Walter Gieseking - ein deutscher Pianist aus Lyon

  • Heute vor 58 Jahren, also am 26. Oktober 1956, starb Walter Gieseking in London, nachdem er 61 Jahre zuvor in Lyon (5. November 1895) zur Welt gekommen war. Wenn man dem Inhaltsverzeichnis glauben darf, hat er hier noch keinen eigenen Thread, eine Lücke, die hiermit geschlossen werden soll.
    Dabei hat er sogar ganz in meiner Nähe gewirkt - er war unter anderem hier im Saarland Professor.


    Gieseking, in Frankreich und Italien aufgewachsen, gilt als einer der bedeutendsten deutschen Pianisten. Ich darf an dieser Stelle einige Sätze aus wikipedia zitieren, die seine Leistungen würdigen:


    "Der zu Lebzeiten als Mozart-Spieler, besonders aber als unvergleichlicher Debussy-und Ravel-Interpret verehrte Gieseking beherrschte darüber hinaus ein umfangreiches Repertoire am Klavier. Gieseking verfügte über eine Delikatesse des Anschlags und einen immensen Klangfarbenreichtum, die ideal für die Werke der französischen Impressionisten waren, gegenüber seinen Beethoven-Interpretationen aber Kritik auf den Plan rief – so meinte sein Kollege Claudio Arrau, Giesekings Ton passe nicht zu den Sonaten des Bonner Meisters. Dennoch spielte er bereits mit 20 Jahren alle Beethoven-Sonaten an sechs Abenden.


    Gieseking gilt als einer der großen Pianisten des 20. Jahrhunderts. Auf kaum einen anderen trifft der Begriff Klavier„spiel“ so zu, wie auf ihn. Er hat gezeigt, dass Klavierspielen leicht sein kann, wenn der Körper nicht durch unnötige Starrheit die Leichtigkeit und Gelöstheit hemmt. Die Fähigkeit, geistig-klangliche Vorstellungen unmittelbar in Spielbewegungen umzusetzen, macht ihn zu einer bis heute unerreichten Ausnahmeerscheinung. Giesekings Gedächtnis und seine Fähigkeit, vom Blatt zu spielen, waren nahezu konkurrenzlos und ermöglichten ihm, ein riesiges Repertoire aufzubauen und soeben gehörte oder gelesene Werke sofort vor Publikum darzubieten. Er war nicht nur einer der ersten Pianisten – neben dem Komponisten selbst – die sich an das 2. und 3. Klavierkonzert von Sergej Rachmaninow wagten (es existieren Konzertmitschnitte unter Mengelberg), sondern führte auch zahllose damals zeitgenössische Werke von Komponisten wie Albéniz, Busoni, Hindemith, Krenek, Marx, Pfitzner, Schönberg, Schreker, Strawinski und Szymanowski auf."


    Mir ist er vor allem als Interpret von Schumann und Beethoven vertraut, wobei ich seinen Beethoven sehr gerne höre - da erlaube ich mir, von Claudio Arraus Verdikt abzuweichen. :D Einen guten Einblick in sein Schaffen gewährt diese günstige Kollektion:


  • Lieber Don Gaiferos,


    ich teile deine Ansichten über Walter Gieseking, der inzwischen auch in unseren Beethoven-Sonaten-Threads besprochen wird. Von den Sonaten, die ich bisher gehört habe, ist ihm die "Appassionata" besonders gut gelungen, wie du im entsprechenden Thread, Post. 89, 90 und 93 nachlesen kannst.


    Liebe Grüße


    Willi :)

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

  • Besten Dank für den absolut notwendigen Thread über Walter Gieseking, lieber Don Gaiferos, einen der ganz Großen. Ich werde noch einige besondere Empfehlungen geben! :hello:


    Schöne Grüße
    Holger

  • Ich habe mir gestern einige Sonaten in der Interpretation von Walter Gieseking angehört und kann die Kritik von Claudio Arrau doch einigermaßen nachvollziehen - dies insbesondere dann, wenn man Arraus Interpretationen jenen Giesekings gegenüberstellt. Gieseking hat iMO eine Neigung zum "Hetzen", er spielt trocken und gelegentlich sogar aggressiv. Ich stelle an dieser Stelle 2 Klangbeispiele ein, damit man sich ein Bild machen kann,



    Ich empfehle hier insbesondere, jeweils den Track Nr 4 einander gegenüberzustellen...


    mfg aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Offen gestanden: das Gieseking-Spiel gefällt mir durchaus. Was ich daran bestechend finde ist das Gleichmaß, mit dem er das Prestissimo spielt. Da höre ich keine Ruckler, sondern vor allem klares, sauberes, zugegeben schnelles Klavierspiel. Mit Ausnahme der drei Dauerbrenner "Pathethique", "Mondschein" und "Appassionata" ist mir Giesekings Beethoven allerdings nur wenig vertraut. Mozart schon eher und vor allem sein Debussy.


    Liebe Grüße vom Thomas :hello:

    Früher ist gottseidank lange vorbei. (TP)
    Wenn ihr werden wollt wie eure Väter waren werdet ihr so wie eure Väter niemals waren.

