Violinkonzerte im 20. und 21. Jahrhundert

  • Hallo liebe TaminoanerInnen


    Schön, auch von BBB interessante Werke vorgestellt zu bekommen. Tatsächlich kennen wir beide von Dir vorgestellten Werke nicht. Wir werden uns gerne im Fachgeschäft umsehen.


    Gestern hörten wir uns folgende CD an;



    Boris Blacher (1903-75): Violinkonzert op. 29 (1948 )
    in dieser Aufnahme eingespielt von Nikos Athinäos mit dem Philharmonischen Orchester Frankfurt/Oder an der Geige Kolja Blacher, der Sohn von Boris Blacher.


    Das Violinkonzert Boris Blachers, im Jahre 1948 komponiert und am 17. November 1950 von Tibor Varga und dem Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks unter Erich Schmid in München uraufgeführt, ist ein ausgesprochenes Virtuosenkonzert. Virtuosität wird dabei nicht nur vom Solisten verlangt, sondern auch vom Orchester. Blachers Tonsprache hat sich, vor allem durch Erfahrungen mit Strawinskij und der neueren französischen Musik, mit Jazz und Swing, zu diesem Zeitpunkt in jeder Hinsicht längst aus der deutschen Tradition gelöst. Leicht, schlank, überwiegend heiter ist der Satz. Die Harmonik ist von verspielt-freier Tonalität, sie bevorzugt Ostinati und einfache Binnenstrukturen, die durch überraschende Wendungen gruppiert werden, kurzweilig wirken. Die Melodik ist sehr einfach, faßt das Chromatische mehr spielerisch als verdichtend auf und spielt viel mit Wiederholungen und Sequenzen. Der Rhythmus ist von besonderer Bedeutung. Blacher steht hier kurz vor der Erfindung seiner "variablen Metren", die er erstmals 1950 in den 'Ornamenten' für Klavier vorstellen sollte. Rhythmischer Pfiff und Witz, zudem eine generelle Freude am Motorischen, kennzeichneten Blachers Werke schon seit langem, so auch in erfolgreichen Orchesterstücken wie der "Konzertanten Musik" und, in fulminanter Manier, den ein Jahr vor dem Violinkonzert komponierten 'Paganini-Variationen'. 1947 entstand auch das erste Klavierkonzert, das den Blacherschen Konzerttypus etablierte: Das Soloinstrument steht, von der sparsamen und durchsichtigen Orchestration begünstigt, immer im Vordergrund, auch wenn es oft ausuferndes Figurenwerk vorträgt, während den (großteils solistischen) Begleitern gerne motivische Substanz überantwortet ist. Die Ecksätze sind spielfreudig, schnell und lieben drastische Wechsel, während der langsame Mittelsatz versonnenen, kantablen Charakter hat. Nach diesen Maßgaben ist auch das darauffolgende Violinkonzert angelegt.


    Viele Grüsse


    romeo&julia

  • Hallo liebe TaminoanerInnen


    Kurt Graunke kennen wir nicht. Lieber Daniel, kannst Du uns über dieses Werk berichten?


    Zu sprechen kommen wollen wir auf


    Berthold Goldschmidt Violinkonzert 1952-54


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    Die Wiederentdeckung der Musik von Berthold Goldschmidt (1903-1996), zählt zu den erfreulichsten Ereignissen der jüngsten Musikgeschichte.
    Die von uns vorgestellte Aufnahmen sind schlechterdings ideal und durchweg von höchster Authentizität; die Aufnahme des Violinkonzerts, die Goldschmidt 1994 selbst leitete, kommt sogar einem Vermächtnis gleich. An der Violine ist Chantal Juillet, der das Werk gewidmet ist.
    Neben dem Violinkonzert ist das Cello- und Klarinettenkonzert eingespielt worden.


    Hier ein kleiner Auszug aus dem Booklet der vorgestellten CD.


    Das Violinkonzert (1952-54) beginnt im scharf punktierten Rhythmus mit einem markanten, aus Zweitongruppen zusammengesetzten Thema, das an den Beginn von Schostakowitschs 5. Sinfonie erinnert. Ihm steht im schnellen Hauptteil des Kopfsatzes eine fliessende, teilweise chromatische Stufenbewegung gegenüber. Im raschen Finale, das Passacaglia- und Rondo-Elemente mit federnden Taktwechseln verbindet, kehrt neben der frei erweiterten Grundtonart d-Moll dieser Dualismus wieder. Das Andante amoroso verweist auf die „Lyrische Suite“ Alban Bergs, mit dem sich Goldschmidt auch im autobiographischen Charakter vieler Werke verwandt fühlte. Nach mehreren Aufführungen 1993/94 mit der Solistin Chantal Juillet widmete Goldschmidt ihr sein Violinkonzert.


    Viele Grüsse


    romeo&julia

  • Hallo liebe TaminoanerInnen


    Bereits kurz erwähnt, aber nicht vorgestellt wurde folgendes Werk



    Henri Dutilleux: L'arbre des songes 1983/85 (Der Baum der Träume)


    hier in einer gelungenen Einspielung von virgin mit Renaud Capuçon an der Geige unter Myung-Whun Chung, Philharmoniker von Radio France


    Dutilleux ist der Poet unter den französischen Komponisten. Auffällig ist seine konsequente Verweigerung traditioneller Werkbezeichnungen zugunsten poetisch-sprechender Werktitel, die mit seiner Ablehnung vorgegebener Formmuster zusammenhängt.
    Das Violinkonzert des französischen Klangmagiers Henri Dutilleux ist typisch für seine Tonsprache und Ausdruckswelt; die Sphäre des Nächtlichen, die Welt zwischen Realität und Traum, jedoch ohne direkten Zusammenhang zum Namen des Werkes.
    Die Violine drückt sich vor der typischen Rolle der heroischen, individuellen Stimme und fungiert nur als weiterer Pinsel, wenn auch als der dickste von allen.


    Herzliche Grüsse


    romeo&julia

  • Hallo,


    hätte da noch das VK von George Rochberg im Angebot.


    Isaac Stern hatte es in den siebzigern fest im Repertoire und hat sich wohl ziemlich stark dafür gemacht. Bei zweimaligem Hören ist bei mir jedoch nichts haften geblieben, wie bei so vielem, was Naxos in seiner "American Classics"- Reihe veröffentlicht hat. Ist zwar schön, diese Lücke zu füllen, doch man ahnt auch, warum es bislang eine Lücke war.


    Auch bei Naxos erschienen ist das VK von Frederick Delius in der Tintner-Memorial-Edition. Aber auch das nichts, was man wirklich haben muss.


    Meine Favoriten: Barber (Stern), Korngold (Perlman), Berg (Zimmermann)


    Gruß
    B.

