Haydn, Joseph: Symphonie Nr. 43 Es-Dur "Merkur"

  • Joseph Haydn: Symphonie Nr. 43 Es-Dur "Merkur"


    Komponiert 1770 oder 1771, in zeitlicher Nachbarschaft zu den Symphonien 42, 44 ("Trauer") und 52.


    Besetzung: 2 Oboen, Fagott, 2 Hörner, Streicher.


    Der Kopfsatz (Allegro, 3/4-Takt) beginnt mit einem lyrischen, weit ausgesponnenen Thema; dreimal initiieren dabei Forte-Schläge eine kurze gesangliche Passage, die jedoch schnell "liegenbleibt". Erst danach darf sich das Thema aussingen, bis dann in Takt 26 plötzlich die Violinen mit Sechzehntelläufen und Tremoli in die Idylle platzen. Über den Tremoli entwickeln nun absteigende Skalen der Oboen Vorwärtstrieb; etwas abgewandelt, bestimmen diese Skalen in den Streichern den Rest dieser Überleitungspassage. Das Seitenthema (ab Takt 60) ist wieder sehr lyrisch und verwendet überdies Material des Hauptthemas, so dass der Kontrast zu diesem minimal ist. Die Schlussgruppe entwickelt über synkopische Rhythmen und Skalenmotive wieder einige Energie.
    Die Durchführung (ab Takt 99) verarbeitet nach diesem bewegten Abschnitt erstaunlich ruhig eine kurze Zeit das Hauptthema modulierend. Es entwickelt sich keine Spannung (woher auch, hatten Haupt- und Seitenthema doch einen völlig identischen Tonfall), und so wird schon in Takt 113 das Hauptthema in der Tonika und damit die Reprise erreicht. Doch das Thema findet keine Fortsetzung, und nun melden sich die in der Durchführung schändlicherweise übergangenen Skalen- und Oktavsprung-"Motive" und Tremoli aus den Überleitungen zu Wort und fordern ihr Recht in wütenden Entladungen ein. Wie auch die Durchführung im ersten Satz der "Trauersymphonie" entwickelt diese Passage ihre Wucht durch die kontrapunktische Verarbeitung von einfachstem Material, kombiniert mit synkopischen Rhythmen.
    Nach dieser Entladung muss sich das Hauptthema erst wieder "finden": Teile desselben, teils dissonant im Abstand einer kleinen Sekunde, melden sich zu Wort und leiten chromatisch zum Einsatz des Hauptthemas über - allerdings in der falschen Tonart As-Dur. Auch der zweite Anlauf verfehlt mit F-Dur das Ziel, und erst beim dritten Einsatz findet sich das Hauptthema in Es-Dur wieder, um die Reprise nun geregelt zuende zu bringen. Die Tremoli haben sich dabei in ihrem Ausbruch anscheinend völlig entladen und erscheinen in der Reprise nicht wieder; stattdessen darf das Hauptthema sich noch ausgiebiger aussingen, und der Satz endet ruhig und ohne weitere Konflikte.


    Der zweite Satz (Adagio, As-Dur, 2/4-Takt) ist in Sonatenform gehalten. Die Violinen spielen con sordino, und die Bläser werden recht sparsam eingesetzt. Das Hauptthema weist eine eine recht komplexe Rhythmik mit punktierten Achteln und Sechzehnteln und Triolen auf, außerdem den Hang zu Tonrepetitionen. Diese durchziehen in der Folge den ganzen Satz, vor allem die dem Hauptthema und einer schmerzlichen Sforzato-Dissonanz folgende Überleitungspassage; in dieser werden auch die Hörner zum ersten Mal aktiv. Das Seitenthema beginnt (wenn ich es korrekt einordne) in Takt 37 und wird unter starker Mitwirkung der Hörner und zum ersten Mal auch der Oboen gestaltet.
    Die Durchführung (Takt 49) führt zunächst eine charakteristische Wendung aus dem Hauptthema in dunklere Regionen, bevor nach einer kurzen bewegteren Phase mit den Tonrepetitionen ein anderer Teil des Hauptthemas das Regiment übernimmt und nach einer erstaunlich langen Zeit ohne "Fortschritt" in die Reprise (Takt 81) überleitet.
    Wie im Kopfsatz wirken die Wogen auch hier etwas geglättet, weil das dissonante Sforzato aus der Exposition einem weicheren Übergang weicht. Ansonsten ist die Reprise unverändert.


