Live aus Salzburg: "Le nozze di Figaro" - Hype Hype hurra!

  • Zitat

    Original von Bernd Schulz
    Zur Inszenierung schweige ich lieber.


    Liebe Taminos,


    bei allem was an berechtigter Kritik geäußert wurde- warum eigentlich zur Inszenierung schweigen?


    Auf die Gefahr hin jetzt von dem einen oder anderen des kulturellen und musikalischen Banausentums geziehen zu werden bekenne ich frank und frei, dass mir die Inszenierung grundsätzlich gefallen hat- was mir nicht gefallen hat dazu später mehr.


    Ob einem eine Inszenierung zusagt oder nicht, ist zum einen natürlich eine Frage des persönlichen Geschmacks zum anderen eine Frage der Haltung mit der ich einer Inszenierung begegne: Habe ich eine fixe Vorstellung davon wie man das Stück aufführen muss (Welche Inszenierung kann wohl dann vor diesem inneren Richter bestehen?) oder versuche ich der dargebotenen Sichtweise mit so viel Objektivtät als möglich zu folgen- sine ira et studio.


    Der Regisseur hat sich entschieden nicht eine lockere leichte Komödie mit gesellschaftskritischen Ansätzen sondern ein Gesellschaftsdrama zu bieten. Und ich denke diese Interpretion ist zulässig und der Geist des Stückes damit keineswegs verfehlt. Mir persönlich hat das minimalistische Bühnenbild gefallen und die schauspielerische Leistung alller Akteure fand ich ebenfalls überzeugend.


    Musikalisch besonders herausragend (und das wurde hier ja schon mehrfach geschrieben): Christine Schäfer. Das übrige Ensemble bot eine giute bis sehr gute Leistung.


    Schwierigkeiten hatte ich zu Beginn mit dem Dirigat von Harnoncourt (was sich dann aber gegeben hat) und mit der Leistung des Orchesters (die sind geblieben) .


    Sicher haben wir keine Jahrhundert-Interpretation gesehen (War eine solche Erwartungshaltung überhaupt realistisch?) aber eine mehr als ordentliche Leistung schon. Alles andere ist eine Frage des persönlichen Geschmacks.


    Herzliche Grüße,:hello::hello:


    Christian

    Beherrsche die Sache, die Worte werden folgen! (Cato der Ältere)

  • Alos gut, dann doch ein paar Sätze zur Inszenierung: Ich fand sie aus ähnlichen Gründen wie Alfred katastrophal. Der Figaro, so wie er von Beaumarchais, Da Ponte und Mozart konzipiert wurde, ist ein Gesellschaftsdrama. Um das deutlich zu sehen, brauche ich keine dunklen Kostüme aus dem späten 19. oder frühen 20. Jahrhundert, ich braucht keine Barberina, die aussieht wie aus dem Nazi-Mädel-Internat entsprungen, und ich brauche auch keinen unmotiviert in der Gegend herumhopsenden Flügelheini. Im Gegenteil, all das behindert mich ungemein bei der Rezeption des Werkes.


    Und ebenso ärgert mich ein bis zur völligen Unglaubwürdigkeit überzogenes Geschauspielere der Protagonisten. Auch gestern hatte ich immer wieder den Eindruck einer billigen Schmierenkomödie (wobei die Netrebko noch am besten zu ertragen war).


    Damit ich nicht falsch verstanden werde: Ich erwarte keine Plüsch-Inszenierung im Wiener Zuckerbäckerstil. Aber ich möchte ein Stück glaubwürdig und in irgendeiner Form zur Musik und zum Text passend umgesetzt sehen. Für meinen Geschmack war das gestern mitnichten der Fall. Die Bühne hat mich teils massiv gestört, teils regelrecht angewidert.


    Viele Grüße


    Bernd

  • Hallo Bernd,
    Du hast vollkommen recht.Ich brauche auch keine Plüschatmo
    auf der Bühne.Einige Wände,die mal verschoben werden,reichen
    schon.Ich habe Inszenierungen von O.F.Schuh,mit dem Bühnen=
    bildner C.Neher gesehen,die waren auch modern,aber sie ver=
    änderten nicht das ganze Werk.Anscheinend ist das heute nicht
    mehr möglich,schade.


    :hello:Herbert.

    Tutto nel mondo è burla.

  • Hallo Observator,


    so lange habe ich nicht ausgeharrt.Die kommt doch erst


    ziemlich spät und sucht eine Nadel,oder?


    :hello:Herbert.

    Tutto nel mondo è burla.

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  • Zitat

    Original von Herbert Henn
    Hallo Observator,


    so lange habe ich nicht ausgeharrt.Die kommt doch erst


    ziemlich spät und sucht eine Nadel,oder?


