Franz Schubert, Klaviersonate Nr. 21 B-dur D.960, CD (DVD)-Rezensionen und Vergleiche (2017)

  • Franz Schubert, Klaviersonate Nr. 21 B-dur D.960
    Alfred Brendel, Klavier,


    Alfred Brendel hier bei seinem letzten Londoner Recital am 27. 6. 2008
    Instrument: Steinway
    AD: 14. 12. 2008, Hannover, Großer Sendesaal, live
    Spielzeiten: 15:07 (20:04) - 9:03 - 4:05 - 8:49 --- 37:04 (42:01) min; (wären es etwa mit Wiederholung der Exposition im Kopfsatz gewesen.


    Kommen wir nun zur letzten Aufnahme Alfred Brendels von der großen B-dur-Sonate, der fünften, womit er genauso viele Aufnahmen vorgelegt hat wie sein Freund Paul Badura-Skoda und Swjatoslaw Richter, wenn mich meine Unterlagen nicht trügen. Von Lazar Berman liegen mir drei Aufnahmen vor, ebenso wie von Valery Afanassjew, aber von Berman gibt es noch eine vierte, die sich jedoch nicht in meinem Bestand befindet.
    Die hier vorliegende fünfte Aufnahme Brendels ist nach meiner Kenntnis die letzte Aufnahme des letzten Konzertes, das er überhaupt in Deutschland aufgeführt hat. Eines der letzten habe ich am Allerheiligentag 2008 live in Berlin miterlebt, wo er mit den BPh und Sir Simon Rattle das c-moll-Konzert von Mozart aufgeführt hat. Und die B-dur-Sonate habe ich auf seiner Abschiedstournee in Köln und in Flensburg live erlebt. Sie ist überhaupt die Sonate, die ich in meinem Leben am häufigsten live erlebt habe, außer mit Brendel auch mit Buchbinder, Volodos, Schiff, Mauser, Endres, Andsnes, Uchida, Leonskaja und Goode, wenn ich keinen vergessen habe.
    Und ich werde sie in der diesjährigen Festival-Saison nochmal erleben mit Sir Andras Schiff, der zusammen mit Denis Varjon vom 7. bis 9. September auf dem Bonner Beethovenfest die späten Schubert-Sonaten D. 958 - 960 und Beethoven-sonaten op. 101 bis op. 111 aufführen wird.
    Dieses Projekt wird dann zufällig noch um einen Tag verlängert durch Maurizio Pollini, der am 10. September in Köln die Hammerklaviersonate von Beethoven, zusammen mit dessen Pathétique und Schönbergs op. 11 und op. 19 gibt.


    Alfred Brendel beginnt sein letztes Konzert in Deutschland mit einem bestens gestimmten Instrument, das einen sonoren, klaren Klang besitzt und den Tiefbass im ersten Triller Takt 8 sehr dunkel wiedergibt. Im Tempo schein er mir keinesfalls langsamer als in seiner Londoner Aufnahme von 1997. In der Themenwiederholung bringt er in Takt 13 bis 15 eine moderate dynamische Kontrastbewegung ein, die mich in ihrer Selbstverständlichkeit tief berührt.
    Im dritten Thementeil (Takt 20 bis 35), in dem die "innere Beschleunigung" stattfindet, die er sehr schön ausführt, verfällt er wiederum nicht auf den Fehler, sich auch zu einem vorschnellen Crescendo hinreißen zu lassen, wie ich es schon verschiedentlich gehört habe. Erst in Takt 34 und 35 spielt er ein mitreißendes Crescendo.
    Auch das Crescendo im Übergang zum Seitenthema ist kurz und knackig, aber nicht überbordend.
    Im Fis-moll-Seitenthema spielt er ein wundervolles Legato, verbunden mit fließenden dynamischen Bewegungen, die sich dann im dritten Thema (ab Takt 70, wieder in B-dur) organisch mit der Achteltriolen-Sequenz im raschen rhythmischen Wechsel zwischen Staccato- und kurzen Legato-Figuren verbinden und diese durchmessen, dabei auch die Oktaven wechselnd- wunderbar!
    Mehr als mancher Andere führt er im letzten Teil dieses Abschnitts die stockenden Pausen, Takt 94, 95, 96, 97, hin zur Schlussgruppe, aus. Auch das gefällt mir ausnehmend.
    In der wunderbaren Schlussgruppe behält er den temporal etwas reduzierten Bogen bei, lässt gar noch etwas nach und führt auch die nunmehr gestiegenen dynamischen Kontraste partiturgetreu aus.
    Ich habe mir vorgenommen, da er bis hierhin den Kopfsatz so überragend gespielt hat, es nicht zu beachten, dass er auch im letzten Konzert die Exposition nicht wiederholt.
    Das Übergangsritardando, zur Durchführung hin, ist traumhaft.
    In der Durchführung spielt er mit klarem Klang, mit Vorwärtsdrang und mit sehr klar hervortretenden wechselnden Achtelintervallen in der Begleitung sowie aufmerksam gestalteten dynamischen Bewegungen.
    Sehr berührend sind auch, hier ab Takt 131, die Achteltriolen im Wechsel von Stakkato und Legato in anmutigen Bewegungen und schönen dynamischen Figuren, auch in der Rückkehr zum B-dur ab Takt 146, obwohl nun die störenden klopfenden Achtel im Bass auftreten, die Brendel nach anfänglich prägnantem Anschlag stark zurückfährt, aber sie sind immer noch schwach zu vernehmen- grandios!
    Als sie jedoch in Takt 159ff. die Oktave wechseln in den Diskant und musikalisch dichter und dissonant werden, lässt Brendel sie immer stärker hervortreten, vor allem im Bass, wodurch die bedrohliche Struktur noch überzeugender gerät in einem fesselnden Crescendo, und im anschließenden Abschnitt ab Takt 173 in den Quint-Sext-Akkordwechseln lässt Brendel die dynamischen kurven wellenförmig verlaufen, und im letzten Abschnitt, als die Basstriller wieder auftauchen (ab Takt 186, nehmen sie auch hier prägnantere Gestalt an. Gleichzeitig gestaltet Brendel die melodischen Bögen immer luzider, lässt sanfte Rubati einfließen und gestaltet den Übergang zur Reprise in den hohen Bögen ab Takt 204 atemberaubend, ebenso wie den anschließenden Abstieg ins Piano pianissimo (ab Takt 212).
    Vor der Reprise gestaltet er dann ein ziemlich lange Pausenfermate. Und seine Reprise klingt dann in der Tat auch anders als die Exposition, abgeklärter, voll innerer Ruhe- wunderbar das Ende des Themas in Takt 222 und der anschließende Triller in "ppp". Das ist m. E. unübertrefflich. Mir fällt da spontan das Bild ein, als wenn der "Wanderer" in diesem Moment ein Tor durchschritten hat in eine andere, bessere Dimension.
    Der dritte Teil des Themas mit den Variierungen scheint noch heller, noch positiver, und am Ende dieser Variationen lässt Brendel dann das gloriose Crescendo stärker hervortreten als in der Exposition. Auch die nächste Steigerung, am Übergang zum fis-moll-Seitenthema, empfinde ich als stärker.
    Das Seitenthema selbst, obzwar in moll, wirkt m. E. luzider, herrlich, wie Brendel die Sequenz mit den Achteltriolen gestaltet, wie eine schier endlose Kette glitzernder Perlen in den Figuren im Diskant. Dann auch in der Schlussgruppe: Ruhe und Gelassenheit, Entschleunigung. Alleine die beiden Achtelakkorde am Ende von Takt 320 sind zum Niederknien. und Selbst der kraftvolle ff-Doppelakkord in Takt 324 scheint ein Ausdruck schierer Freude. Und dann wieder mit dem Decrescendo ab dem Fortepiano in Takt 332 wieder die Rubati und schließlich die Wundercoda- das alles macht mich schier fassungslos.
    Bis jetzt kann man m. E. sagen: sein letzter Schubert, seine letzte B-dur-Aufnahme, war seine beste.


    Im Andante ist Alfred Brendel ähnlich im Tempo unterwegs wie in seiner 11 Jahre zuvor entstanden Londoner Aufnahme. Die mittlere Begleitnote (Zweiunddreißigstel) hebt er nun nicht mehr so stark hervor. Ansonsten scheint mir der Beginn dynamisch geringfügig auf einem höheren Niveau zu liegen, di dynamischen Verläufe aber nach wie vor partiturgetzreu auszufallen und das Thema in einer organischen Steigerung auszulaufen (Takt 9 bis 12). Im Ausdruck ist er ähnlich wie 1997.
    Die kurze Dur-Auflösung (Takt 13 bis 17) ist wieder sehr anrührend in ihrer Einfachheit und Klarheit und dadurch musikalisch von großer Tiefe. Dies gilt auch für die Wiederholung des Themas und die nächsten dynmischen Bewegungen einschließlich der zweiten Steigerung (ab Takt 26). Wunderbar auch erneut sein Herabsinken in das "ppp" ab Takt 38, hin zu dem himmlischen Seitenthema in A-dur.
    Dieses Seitenthema spielt er in der Tat wieder himmlisch, mit leichter innerer Beschleunigung, etwas betonteren dynamischen Wendungen und einem ergreifenden Klang, auch in der Oktavierung nach oben in der Wiederholung ab Takt 51 mit den Sechzehntel-Quintolen in der Altlage- welch ein erhebender Gesang!
    Auch die Rückkehr zum Bass, ab Takt 59, nun auch mit Staccato- und Portato-Einsprengseln, und schließlich die dynamischen Akzentuierung und die Steigerung am Ende dieses Abschnitts spielt er grandios. Auch der letzte Abschnitt, wiederum mit den Sechzehntelquintolen im Diskant und den wechselnden Intervallen im Bass in sanft wiegenden dynamischen Bewegungen bleiben auf diesem sehr hohen Ausdrucksniveau und er schließt das Seitenthema mit einem ausreichend langen Generalpausentakt (Takt 89).
    Die dann im reprisenförmigen Teil wiedereintretende Trauer verstärkt Brendel auch in dieser letzten Aufnahme mit prägnanten klopfenden Sechzehntelfiguren in der Begleitung, wobei aber Eines noch zu bemerken ist: die dynamische Spannweite vergrößert er wiederum von einem tiefer liegenden Ausgangspunkt her, nicht in Richtung eines dynamisch höher liegenden Endpunktes. So tritt auch die kurze Phrse mit der Durauflösung wieder hervor, hier Takt 113 bis 116.
    So taucht er auch am Ende dieses Übergangs in die wundersame "ppp" -Coda ein, die er, ein letztes Mal, herausragend spielt.


    Vielleicht sollte das Scherzo diesmal überschrieben sein mit "Allegro molto vivace con grande delicatezza", so rhythmisch prägnant, mozartinisch leicht und lustvoll spielt er es. Größer könnte ein stimmungsmäßiger Kontrast zwischen den beiden Mittelsätzen kaum sein, als er hier in seiner letztgültigen Aussage zur B-dur-Sonate.
    Auch das b-moll-Trio ist bei ihm wieder ein gehöriger Kontrast zum Scherzo. Wie sagt er so schön selbst dazu:

    Zitat

    Alfred Brendel: Im Scherzo flattert ein schwereloser Luftgeist, dem der etwas mürrische Erdgeist des Trios widerspricht".


    Das hört man, das Mürrische z. B. deutlich in den Forzando-Piano-Synkopen. Mancher andere Pianist hat das nicht so betont.
    Natürlich spielt Alfred Brendel auch das Scherzo da capo und die 4 Codatakte.


    Im Finale lässt es Alfred Brendel, z. B. im Vergleich zu Swjatoslaw Richter, dem dritten mit fünf Einspielungen dieser Sonate, wie wir noch sehen (und hören) werden, vergleichsweise ruhig angehen, natürlich nur, was das Tempo angeht.
    Und so spielt er den Expositionsabschnitt, ganz wie es die Partitur verlangt: "allegro, ma non troppo". Die rhythmischen Kontraste, die sich teilweise in kürzesten Abständen ändern, arbeitet er sehr sorgfältig heraus, so dass der Satz auch ohne vordergründig hohes Tempo ausreichend Schwung gewinnt.
    Im beseligenden Seitensatz (ab Takt 85) fährt er gar das Tempo noch etwas zurück, wodurch die sangliche Tiefe dieser Sequenz noch zunimmt. Und nebenbei legt er so die Struktur auch noch mehr offen, was der Wirkung der vielen Synkopen-Achteln in der Begleitung nur gut tut.
    Im ersten, dramatisch daher kommenden durchführungsartigen Abschnitt (ab Takt 156) tritt dann das ein, was er im Beiheft so beschreibt:

    Zitat

    Alfred Brendel: Dieses Finale zeigt eine Fröhlichkeit, die nicht mehr unschuldig ist wie jene des Forellenquintetts und nicht zähneknirschend wie der Ausklang des Streichquintetts. Ihr Bereich liegt irgenwo zwischen Jean Paul-schem Humor und dem Wiener Diktum, die Lage sei hoffnungslos, aber nicht ernst.


    Und so setzt er die beiden Teile dieses Abschnitts, den ersten mehr dramatisch-rhythmisch scharfen (Takt 156 bis 184) und hochdynamischen, sowie den zweiten mehr lyrisch fließenden mit Achteltriolen begleiteten (Takt 185 bis 223) auch sehr deutlich voneinander ab.
    Und der nächste Abschnitt, der fast reprisenförmig (mit dem G-Akkord) beginnt, aber dann doch wie eine "durchführungsartige Fortsetzung mit anderen (musikalischen) Mitteln" anmutet, bestätigt dies noch, und das ist nicht zum letzten Mal so, denn hier geht es ja über 50 Takte so hochdramatisch weiter, bevor das Decrescendo ab Takt 298 wieder zum Durchatmen einlädt, und hier spielt der die Sechzehnteltonleitern in dem ellenlangen Decrescendo atemberaubend, bis dann in Takt 312 der wirklich reprisenförmige Abschnitt anhebt. Und die hier auftauchenden dynamischen Bewegungen sind wieder von größerer Zurückhaltung geprägt, was Brendel wundervoll zum Ausdruck bringt und nahtlos in das lyrische Seitenthema einfließen lässt. Wie beseligend erklingen doch die sanften Thementeile im Tiefbass (ab Takt 396 bis 404).
    Dann spielt Brendel ein letzes Mal die zweiteilige durchführungsartige Sequenz, aber mit etwas reduziertem dynamischen Aplomb, und im zweiten Abschnitt ab Takt 459 singt der Flügel wieder, begleitet von den sanft wiegenden Achteltriolen, bevor ein letztes Mal die G-Akkorde ertönen, in Takt 490/491, 496/ 497 und 502/503, jeweils dynamisch weiter reduziert und er auch retardiert, bis ein letztes Mal die großartige Presto-Coda ertönt, jedenfalls in einem Brendelkonzert.
    Nach diesem Konzert brach in Hannover spontaner Jubel aus wie auch bei den beiden Konzerten, die ich im Mai und im Juli 2008 live miterleben durfte.


    Diese letzte Brendel-Aufnahme möchte ich dann doch den Referenzen zurechnen.


    Liebe Grüße


    Willi :thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup:

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

  • Lieber Willi,


    wieder einmal ist Deine Beschreibung wunderbar zu lesen! :) Aus welchem Brendel-Buch stammen denn die Zitate? Das muss ich mir doch endlich auch besorgen. Das wäre eine gute Ferienlektüre. Den Rubinstein habe ich ja durch! :hello:


    Schon jetzt ist es so heiß, dass es kaum auszuhalten ist!


    Liebe Grüße
    Holger

  • Lieber Holger,


    diese Zitate stammen aus dem Booklettext dieser letzten Aufnahme. Sie sind nicht aus seinem Buch "Über Musik".


    Liebe Grüße


    Willi :)

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

  • Franz Schubert; Klaviersonate Nr. 21 B-dur D.960
    Rudolf Buchbinder, Klavier


    Instrument: Steinway
    AD: Wien, Musikverein, 27. 9. 2012
    Spielzeiten: 20:21 - 9:09 - 4:07 - 7:57 --- 41:34 min.;


    Schade, dass Buchbinders 30 Jahre alte erste Aufnahme nicht mehr zu haben ist, denn da hat er noch ganz andere Zeitvorstellungen. Und wie ich bei den Beethoven-sonaten erlebt habe, sind die früheren Aufnahmen fast durchweg den späteren vorzuziehen.Sollte jemand diese Aufgabe zu Hause haben und mir die Dateien per WeTransfer zuschicken können, so wäre ich sehr dankbar dafür. Alfred würde sicher meine Email-Adresse weitergeben:
    41ZY5p-17zL._AC_US218_.jpg
    Hier in dieser 25 Jahre jüngeren Aufnahme spielt er erheblich schneller, etwa im gleichen Tempo wie Alfred Brendel in seiner letzten Aufnahme von 2008, und, wie ich finde, zumindest im Hauptthema, Teil I und II, in einem berückenden Pianissimo.
    Auch spielt er sehr transparent, und die verschiedenen Stimmen sind sehr gut zu verfolgen. Vielleicht beginnt er am Ende des dritten Teils ein wenig zu früh mit dem Crescendo, das ist jedoch noch tolerabel und das Crescendo wirklich bemerkenswert. Allerdings könnten die dynamischen Akzente in Takt 40 und 42 deutlicher ausfallen . Das anschließende Decrescendo (Takt 45) ist wieder sehr schön und leitet in ein deutliches zweites Crescendo, hin zum Fortissimo in Takt 46, am Übergang zum Seitenthema in fis-moll.
    Das Seitenthema selbst gefällt mir über die Maßen. Hier trifft er die dynamischen Akzente, Steigerungen und Decrescendi sehr partiturgetreu, und der Bogen zu Beginn der Rückkehr in das B-dur (Takt 70ff9 ist sehr strahlend angelegt und dann wunderbar zurückgenommen.
    Auch der letzte Teil der Exposition, die Sequenz mit den Staccato-Achteltriolen, wechselnd mit den kurzen Bögen (ab Takt 79), ist großartig gespielt, und hier passt auch das unmerklich gesteigerte Tempo sehr gut hin. Die sanften dynamischen Bewegungen bindet er sehr gut in den Ablauf ein.
    Die Schlussgruppe spielt er dynamisch außergewöhnlich kontrastreich, ja geradezu grandios. Auch spielt er hier das reduzierte Tempo sehr schön kontrastierend zur vorhergehenden Staccato-non Legato-Sequenz.
    Vollends begeistert mich die Überganssequenz. Ich glaube, dass mich noch kein ffz-Basstriller so erschüttert hat wie derjenige Buchbinders hier und heute( (Takt 124a/125a auf der Eins)- überragend. Und wiederum frage ich mich, warum Brendel sich stets vehement geweigert hat das zu spielen. Seine Begründung, die ich weiter oben in den entsprechenden Rezensionen abgedruckt habe, hat mich keineswegs überzeugt, sondern mich haben die Begründungen mehrerer Pianisten überzeugt, warum sie sie spielen. Mit Gerhard Oppitz habe ich ja persönlich darüber diskutiert, und mehrere andere Pianisten haben sich ja dazu in den Booklets ihrer Aufnahmen geäußert.
    Jedenfalls bin ich froh und dankbar, dass ich hier eine weitere überzeugende Exposition noch einmal wiederholt hören kann, nach einer ausreichend langen Generalpause.
    Bei der Wiederholung der Exposition hat sich Rudolf Buchbinder m. E. in den letzten sechs Takten vor dem eigentlichen Crescendo in Takt 34 zu sehr vom eigenen Schwung mitreißen lassen und das Crescendo zu früh begonnen. So musste er natürlich im eigentlichen Decrescendo noch mehr steigern und war statt des Fortespitze mühelos im Fortissimo angelangt. Das klingt zwar auch großartig, ist aber so nicht(ganz) korrekt.
    Die weitere Wiederholung der Exposition war, wie ich finde, durchaus überzeugend.
    Den Übergang zur Durchführung spielt er im Ritartando sehr berührend. Den Beginn der cis-moll-Durchführung spielt er in still-traurigem Duktus, und in der Achteltriolen-Sequenz hellt er das Geschehen wieder etwas auf, desgleichen in der Rückkehr zum B-dur im zweiten Teil (ab Takt 146).
    Dass aber das Geschehen nach wie vor brüchig ist, demonstriert auch er durch die klopfenden, insistierenden Achtel, zumal in dem sich dann anschließenden zunehmend dissonanten und musikalisch dichter werdenden Abschnitt ab Takt 159, einhergehend mit der grandiosen Steigerung ab Takt 163, und danach in den ebenfalls in die obere Oktave verlegten wechselnden Quint- und Sextakkorden, die an Eindeutigkeit nichts zu wünschen übrig lassen und ab Takt 186 noch durch die zurückgekehrten Basstriller verstärkt werden, wobei das Thema, hier jetzt in der hohen Oktave, durch die Quint- oder auch Sextakkorde jeweils unterbrochen wird.
    Erst mit Auftreten der von Buchbinder sehr schön prägnant gespielten Fortepiano-Akkorde in Takt 203 wird eine Änderung deutlich, an die sich der herrliche Bogen mit den absteigenden Staccatoachteln (ab Takt 204 und 209 anschließt und die nahe Reprise ankündigt. Auch diesen Übergang spielt Buchbinder grandios und schließt eine deutlich Pausenfermate an, nach der das Thema in beseligendem Lichte aufscheint, wie ich finde. Wunderbar auch, wie er nach dem ersten Achttakter den anschließenden Basstriller ins Piano Pianissimo absinken lässt.
    Doch auch hier meine ich, wie er im dritten Teil zu früh steigert, nicht erst ab Takt 253.
    Das Seitenthema spielt er wieder herausragend, auch die Staccato-Nonlegato-Sequenz mit den Achteltriolen, wobei er auch hier wieder die dynamischen Bewegungen sehr sorgfältig nachzeichnet und auch die rhythmischen Brüche mit den Achtel- und Viertelpausen präzisen einflicht.
    Auch die Schlussgruppe spielt er abermals großartig. mit den gebrochenen Akkorden am Ende jeder Phrase (Takt 322, 323, 324).
    Dann schließt er die wundersame kurze Coda (ab Takt 345) in sehr anrührendem Spiel mit einem kurzen Morendo an.
    Ein grandios gespielter Kopfsatz mit kleineren Irritation dynamischer Art.


    Das Andante sostenuto beginnt er, wie ich finde, in einem durchaus traurigen Ausdruck in schönem Pianissimo im Teil A in cis-moll und beendet diesen ersten Thementeil mit einer veritablen terrassendynamischen Steigerung, der er eine überragend gespielte Durauflösung nach E-dur in den Takten 13 bis 17 anschließt. Auch die Phrase danach (ab Takt 18) packt mich regelrecht, und im Takt 25 geht er sogar noch unter das verlangte Piano, spielt ein pp mit höchstem Ausdruck, direkt vor der Steigerung ( ab Takt 27 mit Auftakt). Danach entfaltet er einen ausdrucksmäßig erschütternden Abstieg ins Piano Pianissimo, kurz vor dem Übergang zum himmlischen Seitenthema- grandios!
    Das Seitenthema spielt er in einem sehr ergreifenden Choral, und steigert es noch dadurch im Ausdruck, wie ich finde, wie einfach und natürlich er es spielt. Das ergreift mich wieder, und ich glaube, es hätte Schubert auch ergriffen.
    Wunderbar spielt er auch die große Steigerung ab Takt 71 und führt sie in Takt 74 wieder ebenso bemerkenswert zurück. Dann schließt er das berückende Thema, nun im Diskant, unterlegt ebenfalls im Diskant mit Sechzehntelsextolen, in berührendem Spiel an, wobei er das Thema langsam im Morendo auslaufen lässt und eine signifikante Pausenfermate anschließt (Takt 89).
    Beim Wiedereinsetzen des cis-moll-Hauptthemas stellt auch Rudolf Buchbinder die durchlaufenden klopfenden Sechzehntelakkorde im Bass deutlich heraus und spielt gleich die erste Steigerung kraftvoll zum Forte hin, um dem dann direkt die sehr berührend gespielte Durauflösung (hier Takt 103 bis 106) kontrastierend gegenüberzustellen. und dann in der Themenwiederholung ein letztes Mal di Steigerung zu spielen hin zur Coda, die dann nach der nun formal geänderten Sechzehntelfigur in Takt 122 erreicht ist und lässt die zu Herzen gehende Coda in unsere Herzen strömen- nach einem solchen teilweise sehr traurigen Thema, auch Ausdruck des persönlichen Schicksals des Komponisten, ein solch beseligendes Ende des Satzes zu finden, das vermag (fast) nur Schubert, und Rudolf Buchbinder hat das hier kongenial umgesetzt! Hier ist Buchbinder geringfügig langsamer als Brendel.
    Eine ohne Einschränkungen grandiose Interpretation.