    Es folgt als dritter Satz ein Menuett in Es-Dur, das durch stampfende Tonrepetitionen gekennzeichnet ist, aus denen eine recht derbe Melodie gebildet wird. Das Trio wirkt dagegen weitaus zierlicher; das Material ist hier im Prinzip nur ein kurzes Motiv, das in beiden Abschnitten des Trios unter wechselnder instrumentatorischer und harmonischer Beleuchtung und teils etwas variiert wiederholt wird.


    Der Finalsatz (Allegro, Es-Dur, 4/4 Takt (alla breve)) beginnt mit einem recht ruhigen, lyrischen Thema, das dann aber durch Sforzati intensiviert wird und in eine ziemlich wilde Passage mit Tremoli in den tiefen Streichern überleitet.
    Das Seitenthema (ab Takt 34) besteht aus einer fallenden Achtelkette, zunächst pianissimo in den Violinen und dann durch die restlichen Streicher und forte-Anweisung verstärkt.
    Die Durchführung beginnt in Takt 65 mit dem Hauptthema in B-Dur, führt dann aber die energische Überleitungspassage durch, worauf das Seitenthema in die Reprise überleitet, in der die Überleitungspassage verkürzt ist.
    Im Gegensatz zu Haydns anderen Symphonien dieser Zeit folgt der Reprise eine lange Coda (die auch erst nach der Wiederholung von Durchführung und Reprise gespielt wird), in der Haydn das Hauptthema durch den Kakao zieht, indem er es immer wieder mit sehr großen Notenwerten einbremst und neu ansetzen lässt, versucht, durch Elemente der Überleitungspassage dem Geschehen Schwung zu verleihen, aber wieder auf dem Hauptthema bis zum völligen Stillstand abbremst, um die Symphonie zum Schluss dann doch mit einer jubelnden Stretta zu beenden.



    Insgesamt eine sehr interessante Symphonie, mit formellen Ungewöhnlichkeiten und ausgeprägtem Spiel mit den Erwartungen des Zuhörers. Charles Rosen verwendet den Beginn des ersten Satzes in seinem Buch "der klassische Stil" als Negativbeispiel für die Entwicklung von Vorwärtsdrang aus einem lyrischen Thema heraus beim mittleren Haydn (die er später perfekt beherrsche); James Webster (auf Haydn107.com) widerspricht dem und sieht die "beschauliche entspannte Schönheit" (Rosen) als Zweck. Seine Argumentation, die Passage mit den Tremolo-Sechzehnteln biete dem Hörer nach dem weit ausgebreiteten Thema das ersehnte Neue, geht aber leider nicht auf Rosens Bemerkung ein, diese Passage könne eben keinen Vorwärtstrieb erzeugen, sondern wirke nur als eine "Irritation in den Violinen" (zitiert aus dem Gedächtnis, das Buch liegt mir zur Zeit nicht vor).
    Laut Webster stammt der Beinahme "Merkur" der Symphonie aus dem 19. Jahrhundert, ohne dass es eine erkennbare Begründung für ihn gibt.



    Gruß,
    Frank.

  • Zitat

    Original von Spradow
    Joseph Haydn: Symphonie Nr. 43 Es-Dur "Merkur"


    erstmal vielen Dank für die ausführliche Vorstellung!


    Zitat


    Die Durchführung (ab Takt 99) verarbeitet nach diesem bewegten Abschnitt erstaunlich ruhig eine kurze Zeit das Hauptthema modulierend. Es entwickelt sich keine Spannung (woher auch, hatten Haupt- und Seitenthema doch einen völlig identischen Tonfall), und so wird schon in Takt 113 das Hauptthema in der Tonika und damit die Reprise erreicht.


    Das ist m.E. eine Scheinreprise, obwohl/weil in der Haupttonart, und so verstehe ich Deine weiteren Ausführungen eigentlich auch.


