Die Buhmänner - Opern- versus Konzertpublikum

  • Ich habe mir oft die Frage gestellt, warum es eigentlich durchaus üblich ist, daß in der Oper "gebuht" wird - hingegen im Konzertsaal kaum oder gar nicht. Letzteres gilt in verschärfter Form auch für Kammermusik..


    Natürlich gab es handfeste Konzertskandale - aber waren sie nicht immer die Ausnahme ?


    Ähnliche Tendenzen erlebe ich auch hier im Forum: Während die Threads über klassische Konzerte oder Sinfonien stets im abgesteckten Rahmen bewegen, gibt es in den Opernthread doch gelegentlich Turbulenzen. Die Frage ist nun: Wodurch sind diese Unterschiede existent ???


    mfg aus Wien


    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Das ist ein sehr interessantes Thema.


    Ich denke, daß es viele Gründe gibt.


    Zuerst ist die Oper plurimedial, man hört, und man sieht. Wenn man nun das Regietheater oder konservative Inszenierungen nicht mag, dann ärgert man sich besonders, weil einem der Eindruck eines geliebten Stückes getrübt wird. Das Problem gibt es im Konzert eigentlich nicht.


    Ich habe den Eindruck, daß es auch an den Solistenpersönlichkeiten liegt, die in der Oper doch weitaus ausgeprägter, schauspielerhafter, divenhafter sind. Solche Persönlichkeiten reizen, entweder zu euphorischem Zuspruch oder zu Ablehnung. Einen Hype wie um Anna Netrekbo würde ein Krystian Zimmerman nicht um sich machen.


    Ich denke, der Sänger kann mehr Persönlichkeit durch sein Instrument transportieren als ein Instrumentalist. So etwas führt dann zu besonders starker Identifikation oder eben heftiger Abneigung. Umso stärker die Person bei Instumentalisten durchdringt, umso stärker auch die Neigung zu extremem Zuspruch oder extremer Ablehnung. Ich habe das bei Diskussionen über Horowitz erlebt.


    Der Sänger braucht im Musizieren nicht so genau zu sein wie ein Instrumentalist. Ich glaube z.B., daß gute Instrumentalisten in der Regel unvergleichlich bessere Musiker sind als die meisten Sänger. Sänger nehmen sich Freiheiten, die anecken können. Siehe wieder Bonisolli, der überall hohe Cs anbrachte (sogar in Aida) oder Corelli, der überall Portamenti sang. Man fragt sich: wer steht hier im Mittelpunkt? Franco oder das Werk?


    Instrumentalisten sind genauer, feiner, korrekter, versierter, haben in der Regel mehr Respekt vor dem Werk und benehmen sich nicht wie Diven - abgesehen von Lang Lang und Konsorten, wo sich auch wieder die Frage stellt, wie ernst diese Leute zu nehmen sind. Instrumentalisten müssen sich ebensowenig wie das Publikum mit Inszenierungen herumärgern. Und da ist man dann auch gesitteter: Man klatscht eben, oder nicht.


    :hello:
    M.

  • Konzerte sind ja kein Privileg von Instrumentalisten. Auch Sänger geben Konzerte, dennoch wird dort selten gebuht. Wie passt das zusammen?
    Ich denke eher, dass Mengelbergs erste Vermutung stimmt und die Inszenierung viel Streitpotential birgt. Hier geht es sowohl um weltbewegende Unterschiede wie modernes Regietheater oder konservative Inszenierung, als auch um feinere Nuancen in der Gestaltung einzelner Szenen o.ä. Im Konzert dagegen fällt die Regie weg und damit auch eine der Hauptursachen für Meinungsverschiedenheiten, denke ich.


    Nachtrag:
    Die meisten Konzerte werden wohl von einem oder wenigen Künstlern gestaltet, während man es in der Oper mit einer Masse an Mitwirkenden zu tun hat. Die Chance, dass da z.B. viele Zuhörer einen bestimmten Sänger nicht mögen, ist weitaus höher als im Konzert, das man ja bei ungeliebten Protagonisten vermutlich gar nicht besuchen wird.

  • Meine Lieben !


    Ich gebe Euch voll recht.
    Ihr kennt doch diese Typen, die damit sich brüsten, die Inszenierung aus dem Jahr 1946 aus dem TAW genau zu kennen, denn damals wurde Qualität aus dem Nichts gemacht, weil kein Geld da war ! Und heute wird für so einen Schund so viel Geld hinausgeschmissen !