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  • Ich kenne Giesekings Beethoven auch weniger. Nur was ich gehört habe von ihm in Sachen Beethoven, da geht es mir wie Thomas, gefällt mir sehr gut! :hello:


    Schöne Grüße
    Holger

  • Ich habe ja meine bisherigen Rezensionen mit entsprechenden Bewertungsziffern in zwei verschiedenen Tabellen zusammengestellt, eine mit Bewertungen aus Gesamtaufnahmen und eine mit Einzelaufnahmen.
    Gieseking und Arrau lassen sich insofern gut vergleichen, da sie beide mindestens eine Gesamtaufnahme (Arrau drei!) vorgelegt haben.
    Arrau gehört nun zu derjenigen seltenen Spezies von Pianisten, denen die Partitur heilig war und der uns (bis auf eine Ausnahme, ich glaube bei seinen 10 Appassionata-Aufnahmen), keine Note vorenthalten hat.
    Gieseking gehört allerdings wie auch Backhaus zu denjenigen, die sich öfter (Backhaus eigentlich immer) über die Wiederholungsvorschriften hinweggesetzt haben, warum auch immer. Aber das ist in meinen Augen eine Qualitätseinbuße.
    Da Alfred hier die Sonate Nr. 1 f-moll op 2 Nr. 1 eingestellt hat, muss ich allerdings auch sagen, dass da Arrau m. E. eine großartige Interpretation gelungen ist und Gieseking nicht.
    An dieser Stelle will ich nur mal die Satzzeiten gegenüberstellen:


    Arrau (1964)......: 5:23 - 5:41 - 3:01 - 7:24 --- 21:29 min.;
    Gieseking (1956): 2:36 - 5:22 - 2:49 - 4:34 --- 15:21 min.;


    Hieraus geht einerseits hervor, dass Gieseking die Wiederholungsvorschriften am Ende diese Kopfsatzes und auch die im Finale nicht beachtet hat und dass er darüber hinaus im Kopfsatz auch ein sehr rasches Tempo vorgelegt hat. Backhaus braucht für den Kopfsatz 3:01 Minuten, obwohl er nicht einmal die 48-taktige Exposition wiederholt.
    Gieseking hat es darüber hinaus im Kopfsatz mit der Beachtung der dynamischen Vorschriften gelinde gesagt nicht genau genommen.


    Für den geneigten Leser möchte ich hier meine entsprechenden Rezensionen verlinken:


    Arrau: Beethoven: Klaviersonate Nr. 1 f-moll op. 2 Nr. 1, CD-Rezensionen und Vergleiche (2014)


    Gieseking: Beethoven: Klaviersonate Nr. 1 f-moll op. 2 Nr. 1, CD-Rezensionen und Vergleiche (2014)


    In der 2. Sonate A-dur op. 2 Nr. 2 ist Gieseking dagegen nahe bei Arrau mit einer großartigen Einspielung und die Appassionata und die Sonate Nr. 11 hat er m. E. herausragend gespielt.


    Liebe Grüße


    Willi :)

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

  • Zitat

    Thomas Papa: Mit Ausnahme der drei Dauerbrenner "Pathethique", "Mondschein" und "Appassionata" ist mir Giesekings Beethoven allerdings nur wenig vertraut. Mozart schon eher und vor allem sein Debussy.


    Interessanterweise habe ich die heutige Erinnerung an Debussys 154. Geburtstag mit einer Aufnahme Giesekings verlinkt. :D


    Liebe Grüße


    Willi :)

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

  • Nachdem meine Versuche, eine Diskussion über bekannte oder weniger bekannte Pianisten des 20. Jahrhunderts zu beginnen, sowohl bei dem Portugiesen Sequeira Costa (geb. 1929) als auch bei dem Schweizer Adrian Aeschbacher (1912-2002) kläglich gescheitert sind (es gab überhaupt keine Resonanz), versuche ich es nun mit einem unbestreitbaren Giganten, der auch heute, mehr als 60 Jahre nach seinem Tod, noch den meisten Klassikfreunden bekannt sein dürfte: Walter Gieseking, geboren 1895 in Lyon als Sohn deutscher Eltern, gestorben 1956 in London, während der Aufnahmearbeiten an einer Gesamtausgabe der 32 Beethoven-Sonaten. Diese mußte leider unvollendet bleiben.


    Wie nicht anders zu erwarten, existiert hier seit Jahren ein eigener Thread über diesen Künstler, aber die Eintragungen sind spärlich, und seit mehr als 2 Jahren ist nichts mehr dazugekommen.


    Don Gaiferos hat in seinem Eingangsbeitrag vom 26. Oktober 2014 bereits einiges Wesentliche über Gieseking gesagt, dem ich noch ein paar Zeilen hinzufügen möchte.


    Walter Gieseking ist, wie auch seine Kollegen Wilhelm Kempff und Wilhelm Backhaus, während des Dritten Reiches in Deutschland geblieben, was man ihm, ungleich mehr als Kempff und Backhaus, zum Vorwurf gemacht hat. Sein Versuch, im Jahr 1949 eine Konzertreise durch die USA zu unternehmen, die in der Carnegie Hall zu New York beginnen sollte, scheiterte an wütenden Protesten u.a. jüdischer Organisationen, an denen sich auch namhafte US-Künstler wie Vladimir Horowitz, Artur Rubinstein und der Dirigent Eugene Ormandy beteiligten. Die Folge war, daß Gieseking die Einreiseerlaubnis verweigert wurde und er unverrichteter Dinge die Heimreise antreten mußte.
    Dabei war dem Künstler persönlich keine enge Verbindung zur Nazi-Partei oder ihren Protagonisten vorzuwerfen. Hitler hatte ihn zwar auf seine "Gottbegnadetenliste" gesetzt, aber diesen "Vorzug" teilte Gieseking mit vielen namhaften Musikern und anderen Künstlern. Gieseking war ein unpolitischer Mensch, von dem auch keine Lobhymnen auf den "Führer" oder judenfeindliche Äußerungen überliefert sind, wie von manchen seiner Kollegen, wie z.B. Elly Ney.


    In Frankreich und Großbritannien war der Pianist allerdings schon bald nach dem Krieg wieder ein willkommener Gast, und der britische Columbia (EMI)-Produzent Walter Legge hatte keine Skrupel, Gieseking für Plattenaufnahmen unter Vertrag zu nehmen.


