MITRIDATE, Ré di Ponto
Opera seria in tre atti
Libretto von Vittorio Amadeo Cigna-Santi
nach der Übersetzung der Tragödie von Jean Racine
durch Abbate Giuseppe Parini
Uraufführung: 26. Dezember 1770 in Mailand
Mithridate im Opernführer:
MOZART Wolfgang Amadeus: MITRIDATE, RE DI PONTO
Die erste großen Italienreise der Familie Mozart findet vom 13.12.1769 bis 28.03.1771 statt, damit nicht der Wolfg: in die Jahre und denjenigen Wachsthum kommt, die seinen Verdiensten die Verwunderung entziehen (Leopold Mozart, 11.05.1768 ). Bereits fünf Jahre zuvor hat Wolfgang Amadé Mozart von dem Kastraten Giovanni Manzuoli (1720-1782) in London Gesangsunterricht erhalten - Anfang Februar 1770 komponiert der gerade 14jährige zwei (heute leider verschollene) lateinische Motetten für 2 junge (15- und 16jährige) Kastraten in Mailand. Er hört Opern von Johann Christian Bach (1735-1782), Nicola Piccini (1728-1800), Niccolò Jommelli (1714-1774) und Johann Adolf Hasse (1699-1783). Während einer Soirée des Grafen Karl Josef von Firmian (1712-1782) in Mailand werden drei Arien Mozarts aufgeführt. An diesem 12. März (1770) erhält Mozart den Auftrag (Scrittura), für die kommende Saison des Mailänder Regio Ducal Teatro eine abendfüllende Opera Seria zu komponieren. Die Gage wurde mit 100 Goldgulden sowie freier Logie während des Aufenthaltes in Mailand festgesetzt.
Die Mozarts setzten Ihre Tournee durch Italien fort. Der junge Komponist hatte bis Oktober die Rezitative für die ersten Proben nach Mailand zu senden und die Arien vor Ort den Sängerinnen und Sängern auf den Leib zu schreiben. Dieses Verfahren wurde seinerzeit von allen bekannten Seriakomponisten angewandt: Die Rezitative wurden am jeweiligen Aufenthaltsort der vielbeschäftigen Meister in Standardstimmlagen vorgefertigt, die Arien auf die jeweiligen Künste der begnadeten Kastraten und Primadonnen detailliert und vor Ort zugeschnitten, so daß auch noch Änderungswünschen entsprochen werden konnte. So erschien beispielsweise Johann Christian Bach Mitte August 1778 (im Gepäck: Rezitative seiner neuen Oper 'Amadis de Gaulle' und sein Kastrat Tenducci) in Paris, um seine Oper fertigzustellen.
Die Reise der Mozarts geht von Mailand aus weiter über Bologna (wo sie den Kastraten Carlo Broschi gen. Farinelli besuchen), Florenz (3. April: Der Kastrat Giovanni Manzuoli singt Arien Mozarts), Siena, Orvieto, Rom, Neapel (30. Mai: Besuch der Oper 'Armida abbandonata' von Jommelli in Teatro San Carlo), erneut Rom (Juni, im Juli wird Mozart zum 'Ritter vom Goldenen Sporn' ernannt), Bologna (27. Juli: Mozart bekommt das Textbuch zu 'Mitridate', Treffen mit Joseph Myslivecek und dem Kastraten Giuseppe Manfredini, 29. September: Mozart beginnt mit der Komposition der Rezitative!) zurück nach Mailand, wo sie am 18. Oktober einreffen.
