Was hat Euch zeitgenössische Musik zu bieten ?

  • Musik "unserer Zeit" - so wird sie angeboten.
    Musik fern von der verstaubten Vergangenheit, von Menschen unserer Zeit für Menschen unserer Zeit gemacht.
    Von einem gemeinsamen Stil kann man nicht mehr reden, die Richtungen sind schwer einzuordnen, das war aber IMO schon immer so. Erst die Musikgeschichte katalogisiert und teilt dann ein - oft erst nach 200 Jahren - siehe "Vorklassik" "Frühklassik" "Sturm und Drang" etc.


    Und nun die Gretchenfrage: Wie haltet ihrs mit der Moderne ?
    Welche Komponisten, welche Werke scheinen für Euch hörenswert, was wird überleben, was verworfen ?


    Da ich das Forum in seiner jetzigen Zusammensetzung als eher "konservativ" einschätze, bin ich auf die Ergebnisse diesmal wirklich gespannt.


    mfg aus Wien


    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Die Titelfrage macht mich ja genauso ratlos wie die von "Was soll Musik bei Euch bewirken?"
    Dementsprechend kopiere ich einen Ausschnitt meines jüngst dort vorgetragenen Gestammels hierher:

    Zitat

    Original von Kurzstueckmeister
    Was erwarte ich? Begeisterung, Zufriedenheit, Hochstimmung, eventuell Kathartisches ... also was das Gefühlige betrifft, bin ich dann eher offen, was halt so daher kommt, wobei Haydn natürlich nicht solche Psychoschocker auspackt, wie Nono, aber der Normalfall liegt ja irgendwo dazwischen, und die Emotionen sind bei Haydns Streichquartetten und den 12-tönigen von Schönberg wohl relativ ähnlich, was weiß ich ...


    Wobei ja Nono und Schönberg nicht mehr zeitgenössisch sind - vielleicht passt es trotzdem irgendwie zum Thema?


    Zitat

    Original von Alfred_Schmidt
    Von einem gemeinsamen Stil kann man nicht mehr reden, die Richtungen sind schwer einzuordnen, das war aber IMO schon immer so. Erst die Musikgeschichte katalogisiert und teilt dann ein - oft erst nach 200 Jahren - siehe "Vorklassik" "Frühklassik" "Sturm und Drang" etc.


    Das hat sich schon geändert, eingeteilt wird zum Teil sofort, auch von den Schöpfern selbst. Aber jetzt schon auch wieder nicht mehr ...

    Zitat

    Und nun die Gretchenfrage: Wie haltet ihrs mit der Moderne ?
    Welche Komponisten, welche Werke scheinen für Euch hörenswert, was wird überleben, was verworfen ?


    Hm, lecker, blöd nur, dass Unklarheit herrschen wird, was nun gemeint ist - zeitgenössisch wären eigentlich nur noch lebende Komponisten, die "Moderne" kann manches sein, von Mahler bis Debussy oder von Schönberg bis jetzt oder vielleicht auch wieder was anderes. Aber das wird jeder nach seinem persönlichen Gusto auswählen.


    Zitat

    Da ich das Forum in seiner jetzigen Zusammensetzung als eher "konservativ" einschätze, bin ich auf die Ergebnisse diesmal wirklich gespannt.


    Ja, da bin ich auch gespannt, was denn nun Mitglied Alfred_Schmidt für hörenswert hält. Verschiedenen Threads entnehme ich ja Namen wie Bartok und Schostakowitsch - nur sind die für "Zeitgenössisches" zu alt - für "Moderne" kämen sie schon in Frage.
    :hello:

  • Man sieht, daß ich mich hier nicht korrekt ausgedrückt habe - gemeint war eigentlich die Moderne - aber nicht die "Klassische Moderne"
    Solte es aber momentan gar kleine Anhänger der (fast zeitgenössischen) Moderne hier geben , dann akzeptiere ich auch die "Klassische Moderne"

    Zitat


    Ja, da bin ich auch gespannt, was denn nun Mitglied Alfred_Schmidt für hörenswert hält. Verschiedenen Threads entnehme ich ja Namen wie Bartok und Schostakowitsch - nur sind die für "Zeitgenössisches" zu alt - für "Moderne" kämen sie schon in Frage.


    Das Mitglied Alfred Schmidt wartet - in seiner Eigenschaft als Threadersteller - zuerst mal Reaktionen ab - und wird dann antworten.


    mfg aus Wien


    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Lieber Kurzstückmeister :



    Alfred's Vorgabe "zeitgenössisch" hat bei mir mehr Fragen aufgeworfen als in mir eine Sicherheit für eine Antwort gebracht .


