Imitation und Plagiarismus bei klassischer Musik - Wer hat von wem abgeschrieben?

  • Hallo liebe Tamino Klassikforum Nutzer,
    zugegebenermaßen kenne ich mich mit klassischer
    Musik (noch) nicht sehr gut aus. Ich bin Student und mache ich gerade
    eine Untersuchung bzgl. Imitation und Plagiarismus und dabei interessiert mich besonders, wie das früher, also vor den Zeiten des Urheberrechts so war?
    Kann mir eventuell jemand weiterhelfen, in dem er mir
    Beispiele nennen kann bei dem Komponist X von Komponist Y abgeschrieben hat?
    Sehr interessant wäre natürlich auch ob das dann bemerkt wurde,
    was die Komponisten gemacht haben(haben sie sich gefreut oder waren sie sauer?) und welcher Schaden oder Nutzen daraus entstand.
    Ich würde mich über ihre Antworten sehr freuen und hoffe auf eine rege Diskussion des Themas!
    Auch wenn jemand selbst keine Antwort weiß wäre ich über Literaturvorschläge oder ähnliches dankbar.
    vielen Dank schon mal im voraus
    Dominik

  • Lieber Dominik,


    Hier öffnest du eine Pandorabüchse.


    Wie weit geht deine Untersuchung?
    Ist das bearbeiten einer Oper für Bläser schon abschreiben? Oder daß "kopieren" von Themen eines anderen Musikers?
    Und alles was dazwischen liegt, z.B. etwas daß Dur ist als Moll ausbringen v.v. (etwas geändert natürlich).


    LG, Paul

  • Hallo Ulli,
    danke für die Links, die sind sehr hilfreich.
    Habe dort einen Satz entdeckt:
    "Im Barock war soetwas eher üblich und drückte sogar die Veehrung für einen Kollegen aus"
    War dies wirklich so? gibt es dazu evtl. Literatur? oder konkrete Beispiele, dass sich jemand besonders gefreut hat über eine Imitation?
    Wieviel wurden dann von dem anderen übernommen?
    War das nur im Barock so, oder auch davor und danach?


    Danke natürlich auch an die anderen für die schnellen Antworten!

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  • Dieser Satz kann nur von unserem Lullisten stammen - der wird sicherlich entsprechendes Material zur Hand haben.


    Zitat

    War das nur im Barock so, oder auch davor und danach?


    Natürlich gab es das danach auch - Mozart z.B. hat eine ganze Passage aus Martín y Solers 'Cosa rara' zitiert. Wohl deswegen, weil das Stück ein ziemlicher Erfolg war. Und was gut war bzw. ist, kann man ja ruhig noch einmal verwenden. Man sollte aber schon zwischen Zitat und Diebstahl unterscheiden. Bei Mozart war es als Zitat ganz offen gekennzeichnet:


    Eine seltene Sache...


    Den ersten Copyrightprozess übrigens strengte Johann Christian Bach in London an.


    :hello:


    Ulli


    im Moment nur zu Stichworten Zeit habend.

    Die Oper muss Tränen entlocken, die Menschen schaudern machen und durch Gesang sterben lassen.
    (Vincenzo Geilomato Hundini)

  • Wir müssen hier festhalten, daß es ein Urheberrecht im eigentlichen Sinne nicht gab. Um einigermaßen an Geld zu kommen musste man entweder bei Hof, bei einem Adeligen oder soeiner sonst irgendwie vermögenden Person in Diensten sein, man konne aber sein Werk auch an eine Verleger verkaufen, der dann die Noten an Subskribenten weiterverkaufte.
    Das Zitieren und Weiterverarbeiten von Themen anderer komnponisten war an sich gang und gäbe, durchaus erlaubt - und für die Zitierten durchaus eine Ehre - mehrte es doch deren Ruf.
    Erstmals Joseph Haydn war über das Abschreiben einerseits und über die mißbräuchliche Verwendung seines Namens andrerseits (viele Werke unbekannter Haydn-Zeitgenossen wurden in Paris unter "Joseph Haydn" auf den Markt gebracht) verärgert, war er selbst doch ein wenig geldhungrig....
    Es gab zahlreiche "Variationen über ein Thema von...." am Musikmarkt, daneben noch Bearbeitungen. Mozart bearbeitete Klaviersonaten von Johann Christian Bach zu Klavierkonterten um, welche dann durch viele Jahre lang - da die Umarbeitungen Mozarts Handschrift trugen - als Werke von Mozart (in gewisser Hinsicht waren sie es ja auch - ins Köchelverzeichnis aufgenommen wurden.


    mfg aus Wien


    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Mozart hat natürlich auch einige seiner 'Lieblingserfindungen' mehrfach verwendet, um sie nicht nochmals neu erfinden zu müssen :D