    Im Scherzo ist Buchbinder auch in etwa zeitgleich mit Brendel. Er spielt das Scherzo in zutreffendem Pianissimo von Beginn an mit dennoch gut vernehmbaren dynamischen Bewegungen, ausgehend von der niedrigen Grundlautstärke und mit wenigen, durchaus sinnvollen Rubati, die m. E. auch eine gewisse Unruhe symbolisieren, die in diesem vordergründig fröhlichen Satz steckt.
    Auch die stärkeren dynamischen Verläufe bildet Buchbinder sorgfältig ab.
    Im Trio hebt Buchbinder die Synkopen stärker als mancher andere hervor, wodurch die diesem Satz innewohnende Unruhe m. E. nochmal verstärkt dargestellt wird. Auch Buchbinder spielt danach das Scherzo da capo und anschließend die vier kurzen Codatakte.
    Ebenfalls großartig gespielt!


    Im Finale ist Buchbinder dann deutlich schneller als Brendel. Die einleitenden G-Akkorde spielt er schön im subito piano, und hier und da an den Phrasenenden tauchen wieder diese kleinen Rubati auf, was bei diesem höheren Tempo noch stärker wirkt.
    Ebenso fließt der rhythmisch in der oberen Oktave durchgehend im Legato befindliche Seitensatz mit gelegentlichen Temposchwankungen an uns vorüber. Passend zum höheren Tempo sind auch die beiden von ihm gestalteten Generalpausentakt 154/155 sehr kurz, vor allem, wenn man ihn mit Afanassjew vergleicht.
    Auch der erste durchführungsartige Abschnitt ab Takt 156 wirkt in dem höheren Tempo dramatischer und fast gehetzt, wobei mit dem Decrescendo ab Takt 184 auch ein kleines Ritardando einhergeht, das den zweiten Teil dieses Abschnitts, den weniger dramatischen, eher lyrisch fließenden einleitet und von den auch in diesem Tempo dank Buchbinders sehr transparenten und präzisen Spiels noch gut vernehmbaren Achteltriolen in der Begleitung kontrastiert wird.
    Den nächsten abschnitt, der zwar mit dem Originalthema wieder beginnt, aber ansonsten kaum reprisenförmige Züge aufweist, sondern eher einer Fortsetzung des durchführungsartigen Procederes ähnelt, spielt Buchbinder mit dem notwendigen dramatischen Anstrich, auch hier ab Takt 265 die Achteltriolen klar hervorhebend, und nimmt ab Takt 270 mit Auftakt die dramatische Aktion wieder auf, die sich auch in den Sechzehnteltonleitern ab Takt 292 noch fortsetzt, bevor er hier im Decrescendo ab 298 kontinuierlich zurücknimmt und im Takt 312 den richtigen reprisenförmigen Abschnitt aufnimmt, wieder mit einem vorbildlich gespielten G-Akkord. Auch hier ist wieder sein dynamisch sehr aufmerksames Spiel zu loben, ebenfalls im Seitensatz (ab Takt 358), in em auch noch mal Buchbinders aufmerksames und präzises Synkopieren in der Begleitung zu loben ist.
    Ein letztes Mal taucht in Takt 430 wieder das von Buchbinder auch stark gespielt durchführende Element auf, zuerst im Nonlegato, dann ab Takt 458 im Legato. Diesen ganzen Abschnitt spielt er wunderbar im Pianissimo, bevor ein letztes Mal mit dem G-Akkord in Takt 491 mit Auftakt das Thema auftaucht, das er auch in den beiden Wiederholung vorbildlich zurücknimmt und in Takt 513 mit Auftakt ein rasantes Presto spielt.
    Vom Tempo her gefiel mir eigentlich Brendels Intention mehr, allerdings ist vom Binnenverhältnis der einzelnen Sätze auch gegen Buchbinders schneller Lesart nicht allzu viel einzuwenden.


    Insgesamt eine Interpretation, die ich ohne die dynamischen Irritationen im Kopfsatz sicherlich in der Nähe der Referenzen eingeordnet hätte.


    Liebe Grüße


    Willi :thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup:

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

    Einmal editiert, zuletzt von William B.A. ()

  • Franz Schubert, Klaviersonate Nr. 21 B-dur D.960
    Fabrizio Chiovetta, Klavier

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    Instrument: Steinway
    AD: La Chaux-de-Fonds, Schweiz, 27.-29. 4. 2011
    Spielzeiten: 20:35 - 10:14 - 4:01 - 8:22 --- 43:12 min.;


    Fabrizio Chiovetta wurde in Genf geboren und studierte bei Dominique Weber, Paul Badura-Skoda und John Perry. Neben seiner Karriere als Solist ist er ein sehr gefragter Kammermusikpartner und Liedbegleiter. Er ist außerdem ein wunderbarer Improvisator und arbeitet mit Künstlern verschiedener musikalischer Ausrichtungen zusammen. Fabrizio Chiovetta lebt in Genf und Paris.


    Fabrizio Chiovetta schlägt von Beginn an einen warmen, doch sehr transparenten Ton an, in dem das teilweise dichte, bis zu sechsstimmige Thema (Takt 16 + 18) sehr gut zu unterscheiden ist. Dabei überzeugt er auch dynamisch in einem durchgehenden Pianissimo mit viel Körper im Klang.
    Auch im dritten Teil des Themas (Takt 20 bis 35) bleibt er bis einschl. Takt 33 konsequent im Pianissimo wobei er moderat ab Takt 25 (1/8 - 1/16) und Takt 29 (1/16 - 1/16) innerlich beschleunigt. und in Takt 34/35 spielt er dann eine mitreißende Steigerung.
    Im Tempo ist er etwas langsamer als Rudolf Buchbinder und noch deutlich langsamer als Alfred Brendel und ebenfalls signifikant langsamer als sein Lehrer Paul Badura-Skoda, und letztere Beiden haben ja insgesamt 10 verschiedene Aufnahmen der B-dur-Sonate gemacht.
    Am 9. September werde ich in einem großen Sonatenprojekt beim Beethovenfest in Bonn Sir Andras Schiff mit der B-dur-Sonate erleben. Er hat vor einem Vierteljahrhundert die B-dur-Sonate eingespielt, auch etwas schneller. Ich bin schon sehr gespannt darauf, welches Tempo er 2018 einschlagen wird. In einer Aufnahme aus 2015, die ich erst jetzt entdeckt habe, und die ich zu gegebener Zeit meiner Sammlung einverleiben werde, spielt er jedenfalls deutlichst schneller.
    Nicht so Chiovetta, er bleibt beim einmal eingeschlagenen Tempo, spielt auch eine wunderbar sanft bewegte dynamische Linie im vierten Teil des Themas (Takt 436 bis 47, aus dem Forte kommend, in den nächsten dynamischen Bewegungen (Takt 40 bis 35 absinkend bis zum Piano und dann im Decrescendo Takt 47 mit Auftakt bis zum Fortissimo steigend- großartig!
    Auch das melancholisch singende Seitenthema in fis-moll (Takt 49 bis 69)trägt er in einem berührenden Piano vor, die dynamischen Bewegungen in dem Abstand zwischen Piano und Pianissimo aber plastisch herausarbeitend.
    Auch im zweiten Teil (ab Takt 70), als das Thema zum B-dur zurückkehrt, bleibt er trotz der kurz aufstrahlenden oktavierten Bögen und des kurz anziehenden Themas bei seinem im Ganzen moderaten, entspannt-spannenden Sicht auf die musikalische Entwicklung und den Fluss der Musik.
    Und dieser bleibt auch wunderbar erhalten in der Sequenz mit den Staccato-Achteln ab Takt 79/80, die dann ab Takt 83 in kurze Legatobögen übergehen bis zum Takt 94, in dem zum ersten Mal eine halbe Pause auftritt ,dann in den nächsten Takten jeweils insgesamt dreimal Viertelpausen den Fluss unterbrechen bis hin zur Schlussgruppe. Chiovetta spielt das wirklich großartig.
    Erst in der Schlussgruppe spielt er wieder einen maximalen dynamischen Kontrast vom Pianissimo bis zum Fortissimo. Wie in der voraufgegangenen Exposition mit ihrer abschließenden Schlussgruppe zeigt Chiovetta auch im Übergang zur Wiederholung der Exposition, dass ihm der lyrische Ausdruck lieb und teuer ist, aber auch das Dynamische, Dramatische nicht fremd ist, was vor allem in den kurzen Dynamikwechseln der Überleitung wunderbar zum Ausdruck kommt.
    Die Wiederholung der Exposition spielt er genauso anrührend und dabei die Struktur so klar ausbreitend, wie er es zuvor gemacht hat.
    Diese natürlichen, so einfach gespielten Aufnahmen sind mir die liebsten, weil sich alles auch dem Hörer so natürlich erschließt. Dieser Kopfsatz ist ja eigentlich über weite Strecken ein Lied ohne Worte von dem größten Liedkomponisten, den die Welt je hervorgebracht hat.
    Auch das Seitenthema mit seinem melancholischen Überzug vor allem im ersten, dem fis-moll-Teil, zieht nochmal an uns vorüber, und hellt sich im B-dur-Abschnitt wieder auf, der oktavierte Bogen ab Takt 70 Nach dem Doppelstrich wirkt in Chiovettas Spiel wie ein Sonnenaufgang, und die Achteltriolensequenz wie ein anmutiger Tanz von Feen.
    In der Schlussgruppe steigert er noch einmal kraftvoll, und den Ritardando-Übergang zur Durchführung spielt auch er sehr ausdrucksvoll.
    Die auch bei ihm sehr traurige Durchführung lässt er wunderbar fließen, und in der Achteltriolensequenz, analog zur Sequenz aus dem Seitenthema, hellt sich das Geschehen wieder auf, gleichwohl weist es wie andere Durchführungen auch mehr dynamische Bewegung auf, und auch er spielt die in der Rückkehr zum B-dur (ab Takt 146) trotzdem angespannte Situation in den klopfenden Achtel insistierend, und gestaltet die Steigerung, die schon vorher einhergeht (ab Takt 160) mit einer zunehmend dissonanten Verdichtung des musikalischen Materials, sehr eindrücklich, wobei er die dynamischen Hebungen und Senkungen sehr präzise spielt und so eine weitere Verunsicherung im musikalischen Geschehen erreicht, und am Ende dieser Steigerung in der Tat auch im Fortissimo ausläuft.
    Auch die nächste Sequenz mit den klopfenden Achteln, nunmehr wechselnd in Quint- und Sextakkorden, spielt er sehr insistierend, ebenfalls die wederkehrenden Basstriller (ab Takt 186).
    Wunderbar auch der nächste Triller (Takt 192, den er im Decrescendo absenkt bis ins "ppp"- grandios! Sehr anrührend sind die folgenden hohen Bögen gespielt, aber dann hebt er die dynamische Kurve wieder an, das wirkt wie ein Erwachen, denn jetzt geht es der gegenüber der Durchführung schon beseligenden Reprise zu,, wobei er die beinahe überirdische Überleitung in einem faszinierenden Piano pianissimo-Triller auslaufen lässt und bis zum Einsetzen der Reprise eine doch deutliche Pausenfermate setzt.
    Die nun einsetzende Reprise wirkt noch einmal berührender als das Thema zu Beginn der Exposition. Auch hier versinkt er zum Triller hin wieder im dreifachen "p"- großartig!
    Die weitere Reprise spielt er genauso konstant im gleichen Atem wie den ganzen bisherigen Satz, lässt sich niemals vom Geschehen fortreißen, zwingt den ganzen Satz quasi unter einen einzigen Bogen, auch bei der wieder grandiosen Steigerung, hier ab Takt 253. Wunderbar wieder das lyrische Seitenthema, das so ganz natürlich aus einem berührenden cis-moll in ein leuchtend erwärmendes B-dur ganz natürlich fließend hinüberwechselt und dort und sich dort aus einem sanften Wiegen in ein
    anmutiges tanzen wandelt (Staccato- und Legato-Achteltriolen). Nicht oft hat mich das Spiel eines Pianisten, den ich noch nie zuvor gehört habe, auf Anhieb so überzeugt wie in dieser Aufnahme, in diesem Satz.
    Und so kann dieser Satz nur in einer herausragend gespielten stillen von innen in sanfter Farbe leuchtenden wundersamen Coda enden.


    Das Cis-moll- Andante spielt Fabrizio Chiovetta im ersten Thementeil in einem berückenden Pianissimo, klar im Klang und sanft in den dynamischen Bewegungen.
    Die erste Steigerung (ab Takt 10 mit Auftakt) spielt er, gegenüber den Steigerungen im Kopfsatz, vergleichsweise moderat, auch ein Zeichen dafür, dass wir es hier mit einer völlig anderen Stimmung zu tun haben, eher geprägt von trauriger Resignation.
    Doch schon in der Durauflösung (Takt 13 - 16), bietet sich ein erster Hoffnungsschimmer, von Chiovetta in atemberaubenden pianissimo gespielt, doch schon in Takt 18 wieder in die alte Stimmung zurücksinkend. In der zweiten Steigerung, (ab Takt 26), gibt er etwas mehr, fährt aber gleich darauf (Takt 28) wieder zurück, der unteren Oktave entgegen und immer weiter zurückgehend, auch in der Stimmung, und in der Dynamik (ppp in Takt 38ff, als wenn das Leben langsam weicht).
    Doch weit gefehlt. Denn nun erlöst uns (fürs Erste) das überirdische A-dur-Seitenthema, das er in seinem temporalen Gesamtkonzept dieses Satzes, also in ruhigem Zeitmaß, beibehält, nicht wie mancher andere, stark beschleunigend.
    Das gilt auch für die oktavierte Wiederholung ab Takt 51: wie edel und klar perlen da die Sechzehntelquintolen in der Begleitung in der oberen Oktave. So setzt er die Reise durch die Variationen dieses Themas fort, in ruhigem Duktus, in Klarheit und sanfter dynamischer Bewegung.
    Auch in der Themenwiederholung (ab Takt 68) mit der kurzen Durauflösung (Takt 70 bis 73) bleibt er dynamisch moderat, wie er es schon zu Beginn in den beiden Steigerungen getan hat.
    Und in der Oktavierung ab Takt 76 bleibt er wiederum bei dem gewählten Tempo und lässt wiederum die Sechzehntelquintolen äußerst klar und entspannt fließen und im Diminuendo in Takt 88 langsam auslaufen. Dann gestaltet er den Generalpausentakt 89 nahezu ebenso lang wie Waleri Afanassjew.
    Dann spielt er die Wiederholung von Teil A, dem Hauptthema im gleichen traurigen Ausdruck und getragenen Tempo wie zu Beginn, wobei die Stimmung durch die hinzugetretenen klopfenden Sechzehntelfiguren, auch von Chiovetta sehr exponiert gespielt, eher noch etwas gedrückter ist.
    Dadurch gerät auch der Aufhellungseffekt, oder wie immer man die Dur-Auflösung, (hier in Takt 103 bis 106) bezeichnen will, noch deutlicher. Auch in der letzten Steigerung bleibt er seinem dynamischen Konzept treu und schließt mit einer atemberaubend gespielten wundersamen Coda im drei- bis vierfachen Pianobereich ab.
    Ein herausragendes Andante.


    Im Scherzo ist Chiovetta vergleichsweise schnell unterwegs, geringfügig schneller als Buchbinder, aber doch deutlich langsamer als Brendel. Rhythmisch und vor allem dynamisch ist das nach wie vor präzises, partiturgetreues Spiel, das in raschem Fluss voranschreitet.
    Im Trio setzt er ein deutliches dynamisches Zeichen in den Forzandopiani, noch deutlicher im Forzatissimo in Takt 26, wo er auch das An-und Abschwellen deutlich herausstellt. Dann spielt er natürlich das Scherzo da capo ed infine la Coda.


    Im Finale ist Chiovetta wieder zeitlich bei Brendel, also langsamer als Buchbinder. Auch hier besticht wieder von Anfang an sein rhythmisch und dynamisch präzises Spiel. Die G-Akkorde jeweils zu Phrasenbeginn lässt er signifikant abschwellen.
    Das Seitenthema (ab Takt 85) ist wieder reiner Gesang, wobei der die Synkopen-Achtel im Bass sehr präzise spielt. Die beiden Generalpausentakte 154/155 am Ende des Seitensatzes hält er ausreichend lange, wenn auch hier im Vergleich zu Afanassjew nicht so lange.
    Im ersten Teil des nun folgenden durchführungsartigen Abschnitt hat er wohl seine dynamische Spitze in dieser Sonate erreicht, wobei das ja gar nicht verkehrt ist, da es hier 37 Takte lang dynamisch ordentlich zur Sache geht, auch durch mehrere Oktaven. Umso größer ist der dynamische Kontrast ab Takt 184, vom rhythmischen ganz zu schweigen, denn nun lässt er es in anmutiger Weise wieder singen und fließen, wobei er auch die begleitenden Achteltriolen im Bass deutlich hervortreten lässt.
    Auch im nächsten Abschnitt, der nur am Beginn das Thema vorschiebt, dann aber in bester Durchführungsmanier weiter auf hohem dynamischen Level das Thema variiert, setzt auch Chiovetta seine dynamische Gipfelbesteigung fort, ab Takt 261 wieder die Achteltriolen sehr bewegt herausstellend, bevor das Geschehen in den Sechzehnteltonleitern ab Takt 298 wieder beruhigt, hin zum reprisenförmigen Abschnitt (ab Takt 312).
    Auch hier lässt er es wieder berührend singen, vor allem im Seitenthema, (hier ab Takt 359). Wunderbar auch wieder seine Achtelsynkopen, (hier ab Takt 404), und am Ende wieder die Generalpausentakte (428/429).
    Dann spielt er ein letztes Mal den durchführungsartigen Abschnitt, bevor sich das Thema in der zweiten Hälfte wieder nach dem Decrescendo ab Takt 458 wieder dem lyrischen Fluss zuwendet, wobei in der Tat die leisen Achteltriolen im Bass an das Murmeln eines Gebirgsbaches erinnern- der Bach also auch in Schuberts Opus ultimum (?)
    und ein letztes Mal der Hauptthemenbeginn mit den einleitenden G-Akkorden, von Mal zu Mal abschwellend, bevor auch Chiovetta die Sonate mit einer feurigen ff-Coda beschließt.
    In dieser Aufnahme bleiben mir keine Fragen, und schon wird der Referenzthron breiter.


    Liebe Grüße


    Willi :thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup:

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

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  • Franz Schubert, KlaviersonateN3. 21 B-dur D.960
    Imogen Cooper, Klavier

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    Instrument: Steinway
    AD: 8. 12. 2009, Queen-Elizabeth Hall, London, live
    Spielzeiten: 15:50 (21:04) - 10:28 - 4:08 - 8:53 --- 39:19 min., (44:48) bei virtuell wiederholter Exposition)


    Imogen Cooper ist neu in meinen Rezensionen, deshalb will ich sie kurz anhand eines Ausschnitts des Wikipedia-Artikels vorstellen:


    Imogen Cooper, * 28. 8. 1949, ist eine englische Pianistin.


    Imogen Cooper wurde zwölfjährig Schülerin von Jacques Février und Yvonne Lefébure am Conservatoire de Paris. Nach dem Abschluss mit einem Ersten Preis setzte sie ihre Ausbildung in Wien bei Alfred Brendel, Paul Badura-Skoda und Jörg Demus fort. 1969 gewann sie in London den Mozart Memorial Prize. Es folgte eine Laufbahn als Klaviersolistin, Liedbegleiterin und Kammermusikerin. So nahm sie mit Wolfgang Holzmair Schuberts große Liedzyklen und mit Raphael Oleg und Sonia Wieder-Atherton dessen Klaviertrios auf und spielte mehrere Klavierkonzerte Mozarts ein. Zu ihrem Repertoire gehören die Klavierkonzerte von Beethoven, beide Konzerte Chopins, Schumanns Konzert, Ravels G-Dur-Konzert und das Dritte Konzert Bartóks.
    Weiteres über sie werde ich in genau 11 Monaten in meinem Erinnerungsthread veröffentlichen, wenn wir, so Gott will ihr zum 70. Geburtstag gratulieren können.
    https://de.wikipedia.org/wiki/Imogen_Cooper


    Imogen Cooper, die nicht nur Schülerin u. a. von Alfred Brendel und Paul Badura-Skoda war, sondern auch mit Alfred Brendel aufgetreten ist( z. B. in den beiden Klavierkonzerten für zwei Klaviere von Mozart), hat sich in der Fragen der Wiederholung der Exposition im Kopfsatz wohl ihrem "Doppelpartner" Alfred Brendel angeschlossen und nicht der Meinung Paul Badura-Skodas (a. a. O.), wie Misha Donat, der Autor des Booklet-Textes (2010) ausführt::

    Zitat

    Nur einmal bricht der Triller in eine dramatische Geste aus: in den Takten speziell für das Ende des ersten Durchgangs unmittelbar vor der Wiederholung des ersten Satzabschnitts. Der Moment dient als Höhepunkt einer Passage, die man nur hört, wenn die Wiederholung tatsächlich gespielt wird. Die Frage, ob man sie spielen sollte oder nicht, ist nicht so leicht zu beantworten. Imogen Cooper ist unbedingt nicht die Einzige unter den Pianisten, dem Ausbruch mangle es an Begründung, und die es aus diesem Grund vorziehen, die Wiederholung auszulassen.


    Imogen Cooper spielt den Kopfsatz etwas langsamer als Alfred Brendel, möglicherweise in einem ähnlichen Tempo wie der zuletzt gehörte Fabrizio Chiovetta, dabei in einem wunderbar leisen Legato, den Thementeil mit einem faszinierenden Basstriller abschließend.
    Mit diesem Vortrag wird mir wieder klar, warum ich diese Sonate von Aufnahme zu Aufnahme mehr liebe, und es wird mir ebenfalls klar, dass, so Gott will, ich mich noch sehr lange mit Schuberts Klaviersonaten beschäftigen werde.
    Faszinierend auch, dass Imogen Cooper, wie in der Wiederholung des Themas (Takt 10 mit Auftakt bis 18) kaum merkliche, in der Partitur nicht vorgeschriebenen, aber m. E. sinnvolle, strukturierende dynamische Bewegungen einstreut.
    Im dritten Thementeil (Takt 20 bis 35), vollzieht sie auch sehr präzise die "innere Beschleunigung" und geht dann in eine prachtvolle Steigerung (Takt 34/35) hinein, allerdings nicht dynamisch überbordend. Im vierten Teil, Takt 36 bis 47, zeichnet sie wiederum aufmerksam die dynamischen Bewegungen nach und führt auch hier eine kraftvolle Schlusssteigerung aus (Takt 46/47),
    Dem schließt sie ein berührend gespieltes Seitenthema an, lässt es wunderbar fließen und sich dynamisch moderat bewegen und erst im dritten Thema (ab Takt 70), wieder in B-dur, die dynamische Kurve ansteigen und in die wunderbare Achteltriolen-Sequenz hineinfließen.
    Und diesen letzten Abschnitt, obzwar nicht mehr legato, lässt sie jedoch in dieser steten Bewegung quasi weiterfließen bis zum Übergang zur Schlussgruppe, wo der Fluss durch zunächst eine "Halben"-Pause (Takt 94), und dann Viertelpausen (Takt 95, 96 und 97) unterbrochen wird und dann in die Schlussgruppe übergeht (ab Takt 99).
    Imogen Cooper spielt auch die Schlussgruppe sehr kontrastreich vom "pp" bis zum "ff", und aus meiner Sicht wiederholt sie "leider" die Exposition nicht und enthält dem Hörer gut fünf Minuten wunderbarer Musik vor.
    Der Ritardando-Übergang (Takt 117 b) gelingt ihr auch hervorragend.
    Der erste Teil der Durchführung (Takt 118 b mit Auftakt bis 130), klingt in ihrer Lesart schon sehr traurig, traurig, und der zweite Teil, wieder mit den Achteltriolen (ab Takt 131 bis 149), stellt in ihrem geradezu kecken Spiel einen umso schöneren Kontrast dar.
    Der nächste Abschnitt, hier trotz der Rückkehr zum B-dur, konfrontiert mit den durchlaufenden klopfenden Achteln, signalisiert, dass keine Entwarnung besteht, was durch die zunehmende Verdichtung und Disharmonisierung der Achtelakkorde (ab Takt 160) und die in die Achtelfiguren eingebauten Oktavwechsel (ab Takt 167, die dem Ganzen einen nervösen Galopprhythmus verleihen), noch verstärkt wird. Sie spielt das großartig, auch die anhaltende Sequenz, in der der Themenbeginn immer wieder über oder unter den dreistimmigen, ab Takt 203 sogar vierstimmigen Achtelakkorden durchgeführt wird. Hinzu treten ab Takt 186 wiederum die leicht sinistren Basstriller.
    Wunderbar vollführt sie auch in Takt 192/193 den Abschwung ins "ppp", auch das schlussendliche Auslaufen ins erneute "ppp" am Ende des Übergangs zur Reprise- herausragend !!
    Und der Reprisenauftakt hat in ihrer Lesart etwas geheimnisvoll Erhabenes, gekennzeichnet von großer Ruhe. Auch hier spielt sie den Triller (Takt 223) wieder in betörendem Piano Pianissimo.
    Sie baut auch hier wieder im zweiten Thementeil die kaum merklichen dynamischen Anhebungen ein- großartig!
    Und sie spielt wiederum den dritten Thementeil mit jener fantastischen Schlusssteigerung (hier ab Takt 253), die sie schon in der Exposition so begeisternd ausführte.
    Auch der melancholische fis-moll-Seitensatz zieht wieder eindrucksvoll an unserem Ohr vorüber.Wunderbar auch wieder die3 Aufhellung bei der Rückkehr zum B-dur, hier in der Oktavierung im Diskant (ab Takt 289), betörend die Achtel-Triolen-Sequenz (ab Takt 298).Und bei alledem erfreut uns immer ein glasklares Klangbild, in dem wir die ganze Struktur dieses ultimativen Kopfsatzes in uns aufsaugen können.
    Auch die herrliche Schlussgruppe schließt sich auf höchstem Niveau an.
    Ein Kopfsatz, mit dem die Pianistin mühelos mit den Referenzen mithalten kann!