    Da müssen wir doch etwas dagegen haben - oder nicht ?


    Euer Operngernhörer ;( ;( ;(

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  • Weil Konzerthörer mehr Sachverstand mitbringen und mental das 19. Jahrhundert in der Regel bereits verlassen haben...


    Grüße aus dem Wiesengrund

  • Ich denke, wenn ein Sänger seine Arie singt, steht er alleine da und er muss das bringen, was die Zuhörer von ihm erwarten. Gefällt es, bekommt er ein Bravo, gefällt es nicht, wird er ausgebuht.


    Eiin Sänger ist immer der Mittelpunkt in einer Oper, auf ihn konzentriert man sich, ein Orchester ist meistens Nebensache, leider und wird nicht so bewertet wie ein Sänger. Die meisten Zuhörer gehen in die Oper um die Sänger zu hören, ihre Stars zu sehen, sind sie gut, werden sie ummubelt, sind sie schlecht, werden sie ausgebuht.


    Ein Orchester ist eine Gruppe, sie alle auszubuhen bedarf schon ein sehr schlecht gespieltes Werk, kommt wohl selten vor.

  • Bei dieser interessanten Fragestellung antwortete Mengelberg sehr differenziert und kompetent.
    Oper - die nach Oscar Bie - unmögliche Kunstform spricht mehr Sinne an, als ein reines Konzertprogramm. Dadurch werden mehr Emotionen ausgelöst, positiv wie negativ. Für mich war es immer beeindruckend, wenn in Bayreuth das überwiegend reifere Publikum Gefühlsaubrüche zeigte, die jedem Pop-Konzert angemessen gewesen wären.
    Herzlichst
    Operus

    Umfassende Information - gebündelte Erfahrung - lebendige Diskussion- die ganze Welt der klassischen Musik - das ist Tamino!

  • Stravinskys "Le Saccre du Printemps" ist zwar keine Oper sondern ein Ballett,aber auch hier werden nicht nur die Ohren sondern auch die Augen beteiligt wie bei einer Opernaufführung.
    Der "Skandal" der Uraufführung beruhte nicht auf der Musik sondern galt der Darstellung durch das Ballett,das zu freizügig für die damalige Zeit empfunden wurde.
    Hätte man damals eine konzertante Aufführung gegeben,wäre vermutlich der Skandal ausgeblieben.
    Dies unterstreicht die Vermutung,daß im Konzert die Buhrufe unterbleiben,weil es visuell nichts zu beanstanden gibt.

    mfG
    Michael

  • Bei der Oper spielt außerdem der hohe Grad an Neu-Interpretation eine große Rolle, die über die normalen Grenzen des Reproduzierens weit hinaus geht. Während ein Instrumentalist (sofern er als seriös gelten will)mit Verantwortung das Werk verwaltet und in stregen Grenzen interpretiert, ist in der Oper dasjenige Element, das in stregen Grenzen interpretiert werden kann, nur ein Teil, sofern die Sänger sich denn daran halten: die Musik. Die Oper verfügt daneben über den visuellen Part sowie das Libretto. Beides kann gegen den Strich gebürstet werden und besonders dann provozieren, wenn religiöse und politische Themen im Fokus stehen. Man denke an Hans Neuenfels' Jesus, der in Verdis Forza statt einer Dornenkrone eine Lichterkette im Haar trug. Irgendwann fing sie zu blinken an, und Jesus erhob sich vom Kreuz und begann zu tanzen. Das Resultat war ein Eklat - na klar.


    Es dürfte für einen Pianisten schwierig sein, einen derartigen Effekt im Konzert zu erzielen, selbst bei extrem eigenwilligen Interpretationen à la Martins oder Gould.


    Die Botschaften in der Oper sind durch das Medium Text viel einfacher zu greifen. Man kann anhand ihrer einfacher provozieren und sich schneller provozieren lassen. Konzertante Musik ist dafür zu abstrakt. Mit einer Interpretation eines Chopin-Walzers zu provozieren, wird schwierig sein, wenn der Interpret nicht radikal vom notierten Text abweichen und damit seinen Ruf als ernstzunehmenden Musiker verlieren will.


    Eines noch: In Zeiten, wo klassische Musik die einzige Musik war, die es zu hören gab, gab es ja wohl ebensolche Eklats im Konzertsaal - da sich Zuhörer durch moderne Ansätze provoziert fühlten. Mahler hatte es z.B. nicht leicht. Man denke auch an die Komponisten um Schönberg. Da war moderne Musik ein Politikum - und zack, es wurde gebuht.