  • Hallo,


    also ich für meinen Teil muß das Violinkonzert von Delius haben-ein wunderschönes Werk.


    Als Korngold-Liebhaber finde ich natürlich Deine Erwähnung der Perlman-Aufnahme sehr gut.


    Gruß,


    Michael

  • Ich hatte neulich das Vergnügen, Meister Vengerov bei der Uraufführung des Jussupov-Violin/Violakonzerts zu erleben. Der vierte Satz ist ein Tango, den der Geiger tanzt (nicht spielt!) schöne Idee. Außerdem viel Bratsche und E-Geige dabei


    Und sehr sehr spannend sind dei Suiten für Geige und Orchester von Tanejew (gibt es eine Mittelklasse-Aufname mit Christian Altenburger von ProArte digital) und Ture Rangström (gibt es bei Phonosuecia).



    Nur um auch was gesagt zu haben


    LG
    Michael

  • Hallo,


    am Mittwoch habe ich abends im Deutschlandfunk Carolin Widmann (die Schwester von Jörg) mit einer Solo-Capricce von Sciarrino gehört. Ich fand sowohl das Stück als auch die Aufführung durch CW fantastisch.


    Ich wusste nicht, wohin ich die Bemerkung packen sollte - irgendwie schien sie mir bei Violinkonzerten des 20ten Jahrhunderts am besten aufgehoben zu sein, obwohl es natürlich kein Konzert ist.


    Frau Widmann hat auch eine einfach zu ergoogelnde Internetseite...


    Freundliche Grüße


    Heinz


    Edit: Rechtschreibung "Capricci" (Mehrzahl) = "Capricce" (Einzahl)? Ich hoffe es mal...

  • Hallo liebe TaminoanerInnen


    Noch nicht zu sprechen gekommen sind wir bis anhin auf


    Erich Wolfgang Korngold mit dem
    Violinkonzert D-Dur op. 35


    Das Violinkonzert wurde im Auftrag von Bronislaw Hubermann geschrieben. Korngold war vor den Nationalsozialisten geflohen und hatte es in Amerika zu Ruhm und Ansehen gebracht. Korngold hatte in Hollywood als Filmkomponist Karriere gemacht und seine Musik qualitativ verbessert. Die Rückkehr aufs Konzertpodium wollte dem ehemaligen Wunderkind, dem „grössten musikalischen Genie seit Mozart“ (Gustav Mahler) nicht mehr recht gelingen, und während des restlichen Jahrhunderts fristete seine Musik (abgesehen von der Oper „Die tote Stadt“) ein Dasein in weitgehender Vergessenheit. Im Violinkonzert, mit seinem nervös-schlanken Ton, verwendet er thematisches Material aus vier Filmpartituren, Hollywood klingt hier fast aus jedem Takt, unverwechselbar und äusserst originell. Das Werk zeichnet sich durch spätromantische Klangpracht aus und fällt in die Nachfolge Mahlers. Aber nicht Hubermann, sondern Jascha Heifetz verhalf dem Violinkonzert 1947 zum Durchbruch.


    Es gibt einige Aufnahmen mit diesem Werke, selber kennen wir folgende CD;


    [am]B000AOELXI.03.LZZZZZZZ[/am]
    mit Benjamin Schmid (Violine), Winer Philharmoniker, Leitung: Seiji Ozawa bei Oehms Classics


    Herzliche Grüsse


    romeo&julia

  • Liebe romeo&julia,


    Da ich bekennender Korngold-Fan bin, möcht ich eine Klitzekleinigkeit in eurem schönen Beitrag berichtigen.


    "Korngold hatte in Hollywood als Filmkomponist Karriere gemacht und seine Musik qualitativ verbessert"


    Korngold war auf Einladung Max Reinhardt's nach Hollywood gegangen und war 1938 aufgrund der schlimmen politischen Entwicklung wie so viele andere gezwungen dort zu bleiben.
    Obwohl Korngold nur für etwa 15 Filme Orginalpartituren(bei zwei weiteren Filmen handelte es sich nur um Bearbeitungen)komponierte, half er, die Musik in Hollywood qualitativ zu verbessern.
    Er selber hat sich mit Sicherheit dort nicht qualitativ verbessert, übte aber einen enormen Einfluss auf seine Kollegen aus.
    Korngold hat niemals einen Unterschied zwischen seinen Werken für den Konzertsaal oder den Film gemacht und hatte sich in seinem Vertrag bei Warner bestätigen lassen, daß er sein Filmmusikmaterial später für Konzertwerke ausschlachten durfte.
    Dies war damals unüblich, die Musik eines bei einem Studio angestelltem
    Komponisten "gehörte" normalerweise dem Studio.
    Insofern klingt beim Violinkonzert auch echter Korngold aus jedem Ton.........


    Viele Grüße,


    Michael

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  • Hallo Michael!


    Noch eine Ergänzug zu Deiner Ergänzung.


    Korngold machte in den USA ein Gelübde: Er würde so lange keine Musik für den Konzertsaal oder für die Opernbühne schreiben, solange die Nationalsozialisten an der Macht wären.
    Das führte dazu, dass er die Filmmusik nicht mit der üblichen pauschalen Sauberkeit schrieb, sondern eine skrupulöse Detailbesessenheit an den Tag legte. So war Korngold einer der ersten, der die Filmmusik nicht nur benützte, um eine Stimmung herzustellen, sondern Charaktere zu formen und sogar Monologe melodisch so zu unterlegen, als wären es "Sprecharien". Korngold ist auch bis heute einer der wenigen Filmmusikkomponisten geblieben, die selbst instrumentieren und keinen Arrangeur zwischen ihr Werk und dem letzten Endes verwendeten Soundtrack schalten.


    Korngolds Tragödie ist, dass er in dem Moment, als die Nazi-Diktatur endete, ziemlich ausgeschrieben war. Das Violinkonzert und die Fis-Dur-Symphonie sind vereinzelt dastehende Meisterwerke - und leider in ihrer Qualität nicht mehr die Regel.


    Noch dazu ist Korngolds letzte Oper, "Die Kathrin" (1932-37 komponiert) nicht mehr ganz auf dem Niveau etwa des "Wunder der Heliane".


    Korngold hatte nach dem 2. Weltkrieg also gegen das Vorurteil eines Kitschproduzenten von seinerzeit anzukämpfen (der folgerichtig beim Kintopp gelandet ist) - und noch dazu war seine jüngste Musik tatsächlich nicht mehr ganz auf Top-Niveau.