    Lieber Observator,


    ich habe so lange ausgeharrt :D (Himmel hat mir der Allerwertestes wehgetan ....) also, um auf Deine Frage zurückzukommen: Es war (verzeih mir die Plattitüde) herzergreifend .... Wenn man den Text nicht kennen würde, hätte man meinen können, Barberina würde wer weiß was für einen Verlust beklagen- nur nicht eine Nadel.


    Herzliche Grüße,:hello: :hello:


    Christian

    Beherrsche die Sache, die Worte werden folgen! (Cato der Ältere)

  • Hallo Observator,


    Du hast recht,das ist furchtbar traurig.


    Jetzt läuft mir auch die Träne die Wange herab ;(


    :hello:Herbert.

    Tutto nel mondo è burla.

  • Hallo Herbert,


    daß man heute nur selten eine Oper einigermaßen wiedererkennbar erleben kann, ist auch der Hauptgrund, warum ich zwar nicht nie, aber immer seltener ein Theater von innen sehe.


    Mein Lieblingskomponist schrieb schon 1929 (!) folgende verbitterte Zeilen:


    >Was aber nicht vergessen werden darf...:daß dieser Unfug das Leichteste und Billigste von der Welt ist, nämlich "Ideen" zu haben, d.h. ein Werk vor sich zu haben, dessengleichen vielleicht alle fünfhundert Jahre in der Welt erscheint, aus höchster schöpferischer Erleuchtung empfangen und mit schwerster Anstrengung geboren, das seiner Wirkung seit hundert Jahren sicher ist, - und nun auf Rechnung von dessen allgemeiner Bekanntheit und Berühmtheit, von außen her Tollheiten hineinzutragen, die nichts mit ihm zu tun haben. Jeder Dummkopf hat da leichtes Spiel... Ich empfehle, als zeitgemäß, ein neues Gesellschaftsspiel für Kinder, es heißt "Spielleiter mit Idee". Aufgeweckte Kinder von sieben Jahren an können da ganz gut mitspielen. Jeder kriegt ein berühmtes Theaterstück, und muß nun Ideen zu einer Inszenierung sagen, es gilt aber nur das, was noch nie da war. Also: Adolf kriegt "Penthesilea". Er läßt die Amazonen auf Motorrädern kommen. Emil kriegt den "Hamlet". Er macht aus dem Helden ein Mädchen "Hamletine" und aus der Ophelia einen Kavalier "Ophelius". Lieschen kriegt den Freischütz. Sie läßt die Wolfsschlucht ganz fort, und legt statt ihrer eine kleine Revue ein. Karlchen kriegt den ersten Preis: er läßt den Lohengrin auf einem Känguruh kommen. Dies war bestimmt noch nicht da, während das bei den drei vorhergehenden "Ideen" doch etwas zweifelhaft wár. Fritzchen kriegt den "Wilhelm Tell". Da er einen schönen Baukasten hat, möchte er das ganze Stück auf einer Treppe spielen lassen. Das war aber in Berlin schon da - und so verliert er leider. Als erste Regel aber des Spieles gilt; Wer es vergißt, das, was im Stück links stand, nach rechts zu stellen, und umgekehrt - der zahlt einen Knopf! >


    Viele Grüße


    Bernd

  • hallo Bernd,
    das ist in der Tat erstaunlich.1929 gab es ja dieses"Regietheater"
    noch gar nicht.Pfitzner hat da anscheinend in die Zukunft geblickt.


    :hello:Herbert.

    Tutto nel mondo è burla.

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  • Wenn das wie ich hier lesen kann, angeblich so furchtbar war, dann versteh ich nicht, daß es hier manche gibt, die sich das aus freier Entsacheidung bis zum bitteren Ende angetan haben. Ich selber versuchte, die erste Halbzeit, (man verzeih mir den Ausdruck aus dem Fußball), auf dem Sofa liegend, zu überstehn.
    Nach ungefähr 25 Minuten jedoch muss ich entschlummert sein.
    Nach dem Aufwachen ging ich duschen und danach in den schönen Biergarten
    am Bundeskanzleramt, wo ich mir 3 Hefeweizen trefflich munden ließ.
    So wurde das Ganze doch noch ein gelungener Abend.

    Das geht über das Sagbare hinaus. Das läßt sich nicht deuten und bedarf keiner Deutung. Es kann nur gehört werden. Es ist Musik. (H.H.Jahnn)

  • BigBerlinBear, nun ja, man will ja am nächsten Tag so fundiert wie möglich lästern können :D.
    In meinem Fall handelte es sich außerdem nach der Pause um eine Art gesellschaftliche Veranstaltung (ich habe die Übetragung dann zusammen mit Freunden gesehen). Wir hatten auch durchaus unseren Spaß. Vor der Glotze muß man ja nicht ständig seinen Mund halten...


