach seinem Tod seine Werke Berühmtheit erlangten)


  • Da gebe ich mir Mühe, verfasse mal eben einen Kurzabriss über ein paar Jahrhunderte und das ist der Dank? :boese2:


    Ich stelle es mal ganz kurz anders dar: In der diskutierten Epoche hatten wenige Menschen das Sagen und die Knete - die Aristokraten.
    Geld regierte auch damals die Welt. Künstler, seit jeher auf die besondere Gunst von Mäzenen angewiesen, Musik braucht man halt nicht so zwingend wie Brot und ein Dach über dem Kopf, folgten dem Lockruf des Geldes bzw entstanden die künstlerischen Zentren dort, wo die Kohle war. Ein Bauer bestellt sein Feld, wo er es geerbt hat. Da spielt es keine große Rolle, wo das Brot letztendlich gegessen wird. Ein Künstler, der in der Pampa sitzt, kann lange warten, bis der König mal vorbeischaut.


    Man findet sicherlich für alles ein Gegenbeispiel, aber das beweist nicht den Regelfall. Das ist anders als in der Mathematik.

  • Da Luis eine geographische Differenzierung angeregt hat, versuche ich mal aus dem Gedächtnis die Zentren des "neuen Stils" um 1750 aufzuzählen:


    Wien (Monn, Wagenseil, Gluck)
    Mannheim (J Stamitz, Richter, Holzbauer, Fils)
    Berlin (CPE Bach, Graun, Benda)
    Paris (Schobert, Gossec, Grétry)


    In Italien bin ich etwas überfordert. Sammartini wirkte in Mailand, Jommelli und Traetta schwirrten in der Gegend herum, Boccherini verkrümelte sich nach Spanien ...
    :rolleyes:


    Wenn man bedenkt, dass Mannheim und Eisenstadt für die künftige Entwicklung extrem wichtig waren, zeigt sich, wie unabhängig das von der politischen Bedeutung der Orte war.

  • Beethoven hat nur eine, aber eine absolut grandiose Oper komponiert, die von Anfangsschwierigkeiten noch zu seinen Lebzeiten abgesehen seit den 1820er/30ern Kernstück des Repertoires gewesen ist, und ohne die Wagner kaum denkbar wäre, ganz gleich, was die, die auf welschen Tand geeicht sind, darüber gedacht haben und noch denken. ;)


    (ich habe aber den Eindruck, daß die Oper der Zeit von den Konzertführern lange nicht in dem Maße als Übergangsphase betrachtet wird, wie das bei der Instrumentalmusik der Fall ist. Glucks Reformopern gelten seit Beginn des 19. Jhds. als Klassiker; Hasse wurde sicher lange ignoriert, wird aber wohl als Ausläufer der barocken Seria gesehen usw.)


    Ich kann nicht behaupten, einen wirklich umfassenden Überblick über besagte Epoche zu haben. Ich kenne den frühen Haydn ziemlich gut, recht viel von den Bach-Söhnen, allerdings fast nur Instrumentalmusik. Sonst nicht sehr viel. Kürzlich habe ich dann die Anthologie mit Mannheimer Kammermusik mit dem Concentus gekauft, ebenso eine oder zwei von cpo (vermutlich Monn-Sinfonien).


    Das sollte man nicht alles über einen Kamm scheren. JC finde ich ganz nett, aber größtenteils tendenziell langweilig. Boccherini besser, das sind dann aber meist schon Werke aus der Zeit der Klassik.
    Bei CPE Bach u.a. ist meine Schwierigkeit eher die oft hohe Originalität, die aber sehr sprunghaft wirkt und manchmal ein bißchen wie hektischer Theaterdonner. Aber hier gibt es gewiß etliche sehr packende Werke (die Streichersinfonien von CPE z.B.)
    Gegenüber CPE Bach finde ich selbst den frühen und mittleren (sagen wir bis Abschiedssinfonie und op.20) sehr "klassisch", ungeachtet des Sturm&Drang-Gestus in vielen Werken.