    Und dann kam die Fis-Dur-Symphonie: Fis-Dur ist nichts für die Parteigänger der Zwölftöner, weder die Machart der Musik noch die formale Anlage ließen die Neoklassizisten frohlocken, und das dissonante, oft geradezu wild zerfetzte Klangbild stieß jene breite Publikumsschichten ab, die das "Lied der Marietta", das sie aus der Vorkriegszeit noch im Ohr hatten, verehrten. Dimitri Mitropulos bezeichnete die Fis-Dur-Symphonie als "ideale moderne Symphonie" - offenbar ist die ideale moderne Komposition eine, die zwischen allen Stühlen sitzt...


    LG

    ...

  • Lieber Edwin,


    wir sind jetzt hier mal wieder offtopic, aber vielen dank für Deine Antwort.
    Leider muß ich wiederum ein wenig korrigieren.........


    "Korngold machte in den USA ein Gelübde: Er würde so lange keine Musik für den Konzertsaal oder für die Opernbühne schreiben, solange die Nationalsozialisten an der Macht wären."


    Hier handelt es sich um eine von Korngold und der Korngold-Familie selber gepfllegte Legende.
    Er hatte in der Zeit zwischen 1938 und 1945, als ihm die deutsche und vor allem Wiener Konzertszene verschlossen war, keine Möglichkeit gefunden, im Konzertleben der USA Fuß zu fassen, deshalb diese Notlüge.


    "Korngold ist auch bis heute einer der wenigen Filmmusikkomponisten geblieben, die selbst instrumentieren und keinen Arrangeur zwischen ihr Werk und dem letzten Endes verwendeten Soundtrack schalten."


    Einer der Komponisten, den Du da beschreibst, heißt Bernard Herrmann, ansonsten stimmt Deine Aussage leider nicht.


    Aus Zeitdruck mußte Korngold wie fast alle anderen Hollywood-Komponisten mit Orchestratoren zusammenarbeiten.
    Allerdings erstellte Korngold nicht nur einen genauen Klavierauszug, sondern behielt sich auch vor, die Harfenstimme, die seine Spezialität war, selber aufzuschreiben.
    Diese" Klavierauszüge" hatten dann logischerweise vier Systeme.
    Außerdem arbeitete Korngold nur mit einigen wenigen ausgesuchten Orchestratoren zusammen, von welchen er wußte, daß sie seine Anweisungen genauestens beachten würden.


    Diese Orchestratoren waren allermeistens Hugo Friedhofer, Bernard Kaun sowie vor allem Milan Roder, auch Ernst Toch hat einige Male für Korngold orchestriert und war ihm sehr dankbar, daß er ihm Arbeit besorgt hatte....
    Korngold schaffte es auf diese Art und Weise, daß es in den Instrumentationen seiner Filmmusiken keinen Takt gibt, den er nicht selber so orchestriert hätte, trotz des immensen Zeitdruckes und mit Hilfe dieser hervorragenden Orchestratoren.
    Ich habe einige seiner Klavierauszüge gesehen, sie waren über und über mit Anweisungen für die Orchestratoren versehen.


    "Noch dazu ist Korngolds letzte Oper, "Die Kathrin" (1932-37 komponiert) nicht mehr ganz auf dem Niveau etwa des "Wunder der Heliane". "
    Stimmt zwar, allerdings kam die "Kathrin" erstens 10 Jahre zu spät, was auch an der politischen Situation und Korngolds daraus resultierender Aktivität in Hollywood lag, und zweitens war sie gar nicht als Oper, sondern als Operette gedacht.
    Es war ein Fehler von Korngold, dieses Werk letztendlich als "Oper"freizugeben, dies gebe ich zu.


    "Korngolds Tragödie ist, dass er in dem Moment, als die Nazi-Diktatur endete, ziemlich ausgeschrieben war"


    Dies stimmt allerdings überhaupt nicht, Du vergißt außer dem Violinkonzert und der Sinfonie noch sein hervorragendes 3.Streichquartett und die Sinfonische Serenade für großes Streichorchester.Mal abgesehen von dem sehr schönen Cellokonzert, aber das Thema Cellokonzert hatten wir doch schon einmal? :D


    Allerdings hatte Korngold kein besonderes Glück mit Uraufführungen seiner Werke nach dem Kriege, abgesehen vom Violinkonzert in den USA.


    Er war gewohnt, die besten Interpreten, welche außerdem auch noch sehr viel Probenzeit zur Verfügung haben mußten, zu bekommen.


    Im Falle der Sinfonischen Serenade, einem äußerst schweren und ambitionierten Werk für 60 Streicher, hatte er zwar einen hervorragenden Dirigenten(Furtwängler), dieser aber nicht genug Zeit zum Proben des teuflisch schweren Werkes.Das Resultat war ein Durchfallen des Werkes.


    Ähnliches bei der Uraufführung der Sinfonie, nur stand ihm jetzt mit dem damaligem Orchester des Österreichischem Rundfunkes nicht ein hochklassiges Orchester zur Verfügung.
    Das heutige ORF-Sinfonieorchester möge bitte entschuldigen, aber das damalige Orchester hatte noch bei weitem nicht das heute erreichte Niveau und schon gar nicht das Niveau der Wiener Philharmoniker dieser Zeit.
    Dirigent war, so glaube ich, Alois Melichar, dem außerdem noch Probenzeit für diese ungewöhnlich schwere(eine der schwersten überhaupt) Sinfonie fehlte.
    Die UA war dann auch ein Desaster, Korngold konnte immerhin die Löschung der Tonbandaufzeichnung erwirken, und das war es dann mit seinen hochfliegenden Träumen des zurückkehrends an den Ort seiner großen Erfolge.
    Danach war Korngold ziemlich desillusioniert, was seine Reputation in seiner Heimat anging.
    Diese Tatsache war sicherlich an seinem frühen Herztod mit nur 60 Jahren maßgeblich schuld wie auch an dem nach diesen Mißerfolgen(aber erst nach diesen!) folgendem Erlahmen seines schöpferischen Prozesses(obwohl er bei seinem Tode an der Arbeit zu einer 2.Sinfonie war).
    Korngold gehört zu den Komponisten, die zweimal aus ihrer Heimat herausgeschmissen wurden.


    Ein erstes mal, als sie als Juden nicht mehr erwünscht waren, und ein zweites mal, als sie nach Kriegsende dann als Botschafter einer vergangenen, und lieber vergessenenen, Epoche galten.


    Dies ist das Herausreißen des Herzens bei lebendigem Leibe!


    Korngold's noch dazu größter eigener Fehler war aber ein anderer.


    In völliger Unkenntnis und Unverständnis über das zwischenzeitliche Verblassen seines Sterns war die erste neue(Inzenierungen der alten "Toten Stadt" in Wien gingen voraus, wobei Korngold schon bei dem eher spärlichen Besuch bemerkte, daß dies "kein Korngold-Haus" mehr sei) Korngold-"Opern" Premiere nach dem Kriege zwar nicht seine verunglückte Pseudooperette "Die Kathrin", sondern, was noch schlimmer war, eine diesmal ungewohnt schlechte Partitur von ihm, die "stumme Serenade".
    Dieses Werk war nun wirklich nicht mehr Zeitgemäß.