    Herbert, offensichtlich gab es in den 20ger Jahren schon eine Art "Regietheater". Pfitzner nennt das auch so und beklagt sich darüber daß man schon seit einigen Jahren kein Stück mehr so sehen könne, wie es gedacht sei. Über die meisten seiner damaligen "Probleme" können wir heute nur noch schmunzeln, und seine ultrakonservative Kunstauffassung möchte auch ich sicherlich nicht in allen Punkten teilen. Aber im Kern gebe ich ihn bei vielen seiner Aussagen Recht.


    Hier noch zwei Kostproben: "Unter den Spielleitern mit dem Willen gegen das Werk ist ein neuer, furchtbarer Typus aufgetaucht: der unmusikalische Schaupieler, der Opern inszeniert. Dieser wütet vor allem gegen die Musik. Es ist die Geburt der Opernregie aus dem Geist der Antimusikalität."


    "Nur die ganz Feststehenden, die "Arrivierten" könnten es wagen, da Hilfe zu schaffen Täten sie es doch! Täte es z.B. Max Reinhardt, DER könnte es sich leisten. ....wie waren seine Anfänge in Berlin - Sommernachtstraum - Kabale und Liebe - hoffnungsvoll und unvergeßlich, kühn, neu, und doch das Werk! Ich fürchte, er wird erst dann wieder eine solche Tat wagen, wenn die ganze Welt des faulen Zaubers müde ist und nach einer neuen Sensation verlangt. Dann wird die schlichte, stylvolle, aufzeichnungsgetreue, unverfälschte Wiedergabe eines Kunstwerkes, bei aller Freiheit und allem eigenen Geiste, diese Sensation sein."


    Viele Grüße


    Bernd

  • Zitat

    Original von DonBasilio


    Recht hast du!!!! :]:]:]


    Lieber Joschi,


    das klingt ja fast als hätte man an Mozart Majestätsbeleidigung begangen- dabei war es doch nur ein Opernabend ... :D und im übrigen meine ich man sollte die Kirche durchaus mal da lassen wo sie hingehört: Nämlich im Dorf: Die gestrige Aufführung war keine Jahrhundertinterpretation- d´accord- aber eine Versündigung am heiligen Wolferl war sie auch nicht.


    Lieber Alfred,eine Frage. Du hast gestern zu der Aufführung des Figaro geschrieben:


    Zitat

    Hier geht es IMO nicht nur darum, ob es dem einzelenen gefallen hat oder nicht - es stellt sich die Frage - ob hier das Werk ädiquat umgesetzt wurde, ob es den Geist des Werkes atmet oder ihn verfälscht.


    Was ist Deiner Meinung nach in diesem konkreten Fall der "Geist des Stückes", des Figaro? Für mein Empfinden ist es nämlich sehr wohl vom eigenen Geschmack abhängig inwieweit man den Geist eines Stückes in einer Interpretation wiederfindet.



    Herzliche Grüße,:hello::hello:


    Christian

    Beherrsche die Sache, die Worte werden folgen! (Cato der Ältere)

  • Zitat

    Original von BigBerlinBear
    Wenn das wie ich hier lesen kann, angeblich so furchtbar war, dann versteh ich nicht, daß es hier manche gibt, die sich das aus freier Entsacheidung bis zum bitteren Ende angetan haben.


    Alles aus reiner Liebe zu Austria! Und wegen Interesse an der Natrebko... ich kannte sie vorher definitiv stimmlich nicht - und bin auch künftig nicht sonderlich daran interessiert.


    Zitat

    das klingt ja fast als hätte man an Mozart Majestätsbeleidigung begangen- dabei war es doch nur ein Opernabend ... und im übrigen meine ich man sollte die Kirche durchaus mal da lassen wo sie hingehört: Nämlich im Dorf: Die gestrige Aufführung war keine Jahrhundertinterpretation- d´accord- aber eine Versündigung am heiligen Wolferl war sie auch nicht.


    Korrekt. Wenn man die Kirche im Dorf lässt, dann sollte man eine Mozartoper als Mozartoper geben. DENN: Sie wurde als Jahrhundertinterpretation verkauft und das zur Eröffnung der Salzburger Festspiele und zu Mozarts 250. Geburtstag. Da hätte was ganz anderes hingehört.


    Mir ist das aber ziemlich wurscht, da ich ja nicht so dämlich war, mich zum Besitzer einer Eintrittkarte zu machen. Wirklich ärgern dürfen sich ja nur die Zuschauer, die um ihr wertes Geld betrogen wurden.