    Das Andante sostenuto spielt Imogen Cooper im Thema mit gewichtigen Auftakt-Terzakkorden, im Tempo wesentlich langsamer als ihr Mentor Alfred Brendel und auch noch etwas langsamer als Fabrizio Chiovetta, ein richtig schwerblütiger Beginn mit einer kraftvollen Steigerung im Auslauf.
    Umso größer ist der stimmungsmäßige Kontrast in der Dur-Auflösung in den Takten 14 bis 17, wie ein Hoffnungsschimmer.
    Auch die Wiederholung des Themas mit abermaliger Steigerung und anschließendem langen Decrescendo, in dem sie bis zum Piano Pianissimo hinuntersteigt, gestaltet sie abermals auf beklemmende Weise mitreißend, hin zum wunderbaren Seitenthema.
    Dieses spielt sie dann mit deutlicher temporaler Steigerung, aber weiterhin in betörendem Pianissimo, ein berührender Choral.
    Dieser Gesang wirkt dann in der zweiten Sequenz, in der Oktavierung (ab Takt 51) beinahe noch intensiver und in der Farbgebung strahlender, und selbst der Rücktausch der Oktaven ab Takt 59 bringt nochmal eine leichte emotionale Steigerung, wie ich finde.
    Erst im dritten Durchlauf, als in Takt 70 auf der Eins die Eintrübung erfolgt, wandelt sich die Gefühlslage, auch ersichtlich an der dynamischen Steigerung, um in Takt 76 sich noch einmal, adäquat zu der Oktavierung aus Takt 51ff, aufzuhellen, bevor das Geschehen in einem langen Decrescendo (und Ritardando) ausläuft. Auch Imogen Cooper macht hier, im Generalpausentakt 89 (vor der Rückkehr des schwerblütigen Hauptthemas eine 5 Sekunden lange Generalpause wie Valery Afanassjev.
    Die Themenrückkehr mit der abgewandelten Begleitung (hier mit den durchlaufenden klopfenden Sechzehntelfiguren in der Begleitung spielt auch Imogen Cooper sehr insistierend, mit zwei kraftvollen Steigerungen (ab Takt 98 und 115) und dazwischen wieder einer wunderbaren Durauflösung (Takt 103 bis 106), bevor sie im neuerlichen Decrescendo auf die wundersame Coda zusteuert mit einer Sechzehntelfigur, die plötzlich nicht mehr Klopft, sondern fast singt und diese herrliche "ppp"-Coda mit abschließendem Morendo beginnt: das ist reiner, hoffungsvoller und tröstlicher Gesang am Ende eines grandios gespielten Andantes, in dem beileibe nicht alles Trost war, aber es war das letzte Andante in Schuberts Klavieroeuvre und, wie ich finde, sein Schönstes, und von Imogen Cooper herausragend gespielt.


    Im Scherzo ist Imogen Cooper doch deutlich langsamer als Alfred Brendel und auch noch etwas langsamer als Fabrizio Chiovetta. Auch hier spielt sie die dynamischen Verläufe sehr sorgfältig as, lässt sich nicht zu voreiligen oder übertriebenen Steigerungen hinreißen und verfolgt auch die rhythmischen Bewegungen sehr aufmerksam.
    Die Fortepiani in Takt 38 und 50 verzögert sie leicht, was man auch nicht in jeder Aufnahme hört.
    Im Trio spielt sie die Forzandopiani deutlich, aber nicht so akzentuiert wie mancher Andere mit Ausnahme des ffz in Takt 26 des Trios.
    Ich denke, dass die "delicatezza" der Satzvorschrift in ihrer Interpretation sehr gut zum Tragen kommt.


    Im abschließenden Rondo, Allegro ma non troppo, ist sie wieder etwas langsamer als Alfred Brendel und Fabrizio Chiovetta, was aber der Satzbezeichnung keineswegs entgegensteht, sondern verrät, dass sie dem Finalsatz auch das gebührende Gewicht verleihen will.
    Gleich den ersten auftaktigen G-Akkord lässt sie deutlich abschwingen, wie auch die folgenden, und ich denke, dass ihr zumindest in diesem ersten Thementeil das auch gelingt, indem sie z. B. die zwischen weitgehenden Staccato- und Portato-Abschnitten auftauchenden Legatobögen dynamisch stärker hervorhebt, als es die überwiegenden hochrhythmischen Teile ohnehin schon sind.
    Den lyrischen Seitensatz lässt sie wunderbar laufen, zeichnet die moderaten dynamischen Bewegungen sehr zart nach und schließt diesen Satzteil mit zwei ausreichend langen Generalpausentakten 154/155 ab.
    Durch ihr vorhergehendes überwiegendes pp-Spiel im seitensatz erscheint der erste durchführende Abschnitt (ab Takt 156) natürlich in gehörigem Kontrast.
    Ihn fährt sie nach hochdynamischem ersten Teil stark zurück in den zweiten pp-Teil mit lyrischem Charakter, dessen fortschreitender Impetus noch durch die neu hinzugetretenen Achteltriolen in der Begleitung verstärkt wird. Die Triolen werden noch dazu durch ihr etwas bedachtsameres Tempo sehr transparent dargestellt.
    Im nächsten Abschnitt, vom Thema her eher reprisenförmig, jedoch vom dynamisch-dramatischen Charakter her weiterhin eher durchführungsmäßig, fällt zu Beginn erneut auf, dass sie die strukturierenden G-Akkorde eigentlich sehr zurückhalten nimmt, wie andere Pianisten dies erst im letzten Abschnitt, kurz vor der Coda tun. Die großen Steigerungen in den Oktavgängen (ab Takt 249 mit Auftakt), dann in den Oktavwechsel-Achteltriolen (ab Takt 262 mit Auftakt), die dann noch einige Male die Oktave wechseln, bis sie in den Sechzehntel-Tonleitern (ab Takt 292) angelangt sind und dann im Decrescendo (ab Takt 298) langsam auslaufen, nimmt sie kraftvoll in Angriff, um dann in Takt 312 das Thema erneut mit reduziertem G-Akkord aufzunehmen, diesmal jedoch auch in der dynamischen Anlage der expositionsartigen Ausgangssequenz (Takt 1 - 153) doch reprisenartig verwandt, mit geringfügigen Modifikationen. Diese spielt sie dann mit der gleichen Akkuratesse wie zu Beginn, und ansatzlos in das Seitenthema übergehend (ab Takt 360), indem sie wiederum durch hohen lyrischen Ausdruck den musikalischen Fluss durch zarte dynamische Bewegungen steuert. Da kann man schön verfolgen, wie viele dynamische Schattierungen es zwischen p und ppp gibt, jedenfalls, wenn man sie so präzise abbilden kann wie Imogen Cooper.
    Wieder erfolgt nach den ausreichend langen Generalpausentakten (hier 428/429) der hochdynamische Durchführungsfuror, letzter Teil, nur 28 Takte lang, bis zum Decrescendo in Takt 458, und dann der zweite, lyrische Abschnitt der gleichen Thematik, quasi als "lyrisches Echo", die zweite Seite der gleichen Münze. Wiederum wird hier ihre große lyrische Meisterschaft, kein Wunder, bei dem Lehrmeister!
    Ein letztes Mal das Thema, hier sind ihre G-Akkorde schon im pp-Bereich und sie lässt das einhergehen mit einem Ritardando, das den Kontrast enorm vergrößert zum abschließenden furiosen Presto, auch das von ihr virtuos gespielt.


    Mit gespielter Wiederholung der Exposition wäre ihr ein Platz bei den Referenzen sicher gewesen, sozusagen Referenz der Aufnahmen ohne Expositionswiederholung!


    Liebe Grüße


    Willi :thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup:

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

  • Ich habe beschlossen, von jetzt an immer zwei Aufnahmen von Schuberts B-dur-Sonate zu besprechen und dann eine von Beethovens Hammerklaviersonate, von denen ich derzeitig noch 22 besprechen muss, bevor ich damit durch bin. Mal sehen, ob ich das im nächsten halben Jahr schaffe.


    Liebe Grüße und schönen Sonntag


    Willi


    P. S. Als Nächstes erscheint hier, wahrscheinlich morgen, die Besprechung von Sir Clifford Curzons Aufnahme von den Salzburger Festspielen 1974.

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

  • Franz Schubert, Klaviersonate Nr. 21 B-dur D.960
    Sir Clifford Curzon, Klavier

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    Instrument: Steinway
    AD: 26. 8. 1974, Salzburg, Mozarteum, live
    Spielzeiten: 13:43 (18:16) - 9:19 - 4:11 - 7:25 --- 34:38 (39:11) mit virtueller Wiederholung der Exposition


    Da auch Clifford Curzon neu ist in meinen Rezensionen und da er im Beethoven-Thread nicht vertreten ist, will ich auch hier eine kleine Einführung in seine Vita geben:


    Clifford Curzon, * 18. 5. 1907 - + 1. 9. 1982, an dessen 36. Todestag ich im Erinnerungsthread vor vier Wochen erinnert habe, war ein britischer Pianist.


    Obgleich der Absolvent der Royal Academy of Music in seiner Heimatstadt im Anschluss an sein Examen (1926–1928) eine Lehrtätigkeit an dieser Einrichtung aufnehmen konnte, entschied er sich 1928 für eine weiterführende Ausbildung bei Artur Schnabel in Berlin und Wanda Landowska und Nadia Boulanger in Paris.
    Er heiratet 1931 die Cembalistin Lucille Curzon (geb. Wallace), die in Litzlberg am Attersee 1927/28 eine Villa im englischen Landhausstil errichten hat lassen. Daneben gibt es ein Hausmeisterhaus und ein Blockhaus, das als Musikraum diente.
    Die Villa wird danach als Curzon-Villa bezeichnet.
    1939 wird die Verwaltung einer Freundin der Familie übergeben. Über die Eigentumsverhältnisse und Nutzungen in und nach dem Zweiten Weltkrieg ist manches unklar. 1944 zogen Bombengeschädigte aus Linz ein, 1945–1947 US-Militärs, worauf sich die Bezeichnung Amerikaner-Villa gründet. Letztlich erhalten die Curzons den Besitz zurück. Heute ist die Villa samt Nebengebäuden und Bootshaus denkmalgeschützt.
    Weiteres kann man hier lesen: https://de.wikipedia.org/wiki/Clifford_Curzon


    Clifford Curzon nimmt sofort mit dem ersten Akkord für sich ein. Mit einem betörenden Pianissimo beginnt er den Satz, schafft einen intimen, wenngleich klaren Klang und verbreitet trotz eines zügigen Grundpulses eine ruhige, ja entspannte Stimmung, und die letzte Achtel des ersten Basstrillers lässt er länger ausschwingen, als mancher Andere es getan hat. Auf diese Weise verleiht er, wie ich finde, dem Basstriller mehr Gewicht.
    Im zweiten Teil der Exposition (Takt 20 bis 35) verleiht er dem dynamischen Verlauf einige moderate Bewegungen und hebt die von Schubert komponierte innere Beschleunigung entsprechend an. Zu Beginn meiner diesbezüglichen langen Schubertreise habe ich dergleichen Tempo noch grundsätzlich für zu schnell gehalten. Nunmehr, in der mittlerweile 30. Rezension der B-dur-Sonate sehe ich das Tempo in diesem Abschnitt im Zusammenhang mit dem höheren Grundpuls als durchaus schlüssig an, und ausgehend von seiner wirklich sehr niedrigen Grundlautstärke, spielt Curzon hier in den Takten 34/35 eine phänomenale dynamische Steigerung, ebenso in der anschließenden Themenwiederholung in Takt 46/47, kurz vor dem Fis-moll-Seitenthema.
    Dieses grandiose Seitenthema, das sich über 50 Takte erstreckt (Takt 49 - 98), bewegt er in den ersten zwanzig überwiegend lyrisch fließenden Legatotakten in einer ständigen moderaten dynamischen Bewegung zwischen Pianissimo und Piano, in diesem Abschnitt auch weiterhin in intimer, hier melancholischen Stimmung.
    Erst am Übergang hebt er die dynamische Bewegung an, hier auch schon wieder im B-dur und in die nunmehr überwiegend staccatohafte Bewegung. er Achteltriolen hineingehend.
    Am Ende des Seitenthemas geht er mit abgeschwächter Bewegung in die Schlussgruppe (ab Takt 99, mit der Achtel-Terzenkette), hier ins einer Interpretation auch ein Musterbeispiel der temporalen, dynamischen und rhythmischen Kontraste. Leider wiederholt er die Exposition nicht, warum auch immer. (Leider geht der vom Autor des Booklets, Gottfried Kraus, zitierte Peter Cossé in seinen Bemerkungen zu dieser Sonate nicht darauf ein.
    Den Übergangstakt 117b zur Durchführung spielt Curzon in einem berührenden Pianissimo ritardando.
    Die Durchführung selbst spielt er durchaus bewegt, auch dynamisch spielt er, der Partitur entsprechend, höher stehend und auch in einer erregteren Stimmung. Wunderbar auch hier wieder die Achteltriolensequenz (ab Takt 135, mit den deutlichen Dynamikwechseln zwischen Piano und Forte und einer kraftvollen Steigerung am Ende dieser Sequenz in Takt 148/149.
    Im nun beginnenden zweiten großen Durchführungsabschnitt , trotz Rückkehr zum B-dur, drückt er den dramatischen Furor mit seiner drängenden Vorwärtsbewegung, auch in den zunehmend dissonanten Akkorden im Diskant in der langen Steigerung ab Takt 163 auch in einem grandiosen Accelerando aus, in Takt 171/172 in einem mitreißenden Fortissimo auslaufend.
    In der folgenden Sequenz, wieder im Piano, verleiht er dem permanenten Oktavenwechsel zwischen begleitenden Quint- und Sextakkorden und dem Thema über fast 40 Takte bis hin zur Rückführung in einer großen Achtelabwärtsbewegung den drängenden Impuls, ab Takt 186 wieder mit den Basstrillern. Erst in den letzten 10 Taten erhellt sich das Geschehen durch das immer höher steigende Thema, diese Sequenz von Clifford Curzon grandios ausgedrückt.
    Die Reprise, ab Takt 215, spielt er anrührend im pp und ppp, sicherlich im Ausdruck trostreicher als in der Exposition, wiederum mit moderaten dynamischen Bewegungen, und am Ende des zweiten Thementeils, hier in Takt 253/254 in einer mitreißenden dynamischen Steigerung, und nach der Steigerung am Ende des dritten Teils wieder in das fis-moll-Seitenthema übergehend.
    mit ständigen moderaten dynamischen Auf- und Abbewegungen, meist im Piano-Bereich, leitet er wieder zur Achteltriolensequenz über, seit Takt 289 wieder in B-dur befindlich.
    Auch hier drückt er wieder nach dem melancholischen Legato-Bereich die aufgehellte Staccato-Stimmung in dieser Sequenz wunderbar aus, dabei auch die dynamischen Wellenbewegungen wieder aufmerksam nachzeichnend.
    Auch die kontrastreiche Schlussgruppe spielt er wieder grandios, desgleichen die atemberaubende Coda (Takt 345 bis 356)!
    Eine herausragende Interpretation des Kopfsatzes, "aus dem Augenblick geboren"- die Wiederholung der Exposition wäre das Tüpfelchen auf dem "i" gewesen. Warum dies nicht geschehen ist, werden wir wohl nie erfahren.


    Im Andante ist Clifford Curzon schneller als Imogen Cooper und Fabrizio Chiovetta, und zwar um jeweils ca. 1 Minute.
    Dynamisch beginnt er wieder, wie im Kopfsatz, in einem wahrhaftigen Pianissimo, stille Trauer im Ausdruck, und, wie nicht anders zu erwarten, vom Ausgangspunkt aus mit einer gewaltigen ersten Steigerung. Dem schließt sich, in der ersten Durauflösung (E-dur, Takt 14 - 179), ein nicht, wie schon verschiedentlich gehört, strahlend helles Leuchten, sondern, immer noch im tiefsten "pp", von innen heraus, ein zartes Glimmen. Er erweist sich hier einmal mehr als Großmeister des intimen Pianissimo-Klanges, der einem einen Schauer über den Rücken jagt. Und in der Wiederholung ist die Steigerung (Takt 22 bis 28, fast noch ergreifender- welch ein Klangmagier, so nah' am Innersten der Musik!
    Und dann noch (Takt 38) noch tiefer ins "ppp" hinabzusteigen, das gelingt auch nicht Jedem so fesselnd wie Clifford Curzon.
    Und wie er dann das choralartige A-dur-Seitenthema anstimmt, das ist überragend. Und hier überdreht er auch temporal nicht, sondern bleibt moderat. Und in der überirdischen Oktavierung (ab Takt 51) bleibt er in dem Zeitrahmen, in dem Dynamikrahmen, in der bezaubernden Stimmung einer anderen Dimension- welch ein vollendeter Ausdruck!
    Erst im letzten Drittel des Seitenthemas, als sich in Takt 70 auf der Eins des Thema nach B-dur auflöst, wird das Überirdische wieder irdisch und spielt er hier eine veritable Steigerung, bevor es sich n Takt 74 wieder in Wohlgefallen auflöst und in der Folge, verstärkt von lieblichen Sechzehntel-Quintolen im Diskant sich das liebliche Thema ein letztes Mal unseren Ohren und Herzen präsentiert und er es in den letzten sechs Takten (83 bis 88) diminuendo und ritardando auslaufen lässt.
    Aber anders als viele seiner Kolleginnen und Kollegen nimmt er den Generalpausentakt 89 so gut wie gar nicht wahr, sondern steigt sofort wieder in das Hauptthema ein. Auch das sei akzeptiert.
    Er sieht das offenbar anders, vielleicht, wie er es an Schuberts Stelle sehen würde. Auch seine Sechzehntelstaccatofiguren klingen etwas anders, runder, als bei anderen Pianisten. Wie es seine Art ist, spielt er hier wieder aus dem tiefen Pianissimo eine grandiose erste Steigerung und schließt dieser wieder eine atemberaubende Durauflösung (Takt 103 bis 106)an.
    Nach der zweiten großen Steigerung spielt er dann (ab Takt 123) eine Coda wie von einem anderen Stern- welch ein Blick in die Ewigkeit!


    Im Scherzo ist er wieder etwas langsamer als Imogen Cooper und Fabrizio Chiovetta. Wie ich finde, setzt er trotzdem die Satzbezeichnung "Allegro vivace con delicatezza" vorbildlich um, vielleicht mit besonderer Betonung auf die Delicatezza und auch mit der Intention zu zeigen, dass dies eben ein hochrhythmischer (Tanz)Satz ist, trotz der Bögen .
    Im Trio betont er gegensätzlich zu Imogen Cooper die Forzandopiani stärker und dafür das Fortissimo-Forzando in Takt 26 kaum. Natürlich wiederholt auch er das Scherzo und schließt die vier kurzen Coda-Takte an.


    Im Finale lässt Curzon dann alle Fesseln fallen, und der Blick ist wieder ganz diesseitig. Erst als zweiter nach Karl Betz (in meinen bisherigen Rezensionen) lässt er den einleitenden G-Akkord so schnell abschwellen.
    Das bunte Gewirr aus Staccato und Legato sowie hin und wieder zwei Achtel-Portato-Triolen lässt er mit hörbarem Vergnügen vorbeischnurren.
    Auch der Seitensatz ist virtuos vorgetragen, wunderbar kann man die Struktur mit den begleitenden Synkopen verfolgen. Dabei achtet er auch präzise auf die dynamischen Verläufe.
    Jedoch wie schon im Andante hält er sich auch hier nicht lange mit den Generalpausentakten (hier Takt 154/155 auf.
    Dafür lässt er das Durchführungsgewitter (jedenfalls im ersten Abschnitt (Takt 156 bis 182) hemmungslos auf die Hörer los. Auch der zweite Abschnitt mit den begleitenden Achteltriolen (ab Takt 185) ist voller diesseitiger Lebenskraft, wenn auch hier mit der feinen (jedoch flinken) Feder gezeichnet).
    Auch der nächste, vom Thema her reprisenartig beginnende, aber von der Struktur eher durchführungsartig fortschreitende Abschnitt ab Takt 225 mit Auftakt lässt er mit Bravour vorüberrauschen, bevor der Schwung und der dramatische Furor ab 298 nachlassen und das Thema nun in Takt 312 dann wirklich reprisenartig wiederholt wird.
    Auch hier formt er, wie schon eingangs des rondoartigen Finales die dynamische Verläufe zu moderaten Schlangenlinien, und lässt organisch wieder das Seitenthema (ab Takt 360) einfließen, das er mit ungebrochener <Heiterkeit versieht, bevor, wiederum nach zwei kurzen Generalpausentakten (428/429) der durchführungsartige Abschnitt wieder auftaucht, den er erneut mit Bravour und im zweiten, eher lyrischen Teil "als Eilmarsch behände vorübersausen lässt.
    Ein letztes Mal taucht dann in Takt 490 der sich stetig verdünnende G-Akkord auf, der das Thema noch mal kurz einläutet, bevor Curzon ein atemberaubendes Presto loslässt, das seinen Namen wirklich verdient hat.
    Im Ganzen eine grandiose Liveaufnahme, die beileibe nicht wie jede andere, sondern eher wie kaum eine andere ist. Wie sagt Peter Cossé noch so schön im Beiwort des Booklets:

    Zitat

    Curzon ließ die Zügel der Virtuosität schiessen, Schubert endete nicht metaphysisch".