    Die von Dir genannten Komponisten halte ich auch nicht ( mehr ) für zeitgenösssich .


    Den britischen Komponisten MORGAN H A Y E S ( Agentur : Steiner & Bell , London ) ohne Einschränkung .


    Morgan sieht dabei auch recht erfolgreicher junger komponist wie ich seit mehreren Jahren der Korrespondenzen mit ihm weiss weit über den
    Tellerrand ! Sein "Port Rhombus" wurde u. a. in der Berliner Philharmonie von der London Sinfonietta aufgeführt . Er ist als nicht nur in Grossbritannien ( oder ggef, Kanada und den USA ) präsent .


    S T O C K H A U S E N mit seinen interessanten Klavierstücken , zumal in den meisterlichen Interpretationen durch Maurizio Pollini ( zuletzt in der Kölner Philharmonie ) halte ich für eine der interssantesten Komponisten .


    Liegt vielleicht auch daran , dass mir sein "Klavierstück X " schon etwa 1980 mit Pollini ( in einem Konzert mit Beethovens "Hammerklaviersonate" in Bonn )
    in einer beeindruckenden Wiedergabe auch live begegenet ist .


    Alfreds Hinweis auf eine eventuelle Einordnung der jetzigen Komponisten in etwa 200 Jahren hat den Vorteil , dass man dann viele weiteren Entwicklungen überblicken kann .


    @ Alfred .


    Lieber Alfred : gelten auch Eigenbearbeitungen klassischer Musik als "zeitgenössisch " ?



    Beste Grüsse



    Frank

    Frank Georg Bechyna
    Musik & Medizin

  • Tag,


    "Was hat...zu bieten" - hat schon auch mit der Schwierigkeit des "Wann denn überhaupt zu hören"zu tun. - Wenn gelegentlich zu hören, dann hat das Zeitgenössische allerlei Schönes zu bieten; zum Beispiel die Beaux Arts Trio Produktion "Spring Music" - Komponisten Rorem, Adams,... Nimmt man sich das Zuhören vor, dann bietet der Rundfunk (NDR) eine wöchentliche Sendung unter dem Titel "Neue Music Szene". Ach Mensch, was für eine Titelei: eine Szene ist kurz vorbei, 45 Minuten als eine Art von Potpurri.


    Gut beschäftigt sind zeitgenössische Komponisten durchaus, so war für eine Veranstaltung mit Auftragskompositionen bei den Herren Reimann, Adams, u.a.m. von "vollen Auftragsbüchern" wiederholt die Rede, weshalb John Adams ein unfertiges Resultat vortragen liess. Die Bandbreite der Szenen-Einfälle (internationale Komponisten waren die Auftrageempfänger) war beschränkt: zweimal Rilke-Lieder. Davon, den (frischen) Auftragskompositionen (für Orchester sämtlich), hatte mir nichts gefallen können. Szene finde ich nicht gut.


    Das Kammermusikalische kann mir gelegentlich gefallen. Wie gesagt, wenn es einem denn zu hören kommt. Ich suche die Szene nicht.


    Freundlich
    Albus

  • Das Thema ist ja nicht "die Moderne", sondern konkret: "zeitgenössische Musik". Das heißt also Jetztzeit. Fällt Schostakowitsch schon mal runter. Messiaen auch, weil schon tot. Henze, Stockhausen, Boulez, sowas?


    Schwierig. Ab und an gibt es im Abo bei den MPHIL richtig Modernes, z. B. Uraufführungen oder Auftragswerke des Orchesters. Da ist die Bandbreite groß. Manches ist interessant bis hörenswert, bei manchem stellen sich die Nackenhaare auf.
    Gut fand ich letztes Jahr ein für den jungen Percussionisten Martin Grubinger geschriebenes Werk, da war was los auf der Bühne und es hatte Melodie und Rhythmus. Schrecklich hingegen ein Auftragswerk von Matthus. Neulich hat der chinesiche Komponist Tan Dun ein eigenes Werk dirigiert. Das war witzig, weil die Musiker auch singen, summen und Geräusche mit ihren Stimmen machen mussten.


    Ein Verwandter von mir ist auch Komponist und ich habe ein paar Aufführungen seiner Werke erlebt.


    Zusammengefasst ist es mit der zeitgenössischen Musik ein wenig wie mit anderen modernen Kunstformen: Der Performance-Charakter steht viel mehr im Vordergrund. Das macht die Reduktion auf das Hören anstrengend. Hinzu tritt das häufige Fehlen einer Melodik. Habe neulich bei 2001 eine Boulez-CD gekauft (Sur Incises). Oft hören werde ich die nicht, glaube ich, das erste Mal war schwer genug.