    Leider blieben dem Künstler nur noch wenige Jahre, und von der ca. 1955 beginnenden Stereo-Ära konnte er nur noch wenig profitieren. Daran mag es u.a. liegen, daß Gieseking heute in weiten Kreisen nicht mehr den Bekanntheitsgrad seiner etwa gleichaltrigen deutschen Kollegen Backhaus und Kempff genießt, deren Karrieren wesentlich länger waren und die den Vorzug hatten, weite Teile ihres Repertoires in Stereoaufnahmen vorlegen zu können.


    Trotzdem hat uns Walter Gieseking eine stattliche Anzahl von Aufnahmen hinterlassen, was nicht zuletzt dem bereits erwähnten Produzenten Walter Legge zu verdanken ist, der ihn immer wieder zu Aufnahmen in die berühmten Abbey Road Studios einlud. Besonders als Debussy- und Ravel-Spiel genießt Gieseking noch heute internationale Reputation, vor allem in seinem Geburtsland Frankreich. Für manche Klavierkenner gilt Gieseking noch heute als bedeutendster Interpret französischer Klaviermusik, zu denen auch die Werke von Francis Poulenc zu zählen sind, für die sich Gieseking immer wieder nachdrücklich einsetzte. Die nachfolgend gezeigten Aufnahmen haben den Künstler berühmt gemacht und sind praktisch nie aus den internationalen Plattenkatalogen verschwunden:
    daraus einzeln: und:


    Doch nicht nur als Spezialist für französische Musik ist Gieseking bekannt und berühmt. Besonders diese Aufnahmen, die in den 1950er Jahren eingespielt wurden, sind noch heute begehrt und von der Kritik hochgelobt:
    MOZART: Sämtliche Werke für Klavier


    Walter Legges Ehefrau, die Sopranistin Elisabeth Schwarzkopf, hat Walter Gieseking bei der Aufnahme von 16 Mozart-Liedern begleitet:

    Zauberhafte Aufnahmen aus dem Jahr 1955, bereits in STEREO produziert.


    Bekannt geworden ist auch folgende Einspielung:
    BEETHOVEN: Klavierkonzerte Nr. 4 & 5
    mit dem Philharmonia Orchestra London, Dirigent: Herbert von Karajan (Aufnahme: 6/1951, London).
    Später hat Gieseking diese beiden Konzerte noch einmal aufgenommen, mit dem Dirigenten Alceo Galliera, in Stereo (1955). Leider sind die z.Zt. offenbar vergriffen, obwohl sie sowohl klanglich als auch künstlerisch überlegen sind. Scheinbar zieht aber der Name Karajan mehr, obwohl er an diesem Tag nicht mehr als Routine zu bieten hatte.


    Zum Schluß noch ein Konzertmitschnitt, der legendär geworden ist und unter Sammlern enormen Stellenwert genießt:
    RACHMANINOFF: Klavierkonzert Nr. 3 d-moll, Op. 30
    mit Sir John Barbirolli und einem nicht genannten Sinfonie-Orchester (New York PO?), Live-Aufnahme Februar 1939.
    Gekoppelt ist das Konzert mit Francks Sinfonischen Variationen & der Fantasie für Klavier u. Orch. von Debussy (live 1940 bzw. 1938, mit Willem Mengelberg am Pult).
    Technisch klingen diese Mitschnitte kläglich, aber künstlerisch sind sie großartig. Gieseking spielt (was die meisten seiner Kollegen nicht tun), die ungekürzte Kadenz des Kopfsatzes. Es heißt, daß der Komponist, nachdem er Gieseking als Interpret dieses Konzerts gehört hatte, es selber nicht mehr spielen wollte!


    Die diskographische Hinterlassenschaft von Walter Gieseking ist riesig; sie ist unter diversen Labels erschienen. Sie alle, oder auch nur die wesentlichsten, hier aufzuführen, würde den Rahmen sprengen.


    LG, Nemorino

    Die Welt ist ein ungeheurer Friedhof gestorbener Träume (Robert Schumann).

  • Lieber Nemorino,
    danke für die umfangreiche Würdigung Walter Giesekings. Bei Giesekings Spiel stört mich nicht, dass die Aufnahmen mono sind (was zugegebenermaßen bei mir auch kein Kriterium von Wichtigkeit ist).


    Gieseking hat sich immer wieder mit Beethoven auseinandergesetzt, die Sonaten auch zyklisch aufgeführt. Unter anderm auch für Rundfunkausstrahlungen. Nimmt man diese Aufnahmen zu jenen hinzu, die für die EMI aufgenommen wurden. kommt man auf einen vollstaändigen Zyklus der Beethoven-Sonaten. Fast. Die Nr. 22 fehlt.
    Was mir bei seinem Beethoven auffällt: Giesekings ausgezeichnte Technik erlaubt ihm ein extrem virtuoses Tempospiel. Nun gut, die eine oder andere Not landet im Körbchen, das ist halt dem live-Charakter der meisten seiner Beethoven-Aufnahmen geschuldet. Nicht immer tut das Tempo den Sonaten gut. Insgesamt allerdings scheint man die Beethoven-Sonaten in den 1940er und 50er Jahren gerne mit einem hohen Tempo gespielt zu haben, was ich nicht nur den Einschränkungen der Aufnahmetechnik zuschreiben möchte. Für die Rundfunk-Aufnahmen Giesekings ist das ohnehin irrelevant, bei Kempf und Backhaus ebenso wie bei Yves Nat war das Zeitalter der LP bereits angebochen). Dass sich dabei immer noch Bemerkenswertes erarbeiten lässt, zeigen bei allen Vieren die Aufnahmen von op. 111. Sollte das hohe Spieltempo als eine Art Destruktion des Pathos als Herauslösung Beethovens aus der deutschen Inhumanität trotz humanistischen Bildungsideals sein, so gelingt in allen vier Aufnahmen eine wunderbare Arietta.
    Hier sind die beiden Boxen mit Beethovens Klaviersonaten in der Aufnahme mit Walter Gieseking:


    Liebe Grüße vom Thomas :hello:

    Früher ist gottseidank lange vorbei. (TP)
    Wenn ihr werden wollt wie eure Väter waren werdet ihr so wie eure Väter niemals waren.