    Liebe Grüße


    Willi :thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup:

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

  • Lieber Willi,


    bei mir steht die 10 CD-Curzon-Box auf meiner Einkaufsliste. Da ist aber leider die B-Dur-Sonate nicht drin. Er ist einer der großen "Alten", der bei mir immer im Schatten von Anderen gestanden hat. Das soll sich ändern... :D


    Heute habe ich die neue CD von meinem Lehrer bekommen - ein schönes Programm auf einem Schimmel-Flügel, aufgenommen in Wuppertal, wo ich auch beim Konzert damals war. Unüblich für mich habe ich sie am späten Abend gleich durchgehört. Wunderbar! Darunter ist Beethovens "Sturm"-Sonate. Das könnte Dich interessieren! :) :hello:


    Liebe Grüße
    Holger

  • Lieber Holger, ich sitze gerade im Zug auf der Rückfahrt von Köln, Mahler 3 Gürzenichorchester, grandios. Im Bericht wird später mehr stehen. Liebe Grüße Willi- gesendet vom IPhone! :)

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
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  • Franz Schubert, Klaviersonate Nr. 21 B-dur D.960
    Michel Dalberto, Klavier


    Instrument: Steinway?
    AD: 13.-16. 6. 1995
    Spielzeiten: 21:04 - 9:54 - 3:48 - 8:06 --- 42:52 min.;
    Auch Michel Dalberto ist neu in diesem Kreis, und ich habe auf der Homepage der Staatsoper Stuttgart einen schönen biografischen Text über ihn gefunden:


    Michel Dalberto, * 2. 6. 1955, ist ein französischer Pianist. Er trat mit 13 Jahren in die Klasse von Vlado Perlemuter am Pariser Konservatorium ein, die er neun Jahre später abschloss. Zu diesem Zeitpunkt hatte er bereits den ersten Mozart-Wettberwerb in Salzburg sowie den Concours Clara Haskil gewonnen. 1978 folgte der erste Preis bei der Leeds International Piano Competition. Es sind Dirigenten wie Erich Leinsdorf, Kurt Masur, Wolfgang Sawallisch, Charles Dutoit, Sir Colin Davis, Yuri Temirkanov oder Daniele Gatti, mit denen Michel Dalberto gemeinsam auftrat. Des Weiteren gastierte er bei Festivals in Luzern (mit Michael Gielen und Paavo Järvi), Florenz (mit Rudolf Barschaï), Aix-en-Provence (mit Marek Janowski), Edinburgh, Schleswig-Holstein, in Grange de Meslay oder La Roque d’Anthéron und bei den Wiener Festwochen. Als Kammermusiker spielt er u. a. mit Dmitri Sitkovetsky und Lynn Harrell, mit Boris Belkin, Vadim Repin, Nikolaj Znaider, Yuri Bashmet, Gérard Caussé, Truls Mork, Henri Demarquette, Emmanuel Pahud sowie mit dem Quatuor Ebène und dem Modigliani Quartett. Michel Dalberto ist der einzige lebende Pianist, der Schuberts Gesamtwerk für Klavier eingespielt hat. Seine mit Renaud & Gautier Capuçon und dem Quatuor Ebène realisierte Gesamteinspielung von Faurés Kammermusikwerken bekam u.a. den Echo Klassik Preis. Weitere Auszeichnungen sind u.a. der Grand Prix de l’Académie Charles-Cros, der Prix de l’Académie du Disque Français sowie die Diapason d’Or. Michel Dalberto war 15 Jahre Künstlerischer Leiter des Académie-Festival des Arcs (Savoie) und 1991-2009 Vorsitzender der Jury des Clara Haskil Wettbewerbs. 1996 wurde er für seine künstlerischen Verdienste zum Chevalier dans l’Ordre National du Mérite ernannt.
    https://www.oper-stuttgart.de/oper/ensemble/michel-dalberto/


    Michel Dalberto spielt den Kopfsatz um Längen langsamer als der zuletzt gehörte Clifford Curzon, ist im Tempo etwa gleichauf mit Imogen Cooper, wiederholt jedoch im Gegensatz zu dieser die Exposition sehr wohl.
    Auch im ätherischen Pianissimo zu Beginn fallen mir Ähnlichkeiten mit ihr auf. Auch er spielt sehr transparent und völlig tiefenentspannt, wie ich finde. Der tiefe Basstriller ist einfach nur wunderbar. Ähnlich wie Valery Afanassjew dehnt auch er die Fermatenpause in Takt 9 stark aus.
    Bei einem doch langsamen Grundtempo fällt natürlich die "innere Beschleunigung" ab Takt 19 etwas stärker ins Gewicht. Dennoch lässt er sich nicht etwa zu dynamischen Exzessen hinreißen, sodass die dynamische Steigerung in Takt 34/35 umso durchschlagender ist- grandios! Auch die Schlusssteigerung am Ende des 4. Thementeils, hier in Takt 46/47 ist enorm.
    Das fis-moll-Seitenthema ist von einem melancholischen Ausdruck, m. E. nicht tieftraurig. Es ist auch, im Vergleich zum Hauptthema, nicht etwa langsamer.
    Und in der Rückkehr zum B-dur (ab Takt 70) ist durchaus wieder ein optimistischer Ausdruck vorhanden. Dalberto spielt das in einem natürlichen , hellen Klangbild und schließt diese Sequenz mit einer kräftigen Fortesteigerung.
    Er schließt dann im zweiten Teil dieses dritten Themas auf Takt 80 mit Auftakt die originelle Achtel-Stakkatotriolen-Sequenz an, die er sehr anmutig spielt, die Balance zwischen Staccato un d Legato genau einhaltend.
    In der Schlussgruppe holt er alles an dynamischen Kontrasten heraus, was ihr innewohnt- grandios!
    Auch temporal zeichnet er hier einen großen Kontrast zur voraufgegangenen flotten, quirligen Triolensequenz. Auch den Übergang zur Expositionswiederholung spielt er mit großer Vehemenz, wobei er den abschließenden Triller langsam ausklingen lässt. Auch hier dehnt er die Übergangsfermate (Takt 125 a) ähnlich aus wie Afanassjew.
    Die Wiederholung der Exposition spielt Dalberto mit der gleichen dynamischen Sorgfalt, Klarheit und temporalen Konstanz wie zuvor die Exposition selbst.
    Auch das fis-moll-Seitenthema versieht er mit dem gleichen dynamischen Kontrastreichtum und dem organischen Fluss. Zuletzt fließen die Achteltriolensequenz im dritten Thema und die hochdynamische Schlussgruppe mit dem gleich hohen Niveau an uns vorbei.
    Wunderbar ist auch von ihm der Übergangstakt 117b, das Ritardando, gespielt.
    Seine Lesart der Durchführung, vor allem im ersten Thementeil, ist schon von erheblicher Trauer gekennzeichnet.
    In der zweiten Sequenz, den Achteltriolen, hellt es sich auf. Dann kehrt es zwar in Takt 146 zum B-dur zurück, ist aber dennoch von dunklen Schleiern, hier in Form der klopfenden Achtel, bedroht, vor allem in der Sequenz ab Takt 160, in der die Akkorde zunehmend dicht und dissonant werden, verbunden mit einem langen Crescendo, das erst in den Takten 171/172 in einem Fortissimo gipfelt, dann zwar subito ins Piano zurückgeht, die klopfenden Achtel aber nun zu dreistimmigen Quint- und Sext-Akkorden mutiert sind.
    Und ab Takt 186 tauchen auch wieder zur Verstärkung die dunklen Basstriller auf. Dalberto spielt das ebenfalls hervorragend. Erst im großen hohen Legatobogen ab Takt 204 entspannt sich die Lage, obwohl die klopfenden Achtel sich nochmal vorübergehend zu Oktavakkorden erweitern, doch nun ist flugs die versöhnliche Reprise erreicht.
    Nach der absteigenden Achtelkette und den beiden tiefen ppp-Trillern macht Dalberto wieder eine lange Fermatenpause, und dann klingt das Thema wirklich wie von einem anderen Stern oder aus einer anderen Wirklichkeit, und der nächste tiefe ppp-Basstriller klingt zwar noch geheimnisvoll, aber nicht mehr, wie ich finde, bedrohlich. Wieder folgt eine ausführliche Fermate. Ich finde, dass auch in Dalbertos Konzept die "komponierte Stille" eine Rolle spielt (siehe Ausführungen in den Afanassjew-Besprechungen).
    Die dynamische Steigerung am Ende des dritten Thementeils (hier Takt 253/254) nimmt nun fast triumphale Formen an, und dieser Teil endet auch in einer rauschenden Steigerung. Das Seitenthema legt er wieder so an wie in der Exposition, wobei es hier um eine Quart höher liegt als dort und so schon von daher heller, positiver klingt. Gleiches gilt für die Achteltriolensequenz und die Schlussgruppe.
    Und in der wundersamen kurzen Coda senkt er nochmal das Tempo ab und kommt zu einem tief friedlichen langsamen Beendigung dieser fantastischen Reise durch die verschiedenen Gefühlslagen dieses grandiosen Kopfsatzes.
    Hier hat Michel Dalberto schon mal ein gewaltiges Statement abgegeben..


    Im Andante sostenuto schafft Michel Dalberto eine traurige Atmosphäre. Die Steigerungsschläge ab Takt 9 enden in einem markerschütternden Fortissimo in Takt 12, stärker als bei manchem Anderen, aber das war ja im Kopfsatz in den Steigerungen nicht anders.
    Der hohe luzide Bogen in der Durauflösung (Takt 14 bis 17) hat bei ihm einen zwar klaren, aber doch intimen, sehr leisen Klang. Mehre Kollegen greifen da dynamisch etwas mehr zu. Dalberto verfolgt da sein Ziel, seine dynamische Spannweite aus dem Kopfsatz hier unbeirrt weiter, und das klingt hier fantastisch und erzeugt bei mir eine Gänsehaut.
    In der Wiederholung klingt die Steigerung (hier Takt 22ff) klingt das wieder genauso faszinierend, auch der Rückgang in die dynamische und traurige Tiefe. Auch seine nochmalige Absenkung ins ppp in Takt 38 ist schon außerordentlich.
    Auch das wunderbare Seitenthema spielt er im niedrigen dynamischen Bereich, dennoch mit moderaten dynamischen Bewegungen und im ersten Teil (Takt 43 bis 50) ohne auffällige Tempozunahme. Im zweiten Teil, der Oktavierung nach oben (ab Takt 51) folgt er dann mit einer moderaten "inneren" Beschleunigung der Intention des Komponisten, hier auch verursacht durch die Sechzehntelquintolen in der Altlage. Er spielt diesen Abschnitt äußerst anrührend, auch, als die Melodie ebenfalls in den Bass wechselt (ab Takt 59). Auch hier gibt es nur geringe dynamische Ausschläge. Das habe ich auch schon anders gehört. Erst in der letzten Steigerung , zum Forte hin, legt er merklich zu, wiederum dann temporal etwas schneller werdend in der Sechzehntel-Quintolen-Sequenz, (hier ab Takt 76), aber diese Sequenz zum Ende des Seitenthemas hin kontinuierlich wieder verlangsamend und diminuierend- grandios! Und endlich höre ich wieder in Takt 89, dem Generalpausentakt, fünf Sekunden lang Nichts!
    Die Wiederholung des Teils A stattet auch er mit der gehörigen zusätzlichen "Bedrohungsverstärkung" durch die Sechzehntel-Stakkato-Figuren im Bass aus. Ich finde, bei ihm sind diese Sechzehntel besonders ausgeprägt, auch die neuerliche Steigerung (hier ab Takt 98 mit Auftakt). Wunderbar dann wieder die Durauflösung (hier ab Takt 103 bis 106), in deren Zuge dann auch die bedrohlichen Sechzehntel-Stakkato-Figuren ihre Bedrohung verlieren. Das Kreuzchen vor der dritten Sechzehntel ist verschwunden, und mit ihm auch das "Kreuz" - und dann die Coda: auch Michel Dalberto macht sie zu einem Ereignis.


    Das Scherzo nimmt Michel Dalberto sehr rasch, wesentlich schneller als Imogen Cooper und Clifford Curzon, hat damit ein wesentlich anderes inneres Tempoverhältnis der Sätze zueinander, zumindest, was die beiden ersten langen Sätze zum Scherzo betrifft. Das klingt hier schon virtuos. Ich bezweifle aber, dass er das hier zum Selbstzweck gemacht hat, sondern ich vermute, dass er sich an der Delicatezza des Satzes erfreut hat.
    Wenn man dann das Trio hört, kommt auch die Überlegung ins Spiel, dass er hier einen gehörigen temporalen und vor allem rhythmischen Kontrast setzen wollte und auch gesetzt hat. Das schleppende Stampfen der Forzandopiani klingt gar dem Stampfen des Hinkefußes des Bösen nicht unähnlich, also doch noch Unbilden in diesem auf den ersten Blick so heiteren Satz. Hier hat also die Heiterkeit doch noch ihre Unschuld (Alfred Brendel, a. a. O.) verloren, obwohl Brendel das, wenn ich mich recht entsinne, hauptsächlich auf das Finale bezogen hatte.
    Michel Dalberto spielt selbstverständlich das Scherzo da capo und die vier Codatakte.
    Auch ein großartig gespielter Satz!


    Michel Dalberto nimmt auch das Finale recht rasch, wenn auch nicht ganz so rasch wie Clifford Curzon, aber auf jeden Fall rascher als Imogen Cooper. Außerdem gehört er zu den wenigen, die den G-Akkord im Themenauftakt, der ja mehrere Male erscheint, subito abschwächen, wie es eigentlich gehört.
    Auch die übrigen zahlreichen dynamischen Bewegungen zeichnet er wieder sorgfältig nach. Allerdings habe ich doch noch "ein Haar in der Suppe" gefunden. Die synkopierenden Achtel in der Begleitung spielt er so leise, dass man sie kaum vernehmen kann. Erst, wenn statt ihrer die Viertel gespielt werden, kann man sie wieder deutlich vernehmen. Das ist mir so bisher anderweitig nicht so aufgefallen.
    Der gehörige Kontrast in dem Fortissimobeginn des ersten durchführenden Teils folgt auf dem Fuße.
    Die Achteltriolen in der zweiten Hälfte dieses Teils (hier ab Takt 185 sind besser zu vernehmen. Auch der nächste Abschnitt (ab Takt 235, der reprisenförmig mit dem G-Akkord beginnt, aber dann doch durchführungsmäßig weiter fortschreitet, klingt wieder gut durchhörbar und Dalberto reizt hier wieder die dynamischen Spitzen voll aus, spielt auch in den Sechzehntel-Tonleitern ein berührendes Decrescendo (ab Takt 298).
    Den dann folgenden reprisenförmigen abschnitt ab Takt 312 eröffnet er wieder mit einem vorbildlich gespielten G-Akkord, spielt das so schön fließend wie zu Beginn und schließt das schöne lyrische Seitenthema an. Diesmal sind auch die synkopierenden Achtel besser zu vernehmen. Wieder schließt er am Ende einen ausreichend langen Generalpausen-Doppeltakt an.
    Im zweiten Durchführungsteil spielt er nochmal hochdynamisch bis zur zweiten , eher lyrisch fließenden Hälfte 8ab Takt 459 mit den Achteltriolen in der Begleitung. Hier ist wieder alles Stimmig, die selig fließende Melodie im hohen Diskant und die kontrastierenden Achtel, bis ein letztes Mal das Thema auftaucht, wieder mit einem moderaten G-Akkord eingeleitet. Doch die letzten drei G-Akkorde werden anders gespielt, von vornherein leise und nicht abschwellend, und das Thema wird immer langsamer, bis das unglaubliche Presto dieses pianistische Opus summum Schuberts beendet- beinahe unglaublich ein solches Ende überhaupt.
    Trotz der angesprochenen Irritationen in der Begleitung zu Beginn des Finales eine im Ganzen hervorragende Interpretation!


    Liebe Grüße


    Willi :thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup:

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    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

  • Franz Schubert, Klaviersonate Nr. 21 B-dur D.960
    John Damgaard, Klavier

    Damgaard_3_Jerry-Bergman_vorschau.jpg
    Klavier: Bechstein
    Spielzeiten: 16:41 (22:21) - 11:05 - 4:08 - 7:40 --- 39:34 (45:14) bei virtueller Wiederholung der Exposition


    Da auch John Damgaard in meinen Rezensionen neu ist, will ich auch hier einen biografischen Text einfügen, der jedoch kein Geburtsdatum enthält. Deswegen werde ich auch nicht, wenigstens zur Zeit, ihm an seinem Geburtstag im Erinnerungsthread gratulieren können.
    Der dänische Pianist John Damgaard studierte an der Eastman School of Music (New York), am Royal Danish Musikkonservatorium in Kopenhagen bei Georg Vasarhelyi und später mit Ilona Kabos in London und Wilhelm Kempff in Italien. Er war Assistant Professor an der Royal Danish Academy of Music 1969 bis 1984. Von 1984-2007 Professor an der Royal Academy of Music, Aarhus. Bis heute ist er als Gastprofessor Musashino Academia Musicae in Tokio und an der Australian National Academy of Music in Melbourne tätig.
    Er hat Konzerte in den USA, Kanada, Mexiko, Russland, Estland, Lettland, Litauen, Italien, Frankreich, Belgien, Japan, Australien, in erster Linie mit klassischen, romantischen Programme gegeben, aber fast immer auch für die Klavierwerken dänischer Komponisten. Unter seinen vielen Einspielungen sind zwei CDs mit sämtlichen Klavierwerken von Ravel und fünf CDs mit den kompletten vollendeten Sonaten Franz Schuberts, zwei CD-Veröffentlichungen im Jahr 2010 - eine mit den drei letzten Beethoven-Sonaten und eine mit Werken Joseph Haydns - sowie eine DVD mit einem Live-Mitschnitt von einem Konzert mit Schumann von Tokio (2007).


    Zitat

    John Damgaard: Vor einigen Jahren habe ich im Rigaer Wagner-Saal auf einem wunderbaren Flügel gespielt: Es war ein Bechstein aus der Zeit vor dem Krieg. Und im letzten Sommer habe ich während eines Schubert-Klavierabends plötzlich festgestellt, dass Bechstein weiterhin Flügel "wie zur guten alten Zeiten" baut. Ich sollte auf einem brandneuen Bechstein spielen, der direkt aus Berlin kam und in letzter Minute auf die Bühne aufgestellt worden war, sodass ich keine Gelegenheit hatte, das Instrument vorher anzuspielen. Obwohl ich am Anfang des Konzerts ziemlich nervös war, lief alles problemlos: Der Anschlag war leicht und präzis, die Pedalen perfekt; Der Flügel hatte eine wunderbar singende und strahlende Stimme, die hundertprozentig intoniert war; Besonders interessant waren die sich klar voneinander unterscheidende Bass-, Mittel- und Diskantregister. Meines Erachtens schafft dieser Flügel die perfekte Synthese zwischen dem idealen Ton ‚von damals‛ (einem hölzernen, keinesfalls metallischen Ton) und dem Anschlag, den heutige Pianisten erwarten. Kurzum: Dieser Bechstein-Flügel ist der Traum eines jeden Pianisten.


    https://www.bechstein.com/die-…/pianisten/john-damgaard/


    John Damgaard wiederholt, wie ich in einer vorab vorgenommenen Hörsitzung festgestellt und auch vorher anhand der dokumentierten Satzzeit schon als sicher angenommen habe, leider auch die Exposition nicht.
    Er beginnt die Exposition mit einem berührenden Pianissimo, jedoch in klarem, transparenten Klang. Exzellent kommt auch der erste tiefe Basstriller daher, leise, geheimnisvoll, aber weniger bedrohlich, wie ich finde.
    Nach den ersten beiden, in gleichem Maße im Tempo wirklich moderaten Thementeilen, legt er im dritten Teil temporal- im Wege der inneren Beschleunigung- nicht so deutlich zu wie andere Pianisten, hebt aber bei gleichzeitigem kurzen Ritardando in Takt 33 die Dynamik etwas an und spielt dann in den entsprechenden Takten 34/35, im Übergang zum 4. Thementeil, eine kraftvolle Steigerung. und diesen vierten themenabschnitt spielt er dann weiterhin in durchaus moderatem temporalen Fortgang, schließt auch ihn in Takt 46/47 mit einer kraftvollen Steigerung ab.
    Das zweiten Thema in fis-moll, ab Takt 49 spielt er mit kristalliner Klarheit, auch weiterhin die dynamischen Bewegungen sanft wiegend nachzuzeichnen.
    Das dritte Thema ab Takt 70, nun wieder in B-dur, erhält auch von ihm einen schönen, strahlenden Anstrich in der Oktavierung in dem hohen Bogen gleichfalls ab Takt 70.
    Schon bis hierhin ist in seinem Spiel sinnfällig geworden, was er in o. a. Zitat über die Klangcharakteristik des Bechstein-Flügels sagt. An einen wie hier vernehmbaren Klang kann ich mich auch erinnern, aus den Recitals, die ich im heimischen Konzerttheater bisher erlebt habe, zuletzt vor eineinhalb Jahren beim Recital von Magdalena Müllerperth.
    Sehr schön, rhythmisch äußerst präzise und dynamisch wiederum fein nachzeichnend, gestaltet er die pastorale, mal staccato, mal legato dahin perlende Achteltriolen-Sequenz (Takt 80 bis 98).Auch die Schlussgruppe mit den großen dynamischen Kontrasten spielt er äußerst zutreffend in weiterhin ruhigem Duktus.
    Sehr schön auch sein Ritardando-Überleitungstakt 117b zur Durchführung.
    Die Durchführung selbst, in cis-moll, klingt in Damgaards Interpretation schon melancholisch, wie ich finde, aber nicht tieftraurig, und auch hier kann man wieder die sorgfältige dynamische Ausgestaltung bewundern, Mit einer kräftigen Steigerung in Takt 128 schließt er die erste Sequenz ab und lässt eine dynamisch merklich kontrastreichere zweite Sequenz folgen, die stimmungsmäßig wieder aufgehellte Achteltriolen-Sequenz (Takt 131 bis 149), ab Takt 146 wieder in B-dur, aber auch in seine Lesart, wenngleich dynamisch sehr zurückhaltend, bedeuten die permanent (leise) klopfenden Achtel im Bass, dass sich nicht alle "Wolken verzogen" haben.
    Und in der musikalischer dichter und disharmonischer werdenden Achtelnoten-Klopfsequenz im Diskant, einhergehend mit einem langgezogenen Crescendo und wachsenden dynamischen Kontrasten nimmt der dramatische Impetus noch zu.
    Erst in Takt 173, im Pianissimo, in den Quint- und Sextakkorden, die sich ab Takt 188 mit Auftakt mit dem Themenbeginn in den Oktaven abwechseln, beruhigt sich das Geschehen wieder, was in Damgaards Spiel besonders schön zum Ausdruck kommt, obwohl mit den Basstrillern ab Takt 186 noch einmal zusätzliches Störfeuer aufkommt.
    Erst mit dem deutlichen Fortepiano in Takt 203 auf der Eins spürt man auch in dieser Einspielung die Wende, der hohe Bogen (ab Takt 204) ist von John Damgaard sehr berührend gespielt, ebenso wie die beiden Basstriller im "ppp" in Takt 212 und nochmal nach unten oktaviert in Takt 2014.
    Mit der lange ausschwingenden Achtel in Takt 215 auf der Eins und der dann anschließenden Pausenfermate macht John Damgaard im Grunde eine genauso lange Pause wie Valery Afanassjew. So macht er es im Grunde bei allen Pausen am Ende eines jeden Basstrillers, auch in Takt 224.
    Auch sein Spiel ist, wie schon vorher das seiner Kolleginnen und Kollegen, im Reprisenbeginn noch eine Spur anrührender, ja beinahe jenseitiger.
    Je öfter ich von John Damgaard das Thema höre, denke ich, dass es so genau richtig ist. Und am Ende des dritten Thementeils meine ich zu hören, dass er die Steigerung, vielleicht im Überschwang, noch etwas kräftiger spielt als in der Exposition. Aber das halte ich keineswegs für falsch. Auch die zweite Steigerung, jetzt am Ende des vierten Thementeils, hier in Takt 266 mit Auftakt, kommt mir noch kraftvoller vor. Auch das fis-moll-Thema, und die Rückkehr zum B-dur sieht m. E. heller aus als in der Exposition.
    Auch die Achteltriolensequenz zieht in hellem Lichte an uns vorüber. Schließlich spielt er die Schlussgruppe wieder temporal deutlich moderate und dynamische mit großen Kontrasten, ganz entsprechend der Partitur, sehr berührend auch die wunderbare Coda!
    Ein grandios gespielter Satz!


    Das Andante spielt John Damgaard deutlich langsamer als Michel Dalberto und nochmals deutlicher als Sir Clifford Curzon.
    Auch hier hält er sich wieder genau an die dynamischen Vorgaben Schuberts und eröffnet mit einem berührenden traurigen Pianissimo und steigert dann ab Takt 9 kraftvoll in der terrassendynamischen Steigerung bis zu einem veritablen Forte in Takt 12.
    Seine Lesart der Dur-Auflösung (Takt 14 bis 17) ist in dem Pianissimo unglaublich ausdrucksstark. Dann ist wieder die stete, langsame, traurige Themenmelodie an der Reihe. Bei seinem Vortrag fällt mir wieder ein, wie schön das auch gesungen werden könnte, will sagen, wie schön er das Klavier singen lässt, bevor er das nunmehr reduzierte thematische Material langsam in ppp zurücksinken lässt in Richtung des wunderbaren Chorals des Seitenthemas in A-dur, und er wird in der Tat zunehmend langsamer, hält aber die Spannungskurve unverändert hoch.
    Auch dieses himmlische Seitenthema spielt er langsamer als die Mehrzahl seiner bisher gehörten KollegInnen und verleiht dem Thema eine, wie ich finde, majestätische Würde. Und im zweiten Abschnitt des Themas, in der Oktavierung ab Takt 51 beschleunigt er nicht, wie mancher andere, sondern bleibt im gleichen Tempo, wie in einem gesungenen Duett, wenn die Melodie von der tiefen Stimme auf die hohe Stimme übergeht, ein weiterer Beleg dafür, wie viele Themen in Schuberts Sonaten auch "Lieder ohne Worte" sind.
    Und im dritten Abschnitt, in der Rückkehr der Melodie in die tiefe Oktave, d. h. Melodie und Begleitung wieder beide übereinander in der tiefen Oktave, leitet eine verdunkelnde Rückung in Takt 70 auf der Eins eine atmosphärische Verdichtung ein, die wieder Bezug auf das Hauptthema nimmt und durch eine dynamisch-dramatische Steigerung noch verstärkt wird. Auch das spielt Damgaard wieder hervorragend. In der neuerlichen Oktavierung des Themas nach oben ist das ursprüngliche Leuchten des Seitenthemas wieder vorhanden, hier unterstützt von den Sechzehntelquintolen in der zweiten Diskantstimme (Alt). nach dem letzten Crescendo (Takt 78 mit Auftakt) zieht sich das Choralthema allmählich in Tempo und Dynamik zurück bis quasi zum Stillstand.
    Auch John Damgaard hält den Generalpausentakt 89 fast vier Sekunden aus.
    Das wiederkehrende Hauptthema spielt er analog zum expositionsartigen Teil A, wobei er die nun erschwerenden klopfenden Sechzehntel-Stakkato-Figuren etwas runder, portatoartig. Dann schließt er wieder die grandiose Steigerung an, hier ab Takt 98 mit Auftakt uns schließlich die berührende Durauflösung (hier Takt 103 bis 106) und schließlich die wundersame Coda in Cis-dur--
    welch eine herausragende Interpretation!


    Welch einen Gegensatz stellt dazu seine Lesart des Scherzos dar. Hier ist er signifikant schneller unterwegs, schneller als Curzon, jedoch noch langsamer als Dalberto. Und manchmal höre ich unverhoffte kurze Temposchwankungen, ja Verzögerungen. Was jedoch noch auffälliger ist, ist die im Vergleich zu den beiden vorhergehenden Sätzen unverhältnismäßig höhere Grundlautstärke , obwohl hier auch als Grunddynamik Pianissimo angegeben ist.
    Vor allem bei den gebrochenen Akkorden, Takt 35 bis 37, 47 bis 49, usw. , die ja allesamt in einem pp-Bereich stehen, ist mir die Lautstärke doch zu hoch. Es stehen da zwar auf dem Akkord Akzentzeichen, aber die Anhebung ist mir doch zu stark.
    Im Trio ist der Dynamikverlauf im ersten Teil wieder ohne Fehl und Tadel, jedoch im zweiten Teil spiel er m. E. die Takte 13 bis 16 wieder zu laut (da ist schon wieder "p" notiert), ebenfalls in der Wiederholung.
    Natürlich schließt auch er das Scherzo da capo und die Kurzcoda an.