    Ich kann die Schwierigkeit des Nichteinprägsamen ganz gut nachvollziehen: Bei den Stürmern wegen der Sprunghaftigkeit, bei den elegant-galanten wie JC Bach wegen einer gewissen Unverbindlichkeit. Andererseits wirkt fast jede Musik, die man noch nicht sehr gut kennt, am Anfang oft nicht sehr griffig.


    :hello:


    JR

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Dann liege ich aber geographisch mit meiner Einteilung richtig, bei deutsch 3 und französisch 1.


    Das mit der politischen Bedeutung jedes einzelnen Kleinfürstentums lassen wir mal beiseite. Ich meine aber mich erinnern zu können, dass eine Medici nach Baden verheiratet wurde (vll. war es auch Ludwigsburg, wäre dann nicht Baden, aber wie gesagt, nur gaaaanz dunkel).


    Die Verlagerung weg von Frankreich und mehr rechtsrheinisch fand statt. Die einzelnen politischen Begebenheiten müsste man tatsächlich nachlesen.


    An den Beschreibungen der CPE Bach-Sinfonien von JR sieht man, was ich meine. Es ist von großer Qualität und durchuas originell. Man ahnt, wo es hin geht, aber es ist noch nicht voll da.


    Auch bei Haydn gibt es ja durchaus eine erkennbare Entwicklung und Haydn umspannt ja nun mehrere Epochen. Allerdings weniger bei den Opern.

  • Zitat

    Original von Johannes Roehl
    JC finde ich ganz nett, aber größtenteils tendenziell langweilig.[...]
    Ich kann die Schwierigkeit des Nichteinprägsamen ganz gut nachvollziehen: Bei den Stürmern wegen der Sprunghaftigkeit, bei den elegant-galanten wie JC Bach wegen einer gewissen Unverbindlichkeit. Andererseits wirkt fast jede Musik, die man noch nicht sehr gut kennt, am Anfang oft nicht sehr griffig.


    Ich freue mich, dass Du im letzten Satz den Verriss so schön relativierst.
    Der Lullist hat auch schon darauf hingewiesen.


    Das Galante ist nun mal eine Qualität, deren Genuss man (idR) lernen muss, da man von Beethoven VERDORBEN ist.


    Und jemanden, der wenig Opern hört, wie Dich, wird stören, dass gerade die Linien hier ungemein wichtig sind, weniger polyphoner Overkill oder geile Harmoniefolgen, auch keine komplizierten motivischen Entwicklungen.


    Also eine Empfehlung für delikate Flöten-Figuren:

    Friedrich II war ein Freund galanter Eleganz. Die Aufnahmen mit Barthold Kuijken von Werken des Kaisers selbst sowie 2xGraun, Quantz, Kirnberger und anderen bringen das sehr überzeugend rüber. Man merkt auch schön das Spannungsfeld zwischen den genannten Stileigenschaften und einer stärkeren Emotionalität einer drängenden Empfindsamkeit bei Franz Benda und Müthel. Dabei ist der Sturm aber immer gezähmt, die Exzesse von CPEs Streichersinfonien sind hier nicht willkommen.

  • Zitat

    Original von Luis.Keuco
    An den Beschreibungen der CPE Bach-Sinfonien von JR sieht man, was ich meine. Es ist von großer Qualität und durchuas originell. Man ahnt, wo es hin geht, aber es ist noch nicht voll da.


    Naja, CPE ist doch etwas ganz eigenes, was eben "voll da ist" und nicht später von jemand anderem "besser" realisiert worden ist.


    CPE ist CPE und kein Proto-Beethoven. Auch wenn Beethoven noch genialer sein dürfte. Man darf bei CPE nicht Eigenschaften suchen, die er nicht hatte (klare klassische Formen, die aufgebrochen werden, ausgereifte motivische Entwicklungen - dass das fehlt, stört ja z.B. bei JS Bach auch nicht).