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  • Bei Giesekings Spiel stört mich nicht, dass die Aufnahmen mono sind (was zugegebenermaßen bei mir auch kein Kriterium von Wichtigkeit ist).

    Lieber Thomas,


    das geht mir genauso! Für mich ist die künstlerische Seite einer Aufnahme immer wichtiger als die technische Beschaffenheit (in vernünftigen Grenzen, d.h. ohne die akustische Ära).


    Gieseking hat sich immer wieder mit Beethoven auseinandergesetzt, die Sonaten auch zyklisch aufgeführt.

    Umso befremdlicher erscheint mir ein Ausspruch von Claudio Arrau, der einmal bemerkte, Gieseking treffe bei Beethoven nicht den richtigen Ton. Ich besitze aus den Londoner Aufnahmen von 1956 eine CD (aus der "Laser"-Serie) mit den Sonaten Nr. 8 "Pathétique", 9, 10, 13 und 14 "Mondschein", alles Stereoproduktionen. Außerdem eine "Appassionata" von 1939 (aufgenommen in New York) und die "Waldstein"-Sonate (HMV, Berlin 1938). Ich kann Arraus Urteil nicht teilen; Neid auf einen Kollegen kann es ja nicht gewesen sein, denn erstens passt das nicht zu Arrau, und zweitens hatte er das ja auch gar nicht nötig!


    Vielen Dank übrigens für die Abbildung der Beethoven-Sonaten. Wie ich feststellen konnte, sind das (mit Ausnahme der Nrn. 4, 5, 7 & 20 aus London) Aufzeichnungen aus den Jahren 1949/50, die in Saarbrücken entstanden (Nr. 15 allerdings 1947 in Berlin). Wie ich Deinen Worten entnehmen konnte, sind das alles Live-Mitschnitte.
    Ich weiß nicht, wie viele und welche Sonaten Gieseking 1956 in den Londoner Abbey Road Studios noch fertigstellen konnte, über der Nr. 15 "Pastoral-Sonate" ist er gestorben (der Finalsatz fehlt). Auf meiner CD befinden sich 5 Sonaten, es gibt aber u.a. auch noch diese CD aus London mit den Sonaten 21, 23, 30 & 31:

    Nach der Angabe auf dem Cover sind aber nur die Nr. 30 u. 31 aus 1956, während Nr. 21 & 23 bereits 1953 aufgenommen wurden.


    Von den vier Mozart-Konzerten, die Gieseking in London aufgenommen hat (Nr. 20 & 25 mit Hans Rosbaud, 23 & 24 mit Karajan), liegen z.Zt. offenbar nur die beiden mit Karajan vor:

    und zwar in dieser 8 CD-Box. Warum man die Rosbaud-Aufnahmen ausgeklammert hat, ist mir unverständlich. Es gab alle 4 Konzerte früher in einem 2 CD-Album (Serie "Références"), zusammen mit dem Quintett für Klavier und Bläser KV 452. Das ist aber schon lange vergriffen.


    LG, Nemorino



    Die Welt ist ein ungeheurer Friedhof gestorbener Träume (Robert Schumann).

  • Walter Gieseking hat schon aus dem Grunde eine historische Bedeutung, da seine Aufnahme der 5. Klavierkonzerts von Beethoven (mit Großen Berliner Rundfunkorchester unter Artur Rother) fast die einzige ganz frühe Stereoeinspielung des Reichsrundfunks ist, die sich erhalten hat. Die Aufnahme stammt aus dem Jahre 1944. Klanglich könnte man sie indes locker in den späten 50er Jahre einordnen. Die Interpretation ist außergewöhnlich, wie es die Umstände waren. Im Hintergrund kann man stellenweise deutlich die Flak hören. Die Anspannung muss für die Musiker enorm gewesen sein.



    Bei YouTube kann man sich einen Eindruck von der für das enorme Alter außerordentlich guten Klangqualität verschaffen:


    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Zusammen mit Taschner haben sie eine wirklich leidenschaftliche Kreutzersonate eingespielt

    Danke, sagitt, für diesen wertvollen Hinweis!
    Auf dieser CD ist diese Aufnahme zu hören:

    Lt. Taschentext eine Aufnahme vom 14.12.1951, ausgezeichnet mit dem Preis der deutschen Schallplattenkritik.


    Auf der CD gibt es außerdem noch die A-dur-Sonate von César Franck (10.4.1947) sowie noch einmal den Finalsatz der Kreutzer-Sonate (Aufnahme der Reichsrundfunkgesellschaft vom 15.3.1945 in Berlin, also zu einer Zeit, als die Stadt ständig dem Bombenhagel ausgesetzt war). Erstaunlich und unbegreiflich, dass Giesekings Name auf dem Cover nicht genannt ist (auf der Rückseite ist er vermerkt)!
    LG, Nemorino

    Die Welt ist ein ungeheurer Friedhof gestorbener Träume (Robert Schumann).