    Zitat


    Doch das Thema findet keine Fortsetzung, und nun melden sich die in der Durchführung schändlicherweise übergangenen Skalen- und Oktavsprung-"Motive" und Tremoli aus den Überleitungen zu Wort und fordern ihr Recht in wütenden Entladungen ein. Wie auch die Durchführung im ersten Satz der "Trauersymphonie" entwickelt diese Passage ihre Wucht durch die kontrapunktische Verarbeitung von einfachstem Material, kombiniert mit synkopischen Rhythmen.
    Nach dieser Entladung muss sich das Hauptthema erst wieder "finden": Teile desselben, teils dissonant im Abstand einer kleinen Sekunde, melden sich zu Wort und leiten chromatisch zum Einsatz des Hauptthemas über - allerdings in der falschen Tonart As-Dur. Auch der zweite Anlauf verfehlt mit F-Dur das Ziel, und erst beim dritten Einsatz findet sich das Hauptthema in Es-Dur wieder, um die Reprise nun geregelt zuende zu bringen.


    Das ist schon recht überraschend und witzig gemacht. Ich empfinde den Einsatz in As-Dur (T. 152) eine Phrase lang als Reprise, dann erst merkt man wieder, daß etwas nicht ganz stimmt. Der wirkliche Repriseneinsatz ist dann das Thema in Es-Dur, also der dritte Anlauf (T. 162).


    Zitat


    Der zweite Satz (Adagio, As-Dur, 2/4-Takt) ist in Sonatenform gehalten. Die Violinen spielen con sordino, und die Bläser werden recht sparsam eingesetzt. Das Hauptthema weist eine eine recht komplexe Rhythmik mit punktierten Achteln und Sechzehnteln und Triolen auf, außerdem den Hang zu Tonrepetitionen. Diese durchziehen in der Folge den ganzen Satz, vor allem die dem Hauptthema und einer schmerzlichen Sforzato-Dissonanz folgende Überleitungspassage; in dieser werden auch die Hörner zum ersten Mal aktiv. Das Seitenthema beginnt (wenn ich es korrekt einordne) in Takt 37 und wird unter starker Mitwirkung der Hörner und zum ersten Mal auch der Oboen gestaltet.


    Obwohl wir es hier wieder mit einem Modell zu tun haben, das sehr viele langsame Sätze der Zeit prägt (z.B. auch 44), finde ich das eine recht originelle Ausgestaltung dieses Typs mit erstaunlich reichhaltigem Material.


    Zitat


    Die Durchführung (Takt 49) führt zunächst eine charakteristische Wendung aus dem Hauptthema in dunklere Regionen, bevor nach einer kurzen bewegteren Phase mit den Tonrepetitionen ein anderer Teil des Hauptthemas das Regiment übernimmt und nach einer erstaunlich langen Zeit ohne "Fortschritt" in die Reprise (Takt 81) überleitet.


    Das ist mir etwas zuviel der Wiederholung... Klar, in langsamen Sätzen erfolgt hier (jedenfalls in dieser Phase) selten eine dichte Verarbeitung, aber das ist gegenüber der kontrastreichen Exposition gegen Ende ein wenig durchhängend.


    Zitat


    Der Finalsatz (Allegro, Es-Dur, 4/4 Takt (alla breve)) beginnt mit
    ...


    Im Gegensatz zu Haydns anderen Symphonien dieser Zeit folgt der Reprise eine lange Coda (die auch erst nach der Wiederholung von Durchführung und Reprise gespielt wird), in der Haydn das Hauptthema durch den Kakao zieht, indem er es immer wieder mit sehr großen Notenwerten einbremst und neu ansetzen lässt, versucht, durch Elemente der Überleitungspassage dem Geschehen Schwung zu verleihen, aber wieder auf dem Hauptthema bis zum völligen Stillstand abbremst, um die Symphonie zum Schluss dann doch mit einer jubelnden Stretta zu beenden.


    Das Finale gefällt mir insgesamt am besten von allen Sätzen. Das Hauptthema ist ein mitreißender Aufschwung, obgleich eher lyrisch und die Coda ziemlich originell. Man sieht, daß 45 oder auch 46 (hier wird das Menuett gegen Ende des Finales zitiert) keine Einzelfälle sind.