    Im Finale ist John Damgaard schneller als Dalberto, doch nicht ganz so schnell wie Curzon. Den einleitenden G-Akkord lässt er genauso schnell abschwingen wie Dalberto.
    Dynamisch hat er jedoch die Sache hier wieder im Griff. Das gefällt mir doch ungleich besser als im Scherzo.
    Auch den Seitensatz spielt er mit Schwung und Delicatezza, lässt ihn wunderschön fließen und tupft die synkopierenden Achtel in der Begleitung alert dahin.
    Den ersten durchführungsartigen Abschnitt spielt er dynamisch und rhythmisch ganz ausgezeichnet, und auch temporal bleibt er im richtigen Rahmen.
    Im zweiten lyrischeren Teil (ab Takt 185 mit den Achteltriolen in der Begleitung spielt er die Sechzehntelnoten im Diskant in der Zweierfigur jeweils nach der 3/16-Note (punktierte Achtel) signifikant kürzer als andere Pianisten und erreicht so einen hüpfenderen Rhythmus, was mir vorher gar nicht so aufgefallen ist, aber im Nachhinein schlüssiger erscheint, weil es ja so in den Noten steht.
    Auch den nächsten thematischen Abschnitt ab Takt 226 mit Auftakt, der sich aber eher durchführungsartig fortsetzt, spielt er rhythmisch, wie ich finde, aber auch dynamisch exzellent bis hin zu den Sechzehnteltonleitern ab Takt 292, und dem atemberaubenden Decrescendo ab Takt 298.
    Das dann reprisenförmig einsetzende Thema spielt er wieder so flüssig und kontrastreich wie zu Beginn, auch das wieder einfließende Seitenthema ab Takt 360. Das fließt wieder unaufhaltsam dahin bis zu den nächsten Generalpausentakten, die ausreichend lang sind., jedoch nicht so lang wie bei Afanassjew.
    Die letzte durchführungsartige Strophe spielt er wieder mit viel Schwung und dynamischen Kontrasten, und wieder fällt mir positiv der veränderte Rhythmus in den Zweifiguren im Diskant auf , in denen er in den Oktavgängen diese Hüpfer erzielt, das geht hier im zweiten lyrischen Abschnitt geradezu ins Sphärische hinein- grandios!
    Beim letzten Themenauftritt (Takt 491 mit Auftakt ist der G-Akkord schon im tiefen Pianissimo. und dann schließt er die rauschende Coda an.


    Bis auf die atmosphärischen Störungen im Scherzo war das eine grandiose Interpretation.


    Liebe Grüße


    Willi :thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup:

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

  • Eigentlich wollte ich heute mit der Hammerklaviersonate weitermachen, aber da Malcolm Bilson heute Geburtstag hat und ich festgestellt habe, dass er Schubert auch eingespielt hat, will ich erst zu seinem Geburtstag die letzte Schubertsonate besprechen und vorher einen kurzen Einblick in seinen Lebenslauf geben:
    Franz Schubert, Klaviersonate Nr. 21 B-dur D.960
    Malcolm Bilson, Klavier

    bilson_large.jpg
    Instrument: Fortepiano (Das genaue Instrument ist mir (noch) nicht bekannt.
    Spielzeiten: 15:12 (20:27) - 9:47 - 3:59 - 8:33 --- 37:31 (42:45) min bei virtueller Wiederholung der Exposition!

    Malcolm Bilson, der heute seinen 83. Geburtstag feiert, ist ein amerikanischer Pianist.

    Er gehört mit Fritz Neumeyer, Rolf Junghanns, Paul Badura-Skoda, Jörg Demus und Bradford Tracey zur ersten Generation von Pianisten, die sich intensiv mit historisch-informierter Aufführungspraxis auseinandersetzten. Neben seiner pianistischen Tätigkeit erkannte er bereits in den 1960er Jahren die Bedeutung von musikwissenschaftlichen Studien und aufführungspraktischen Fragen für das Spiel auf historischen Tasteninstrumenten – ebenso wie die Notwendigkeit, einen konsequenten Austausch mit Instrumentenbauern zu pflegen. Seine Interpretationen auf zeittypischen Instrumenten stellten damit einen neuen Interpretationsansatz in einer Zeit dar, die vor allem durch das Spiel auf modernen Instrumenten geprägt war.
    Malcolm Bilson ist spezialisiert auf Musik des ausgehenden 18. Jahrhunderts und des frühen 19. Jahrhunderts. Sein bevorzugtes Instrument ist das Fortepiano. Auf diesem Instrument stellt er die Musik von Joseph Haydn, Wolfgang Amadeus Mozart, Ludwig van Beethoven und Franz Schubert dar. Zugleich widmet er sich auch unbekannten oder vergessenen Komponisten der Epoche der Klassik und Frühromantik
    Seit 1968 unterrichtet er an der Cornell University in Ithaca, New York, wo er als Inhaber des Frederick-J.-Whiton-Lehrstuhls für Musik eine ganze Generation von Pianisten ausbildete, die inzwischen selbst wichtige Lehrpositionen auf der ganzen Welt ausüben (darunter Bart van Oort – Den Haag, Tom Beghin – Montreal, Ursula Duetschler – Holland, Zvi Meniker – Hannover). Seit seiner Emeritierung setzt er seine pädagogische Tätigkeit mit Meisterkursen und Vorträgen fort. Zugleich ist er Jurymitglied von wichtigen Musikwettbewerben wie dem Internationalen Johann-Sebastian-Bach-Wettbewerb in Leipzig. Mit seiner 1995 erschienenen DVD "Knowing the score", in welcher er auf den Zusammenhang von Notation und Aufführungspraxis eingeht, hat Bilson neue wissenschaftliche Maßstäbe in der Klavierpädagogik gesetzt.
    Malcolm Bilson tritt international mit den bedeutendsten Orchestern und Dirigenten, welche die historische Aufführungspraxis pflegen, auf: John Eliot Gardiner, Christopher Hogwood, Nicholas McGegan, Concerto Köln, English Baroque Soloists, Academy of Ancient Music und Tafelmusik Toronto.
    http://1994 wurde Bilson in die American Academy of Arts and Sciences gewählt. <br>https://de.wikipedia.org/wiki/Malcolm_Bilson</a>


    Malcolm Bilson ist im Kopfsatz geringfügig langsamer als Alfred Brendel (1988). Er erzeugt auf seinem Fortepiano ein klares Klangbild, das in dem tiefen Basstriller recht hell ist. Er spielt ein wunderbar rundes Pianissimo. Dieses Pianissimo behält er in der Tat bei bis zum Beginn der Steigerung in Takt 34 bis 35, die eine entsprechend große Spannweit hat. Es fällt auf, dass bei solchen Aufnahmen, ich nehme an, im Studio, das Fortepiano ähnlich voluminös, aber etwas schlanker klingt als ein Steinway oder Bösendorfer. Ich konnte das nach der Konzertreihe im September in Bonn, in der Andras Schiff und Denes Varjon in fünf Konzerten in zweieinhalb Tagen die fünf letzten Beethoven-Sonaten und die drei letzten Schubertsonaten auf einem Steinway und einem Bösendorfer (Schiff) vortrugen und ich vor Jahren Schiff auf einem Broadwood-Fortepiano aus den 1820er Jahren mit der Schubert-Schlusstrias hörte. Ähnliches gilt auch für Klavierkonzerte, die im Studio eingespielt werden. Steht ein solches Instrument zusammen mit einem Sinfonieorchester jedoch in einem großen Haus auf der Bühne, sieht die Sache schon anders aus. Auch das konnte ich (leider) schon mehrfach in Essen und Köln erleben.
    Wie dem auch sei, Bilsons Vortrag lässt bis dahin auch rhythmisch und von den Dynamikverläufen keine Wünsche offen.
    Auch das Fis-moll-Seitenthema lässt er schön fließen, wenngleich auffällt, dass die Viertel in den Legatobögen nicht so weich ausschwingen wie auf einem Steinway, Bösendorfer oder Bechstein, aber das ist sicherlich eine Eigentümlichkeit des Fortepianos.
    In der frischen Staccato-Achteltriolen-Sequenz (Takt 79 bis 98) kann man die synkopierenden Achtel in der Begleitung klarer vernehmen als bei manchem Vortrag mit einem modernen Flügel, von denen ich einige bisher vernommen habe. Das kann aber auch zum Teil dem Umstand geschuldet sein, dass Bilson die Begleitung stärker akzentuiert hat und somit besser gegen die Diskanttöne durchkommt.
    Die Schlussgruppe spielt er auch sehr kontrastreich und mit reduziertem Tempo. Leider wiederholt er auch die Exposition nicht.
    Den ersten Teil der Durchführung (Takt 118b mit Auftakt - Takt 130) spielt er schon mit traurigem Ausdruck, allerdings auch durchaus temporal vorwärtsgewandt. Im zweiten Abschnitt, ab Takt 131, mit den aufwärts- und abwärts strebenden Achteltriolen, die im Wechsel staccato und legato gespielt werden, hellt sich auch in seinem Ausdruck das Geschehen spürbar auf bis zum Ende dieser Sequenz, da sich die begleitenden Achtel unabhängig von der Rückkehr zum B-dur in insistierend klopfende Achtel verwandeln, die auch im dynamisch permanent ansteigenden Mittelabschnitt mit zunehmender musikalischen Dichte und klanglichen Disharmonie das Ganze in eine Unruhe und fast in ein Drama versetzen.
    Malcolm Bilson spielt die Steigerung (ab Takt 162 bis Takt 172) grandios, auch die in der Begleitung und in der Oktave wechselnden klopfenden Quint- und Sextakkorde (ab Takt 173) und ab Takt 186 wieder durch die bedrohlichen Basstriller verstärkt, die im Verein mit den Quinten und Exten das im Diskant aufkeimende Thema mehrfach unterbrechen.
    Erst im dritten Anlauf kann sich das Thema durchsetzen, bestärkt durch den ganztaktigen Fortepianoakkord (Takt 203), die Triller verstummen in ihrer bisherigen Form, und ein wunderbarer Bogen entfaltet sich im hohen Diskant über mehrere Takt und strebt in perlendem Abwärtsgang der nahenden (rettenden) Reprise zu, wo die nunmehr verwandelt scheinenden Basstriller im "ppp" als harmlose Überleitung fungieren.
    Und das Thema erscheint in der Reprise verklärend nach den Unbilden der Durchführung. Noch eines ist mir aufgefallen, ich hätte es aber fast wieder vergessen: auch Malcolm Bilson lässt die letzte Achtel eines jeden Trillers länger ausschwingen, wie ich es vorher schon anderweitig gehört habe.
    Ansonsten spielt er die Reprise einfach nur sehr berührend, wie er auch schon die Exposition gespielt hat.
    Hier spielt er am Ende des Hauptthemas wieder eine mitreißende Steigerung, hin zum Seitenthema. Auch beim ihm ein klanglicher Höhepunkt in diesem Seitenthema ist der hohe oktavierte Bogen, hier ab Takt 289 mit Auftakt, mit dem Crescendo-Decrescendo und die anschließende liebliche Achteltriolensequenz sowie die kontrastreiche Schlussgruppe, die er langsam zur kurzen Coda hin auslaufen lässt.
    Auch diese Coda spielt er sehr anrührend.
    Es ist so schön, wenn am Ende eines solchen Satzes keine Fragen offen bleiben., und wenn man, wie ich, tief berührt ist.


    Das Andante versieht Bilson mit einem traurigen Ausdruck. Im Tempo ist er langsamer als Brendel, aber doch erheblich schneller als Damgaard, etwa gleich mit Dalberto.
    Auch hier spielt er eine prachtvolle erste Steigerung (Takt 9 bis 12) und eine wunderbare anschließend Durauflösung (Takt 14 bis 17), auch der zweite Thementeil mit der zweiten Steigerung und dem langen Decrescendo (ab Takt 22) mit den einzelnen kaum merklichen dynamischen Akzenten. Auch Bilson spielt den Abstieg ins "ppp" in Takt 38 phänomenal, hinüber leitend zum überirdischen Seitenthema, dem A-dur-Choral (aus einer anderen Dimension, in die Schubert schon hineinblicken konnte?)
    Malcolm Bilson spielt diesen Seitenthema etwas diesseitiger, als ich es schon gehört habe, mit ganz klarem Klang und etwas beschleunigt, aber nur etwas, und mit ganz moderaten dynamischen Bewegungen.
    Das oktavierte Thema (ab Takt 51) spielt er, wie ich finde, so von tiefer Freude durchglüht, als wolle er Schubert geradewegs an die Hand nehmen und zum Paradies geleiten.
    Auch die etwas größere Steigerung mit dem kurzen Auflösungsakkord in Takt 70 auf der Eins spielt er in diesem dynamisch-klanglichen Konzept.
    In der Rückkehr zur beseligenden Oktavierung mit den Sechzehntelquintolen (wie in Takt 51ff.) dringt er wieder, wie ich finde, ganz tief zum musikalischen Kern dieses Satzes vor, und auch das lange Decrescendo und später einmündende Diminuendo spielt er atemberaubend. Auch den abschließenden Generalpausentakt 89 hält er ausreichend lange, wenn auch nicht so lange wie Afanassjew.
    Das reprisenförmige Hauptthema spielt er ebenso ausdrucksvoll und dynamisch kontrastreich. Immer stärker fällt mir auf, wie klar konturiert Bilson den Klang entstehen lässt. Ich muss mir doch zeitnah die Gesamtaufnahme bestellen, damit ich mehr über das Aufnahmedatum und das verwendete Instrument in Erfahrung bringen kann. Wenn jedoch jemand von den lieben Taminos oder Paminas diese o. a. Gesamtaufnahme in seinem (ihrem) Bestand hat, wäre ich über eine Information sehr erfreut.
    Wiederum lässt mir die Durauflösung (hier Takt 103 bis 106)einen Schauer über den Rücken laufen, ebenso wie die wundersame Coda, die er in einem jederzeit klaren, dynamischen, sehr leicht bewegten, unglaublichen Piano pianissimo in Richtung einer anderen, schöneren Dimension entschweben lässt.
    Überragend!


    im Scherzo ist Malcolm Bilson etwas langsamer als Brendel und Dalberto, aber etwas schneller als Damgaard.
    Vom Klangcharakter her fasst er das Scherzo sehr diesseitig auf, wie ich finde, auch durchaus an der oberen Skala des Pianissimo. Hier stellt sich, so glaube ich, das höhere Tempo alleine schon dadurch ein, dass die vielen Staccatotöne viel kürzer schwingen als auf einem Steinway. Dennoch spielt er das Scherzo m. E. nicht zu leicht., sondern er misst ihm durchaus das Gewicht zu, das ihm gebührt.
    Im Trio meine ich zu hören, dass die Forzandopianotöne leichter entstehen und sich bewegen als bei manchem Steinway-Spieler.
    Malcolm Bilson schließt dann das Scherzo da capo und die kurze viertaktige Coda an.


    Im Finale ist Malcolm Bilson etwas langsamer als Alfred Brendel und doch signifikant langsamer Als Michel Dalberto und John Damgaard.
    Den einleitenden G-Akkord lässt er nicht besonders schnell abschwingen. Im ersten Thementeil lässt er es in gemäßigtem Tempo vorangehen, die dynamischen Bewegungen und Steigerungen gleichwohl aufmerksam nachzeichnend.
    Das Seitenthema lässt er ebenfalls ruhig fließen, die nunmehr sehr moderaten dynamischen Bewegungen organisch einfließend lassend. Die beiden Generalpausentakte 154/155 dehnt er nicht allzu lange aus.
    Den ersten durchführungsartigen Part (ab Takt 156) spielt er im ersten Abschnitt sehr kontrastreich, aber nicht überbordend und fährt im Decrescendo (Takt 184) schön zurück, den zweiten lyrischeren, sich in kurzen Legatobögen im Diskant bewegend, von den klar erkennbaren Achteltriolen im Bass begleitet, anschließend. Auch dieser Abschnitt tritt, wie schon der dynamische erste Teil, klanglich transparent hervor.
    Den hieran anschließenden zweiten, trotz des erscheinenden Originalthemas, eher auch durchführenden Abschnitt, (ab Takt 225 mit Auftakt), spielt er hochdynamisch, die sich von Oktavgängen in Oktavwechsel und dann Achteltriolen wandelnden Begleitfiguren mit dem Thema öfters die Oktave wechselnd, in eine lange Steigerung hinein, der erst in den bekannten Sechzehntel-tonleitern langsam zur Ruhe kommend.
    Den hieran anschließenden nun echt reprisenförmigen Teil (Takt 312 ff.) spielt er mit der gleichen Ruhe wie zuvor das Thema zu Beginn des finalen Rondos, und das lyrische Seitenthema anschließend.
    Auch hier kann man wieder die synkopierenden Achtel in der Begleitung klar vernehmen.
    Ein letztes Mal fällt der Durchführungsabschnitt ein (Takt 430ff), den Malcolm Bilson wieder kraftvoll einstimmt, und ab Takt 458 sanft in den lyrischen Abschnitt überführt.
    Den letzten Themenabschnitt mit den letzten zurückhaltenden G-Akkorden spielt auch Malcolm Bilson, wie es gehört. Interessanterweise acceleriert er die letzten Takte vor der Presto-Coda, während Andere sie auch schon retardiert haben.
    Er schließt die Presto-Coda in grandioser Manier an und mit ihr die Sonate ab.
    Eine hervorragende, durchaus referenzwürdige Aufnahme!


    Liebe Grüße


    Willi :thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup:

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

  • Eigentlich wollte ich heute mit der Hammerklaviersonate weitermachen, aber da Malcolm Bilson heute Geburtstag hat und ich festgestellt habe, dass er Schubert auch eingespielt hat, will ich erst zu seinem Geburtstag die letzte Schubertsonate besprechen und vorher einen kurzen Einblick in seinen Lebenslauf geben:

    Lieber Willi,


    schön, dass Du auch die Aufnahmen mit Originalinstrumenten mit einbeziehst. Auf Nikolaus Lahusen wirst Du ja noch kommen, wenn der Buchstabe "L" dran ist. Die Aufnahme habe ich ja als CD-R. ;) Schade, diese Aufnahme wäre etwas für Dieter Stockert, was er dazu meint! :hello:


    Liebe Grüße
    Holger

  • Lieber Holger,


    Klavierrecitals mit Originalklanginstrumenten habe ich ja schon öfter erlebt, vor vielen Jahren auf dem Klavierfestivalruhr beispielsweise das Konzert Andras Schiffs auf einem Broadwood-Flügel der 1820er Jahre, mit der er die letzten drei Schubert-Sonaten gespielt hatte. Das hat mich damals restlos begeistert.
    Aber ebenso enttäuscht war ich von einem Konzert Ronald Brautigams in der Kölner Philharmonie, der auf seinem schmächtigen Instrument in der Riesenphilharmonie einfach nicht durchkam mit so "Schlachtrössern" wie Beethovens op. 13. 57 und 111. Fünf Tage später erlebte ich das gleiche Programm auf einem Bechsteinflügel in unserem Konzerttheater. Ein klanglicher Unterschied wie Tag und Nacht.
    Und wenn solche Programme im Studio aufgenommen werden, ist das noch mal eine ganz andere Hausnummer.


    Liebe Grüße


    Willi :)

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
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  • Franz Schubert, Klaviersonate Nr. 21 B-dur D.960
    Jörg Demus, Klavier


    Instrument: Fortepiano Conrad Graf, Wien 1830
    AD: 1995?
    Spielzeiten: 14:44 (19:46) - 9:33 - 4:29 - 8:05 --- 36:51 (41:56) min. einschließlich virtueller Wiederholung der Exposition


    Da Jörg Demus, der am 2. Dezember, also in knapp vier Wochen, seinen 90. Geburtstag feiert, bisher mit Schubertwerken nur als Liebegleiter in meiner Sammlung war, will ich ihn hier auch kurz vorstellen:
    Er wurde am 2. Dezember 1928 in St. Pölten geboren.
    Er wuchs auf als Sohn des Kunsthistorikers Otto Demus und der Konzertviolinistin Luise Demus. Er erhielt bereits im Alter von sechs Jahren den ersten Klavierunterricht und wurde mit elf Jahren zur Wiener Musikakademie zugelassen, wo er bis 1945 Orgel, Klavier, Komposition (Musik) und Orchesterleitung studierte. Seinen ersten Klavierabend gab er 1943 im Brahms-Saal des Wiener Musikvereins.
    1945 wurde er zum Militärdienst einberufen, konnte sich bei Kriegsende nach Oberösterreich durchschlagen und kam in britische Kriegsgefangenschaft, wo er nach rund sechs Wochen wieder entlassen wurde.
    1950 startete er in London seine internationale Karriere. 1951–53 wechselte er zu Yves Nat nach Paris und anschließend zu Walter Gieseking nach Saarbrücken. Im Jahr 1956 erhielt er eine der bedeutendsten Auszeichnungen für Pianisten, nämlich den Ersten Preis des Internationalen Klavierwettbewerbs Ferruccio Busoni in Bozen, 1970 erhielt er den Jakob Prandtauer-Preis für Wissenschaft und Kunst der Stadt St. Pölten.
    Als großer Musiker und Lehrer genießt er weltweite Anerkennung. Demus machte sich besonders durch sein Engagement für die Renaissance der Hammerflügel verdient, die er trotz aller technischen Unzulänglichkeiten alter Originalinstrumente bei vielen Aufnahmen einsetzte und damit ein hohes Maß an Authentizität erreicht. Demus spielt häufig Werke der Romantik, er tritt auch als Liedbegleiter und mit Kammermusik-Ensembles und beispielsweise mit der Cellistin Maria Kliegel auf.
    Seit längerer Zeit arbeitet Jörg Demus an einer CD-Produktion „Die Geschichte des Klaviers“, welche am Ende 100 vollbespielte CDs umfassen soll.


    https://de.wikipedia.org/wiki/J%C3%B6rg_Demus


    Jörg Demus gehört zu jenem halben Dutzend berühmter österreichischer Pianistinnen und Pianisten, die alle kurz vor 1930 oder nach 1930 geboren wurden: Paul Badura Skoda (1927), Jörg Demus (1928), Walter Klien (1928), Ingrid Haebler (1929), Friedrich Gulda (1930) und Alfred Brendel (1931). Davon sind nur Walter Klien (+ 1991) und Friedrich Gulda (+ 2000) nicht mehr unter uns. Friedrich Gulda ist der Einzige, der in diesem Thread nicht vorkommen wird, da er die B-dur-Sonate nicht aufgenommen hat. (William B.A.)