  • Walter Legges Ehefrau, die Sopranistin Elisabeth Schwarzkopf, hat Walter Gieseking bei der Aufnahme von 16 Mozart-Liedern begleitet:


    Gut, dass Du auf diese Produktion verweist, lieber nemorino. Ich habe sie mir gleich wieder hervorgeholt und bin davon hingerissen wie am ersten Tag. Alles gipfelt nach meinem Eindruck in der "Abendempfindung". Walter Gieseking ist ein sehr diskreter Begleiter. Fast schon ohne eigene Ambitionen. So sehr geht er auf die Sängerin ein. Insofern ist er für mich auch in dieser Funktion großartig. Auf der von Dir abgebildeten CD (Beitrag 9) findet sich allerdings nicht die originale Zusammenstellung wie sie in diese Editiion nach der Plattenerstveröffentlichung wieder eingegangen ist:



    Ursprünglich sind es siebzehn Lieder mit Gieseking gewesen - mit "Der Verschweigung" an letzter Position.

    Es grüßt Rüdiger als Rheingold1876


    "Was mir vorschwebte, waren Schallplatten, an deren hohem Standard öffentliche Aufführungen und zukünftige Künstler gemessen würden." Walter Legge (1906-1979), britischer Musikproduzent

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  • Gieseking hat sich immer wieder mit Beethoven auseinandergesetzt, die Sonaten auch zyklisch aufgeführt.

    Umso befremdlicher erscheint mir ein Ausspruch von Claudio Arrau, der einmal bemerkte, Gieseking treffe bei Beethoven nicht den richtigen Ton. Ich besitze aus den Londoner Aufnahmen von 1956 eine CD (aus der "Laser"-Serie) mit den Sonaten Nr. 8 "Pathétique", 9, 10, 13 und 14 "Mondschein", alles Stereoproduktionen.

    Lieber Thomas, lieber Nemorino,


    diese Beethoven-Boxen fehlen mir tatsächlich, sie werde ich mir noch zulegen. Joachim Kaiser schreibt übrigend Ähnliches über Arrau. Die wenigen Aufnahmen der Sonaten, die ich von Geiesking habe, gefallen mir aber sehr gut - wie etwa die Sturm-Sonate.


    Seine hochgeschätzte Mozart-Gesamtaufnahme ist wieder erschienen - ich habe sie mir zugelegt:



    Die RIAS-Aufnahmen habe ich auch (es sind zwei verschiedene CD-Boxen). Die lohnen sich, da ist u.a. ein Mitschnitt der Scriabin-Preludes drin. Gieseking war ja auch ein hoch geschätzter Interpret dieses Repertoires. Hier ist die eine, die andere suche ich nachher mal raus:



    Gekauft habe ich auch diese Box hier - wirklich sehr empfehlenswert. Er war auch ein großer Brahms-Interpret - seinen Schumann finde ich ohnehin genialisch:



    Genialische Davidsbündlertänze und eine wirklich kreislerianisch fantastische Kreisleriana:



    Schöne Grüße
    Holger

  • Alles gipfelt nach meinem Eindruck in der "Abendempfindung". Walter Gieseking ist ein sehr diskreter Begleiter. Fast schon ohne eigene Ambitionen. So sehr geht er auf die Sängerin ein.


    Lieber Rüdiger,


    das ist exakt auch mein Eindruck. Gieseking war ja eigentlich kein Liedbegleiter, sondern ein Konzertpianist von Weltklasse. Aber hier nimmt er sich zurück und begleitet die Sängerin so einfühlsam und zurückhaltend, wie man es sich besser gar nicht vorstellen kann. Die "Abendempfindung" hätte man ans Ende der Platte setzen sollen, als Gipfel- und Endpunkt zugleich.
    Daß es noch ein 17. Lied gibt, wußte ich nicht. Auf meiner alten LP (das war eine Importplatte aus England) waren auch nur 16 Lieder drauf, "Die Verschweigung" fehlte. Ob die Sängerin sie ursprünglich nicht freigegeben hat? Das Stück hätte ohne weiteres sowohl noch auf der LP und erst recht auf meiner CD Platz gefunden …..


    Zu der Schwarzkopf-Box kann ich Dir nur gratulieren; ich habe sie nicht gekauft, weil ich das allermeiste bereits wieder auf CD neu angeschafft hatte. Es ist ja nicht nur eine Frage des Preises, sondern auch des Platzes, und der ist bei mir inzwischen extrem knapp!


    LG,
    Nemorino :hello:

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  • seine Aufnahme der 5. Klavierkonzerts von Beethoven (mit Großen Berliner Rundfunkorchester unter Artur Rother) fast die einzige ganz frühe Stereoeinspielung des Reichsrundfunks ist


    Lieber Joseph II.,


    gut, daß Du an diese Aufnahme erinnerst, sie ist in der Tat eine Trouvaille. Eine Stereoaufnahme von 1944, und das im bombengeplagten Berlin!
    Leider ist sie z.Zt. nur für Leute wie Rothschild oder Bill Gates erschwinglich :D ! Ich habe sie aber vorsorglich mal auf meine Wunschliste gesetzt.


    Gruß, Nemorino

    Die Welt ist ein ungeheurer Friedhof gestorbener Träume (Robert Schumann).

  • Er war auch ein großer Brahms-Interpret - seinen Schumann finde ich ohnehin genialisch


    Lieber Holger,


    es ist ein Jammer, daß Gieseking nur wenige Stereo-Aufnahmen machen konnte, so muß man sich mit Live-Mitschnitten und Vorkriegsaufnahmen zufrieden geben.


