Vordergründiiger Klamauk oder seriöse Opernkunst? Zur Premiere von "Herzog Blaubarts Burg" in Stuttgart.

  • Die Neuinszenierung von Bela Bartoks Einakter "Herzog Blaubarts Burg" wirft viele Fragen auf? Das fängt schon an, wenn man das Stück einer Gattung zuordnen will: Ist der einstündige Einakter eine Sinfonie mit Stimmen, ein intimes 2 Personen- Kammerspiel, ein Event, eine konzertante Oper oder ein vollwertiger Opernabend? Die Fragen gehen weiter: Ist das alte Paketpostamt in Stuttgart mit seinen riesigen Hallen für eine Opernaufführung überhaupt geeignet? Der Spielleiter Hans op de Beeck stellt selbst auch Fragen? Ist er ein Installationskünslter, ein Filmemacher, ein Regisseur oder ein Allround-Künstler? - all diese Bezeichnungen geistern herum. In jedem Fall konfronierte er den Besucher mit viel Ungewohntem und Außergewöhnlichen.Vor der Halle wird man von dunklen Luftballons empfangen. 18 sogenannte Zeremonienmister*innen schleusen die Besucher in eine große Vorhalle. Danach muss im Halbdunkel der für den jeweiligen Abschnitt zuständige Zeremonienmeister gefunden werden. Schwierig, aber es ist zu schaffen. Dieser hilfreiche Geist betreut seine Schäfchen während des ganzen Abends. Zunächst wird ein Sprechverbot erteilt und statt einer Werkeinführung gibt es eine launige Lesung durch den guten Geist. Weiter in einen anderen Raum. Hier muss sich jeder Besucher Gummischuhe anziehen. Der nächste Raum ist dann der eigentliche Aufführungort mit Bühne und seitlich plaziertem Orchester. Um zu seinem Sitzplatz zu kommen muss man zunächst einen "Spaziergang durch den Morast der Tragödie" machen; das heißt, die ganze Gruppe watet im Gänsemarsch durch knöchelhohes Wasser, vorbei an kleinen Inseln mit schwarzem Sand, Booten, Feuertonnen und winterlich karger Flora. Was ist es?- der Burggraben, Symbol der Einsamkeit oder der Tränensee. Der Phantasie des Wasserwanderers sind kaum Grenzen gesetzt. Die Bühne zeigt keine Burg, sondern einen langen, dunklen Steg mit Pfählen, die Türen andeuten. Endlich geht es los. Das riesig besetzte Stuttgarter Staatsorchester unter der umsichtigen Leitung von Titus Engel spielt mit großer Präzision, die sich mit packender Sinnlichkeit paart. Der ganze Reichtum und die Farbigkeit von Bartoks Musikik, wie Nachromantisches, Impressionistisches, frei Tonales bis hin zu ungarischen Volksmusikanklängen wird fein differenziert mit srak wechselnder Dynamik brillant geboten. Die karge, äußerst minimal abstrakt gestaltete Bühne wird dennoch zum geigneten Spielort, durch die singschauspielerisch brillanten Sänger. Beide überzeugen durch große Stimmen und ausdrucksstarke Darstellung.Die Judith von Claudia Mahnke verkörpert glaubhaft das schwärmerisch liebende Sehnen der verblendeten Frau.Der Blaubart ist

    Falk Struckmann auf den Leib geschrieben. Mit seiner volltönenden wandlungsfähigen Stimme gelingt es ihm, das Seelendrama und die innere Zerissenheit eines schizophrenen Charakters perfekt zu verkörpern. Eine große Leistung von beiden Sängern! Diese hatten dazu noch mit großen Schwierigkeiten zu kämpfen. Durch die Plazierung des Publikums und die Gestaltung der Bühne mussten sie ständig einem Teil der Zuschauer den Rücken zuwenden.Häufig konnten sie mit dem seitwärts stehenden Dirigenten keinen Augenkontakt aufnehmen und mussten sich auf einen schlecht zu erkennenden Monitor verlassen. Da der Regisseur in der ganzen Inszenierung auf Abstraktheit und Minimalismus setzte durften die Sänger ebenfalls nur mit reduzierter Gestik agieren. Dass es den Sängern .trotz dieser Einschränkungen gelang, Gefühlsintensität auszudrücken unterstreicht ihre große Klasse. Die eingangs gestaltete Frage hieß: Vordergründiger Klamauk oder seriöse Opernkunst? Wenn man das Ungewöhnliche und den Eventcharakter akzeptiert wurde seriöse Opernkunst vor allem durch die Sänger und das Staatsorchester Stuttgart geboten. Könnte die quälend lange Einführung am Anfang gestrafft und das Stück konzentrierter geboten werden dann hat die bei der Premiere noch etwas holprige Aufführung die Chance zum großen Musiktheaterlebnis zu werde.
    werden.
    Herzlichst
    Operus



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  • In der Essener Philharmonie gab es eine halbszenische Umsetzung, die ich mir zwei Mal angesehen habe. Ich kenne das Stück sehr gut und war verblüfft, wie gut die Essener Philharmoniker das Stück spielten. Als Ersatzdirigent war Friedemann Layer eingesprungen, den ich noch gut aus Düsseldorf kannte. Keine Mätzchen, kein Pultlöwe, sondern ein genau dirgierender Dirigent. Halbszenisch kann ein Vorteil sein, weil dafür kein RT aufgeboten wird und man sich auf die Musik konzentrieren kann. Das Problem beim Blaubart ist immer gleich: Orchester und Sängerin der Judith sind toll, der Sänger des Blaubart meist nicht. So auch hier. Bei YouTube quält sich John Tomlinson mit der Rolle ab. Mustergültig sind Siegmund Nimsgern, Walter Berry und Fischer-Dieskau.
    Nach der Pause folgte "Erwartung" von Schönberg. Ich hatte vorher bei YouTube nachgesehen und wusste, dass ich dieses 2x nicht sehen muss. In der Pause standen einige Musiker draußen und ich fragte scheinheilig, wer dafür verantwortlich sei, dass nach dem Blaubart ein Schönberg kommen konnte. Sie lachten sich schlapp, weil sie sich das wohl auch gefragt hatten, und boten mir an, mit dem Intendanten zu reden. Dazu hatte ich keine Lust, dafür hatte ich eine schönberglose Muße für Bier und eine kleine Mahlzeit.

    Schönheit lässt sich gerne lieben...

    (Andreas Hammerschmidt,1611-1675)