    :hello:


    Ulli

    Die Kunst ist [...] vielleicht das Denken des Herzens.
    (Blaise Pascal, 1623-1662)

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  • Sind wir alle einer Meinung, daß der "Figaro" kein reine heitere Oper ist, sondern über die Komödie (oder Satire) sehr ernste Anliegen transportiert? Davon bin zumindest ich überzeugt.
    Mein Problem mit der Inszenierung ist, daß sie aus der Satire ein Seelendrama macht. Die meisten haben von Strindberg geschrieben oder gesprochen - ich finde, daß der frühe Ingmar Bergman noch näher ist - bis zu Szenezitaten.
    Und jetzt denken wir einmal nach: Ist der aufklärerische Humor Mozarts wirklich mit den Psychostudien des genialen schwedischen Regisseurs verwandt?
    Für mich: Nein.


    Und damit komme ich zu einer für mich neuen Erfahrung: Ein Regisseur krempelt das Stück nicht auf der Basis von Holzhammer-Statements um, es gibt kein grelles Regietheater, im Grunde wird das Werk in schönen Bildern und keineswegs groben szenischen Abweichungen umgesetzt.
    Und dennoch ist das Stück eigentlich nicht mehr vorhanden. Guth hat in meinen Augen nicht den "Figaro" Mozarts inszeniert, sondern einen hypothetischen Film Ingmar Bergmans.
    Das habe ich oben gemeint, wenn ich geschrieben habe: Eine gute Inszenierung, für die man noch ein Stück suchen muß. Stellen wir uns vor, Aribert Reimann habe sich den "Totentanz" Strindbergs vorgenommen - der Stil der Inszenierung wäre durchaus passend. Aber diese schwere Hand scheint mir für Mozart zu elegisch, zu trübe, zu dunkel und verrätselt.

    ...

  • Ulli


    Alles aus reiner Liebe zu Austria! Und wegen Interesse an der Natrebko... ich kannte sie vorher definitiv stimmlich nicht - und bin auch künftig nicht sonderlich daran interessiert.


    Ja, schade, sie ging gestern tatsächlich irgendwie unter (das ändert nichts daran, daß sie mir nach wie vor gefällt). Schäfer habe ich zum ersten Mal gehört und sie hat mir SEHR gut gefallen. Ansonsten: eher Ratlosigkeit als negative Eindrücke. So ungefähr: aha, so kann man den Figaro auch interpretieren, inszenieren, dirigieren, schauspielen, usw.


    Na ja, war halt so, ist ja kein Weltuntergang.


    LG
    Austria

    Wir lieben Menschen, die frisch heraus sagen, was sie denken - vorausgesetzt, sie denken dasselbe wie wir (Mark Twain)

  • Hallo Austria,


    ich glaube,daß war ein sehr schönes Schlußwort.


    Wenden wir uns wieder anderen Problemen zu.


    :hello:Herbert.

    Tutto nel mondo è burla.

  • Im Bayerischen Fernsehen laufen gerade Ausschnitte aus den Proben.


    LG
    Ulli

    Die Kunst ist [...] vielleicht das Denken des Herzens.
    (Blaise Pascal, 1623-1662)

  • Zitat

    Original von Edwin Baumgartner
    Sind wir alle einer Meinung, daß der "Figaro" kein reine heitere Oper ist, sondern über die Komödie (oder Satire) sehr ernste Anliegen transportiert? Davon bin zumindest ich überzeugt.


    Ja, ich auch. Wobei eigentlich jede richtig gute Komödie sehr ernste Anliegen transportiert, oder?




    Zitat

    Mein Problem mit der Inszenierung ist, daß sie aus der Satire ein Seelendrama macht. Die meisten haben von Strindberg geschrieben oder gesprochen - ich finde, daß der frühe Ingmar Bergman noch näher ist - bis zu Szenezitaten.


    Ja, das kommt hin.


    Zitat

    Und jetzt denken wir einmal nach: Ist der aufklärerische Humor Mozarts wirklich mit den Psychostudien des genialen schwedischen Regisseurs verwandt?
    Für mich: Nein.


    Für mich auch nicht.


    Zitat

    Und damit komme ich zu einer für mich neuen Erfahrung: Ein Regisseur krempelt das Stück nicht auf der Basis von Holzhammer-Statements um, es gibt kein grelles Regietheater, im Grunde wird das Werk in schönen Bildern und keineswegs groben szenischen Abweichungen umgesetzt.


    Hier driften wir erstmals auseinander. Viele der gestrigen Bilder fand ich häßlich und abstoßend. Was war "schön" an dem bis zum Exzess geifernden Bartolo im Rollstuhl, an der Szene, wo Cherubino zu einer berühmten Arie quasi gefoltert und geknebelt wird , an der entsetzlichen Aufmachung der Barbarina (die arme Sängerin!)?