    Ich habe Walter Gieseking (da war ich vielleicht 17) erstmals mit dieser 25 cm-LP kennengelernt:

    und war gleich begeistert von seinem Klavierspiel. Debussys "Children's Corner" gibt es inzwischen auf CD, aber die "Kinderszenen" aus dem Jahr 1951 sind, wie mir scheint, nicht überspielt worden. Schade!
    Dann steht noch das Schumann-Konzert in meinem Regal, auf CD überspielt:

    mit dem Philharmonia Orchestra London, Dirigent: Herbert von Karajan (Aufnahme: 8/1953, Kingsway Hall, London).
    Es ist gekoppelt mit dem Grieg-Konzert und Francks Sinfonischen Variationen, die im Juni 1951 in einer Marathon-Sitzung an einem einzigen Tag aufgezeichnet wurden, zusammen mit den Beethoven-Konzerten 4 & 5 sowie den Mozart-Konzerten KV 488 & 491. Letztere sind noch am besten gelungen; zu schnell und zu viel an einem Tag, das geht selten gut. Was Legge, der Produzent, sich dabei gedacht hat, wird wohl sein Geheimnis bleiben.
    Das Schumann-Konzert aus 1953 ist eine gute, aber IMO keine außergewöhnliche Aufnahme, was auch für die technische Seite gilt.
    Brahms mit Gieseking ist bei mir nur mit einer alten Doppel-LP vertreten:



    die ich aber seit einer Ewigkeit nicht mehr gehört habe. Ich glaube, es sind Nachkriegsaufnahmen aus den frühen 1950ern (leider sind sie "ausgelagert", aus Platzgründen).


    LG, Nemorino

    Die Welt ist ein ungeheurer Friedhof gestorbener Träume (Robert Schumann).

  • Leider ist sie z.Zt. nur für Leute wie Rothschild oder Bill Gates erschwinglich


    Ich habe sie inzwischen zu einem moderaten Preis gefunden! Insolvenz abgewendet :D:


    Nemorino

    Die Welt ist ein ungeheurer Friedhof gestorbener Träume (Robert Schumann).

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  • Zu Walter Giesekings Biographie möchte ich noch nachtragen, daß der Künstler 1947 als Professor für Klaviermusik an die Hochschule für Musik in Saarbrücken berufen wurde. Dieses Amt behielt er bis zu seinem Lebensende.
    Im April 1953 konnte er, nach der demütigenden Zurückweisung vier Jahre zuvor, doch noch eine Konzertreise in die USA antreten, die mit einem Auftritt vor ausverkauftem Haus in der New Yorker Carnegie Hall begann. Das Konzert wurde zu einem Triumph für Gieseking, der bereits in den 1920er Jahren in New York und anderen Städten der USA aufgetreten war.
    Kurz vor Weihnachten 1955 wurde Gieseking bei einem Busunfall in der Nähe von Stuttgart verletzt; seine Frau starb an den Folgen des Unglücks. Im Oktober 1956, während der Aufnahmeserie der 32 Beethoven-Sonaten für EMI-Columbia, erkrankte der 60jährige Pianist und wurde in ein Londoner Krankenhaus gebracht. Er wurde wegen einer akuten Bauchspeicheldrüsenentzündung (Pankreatitis) operiert, an deren Folgen er wenige Tage später, am 26. Oktober 1956, verstarb. Das Beethoven-Projekt blieb infolgedessen unvollendet.


    Zum Schluß möchte ich noch auf zwei Aufnahmen aufmerksam machen, die viele Jahre zum "eisernen Bestand" des internationalen Schallplattenangebots zählten:
    und:
    Vor allem die beiden Quintette (rechts) von Mozart (KV 452) & Beethoven (op. 16) mit Gieseking sind noch heute unter Sammlern sehr begehrt. Als willkommene "Zugabe" enthält die CD noch Mozarts Sinfonia Concertante Es-Dur KV 297b (mit Herbert von Karajan und dem Philharmonia Orchestra). In allen Fällen gut klingende Mono-Produktionen.


    LG, Nemorino

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  • es ist ein Jammer, daß Gieseking nur wenige Stereo-Aufnahmen machen konnte, so muß man sich mit Live-Mitschnitten und Vorkriegsaufnahmen zufrieden geben.

    Lieber Nemorino,


    welche Aufnahmen sind denn in Stereo von ihm? Er hat die Stereo-Zeit doch gar nicht mehr erlebt!?


    Die Liedaufnahmen mit der Schwarzkopf - gibt es die einzeln? Und die Grieg-Stücke fehlen mir auch...! :hello:


    Liebe Grüße
    Holger

  • welche Aufnahmen sind denn in Stereo von ihm? Er hat die Stereo-Zeit doch gar nicht mehr erlebt!?


    Lieber Holger,


    RCA begann 1954 mit Stereo-Aufnahmen, die allererste klassische war m.W. das Brahms-Konzert Nr. 1 mit Rubinstein/Reiner.
    EMI experimentierte ebenfalls seit Anfang 1955 mit Stereo, und so kommt es, daß die Mozart Lieder mit Elisabeth Schwarzkopf und Walter Gieseking im April 1955 in Stereo produziert wurden. Die gibt es auch als Einzel-CD, ich habe sie im Beitrag Nr. 9 abgebildet. Bei Amazon ist sie für knapp 2 € + Versandkosten (gebraucht) zu haben.


    Außerdem gibt es die Beethoven-Konzerte Nr. 4 & 5 in Stereo, mit dem Philharmonia Orchestra unter Alceo Galliera (Aufnahme: Sept. 1955). Leider ist wohl z.Zt. nur das Konzert Nr. 4 greifbar:

    Früher gab es die Konzerte 4 & 5 in der EMI-Reihe "Laser", die Ausgabe ist aber vergriffen.


