Musik und Politik - Deutsche Dirigenten im 20. Jahrhundert

  • Hallo, liebe Musikfreunde,


    zu diesem Thema wurde ich angeregt durch Alfreds „Wer versteht als Nicht-Wiener, was Mozart, Beethoven und Brahms in Wien festgehalten hat ?“. In einem Beitrag wird das Unbehagen über die deutschen Klassikzeitschriften auf den Punkt gebracht: Für sie ist es am besten, wenn „die Strukturen des Werkes offenlegend, jeden Schönklang vermeidend, entschlackt und zeitgemäß“ gespielt wird. Dagegen das „weiche Klangbild“ österreichischer Orchester ...


    Finde ich mich als Nicht-Wiener und Norddeutscher darin wieder? Irgendwie ja und nein. Die mir wichtigen historischen Aufnahmen mit deutschen Dirigenten stammen von Vertretern einer Generation: Schuricht (1880), Klemperer (1885), Furtwängler (1886), Knappertsbusch (1888 ), Kleiber (1890, der einzige Wiener in dieser Gruppe), Busch (1890), Scherchen (1891).


    Ihre Zeit war vom Expressionismus geprägt und bisweilen von Neuer Sachlichkeit (was wohl am stärksten auf Klemperer zutrifft). Dennoch gelten sie sicher als Beispiele romantischer Musik und damit genau das Gegenteil dessen, was dann später jahrzehntelang in deutscher Musikkritik gültig war. Dank ihrer Leistung erlebte Deutschland in der Zeit nach Brahms eine ungeahnte musikalische Blüte. Wahrscheinlich hätte es Beethoven und Brahms dann nicht mehr unbedingt in Wien festgehalten.


    Viele Vertreter der nächsten Generation mussten wiederum auswandern, so: Horenstein (1898 ), Steinberg (1899)(Abbildung), Leinsdorf (1912, ein weiterer Dirigent aus Wien), Sanderling (1912). Diesen Bruch hat die deutsche Musikkultur nicht verkraftet. Die großen deutschen Orchester werden seit 1945 nur noch in seltenen Fällen von Deutschen dirigiert.



    Wie hätte es sein können: Horenstein, Steinberg, Leinsdorf, Karajan übernehmen das Pult von Furtwängler, Klemperer, Knappertsbusch und Fritz Busch, so wie in Amsterdam eine echte Tradition von Mengelberg über van Beinum zu Haitink gelungen ist. Celibidache, Fricsay, Bour sind herzlich willkommen, wenn ihnen Deutschland ein attraktiver Ort ist. Ideen der nächsten Generation wie Wand, Gielen und Zender werden gefördert und finden den ihnen gebührenden Entwicklungsraum.


    Aber es kam bekanntlich ganz anders. Das Schlimmste war, dass auch hier eine „Unfähigkeit zu trauern“ vorherrschte. Die deutschen Klassikzeitschriften haben einfach aus der Not eine Tugend gemacht: Wenn schon die deutsche Tradition gebrochen war, dann einfach so tun, als gäbe es sie gar nicht, und damit auch keinen Bruch und keinen Schmerz. Stattdessen Aufspringen auf eine vermeintliche internationale Kultur, die statt in Traditionen ihren Grund in zeitloser Werkanalyse sucht. Das war natürlich ein Missverständnis amerikanischer Dirigentenkultur. Nur oberflächlich war Toscanini das Ideal. In Wahrheit wollte niemand mehr daran erinnert werden, wie er etwa aus Bayreuth und Salzburg verdrängt worden war, und nun sehr schnell nach 1945 die gleichen wieder in Amt und Würden kamen, die vorher die Gleichschaltung auf dem Gebiet der Musik vollzogen hatten.


    Mit Schönklang wurde Kitsch und Lebenslüge verbunden, um sich der Frage nach der eigenen Lebenslüge nicht stellen zu müssen, entsprechend der Gleichung: Wer auf Schönklang verzichtet, macht sich keiner Lebenslüge schuldig. Ich bin mir bewusst, welch schwieriges Feld hier betreten wird. Denn natürlich gibt es das auch, in Schönklang auszuweichen, wodurch er Kitsch wird. Offenbar ist das Maß falsch, Musik nach Schönklang, Entschlackung, Strukturen zu beurteilen. Eher ist die Frage, ob ein Werk und eine Aufführung aufrütteln können oder wieder zu innerer Ausgeglichenheit zurückführen, statt gehobene Langeweile und Selbstgenügsamkeit zu zelebrieren, selbst wenn alles in gewisser Weise schön klingen mag. Auch Werktreue heißt für mich nicht, ein Werk wie einen Fremdkörper in einem Museum zu präsentieren, in historischen Kostümen und gemäß der neuesten kritischen Editierung, sondern es so vorzutragen, dass die eigene Stimme des Komponisten und Interpreten zu hören sind und den Hörer bewegen, sich zu öffnen und von Neuem anregen zu lassen.


    Ich kann sehr gut verstehen, was Gielen, Zender (und in den frühen Jahren Wand) wollten, und warum in den neu gegründeten Rundfunk Sinfonie Orchestern etwas Neues gesucht wurde, das sich radikal abwandte von den großen Orchestern früherer Zeit, die nach der Erfahrung des Nationalsozialismus und der freiwilligen zweiten Gleichschaltung an eine vermeintliche internationale Kultur nicht mehr als Vorbild dienen konnten. (Wie Karajan sich in diesen Zeiten bewegt hat, ist ein Thema für sich, und dafür gibt es ja auch bereits einen eigenen Thread.)


    Und doch entstand da eine innere Leere, und ich kann Alfreds Unbehagen sehr gut verstehen. Mit gewisser Sehnsucht mag ein Deutscher da auf Wien blicken, dem es in der Nachkriegsgeschichte trotz aller Skandale (vielleicht auch gerade wegen der Fähigkeit zu solchen Skandalen, ich denke hier etwa an Thomas Bernhard und was er über die Musik in Österreich zu sagen weiß) besser gelungen scheint, zu seiner Tradition zu stehen.


    So aber haben die Dirigenten in Deutschland einen wichtigen Anteil an der Internationalisierung, die zu einem großen Teil durch sie erst hergestellt worden ist. Wie ist es möglich, wenn Jansons zugleich Chefdirigent in München und Amsterdam, Nagano in Berlin und Los Angeles ist? Da bleibt nur zu hoffen, dass die Bewunderung des Spätwerks von Wand und Celibidache mehr als ein Lippenbekenntnis ist und zu einer Umkehr führt, auch wenn ich dafür im Moment kaum Anzeichen sehe. Andernfalls werden die nächsten Beethoven und Brahms wieder im Ausland eine neue Heimat suchen müssen, wenn sie überhaupt noch unter den heutigen Umständen der Musik neue Wege öffnen können.


    Viele Grüße,


    Walter