    Ich glaube, dass der Hörsinn grundsätzlich konservativ gepolt und weniger modulationsfähig ist als bspw. das Sehen. Wenn man sich zB sehr einfache Volksmusikformen anhört, wo vorwiegend Trommeln und "einfache" Instrumente wie Flöten verwendet werden, so wird man trotzdem gefesselt, weil eine klare Struktur besteht. Das regt das Hirn an. Moderne Musik mit ihren Brüchen, ihrem bewussten Einsatz von Dissonanz und Atonalität verstört hingegen und fordert das bewusste Mitarbeiten. Die "Arbeit" mit Musik durch alleiniges Hören sind wir in unserer visuell geprägten Welt aber nicht mehr gewöhnt und deshalb greift man lieber zum Wohlklang harmonischer Werke.
    Der eine oder andere ist aber durchaus fähig und in der Lage, sich mit der Komplexität zeitgenössischer Musik zu beschäftigen. Hängt möglicherweise auch mit der musikalischen Vorbildung zusammen. Mein Verwandter, studierter Komponist und ehem. Dozent, geht ja an Musik so ran wie ich an ein Buch. Er liest darin und das macht das Verständnis vermutlich leichter.

  • Ich würde das Wort "zeitgenössisch" nicht zu streng sehen wollen.
    Andrerseits möchte ich nicht unbedingt ein Jahr vorgegeben wissen....


    Dennoch -


    ein (vorsichtiges) "Musik ab 1950" - wäre ein gangbarer Weg ?


    Da wären dann einige noch dabei, die nicht unbedingt der Klassischen Moderne angehörten - aber schon verstorben sind.... Die meisten von uns haben sie noch lebend "gekannt" Zeitgenossen also ....


    mfg aus Wien


    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Wir haben beim Heilbronner Sinfonie Orchester erst vor kurzem eine Publikumsumfrage durchgeführt: 396 Musikwünsche gingen ein, 92 Komponisten wurden genannt.
    Romantik 140 Nennungen
    klassik 40 Nennungen
    Barock 20 Nennungen
    Oper, Operette, Musical 47 Nennungen
    Moderne 10 Nennungen
    Die Differenz zum Gesamtergebnis ergibt sich aus Mehrfachnennungen.


    Ein Ergebnis, das doch einiges erhellen dürfte und zeigt, wie der ganz normale Konzertbesucher tickt.
    Herzlichst
    Operus

    Umfassende Information - gebündelte Erfahrung - lebendige Diskussion- die ganze Welt der klassischen Musik - das ist Tamino!

  • Zitat

    Ein Ergebnis, das doch einiges erhellen dürfte und zeigt, wie der ganz normale Konzertbesucher tickt.


    So würde ich das nicht sehen.


    Sind doch schon die Besucher des "Heilbronner Sinfonie-Orchesters" in gewisser Weise eine Vorauswahl.


    Allenfalls - wenn überhaupt könnte man die Umfrage in einem Klassikladen einer Großstadt machen, wo sich Interessenten für ALLE Musikbereiche einfinden. (günstiger wären MEHRERE Klassikläden)



    Schon Tamino ist vorgeprägt - und somit relativ ungeeignet....


    mfg aus Wien


    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !




  • Alfred hat ja auch ein wenig den Dualismus "Klassiker der Moderne" und "aktuelle Musik" (die Begriffe sind jetzt von mir etwas modifiziert worden) aufgebracht - und da empfinde ich wahrscheinlich ähnlich wie die meisten Stammgäste der entsprechenden Festspiele ("Wien modern" z.B.) Stockhausens Klavierstück X aus den späten 50ern klar als Klassiker, dem man vielleicht mit ähnlich andächtig-ehrfürchtigen Empfindungen lauscht, wie einer Beethovensonate. Aktuell ist das nicht mehr - für diese Form prickelnden Zusatzerlebnisses hat sich die Musik seither wohl zu sehr oder zu oft oder zu vielfältig gewandelt.


    Abseits von Stockhausen: Das Gefühl, etwas Aktuelles zu hören, habe ich mitunter bei Stücken aus den 70ern, andererseits gibt es ganze Strömungen, die seither aufkamen und abebbten, deren Erzeugnisse bei aller Wertschätzung und Liebe dafür für mich auch schon den Eindruck des Vergangenen, Historischen haben. Und dann gibt es natürlich viele Stücke, die nie aktuell waren ...


    Konkreter in einem eigenen Beitrag.
    :hello:

  • Banner Interviebanner 1 Gelbe Rose
  • Tag erneut,


    Stockhausen - Beethoven, ja, ja - im Interview kam die Frage "Ist Stockhausen der Beethoven des Zwanzigsten Jahrhunderts?", die Antwort war eine markante Verneinung (Namen halte ich zurück). Nur dem Moment geschuldet.