  • Zitat

    Lieber Lullist, ich bin wirklich begeistert von der Fachkenntnis, die hier im Forum von einigen incl. dir an den Tag gelegt wird. Wann hört ihr eigentlich die ganze Mucke?


    frag mal meine Freundin :angel:



    Zitat

    Zur Übergangsepoche folgende Überlegungen, die mir von JR bestimmt wieder um die Ohren gehauen werden: Renaissance: Italien, dann auch Deutschland Barock: Frankreich Klassik: Deutsche/Österreichische Gebiete (ist ja mit dem Flickenteppich der damaligen Karte nicht besser einzugrenzen) Dann frz. Einfluss durch Napoleon, aber letztlich nach dem Wiener Kongress wieder alles beim Alten Zur Rolle Englands verweise ich auf die Splendid Isolation. England, v. a. London, war zwar ein Zentrum von Macht, Kunst und Kultur, aber die großen, wegweisenden Einflüsse blieben aus. Hier saßen interessierte Konsumenten, aber die Zahl der großen Künstler engl. Herkunft ist doch eher klein.


    da muss man differenzieren, das kommt ganz auf die Zeit an zwischen 1570 und 1620 waren englische Musiker vor allem im deutschsprachigen Raum sehr begehrt und ihre Musik im ganzen Nord- und Ostseeraum verbreitete.
    Die ganze Mode der Consort Music kam schließlich aus England.
    Wahrscheinlich brachten englische Musiker die Gambe überhaupt erst so in Mode.



    Zitat

    Das änderte sich mit der schieren wirtschaftlichen Kraft des Empires allerdings, wobei auf dem Gebiet der Musik weiterhin eher wenige Leuchttürme herausragen. Unter Zuhilfenahme dieser groben Zuordnung wird deutlich, dass die Vorklassik in der historischen Einordnung doch eine Übergangsepoche darstellt.


    nee da halte ich dagegen.
    Genauso könnte man behaupten dass das Cembalo nur ein Vorläufer des Klaviers sei - aber das ist eben nicht so.


    Im Grunde ist so alles eine Übergangsepoche, den der musikalische Stil änderte sich z.B. im 17. und 18. Jahrhundert eigentliche fast mit jedem Jahrzehnt.


    Ich wage mich jetzt einmal ein wenig vor, gleichwohl wissend, dass meine Kenntnisse in manchen Stilepochen sicherlich begrenzt sind.

    Zitat

    Opern"erfindung": Monteverdi, Verbreitung in Italien, z. B. Cavalli Verschiebung des politischen Machtzentrums von Italien nach Frankreich durch Heirat der Medici mit dem frz. Königshaus. Übernahme der ital. "Erfindungen"


    Die erste Oper stammt von Jacopo Peri, der einen ganz anderen Stil als Monteverdi pflegt, viel intellektueller.
    Monteverdi korrumpierte diese Avantgarde fast schon.


    Zitat

    und Vervollkommnung/Weiterentwicklung durch Lully, Marais, Rameau etc., natürlich dabei keine Beschränkung auf die Oper, sondern auch im Bereich Kammermusik und kammerorchestrale Werke.


    Einspruch - das hatte man bisher so gesehen, ist aber faktisch falsch.
    Frankreich hatte seit jeher eine eigene Musiktradition und statt der Oper das "Ballet de Cour"
    Ein völlig eigenständige Vokal- und Instrumentalmusik.
    Anthoine Boesset und Michel Lambert sind eigentlich die Begründer des französischen Barockgesangs.
    Ganz besonders Boesset sowohl seine geistliche, als auch seine weltliche Musik betreffend absolut stilbildend für das ganze 17. jahrhundert in Frankreich.
    Den Orchesterstil haben Dumanoir, Molliere, de Chancy und Louis XIII geformt.
    Ebenso die Kammermusik, auch sie fußt auf ganz eigener frz. Tradition.