    Zitat

    Und dennoch ist das Stück eigentlich nicht mehr vorhanden. Guth hat in meinen Augen nicht den "Figaro" Mozarts inszeniert, sondern einen hypothetischen Film Ingmar Bergmans.
    Das habe ich oben gemeint, wenn ich geschrieben habe: Eine gute Inszenierung, für die man noch ein Stück suchen muß. Stellen wir uns vor, Aribert Reimann habe sich den "Totentanz" Strindbergs vorgenommen - der Stil der Inszenierung wäre durchaus passend. Aber diese schwere Hand scheint mir für Mozart zu elegisch, zu trübe, zu dunkel und verrätselt.


    Hier bin ich wieder einigermaßen deiner Meinung. Wobei ich es schon sehr merkwürdig finde, wenn bereits im Vorfeld davon gesprochen wird, daß die Inszenierung alá Strindberg gehalten sei. Wer mag schon ein Beefsteak mit Erdbeersauce? Oder einen Pudding mit Zaziki?


    Viele Grüße


    Bernd

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  • Zitat

    Original von Edwin Baumgartner
    Guth hat in meinen Augen nicht den "Figaro" Mozarts inszeniert, sondern einen hypothetischen Film Ingmar Bergmans.


    Salut,


    hat er tatsächlich wollen, wie aus dem kurzen Ausschnitt der Proben, den ich erhaschen konnte, erfuhr. Zudem faselte er von Ibsen und noch einem Dritten im Bunde, den ich mir nicht gemerkt habe.


    Das Stück sollte insgesamt ohne Happy-End enden. Im Prinzip hat es das ja :D - allerdings wohl kaum im Sinne des Regisseurs... ohnehin hätte er den Text anpassen müssen:


    Corriam tutti a festeggiar!


    :hello:


    Ulli

    Die Kunst ist [...] vielleicht das Denken des Herzens.
    (Blaise Pascal, 1623-1662)

  • ERNST IST DAS SPIEL DES ENGELS


    Wolfgang Amadeus Mozarts „Le nozze di Figaro“ KV 492 live aus dem Haus für Mozart (Salzburg), 26.7.2006