    Dann habe ich aus der unvollendeten GA der Beethoven-Sonaten die Nr. 8 (Pathétique), 9, 10, 13 u. 14 (Mondschein) in Stereo, aufgenommen im Oktober 1956, dem Todesmonat des Pianisten. So weit mir bekannt ist, waren bereits ca. zwei Drittel der Sonaten "im Kasten", über der Aufnahme der Pastoral-Sonate Nr. 15 ist Gieseking gestorben (es fehlt der letzte Satz).
    Ob aber die Sonaten bereits alle in Stereo produziert wurden, entzieht sich meiner Kenntnis. Es gibt die im Beitrag 11 abgebildete CD mit den Sonaten 21, 23 (1953) und 30 & 31 (1956), da steht auf der Rückseite "MONO".
    EMI experimentierte bis 1957 mit Stereo, und wenn das Stereo-Equipment nicht funktionierte (was wohl häufig der Fall war), wurde einfach in Mono weiter aufgenommen. Das ist der Textbeilage einer Karajan-CD mit den Sinfonien Nr. 4 (Schumann) und 8 (Schubert) zu entnehmen. Legge war ohnehin ein Stereo-Skeptiker, er sah in der neuen Technik keine Vorteile! Merkwürdig für so einen großartigen, aufgeschlossenen Produzenten. Erst ab dem 3. Quartal 1957 stellte EMI seine Produktion komplett auf Stereo um.


    LG, Nemorino

    Die Welt ist ein ungeheurer Friedhof gestorbener Träume (Robert Schumann).

  • Hallo nemorino,


    ich schliesse mich Holgers Dank für die zuletzt gegebenen technischen Informationen über Aufnahmemodalitäten in 1955 ff. an. Kann es sein, dass bereits 1944 die eine oder andere Stereo- LP in Deutschland herausgekommen ist ?
    Danke.
    MlG
    D.

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  • Gieseking war ja eigentlich kein Liedbegleiter, sondern ein Konzertpianist von Weltklasse. Aber hier nimmt er sich zurück und begleitet die Sängerin so einfühlsam und zurückhaltend, wie man es sich besser gar nicht vorstellen kann. Die "Abendempfindung" hätte man ans Ende der Platte setzen sollen, als Gipfel- und Endpunkt zugleich.
    Daß es noch ein 17. Lied gibt, wußte ich nicht. Auf meiner alten LP (das war eine Importplatte aus England) waren auch nur 16 Lieder drauf, "Die Verschweigung" fehlte. Ob die Sängerin sie ursprünglich nicht freigegeben hat? Das Stück hätte ohne weiteres sowohl noch auf der LP und erst recht auf meiner CD Platz gefunden …..


    Lieber nemorino, in der Bewertung voin Giesking als Liedbegleiter stimmen wir überein, was mich sehr freut. :) Die andere Sache hat mir natürlich keine Ruhe gelassen. Das von Walter Gieseking begleitete Mozart-Lied "Die Verschweigung" ist als Nr. 17 zunächst lediglich auf einer LP-Pressung für Toshiba-EMI (81060) in Japan erschienen. Auf den europäischen Ausgaben fehlte es tatsächlich. Eine Erkläung fand ich nicht. In einer Schwarzkopf-Diskographie (Hunt 2009) wird es tatsächlich als unpublished geführt, in einer früher erschienen Ausgabe desselben Titels mit dem Hinweis auf auf die Publizierung in Japan. Da komme noch jemand durch! :( In der von mir abgebildeten Warner-Edition (15) ist nun die erweiterte japanische Zusammenstellung übernommen worde. Es gibt noch einen Mozart-Titel aus den Aufnahmesitzungen mit Gieseking 1955 in London: "On moto di gioia" K. 579, der als solcher meines Wissens nach nur in diesem Album nachträglich veröffentlicht wurde:


    Es grüßt Rüdiger als Rheingold1876


    "Was mir vorschwebte, waren Schallplatten, an deren hohem Standard öffentliche Aufführungen und zukünftige Künstler gemessen würden." Walter Legge (1906-1979), britischer Musikproduzent

  • Hallo nemorino,


    ich schliesse mich Holgers Dank für die zuletzt gegebenen technischen Informationen über Aufnahmemodalitäten in 1955 ff. an. Kann es sein, dass bereits 1944 die eine oder andere Stereo- LP in Deutschland herausgekommen ist ?
    Danke.
    MlG
    D.


    Defintiv nicht, lieber Damiro. Deutschland war in pkto. Aufzeichnungstechnik anderen Nationen voraus und der Reichjsrundfunk expermentierte bereits mit einem vorläufer der Stereo-Technik. Die fortgeschrittene Bandtechnik -die es übrigens ermöglichte, auf Vorrat Musik zu produzieren und so Tag und Nacht zu senden, was die Aliierten regelrecht kirre machte- machte solche Aufzeichnungen möglich. Das Archiv des Reichsrunfunks ist allerdings in die Sowjetunion verbracht worden. In Teilen wurde es allerdings im Umfeld der Wende zurückgeführt. Von den stereo-Aufnahmen existiert nur eine eines kompletten Werkes, eben jene Gieseking-Aufnahme. Die andere ist meines Wissen nach eine Satz aus Bruckners 8. Sinfonie mit Herbert von Karajan. 1944 gab es hauptsächlich Schellack-Plattem, gelegentlich Acetat-Platten für die eigenen Schallaufzeichnungen, Viny kam erst Anfang der 50er (in den USA früher). Die ersten stereo-Platten kamen 1958, stero-Aufzeichnungen begannen früher. Stereo-Platten für 1944 können ausgeschlossen werden, bei Bandaufnahmen wären Überraschungen denkbar. Theoretisch. Schwer vorstellbar, dass solche Schätze, gäbe es sie denn, noch nicht gehoben worden wären.
    Liebe Grüße vom Thomas :hello:

    Früher ist gottseidank lange vorbei. (TP)
    Wenn ihr werden wollt wie eure Väter waren werdet ihr so wie eure Väter niemals waren.

  • Kann es sein, dass bereits 1944 die eine oder andere Stereo- LP in Deutschland herausgekommen ist ?


    Das kann ich mir nicht vorstellen, lieber Damiro. Die ersten Stereo-LPs erschienen m. W. erst 1957 oder gar 1958 im Handel - obwohl bekanntlich schon seit 1954 zunehmend in Stereophonie aufgezeichnet wurde.