Das Gros der Rezitative wurden also in der knappen Zeit von etwa drei Wochen komponiert, was für den jungen Komponisten nicht folgenlos blieb: Ich kan nicht viell schreiben dann die finger thuen sehr weh von so viel Recitativ schreiben [...] (20. Oktober 1770). Anfang Dezember 1770 (nicht einmal vier Wochen vor der Premiere!) beginnen die wirklichen Proben zur Oper mit auf 16 Musiker reduziertem Orchester. Die Uraufführung findet am Abend des 26. Dezember 1170 statt. Die Besetzung war die folgende:
Mitridate (Tenor) Guglielmo d'Ettore
Aspasia (Sopran) Antonia Bernasconi
Sifare (Soprankastrat) Pietro Benedetti
Farnace (Altkastrat) Giuseppe Cicognani
Ismene (Sopran) Anna Varese
Marzio (Tenor) Gaspare Bassano
Arbate (Soprankastrat) Pietro Muschietti
Besetzungsstärke des Orchesters: 54 (56) Musiker
14 erste Violinen
14 zweite Violinen
6 Bratschen
2 Violoncelli
6 Kontrabässe
2 Flöten
2 Oboen
4 Hörner
2 Trompeten
2 Fagotte
1. Cembalo und Leitung: Wolfgang Amadé Mozart
2. Cembalo: Giovanni Battista Lampugnani
Drei Kastraten also, die knappe 50% der Solistenbesetzung ausmachten, wie es sich für eine sogenannte Kastratenoper gehört.
Der Erfolg war atemberaubend: Was sich zunächst eher nüchtern liest, nämlich: die Oper sei mit allgemeinem Beyfall vorsich gegangen (L.M. 29.12.1770), muß wie folgt präzisiert werden: Wider aller Gewohnheit und in Mailand erstmals mußte eine Arie der Primadonna gemäß Leopold Mozarts Bericht wiederholt werden, nach beinahe jeder Arie folgte ein erstaunliches Händeklatschen und Viva-il-Maestro- oder Viva-il-Maestrino-Rufen. Am Abend darauf wurden zwei Arien der Primadonna wiederholt, die Wiederholung des Duetts wurde wegen zu weit vorgerückter Stunde abgewürgt. Das gesamte Event dauerte 6 Starke Stund, denn die Oper wurde nach jedem Akt noch mit Balletten von Francesco Caselli garniert. Die Balletteinlagen wurden mit zunehmender Häufigkeit der Aufführungen immer weiter gekürzt... Insgesamt wurde Mitridate 20 Mal in der Saison 1770/1771 gegeben. Es ist davon auszugehen, daß Mozart selbst lediglich seinen musikalischen Part dirigierte und die Leitung der Balletteinlagen vom 2. Cembalisten übernommen wurden.
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Leider hält sich das Autograph zur Oper noch versteckt. Allerdings zeugen etliche erhaltene Erstfassungen der Arien von dem nervenaufreibenden 'Arrangement' mit den Sängern der Uraufführung. Folgende Erstfassungen sind erhalten (und - soweit möglich - eingespielt):
Aria N° 1 (G-Dur anstelle C-Dur) Al destin che la minaccia (Aspasia)
Aria N° 9 (mit Oboen, 2 Hörnern, 2 Trompeten) In faccia all' oggetto (Ismene)
Aria N° 13 (unvollständig) Lungi date, mio bene (Sifare)
Aria N° 13 (Variante ohne Solohorn)
Aria N° 14 (unvollständig) Nel grave tormento (Aspasia)
Arie N° 16 Son reo, l'error confesso (Farnace)
Duetto N° 18 (Es- anstelle A-Dur, 2 anstelle von 4 Hörnern) Se viver non degg'io (Aspasia, Sifare)
Aria N° 20 Vado incontro al fatto (Mitridate)
Je drei Änderungen für Aspasia und Sifare, sowie je eine (als sei es das Mindeste, was man verlangen muß!) für Ismene, Farnace und Mitridate sprechen für sich: was müssen insbesondere die Kastraten für Dramaqueens gewesen sein...
Ulli
Quellen:
Wolfgang Amadeus Mozart: Neue Ausgabe sämtlicher Werke, Band IV, Bühnenwerke I (Bärenreuter/dtv)
Chronologisch-thematisches Verzeichnis sämtlicher Tonwerke Wolfgang Amadé Mozarts von Dr. Ludwig Ritter von Köchel, 8. Aujflage, 1983 (Breitkopf & Härtel)
Mozart, Briefe und Aufzeichnungen, Gesamtausgabe, Band I (Bärenreiter/dtv)
Wolfgang Amadeus Mozart, Chronik eines Lebens, zusammengestellt von Joseph Heinz Eibl (Bärenreiter, 1965)