    Beispielsweise entspricht der Beginn der Arie 'Aer tranquillo' aus Il rè pastore dem Eröffnungsritornell des 1. Satzes des Violinkonzertes G-Dur KV 216. Weiters entspricht die Arie 'Meiner Liebsten schöne Wangen' aus Bastien und Bastienne KV 46b dem Lied für eine Singstimme mir Klavierbegleitung KV 46c 'Daphne, Deine Rosenwangen'. Ein ähnliches Thema verwendete er auch als 2. Satz der Sinfonie F-Dur KV 43. Zum Thema Bastien & Bastienne: Hieraus entlehnte Beethoven sein Eroicathema :D Natürlich kannte er das Werk ebensowenig wie das Offertorium d-moll KV 205a, in welchem Beethovens 'Freude-Thema' erklingt. Dann lieh sich Mozart für die Jupitersinfonie das Thema zu den Worten L'usanze del mondo andate a studiar seiner Arie 'Un bacio di mano' aus. Aus der Krönungsmesse findet sich das 'Agnus dei' [rhythmisch sehr wenig verändert] als 'Dove sono' im Figaro und das 'Dona nobis pacem' fast eins zu eins als 'così ogno quest'alma è forte' im Allegroteil der Arie 'Come scoglio' der Cosí fan tutte wieder.


    Derlei Duplizitäten gibt es noch jede Menge...


    :hello:


    Ulli

    Die Oper muss Tränen entlocken, die Menschen schaudern machen und durch Gesang sterben lassen.
    (Vincenzo Geilomato Hundini)


  • Ähem, was studierst du denn? Haben dir deine Professoren schon erklärt, dass eine wissenschaftliche Recherche nicht mittels Befragen eines Internetforums funktioniert? Die Antworten, die du hier erhältst - auch wenn sie richtig sind - sind in deinem institutionellen Rahmen vollkommen wertlos.
    Den Weg zur Uni-Bibliothek hast du aber schon ausfindig gemacht?


    Kopfschüttelnde Grüße aus dem Wiesengrund

  • Zitat

    Original von wiesengrund
    Ähem, was studierst du denn? Haben dir deine Professoren schon erklärt, dass eine wissenschaftliche Recherche nicht mittels Befragen eines Internetforums funktioniert? Die Antworten, die du hier erhältst - auch wenn sie richtig sind - sind in deinem institutionellen Rahmen vollkommen wertlos.
    Den Weg zur Uni-Bibliothek hast du aber schon ausfindig gemacht?


    Hallo Wiesengrund,


    Als ich noch studierte, war ich immer froh, wenn ich bestimmte Mitteilungen über etwas bekam. Das machte das Suchen viel leichter.


    Ich vermute, er studiert Jura. Und jetzt weiß er jedenfalls, daß es damals eine große Abschreiberei war. Zum Teil aus Bewunderung (vide Bach, der Konzerte von Vivaldi nahm, oder Mozart bei Händel), teils aber auch als reinen Gewinn.


    Hat er was dazu gelernt? Ja!!
    Daß man nicht mit dem heutigen Maßstab messen darf. :yes:


    LG, Paul

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  • Zitat

    Hat er was dazu gelernt? Ja!!


    Das sicherlich, aber er wird schwerlich das Forum in seinen Fußnoten als Belegquelle anführen können....Und ohne Beleg geht es schon mal gar nicht


    Gruß aus dem Wiesengrund

  • Zitat

    Original von wiesengrund
    Das sicherlich, aber er wird schwerlich das Forum in seinen Fußnoten als Belegquelle anführen können....


    Ist das der Sinn der Sache?


    Die Hinweise, die hier als Anhaltspunkte gegeben wurden, muß er natürlich selbst verifizieren.


    Würde ich jedenfalls so machen...


    :hello:


    Ulli

    Die Oper muss Tränen entlocken, die Menschen schaudern machen und durch Gesang sterben lassen.
    (Vincenzo Geilomato Hundini)

  • ich habe mit sogenannten "Belegen" meine Probleme.
    Nur weil irgendwer vor mir etwas geschrieben und veröffentlicht hat, ist das noch lange nicht "Gottes Wort" und in meinen Augen als "Beleg" völlig wertlos.


    Einzig die originale Quelle kann als Beleg dienen.



    selbstständiges forschen und hinterfragen finde ich ehrlich gesagt nützlicher und sinnvoller, als ständig altes Zeugs wieder anzuführen.


    Beispiel, nur weil alle Welt sagt in Versailles gab es keine Toiletten, nehme ich das nicht als gegeben hin. Für mich sind die Baupläne des Schlosses entscheidend, und die sagen etwas anderes...