    Die UA in(bezeichnenderweise) Dortmund war jedenfalls kein Ruhmesblatt und dies war der Zeitpunkt, wo es in Europa in völliger Unkenntnis der Werke, die Korngold in all den Jahren, auch für den Film, noch komponiert hatte, die Runde machte, er hätte sich "auskomponiert".


    Ich hoffe , Du bist auch mit mir einer Meinung, daß diese oft kolportierte Meinung vom "Kitsch-Komponisten, der folgerichtig beim Kintopp gelandet ist", eine Unverschämtheit darstellt.
    Korngold war überhaupt nicht in der Lage, sich großartig auszusuchen, wohin er denn nun emigrieren sollte.
    Sein Betätigungsfeld war die deutschsprachige Oper, vor allem Wien.
    Mit der Naziherrschaft wurde ihm sein gesamtes Betätigungsfeld genommen, und wie es der Zufall so wollte, konnte er in Hollywood "Opern ohne Gesang" komponieren.
    Wer wollte ihm verdenken, daß er diese Möglichkeit annahm?


    Eine der allerschlimmsten Dinge in Bezug auf seine Filmmusiken im deutschsprachigen Raum aber ist,
    daß in den Neusynchronisationen ab den 60ern seine Musik größtenteils ersetzt wurde durch unpassende "mood-music" irgendwelcher Komponisten.
    Nur in den nach wie vor gesendeten deutschen Synchronisationen von "The Adventures of Robin Hood" und "The Sea Hawk" aus den vierziger Jahren ist die komplette Orginalmusik von Korngold noch zu hören.


    LG :hello:


    Michael

  • Hallo Michael,


    tolles Posting!


    Zitat

    Du vergißt außer dem Violinkonzert und der Sinfonie noch sein hervorragendes 3.Streichquartett und die Sinfonische Serenade für großes Streichorchester.Mal abgesehen von dem sehr schönen Cellokonzert, aber das Thema Cellokonzert hatten wir doch schon einmal?


    Zum Cellokonzert fällt mir noch ein, dass es wesentlich herber als das im Jahr darauf komponierte Violinkonzert ist. Nur ganz selten tauchen kurz die Korngoldschen Melodien auf, zumeist wird man sich beim ersten Hören sehr schwer tun, dieses Werk Korngold zuzuordnen.



    Zitat

    Eine der allerschlimmsten Dinge in Bezug auf seine Filmmusiken im deutschsprachigen Raum aber ist, daß in den Neusynchronisationen ab den 60ern seine Musik größtenteils ersetzt wurde durch unpassende "mood-music" irgendwelcher Komponisten.


    Wirklich furchtbar, das scheint aber eine Zeit lang der Brauch gewesen zu sein, man denke nur an die schrecklich unpassende neue Filmmusik zur deutschen Version des Malteser Falken...

    Ciao


    Von Herzen - Möge es wieder - Zu Herzen gehn!


  • Hallo Theophilus,


    "Zum Cellokonzert fällt mir noch ein, dass es wesentlich herber als das im Jahr darauf komponierte Violinkonzert ist. Nur ganz selten tauchen kurz die Korngoldschen Melodien auf, zumeist wird man sich beim ersten Hören sehr schwer tun, dieses Werk Korngold zuzuordnen"


    Danke auch für Dein Lob!


    Ist es nicht aus heutiger Sicht unglaublich, daß dieses tolle Cellokonzert fast zur Gänze so auch im dazugehörigen Film (Deception- mit Bette Davis, Paul Henreid sowie Claude Rains) vorkommt und verwendet wird?


    Bemerkenswert an diesem Film ist auch, wie überaus sorgsam damals an der Illusion gearbeitet wurde, daß Paul Henreid wirklich Cello spielt.


    Ihm wurden hinter dem Stuhl beide Arme zusammengefesselt und unsichtbar für den Zuschauer des Films greift ein Cellist von hinten die Saiten exakt so, wie es aussehen sollte, während ein zweiter Cellist von hinten, natürlich auch unsichtbar, die Saiten mit dem Bogen streicht.


    Aber der Aufwand hat sich gelohnt, dies ist der überzeugendste(und unter Umständen auch schwierigste) "Instrumenten-Fake", den ich jemals in einem Film gesehen habe.


    Übrigens war Korngold in allen musikalischen Belangen damals mitverantwortlich, und so ist dieser Film -Deception, von 1946-, auch die meiner Meinung nach am besten gelungene Umsetzung eines Hollywood-Themas mit Musik und Musikern in dieser Zeit.


    Interessant ist übrigens die Kadenz, welche im Film eine eigentlich unspielbare Passage in Sechsten darstellt, mit deren "Hilfe" der "Komponist" (Claude Rains) den "Cellisten" (Paul Henreid) vernichten will, welche mit dem damals neuen Overdub-Verfahren erstellt wurde.


    Diese Trick-Aufnahme (wie auch das ganze Konzert), auf welcher der "Cellist" diese sechsten in atemberaubender Geschwindigkeit und Präzision spielt (kein Wunder, da jede Tonfolge für sich alleine aufgenommen wurde), wurde von Eleanor Slatkin gespielt.


    Eleanor (Aller) Slatkin war die Ehefrau des Konzertmeisters des 20th Century Fox Orchesters (unter Alfred Newman) und später erfolgreichem wie leider auch früh verstorbenen Dirigenten Felix Slatkin. Sie war Solocellistin des Warner-Broth. Sinfonieorchesters schon mit 19 Jahren (1938 bei Korngold's "Adventures of Robin Hood") und zusammen mit ihrem Ehemann Begründerin des legendärem "Hollywood Quartetts".


    Beide sind übrigens die Eltern von Leonard Slatkin, dem Dirigenten, und Fred Slatkin, dem Cellisten.


    Es existieren des weiteren Briefe von Korngold, die er an die Solisten seines Cellokonzertes in den 50er Jahren schrieb, mit der Bitte, zu berücksichtigen, daß es sich in der Kadenz um eine Trickaufnahme handelte :D (Korngold verschickte damals Acetat-Schallplatten der Filmaufnahme zusammen mit der Partitur).


    Es gibt heutzutage eine Reihe neuer Aufnahmen dieses Konzertes, und tatsächlich hat es Peter Dixon (Solocellist der BBC Philharmonic in Manchester) in seiner Chandos-Einspielung geschafft, diese Passage der Kadenz ganz ohne Tricks in sechsten irgendwie hinzubekommen. :jubel: - allerdings auch nur irgendwie............ ;)
    Brandon Carroll von der Korngold-Society war der Produzent für diese CD, und er hat mit Sicherheit auf Dixon eingewirkt, dieses Kabinettstückchen zu versuchen......