    Zitat


    Insgesamt eine sehr interessante Symphonie, mit formellen Ungewöhnlichkeiten und ausgeprägtem Spiel mit den Erwartungen des Zuhörers.


    Ich muß zunächst gestehen, daß diese Sinfonie, obwohl ich sie schon vor ca. 8 Jahren mit dem Kauf der Pinnock-Box kennengelernt haben muß, sich mir bisher nicht besonders eingeprägt hatte. Zu übermächtig wohl die Umgebung mit 42 und besonders 44-49. Und ehrlich gesagt, hat sich das beim Wiederhören mehr oder minder bestätigt. Klar, der Kopfsatz, der das Mittel der falschen Reprise auf die Spitze treibt, ist geistreich, aber mir ist die Thematik zu kontrastarm, ich teile Rosens Eindruck, daß die hektischen Zwischenpassagen zur Entspanntheit der wesentlichen Themen nicht recht passen. Im Vergleich zu dem noch breiter und weiträumiger, aber für mich viel schlüssiger angelegten, mit insgesamt grandiosem Gestus auftrumpfenden Kopfsatz von 42, schneidet das Stück nicht so gut ab. Das adagio gefällt mir gut, wird nur zwischendurch ein wenig zu langatmig (benötigt etwas Hilfe vom Interpreten, Fischer, den ich gerade gehört habe, ist hier etwas zu verwaschen, auch im Klang. Pinnock habe ich letztens auch gehört, aber nicht mehr so präsent). Menuett ist ordentlich, aber nicht irgendwie hervorstechend (das "nachklappernde" Ende im Hauptteil ist ganz witzig).
    Das mag etwas gnadenlos gegenüber einer gewiß sehr guten Sinfonie sein, aber Haydn ist natürlich selbst schuld, wenn er gleichzeitig irgendwie einprägsamere Werke schreibt. :D Gilt m.E. nicht nur für die mit Beinamen, sondern auch für 42, 46, 47.


    :hello:


    JR

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    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Hallo Johannes!


    Zitat


    Das ist m.E. eine Scheinreprise, obwohl/weil in der Haupttonart, und so verstehe ich Deine weiteren Ausführungen eigentlich auch.


    Ich dachte immer, das Erreichen der Tonika sei eine hinreichende Bedingung für den Beginn der Reprise bzw. das nicht-erreichen eine notwendige für eine Scheinreprise.
    Eigentlich ist die Diskussion hier aber müßig, ob es sich formell um eine Reprise mit einer neuen, durchführungsartigen Passage handelt oder um eine Scheinreprise - man hört es als letztere, stimmt schon.



    Zitat


    Das ist mir etwas zuviel der Wiederholung... Klar, in langsamen Sätzen erfolgt hier (jedenfalls in dieser Phase) selten eine dichte Verarbeitung, aber das ist gegenüber der kontrastreichen Exposition gegen Ende ein wenig durchhängend.


    Webster sieht diese Stelle übrigens auch als Spiel mit den Erwartungen.



    Zitat

    Das Finale gefällt mir insgesamt am besten von allen Sätzen. Das Hauptthema ist ein mitreißender Aufschwung, obgleich eher lyrisch und die Coda ziemlich originell. Man sieht, daß 45 oder auch 46 (hier wird das Menuett gegen Ende des Finales zitiert) keine Einzelfälle sind.


    Bisher finde ich, dass viele der Finallösungen in den Sturm-und-Drang-Symphonien noch lange nicht so gut funktioniert wie die späteren Finali ab den Parisern, auch z.B. die von 45 und 46 (aber ich bin gespannt darauf, mich eines besseren belehren zu lassen).
    Für das vorliegende Finale gilt das auch: Die sehr dramatische Überleitung zum Seitenthema empfinde ich als Fremdkörper, und in der Durchführung kann sie dann kaum getoppt werden.


    Zitat

    Ich muß zunächst gestehen, daß diese Sinfonie, obwohl ich sie schon vor ca. 8 Jahren mit dem Kauf der Pinnock-Box kennengelernt haben muß, sich mir bisher nicht besonders eingeprägt hatte. Zu übermächtig wohl die Umgebung mit 42 und besonders 44-49. Und ehrlich gesagt, hat sich das beim Wiederhören mehr oder minder bestätigt. Klar, der Kopfsatz, der das Mittel der falschen Reprise auf die Spitze treibt, ist geistreich, aber mir ist die Thematik zu kontrastarm, ich teile Rosens Eindruck, daß die hektischen Zwischenpassagen zur Entspanntheit der wesentlichen Themen nicht recht passen.