    Jörg Demus nimmt den Kopfsatz schneller als seine Kollegen Damgaard und Dalberto, wobei der Abstand zu Damgaard, der ebenfalls wie Demus auf die Wiederholung der Exposition verzichtet, etwa doppelt so groß ist wie der zu Dalberto.
    Jörg Demus entlockt dem Conrad Graf Flügel von 1830 einen warmen, aber transparenten Ton. Überhaupt höre ich diese Sonate auf einem historischen Flügel sehr gerne, seit ich vor etlichen Jahren Andras Schiff beim Klavierfestival Ruhr auf einem Broadwood hörte, der einen ebenfalls sehr warmen und transparenten Klang hatte.
    Er ist im Ton etwas direkter und dynamisch etwas höher stehend als John Damgaard. Auch er lässt am Ende der Themenphrase die letzte Achtel des tiefen Trillers länger ausschwingen.
    Im zweiten Thementeil (Takt 19 bis 33) hebt er die Dynamik kaum merklich an, etwa bis zum p/pp, aber noch tolerabel, spielt aber die letzten langen Bögen (Takt 28 bis 33), die schon mancher Kollege entgegen der Partitur zu früh und vor allem zu kräftig gesteigert hat, weiter auf diesem Level und steiger erst, wie es in der Partitur steht, ab Takt 34 und dann bis zu einem kraftvollen Forte am Ende von Takt 35. In dem dann folgenden dritten Thementeil (Takt 36 bis 46), zeichnet er auf einem einheitlich hohen dynamischen Niveau (es ist ja ab Takt 36 keine explizites Decrescendo verzeichnet),
    die dynamischen Akzente zwischen den Takten 40 und 43 sorgfältig nach.
    Das Fis-moll-Seitenthema (Takt 49 bis 69), spielt er auf einer p/pp-Basis dynamisch sehr sauber und in gleichbleibend schönen Legato im Diskant und die Sechzehntel-Intervallwechsel ab Takt 59 im Bass in ebensolchen sorgfältigem Nonlegato.
    Die Rückkehr zum B-dur ab Takt 70 spielt er in einer sehr schönen Aufhellung in dem hohen oktavierten Oktavgang im Crescendo-Decrescendo, und steigert anschließend organisch in die nächste Bewegung ab Takt 76 mit Auftakt in den nächsten oktavierten Bogen hinein.
    Auch die anschließende Achteltriolen-Sequenz mit Oktavwechseln und Formwechseln der Triolen (Takt 79 bis 98) gelingt ihm vorzüglich einschließlich der letzten, durch Viertelpausen stockenden Sequenz (Takt 95 mit Auftakt bis 97) hin zur Schlussgruppe.
    Und in der atemberaubenden Schlussgruppe spielt er ebenso wie Zoltan Kocsis, den ich heute Nachmittag anlässlich seines 2. Todestages noch einmal mit seiner Aufnahme aus Bellinzona 1998 hörte, in der oktavierten Zweiunddreißigstel-Figur in Takt 112 die abschließende Achtel, ein f'''', kristallklar vernehmlich im Gegensatz zu manchen Kollegen, die möglicherweise bei diesem hohen Ton Anschlagsschwierigkeiten haben.
    Bei Jörg Demus geht es dann von Takt 116 leider direkt zu Takt 117b, dem Überleitungstakt zur Durchführung. Diesen Ritardandotakt spielt er jedoch sehr anrührend.
    Den ersten Teil der Cis-moll-Durchführung spielt er mit traurigem, zunehmend dramatischem Ausdruck, und in der nun wieder einsetzenden Achteltriolen-Sequenz ab Takt 131 mit einer spürbaren stimmungsmäßigen Aufhellung, auch nach der Rückkehr zum B-dur ab Takt 146, aber auch in seiner Spielweise, und sicherlich auch durch den direkten Klang des Graf-Flügels klingen bei ihm die klopfenden Achtel (ab Takt 151) sehr insistierend, vor allem aber in der Sequenz mit der zunehmenden Disharmonie und musikalischen Verdichtung ab Takt 159 in der oberen Oktave, später einhergehend mit einem veritablen Crescendo ab Takt 163, das er atemberaubend spielt. Auch die nun folgende Sequenz ab Takt 173 mit den wechselnden Achtelquinten und -sexten klingt bei Demus keineswegs harmlos, sondern immer noch unheilvoll, und sie wird auch und gerade mit dem Graf-Flügel ab Takt 186 durch bedrohliche Basstriller noch verstärkt. Erst ab dem ersten langen Bogen ab Takt 204 entspannt sich auch hier das Ganze und läuft dann endlich in der langen abwärtsstrebenden Achtel-Staccatotreppe hinein in ein anrührendes Pianopianissimo, dessen Basstriller dann nur noch entspannt leise klingt und mit dem zweiten, in den Tiefbass gerutschten Basstriller Platz macht für die Reprise.
    Als diese einsetzt, kommt man sich in der Tat gegenüber den dramatischen Höhepunkten in der Durchführung so vor, als sei man durch ein unsichtbares Tor plötzlich auf einen anderen, friedlichen Planeten gelangt. Hier bringt Demus sein Instrument wieder zum berührenden Singen, das auch im zweiten und im dritten Thementeil anhält.
    Auch das Seitenthema (ab Takt 267) zieht erneut an uns vorüber, melancholisch angehaucht, jedoch höher in der Oktave als in der Exposition. Vielleicht klingt die tiefe Oktave dadurch doch etwas bestimmender, durchdringender. Der Übergang zum B-dur in Takt 289 klingt dann in dem hohen Bogen auch bei Demus strahlend schön. Anmutig hüpfend ziehen wieder die Staccato-achteltriolen vorüber, und dann auch die Schlussgruppe. Demus spielt sie wieder grandios.
    Dann schließt er den Satz mit einer anrührenden Kurzcoda ab.
    Ein grandios gespielter Kopfsatz!


    Auch im Andante ist Demus deutlich schneller als Damgaard und auch noch etwas schneller als Dalberto. Aber er ist natürlich keineswegs zu schnell. Sein Ausdruck ist ebenfalls sehr traurig. Auch rhythmisch ist sein Spiel sehr aufmerksam. In jeder Dreisechzehntel-Sechzehntel-Figur im Themenbeginn, jeweils zwischen den beiden Halben, retardiert er die anfängliche Dreisechzehntelnote etwas stärker, als ich es schon gehört habe und verändert dadurch gleich den Rhythmus der ganzen Phrase- genial! Auch seine Steigerung (ab Takt 9 ist großartig.
    Seine Duraufhellung (Takt 14 bis 17) bleibt introvertierter als bei anderen und strahlt dadurch einen ganz eigentümlichen Zauber aus. Auch die zweite Steigerung (ab Takt 26 gefällt mir wieder über die Maßen. Wunderbar gestaltet er auch das Absinken in das "ppp" in Takt 36 bis 38, hin zum choralartigen überirdischen Seitenthema.
    Dieses Seitenthema ist im ersten Abschnitt (Takt 43 bis 49 herausragend, gleichbleibend im Tempo, maßvoll dynamisch bewegt und von einem tief zum Kern der Musik vordringenden Ausdruck. Das gilt auch für den zweiten Abschnitt, die Oktavierung (Takt 51 bis 58) und die Rückkehr des Themas in den Bass (ab Takt 59). Das ist einfach beglückender Gesang. Sehr ausdrucksvoll gestaltet er das anschließende Crescendo mit der Auflösung in Takt 70 auf der Eins und das folgende, massive Crescendo ab Takt 71. Wunderbar wieder die neuerliche Rückkehr des Themas in den Diskant (ab Takt 76) und das lange Decrescendo ab Takt 80 mit Auftakt hin zum Ende des Seitenthemas. Sein Generalpausentakt 89 ist ausreichend lang, aber nicht so lang wie etwa bei Afanassjew.
    Sehr insistierend gestaltet er auch in der Themenrückkehr die veränderte pochenden Sechzehntel-Bassfigur ab Takt 90.
    Seine nächste Steigerung (ab Takt 98) ist m. E. noch kraftvoller als die vorhergehende aus Takt 26ff, und wunderbar wieder die Durauflösung im hohen Bogen, hier ab Takt 103 bis 106), und nochmals grandios ist auch die letzte Steigerung (Takt 115 bi 117) und das anschließende Decrescendo in die wundersame Kurzcoda, mit der er diesen Wundersatz atemberaubend abschließt.
    Das hohe Niveau aus dem Kopfsatz findet hier seine würdige Fortsetzung.


    Auch im Scherzo ist Jörg Demus signifikant langsamer als Dalberto und Damgaard. Im Klang ist er sehr diesseitig und sicherlich nicht zu leise, aber man kann es noch als pp bezeichnen. Rhythmisch ist das sehr treffend und die dynamischen Verläufe sind gut getroffen.
    Das hochrhythmische Trio spielt er, wie ich finde, sehr partiturgerecht, setzt die Forzandopiani schön synkopierend und auch schön abschwellend. natürlich spielt auch er dann das Scherzo da capo und zum Schluss die viertaktige Coda.


    im Finale ist Jörg Demus etwa zeitgleich mit Michel Dalberto, aber doch signifikant langsamer als John Damgaard. Er spielt das Allegro recht entspannt und spürt den dynamischen Bewegungen aufmerksam nach. Die Akkorde lässt er moderat abschwellen.
    Nach dieser munteren, entspannten Exposition (Takt 1 bis 84) lässt er das Instrument im lyrischen Seitensatz (Takt 85 bis 155) unbeschwert vor sich in singen, wobei im zweiten Abschnitt (Takt 96 bis 111) und vierten Abschnitt 130 bis 145) die synkopierenden Achtel in der Begleitung gut zu vernehmen sind. Es gab auch schon Beispiel, wo diese Achtel so leise und körperlos gespielt wurden, dass sie mehr zu ahnen waren.
    Die Beiden Generalpausentakte 154/155 hält Demus auch nicht übermäßig lange an.
    Den ersten durchführungsartigen Teil, rhythmisch und dynamisch in zwei Hälfte unterteilt, spielt er im ersten Non-Legato-Abschnitt mit dem nötigen dynamischen Aplomb, aber auch nicht überbordend, und im zweiten Abschnitt mit den ketten aus kurzen Legatobögen im Diskant und Achteltriolen in der Begleitung hören wir eigentlich, dank seines präzisen Spiels parallel zwei Melodien, einmal das Thema im Diskant und dann die etwas einfachere und aus Wiederholungen kürzerer Motive bestehende Begleitmelodie. So präzise und quasi als zweistimmigen Gesang hört man das nicht immer, auch ein Beleg dafür, dass dieses Finale alles andere As einfach zu spielen ist.
    Im nächsten Abschnitt, der mit dem Thema beginnenden eigentlichen Erweiterung des durchführungsartigen Teils, lässt er die dynamische Kurve wieder kräftig nach oben steigen, und den auch hier vorhandenen Abschnitt mit den sanglichen Achteltriolen wieder schön hervortreten, bevor die dynamische Kurve ab Takt 281 (Forte) wieder nach oben geht und von den Oktavgängen und anschließende Sechzehnteltonleitern (ab Takt 292 bestimmt wird und auch in ihnen (ab Takt 298) in einem langen Decrescendo wieder zum Erliegen kommt und in Takt 312 der eigentliche reprisenförmige Teil beginnt, mit der einen oder anderen Änderung gegenüber der Exposition. Ansonsten lässt er es wieder so entspannt fließen wie zu Beginn, direkt in das sangliche Seitenthema hinein.
    Ein letztes Mal kommt nach den neuerlichen Generalpausentakten (428,429) die zweigeteilte Durchführungssequenz mit ihren dynamischen Achtel- und Sechzehntelläufen und langgezogenen Oktavierungen im Diskant und ihrer anschließenden Wandlung von der Staccato-Hochdynamikphase in die Legato-Pianophase, in der es wieder singt und swingt, und dann ein letztes Mal die G-Akkorde mit dem Thema, wesentlich abgeschwächt,, bevor Demus es hier mit einem prachtvollen Presto zu einem schwungvollen Ende führt.


    Eine großartige Interpretation eines Pianisten, der wahrlich viel vom Gesang versteht und in knapp vier Wochen den Kreis der 90jährigen Pianisten (Pressler, Badura-Skoda) um einen erweitert, so Gott will.


    Liebe Grüße


    Willi :thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup:

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

  • Lieber Willi,


    auch Demus wird schon 90! Kaum zu glauben! Ich habe ihn nur mit Schumann (die GA bei Nuova Era), seinen Schubert kenne ich nicht! Wieder ein sehr schöner, ausführlicher Bericht von Dir. Ich werde neidisch, dass Du so viel Muße hast für solche schönen Dinge! :hello:


    Liebe Grüße
    Holger

  • Lieber Holger,


    ich bin ja nun auch schon über 7 Jahre in Pension und das hat auch nicht nur Vorteile, vor allem, wnn man alleine lebt. Da muss man sich schon erfüllende Freizeitbeschäftigungen suchen. :D


    Liebe Grüße


    Willi :)

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

  • Marta Deyanova, 8. 7. 1993, Wyastone Leys, Wales
    Franz Schubert, Klaviersonate Nr. 21. B-dur D.960
    Marta Deyanova, Klavier

    17624fec88aa477893d06acd1abee931.jpg
    Instrument: Steinway?
    Spieldauer: 22:14 - 8:02 - 4:44 - 8:31 --- 43:31 min:
    Da Marta Deyanova mir bis dato völlig unbekannt war und das ja auch im Forum so zu sein scheint, möchte ich an dieser Stelle auch einen kleinen Einblick in ihre Vita geben. Da ich jedoch im Internet nichts Vernünftiges gefunden habe, will ich den ersten Teil des Booklettextes aus dem Englischen übersetzen:
    Marta Deyanova erlangte zum ersten Mal Beachtung im Jahre 1964, als sie den ersten Preis beim dritten Nationalen Wettbewerb für jugendlich Künstler in ihrem Heimatland Bulgarien gewann, ein früher Erfolg, den sie bald bestätigte durch die Goldmedaille beim Internationalen Busoniwettbewerb in Italien 1965 und den ersten Preis beim neunten Internationalen Casagrande-Klavier-Wettbewerb in Sofia 1967. Außerdem war sie Preisträgerin in Montreal 1971, und im folgenden Jahr gewann sie den ersten Preis bei der fünften Preisträger-Biennale in Bordeaux.
    Weiterhin gewann sie den Ersten Preis beim ersten Wettbewerb für junge Künstler, den die UNESCO 1969 veranstaltete.


    Weiteres steht in englischer Sprache auf dieser Seite: https://www.last.fm/music/Marta+Deyanova/+wiki


    Marta Deyanova beginnt auch im tiefen Pianissimo, spielt aber auch, wie so mancher Andere, in der zweiten Hälfte der Wiederholung des Themas, (Takt 14 mit Auftakt bis Takt 18), eine spürbare, wenn auch schlüssige dynamische Bewegung des Themas. Ihr Flügel, wenn es denn ein Steinway ist, zeitigt einen hellen, transparenten Klang, der erste tiefe Triller ist überaus sphärisch.
    Im Laufe des dritten Thementeils (Takt 19 bis 33) setzt sie allerdings für mein Empfinden das Crescendo schon ab Takt 27 an, wenn sie auch bis etwa Takt 33 in einem kräftigen Mezzopiano verbleibt, aber in Takt 27 hat Schubert noch einmal (nach Takt 19) explizit ein "pp" notiert. Aber Marta Deyanova ist beileibe nicht die Einzige, die sich in diesem Thementeil zu einem frühzeitigen Crescendo hat hinreißen lassen. Der Nachteil von solchen dynamischen Kurven ist es auch, dass das Crescendo in Takt 34 bis 35 vom leisesten bis zum lautesten Punkt einen zu kleinen Umfang hat. Ich habe da schon andere dynamische Kurven gehört, die von pp bis beinahe ff reichten.
    Allesdings spielt sie den weiteren Verlauf des dritten Thementeils mit seinen dynamischen Akzenten in Takt 40/41, 43 mit Auftakt und das folgende Decrescendo/Crescendo bis hin zum Fortissimo am Ende von Takt 47 wiederum ganz glänzend.
    Sehr gut gefällt mir auch das Seitenthema, zunächst im ersten Teil in fis-moll, Takt 49 bis 69, in dem sie einen ruhigen Fluss einschlägt und die dynamischen Bewegungen wunderbar nachzeichnet und mit dem wunderbaren oktavierten Bogen in der Rückkehr zu B-dur ab Takt 70 das Thema erstrahlen lässt und ein grandioses Decrescendo-Crescendo (Takt 72 mit Auftakt bis 77 spielt.
    Daran schließt sie eine überzeugende Achteltriolensequenz an (Takt 79 bis 98) an, auch hier die dynamischen Akzentuierungen und im letzten Teil die rhythmischen Stockungen (ab Takt 94) sorgfältig nachzeichnend.
    Auch ihre Schlussgruppe überzeugt einmal mehr durch sorgfältige dynamische Ausgestaltung, nicht nur in den etwas längeren Anstiege in Takt 102, 103 106 u. a., sondern auch in den kurzen Abschwellungen, die ich nicht immer so deutlich gehört habe.
    Auch ihre Interpretation der Überleitung zur Expositionswiederholung hat mich voll überzeugt. das ist auch dynamisch exzellent ausgearbeitet.
    Leider verfährt sie in der Wiederholung der Exposition in der Frage des vorzeitigen Crescendos genauso wie vorher, eher noch etwas mehr steigernd.
    Aber auch die Vorzüge im weiteren Verlauf sind wieder zu loben.
    Ihr Ritardando-Überleitungstakt 117b hin zur Durchführung gefällt mir auch sehr gut.
    In der Durchführung schlägt sie im ersten Teil, geprägt von schweren Oktavgängen, einen traurigen Ton an, der sich, der sich im zweiten Teil mit Einsetzen der Abwechselnd staccato und legato gespielten Achteltriolen wieder etwas aufhellt, und dank ihres temporal moderaten Spiels sind die musikalischen Strukturen jederzeit gut zu erfassen.
    Trotz der Rückkehr nach B-dur sind auch und vor allem in ihrer Interpretation die dunklen Seiten der Stimmung nicht wegzuwischen, da sie die klopfenden Achtel in der Begleitung extra insistierend spielt.
    Vor allem gilt das für die musikalische Verdichtung und zunehmende Dissonanz ab Takt 159, die sie wirklich grandios spielt und in einem mitreißenden Crescendo auslaufen lässt. Ähnlich geht es mit der folgenden Sequenz weiter, den wechselnden Quint- und Sextakkorden ab Takt 172. Die ganze Sequenz spielt sie schon fast staccatomäßig, was eine unheimliche Wirkung hat, zumal ab Takt 186 die sinistren Basstriller wieder hinzutreten.
    Erst im gro0en Bogen ab Takt 204 tritt auch in Marta Deyanova Spiel Erleichterung und Entspannung ein, und im Takt 212 läuft es in einem berührenden ppp-Triller aus, in Takt 214 noch einmal nach unten oktaviert.
    In der Reprise (ab Takt 215) ist die Welt dann (fast) wieder in Ordnung, und der erste Triller (Takt 223) ist dann "nur noch" geheimnisvoll in ganz leisem "ppp".
    Leider steigert sie dann im dritten Thementeil wieder zu früh, und wie ich finde, noch stärker als zuvor, sodass sie am Beginn des eigentlichen Crescendos (Takt 253, schon längst bei Forte angelangt ist und am Ende von Takt 254 immer noch bei Forte ist, also da, wo es vorgeschrieben war, gar kein Crescendo mehr gespielt hat.
    Leider fällt mir für solche dynamischen Eigenwilligkeiten keine schlüssige Begründung ein. Das Spiel des Seitenthemas wirk dagegen wieder überzeugend.
    Das gilt vor allem noch einmal für die herausragend gespielte Schlussgruppe und die ebenso gespielte äußerst berührende Kurzcoda.


    Das Andante spielt Marta Deyanova wesentlich schneller als John Damgaard und auch schneller als Jörg Demus, während sie im Kopfsatz mit Damgaard gleichauf und wesentlich langsamer war als Jörg Demus, aber im Thementeil ist das durchaus noch ein Andante sostenuto.
    In den großen Intervallsprüngen der Begleitung betont sie in einem anderen Rhythmus, als mir das bei den anderen PianistInnen erinnerlich ist. Die jeweils letzte, am höchsten liegende Achtel spielt sie immer mit einer kleinen Verzögerung.
    Dynamisch ist das alles ohne Fehl und Tadel, auch hier Herabsinken ins "ppp" in Takt 38 ist vorbildlich.
    Auch das choralartige wunderbare Seitenthema spielt sie, wie ich finde ganz ausgezeichnet, ohne dabei die organische Tempogestaltung zu ändern.
    Auch die nach oben oktavierte Wiederholung des Themas(ab Takt 51) spielt sie ganz anrührend, die Sechzehntelquintolen in der Begleitung im unveränderten Tempo sehr transparent darstellend. Hier kommt sie auch nie in die Verlegenheit, irgendwo verfrüht zu crescendieren oder überhaupt zu crescendieren. Die beiden Crescendi in Takt 67 und ab Takt 71 spielt sie dann auch sehr verhalten. Ansonsten ist auch ihr dynamisches Konzept in diesem Satz sehr schlüssig.
    Auch das neuerliche Thema im Diskant spielt sie sehr überzeugend und endet mit einem wunderbaren Diminuendo/Ritardando. Dann macht sie im Generalpausentakt 89 fast eine so lange Pause wie Afanassjew, höchstens eine Sekunde weniger.
    In der Wiederholung des Hauptthemas spielt sie die neu hinzugetretenen 3/16-Staccatofigur mit der vorangestellten Sechzehntelpause anstelle der vorherigen Viertelpause sehr insistierend, so dass das auch bei ihr, wie auch bei vielen anderen, eine Steigerung der Eindringlichkeit bedeutet. Außerdem meine ich, dass das Tempo leicht erhöht ist, und dadurch steigert sich der Furor noch weiter- grandios auch auf dieser Basis die nächste terrassendynamische Steigerung (ab Takt 98 mit Auftakt). Einen umso helleren, positiveren Kontrast bedeutet neuerlich die Durauflösung (hier Takt 103 bis 106). Auch die dritte Steigerung 8ab Takt 115 mit Auftakt ist wieder grandios gespielt. da Steigert sie wirklich vom Pianissimo bis zum satten Forte.
    Ein wenig schnell ist zwar der Übergang zur wundersamen Coda, aber das ist noch in Ordnung, die Coda auch.
    Ich bin jedoch der Meinung, dass weniger Tempo in diesem letzten Satzteil mehr gewesen wäre (siehe fast alle voraufgegangenen Rezensionen).Etwas weniger Tempo wäre hier mehr gewesen und hätte aus einer sehr guten Interpretation dieses musikalisch so abgrundtiefen Satzes eine überragende gemacht.


    Im Scherzo ist sie interessanterweise um so viel langsamer als Damgaard, als sie im Andante schneller gewesen war. Das temporale Binnenverhältnis ist ein ganz anderes. Ob es besser oder schlechter ist, muss jeder Hörer für sich allein entscheiden, obwohl die Satzbezeichnungen schon einen gewissen Hinweis geben.
    Eines ist jedoch m. E. über weite Strecken des Scherzos m. E. unbestreitbar: sie ist zu laut. Man kann hier fehlendes Tempo nicht durch höhere Lautstärke wettmachen, wie ich finde.
    Da gefällt mir das Trio schon besser, wo sie die vielfältigen Dynamik- und Rhythmusbezeichnungen partiturgerechter spielt. Aber im Scherzo hatte das in allen drei -Durchgängen (denn das Scherzo wird ja zwischen Takt 1 und 16 zweimal und zwischen Takt 17 und 90 dreimal gespielt), aber im Scherzo hat mir das ganz und gar nicht gefallen.


    Im finalen Allegro ist es wieder umgekehrt mit dem Tempo. Hier ist sie wieder erheblich langsamer als Damgaard und auch noch deutlich langsamer als Demus.
    Hier hat sie jedoch die Dynamik im ersten, expositionsartigen Teil besser im Griff. Vor allem in der zweiten Hälfte zwischen Takt 45 und Takt 84 zeichnet sie die dynamischen Kurven sorgfältig nach, und das Tempo ist natürlich trotz des Vergleiches mit Damgaard und Demus nicht zu langsam, denn die beiden Herren gehören ja zweifellos zu den Schnellen im Finale.
    Das Seitenthema spielt sie sehr schlüssig. Temporal, dynamisch und vom Ausdruck ist hier m. E. alles im Lot. Lediglich die tiefen Achtel im synkopierenden letzten Abschnitt ab Takt 132 hätten vielleicht noch etwas besser durchkommen können.
    Die beiden Generalpausentakte 154/155 fallen bei ihr doch recht knapp aus.
    Im ersten, hochdynamischen Abschnitt des ersten durchführenden Teils macht sie doch Einiges vom verlorenen Terrain wieder gut. Das ist wirklich knackig und unwiderstehlich vorgetragen. Auch der zweite, lyrische Abschnitt mit den herrlich perlenden Achteltriolen in der Begleitung gefällt mir sehr gut, und das abschließende lange Decrescendo über 20 Takte ist wirklich grandios gespielt.
    Dafür fällt m. E. wieder ein chatten gleich auf die nächste Passage: nach dem zweiten G-Akkord Takt 234 ist nichts außer Piano notiert, und da ist sie schon wieder bei Mezzoforte und spielt das durch bis Takt 248. Da aber dort auf der Zwei ein Crescendo steht, setzt sie dynamisch etwas tiefer wieder an, um crescendieren zu können- eine heikle Angelegenheit. Den nun folgenden hochdynamischen Teil spielt sie wieder ohne Fehl und Tadel und geht in den folgenden Piano-Sequenzen schön zurück, überspielt dann aber in Takt 298 das Decrescendo, spielt Forte bis Takt 307, also 10 Takte zu lange und geht erst die letzten 4 Takt ins Decrescendo. Ich kann ohne zu zögern sagen, dass das in den bisherigen 34 Aufnahmen noch niemand gemacht hat.
    Das darauf folgende reprisenförmige Thema spielt sie wieder partiturgerecht und schließt ein überzeugend gespieltes Seitenthema, schließt aber wieder mit zwei sehr kurz gehaltenen Generalpausentakten ab.
    die nun folgende wiederum durchführungsartige Sequenz spielt sie im ersten hochdynamischen Abschnitt wieder ohne Fehl und Tadel, wie das ja auch beim ersten Mal der Fall war und schließt wiederum eine überzeugende zweite lyrische Sequenz an.
    Auch das letzte Thema mit den letzten drei abgeschwächten G-Akkorden spielt sie überzeugend und schließt mit einer ebenso überzeugenden Coda ab.
    Diese erste von mir besprochene Aufnahme Marta Deyanovas hatte viele Stärken, aber leider auch etliche Schwächen hauptsächlich dynamischer Natur.