    Italienische Einflüsse wurden kaum angenommen.
    Lully hat auch nicht die erste frz. Oper geschrieben, das war Robert Cambert.
    Lully hatte jedoch die Fähigkeit alles an sich zu reißen und alles seinem genialen aber auch skrupellosen Stempel aufzudrücken.



    Zitat

    Das 17. Jht. stand im Zeichen Frankreichs. Die deutschen Landen, mit ihnen Spanien und Österreich (Habsburg) und die kleineren europäischen Mächte (Polen, Schweden) sich aufreibend im 30-jährigen Krieg, Spanien außerdem geschwächt durch die engl. Seeherrschaft. In Versailles Ludwig XIV, Sonnenkönig. Ganz Europa (also der Adel, der Rest interessierte zu der Zwit ja quasi nicht) kopiert ihn. Aukommen des Absolutismus. Bürgerkrieg in England. Dann jedoch der schwächere Ludwig XV, angeleitet von Mme Pompadour. Man schwelgt in Schönheit, Lust und Wonne, doch der Machtverlust schleicht sich ein. England ist unumstrittene Seemacht, der Handel mit Ostasien macht es reich und reicher. Die darniederliegenden deutschen Gebiete holen nach Beendigung des 30JK rasch auf. Das Französische lebt sich langsam ab, man sucht neue Wege. Paris ist nicht mehr das Zentrum der Welt, sondern London. Und Wien.


    nein.
    Paris ist nach wie vor ein Zentrum für Mode, Kunst und Musik.
    Bis zum Ende der 1770er Jahre ist Paris das Zentrum der modernen Sinfonie.
    Wien und London sind ebenso wie Mailand, Rom und Venedig seit jeher Zentren für Musik und Kunst gewesen.


    Mann könnte jetzt ganz genau aufsplitten wann welche Metropole mal führend war, dann wieder nicht, dann war sie es wieder usw.


    Aber Paris hörte nicht auf ein Zentrum für Musik zu sein, warum hätten sonst soviele Komponisten es darauf angelegt dort zu gastieren?


    Haydn
    Mozart
    Gluck
    Jommelli
    Salieri
    Kraus
    Traetta
    J. Stamitz
    Berezovsky
    Piccinni
    Sacchinni
    usw.


    Und wenn man sich anhört was an bestimmten Höfen für Musik gefordert wurde, dann kann man nicht mehr sagen, das sich alle nur noch um Wien drehte.


    Man denke hier z.B. mal an Gustav III von Schweden, er forderte Opern im frz. Stil, die dann von Kraus, Uttini und Naumann auch verfasst wurden.




    Zitat

    Diese Übergangsphase meine ich, in die die Vorklassik fällt. Die Zeiten hatten sich schlicht geändert. Das bedeutet doch nicht, dass die Musik deshalb weniger wert oder weniger schön war. Und Übergangsphasen sind doch höchst spannend, z. B. die Pubertät (bei mir zumindest). Ich weiss auch sehr wohl um die Neuerungen in der Sinfonik, die bspw. CPE Bach entwickelte. Die Eigenständigekit der einzelnen Sätze einer Sinfonie, zB. Übergangsphase bedeutet ja nicht, dass man sie übergehen soll. Vielleicht wird man einer solchen Epoche mit der tragenderen Wortwahl der Brückenphase gerechter. Ich will die Vorklassik nicht abtun. Im Barock gibt es sicherlich eine große Zahl an Künstlern, die man nicht zwingend kennen muss, um trotzdem einen Eindruck von Barockmusik zu haben. Und wie das hier auch mehrfach schon dargestellt wurde, ist Musikentwicklung eher ein fließender denn ein ruckender Prozess.


    das ist der Punkt - damit ist es ja klar, dass es keine Übergangsphase gibt, sondern alles im beständigen Wandel ist.