    :hello:
    M.

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  • Ausnahmsweise möchte ich Buhrufe in der Oper nicht ausschließlich dem Regietheater anlassten. Gebuht in der oper wurde schon zu Zeiter, als es noch kein Regietheater gab.
    Schon zu Mozarts und Rossinies Zeiten gabe es sogenannte Claqueure, welche gegen Bezahlung das Geschehen auf der Bühne mit frenetischen Applaus bedachten - oder mit Pfiffen und Buhrufen.


    Der Überlieferung nach soll Paisello Rossini zwar formell die "Erlaubnis"
    (Rossini hätte sie nicht gebraucht, aber er fragte höflichkeitshalber bei Paisello an, der das Libretto schon Jahre zuvor erfolgreich vertont hatte)
    zur erneuten Komposition des "Barbiere" gegeben haben - dann aber eine Gruppe von Anhängern in die Premiere geschickt haben, welche
    an Passender Stelle gezischt haben. Eine gerissene nGitarrensaite und eine miauendend Katze die über die Bühne lief taten dann ein übriges - das Fiasco war perfekt....


    Auch wenn heute berechtigte Zweifel bestehen, daß sich das Ganze wirklich so abgespielt hat - es ist ein schönes Beispiel für ein ausrastendes Opernpublikum.


    Oft genügte es, wenn ein Tenor das hohe C verfehlte, gnadenlos wurde er ausgepfiffen...!!
    Irgendwie ist hier ein Sportives Element im Spiel, wo der "Versager" bestraft wird....


    Es gibt auch wunderbare Ton - und Videoaufzeichnungen, wo ein Sänger mit seinem Publikum in Interaktion tritt und an der Rampe in den Zuschauerraum schreit, die Leute mögen gefälligt ihr Maul halten...


    Mir sind eigentlich aus dem Konzertsaal keine solchen belebnden Ereignisse bekannt, das Publikun ist dort eher förmlich...... ;)
    und gelegnetlich auch wohlwollend....


    mfg aus Wien


    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Eine ganz blöde Idee zum Ausbuhen in Oper und Konzert:


    • Kann es vielleicht an der größeren Anonymität in der Oper liegen?
    Hier ist der Zuschauerraum abgedunkelt. Nur ein paar Plätze in der Nähe bekommen meine Unmutsäußerung mit.
    • Im Konzertsaal trifft dies nicht zu. Da stehe ich als Buhrufer auch im „Rampenlicht“, was ich vielleicht optisch gar nicht will.

    Otto Rehhagel: "Mal verliert man und mal gewinnen die anderen".
    (aus "Sprechen Sie Fußball?")

  • Ich denke, Rienzis Idee ist gar nicht so "blöd".


    Ich selbst gehe seltenst in Konzerte, bin ein fast ausschließlicher Operngänger.

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Zitat

    Original von Rienzi
    • Kann es vielleicht an der größeren Anonymität in der Oper liegen?
    Hier ist der Zuschauerraum abgedunkelt. Nur ein paar Plätze in der Nähe bekommen meine Unmutsäußerung mit.
    • Im Konzertsaal trifft dies nicht zu. Da stehe ich als Buhrufer auch im „Rampenlicht“, was ich vielleicht optisch gar nicht will.


    Daß der Zuschauerraum abgedunkelt ist, ist ein Phänomen des ausgehenden 19. Jahrhunderts. Davor waren die Zuschauerräume hell erleuchtet, und man las die Libretti mit. Gebuht wurde trotzdem...


    :hello:
    M.

  • Lieber Mengelberg,


    Hast auch wieder Recht.


    Eine weitere Schnapsidee: Im Konzert hast Du in der Regel zur 3 Protagonisten (Dirigent, Orchester, Solist).
    In der Oper ist das Buh-Spektrum wesentlich größer (von Regisseuren bis zu den Sängern, jeder kann drankommen).
    Vielleicht hört der Durchschnittsbesucher (z.B. ich) sängerische Fehlleistungen (Regie ist ein spezielles Thema) klarer als "Orchesterinkongruenzen".
    Sollte Michael Schlechtriem diese Beiträge lesen, würde mich interessieren, wie er als Profimusiker darüber denkt.


    GW

    Otto Rehhagel: "Mal verliert man und mal gewinnen die anderen".
    (aus "Sprechen Sie Fußball?")

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