    Das sehe ich ähnlich wie Du; von den Symphonien von 70/71 ist diese inzwischen recht klar mein Schlusslicht (das war nicht immer so, im Zuge des Lesens von Rosens Buch war sie überhaupt eine der ersten Sturm-und-Drang-Symphonien, die ich recht detailliert kennenlernte). Trotzdem, den Kopfsatz mag ich ganz gerne: Das Hauptthema ist durchaus schön, die Zwischenpassagen werden dann doch irgendwann recht mitreißend, und den dramatischen Abschnitt nach der (Schein-)reprise finde ich richtig gut. Dazu noch die Spielchen mit dem Repriseneinsatz.



    Zitat

    erstmal vielen Dank für die ausführliche Vorstellung!


    Eigentlich möchte ich ja etwas mehr kondensieren, aber das klappt noch nicht so recht... :wacky:




    Gruß,
    Frank.

  • Zitat

    Original von Spradow


    Ich dachte immer, das Erreichen der Tonika sei eine hinreichende Bedingung für den Beginn der Reprise bzw. das nicht-erreichen eine notwendige für eine Scheinreprise.
    Eigentlich ist die Diskussion hier aber müßig, ob es sich formell um eine Reprise mit einer neuen, durchführungsartigen Passage handelt oder um eine Scheinreprise - man hört es als letztere, stimmt schon.


    Schade, dass ich beim ersten Hördurchgang der 43. eher geschlafen als aufmerksam zugehört habe ...


    Somit ist mir das nicht aufgefallen, aber interessant, dass das, was ich gestern bei der Sinfonie Nr. 41 gepostet habe, auch hier zutrifft.


    Spradow bestärkt mich ja darin, die Etikettierung "Scheinreprise" abzulehnen. Die Reprise beginnt hier aber natürlich auch nicht. Hier geht die Durchführung so richtig los - allerdings mit dem Hauptthema in der Tonika.


    Ein Modell, das Haydn um diese Zeit austestete (Kopfsätze der Sinfonien 41, 42 und 43, ferner des Streichquartetts op. 20/I - es werden sich sicher noch weitere Beispiele finden). Dass uns das heute so auffällt, spricht dafür, dass das ein frühklassisches Experiment ist, das sich nicht durchgesetzt hat.


    Es führt jedenfalls zu einem merkwürdigen Formverlauf: Neben der Exposition (I-V) geht somit nicht nur die Reprise (I-I) sondern auch der zentrale Teil der Durchführung von I los. Warum eigentlich nicht?
    :D

    Zitat

    Dazu noch die Spielchen mit dem Repriseneinsatz.


    Das ist also kein Einzelfall, der 43 heraushebt. Die Frage wäre, ob das Spielchen in den genannten anderen Werken witziger/logischer/zwingender ist oder nicht?


    Siehe
    hier

  • Hallo Kurzstückmeister!


    Ich finde Deine Deutung dieser Tonikapassagen sehr einleuchtend; denn gerade, weil sie in mehreren Werken der gleichen Zeit auftreten, würde es doch schwer, sie als Überraschungseffekte zu deuten.


    Mit den "Spielchen mit dem Repriseneinsatz" meinte ich übrigens das mehrfache Erscheinen des Hauptthemas in falschen Tonarten am "echten" Ende der Reprise.



    Gruß,
    Frank.

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  • Ich habe heute - und gestern die Sinfonie Nr 43 gehört, die aus unerfindlichen Gründen den Beinamen "Merkur" trägt.

    Essentielles wurde in diesem Thread schon vor Jahren von mehreren Autoren geschrieben. Mein gestriger Höreindruck war ein wenig blass, ich vermisste das festliche Gepränge mit Pauken und Trompeten. Heute indes beim Zweithören vermisste ich überhaupt nichts sondern gab mich dem schlon orhestrierten Werk mit Genuss hin.