    Wenn, wie jetzt vorsichtig markiert, dann also mit Benjamin Britten. Und dessen Werk ist nun ein Zeichen von Rang, die Welt von Benjamin Britten, ich möchte sie nicht missen. Und gerade auch wegen der Verbindung zur Literatur.


    Freundlich
    Albus

  • Zitat

    Original von Alfred_Schmidt
    ein (vorsichtiges) "Musik ab 1950" - wäre ein gangbarer Weg ?


    Da wären dann einige noch dabei, die nicht unbedingt der Klassischen Moderne angehörten - aber schon verstorben sind.... Die meisten von uns haben sie noch lebend "gekannt" Zeitgenossen also ....


    :faint:
    Bedenke: Das sind 60 Jahre.
    Also ein Zeitraum wie 1780 - 1840 oder 1840 - 1900.
    Also ich persönlich käme da vom 100sten ins 1000ste, am besten irgendwie zeitlich/stilistisch/geographisch gegliedert.


    Aber - warum auch nicht. Solange es kein Monolog wird.
    :pfeif:


  • Öh - ich habe jetzt nicht behauptet, dass ich Stockhausen so gut finde, wie Beethoven, sondern, dass er als ebenso klassisch empfunden wird, und zwar von den Leuten, die viel Musik der letzten Jahrzehnte auf den zugehörigen Festspielen hören.


    "Der Beethoven des 20. Jahrhunderts" - oje, eine unmögliche Aufgabenstellung.
    Wenn man Beethoven in seiner Rolle der angebeteten Vaterfigur der Sinfoniker des 19. Jahrhunderts nimmt, kann Britten so eine Position (großes Vorbild, an dem sich alle abarbeiten) sicher nicht einnehmen. Stockhausen war dafür auch zu lange im Abseits (ich meine den späteren Stockhausen, der frühe wurde wohl immer als Klassiker gehandelt).
    :hello:

  • Nichts. Und alles. Was für zeitgenössische Musik ist es?
    Ich habe von Ulli Kompositionen gehört, die gefallen mir außerordentlich gut. Sein Kyrie... :jubel: :jubel: :jubel:
    Von einem Herrn Zilch habe ich eine Hubertusmesse, die mir auf Anhieb gefiel.
    Neulich bekam ich etwas von Sakow geschickt.Ein kurzes Stück Musik. Fast ein Nichts. Und dennoch hat es etwas, das mich sehr bewegte.


    Ist es also Musik, die meiner Meinung nach harmonisch und melodisch ist, dann habe ich nichts dagegen. Im Gegenteil, dann heiße ich sie willkommen.
    Ist es aber Musik, die das nicht ist... Dann brauche ich sie nicht zu hören (Sorry, KSM. Nicht persönlich gemeint).


    LG, Paul

  • Tag erneut,


    'Stockhausen : Beethoven' war nur ein Wörtermoment, nichts sonst.


    Das "zu bieten" hat eine weitere Schwierigkeit: Moderne Kunst ist kommentarbedürftig. Will man sich bereitwilligst dem Geschehen (Performance als Entgrenzung oder in Begrenzung, wie auch je...) nähern, bedeutet das für 'Stockhausen und die anderen' (soziologisch etikettiert genommen), man hat sich für Gestalttheorie und moderne Statistik zu interessieren. Die Gestalttheorie, in Ordnung, aber die moderne Statistik will ich überhaupt nicht. Nicht mein Gebiet. Nicht mein Horizont.


    Und, die Musik-Szene, die bringt auch die Supporter in Sprachschwierigkeiten, gehe ich von den Einführungstexten in den Rundfunksendungen aus. Wie kann denn dann dem Hören noch geholfen werden; wie soll sich das Hören an Derartiges gewöhnen können? Hat die moderne Musik-Szene eine Sprache, die sie dem Hörer anbieten könnte, zusätzlich zu den Klangen, Geräuschen, Aktionen...? Nur Musik sein zu wollen, dass geht nicht mehr (Kommentarbedürftikeit).


    Freundlich
    Albus

  • Zitat

    Original von Albus
    Das "zu bieten" hat eine weitere Schwierigkeit: Moderne Kunst ist kommentarbedürftig.


    Weiß nicht - es gibt Leute die mögen es, ohne viel Hintergrund zu haben. Und es gibt Komponisten, die mögen das.
    :D

    Zitat

    Will man sich bereitwilligst dem Geschehen (Performance als Entgrenzung oder in Begrenzung, wie auch je...) nähern, bedeutet das für' Stockhausen und die anderen' (soziologisch etikettiert genommen), man hat sich für Gestalttheorie und moderne Statistik zu interessieren. Die Gestalttheorie, in Ordnung, aber die moderne Statistik will ich überhaupt nicht. Nicht mein Gebiet. Nicht mein Horizont.