    Das gesellschaftliche Parkett ist sich selbst wichtig, wie immer: Im Mozartjahr wird Salzburgs Kleines Festspielhaus, als „Haus für Mozart“ dem Jahresregenten angepasst umbenannt, mit einer Luxuspremiere eingeweiht. Placido Domingo, Harald Serafin und Thomas Gottschalk sind da. (Die drei anderen wichtigen Promis verbringen den Abend aber wohl entweder in Bayreuth beim „Rheingold“ oder in Zürich bei der Champions League Quali FC Zürich gegen „Trappathäus“ Red Bull Salzburg.) Die „Netrebko-Show“ heißt diesmal „Le nozze di Figaro“ und soll eine Opera buffa in vier Akten mit einem Libretto von Lorenzo da Ponte (1749-1838) und Musik von Mozart sein, der Höhepunkt des Mozartjahres, der Höhepunkt der Salzburger Festspiele. ORF und ARD sind am Premierentag dabei, der ORF live, die ARD knapp zeitversetzt. Barbara Rett gibt den Studioboss, Michael Wagner-Trenkwitz und Franz Zoglauer machen die Außenreporter. Oper ist wie Fußball-WM (zumindest im ORF). Natürlich wird die Bedeutung des kulturellen Ereignisses betont, natürlich wird in einem fort darauf hingewiesen, dass Anna Netrebko diesfalls nur ein Ensemblemitglied ist. Das Spiel – pardon – die Oper beginnt. Nikolaus Harnoncourt dirigiert die Ouvertüre ungewohnt langsam, sehr bewusst. Er arbeitet reizvoll schwebende Passagen heraus, verzichtet völlig auf geläufige Selbstverständlichkeit der Musik. Die Wiener Philharmoniker versuchen, seine Wünsche bis in winzigste Details umzusetzen. Für ein Orchester, das diese Oper wohl „im Schlaf vom Blatt“ spielt, ist da sicher eine enorme Herausforderung, eine extreme Konzentrationsübung. Wie immer schärft Harnoncourt die Konturen, wie zumeist verweigert er sich der Heiterkeit. Er trifft sich da total mit Regisseur Claus Guth, der Mozarts „Figaro“ zu einem alles andere als heiteren, vielmehr wie ein Beziehungsdrama bei Strindberg oder Ibsen stilisiert. Guth hat jede Nuance ausinszeniert, jede Faser durchpsychologisiert. Er lässt fast immer auch die auf der Bühne dabei sein, die von einem Dialog oder Geschehen mitbetroffen sind, er blättert die ganze Gefühlswelt der Mitwirkenden schonungslos auf. Da wird keine Etikette gewahrt – und wenn, wird sie zugleich brutal abgerissen. Guth entwirft Standbilder, aus denen ein Engel, eine Art Alter Ego des Cherubino, vielfach zum Geschehen animiert. Dafür spielt Uli Kirsch mit – eine von der Regie eigens erfundene stumme Rolle. Manchmal funktioniert´s nicht so wie der Engel es möchte, wie das bei einem Spiel halt so ist. Ein Kunstgriff Guths, der Mozarts „Figaro“ in diesem Fall reizvoll bereichert. Hohe Großbürgerwohnungswände, ein Stiegenhaus, zu Beginn des vierten Aktes drei Türen – Bühnenbildner Christian Schmidt bleibt bei Schwarz-Weiß, und in den Kostümen wird keineswegs für mehr Farbe gesorgt.. Dazu Vögel am Fenster, Laubblätter am Boden, es ist Herbst, auf jeden Fall in der Charakterdämonie der Hauptdarsteller. Harnoncourts und Guths „Figaro“ erzählt von gieriger Lust, von Eifersucht und von Liebesunfähigkeit. Den letzten Rest Liebe bewahrt Mozarts unglaubliche Musik, in allen Arien, Duetten, Ensembles – eine Sternstunde großer Kunst des Abendlandes! Nebenfiguren zeichnet Guth als Karikaturen: Bartolo körperlich gebrechlich, Basilio ein Dracula-Verschnitt, dazu ein blinder Standesbeamter. Cherubino spielt im Matrosenanzug, wie ein Wiener Sängerknabe sieht er aus. Er ist der Spielball der Mächtigeren, ob es die Männer sind oder die Frauen. Bei Guth ist Cherubino die menschlichste Figur. Guth setzt die bei Da Ponte und Mozart charmant formulierte Gier hemmungslos frei, die Gräfin ist nicht mehr liebevoll interessiert an Cherubino, sie ist geil auf ihn. Und Susanna macht auch nicht ungern mit bei dieser einprägsamen Umkleideszene des Jünglings. So wird aus ihrer Arie ein Terzett der ausgespielten Gier auf den Jüngling – besonders pikant, handelt es sich doch um eine Hosenrolle. Hemmungslos eifersüchtig kann der Graf auch sein, er kommt mit der Hacke herein, um aufs Ganze gehen zu können, falls sich sein Verdacht bestätigt, wer da hinter der Tür ist. Das Finale des zweiten Aktes, eine der musikdramatisch genialsten Sequenzen der Musikgeschichte, wird überhöht mit „Tafelzeichnungen“ des Engels, der das Beziehungswirrwarr mit Überkreuzungen vollends zur Undurchschaubarkeit verknotet. Zum Einzugsmarsch bei der Hochzeit von Figaro und Susanna sieht man nur das entfremdete, mühsam die Etikette wahrende Grafenehepaar auf der Stiege – eine Psychostudie von erlesenem Rang. Der Regisseur arbeitet viel mit synchroner Choreographie. Man merkt den Mitwirkenden an, dass ihnen diese Art des Spiels fremd ist, man sieht ihr ehrliches Bemühen, trotzdem alles richtig machen zu wollen. Wenn dann der Graf den Engel auf der Schulter tragen muss, oder wenn der Engel Susanna während sie singt aufhebt, fragt man sich, ob das nun wirklich sein muss bei all dem, was die Hauptdarsteller sonst noch zu leisten haben – nur, damit Claus Guth überdeutlich klar machen kann, wie sehr sein Engel das Spiel steuert. Ganz am Ende will dann niemand mehr vom Engel gesteuert werden, alle sind froh, beim wahrscheinlich konventionell „machbarsten“ Partner gelandet zu sein. Nur Cherubino ist noch offen für ihn, doch der kippt um. Dieser „Figaro“ ist spannendes, großes Musiktheater, allen wird alles abverlangt, alles ist sehr ernst auch in vermeintlich heiteren, komischen Augenblicken. Es ist kein „Figaro“ wie bei Ponnelle (an den man schon etwas wehmütig denkt), es ist ein „Figaro“ exzellenter ganz ernsthaft psychologisierender Sänger-Schauspieler: Bo Skovhus, mehr Mann (mit allen männlichen Schwächen) als nobler Graf Almaviva, Dorothea Röschmann, die bodenständige, frauliche Gräfin, Anna Netrebko, von berückender Natürlichkeit und Anmut als ganz im Ensemble integrierte Susanna, Ildebrando d'Arcangelo als italophiler Figaro, die grandiose Christine Schäfer als menschlich hin- und hergeworfener Cherubino sowie die Charakterchargen Marie McLaughlin (Marcellina), Franz-Josef Selig (Bartolo), Patrick Henckens, (Basilio), Oliver Ringelhahn (Don Curzio), Florian Boesch (Antonio) und die Barbarina der Eva Liebau, die eines der schönsten Kleinode der Opernliteratur zu singen hat. Als Chor wirkte der Wiener Staatsopernchor mit. „Fehlt“ die Leichtigkeit, die man aus der Tradition unzähliger „Figaro“-Aufführungen kennt? Im Jahr 2006 kann man sich mit genauso unzähligen Bild- und Tonkonserven „trösten“. Salzburg zeigt ein ins Jahr 2006 passendes tiefernstes Musikdrama um mit sich und den anderen unzufriedenen und unerfüllten Menschen, die verlernt haben, aufeinander zuzugehen – und sich stattdessen betrügen. Selbst und gegenseitig.