    In der normalen, von Schott gedruckten, und von Korngold überarbeiteten Cellostimme sind es sowieso keine durchgängigen Sechsten mehr, und als ich 1995 dann endlich selber die Gelegenheit hatte, das Cellokonzert aufzuführen, habe ich zumindest versucht, diese Stelle in dieser vereinfachten Version so schnell wie möglich zu spielen, in dem Tempo, wie es im "Orginal " zu hören war.
    Es ist dann ein irgendwie gearteter "Hummelflug" daraus geworden..... :D :stumm:


    Viele Grüße,


    Michael

  • Hallo meine Herren Michael und Edwin


    Danke für die sehr fundierten Beiträge zu Erich Wolfgang Korngold. Wir werden Eure Beiträge ausdrucken und gerne noch in Ruhe durchlesen. Wir kennen von Korngold bis anhin nur weniges und versuchten uns bei der Vorstellung seines Violinkonzertes kurz aber trotzdem noch informativ zu halten. Eure Beiträge überschreiten vielleicht bereits die Absicht dieses Threads.
    Vielleicht sollte man einen eigenen Thread zu Erich Wolfgang Korngold eröffnen. ;) das wäre mit Euch sicherlich sehr interessant.


    Herzliche Grüsse


    romeo&julia

  • Hallo romeo&julia


    "Vielleicht sollte man einen eigenen Thread zu Erich Wolfgang Korngold eröffnen"


    Dem gebe ich recht und entschuldige mich auch, so über das Ziel hinausgeschossen zu haben, aber ich konnte einfach nicht anders.


    LG :hello:


    Michael

  • Hallo liebe TaminoanerInnen


    Ohne Erwähnung blieb bis anhin der Franzose Darius Milhaud


    Die junge Geigerin Arabella Steinbacher und das Münchner Rundfunkorchester haben eine CD mit dem 1. & 2. Violinkonzert eingespeilt.



    Arabella Steinbacher, RO München, Steinberg


    Milhaud hat ein Oeuvre hinterlassen, dass in mehr als fünzig Schaffensjahren schliesslich auf vierhundertundvierzig Opusnummern anschwoll. Darin ist der Werkanteil für sein eigenes Instrument, die Violine, relativ gering, aber gehaltvoll. Darius Milhauds erstes Violinkonzert (komponiert auf einer Amerkika-Reise 1927 ) stammt aus seiner Zeit mit der berühmten "Groupe des six", in der Komponisten wie er und auch Arthur Honegger oder Francis Poulenc versuchten, eine eigene französische Musik zu befördern, sich abzugrenzen von der deutschen Romantik und dem Wagnerismus, Ideale waren Einfachheit, Klarheit und Transparenz, abgelehnt wurde jede Schwülstigkeit und Langatmigkeit. So gerät Milhauds 1. Violinkonzert mit seinen drei Sätzen gerade einmal ganze 10 Minuten lang. Außerdem erfüllt es ein anderes kompositorisches Prinzip Milhauds: die Forderung nach Konzentration und Dichte anstelle von Wiederholung und Variation. Milhaud dazu selbst: "Wozu imitieren? Besser ist es, immerzu neues zu erfinden." Das Konzert klingt in schnittiger Kühle und wie ein Miniaturmanifest der antiromantischen "Groupe des six".
    Arabella Steinbacher, 1981 geborene Geigerin, ein großes, aus München stammendes Talent, Gewinnerin von Wettbewerben und Förderpreisen und spätestens seit März 2004 auch international bekannt, als sie in Paris kurzfristig für eine erkrankte Kollegin einsprang und mit dem da von Sir Neville Marriner geleiteten Orchestre Philharmonique de Radio France Beethovens Violinkonzert so innig spielte, dass die Presse von einer souverän und ausgereift interpretierenden Künstlerin mit überwältigender Tonschönheit sprach. und das Münchner Rundfunkorchester unter der Leitung von Pinchas Steinberg mit der Romanze, dem 2. Satz aus dem 1. Violinkonzert von Darius Milhaud. Mit dem 2. Violinkonzert von 1946 reagierte Milhaud auf das Ende des 2. Weltkriegs. Als Künstler jüdischer Abstammung war er 1940, nach der Besetzung Frankreichs durch das Nazi-Regime, nach Amerika emigriert. Als ihn 1945 die Nachricht von der Befreiung erreichte, mischte sich in das Gefühl der Freude tiefer Schmerz über die Verluste in Milhauds Verwandten- und Freundeskreis. Diese Stimmungslage spiegelt das 2. Violinkonzert wider. Gerade der erste Satz mit seinem bedrohlichen marschartigen Thema lässt an die Unerbittlichkeit der Kriegsmaschinerie denken, in die sich das Individuum, dargestellt von der Solovioline, zeitweise einfügt, der es aber anderswo auch gehetzt zu entfliehen scheint oder sich in der Solo-Kadenz entschlossen entgegenzustellen versucht.
    In diesen Konzerten wollte Milhaud „dem Virtuosen die Möglichkeit geben, mühlelos seine Fähigkeiten zu zeigen – wie etwa ein Vollblutpferd unterm Schulreiter“.


    Herzliche Grüsse


    romeo&julia

  • Hallo liebe TaminoanerInnen


    Ein interessantes Violinkonzert, dass hier noch keine Erwähnung fand, hatte der Deutsche Wolfgang Fortner ( 1907 – 1987 ) geschrieben.


    Das Violinkonzert wurde erstmals am 16. Februar 1947 in Baden-Baden mit dem Sinfonieorchester des Südwestfunks aufgeführt. „Die Uraufführung war bei den Proben fraglich, denn der damalige Dirigent tat sich schwer mit der Realisierung der Partitur. Fortner übernahm dann selbst das Dirigat, das ihm gerade mit Mühe gelang“, erinnert sich Paul Grund, Bratscher des Orchesters.
    Heinrich Strobel schrieb in der Zeitschrift „Melos“ vom März 1947: „Wir alle waren gespannt, wie sich die deutsche Musik aus dem Zusammenbruch aufrappeln würde. Diese Uraufführung stimmt hoffnungsvoll. Da spricht ein Musiker, der in der Zeit der Verwirrung seinen klaren Kopf bewahrt hat. Er realisiert genau das, was er will. Das bedeutet viel. Er hat eine Handschrift. Das bedeutet noch mehr. Allerdings bedarf es eines brillanten Geigers und eines so besessenen Musikers wie Gerhard Taschner, um dieses ungemein schwere Werk vorzutragen.“
    Furtwängler hatte eine gewisse Scheu vor dem Werk mit seiner Motorik und den vertrackten Rhythmen in den Ecksätzen. Doch nachdem Taschner es mit grossem Erfolg auch unter Hermann Scherchen und Artur Rother gespielt hatte, ging Furtwängler die Sache an. „Ich habe bei den Berlinern angeregt, dass man Taschner mit dem Konzert von Fortner einlädt“, schrieb er am 12. September 1949 an Jung. „Es interessiert mich sowohl Taschners gegenwärtige Leistung als die Musik von Fortner auf diese Weise gleichsam praktisch kennen zu lernen.
    Tatsächlich fanden zwei Konzerte am 18. und 19. Dezember 1949 statt – im Titania-Palast, einem ehemaligen Kino in Berlin-Steglitz, denn die Philharmonie in der Bernburger Strasse war zerstört.