    Zitat

    Was ich mit Beethoven sagen will, ist sein unbestrittener Einfluss auf die Neucharakterisierung der Sinfonie. Und die kann man wohl kaum wegdiskutieren.


    ja es ging auch nur darum, wie beim Cembalo, das was vorher gewesen war nicht nur als "Vorspiel" abzutun.
    Das was Beethoven machte ist eigentlich etwas völlig anderes, genausowenig könnte man Shostakovich mit Gretry vergleichen.


    Zitat

    Was Opern angehthalte ich mich zurück. KSM würde jetzt vielleicht sagen, dass Beethoven ein großer Opernkomponist gewodern wäre, wäre er nicht taub geworden. Aber auch bei den Opern ist es ein Sprung von Lully oder Gluck zu Mozart, oder nicht?


    ich habe mir gerade eine 45 Stunden MP3 Playlist zusammengestellt mit Opernszenen, angefangen mit Peris Euridice und endet mit Les Troyens von Berlioz.


    Es gibt keine Sprünge, auch da ist ein fließender Übergang.


    Es gibt aber einen Bruch, der wirklich bemerkenswert ist und der ist um 1730 bei den Opern der neapolitanischen Schule (also Hasse, Porpora, Vinci, Latilla usw.) ganz extrem zu hören.
    Und eben mit der neuartigen Instrumentierungskunst Rameaus etwa zur gleichen Zeit.





    Zitat

    Zu Bach nur kurz: Die Vielseitigkeit seines Schaffens und die Tiefe seines Werkes ist außergewöhnlich. Die Qualität ragt heraus. Bei Lully kenne ich mich nicht so gut aus, wage aber zu behaupten, dass sein Schaffen enger begrenzt war als das Bachs und weniger komplex. Das hat aber nichts mit dem Klang zu tun. Da muss jeder Hörer selbst entscheiden.


    da halte ich natürlich dagegen :D
    Warum sollte sein Werk weniger komplex sein ?


    Beide Komponisten sind natürlich nicht vergleichbar, erstmal bedienten sie fast völlig unterschiedliche Genres und lebten zu ganz anderen Zeiten.
    Lully schrieb neben den Opern, Ballett- und Bühnenmusiken.
    Kammermusik im kleinen Umfang und Airs de Cour
    Stilbildende Kirchenmusik (Grand Motets) und Militärmusik


    Aber nochmal - das ist KEINE "galante Musik" die galante Musik hat ihren Platz um 1700 (bestes Beispiel Campras L'Europe Galante von 1697 - da sieht man das schon im Titel)



    Das besondere an der Zeit zwischen 1730 - 1780 ist eigentlich, dass eine instrumentale Gattung (die Symphonie) fast auf die gleiche Stufe klettert wie die Oper.
    denn die Oper hatte bis dahin eigentlich alles beeinflusst - selbst die Sinfonie ist ja ein Kind der Oper:


    die Theoretiker des 18. jahrhunderts forderten, dass die Sinfonie eine "Dramaturgie" haben sollte:


    der Naturalist und Komponist Etienne de la Ville Comte de Lacépède (1756-1825) formulierte es so:


    " Eine Sinfonie besteht gewöhnlich aus drei Sätzen: Der erste ist eher nobel, majestätisch, imposant; der zweite langsamer, rührender, eher pathetisch und reizend; und der dritte eher schnell von rascher Ereignisfolge, lebendigen belebter oder heiterer als die anderen zwei.