    Hä?
    ?( :D
    Nein, das ist ein Irrtum, was auch immer Gestalttheorie ist, und worin der Unterschied zwischen alter und neuer Statistik bestehen mag - man braucht darüber nicht Bescheid wissen, um sich "Stockhausen und den anderen" zu nähern.


    Wieviel muss man z.B. von Harmonielehre, Kontrapunkt verstehen, von Stimmungssystemen und Akustik, von historischer Aufführungspraxis etc. um Bach, Haydn oder Beethoven näher zu kommen? Wann ist man denen nahe?


    Das ist schwierig und Geschmacksfrage.


    Aber es ist sicher nicht richtig, dass man für "Neue Musik" furchtbar viel Hintergrundwissen benötigt. Momentan ist es sogar üblich, dass die Komponisten nur mehr lapidare assoziative Kommentare geben. Die Zeiten, wo der Komponist dem Hörer alles genau erklären wollte (und Stockhausen tendierte da auch dazu) sind (zumindest vorübergehend) wohl eher vorbei.
    :hello:

  • Tag erneut,


    das zeitgenössische blanke 'Pling' ist mir dann eben zu wenig geboten. Die Frage hier lautet auf "Was hat die zeitgenössische Musik zu bieten?" - In Beethoven u.v.a.m. kann ich mich reichhaltig vertiefen, ich kann Romane um Beethoven lesen, Musikgeschichte studieren, auf dem Klavier Versuche anstellen, ein Metronom mitlaufen lassen, fast beliebig in Konzerttermine gehen, da ist immer etwas los und geboten.


    Wenn ein Vertiefen ins Zeitgenössische nicht sein soll, dann ist mir das eben zu dünn (dürftig).


    Freundlich
    Albus

  • Vielleicht sollte man einmal fragen: Was soll zeitgenössische Musik bewirken?


    Sie ist Ausdruck unserer Zeit, einer Zeit des schier grenzenlosen Individualismus, in der tradierte Formen der Präsentation oftmals nur noch Ausstattung oder Grund zur Erheiterung sind.


    Das ist ähnlich wie die die Diskussion nach Regietheater oder traditioneller Inszenierung.


    Das Handwerkliche in der Musik ändert sich in Richtung eines Einbaus der Kunst in eine Präsentation. Heute entsteht eine Komposition am Computer und aus der Symphonie entsteht die Polyphonie, wie das in der Gesellschft eben auch ist.


    Außerdem sind die "neuen" Musikrichtungen wie Jazz, Blues, Rock und Pop gar nicht mehr so neu und Stile verbinden sich. Das Quatuor Ebène tritt in München demnächst mit Jazzmusikern gemeinsam auf.


    Musik, besonders die klassische Musik mit ihren vielfältigen Ausdrucksweisen und Instrumenten ermöglicht die Freiheit des Klanges. Sie wird wie andere Kunstformen aus Norm und Konvention heraus gelöst. Das Ergebnis ist durchaus gemischt.


    Meiner Meinung nach sollte man bei einem Werk (egal ob Bild, Skulptur, Musik...) nicht zuviel erklären müssen. Nichts gegen eine geschichtliche Einordnung oder eine Grundidee. Aber es soll nicht länger dauern, die Theorie zu verstehen, aus der heraus eine Komposition entstand, als das Stück zu hören.


    Das ist bspw. bei Rothko toll. Man denkt ja, da sei bestimmt viel Theorie dahinter, um bunte Flächen zu verstehen. Aber seine Idee ist schlichtweg die Wirkung der Farben auf der Leinwand. Da bleibt doch Zeit fürs Schauen. Und im Audio-Guide wurden dazu immer wieder Ausschnitte der Cello-Suiten gespielt. Das hatte eine fast meditative Wirkung.


    Bei neuer Musik habe ich manchmal das Gefühl, sie soll absichtlich schief und schräg klingen. Das macht sie für mich dann unangenehm.
    Und Einfälle wie bei Stockhausen, Musik im Helikopfter zu machen, sind schon arg seltsam. Da doch lieber die Anfangsszene von Apocalypse now.


    Musik soll klingen und gefallen. Wenn sie das tut, hat sie ihr Ziel erreicht. Gefallen ist dabei nicht mit gefällig gleichzusetzen.
    Das durchschnittliche menschliche Ohr fühlt sich aber einfach wohler mit Mozart als mit Matthus.