    Ab 1927 studierte der Sohn eines Sängerehepaares gleichzeitig am Konservatorium Orgel und Komposition und an der Universität Philosophie, Musikwissenschaft und Germanistik.
    Mit dem Staatsexamen beendete er 1931 sein Studium in Leipzig und wurde Dozent für Komposition und Musiktheorie in Heidelberg. Nach dem Krieg begründete Fortner mit Steinecke die Kranichsteiner Ferienkurse für Neue Musik. Ab 1954 war er Professor für Komposition an der Musikakademie Detmold, 1957 – 73 an der Freiburger Musikhochschule. Fortner war einer der gefragtesten Lehrer der Nachkriegszeit (darunter Henze, Nam June Paik und Hans Zender).
    Angesichts seiner geistigen Herkunft und seines Werdegangs überrascht, dass seine Opern ( Die Bluthochzeit 1957, In seinem Garten liebt Don Perlimpin Belisa 1962, Elisabeth Tudor 1972) die Höhepunkte seines Lebenswerkes bilden.
    Fortner modifiziert Schönbergs Regeln der Zwölftonkomposition: Er teilt die Zwölftonreihe in mehrere Tongruppen auf, die er als „Modi“ bezeichnet. Durch die sukzessive Verwendung der Modi ergibt sich im Verlauf eines Stücks das chromatische Total. Das zweite Charakteristikum Fortners ist die gleichzeitige Verwendung von mehreren Reihenabschnitten auf verschiedenen Transpositionsstufen. Das Unbehagen an der Unverständlichkeit seriell organisierter Tondauer brachte Fortner dazu, den Rhythmus in „Zellen“, das heisst mehrfach wiederholten Mustern, zu organisieren.
    Obwohl Fortner im Laufe seines Schaffens immer stärker vom Ideal musikalischer Objektivität zugunsten zunehmender Expressivität abrückt, bleibt seiner Musik dennoch eine gewisse Kühle und Distanziertheit erhalten.


    Die MDH hat das Konzert von 1949 mit Wilhelm Furtwängler und Gerhard Taschner auf CD herausgebracht.



    Herzliche Grüsse


    romeo&julia

  • Hallo liebe TaminoanerInnen


    Ein Violinkonzert das erst kürzlich ( 2004 ) uraufgeführt wurde, stammt von


    Friedrich Cerha, geb. 1926,


    Cerhas Violinkonzert sprach uns bereits beim ersten Anhören mit seinen eruptiven Momenten unmittelbar an, dem wir nus nicht entziehen konnten. Auch leisere Passagen prägen sein Violinkonzert.


    Cerha äusserte sich wie folgt über sein Violinkonzert;


    Ich habe im Jahre 2001 im Auftrag des Jacques-Thibaud Violinwettbewerbs in Paris das von allen Kandidaten zu spielende Werk komponiert. Schon während der Niederschrift der „Rhapsodie“ – in besonderer Weise auch der Dynamisierung des Stücks – haben sich mir Orchesterfarben aufgedrängt und mir die Idee eines Konzerts für Violine und Orchester nahegelegt, dessen erster Satz nun auf der – allerdings veränderten und erweiterten – „Rhapsodie“ beruht. Neben meinem Stück wurde im Wettbewerb auch oft „Tsigane“ von Ravel gespielt. Das hat mich aufmerksam gemacht, dass eine – weit entfernt – Wurzel für die heftige Floskel der Geige am Anfang, die in ein Presto-pianissimo mündet, eigentlich aus dem Zigeunerischen stammt, das als Kindheitserfahrung für mich eine Rolle gespielt hat. Beide Elemente kommen – auch getrennt – an formalen Nahtstellen des ersten Satzes mehrfach vor, der rasche Gang auch zweimal knapp vor Schluss des dritten. Die „Rhapsodie“ ist insgesamt vielgestaltig. In einem 6/8-Takt-Abschnitt spielt in schnellem Tempo ein kapriziöser, mitunter fast burlesker – in langsameren auch ein wiegender – Charakter eine grössere Rolle als in all meiner Musik zuvor und verleiht weiten Strecken und der Coda des ersten Satzes eine gewisse „leggerezza“. Sie ist mir auch in der Interpretation wichtig und hat im gegenwärtigen Musikschaffen den Stellenwert des Seltenen. Das rhythmische Geschehen lebt vom Wechsel von 6/8- und 9/8-Takt-Gruppierungen, mit ¾-, 4/4- und 5/4-Taktarten; häufig steht auch beides übereinander. Gerade in der Rhythmik gibt es an einigen Stellen für Kenner Allusionen an Schönbergs späte „Phantasie für Violine und Klavier“ von 1949, deren europäische Erstaufführung ich gespielt habe und die mir sehr ans Herz gewachsen ist. Ein kleines Zitat aus meiner eigenen „2. Violinsonate“ auf dem dynamischen Höhepunkt des Satzes („Grave“) werde hingegen nur ich selbst wieder erkennen.
    Die nahtlose, organische Verbindung von Elementen, die ursprünglich aus sehr verschiedenen Vorstellungsbereichen, aber auch Kulturkreisen und –perioden kommen, gehört seit meinen „Exercises“ ( 1962-67 ) insgesamt zu meinem musikalischen Denken. Auch im 2. Satz des Violinkonzerts ist das so. Die Melodik entwickelt sich aus einem Klangfarbenspiel um ein verstecktes Zentrum d-moll. Nach einer Steigerung bricht dieser Abschnitt schroff ab.
    Seit langem werde ich bis in meine Träume hinein immer wieder verfolgt von den letzten zwei Takten – „wenn am grünenden Hügel Frühlingsgewitter ertönt“ – aus dem zweiten der „Trakl-Lieder“ op 14 von Webern. Sie bestehen aus drei Elementen, die sich in meinem „Nachtstück“ gewandelt wieder finden: einer melodischen Girlande (bei mir zumeist Solovioline oder Streicher im Orchester), rasche Tonwiederholungen (meist Streicherpizzicati im Orchester) und einem kurzen Triller. Als viertes Element tritt bei mir noch eine Tremolopassage am Steg der Streicher hinzu. Diese vier Elemente werden im zweiten Abschnitt des Satzes auf verschiedenste Weise kombiniert und erscheinen in neuen Tonhöhenvarianten. Dies alles ereignet sich in Wechselwirkung zu kantabler, biegsamer Melodik.
    Im letzten Satz, dem „Finale rapsodico“, wechseln, stürmische Passagen im Vierertakt mit wiegenden 6/8-Bewegungen. Im weiteren Verlauf wird vor allem rhythisch auf den ersten Satz Bezug genommen, am Ende einer Quasi-Kadenz der Sologeige, an der orchestrale Einwürfe Anteil haben, auch auf den Gestus des Anfangs der „Rhaposdie“. Danach erscheinen die vier Elemente aus dem „Nachtstück“ noch einmal in neuem Licht, ehe der stark variierte, hefte Anfang die Schlussphase einleitet.