    Der erste Satz, den wir als Allegro der Sinfonie nennen, sollte sozusagen die Ouvertüre und die erste Szene darstellen; im Andante oder dem zweiten Satz sollte der Musiker das Portrait eines schrecklichen Ereignisses, gefährlicher Leidenschaft oder reizender Gegenstände placieren, die als Grundlage des Stücks dienen sollten; und der letzte Satz, dem wir allgemein den Namen Presto geben, sollte den letzten versuch dieser furchtvollen oder rührenden Leidenschaft offerieren. Auch der Ausgang sollte hier gezeigt werden, und man sollte nach und nach die Traurigkeit, Furcht und Bestürzung sehen, welche die fatale Katastrophe hervorrief, oder die Freude, das Gluck und Ekstase, die von den reizenden und glücklichen Ereignissen hervorgebracht wurde."




    Mit dieser Überlegung sollte man sich mal die Symphonien von Kraus, Mozart oder Haydn anhören.


    Zur c-moll Symphonie von Kraus hatte ich bereits diese Gedanken, bevor ich diese Zeilen des Comte de Lacépède las.
    Diese Symphonie hat z.B. in mir das Bild der Ermordung Gustav III. in mir aufgerufen.
    Der Maskenball, die Ränke, die Tötung
    (eventuell mache ich dazu auch irgendwann mal einen Kurzfilm - das Konzept ist schon fertig, wie so oft fehlen nur die Kohlen :rolleyes: aber das ist ein anderes Thema)

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  • Zitat

    Original von Luis.Keuco
    Zur Rolle Englands verweise ich auf die Splendid Isolation. England, v. a. London, war zwar ein Zentrum von Macht, Kunst und Kultur, aber die großen, wegweisenden Einflüsse blieben aus. Hier saßen interessierte Konsumenten, aber die Zahl der großen Künstler engl. Herkunft ist doch eher klein.


    Hm, das darf doch nicht so ohne Kommentar stehen bleiben.


    Über Englische Komponisten kannst Du sowieso mehr erfahren in diesem Thread.


    Erstens vergißt Du, das regelmäßig Ausländer in England kamen. Und sie beeinflußten garantiert die Englische Musik. Ich denke hier z.B. an Händel, an J.C. Bach. Aber auch später kamen noch immer Musiker und Virtuosen. Clementi verbrachte ein großes Teil seines Lebens in England. Der berühmte Harfespieler Nicholas Bochsa verursachte ein Skandal, als die Frau des berühmten Komponisten Henry Bishop ihr Gatte für ihn verließ.
    Und der von Mozart sehr geschätzen Violinisten G.B. Viotti war sogar Mitbegründer der Royal Philharmonic Society.


    Ich nenne hier einige Namen, die doch sicher nicht unbekannt sind: Thomas Arne, dessen Melodie "Rule, Britannia!" immer bei den "Last Night of the Proms" gesungen wird. Es ist der Schlussgesang aus der Oper "Masque of Alfred".
    James Hook, der Englische Schubert (über 2000 Lieder hinterließ er). Ihm hatte ich sogar ein Rätsel gewidmet. Sein berühmtestes Lied "The Lass of Richmond Hill" ist noch immer sehr beliebt in England.
    Der blinde John Stanley, der offensichtlich tierisch langweilige Orgeletüden geschrieben hat, aber auch Orgelkonzerte, die ich sehr schätze.
    William Boyce, der ein Lied vertonte, daß sogar Du kennst: "Home, sweet home". Wunderbar schön ist seine Koloraturarie "Lo, hear the gentle lark". Ein zusammenspiel zwischen Flöte und Sopran. Sogar Amelita Galli-Curci hat diese Arie manchmal gesungen.
    Vergiß auch nicht den großen Klaviervirtuose John Field, dessen sieben Klavierkonzerte durch mich sehr geschätzt werden.
    Last but not least, das Englische Wunderkind, der Violinisten Thomas Linley (1756 - 1778 ). Der studierte im jugendlichen Alter bei Nardini, und begegnete in Italien seinen Altersgenossen W.A. Mozart. Die zwei Knaben waren unzertrennlich und haben sehr viel musiziert in den wenigen Tagen, das sie einander sahen. Leider ertrank Linley auf einer Bootsfahrt, als er erst 22 war.