  • Aber Du argumentierst jetzt ein wenig im Kreise herum - Dir ist ein rein intuitiver Zugang zuwenig. OK. Mir auch. Anderen nicht, die können auch so (u.a. mit zeitgenössischer Musik) glücklich werden.


    Jetzt ist die Frage, wie man in die Tiefe gehen kann. Mein Weg ist ein nicht sehr tiefgehendes Beschäftigen mit der Technik/den Anliegen der Komponisten - das kann man nach Belieben aufwändiger gestalten, es gibt ja genug Literatur dazu, auch von den Komponisten. Dann interessiert mich vor allem, wie das denn nun untereinander zusammenhängt, also ein eher musikgeschichtlicher Zugang, der hier genauso funktioniert, wie in früheren Epochen. Das Wichtigste ist natürlich das Hören und Erleben der Musik, in Wien gibt es durchaus viel zu hören und CDs gibt es auch mehr als man hören kann ...


    Dein Weg, den Du aber dann auch gleich wieder verweigerst, geht nicht von den Komponisten und ihrer Sicht aus, auch nicht von einer eher journalistischen Geschichtsschreibung etwa eines Dibelius sondern über eine aktuelle Theorie, die auf alles Mögliche angewendet wird (ich habe mal im Forum nach "Gestalttheorie" gesucht). Das erinnert mich jetzt an andere historische Versuche, alles über einen Kamm scherend mit einer Theorie zu analysieren, etwas, was ich nie ernst nehmen konnte, und deshalb habe ich mir die Methoden und Namen dazu nie gemerkt.


    Stockhausen ist am Klavier durchaus zum Teil machbar, Klavierstück 3 oder 9 kann man auch als Nicht-Profi ausschnittsweise spielen. Stockhausens Texte kann man auch lesen, ferner gibt es ja die "Musik-Konzepte"-Reihe, wenn man es etwas wissenschaftlicher haben will als im Dibelius.


    Warum das schwieriger sein soll, als Harmonielehre und Formanalyse angewendet auf Beethoven oder gar Brahms, will mir nicht eingehen.
    :hello:

  • Zitat

    Original von Luis.Keuco
    Meiner Meinung nach sollte man bei einem Werk (egal ob Bild, Skulptur, Musik...) nicht zuviel erklären müssen. Nichts gegen eine geschichtliche Einordnung oder eine Grundidee. Aber es soll nicht länger dauern, die Theorie zu verstehen, aus der heraus eine Komposition entstand, als das Stück zu hören.


    Das spricht also für lange Stücke.
    ;)
    Aber so einfach ist es wohl nicht, denn - was ist "die Theorie, aus der heraus eine Komposition entstand"?


    Gerade bei Rothko wirst Du stundenlang versuchen können, das zu erklären, wer ihn nicht ansprechend findet, wird es nicht verstehen.

    Zitat

    Das ist bspw. bei Rothko toll. Man denkt ja, da sei bestimmt viel Theorie dahinter, um bunte Flächen zu verstehen. Aber seine Idee ist schlichtweg die Wirkung der Farben auf der Leinwand. Da bleibt doch Zeit fürs Schauen. Und im Audio-Guide wurden dazu immer wieder Ausschnitte der Cello-Suiten gespielt. Das hatte eine fast meditative Wirkung.


    "Die Wirkung der Farben auf der Leinwand" wird der verstehen, der Rothko "erlebt" hat, aber nicht der, für den es nur einfallslose Farbflächen sind.


    Zitat

    Bei neuer Musik habe ich manchmal das Gefühl, sie soll absichtlich schief und schräg klingen. Das macht sie für mich dann unangenehm.


    Naja, ich fände es eher unangenehm, wenn jemand unabsichtlich etwas Schräges herborbrächte.
    :D

  • Banner Interviebanner 1 Gelbe Rose
  • Von der "Vaterfigur" her käme Schönberg noch am ehesten in Frage. Aber er war auch zu umstritten und hat zu lange gelebt. Es gibt ja auch keinen "Beethoven des 18. Jhds."


    Als zeitgenössisch sehe ich Musik an, die ungefähr während meiner Lebenszeit komponiert wurde bzw. wenn von Komponisten, deren Lebenszeit mit meiner deutlich überlappt, auch ein paar Jahre früher. Obwohl ich natürlich einsehe, daß Boulez' 2. Klaviersonate oder maßgebliche Stücke Stockhausens inzwischen >50 Jahre alt sind und beinahe 20 Jahre vor meiner Geburt geschrieben wurden, so überlappt sich deren Lebenszeit über 30 Jahre mit meiner, so daß ich auch diese Sachen noch unter zeitgenössisch nehme. Wobei das auf den "Avantgarde"-Charakter ja nur bedingt Einfluß hat. Auch wenn Britten und Schostakowitsch wenige Jahre mit mir gemeinsam auf Erden weilten, empfinde ich ihre Musik dennoch nicht gerade zeitgenössisch, da eben in ihrer Zeit nicht avantgardistisch.