    Ein Glück, das ich in der Kunst, so nicht arbeiten muss.
    Ich arbeite grundsätzlich nur mit originalen Quellen, oder direkten Übersetzungen davon und komme zu meinen eigenen Schlüssen.
    Das mag man akzeptieren oder nicht - aber ich betrachte Literatur zu einem Thema nur als Standpunkte, niemals als Quelle oder Beleg.

  • Zitat

    Original von der Lullist
    Beispiel, nur weil alle Welt sagt in Versailles gab es keine Toiletten, nehme ich das nicht als gegeben hin. Für mich sind die Baupläne des Schlosses entscheidend, und die sagen etwas anderes...


    Da hast Du ein Beispiel, wo man selbst Die Gedanken anstrengen muß.
    Ein "Fakt" ist, daß es keine Toiletten gab. So wurde gesagt. Ist das so, würde ich denken, wenn ich darüber eine These schreiben müßte. Und dann sind die Baupläne die Antwort auf meine Frage.
    Nur... auch Baupläne werden nicht immer korrekt ausgeführt. Aber vermutlich hat man hier keine Probleme zu fürchten.


    LG, Paul

  • Guten Tag


    Zitat

    Original von Bernhard


    Gg. Fr. Händel hat gerne bei anderen Komponisten Entlehnungen gemacht,


    Was im Umkehrschluß auch aussagt, dass Händel über das musikalische Schaffen seiner Zeitgenossen und auch Vorgänger Bescheid wusste.
    Seine Entlehnungen umfassten den Zeitraum von 16. Jhd. bis zum Jahr 1747.
    Händel beschaffte sich Abschriften, Publikationen und Musikalien aus ganz Europa und er studierte sie auch, er war neugierig auf die Leistungen seiner Kollegen.
    Händel hatte also noch Zeit zwischen der Arbeit an seinen eigenen Werken die Musik anderer Komponisten im Geist aufzunehmen und seine Einfälle mit deren Ideen zu mischen.
    Dass Händel neugierig auf Werke anderer Musiker war, zeigt ein Bericht von Sir John Hawkin über die Veröffentlichung von Mattheson Cembalosuiten:


    "Mattheson hatte diese nach England übersandt, um sie dort zu veröffentlichen, nämlich zwei Sammlungen mit Lessons für Cembalo,
    und sie wurden daraufhin in Kupfer gestochen und gedruckt und veröffentlicht im Jahr 1714.
    Händel war um diese Zeit in London [...] Hr Händel veranlasste sofort, sie ihm zu senden,
    und nachdem sie ihm gebracht wurden, spielte er sie alle durch, ohne sich vom Instrument zu erheben."


    Gruß :hello:


    aus der Kurpfalz


    Bernhard

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  • Zitat

    Original von wiesengrund


    Ähem, was studierst du denn? Haben dir deine Professoren schon erklärt, dass eine wissenschaftliche Recherche nicht mittels Befragen eines Internetforums funktioniert? Die Antworten, die du hier erhältst - auch wenn sie richtig sind - sind in deinem institutionellen Rahmen vollkommen wertlos.
    Den Weg zur Uni-Bibliothek hast du aber schon ausfindig gemacht?
    d


    hallo wiesengrund,
    du hast natürlich Recht, es ist nur sehr schwer ohne Anhaltspunkte entsprechende Bücher zu finden, deswegen starte ich hier mit der Befragen um einige Fälle zu finden und um diese dann als Ausgangsbasis für meine Recherche zu nützen!(an dieser Stelle: besten Dank an Bernhard, der mir gleich das entsprechende Buch dazu geschrieben hat, das erspart mir viel Sucharbeit!!)
    Aber danke für den Hinweis, wenn ichs nicht gewusst hätte wär ich jetzt schlauer!
    Vielleicht hast du ja gleich ein gutes Buch, das mir weiterhilft parat?
    Danke jedenfalls an dich und alle anderen bisherigen Antworter!
    ich vergas noch zu antworten: ich studiere, nicht wie vermutet Jura, sondern eine Zusammensetzung aus Betriebswirtschaft und Maschinenbau.

    2 Mal editiert, zuletzt von Dominik ()

  • In einem Artikel von Herrn Frith habe ich soeben folgendes gelesen: The history of music is full of examples of copying and unauthorized use; music piracy is not a new phenomenon – Haydn and Beethoven suffered from it in the eighteenth century and Rossini in the nineteenth before copyright law was established and, even after authors' rights had been introduced in Italy, Verdi took endless unsuccessful precautions to prevent unauthorized copying of his works.
    kann mir dazu evtl. noch mehr sagen?
    inwiefern litten sie darunter? haben sie weniger verdient?
    Haben sie etwas dagegen unternommen, wenn es schon keine Gesetze gab? haben sie vielleicht Selbstjustiz geübt?