    Weil ich auch Musik vom Komponisten Arthur Sullivan mag, ihm sogar einen Thread widmete, wage ich zu behaupten, daß er zwar durch den Englischen Komponisten deutlich beeinflußt wurde, daß er aber auch (er hat ja in Leipzig studiert) kontinental beeinflußt wurde.


    Kurz: die Englische Musik war nicht so isoliert, wie Du denkst. War immer beeinflußt durch Strömungen vom Festland her und hatte seinerseits auch Beiträge, die wieder Komponisten des Kontinentes beeinflußten (denk mal an Mozarts Bearbeitung von Händels "Messiah" und "Acis and Galathea").


    LG, Paul

  • Zitat

    Original von der Lullist
    ich habe mir gerade eine 45 Stunden MP3 Playlist zusammengestellt mit Opernszenen, angefangen mit Peris Euridice und endet mit Les Troyens von Berlioz.


    Es gibt keine Sprünge, auch da ist ein fließender Übergang.


    Es gibt aber einen Bruch, der wirklich bemerkenswert ist und der ist um 1730 bei den Opern der neapolitanischen Schule (also Hasse, Porpora, Vinci, Latilla usw.) ganz extrem zu hören.
    Und eben mit der neuartigen Instrumentierungskunst Rameaus etwa zur gleichen Zeit.


    Und jetzt musst Du 45 Stunden am Stück hören?
    :D
    Ich kenne ja da leider nicht so viel, aber bei Vinci hat mich auch schon diese Art von Einfachheit verblüfft - ist jetzt mäßig konkret ...


    Ist da in Neapel simultan ein großer stilistischer Unterschied zwischen Buffa und Seria zu merken (um 1730)? Welche älteren Opern könnten ihre Spuren in den modernen Buffo-Opern hinterlassen haben?

  • wegen den Buffo Werken, da kann man eigentlich bis ins 17. Jh. zurück gehen, aber z.B. ist mir eine erstaunliche Verwandschaft mit Pergolesi, dem frühen Jommelli, Traetta und Cimarosa mit Rossini aufgefallen.


    Zitat

    Und jetzt musst Du 45 Stunden am Stück hören?
    :D


    :D:D:D - wenn schon dann richtig extrem :beatnik:

  • noch eine Ergänzung.


    bei dem was ich geschrieben hatte, könnte man fast annehmen, dass ich meinen persönlichen Hausgott nun niedermache, weil er gar nichts eigenes geschaffen hatte.
    Das ist aber auch nicht richtig.
    Denn genauso wie Mozart ja auch nicht das Drama gioccoso oder das Klavierkonzert erfunden hat, so hat er doch alles bisher da gewesene (seiner Generation) mit seinen Werken übertroffen.



    Robert Camberts Pomone ist nur teilweise erhalten (die Oper bricht im 2. Akt ab)
    Bei ihm gibt es z.B. keine Divertissements, es ist eine Oper im italienischen Sinn.
    Die Form der Tragèdie Lyrique ist also wirklich eine Schöpfung von Lully und Quinault.


    Mich erstaunt es jedenfalls wie großen Einfluss diese Musik noch im 18. Jahrhundert ausübte.
    So dass eben Elemente davon noch von Traetta und Jommelli - später dann Gluck aufgegriffen wurden.


    auf der italienischen Seite halte ich Hasses Cleofide für ein Schlüsselwerk für die Epoche der Empfindsamkeit.
    Diese Oper steht auf der Grenze zu dem neuen Stil.
    Die wenigen Ballette sind sogar französisch geprägt.


    Für einen Operneinsteiger wäre das Werk wohl eher ungeeignet, allein schon wegen der monumentalen Länge (die Aufnahme benötigt 4 CD's - also insgesammt fast 4 Stunden Oper!)