    Herzlicher Gruß
    Alexander

    Freundlicher Gruß
    Alexander


  • Salut,


    es ist Presto C und kein Allegro vivace C wie im ersten Satz der Jupiter, sollte demnach schneller sein, als der Sinfoniesatz, war er aber nicht. Und im Vergleich zum Allegro assai C der Scena ultima des II. Aktes war das Tempo der Ouvertüre deutlich langsamer, also - mindestens in Relation - falsch.


    Nach F. Rothschild ist es die Aufgabe des Presto, das Zeitmaß eines Stückes zu verdoppeln, ohne daß dadurch der Wert der Noten geändert wird. Wenn ich also den Notenwert gleich belasse und das Zeitmass verdoppele, verdoppelt sich das Tempo. Das lässt sich dadurch nachvollziehen, dass Mozart maximal Achtelnoten notiert, die dann als 16tel in Quasi-Allegro zu spielen sind.


    Und gerade im Finale II zeigt Mozart sehr deutlich, WIE er das angegebene Tempo auf das angegebene Metrum bezieht: Es folgt noch ein Prestißimo, dem er zur Verdeutlichung noch ein durchgestrichenes C [ = alla Breve] beifügt! Und das ist nicht etwa vier Mal so schnell [was man ja aus Prestissimo plus alla breve schließen könnte], wie das vorangehende [einfache] Presto, sondern lediglich noch schneller, im Zweifelsfalle doppelt so schnell.


    Außerdem las ich von Mozart [ich finde es jetzt nicht], dass er unter Presto versteht, dass man es "so geschwinde als möglich" zu spielen habe... Daß mehr möglich war, zeigte bereits das Finale II... das wirklich herausragendste Finale aller Zeiten!


    :hello:


    Ulli

    Die Kunst ist [...] vielleicht das Denken des Herzens.
    (Blaise Pascal, 1623-1662)

  • Ich auch:


    Ich hatte zu Beginn den Eindruck, ihm sei nicht ganz wohl bei der Sache...


    Und wenn wir schon beim Tempo sind: Die Fenstersprung-Szene war ja wohl Zeitlupe...


    :D


    Ulli

    Die Kunst ist [...] vielleicht das Denken des Herzens.
    (Blaise Pascal, 1623-1662)

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  • O.k., aber jetzt einmal zur Verteidigung langsamerer Tempi angeführt: Wenn die Musik wirklich Puls hat, kann ein langsameres Tempo auch flott wirken (musikalische Relativitätstheorie!).
    Bloß: Harnoncourt hatte keinen Puls - viel zu viel Rubato, viel zu viele Pausen. Und das war's, was ich nicht sonderlich mochte. Mozart war doch ein brillanter Rhythmiker - in dieser Aufführung war über weite Strecken nichts davon zu spüren.


    Und ob Niki das anders begründen kann als mit: Ich will's halt einmal anders hören, weiß ich nicht wirklich. Natürlich kann man jedem Unsinn eine scheinbar schlüssige verbale Erklärung überstülpen. Aber aus Unsinn wird dann kein Sinn, sondern bloß begründeter Unsinn.
    Ad Fenstersprung: Meine Güte, in dem Alter springt man halt langsamer... :untertauch:

    ...

  • Zitat

    Original von Edwin Baumgartner


    Ad Fenstersprung: Meine Güte, in dem Alter springt man halt langsamer... :untertauch:


    Jaja, es heißt ja auch Rentiere und nicht Renntiere... :hahahaha:


    Nichtsdestotrotz will der Meister Allegro assai C und nicht Largo con vivinox...