    Un dann fand ich in Konzertführer von Csampai Holland , eine Bemerkung, die ich aus dem Gedächtnis inhlatlich wiedergeben möchte: Nur bei oberflächlichem Hören erscheine diese Sinfonie unscheinbar - in Wahrheit sei sie vermutlich das Interessanteste Stück innerhalb der Serie. (umgebender Sinfonien)...

    Anschliessend erfolgt eine Aufzählung ihrer Meriten und "weit in die Zukunft vorausblickenden" Experimente ....


    mfg aus Wien

    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Ausführlich gibt dieser Link Auskunft über die Sinfonie Nr. 43. Über den Beinamen "Merkur" erfährt man nichts.


    Die Partitur ist ganz unten, wenn man auf den gelben Kreis mit der 43 klickt.


    https://www.haydn107.com/Sinfonien/43

    Vor Schuberts Musik stürzt die Träne aus dem Auge, ohne erst die Seele zu befragen:
    so unbildlich und real fällt sie in uns ein. Wir weinen, ohne zu wissen warum; Theodor W. Adorno - 1928




  • Über den Beinamen "Merkur" erfährt man nichts.

    Da kann man auch nichts erfahren - denn man weiss nichts darüber. Auf jeden Fall ist der Beiname nicht autorisisert, stammt also nicht von Haydn, aber auch nicht von seinen Zeitgenossen.


    Im Falle dieses Namens ist es besonders schwierig nach einem allfälligen Bezug zu suchen, da Merkur einerseits der Götterbote ist, gleichzeitig der Gott der Händler (davon leitet sich Marcato oder merkantil ab) und der Diebe (was ja gerade zu von zynisch-realistischer Weltanschauun der alten Römer zeugt)

    Aber natürlich war auch der Planet Merkur bekannt.

    Nicht zu vergessen das homöopatische Heil- und Konstitutionsmittel "Mercurius solibilis" (Quecksilber)

    Das gäbe es viel zu forschen.....


    mfg aus Wien

    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • An sich wäre mein "Haydn Sinfonien Hörprogramm" nunbei Sinfonie Nr 61 angelangt, da ich aber vor einigen Woche etliche Neukäufe aus diesem Bereich getätigt . Vor allen unter Fey und unter Antonini . habe springe ich mal ein wenig zurück zur Sinfonie Nr 43 "Merkur" Es gibt allerdings nichts bedeutend Neues zu berichten, auch Booklets und Konzertführer geben sich bei der Beschreibung und Bewertung dieser Sinfonie eher zurückhaltend. Man ist sich allerdings einig darüber, daß der Beinahme erst in der 1. Hälfte des 19. Jahrhunderts hinzugfügt wurde und man bislan heinen Bezug dazu herstellen konnte. Vielleicht liegt das daran, daß es eigenlich gar keinen dazu gibt. Ein Verleger oder Vermarkte wird die Beobachtung gemacht haben, daß sich Werke mit griffigen Titeln besser verkaufen als namenlose. Das gilt übrigens auch für Waren aller Art - nur die Japan haben sich eine Zeitlang mit Buchstaben-Nummern-Kombinatione bei ihren Geräten begnügt, wogegen PHILIPS seine Tonbandgeräte "Maestro" und eine Verstärkerserie "Black Tulip" nannte.

    Ich hatte eine allzo forsche Interpretation erwartet, wie ich sie unter Fey in Erinnerung hatte. Zu meiner Überraschung war das indes nicht der Fall - vielleicht weik diese Sinfonie eine "forsche" Interpretation gar nicht zulässt, oder weil ich nun im Lauf der letzten Jahreschon an forschere und aggressivere Interpretationen gewöhnt bin


    mfg aus Wien

    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Beim Durchforsten meiner CD-Sammlung bin ich auf das folgende, in Vergessenheit geratene

    Exemplar gestoßen:

    Haydn, The Royal Philharmonic Orchestra, Stefan Sanderling – Symphony No. 43,  Symphony No. 44 , Symphony No. 45 (1993, CD) - Discogs

    Stefan Sanderling dirigiert das Royal Philharmonic Orchestra (Aufnahme: 10/1995, London).