    Für das deutsche Label col legno wurde das Violinkonzert eingespielt.


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    RSO Wien unter Bertrand de Billy, Violine Ernst Kovacic


    Herzliche Grüsse


    romeo&julia

  • Hallo TaminoanerInnen,


    John Adams (geb.1947) ist meiner Ansicht nach ein amerikanischer Komponist für den sich das Interesse lohnt - es gibt leider eine Reihe Komponistzenkollegen von Adams, die dieses Prädikat nicht verdienen.


    Sein Violinkonzert (1993) lohnt die Auseinandersetzung auf jeden Fall. An keiner Stelle langweilig steigert sich das Konzert rhytmisch vom ersten langasamen Satz bis zum schnellen letzten Satz.
    Ohne Vergleichsmöglichkeit kann ich zur NAXOS-Aufnahme mit der Solistin Cloe Hanslip nur den wärmstens empfehlenden Hinweis geben. Die Solistin spielt mit Hingabe alle enthaltenen Werke und hat ein bestens disponiertes Orchester mit Leonard Slatkin und dem RPO zur Seite.
    :P Die Adams-Musik ist "fasslich" und kein Berio-Kauderwelsch !


    Diese NAXOS-CD ist ein Beispiel dafür, wie eine Hochpreisaufnahme klingen sollte, obwohl diese für den üblichen Naxospreis 5 bis 6,-€ zu haben ist.
    Der gebotene Klang hat audiophile Qualitäten (was bei Naxos seltener vorkommt).



    Adams: Violinkonzert (1993);
    Corigliano: Chaconne aus "The Red Violin"
    Enescu: Rumänische Rhapsodie Nr. 1 (arr.Waxman)
    Waxman: Tristan & Isolde-Fantasie

    Chloe Hanslip, Charles Owen, Royal PO, Leonard Slatkin
    NAXOS Aufnahme 2005 DDD


    Auch die anderen Werke hat die Solovoioline ihr Programm:
    Den Satz Chaconne hat John Corigliano später zu einem 3sätzigen VC verwendet - schade das diese hier nicht komplett drauf sind. Aber die Chaconne ist auch sehr hörenswert - mir gefällt´s.
    Die knapp 3Minütige Fassung für V und O von Enescu´s Rhapsody Nr.1 auf der CD ist nur eine Bearbeitung von Waxmann mit Violine --- da ist die 8-10Minütige Originalfassung von Enescu vorzuziehen, dieser Ausschnitt somit absolut überflüssig. Dann hätte Waxman schon das ganze Werk für V und O arrangieren sollen.
    Interessanterer Waxman ist dann schon die Tristan und Isolde Fantasie mit den Soloinstrumenten Klavier und Violine mit Orchester.


    Das Hauptwerk der CD bleibt das John Adams: Violinkonzert.

    Gruß aus Bonn, Wolfgang

  • Banner Trailer 2 Gelbe Rose
  • Noch besser finde ich allerdings John Adams zweites Violinkonzert Dharma at Big Sur für elektronisch-verstärkte Violine und Orchester. Leider ist noch keine kommerzielle Aufnahme vorhanden. Es wird aber am 3.2.07 in der Kölner Philharmonie aufgeführt.

  • Hallo liebe TaminoanerInnen


    Durch die neue Einspielung der deutschen Geigerin Isabelle Faust mit dem Violinkonzert von André Jolivet möchten wir gerne das Konzert kurz vorstellen;



    André Jolivet ist 1905 in Paris geboren und im Dezember 1974 in Paris gestorben.


    Seine musikalische Familie liess ihn Klavierunterricht bei seiner Mutter nehmen und Jolivet nahm auch Cellostunden bei Louis Feuillard. Bereits 13jährig begann er zu komponieren. Beeindruckt von drei Konzerten Schönbergs in Paris 1927 und die Begegnung mit der Musik von Varèse 1929 beschäftigte sich Jolivet verstärkt mit moderner Musik. Er bildete mit den Komponisten Daniel Lesur und Olivier Messiaen die Gruppe „La Spirale“ mit der Zielsetzung die französische Musik zu fördern, später kam noch Yves Baudrier zur Gruppe hinzu. Die Gruppe nannte sich ab dann „La Jeune France“.


    Das Concerto pour violin et orchestre stammt aus dem Jahre 1972.


    Das Konzert ist ein dreisätziges Werk, gegliedert in folgende Sätze; „Appassionato“, „Largo“ und „Allegrarmente“. Das Stück wurde für den russischen Geiger Leonid Kogan geschrieben, musste aber aus gesundheitlichen Gründen absagen. Für die Uraufführung wurde deshalb Luben Yordanoff verpflichtet, unter der Leitung von Georg Solti.
    Dieses Stück ist eine Synthese aus einem Melodiestil und einer klassischen dreisätzigen Form.
    Der erste Satz „Appassionato“ beginnt ohne Orchestereinleitung, die Sologeige beginnt sofort mit dem Orchester zu spielen und wird mit demselben konfrontiert. Es ist eine Sonatenform mit motivistischen Formelementen, abwechslungsreich und flüssigen Farbenwechseln.
    Im Mittelteil dem „Largo“ hebt sich die Violine vom Orchester mit Harfe und Marimba ab. Gegen Ende hält sich das Orchester zurück bis es völlig verstummt.
    Das Finale „Allegramente“ knüpft an das Vorbild Beethovens an was die Form als auch das Verhältnis zwischen Solisten und dem Orchester angeht, das wieder die Initiative ergreift. Die ursprüchliche Bezeichnung „quasi una fantasia“ wie in der Mondscheinsonate ist ein zusätzlicher Hinweis. Ein sehr prägnantes Tanzmotiv steht einem Rufmotiv gegenüber. Mit rhythmisch verzahnten Ausbrüchen. Die Geige erhält erneut die Oberhand und endet mit einer tonalen Wendung.