    Liebe Grüße


    Willi :thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup:

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

  • Da Marta Deyanova mir bis dato völlig unbekannt war und das ja auch im Forum so zu sein scheint, möchte ich an dieser Stelle auch einen kleinen Einblick in ihre Vita geben. Da ich jedoch im Internet nichts Vernünftiges gefunden habe, will ich den ersten Teil des Booklettextes aus dem Englischen übersetzen:

    Lieber Willi,


    Bulgarien hat wirklich auch sehr gute Pianisten hervorgebracht - nicht nur Alexis Weissenberg und Emile Naoumow, die beiden mit Abstand berühmtesten. Ich habe einige CDs vom bulgarischen Label Gega mit hierzulande unbekannten Namen. In Bielefeld lernte ich einen ganz jungen Bulgaren im Konzert kennen, der glaube ich in Detmold studierte. Gerade habe ich mal nachgeschaut - Marta Deyanova habe ich aber nicht in meiner Sammlung! Da wäre es nett, wenn Du den "kleinen Dienstweg" öffnest! Die "Hammerklaviersonate" mit John Ogdon muss ich mir in Ruhe und konzentriert zu Gemüte führen - jetzt beim Brunch war es Weissenberg mit Bach (ist im Moment im Sonderangebot bei jpc, bis heute Abend portofrei!):



    :hello:


    Einen schönen Sonntag wünscht herzlich grüßend
    Holger

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  • Shani Diluka, September 2013, Nanterre

    Franz Schubert, Klaviersonate Nr. 21 B-dur D.960

    Shani Diluka, Klavier

    https://borken-mediapl-ggm.s3.…8/3092_web.jpg?1416321188

    Instrument: Steinway

    Spielzeiten: 19:37 - 10:04 - 4:04 - 7:57 --- 41:42 min.;

    Da auch Shani Diluka in meinen Besprechungen völlig neu ist, sei hier auch Etwas aus ihrem Leben aufgeführt:


    Im Alter von sechs Jahren wurde Shani Diluka von Fürstin Gracia Patricia von Monaco entdeckt und ausgewählt, an einem Förderprogramm der Akademie Prinz Rainiers III. teilzunehmen. Ihre ersten Solo-Auftritte gab sie mit neun Jahren und bereits drei Jahre später spielte sie im ersten Teil eines Konzertes von Hélène Grimaud im Akropolis in Nizza. Im selben Jahr wurde sie vom Dirigenten Lawrence Foster beraten und ermutigt, ihre Studien weiter zu verfolgen.

    Die in Monaco aufgewachsene, mit der orientalischen wie der westlichen Kultur gleichermaßen vertraute Diluka ist auf dem internationalen Parkett zu Hause. Ihr breit gefächertes Repertoire vermittelt sie im Anspruch und in der Tradition der großen musikalischen Vordenker (von Artur Schnabel bis hin zu Wilhelm Kempff, mit dem sie regelmäßig verglichen wird).

    Seit ihrem mit Auszeichnung abgeschlossenen Studium verfolgt Shani Diluka aktuelle musikalische Entwicklungen mit großem Interesse und interpretiert Werke berühmter zeitgenössischer Komponisten wie Kurtág, Rihm und Mantovani, von dem sie ein Werk uraufführte. Ihr liegt aber auch an dem ganz jungen Publikum, für das sie im Auftrag des französischen Kinder- und Jugendbuchverlags Editions Didier Heunesse Hachette eine Chopin-CD (mit Begleitbuch) einspielte, ebenso wie die Histoire de Babar, le petit Elephant des französischen Komponisten Francis Poulenc, mit Natalie Dessay als Sprecherin.

    https://de.wikipedia.org/wiki/Shani_Diluka


    Shani Diluka ist im Kopfsatz temporal etwa gleichauf mit Jörg Demus, d. h. erheblich (etwa 2 1/2 Minuten) schneller als Marta Deyanova.

    Sie schlägt einen betörenden, sanften Pianissimoton an- grandios! Auch sie spielt in der zweiten Hälfte des zweiten Thementeils (Takt 15 mit Auftakt bis Takt 18) eine moderate dynamische Bewegung, aber alles noch im Rahmen des Pianissimo, ähnlich wie Marta Deyanova, die jedoch auf einem etwas höheren dynamischen Gesamtniveau diese Stelle spielte.

    Der große Unterschied zwischen dem Spiel der beiden, was dieses Hauptthema betrifft, ist jedoch der dritte Teil des Hauptthemas, den Shani Diluka weiter im pianissimo spielt, während Marta Deyanova jedoch zu früh crescendierte. Sow war natürlich Shani Dilukas Spiel an dieser Stelle partiturgerecht und demzufolge ihr Crescendo in Takt 34/35 wesentlich umfangreicher, da sie von einer wesentlich tieferen Stelle aus begann und in einem veritablen Forte endete.

    Auch im vierten Thementeil (Takt 36 bis 46 gefällt mir Shani Dilukas Spiel über die Maßen, da sie auch hier die dynamischen Bewegungen sehr genau nachzeichnet.

    Auch das Seitenthema (ab Takt 49) führt sie sehr berührend aus, wieder aus dem am Ende von Takt 48 notierten Pianissimo heraus.

    Das Seitenthema, dynamisch etwas bewegter, schließt sie organisch dem Hauptthema an, wobei sie den Mittelteil mit den durchlaufenden Sechzehntelintervallwechseln in der Begleitung geringfügig temporal anzieht und den hohen okatvierten Oktavakkordbogen in Takt 70ff sehr anrührend mit silbrigem Glanz spielt und diese Sequenz in einer kraftvollen Steigerung (ab Takt 76 mit Auftakt) auslaufen lässt.

    Die letzte Sequenz des Seitenthemas, die Staccato-Achtel-Sequenz mit den auf und abstrebenden Intervallketten, zumeist Terzen, spielt sie sehr anmutig und äußerst präzise sowie großer Leichtigkeit.

    Auch die Schlussgruppe spielt sie großartig, mit großen dynamischen Kontrasten und mit einer in den dynamischen Kontrasten exemplarischen Überleitung zur Wiederholung der Exposition. Dies ist schlüssig in zweierlei Weise: einmal, so finde ich, ist die Überleitung, so gespielt wie von Shani Diluka, hier unverzichtbar im musikalischen Ablauf des Kopfsatzes, zum Anderen ist sie, wie einer der befürwortenden Pianisten, Gerhard Oppitz, mir im persönlichen Gespräch über diese Frage, voller Überzeugung versicherte, unverzichtbar als dramatischer Höhepunkt des Kopfsatzes.

    Shani Diluka macht auch eine wesentlich längere Pausenfermate im Takt 125a als Marta Deyanova.

    Als sie mit der Wiederholung anhebt, fällt mir nochmal eines explizit auf, dass ich bisher zu erwähnen vergaß. Trotz ihres berührenden Pianissimospiels haben ihre Töne viel "Körper", ein Umstand, der auch beim Singen ungeheuer wichtige ist, sicher auch ein Grund mit, warum Schuberts Klaviersonaten, an vielen Stellen auch so überaus tief empfundener Gesang sind, der auch ohne Worte einen so nachhaltigen Eindruck auf seine Hörer macht, und das ist hier gleich zu Beginn der Wieerholung sofort wieder zu spüren.

    Wenn dann jemand den Kopfsatz so ergreifend spielt wie Shani Diluka, wäre es doch sehr schade, wenn man die Wiederholung nicht hören würde. Am Ende der Expositionswiederholung ist auch ihr Überleitungstakt 177b zur Durchführung hin, das Ritardando, sehr anrührend.

    Die Durchführung selbst beginnt sie in gleich intensivem Ton wie zuvor die Exposition, zeichnet die dynamischen Akzente vorsichtig nach und steigert erst zum Fortepiano hin (Takt 128). Sie spielt das mit einer melancholischen Stimmung, die sich in der Sequenz ab Takt 131 mit den wechselnd staccato und legato gespielten Achteltriolen merklich aufhellt. Diese hier häufiger auftretenden dynamischen Kontraste führt sie wieder präzise partiturgerecht aus. Aber auch, wenn in Takt 146 die Tonart wieder nach B-dur zurück wechselt, ist weiter Vorsicht geboten, denn wie haben da ja wieder die pochenden Achtel im Bass, und in ihrem präzisen Spiel dringen auch ihre leise gespielten pochenden Achtel genügend dräuend hervor, und das verstärkt sich auch in ihrem dann folgenden zunehmenden dissonanten und musikalisch dichten Spiel, dass sie in einer herausragend gespielten Steigerung ab Takt 163 über 10 Takte krönt.

    Die ab Takt 173 im Bass gespielten insistierenden wechselnden Quint- und Sextakkorde, die sich mit dem Thema in den Oktaven abwechseln, tun ein Übriges, ab Takt 186 wieder durch die Basstriller verstärkt. Sie spielt das großartig,, allerdings auch den Wendpunkt (Takt 204 in dem hohen Bogen, der in ihrem Spiel wie ein Sonnenaufgang wirkt,, und langsam zu Reprise hinführt, die dann nach dem zweiten ppp-Basstriller in Takt 216 mit Auftakt legato wieder einsetzt, was sich hier so anhört, als wenn man einen anderen, friedlicheren Planeten betritt.

    Fast möchte man meinen, dass sie noch einmal ihren Ausdruck hin zum Friedlichen, Überirdischen, zu einer besseren Welt hin verstärken wollte. Das habe ich schon bei mancher Aufnahme gedacht, hier wieder ganz stark. Sie spielt die Reprise genauso berührend, eindringlich und ausdrucksstark wie die Exposition, und schließt mit einer atemberaubend gespielten kurzen Coda ab.

    Dieser Kopfsatz gehört für mich schon für sich gesehen zu den absolut referenzwürdigen.


    Im Andante ist Shani Diluka erheblich langsamer als Marta Deyanova, die ja einen unglaublichen temporalen Kontrast zwischen Kopfsatz und Andante aufgetan hatte. Bei Shani Diluka, die aus einem sehr tiefen Pianissimo kommt, fasziniert mich das mehr, erlebe ich den Ausdruck von Trauer intensiver, ist auch, wie ich finde, der Kontrast der dynamischen Steigerung größer, wie man gleich in der Ersten (ab Takt 9 mit Auftakt) erleben kann.

    Und die erste Durauflösung (Takt 14 bis 17) erscheint mir auf eine geheimnisvolle Art anrührend. Auch die zweite und dritte Steigerung (ab Takt 22 und 26) leben in ihrem Kontrastabstand von dem Beginn im eher als solchen zu bezeichnenden Piano pianissimo- grandios, auch immer wieder die Gegenbewegung , z. B. das Decrescendo ab Takt 29.

    Die Krönung ist der Übergang (Takt 39 bis 42) zum himmlischen Seitenthema, wo sie im Takt 42 absolut an der Hörgrenze agiert, aber dank ihres klaren und präzisen Spiels, vor allem im Anschlag, ist es noch zu vernehmen.

    Im Seitenthema selbst lässt sie das Tempo etwas aufleben, auch erhebt sich die dynamische Untergrenze, holt sie das musikalische Geschehen auch durch prägnant klopfende Sechzehntel in der Begleitung in die diesseitige Sphäre zurück.

    In der Oktavierung nach oben (ab Takt 51) webt sie ganz feine dynamische Bewegungen ein.

    Auch in der einzigen nennenswerten dynamischen Steigerung (ab Takt 67) legt sie deutlich zu, bleibt aber immer in ihrem von der niedrigen Ausgangslautstärke gekennzeichnete dynamischen Gesamtkonzept, sodass der dynamische Endpunkt eben doch nicht so hoch ist wie bei anderen Pianisten, die es an solchen Stellen gerne auch mal donnern lassen. Faszinierend ist auch ihr Schlussabstieg ab Takt 79, der einhergeht mit einem veritablen Ritardando. Und sie macht eine ähnlich lange Generalpause im Takt 89 wie Walery Afanassjew.

    In der reprisenförmigen Rückkehr zum Thementeil A ab Takt 90 schlägt sie wieder die tiefe Ausgangsdynamik an wie im expositionsartigen Thementeil. Hier kommt nur, wie schon bei vielen ihrer Vorgänger die insistierende Komponente der in der Begleitung hinzugetretenen klopfenden Sechzehntelfigur hinzu, die in diesem langsamen Tempo noch stärker wirkt, wie ich finde.

    Auch hier finde ich wieder die erste Steigerung grandios vom (beinahe) ppp zum (beinahe) f, und wie groß ist doch der dann auftretenden stimmungsmäßige Kontrast durch die neuerliche Dur-Auflösung (hier Takt 193 bis 106). Ich glaube, Schubert hätte das sehr gefallen.

    Grandios nochmal die dritte Steigerung (ab Takt 115 mit Auftakt), faszinierend ihr kurzer Übergang zur wundersamen Cis-dur-Coda in Form der letzten Sechzehntelfigur in Takt 122,

    und diese Coda ist manchmal ein Wunder, so auch hier in der Interpretation Shani Dilukas.


    Im Scherzo ist Shani Diluka wesentlich schneller als Jörg Demus und Marta Deyanova. Mit sorgfältiger Ausführung der dynamischen Bewegungen und viel Vorwärtsdrang gestaltet sie dieses tänzerische und rhythmisch stets zwischen Staccato und Legato changierende Stück, so leicht wir möglich und so bedeutsam wie nötig, wahrscheinlich immer darauf bedacht, dass Schubert auch ein Meister der landsmannschaftlichen Tänze war, und hier ist es eben kein Teufelstanz geworden, sondern ein irdischer, dem Menschen zugewandter Dreier.

    Dem Trio widmet sie auch große Aufmerksamkeit, vor allem, was die dynamischen Vorgaben und sich aus den Forzando-Pianofiguren ergebenden rhythmischen Besonderheiten, die sie hier fein herausarbeitet und auch die dynamische Fallhöhe voll ausnutzt. Das sieht man vor allem an Takt 26 auf der Eins (bitte beachten, dass das Trio eine eigene Taktzählung hat, dass hier nicht durchgezählt wird.

    Selbstverständlich wiederholt Shani Diluka das Scherzo und fügt dann die vier Codatakte an.


    Im Finale ist sie geringfügig schneller als Jörg Demus und doch deutlich schneller als Marta Deyanova. Im Ganzen erscheint mir das temporale Binnenverhältnis der Sätze ihrer Interpretation durchaus schlüssig, wobei sie vor allem dem Andante dadurch die Bedeutung zumisst, die ihm meiner Ansicht nach zukommt.

    Den jeweils einleitenden G-Akkord lässt sie langsamer abschwingen, als ich es schon öfter gehört habe. Die hier stärker zutage tretenden dynamischen Bewegungen hebt sie durchaus deutlich hervor, wie ich finde, so z. B. sofort das erste Crescendo Takt 25ff. und immer wieder kehrt sie zielsicher zu ihrem zwischen pp und ppp zu verortenden dynamischen Grundpunkt zurück, so auch hier, oder auch am Ende dieses Expositionsabschnittes, am Übergang zum Seitenthemas, das in Takt 85 beginnt.

    Hier kann man auch die deutlich wahrnehmbaren synkopierenden Achtel in der Begleitung wahrnehmen, die anderorts manchmal kaum zu hören sind.

    Auch sie hält die beiden Generalpausentakte 154/155 lange genug an, aber nicht länger, als es der zeitlichen Gesamtdauer dieses Satzes zuträglich ist.

    Im ersten Teil des ersten durchführenden Abschnittes erreicht sie auch gleichzeitig mit dem notierten ff die dynamische Spitze ihrer gesamten Interpretation und am Ende dieses Abschnittes spielt sie in Takt 184 ein sehr schönes kurzes Decrescendo, mit dem er zweite lyrische Abschnitt erreicht wird, und in dem sie trotz des vergleichsweise hohen Tempos dank ihrem klaren Klang und feinen Anschlages die Achteltriolen in der Begleitung voll zur Geltung bringt. Dabei berücksichtigt sie stets die sanften wiederkehrenden dynamischen Bewegungen.

    Auch den nächsten, reprisenhaft beginnenden, aber durchführungsartig weitergehenden Abschnitt (ab Takt 226) schließt sie organisch an und lässt ihn mit den erhöhten dynamischen Bewegungen unbeirrt weiterlaufen, bis über den einsetzenden Sechzehntel-Tonleitern im Diskant langsam das Decrescendo einsetzt und sich das Geschehen langsam der Rückkehr des diesmal wirklich reprisenartigen Themas (ab Takt 312)nähert.

    Dieses spielt sie wie zuvor dynamisch und rhythmisch sehr aufmerksam im weiter unveränderten Tempo und den Seitensatz (ab Takt 360) fließend anschließend. Auch hier sind wieder die synkopierenden Achtel deutlich zu vernehmen.

    Ein letztes Mal lässt sie (ab Takt 4309 den dynamischen Furor der Durchführung erschallen, zuerst mit aller dynamischen Potenz und dann in der zweiten Hälfte erneut mit allem lyrischen Ausdruck (ab Takt 458). Wiederum treten die Achteltriolen so wunderbar hervor.

    Und ein letztes Mal hören wir auch von Shani Diluka die G-Akkorde (ab Takt 491 mit Auftakt, beim dritten und letzten Themenauftritt, wobei auch sie alle drei Akkorde decrescendiert.

    Und auch sie spielt einen kraftvollen und schwungvollen Presto-Kehraus.

    Scherzo und Rondo Allegro halten durchaus das sicherlich in der Nähe der Referenzen befindliche Niveau der beiden ersten Sätze.

    Nun hoffe ich nur, dass ich in den nächsten Jahren die Pianistin mal in der Nähe live erleben kann und nicht unbedingt bis zur Schubertiade fahren muss.


    Liebe Grüße


    Willi:thumbup::thumbup::thumbup::thumbup::thumbup::thumbup::thumbup::thumbup::thumbup::thumbup::thumbup::thumbup:

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

    Einmal editiert, zuletzt von William B.A. ()

  • Franz Schubert, Klaviersonate Nr. 21 B-dur D.960

    Inon Barnatan, Klavier

    barnatan-12-gallery-thumb.jpg

    Instrument: Steinway

    AD. 9/2005, SUNY Purchase Performing Arts Center

    Spielzeiten: 15:06 (20:11) - 10:10 - 4:07 - 8:11 --- 37:34 (42:39) min. (incl. virtueller Wiederholung der Exposition);


    Inzwischen ist Inon Barnatan in meiner Schubertsammlung der 21. Sonate eingegangen. Auch ihn möchte ich kurz vorstellen:

    Inon Barnatan wurde 1979 in Tel Aviv geboren. Er lebt in NewYork. Er studierte bei Victor Derevianko, Maria Curcio und Christopher Elton an der Royal Academy of Music. Er führt oft Werke zeitgenössischer Komponisten auf, wie George Crumb, George Benjamin, Kaija Saariaho und Judith Weir. Er tritt auch regelmäßig mit der Cellistin Alisa Weilerstein auf.

    2014 wurde er erster Künstler in Zusammenarbeit mit dem New York Philharmonic. Sein letztes Album "Darkness Visble" wurde von der New York Times gelistet als eines der besten Klassik-Aufnahmen des Jahres 2012.

    Barnatan hat viele wichtige Preise gewonnen, wie z. B. den Averey Fisher Career Grant 2009 und den Andrew Wolf Memorial Award.

    Übersetzung: William B.A.

    https://en.wikipedia.org/wiki/Inon_Barnatan

    http://www.BridgeRecords.com


    Inon Barnatan spielt etwas langsamer als Alfred Brendel (1971), aber deutlich schneller als Lazar Berman 1972. Er spielt ein, m. E. einwandfreies Pianissimo mit einer klaren Tongebung. Die Strukturen der Begleitfiguren treten ebenso klar hervor wie diejenigen in der Melodieführung im Diskant.

    Ebenso wie in den ersten beiden Hauptthementeilen (Takt 1 bis 18) spielt er auch im dritten Thementeil (Takt 19 bis 33)das Pianissimo gewissenhaft weiter mit nur geringen dynamischen Bewegungen.

    Erst im Crescendo, ab Takt 34, dreht er richtig auf und legt, wie ich zuvor auch bei Shani Diluka bemerkte, eine begeisternde Steigerung hin. Auch das Decrescendo (ab Takt 45) und das anschließende Crescendo (ab Takt 46) am Ende des Hauptthemas spielt er sehr druckvoll.

    Auch das fis-moll Seitenthema (ab Takt 49) gefällt mir ausnehmend. Es fließt, ebenso wie zuvor das Hauptthema, zwar recht zügig, aber geleichzeitig völlig entspannt, jedoch mit einer jederzeit fühlbaren Binnenspannung dahin. da sinkt nichts ab, hängt keine Note durch. Wunderbar auch die hohen Oktavierungen im Diskant in der zweiten Hälfte des Seitenthemas, hier ab Takt 70 und ab Takt 77 mit Auftakt).

    Auch die anschließende Sequenz mit den Staccato- und Nonlegato-Achteltriolen, in der Grunddynamik etwas höher, spielt er m. E. partiturgerecht und auch hier dynamisch mit moderaten Bewegungen und rhythmisch sauber differenzierend.

    Den Schluss des Seitenthemas, etwa ab Takt 93. als der musikalische Fluss mehrmals ins Stocken gerät, hebt er deutlich hervor, dergestalt, dass er die halbe und die Viertelpausen nicht überspielt, sondern ihnen ihre Dauer gibt, die in der Partitur steht.

    Auch die dynamisch und auch rhythmisch nicht einfache Schlussgruppe spielt er sehr sorgfältig und mit apollinischer Klarheit.

    Leider gönnt er uns das Vergnügen einer nochmaligen Exposition nicht. Seine Überleitung zur Wiederholung wäre bei seiner dynamischen Grundhaltung sicher sehr eindrucksvoll gewesen.

    Der zur Durchführung überleitende Takt ist ihm auch mit einem berührenden Ritardando gelungen.

    Die im ersten Abschnitt in cis-moll spielt er in einer sehr melancholischen Stimmung und mit glasklarem Klang sehr ausdrucksvoll, wie ich finde, und im Tempo sogar etwas zurückgenommen. Von Schicksalsschwere will ich aber noch nicht sprechen.

    Den zweiten Abschnitt ( ab Takt 131) mit den wiederum auftretenden Achteltriolen, im Wechsel staccato und legato, spielt auch er mit wesentlich positiverer Stimmung, doch letztendlich kann man auch hier nach der Rückkehr zum B-dur (ab Takt 146) nicht von dauerhafter Verbesserung reden, da die Achtel im Bass sich (ab Takt 150) jetzt dauerhaft klopfend zu Worte melden und nichts Gutes verheißen. Dies spielt auch er hervorragend, als sich hier ab Takt 160 die zunehmend dissonanter werdenden Achtel in der Begleitung jetzt im Diskant zu immer dichteren musikalischen Strukturen in einer groß angelegten Steigerung verweben, die auch durch zunehmende rhythmische Sprünge den Furor weiter steigern.

    Auch im anschließende Pianissimo bleibt das Szenario in Barnatons Spiel bedrohlich durch den mehrmaligen Wechsel der insistierende Quint- und Sextakkorde (ab Takt 173) und auch durch das Wiederhinzutreten der Basstriller ab Takt 186. Erst als das Thema in immer größeren Bögen und in immer größeren Höhen sich wieder an die Oberfläche setzt und wieder Licht bringt, ist ein Ende der sinnbildlichen Dunkelheit abzusehen, auch daran, dass die klopfenden Achtel, die sich jetzt zu Oktavakkorden ausgewachsen haben (ab Takt 206), taktweise von den Bögen unterbrochen werden und schließlich im großen Übergangsbogen (ab Takt 209) der freundlichen verklärenden Reprise zustreben.

    Diese spielt er in einem wunderbar trostreichen warmen pp - ppp Ton. Da ist alles Bedrohliche gewichen. Das ist für mich auf eine positive Art erschütternd. Das rührt meine Seele an. Wenn ich die Reprise so höre, erfasst mich ein Glücksgefühl.

    Barantan spielt in der Folge die weiteren Teile des gegenüber der Exposition hier und da leicht modifizierten Reprise genauso gewissenhaft wie zuvor die Exposition selbst.

    Auch das Seitenthema zieht in seiner stillen Melancholie leise herübergrüßende an uns vorbei, diesmal die Achteltriolensequenz vielleicht noch etwas heller leuchtend als in der Exposition. Jedenfalls kommt es mir im begeisternden Spiel Barnatans so vor.

    Auch in dieser Sequenz ist das präzise dynamische Spiel Barnatans wieder ausdrücklich hoch zu loben, auch die sich anschließend hochdynamische Schlussgruppe, wo er die dynamischen Kontraste wieder voll ausnutzt.

    Den Satz schließt er mit einer atemberaubenden Kurzcoda ab.

    Wie ist es doch schön, wenn man bei einer solchen Interpretation wie hier bei Barnatan keine Fragen mehr hat, höchsten noch die, ob es auch auf diesem sehr hohen Niveau weitergeht.


    Im Andante ist Inon Barnatan geringfügig schneller als Lazar Berman, aber erheblich langsamer als Alfred Brendel. Er beginnt im tiefen Pianissimo, obwohl gleichsam mit klarem Klang und spielt gleich ab Takt 9 mit Auftakt eine prachtvolle und umfangreiches Steigerung. Dieser lässt er gleich (Takt 14 bis 17) eine berührende Durauflösung im Diskant folgen.

    Die zweite Steigerung nach der vorherigen dynamischen Bewegung in Takt 22 folgt genauso eindrucksvoll in Takt 27 mit Auftakt, der er quasi als Übergang ein unglaubliches Decrescendo (ab Takt 34) im Übergang zum wunderbaren Seitenthema folgen lässt.

    Auch seine Lesart des himmlischen Seitenthemas lässt mich gerührt erschaudern, auch ob des einfachen, aber beseligenden Gesanges in der Oktavierung des Themas (Takt 51 bis 58).