    Ich muß zugeben, recht wenig in diesem Sinne zeitgenössische Musik zu kennen, und wenn, dann auch nicht gut: Ligeti, Boulez, Carter, Henze, Adams u.a.
    Im Grunde höre ich diese Stücke, auch wenn ich "weniger verstehe" nicht grundlegend anders als ältere Musik. (Es sei mal dahingestellt, in welchen Hinsicht mir z.B. Barockmusik und Spätromantik etwas Ähnliches oder etwas jeweils anderes, spezifisches bieten, ich behaupte mal, ich rezipiere sie sehr ähnlich.) Etliche neuere Musik scheint mir viel stärker auf Klanglichkeit, auf Klangereignisse bezogen (etwa Ligeti Atmospheres), das ist etwas, was mir relativ fernsteht (ähnlich wie Werke Debussys oder einiger Spätromantiker, bei denen dieser Aspekt wichtig ist).


    Andere, nehmen wir ein vielleicht schon "postmodernes" Werk wie Rzewskis "The people united" höre ich aber ähnlich wie die Diabelli-Variationen. Mal versucht man, das Thema wiederzufinden, mal erfreut man sich einfach an der Phantasie und der Abwechslung der unterschiedlichen Charakterstücke.


    :hello:


    JR

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Aber Wirkung ist doch etwas anderes als Theorie. Und Rothkos Theorie ist nur Farbenwirkung. Kein langes Gefasel, dass man die Farben unter dem Aspekt der aufkeimenden postkoitalen Blablabla. Ist doch toll, wenn einer mal sagt: Hier ist mein Bild. Das besteht nur aus einer Farbfläche. Shet es euch an und lasst die Farben wirken. Mehr müsst ihr nicht wissen und nicht verstehen. Alles liegt bei euch.


    Wenn ich im Museumsbuchladen oder in einer Musikbuchhandlung mehrhundertseitige Bücher sehe, in der mir eine Mal- oder Musiktheorie eines Künstlers oder einer Künstlergruppe näher gebracht werden soll (ohne wesentliche biographische Elemente, sondern lediglich Wissenschaftssprech), dann frage ich mich, ob ich das Buch lesen oder mich mit der jeweiligen Kunst beschäftigen soll.


    der Vergleich mit den Altvorderen hinkt, aber auch in der klassichen Moderne wurde noch viel "aus dem Bauch heraus" komponiert, also vom handwerklichen Aspekt her. Dann begann die wissenschaftliche Beschäftigung der Musiker mit der Musik, also eine konzeptionelle Grundausrichtung à la 12-Ton etc. Wenn mir heute einer eine halbe Stunde erklären will, warum das Vibrafon an der Stelle pling und nicht plang macht, dann wird mir das zu albern.


    Da muss ich demnach widersprechen und sagen: Lieber vergisst Horowitz unabsichtlich eine Note bei einer Mozartsonate als dass bei einem zeitgenössischen Werk ich das Gefühl habe, da wird bis zum Ende am Instrument noch herum gestimmt.


    Beim Konzert von Tan Dun war es wirklich so: da wurde das Stimmen der Instrument, wie sonst üblich vor dem Konzert während des Stückes zur Musik. Da wird es schon merkwürdig.

  • Um dem sehr heterogenen Feld der zeitgenössischen Musik einigermassen gerecht werden zu können ist es meiner Meinung nach unerlässlich sich neben den hier schon genannten Beispielen auch für


    Jazz (Duke Ellington; Miles Davies; den frühen Chick Corea ...)


    Pop und Rock (zumindest aber The Beatles/John Lennon; Pink Floyd; Yes; Genesis mit Peter Gabriel; Queen; Prince; The Doors ...)


    sowie - als funktionale Symphonik - auch für Filmmusik


    zu interessieren.


    Ansonsten bekommt man wahrlich nur einen Bruchteil der bisher schon gewaltigen Vielfalt "zeitgenössischer Musik" mit.


    Vielleicht gibt es nicht wenige, die jetzt sofort sagen werden: Aber wir sind doch ein Klassikforum ... nun vor ca 100 Jahren hat man Mahlers Vierte auch noch nicht besonders gemocht und gewürdigt...

    alle Menschen werden Brüder ...

  • Lieber Albus :



    W e r soll denn kommentieren ?