    Das Thema Reichs-Rundfunk-Gesellschaft und Stereophonie ist ohnehin ein sehr spezielles. Bereits ab 1943 spielte die RRG tatsächlich in Stereo ein. Es sollen damals in kürzester Zeit Dutzende Aufnahmen entstanden sein. Die allermeisten davon verschwanden kurz nach Kriegsende spurlos. Es ist ein Jammer, da sich darunter so unglaublich ambitionierte Stereo-Aufnahmeprojekte wie eine Gesamteinspielung von Wagners "Meistersingern" unter Wilhelm Furtwängler aus Bayreuth 1944 befanden (als Wagnerianer läuft einem dabei das Wasser bereits im Munde zusammen). Wahrscheinlich landeten diese Einspielungen in der Sowjetunion. Nach der Wende kam aber nur etwa eine Handvoll davon (darunter die genannte Aufnahme des 5. Beethoven'schen Klavierkonzerts mit Gieseking) wieder ans Tageslicht. Was mit dem Rest geschah, ist bis heute ungeklärt. Ob sich die Sowjets des Wertes bewusst waren? Vielleicht geschieht ja doch noch ein Wunder und es taucht noch etwas auf.


    P.S. Erst jetzt sehe ich, lieber Thomas, dass Du etwas schneller warst. :D

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Kann es sein, dass bereits 1944 die eine oder andere Stereo- LP in Deutschland herausgekommen ist ?

    Lieber Damiro,


    ich denke, daß Thomas und Joseph Deine Frage bereits hinreichend beantwortet haben.


    Auch ich halte es für unvorstellbar, daß 1944 bzw. 1945 in Deutschland Stereoplatten in die Läden kamen. Die Leute hatten andere Sorgen, und außerdem war jegliches Material knapp. Alles floß restlos in die Kriegsproduktion, um den Endsieg zu sichern :D !


    Übrigens, man liest immer, daß die Aufnahme des 5. Beethoven-Konzerts mit Gieseking/Rother im Jahr 1944 entstand, auf der von mir im Beitrag 20 abgebildeten CD steht auf der Rückseite jedoch der Vermerk: "Rec. Saal 1, Haus des Rundfunks (Reichssender Berlin), 23. Jan. 1945"!
    Wenn das stimmt, so war die russische Winteroffensive auf Berlin bereits seit 10 Tagen im Gange, wenige Tage später wurde Ostpreußen von der Roten Armee durch einen Vorstoß westlich von Elbing vom übrigen Reich abgeschnitten. Und in der Hauptstadt nimmt der Reichsrundfunk Beethovens 5. Klavierkonzert auf, als ob tiefster Frieden herrsche! Die hatten vielleicht Nerven! Oder ist die Angabe "23.1.1945" doch unrichtig? Zu dieser Zeit geriet ja manches durcheinander, was ja auch kein Wunder ist …..


    Das Rätsel um die späte Veröffentlichung der "Verschweigung" werden wir wohl auch nicht lösen können. Interessant ist auch Rheingolds Hinweis auf "On moto di gioia" K. 579, das gleichfalls sonst nirgends erscheint. Ich vermute stark, daß entweder Frau Schwarzkopf oder Gieseking die Veröffentlichung blockiert haben, wohl eher die Sängerin als der Pianist. Vielleicht sollte die eine oder andere Stelle "nachgebessert" werden, und später wurde das dann vergessen. Nichts genaues weiß man nicht. In Legge/Schwarzkopfs Memoiren "Gehörtes, Ungehörtes" (On and off the record) steht kein Wort darüber.


    Schönen Abend und
    LG, Nemorino

    Die Welt ist ein ungeheurer Friedhof gestorbener Träume (Robert Schumann).

  • Ich war etwas in Eile, als ich meinen Beitrag Nr. 24 zu diesem Thread schrieb.


    Deshalb möchte ich hier ein paar Korrekturen anbringen:
    Die Textbeilage, die ich bezüglich der Stereo-Einführung bei EMI anführte, entstammt dieser CD:

    Die Brahms-Sinfonie wurde am 26.5.1955 in London in STEREO aufgenommen, die Schumann-Sinfonie in MONO am 26.4.1957 in Berlin (die Koppelung mit Schubert war ein Irrtum meinerseits).


    Im Begleittext dieser CD heißt es u.a.: EMI begann mit ihren Londoner Stereo-Experimenten Anfang 1955. Diese fanden in einem von den Mono-Hauptproduktionen getrennten Raum statt. Ob ein Werk in Stereo aufgenommen wurde oder nicht, war reiner Zufall: Wenn das Stereo-Aufnahmegerät nicht verfügbar oder nicht funktionsbereit war, war das nicht weiter schlimm - die Mono-Aufnahme ging dessen ungeachtet weiter. Deshalb entstanden zwischen 1955 und 1957 in den Londoner EMI-Studios nur einige Stereo-Einspielungen. Erst 1958 wurde dann die Reproduktionstechnik des Zweikanalklangs auf LP perfektioniert, und Stereo wurde zur Norm" (Zitatende).
    So kam es, daß die aufwendige Produktion der Oper "Capriccio" von Richard Strauss, die im September 1957 und März 1958 stattfand, nur in Mono erschien, weil gleich zu Beginn der Aufnahmesitzungen das Stereo-Aufnahmegerät ausfiel und Legge als Produzent kurzerhand entschied, die Oper komplett in Mono aufzunehmen. Ein nicht wieder gutzumachender Fehler, denn dadurch geriet seine Aufnahme trotz überragender künstlerischer Qualitäten bald ins Abseits.


    LG, Nemorino







    Die Welt ist ein ungeheurer Friedhof gestorbener Träume (Robert Schumann).

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