    Eine gut ausbalancierte Aufnahme mit vielen Stimmungswechseln und mit einer facettenreich agierenden Isabelle Faust.


    Herzliche Grüsse


    romeo&julia

  • Die zwei Violinkonzerte des dänischen Komponisten Poul Ruders möchte ich noch beitragen. Das erste besitze ich in einer Aufnahme mit Rebecca Hirsch und dem Odense Symphony Orchestra unter Leitung von Tamas Vetö, das zweite ebenfalls mit Rebecca Hirsch, diesmal mit dem Collegium Musicum, Copenhagen, unter Leitung von Michael Schonwandt. Nur von dem zweiten habe ich ein Cover gefunden:




    No. 1 ist inspiriert von einem Italien-Aufenthalt des Komponisten 1981 und ist eine Art Hommage an italienische Barockmusik und Vivaldis Vier-Jahreszeiten insbesondere, es hat aber auch Anklänge des Soloinstruments an Schnittke und Strawinsky, im dritten Satz erinnert er an die Winterreise.


    Von No. 2 spricht der Komponist von einer außermusikalischen Quelle, die ihn inspiriert habe: der Segelflug eines Adlers in der Thermik eines aktiven Vulkans in Südchile...


    Ich höre die beiden Konzerte von Zeit zu Zeit ganz gern.


    Ruders hat noch sehr effektvolle Orchestermusik geschrieben, zum Beispiel die 'Solar Trilogy' mit den Stücken 'Gong', 'Zenith' und 'Corona'.



  • Mehr ein Zufallskauf war bei mir das "Concerto Serioso per Violino ed Orchestra" von Leif Segerstam. Da ich mich im Violinrepertoir des 20.Jahrhunderts relativ wenig auskenne, kann ich es in seiner Bedeutung nicht einordnen, mir hat es allerdings auf anhieb recht gut gefallen, ich empfand es in keiner Weise als schwer zugänglich. Auf meiner Aufnahme spielt Segerstams Sohn (?) Hannele Segerstam mit dem "Austrian Radio Symphony Orchestra" (österreichisches Rundfunksymphonieorchester?) unter der Leitung vom Papa Segerstam. Erschienen ist das ganze bei BIS und nun wäre ich dankbar, wenn mir jemand sagen könnte, ob es noch eine Alternativaufnahme gibt und wo man sich hin orientieren könnte, um ähnlich geartete Konzerte zu finden?



    Vielen Dank!

  • Hallo van Rossum,


    wie ich in mehreren Beiträgen von bereits mitbekommen habe, spielen Violinkonzerte, insbesondere die der letzten 100 Jahre, für Dich eine besondere Rolle. Dieses Genre scheinst Du generell den anderen Instrumentatonsgattungen vorzuziehen. Das ist interessant.


    Ich denke, die folgende Frage ist in diesem Thread nicht deplatziert: Wie bist du auf die besondere Orientierung auf diese spezielle Musikgattung gekommen. Was ist der Grund für Dein besonderes Interesse für das Violinkonzert, was lässt es für Dich von Werken anderer Gattungen abheben? Kannst Du das beschreiben?


    Danke und Gruß,


    Uwe

    Ich bin ein Konservativer, ich erhalte den Fortschritt. (Arnold Schönberg)



  • Danke der Nachfrage, Uwe, aber das ist Ganze ist völlig unspektakulär und mit der Zeit gewachsen. Ich meine auch, dass hier schon mal irgendwo kurz beschrieben zu haben. Nun ja, egal. Hier nochmal: Nach Pop-Jugend bin ich durch den Film "Die letzte Nacht des Boris Gruschenko" (von Woody Allen) auf Klassik aufmerksam geworden, denn die verwendete Filmmusik ist die Lieutenant Kije Suite von Prokofiev. Das war der Anfang. Anschließend habe ich mich durch die Stadtbibliothek gehört und folgendes festgestellt: Ich mag Orchestermusik vor Kammermusik und deutlich vor "Gesinge" (sorry, Opernfreaks). Ich bevorzuge deutlich das 20. Jahrhundert. Mozart ist schrecklich und Beethoven langweilig. Na ja, und irgendwie fand ich Konzerte in diesem Bereich (Orchestermusik des 20. Jahrhunderts) noch interessanter als das reine Orchester. Und da haben mich halt die ersten Violinkonzerte mehr vom Hocker gerissen als z.B. die Klavierkonzerte (wo es schon einige gibt, die ich sehr schätze). Ich weiß noch wie begesiert ich von Barber war, dann Sibelius und dann mein Erstaunen über Janacek und kurze Zeit später kam Schostakowitsch Nr.1. Und ab da ist es halt Sammlerwahnsinn.


    Das Ganze läuft also am Ende auf "persönlichen Geschmack" hinaus. Was hochtrabenderes kann ich dazu leider nicht von mir geben.


    Klärt das deine Fragen? Sind neue aufgetaucht?

  • Danke sehr, mir ist jetzt alles klar, aber...


    ...das nennst Du unspektakulär? :)


    Interessant finde ich es schon, sich sehr auf eine Musikgattung zu spezialisieren, naja, ich habe bei den Violinkonzerten noch etwas Nachholbedürfnis. Mir hat es in letzter Zeit das Konzert von Sofia Gubaidulina besonders angetan. Ich höre es häufig und sehr gerne.


    Uwe

    Ich bin ein Konservativer, ich erhalte den Fortschritt. (Arnold Schönberg)



  • Das gefällt mir auch gut, oder meinst du das aktuelle Violinkonzert Nr.2 von ihr?

  • Mein Lieblingskomponist (laut Profil :D) hat übrigens auch ein sehr interessantes Violinkonzert geschrieben, in welchem er sich für seine Verhältnisse sehr weit aus dem spätromantischen Fenster lehnt - noch weiter an die Grenzen der Tonalität ist er wohl nur in der faszinierenden cis-moll-Sinfonie und in einigen Liedern gegangen.


    Das leider zu selten aufgeführte Werk gibt es für ziemlich kleines Geld bei jpc:



    Man kann aber eigentlich auch gleich die ganze Box mit den Orchesterwerken (5 CDs zu 29,90) erwerben. Auch wenn ich die Interpretation der Sinfonien unter dem Molto-Schlepptando-Dirigat von W.A. Albert suboptimal finde - zwecks Kennenlernens lohnt es sich allemal.


    Viele Grüße


    Bernd

  • Nein, das kenne ich, glaube ich, noch nicht. Ich meine das "Offertorium", habe eine wunderbare Einspielung mit Gidon Kremer.


    Ein aktuelles Violinkonzert? Kannst Du dazu etwas sagen?


    Uwe

    Ich bin ein Konservativer, ich erhalte den Fortschritt. (Arnold Schönberg)

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