    Ist nicht auch etwa Beethovens "Hammerklaviersonate" "kommentarbedürftig wie Brahms' Spätwerk für Klavier solo oder manche Mahler-Symphonie im Kontext zu seinen Lebensumständen ?


    Und wie steht es bei Kompositionen etwa von Wilhelm Furtwängler ?


    Viele Grüsse ,



    Frank

    Frank Georg Bechyna
    Musik & Medizin

  • Zitat

    Original von Luis.Keuco
    Wenn ich im Museumsbuchladen oder in einer Musikbuchhandlung mehrhundertseitige Bücher sehe, in der mir eine Mal- oder Musiktheorie eines Künstlers oder einer Künstlergruppe näher gebracht werden soll (ohne wesentliche biographische Elemente, sondern lediglich Wissenschaftssprech), dann frage ich mich, ob ich das Buch lesen oder mich mit der jeweiligen Kunst beschäftigen soll.


    Wobei das Buch wohl nicht vom Künstler ist. Und so einen Schmöker mit 90% Text und 10% Bildteil habe ich doch auch mal über Rothko gesehen.
    :D


    Na, ich verstehe schon, was Du meinst. Aber eine Kunst, die sich mehr über eine nachvollziehende Reflexion mitteilt als über ein spirituelles Staunen, ist auch was Nettes. Und dabei muss es nicht besonders kompliziert zugehen. Und meistens muss man auch nicht so genau verstehen, was der Künstler gedacht hat.


    Zitat

    Wenn mir heute einer eine halbe Stunde erklären will, warum das Vibrafon an der Stelle pling und nicht plang macht, dann wird mir das zu albern.


    Geht mir ähnlich - wobei anstelle des pling ebensogut ein Akkord einer Haydnsonate stehen kann. Über den kann man auch endlos schwitzen.

  • Zitat

    Original von Luis.Keuco


    der Vergleich mit den Altvorderen hinkt, aber auch in der klassichen Moderne wurde noch viel "aus dem Bauch heraus" komponiert, also vom handwerklichen Aspekt her.


    Ja, was denn nun? Handwerklich oder aus dem Bauch heraus? Vielleicht eine klein wenig falsche Vorstellung vom historischen Komponieren? Bachs WTK, Beethovens Streichquartette, Mahlers Symphonien, Debussys Preludes - alles aus dem Bauch heraus? :hahahaha:

  • Zitat

    Original von Kurzstueckmeister
    Klar:
    J.S. Bach: handwerklicher Bauch.


    Sorry, bei Bach is nix mit Bauch, zumindest nix mit eigenem Bauch, rhetorische Formeln und Affektdarstellung - alles reine Kopfgeburten

  • Oje, ich hatte da nix ernst gemeint ...
    Jedenfalls war Bach dicker als Lachenmann.


    Aber Bauch ist trotzdem immer dabei. Ein Fugenthema ist auch keine Rechenübung. Und selbst das Entwerfen serieller Werke erfordert Baucharbeit, da läßt sich nicht alles restlos aus einer Keim-Idee ableiten. Und selbst wenn: Für die Keim-Idee bräuchte man auch Eingebung (aus dem Bauch?)
    :hello:

  • Der Vorwurf der Kopfgeburt (am besten noch verknüpft mit dem mangelnder Inspiration) ist m.E. haltlos. Für die expressionistischen Zwölftönerstimmt das schonmal gar nicht. Eine Art anspruchsvoller Tschaikowsky wollte Schönberg angeblich sein. Es gibt mehrere explizite Aussagen, daß der Hörer die Reihen nicht unbedingt wahrnehmen soll, ähnlich von Berg über die alten Formen in Wozzeck. Die technischen Geschichten um den späteren Serialismus kann ich nicht beurteilen. Aber das betraf nur eine kleine Richtung und dauerte in der extremen Ausprägung wohl kaum 20 Jahre.
    Der längste Höhepunkt "verkopften" Komponierens dürfte etwa von der Mitte des 14. bis ins 16. Jhd. hinein gewesen sein, was nichts gegen die Musik dieser Zeit sagen soll. Und wie schon mehrfach gesagt wurde, gibt es das im 18. u. 19. Jhd. ebenfalls zuhauf. Wir hören häufig eben einfach darüber hinweg, denn es betrifft lange nicht nur solche offensichtlichen Fälle wie das Musikalische Opfer oder den späten Beethoven. (Man schaue zur Probe mal in das Musik-Konzepte-Heft zu den Haydn-Quartetten hinein; mir ist das deutlich zu hoch, dennoch meine ich, den Werken nicht völlig ratlos gegenüberzustehen.)


    :hello:


    JR

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Banner Interviebanner 1 Gelbe Rose