    Die Szene verlangt es ja, dass es gerade erschreckend schnell geht... die Gelassenheit, mit der diese Szene dargeboten wurde, ist wahrhaft erschreckend - passt aber auch absolut zu 2006 :kotz:


    LG
    Ulli

    Die Kunst ist [...] vielleicht das Denken des Herzens.
    (Blaise Pascal, 1623-1662)

  • Moin,


    ich habe von diesem Großereignis nur den Anfang miterlebt (nicht einmal den gesamten ersten Akt). Deshalb steht es mir natürlich auch nicht zu, irgendwie Ersnthaftes über die Inszenierung mitzuteilen. Wobei mich das Bühnenbild oder die Kostüme nicht abschreckten. Mein Problem ist eher, dass es mir einfach keinen Genuss bietet, an meinem zeituntypisch kleinen Fernseher eine Opernaufführung zu verfolgen. Schon der Klang...


    Nun bin ich aber auch kein übertriebener Mozart-Freund (entschuldigung), und das Dirigat von Harnoncourt hat mich nicht an die Mattscheibe gefesselt.


    Was ich dagegen interessant fand, war die Netrebko. In der Vorberichterstattung war sie der Mittelpunkt, der Star. Doch auf der Bühen hat sie sich keineswegs alles überstrahlend an die Rampe geworfen, war sehr ensemble-dienlich, wie ich fand. Das führte meine Frau dazu festzustellen: "Und warum nun all der Wirbel um die Frau?" Ich fand es aber nicht uninteressant, weil sie den (auch hier) gern verbreiteten Klischees von der neureichen Russen-Primadonna im Prada-Rausch so gar nicht entsprach. Vielleicht höre ich mir jetzt doch mal in Ruhe (üer die Stereo-Anlage) etwas von ihr an.


    Gruß, l.

    "Jein".

    Fettes Brot

  • Zitat

    Original von lohengrins
    Was ich dagegen interessant fand, war die Netrebko. In der Vorberichterstattung war sie der Mittelpunkt, der Star. Doch auf der Bühen hat sie sich keineswegs alles überstrahlend an die Rampe geworfen, war sehr ensemble-dienlich, wie ich fand......


    Vielleicht icht höre ich mir jetzt doch mal in Ruhe (üer die Stereo-Anlage) etwas von ihr an.
    Gruß, l.


    Das sehe ich auch so, es zeigt, daß sie sich durchaus "unterordnen" kann . Und es hat ihrem Image ganz bestimmt nicht geschadet, im Gegenteil. Sie wird auch in allen Kritiken auch gesanglich durchaus positiv bewertet.


    Ich weiß nicht, inwieweit, sie da tatsächlich Einfluß nehmen konnte, aber ich habe gelesen, daß sie sich selbst die Rolle der Susanna ausgesucht hat, statt der gesanglich wesentlich attraktiveren Rolle der Gräfin. Und ich bin überzeugt, daß sie diese Rolle sehr wohl sehr gut hätte singen können.


    Ja, gib ihr noch eine Chance :D und höre sie Dir an.


    LG
    Austria

    Wir lieben Menschen, die frisch heraus sagen, was sie denken - vorausgesetzt, sie denken dasselbe wie wir (Mark Twain)

  • Zitat

    Das sehe ich auch so, es zeigt, daß sie sich durchaus "unterordnen" kann .


    Und das ist wieder etwas, wo mein Verständnis aussetzt. Wie wunderbar, AN kann sich unterordnen! Was bei anderen Sängern eine Selbstverständlichkeit ist, wird der Netrebko als besondere Tugend angerechnet. Und damit wird sie wieder zur Primadonna assoluta, zur Göttin der Bühne, die sich huldvoll zum gemeinen Fußvolk begibt.
    Ich kapiere das nicht: Da zeigt eine Christine Schäfer, wie es wirklich geht - und am Schluß hat die Netrebko sogar noch die Tatsache einer reichlich blassen Vorstellung auf ihrer Seite. Da darf man sich wirklich nicht wundern, wenn dann die, die Anna Netrebko, so wie ich, weniger schätzen, behaupten, daß sie die Verehrung genießt, ohne die entsprechende Leistung zu erbringen.


    Wobei ich wieder gerne zugebe, daß die Netrebko auch gesanglich ein paar gute Momente hatte, daß sie zwar noch immer unsauber intoniert, aber offenbar daran arbeitet und wesentlich sauberer intonierte als bei der Live-"Traviata", und daß ich sie nach wie vor für eine der besten Sing-Schauspielerinnen halte, obwohl sie diesen Bonus regiebedingt diesmal weniger ausspielen konnte. Insgesamt: Sicherlich eine Sängerin, die einen guten Ruf verdient - aber doch niemals ein Superstar!

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