    Es handelt sich um eine exzellent klingende Digital-Produktion, wie ich mich soeben überzeugen konnte. Ob da eine GA geplant war und nicht vollendet wurde? Stefan Sanderling ist einer der drei Söhne des berühmten Kurt Sanderling (1912-2011). Auch seine beiden anderen Söhne (Thomas und Michael) sind u.a. als Dirigenten tätig.


    LG Nemorino

    Die Welt ist ein ungeheurer Friedhof gestorbener Träume (Robert Schumann).

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  • Diese Royal Philharmonic Reihe feierte damals entweder ein Jubiläum oder sollte dem Orchester aus einem finanziellen Engpass helfen o.ä. Es gab noch 2 oder mehr weitere CDs mit späten Haydn-Sinfonien u.a. mit Jane Glover. Und zahlreiche andere Schnäppchen (da die Scheiben um 2000 für DM 2-5 verkauft wurden, wenn ich recht erinnere), zB mit Mackerras. Viele davon tauchten später in ähnlichen Billigreihen wieder auf.

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    (Bob Dylan)

  • Über den Beinamen "Merkur" erfährt man nichts.



    Zitat von Dt. Wikipedia

    Der Beiname „Merkur“ taucht erstmals 1839 im handschriftlichen Verzeichnis der Werke Haydns von Aloys Fuchs auf. Der Ursprung ist unbekannt. Jean Pang vermutet, dass die Titelgebung auf eine Verwechslung mit der Sinfonie Nr. 50 zurückzuführen sein könnte, deren Anfangssätze als Ouvertüre zur Marionettenoper Philemon und Baucis verwendet wurde: Der erste dort auftretende Charakter ist Merkur.


    Zitat von Engl. Wikipedia

    The source of the "Mercury" nickname remains unknown according to Matthew Rye. It could refer to its use as incidental music from some play or other given at Eszterháza, or it may not have appeared until the nineteenth century. It would certainly be unnecessary to impose any programmatic elements onto the abstract musical piece, or to search for evidence of a musical portrait of the ancient Greek gods’ winged messenger.

    Das befriedigt mich nicht.


    Auf den Titelblättern der Stimmen-Erstausgabe bei Sieber 1774 als Trois Simphonies op. 25 mit Hob. I:43 als Nr. 1, I:52 als Nr. 2 und I:47 als Nr. 3 ist nichts - weder schriftlich noch bildlich (á la "Sonnenquartette") - mit "Merkur" in Zusammenhang zu bringen. Auch das zusammenführen der drei Sinfonien als op. 25 sagt erstmal nichts über einen möglichen Beinamen aus.


    Genauso gut könnte es sich um einen Lesefehler wie im Falle Jenamy / Jeunehomme (Mozart KV 271) handeln. Je nach Schrift und Interpretation/Leserlichkeit derselben könnte aus Mi bemolle majeur oder Mib majeur (was nichts anderes als Es-Dur bedeutet) Mercur gelesen werden; immerhin wären Anfangs- und die beiden Endbuchstaben gleich.


    Ich reihe mich in den Kanon derer ein, die dem Werk einiges abgewinnen können; vielleicht mehr sogar als manchen der Kolleginnen, sei's mit oder ohne Werkbeinamen.


    Die IMSLP zeigt übrigens beim Stimmenmaterial eine alternative Clarinettenstimme (Clarinette in B), die ausschließlich im Falle des Nichtvorhandenseins der 2. Oboe zu spielen sei (Autor/Herkunft unbekannt). Die Existenz der Stimme ist wohl kaum auf Haydn zurückzuführen; Clarinetten hat er erst deutlich später zum Einsatz bringen können.


    :hello:

    Die Kunst ist [...] vielleicht das Denken des Herzens.
    (Blaise Pascal, 1623-1662)

  • Diese Royal Philharmonic Reihe feierte damals entweder ein Jubiläum oder sollte dem Orchester aus einem finanziellen Engpass helfen

    So wird es gewesen sein. Ein großer Erfolg war das Unternehmen sicher nicht, denn die CDs waren schon kurz nach ihrem Erscheinen im Billigpreissektor zu finden.


    LG Nemorino

    Die Welt ist ein ungeheurer Friedhof gestorbener Träume (Robert Schumann).