    Ich tue mich deshalb etwas schwer mit CD Empfehlungen, weil man diese Epoche wirklich entdecken muss - bzw. sich einhören.


    ich würde zumindest ein paar Werke (damit sind jetzt nur Opern gemeint) nennen, da kann man sich dann selbst durchkämpfen:



    auf alle Fälle Jommellis Fetonte dessen Radiomitschnitt ich oben verwiesen habe.


    dann Hasses Cleofide:



    dann von Rameau "Les Boreades" (da sei aber auf entsprechendem Thread zu Rameau verwiesen)



    einige tolle Beispiele für reine Oper Seria:



  • von Lullist:

    Zitat

    Beethoven war ein absolut mieser Opernkomponist - er ist keinesfalls dieser Übervater der Musik


    Tja das sage ich auch immer... :wacky:
    Nur muss man daneben sofort zehn :untertauch: hinschreiben, sonst ist man tot...


    Gruß :hello:

    Komponiert ist schon alles - aber geschrieben noch nicht. (W.A. Mozart)

  • Lieber Lullist...


    Habe mir gerade diese CD bestellt, da du oben so von Sammartini geschwärmt hast:



    Giovanni Battista Sammartini
    Six Symphonies


    Welche der sechs genießt denn besonders deine Präferenz???
    Würde mich interessieren... ;)


    Gruß :hello:

    Komponiert ist schon alles - aber geschrieben noch nicht. (W.A. Mozart)

  • Sammartini hat auch sehr wohklingende Blockflötenkonzerte geschrieben.
    Neulings entdeckte ich Orgelkonzerte von ihm. Auch die sind sehr die Mühe wert.



    LG, Paul

  • Es gibt aus der Epoche aber auch ganz faszinierende neue Genres, wie das "Melodram" z.B.


    bei Naxos gibt es einige Melodramen von Benda, allerdings nicht HIP


    bei einer Box der "Tage alter Musik in Herne" war ein solches Melodram in historisch informierter Aufführungspraxis mit sehr guten Schauspielern zu hören:


    "Ariadne auf Naxos" mit dem neuen Orchester und Spering.



    Falls man dieses spezielle Genre nicht kennt:


    Es ist ein Theaterstück indem jede Emotion, jede Gefühlsregung von dem Orchester nochmal "wiederholt" wird, also statt dem Wechsel von Rezitativ und Arien gibt es nun den Wechsel zwischen Rezitation und reiner Instrumentalmusik - also keinerlei Gesang.

  • Zitat

    Original von der Lullist
    Es gibt aus der Epoche aber auch ganz faszinierende neue Genres, wie das "Melodram"...


    Was denkst Du von Sinfonia Concertante?


    Zitat

    bei einer Box der "Tage alter Musik in Herne" war ein solches Melodram in historisch informierter Aufführungspraxis mit sehr guten Schauspielern zu hören: "Ariadne auf Naxos" mit dem neuen Orchester und Spering.


    Sehr schön, da hast Du Recht. Es ist die Box aus 1992. CD3: Ariadne auf Naxos von G.A. Benda.


    LG, Paul

  • Zitat

    Original von der Lullist
    Falls man dieses spezielle Genre nicht kennt:


    Es ist ein Theaterstück indem jede Emotion, jede Gefühlsregung von dem Orchester nochmal "wiederholt" wird, also statt dem Wechsel von Rezitativ und Arien gibt es nun den Wechsel zwischen Rezitation und reiner Instrumentalmusik - also keinerlei Gesang.


    Und da haben wir auch diesen Thread


    Ein Genre der erquicklichsten Gemischtheit - Das Melodram


    in welchem n.v.a. auch die Bendasche Ariadne und Mozarts Zaide vorgestellt wird.


    :hello:


    Ulli

    Die Oper muss Tränen entlocken, die Menschen schaudern machen und durch Gesang sterben lassen.
    (Vincenzo Geilomato Hundini)

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