    Nach der Rückkehr in die tiefe Oktave (ab Takt 59) gestaltet er im weiteren Verlauf auch die kräftige Steigerung (ab Takt 72 mit Auftakt) grandios und zeigt damit, dass auch eine für dieses Thema doch eher untypische Steigerung auch mit sehr hoher Dynamik organisch in den musikalischen Ablauf eingebunden werden kann.

    Auch die Sechzehntelquintolen in der Altlage der oberen Oktave fließen (wie schon ab Takt 51) hier (ab Takt 76) ganz entspannt dahin.

    Und auch seine Lesart des Seitenthemen-Abschlusses mit dem Decrescendo (ab Takt 80 mit Auftakt) und einem Ritardando ab Takt 86 ist ein Gedicht. Und mit der Dauer des Generalpausentaktes 89 ist er aber mal ganz nahe bei Valery Afanassjew.

    Dann schließt er die Rückkehr des Teils A an mit einem abermals traurigen Thema, noch verstärkt durch die akzentuierten klopfenden Sechzehntel-Staccati im Tiefbass. Wieder folgt eine mitreißende Steigerung (ab Takt 98) und abermals stimmungsmäßigen total kontrastierend eine unglaubliche Dur-Auflösung, ( hier im hohen Bogen Takt 103 bis 106).

    Eine letzte grandiose Steigerung spielt er ab Takt 116 mit Auftakt und gleichfalls mit höchstem Ausdruck die dynamische Gegenbewegung ab Takt 118, hin zur wundersamen Coda.

    Atemberaubend ist schon die einen sehr kurzen Übergang markierende letzte Sechzehntelfigur am Ende von Takt 122.

    Und wieder einmal erscheinen die Sechzehntelfiguren im Bass in ganz anderem milden Licht: sie pochen nicht insistierend, sondern sie singen zu Herzen gehend und so geht dieser grandiose Satz mit einem veritablen Morendo zu Ende.

    Eine grandiose Leistung. Der erste Teil meiner "Frage" am Ende der Besprechung des ersten Satzes hat sich schon beantwortet, positiv, versteht sich.


    Im Scherzo ist Barnatan abermals etwas schneller als Berman, aber auch etwas langsamer als Brendel. Dynamisch spielt er das Scherzo m. E. überragend. Selten sieht (und hört) man die dynamischen Vorgaben einmal so exakt abgebildet wie in Barnatans Vortrag. Es ist eine Wonne, auch rhythmisch.

    Im Trio setzt er das Tempo, wie viele andere auch, signifikant herab, hebt die Forzando-Piani deutlich hervor, macht aber keinen "Teufelstanz daraus. Dann schließt er den Satz mit dem Scherzo d capo und der Kurzcoda ab.


    Im finalen Rondo Allegro ma non troppo ist er zur Abwechslung einmal langsamer als Berman und nahe bei Brendel. Auch er lässt den G-Akkord lange ausschwingen, wie Shani Diluka.

    Auch hier fällt gleich im Thema, in der ersten Steigerung (ab Takt 23), wieder auf, dass er durchaus kraftvoll steigert, wenn die Partitur es zulässt. Die dynamischen Bewegungen ansonsten und die rhythmischen Feinheiten spielt er exakt wie immer, was z. B. auch an den deutlich vernehmbaren Achtelsynkopen im Bass abzulesen ist. In den beiden Generalpausentakten 154/155 ist er wieder nahe bei Afanassjew.

    Bei der ersten Gestaltung des durchführenden Teils (ab Takt 156) fällt mir in der dynamischen Wucht und der tonalen Schärfe das Wort Brendels wieder ein, der ja sagte, dass im Finale die Musik "ihre Unschuld" verloren hätte. Das klingt doch schon wieder bedrohlich. Am Ende spielt Barantan (hier in Takt 184) jedoch ein berührendes Decrescendo.

    In der zweiten Hälfte dieses Rondoabschnitts steht auch in dieser Interpretation wieder der sangliche Charakter im Vordergrund, und der nur scheinbar (aufgrund des Themas9 reprisenförmige, aber in Wirklichkeit doch durchführungsartige zweite "Hochdynamiker" ist wiederum bei Barnatan in den besten Händen (sie oben Brendels Wort). Der dramatische Furor ist doch schon beachtlich. Auch ist sein Decrescendo nicht so früh wie bei anderen. Dieser längere "Furor" macht angesichts von Barnatans größerem dynamischen Rahmen m. E. durchaus Sinn, und Schuberts Musik hält das hier allemal aus.

    Den dann ab Takt 312 einsetzenden wirklichen Reprisenabschnitt spielt Barnatan dann wieder adäquat zum anfänglichen Thementeil samt dem Seitenthema (hier ab Takt 359). Wiederum treten die synkopierenden Achtel in der Begleitung klar hervor, bilden den Rhythmus zu einem hier entspannten Gesang.

    Ein letztes Mal die ausgedehnten Generalpausendoppeltakte (hier Takt 428/429) und ein letztes Mal das Muskelspiel des hochdynamischen Durchführungsartigen Abschnitts, den Barnatan in einem betörenden Decrescendo (ab Takt 458) beendet und wiederum dem berührenden hellen Gesang der kurzen Legatobögen, begleitet von den anrührenden Achteltriolen, Raum gibt. Auch die hohen Oktavierungen gestaltet er wieder atemberaubend.

    Beim dritten und letzten Themenauftritt ist auch in Barnatans Lesart die Luft aus dem thematischen Drang (hier in den G-Akkorden), und das Geschehen endgültig entwichen und die letzten Takte streben der schon sattsam bekannten Presto-Coda zu, die hier Inon Barantan mit eminentem Tempo zu einem letzten, abschließenden Höhepunkt macht.


    Ein grandioser Einstand für Inon Barnatan, der große Erwartungen weckt für weitere Schubert-Sonaten


    Liebe Grüße


    Willi:thumbup::thumbup::thumbup::thumbup::thumbup::thumbup::thumbup::thumbup::thumbup::thumbup::thumbup::thumbup:

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

    Einmal editiert, zuletzt von William B.A. ()

  • Franz Schubert, Klaviersonate Nr. 21 B-dur D.960

    Michael Endres, Klavier

    Endres_1_vorschau.jpg

    Instrument: Bechstein, Steinway od. Bösendorfer

    AD: 22. 11. 1994, WDR

    Spielzeiten: 19:36 - 8:10 - 3:38 -7:45 --- 39:09 min;


    Auch Michael Endres, den ich schon vor vielen Jahren währen d seiner Aufnahmen der Schubert GA kennlernte und auch in Folge mehrere Male beim Klavierfestival Ruhr und in Köln live erlebte, ist in mein Beethovenprojekt (leider) nicht involviert, weshalb ich ihn auch hier kurz vorstelle:



    Michael Endres, * 1961 in Sonthofen, Landkreis Oberallgäu, ist ein deutscher Pianist und Hochschullehrer.

    Michael Endres studierte bei Klaus Schilde und Karl-Hermann Mrongovius in München, bei Peter Feuchtwanger in London und bei Jacob Lateiner an der Juilliard School, New York, wo er ein Master Degree erhielt.

    Sein besonderer Schwerpunkt gilt den Kompositionen von Mozart, Schubert, Schumann und Ravel. Er widmet sich aber auch intensiv Werken unbekannterer und wenig gespielter Komponisten wie Leopold Godowsky, Gabriel Fauré, Sir Arnold Bax und Eduard Tubin.

    Von ihm sind zahlreiche CD-Aufnahmen erhältlich, die u. a. mit bedeutenden Preisen wie dem „Choc du musique“ oder dem „Diapason d’Or“ ausgezeichnet wurden. Darunter finden sich unter anderem Gesamtaufnahmen der Klaviersonaten von Wolfgang Amadeus Mozart, Franz Schubert, Carl Maria von Weber, Arnold Bax sowie das gesamte Klavierwerk von Maurice Ravel und George Gershwin. Er ist bei vielen bedeutenden Festivals und Konzerten weltweit aufgetreten, wie z. B. bei den Salzburger Festspielen, Wigmore Hall London, Newport Festival, Wiener Musikverein und Suntory Hall, Tokio.

    Endres war Professor an der Hochschule für Musik und Tanz Köln (1993–2004), der Hochschule für Musik „Hanns Eisler“ Berlin (2004–2009) und der University of Canterbury in Christchurch, Neuseeland (2009–2014). Seit März 2014 ist er Professor und Leiter der Abteilung Klavier am Barratt Due Musikinstitut in Oslo, Norwegen.

    Michael Endres war für viele Jahre Liedbegleiter des Baritons Hermann Prey.

    https://de.wikipedia.org/wiki/Michael_Endres_(Musiker)


    Michael Endres, dessen hier vorliegende Aufnahme ich vor fast einem Vierteljahrhundert kennenlernte (das war kurz, nachdem ich die Gesamtaufnahme Wilhelm Kempffs der Schubert GA bekam, hat es mir von Anfang an mit seinem Schubertspiel angetan.

    Hier beginnt er das Thema des Kopfsatzes in einem unendlich zarten Pianissimo, im Tempo etwa schneller als Inon Barnatan, etwa gleich mit Shani Diluka.

    Auch in der Wiederholung bleibt er auf diesem tiefen dynamischen Niveau, jeden Ton jedoch klar und mit Körper setzend, den Bogen in der Themenmitte (Takt 14/15) dynamisch moderat bewegend.

    Auch im dritten, variierenden Thementeil (Takt 20 bis 33), bleibt er konstant im Pianissimo, gerät keineswegs in die Versuchung, sich von der inneren Beschleunigung hinreißen zu lassen und steigert erst ab Takt 34, zwar kraftvoll, jedoch mit berührender Tongebung. Auch die zweite Steigerung am Ende des Hauptthemas (Takt 46/47) lässt noch etwas Luft nach oben.

    Auch das fis-moll-Seitenthema, das er mit dem gleichen ruhig-abgeklärten Zugriff spielt wie das Hauptthema, stellt sich dem Hörer in seiner ganzen Struktur dar dank der großen Anschlagskultur und des lyrischen Ausdrucksvermögens, über das Michael Endres verfügt.

    Auch die Achteltriolensequenz haben bei ihm eine bezaubernde sangliche Form, von sanften dynamischen Bewegungen geleitet.

    Auch die Schlussgruppe spielt er, obzwar dynamisch kontrastreich, spielt er nicht so eruptiv wie mancher andere Pianist, sondern im Rahmen seines (etwas) reduzierten dynamischen Gesamtkonzeptes. Erst am Ende der Exposition, genauer gesagt am Ende der Überleitung zur Wiederholung derselben, hat er sein dynamisches Ziel erreicht. Und so, wie er das spielt, macht das ungeheuren Sinn- grandios!!

    Und dann kommen wir in den nochmaligen Genuss dieser wunderbar vorgetragenen Exposition, nach einer ähnlich langen Generalpause wie der von Afanassjew.

    Die Cis-moll-Durchführung im ersten Abschnitt versieht Michael Endres mit einem melancholischen Gewand, wohingegen der zweite Abschnitt mit den Achtel-Staccato-Triolen schon wieder zuversichtlicher klingt, doch nach dem Wechsel zu B-dur (ab Takt 146) gerade auch in diesem etwas höheren Tempo die klopfenden achtel doch sehr insistierend klingen und nicht wirklich Optimismus verbreiten. Endres spielt dies sehr eindringlich, wie ich finde.

    Dem schließt er die sehr geschärft spielende zunehmend dissonant klingende Sequenz mit den verdichteten Akkordstrukturen an, die in einer großartigen Steigerung auslaufen und von den nunmehr klopfenden Achtel-Quint- und Achtel-Sextakkorden (im Wechsel9 abgelöst werden, über bzw. unter denen immer wieder der Themenbeginn angespielt wird, zu dem auch noch die tiefen Basstriller (ab Takt 186) wieder bekräftigend hinzustoßen, und sich erst durch das nach Dur aufgelöste Fortepiano in Takt 203 auf der Eins sich die Wende andeutet, die in dem großen Bogen ab Takt 204 der Reprise zusteuert und dann ab Takt 215 im beseligenden sanften Licht der Reprise aufscheint. Auch die beiden diesem Punkte vorausgehenden Basstriller erscheinen n un im milden Licht des Piano Pianissimo.

    Diese von Michael Endres so kongenial gespielte friedvolle Reprise lässt auf ein friedvolles Ende hoffen.

    Daran ändert, jedenfalls für den Moment, auch das zwischendurch wieder auftauchende melancholische Fis-moll-Seitenthema nicht wirklich etwas, wie durch die Rückkehr zu B-dur im hohen oktavierten Bogen ab Takt 289 mit Auftakt durch Endres' Spiel so eindrucksvoll dokumentiert wird.

    Und die Achteltriolensequenz ist wieder reiner, berührender Gesang, der sich in sanft webenden dynamischen Bewegungen vollzieht.

    Michael Endres schließt diesen herausragend gespielten Satz mit einer sehr anrührenden kurzen Coda ab.


    Im Andante ist Michael Endres wesentlich schneller als Inon Barnatan und Shani Diluka. Im Ton ist er zu Beginn zurückhaltend, kommt aus dem tiefen Pianissimo, entwickelt dann eine kräftige Steigerung (Takt 9 bis 12), und schließt dann, wieder in diesem verhaltenen Ton, einen berührenden ersten Durbogen an (Takt 14 bis 17). Auch die zweite Steigerung (ab Takt 26) ist wieder kraftvoll und klar gespielt. Wunderbar gestaltet er auch das folgende lange Decrescendo, geht in Takt 38 partiturgerecht ins sehr tiefe Piano pianissimo hinunter, hin zum wunderbaren Seitenthema.

    Und das ist in der Tat ein Wunder, denn mit einem doch vergleichsweise hohen Grundtempo, in dem er aber keineswegs verhetzt klingt, hätte er leicht in die Gefahr kommen können, das choralartige Seitenthema zu schnell zu spielen. Er wird jedoch nicht schneller, und so klingt sein Seitenthema grandios. Hier zeigt er, welche außerordentlichen lyrischen Gestaltungsfähigkeiten er besitzt und wie berührend der Gesang dieses Themas ist.

    Auch der dritte Themendurchgang mit der kurzen Eintrübungen in Takt 70 auf der Eins und dem quasi dramatischen Crescendo fügt sich harmonisch in den Ablauf ein, und auch die neuerlichen Oktavierung des Themas (ab Takt 76) ist reiner, beseligender Gesang.

    Und ausgehend von dem hohen Grundtempo, ist sein abschließendes Decrescendo-Ritardando atemberaubend und sein Generalpausentakt 89 ein schon beklemmender Kontrast.

    Und beklemmend, mehr noch als Teil A zu Beginn, ist Teil A' nun als reprisenförmiger Teil, zumal die klopfenden Sechzehntelfiguren im Bass nun hinzutreten. Wiederum schließt er hier eine prägnante, aber nicht überbordenden erste Steigerung an (ab Takt 98), der er einen wieder sehr berührenden Durbogen (Takt 103 bis 106) folgen lässt. Und ebenfalls ist, wie schon in Teil A, die zweite Steigerung (hier ab Takt 115) ihrerseits eine Steigerung im Vergleich zur ersten, der er ein berückendes Decrescendo anschließt und dem eine atemberaubend Coda, in der er es fertig bringt, aus dem "ppp" noch ein hörbares Decrescendo zu entwickeln, ein echtes "Morendo" eben.

    Meine zeitweiligen Befürchtungen, dieses Andante könnte zu schnell gespielt sein, haben sich nicht eingestellt, ganz im Gegenteil, er hat es verstanden zu demonstrieren, dass man diesem Satz auch mit einem vergleichsweise zügigen Tempo mit einer gehörigen musikalischen Tiefe spielen kann, wenn man so spielt wie hier geschehen.


    Logischerweise spielt er jetzt auch die Sätze drei und vier deutlich schneller als Inon Barnatan und Shani Diluka, weil ja auch das temporale Binnenverhältnis der Sätze zueinander stimmen muss.

    Hier wandelt er, wohl auch auf den Spuren Brendels, auch seiner Ansicht nach. Das ist ganz prachtvolles, elegantes Spiel, das eben auch die Freude am Tun ausdrückt. Und bei alledem bleibt er jedoch seiner partiturtreuen Linie treu, was Dynamik und Rhythmus betrifft. Auch spieltechnisch ist das bewundernswert, wie präzise er bei dem hohen Tempo die gebrochenen Akkorde spielt in den Takten 35, 36, 37, 47, 48 und 49, jeweils auf der Eins.

    Besonders gut gefällt mir das Trio, in dem er die Forzandopiani wunderbar hervorhebt und als einer der Wenigen das Fortissimo-forzando wirklich so spielt, wie es notiert ist.

    Selbstverständlich schließt Michael Endres auch das Scherzo da capo und die kurze Coda an.


    Wie ich schon sagte, ist er auch im Finale schneller als seine beiden KollegInnen, wenn er auch nicht so weit von Shani Diluka entfernt ist.

    Auch hier ist sein Spiel dynamisch und rhythmisch präzise, lässt er die G-Akkorde normal ausschwingen und setzt er, wie ich finde, im Ganzen seinen großen Bogen über alle vier Sätze schlüssig fort. Bei ihm ist, jedenfalls bis hierhin, friedfertiges Procedere, zeitweilig durchzogen von Wehmut und Melancholie, auch Freude, eine Abschiedsstimmung ohne großes Drama, auch nicht in den bisherigen Steigerungen, vorhanden.

    Auch der Seitensatz ist auf der durchaus positiven Seite unterwegs, friedfertiger Gesang, in dem die strukturierenden Achtelsynkopen im Bass jederzeit gut zu vernehmen sind, und am Ende: -Afanassjew lässt grüßen- zwei veritable Generalpausentakt 154/155.

    Dann kommt er doch noch, der dramatische Furor, gleichzeitig der dramatische Ziel- und Höhepunkt der ganzen Sonate, bei Schubert überhaupt, und speziell hier bei Endres. Und er hält das Forte auch aus bis zuletzt (sprich Decrescendo (Takt 184). Das ist eben seine Konsequenz. Hat die Sonate (nach Brendel) hier ihre Unschuld verloren, ab Takt 185 hat sie sie bei Michael Endres in einem beseligenden Gesang schon wiedererlangt.

    Und- by the way- technisch ist weiter zu rühmen, wie deutlich in diesem zweiten Abschnitt des durchführenden Teils die Achteltriolen im Bass durchweg hervortreten. Das hört man nicht immer so präzise.

    Und dann der vierte Teil, praktisch die Fortsetzung der durchführenden Elemente, obwohl eingeleitet durch eine reprisenhafte Wiederholung des Themas, aber dann weiter ausgeführt mit furiosem dramatischen Impetus, hier wieder konsequent zu Ende gespielt von Michael Endres, der erst dann decrescendiert, wenn es in der Partitur steht. Das habe ich auch schon wesentlich eher gehört und hier dann auch vermerkt. Und sein Decrescendo über 14 Takte ist wirklich grandios!

    Und dann sind wir wirklich beim reprisenförmigen Teil angelangt, in dem wir auch und gerade in Endres' Spiel meinen, auf einem ganz anderen Planeten angelangt zu sein bzw. auf den ursprünglich zurückgekehrt zu sein, wie uns auch das bald erklingende Seitenthema bestätigt.

    Aber auch diese fast 70 Takte sind irgendwann zu Ende, auch die ausführlichen Generalpausendoppeltakte 428/429, und noch einmal erfolgt die "Rückkehr zur dramatischen "Parallelwelt", doch nur von absehbarer Dauer, und schon haben wir den Gesang wieder. Michael Endres stellt diese Extreme wirklich wunderbar nebeneinander, macht diesen Satz trotz der relativ kurzen Dauer zu einem von der Bedeutung her wahrhaft großen Satz. und in seinem hohen Tempo, in seinen großen dynamischen Kontrasten in diesem Finale, findet er noch zu einem letzten, hier temporalen Kontrast, indem er die letzten Takte vor Schuberts ungewöhnlichem Ende seiner langen Klavierlebensreise, einem nicht für möglich gehaltenen Presto, retardiert:

    Und dieses Presto ist auch der letzte große Wurf in Endres langer Aufnahmereise durch Schuberts Klavierkosmos. Es sei denn, er würde noch einmal eine Gesamtaufnahme von Schuberts Sonaten wagen. Zustehen als großer Schubert-Pianist würde ihm das schon.

    Eine hervorragende Interpretation!


    Liebe Grüße


    Willi:thumbup::thumbup::thumbup::thumbup::thumbup::thumbup::thumbup::thumbup::thumbup::thumbup::thumbup::thumbup::thumbup:

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

  • Franz Schubert, Klaviersonate Nr. 21 B-dur D.960

    Mitsuko Uchida, Klavier

    Instrument: Steinway

    AD: 1997, Tokyo, live

    Spielzeiten: 21:35 - 10:42 - 3:52 - 8:03 --- 44:12 min;


    Aus Anlass ihres heutigen 70. Geburtstages möchte ich das Livekonzert besprechen, das Dame Mitsuko 1997 in Tokyo eingespielt hat. Die CD-Aufnahme, die sie im Mai 1997 im Wiener Musikverein eingespielt hat, werde ich dann später im letzten Abschnitt dieses Projektes besprechen.

    Da ich Mitsuko auch schon im Beethovenprojekt (Sonate Nr. 28) besprochen habe und sie überdies im Forum bekannt ist, brauche ich sie ja nicht mehr vorzustellen.


    Dame Mitsuko beginnt im bekannten tiefen Pianissimo mit ihrem ebenso bekannten ungeheuer differenzierten Anschlag. Die Tongebung ist äußerst klar, und sie spielt den Kopfsatz deutlich langsamer als der zuletzt gehörte Michael Endres. Sie fesselt mit ihrem Vortrag vom ersten Ton an.

    Der tiefe Basstriller ist betörend, und die Musik fließt ruhig, aber, wie ich finde, äußerst spannungsreich dahin. Da fällt nichts ab.

    Im dritten Thementeil, Takt 20 bis 33, ist die innere Beschleunigung deutlich zu vernehmen, sie bleibt jedoch bis zuletzt im Pianissimobereich und spielt dann eine grandiose Steigerung. Wie ich es schon in einer Reihe von Konzerten bei ihr erlebt habe, ist es jedes Mal wieder faszinierend anzuhören, welche Energie ihr innewohnt, die sie auch hier in diese Steigerung voll einfließen lässt.

    Auch das Decrescendo im vierten Thementeil (Takt 34 bis 46) ist berückend wie das anschließende kurze Crescendo.

    Im anschließenden fis-moll-Seitenthema (ab Takt 49) schafft sie eine melancholisch-traurige, aber auch lebhaft-drängende Stimmung, geht in der zweiten Hälfte nach der ersten Oktavierung, ab Takt 72 mit Auftakt, in ein wunderbares Decrescendo zurück, bevor sie in einem erneuten maßvollen Crescendo mit erneuter Oktavierung zur Achteltriolensequenz überleitet.

    Die sangliche Achteltriolensequenz habe ich nicht oft so gesungen gehört wie von Dame Mitsuko, sanft hin und her wiegend zwischen den Staccato- und Legato-Figuren, organisch die moderaten dynamischen Bewegungen nachzeichnend und im letzten Abschnitt die Pausenstockungen deutlich ausführend. Sie gibt den Pausen die Zeit, die ihnen auch Schubert eingeräumt hat.

    Und auch in der dynamisch kontrastreichen Schlussgruppe, in der sie die Kontraste voll auslotet, nimmt sie sich die Zeit, das langsame Schreiten der durch Viertelpausen getrennten kurzen Abschnitte deutlich durchzuführen.

    Dem schließt sie einen atemberaubenden Übergang zur Wiederholung der Exposition an, dessen Schlüssigkeit hier mehr als offensichtlich wird. Und sie macht hier einen genauso lange Fermatenpause wie Afanassjew.

    Und auch hier klingt die Wiederholung der Exposition am Beginn wie auf eine höhere überirdische Stufe gehoben. Das ist Schubertspiel auf höchstem Niveau.

    Und abermals muss ich diese kompromisslose Steigerung bewundern. das geht in kleinen Schritten immer weiter bis zu einem eigentlich schon fortissimo-Umkehrpunkt- grandios! Sie hat keinerlei Angst, hier einen zu hohen dynamischen Level zu erreichen. Sie fühlt, dass es so richtig ist. Ich fühle es auch.

    Noch einmal zieht das fis-moll-Seitenthema in der bewegten Melancholie an uns vorüber, schließt sich die atemberaubend gespielte Schlussgruppe an, die sie jetzt, den sie jetzt mit einem sehr berührenden Ritardando-Überleitungstakt 117b mit der cis-moll-Durchführung verbindet.

    Dieses drückt sie m. E. im ersten Abschnitt (Takt 118b bis 130) richtig traurig aus, bevor der zweite Abschnitt mit den Achteltriolen, abwechselnd staccato und legato gespielt, auch bei ihr für eine spürbare Aufhellung sorgt und den sie in einem deutlichen Ritardando, zum Fortissimo (Takt 149 auf der Eins) hin, abschließt und dann im nächsten Abschnitt, trotz der Rückkehr zu B-dur, bedingt durch die auch bei ihr insistierend klopfenden Achtel und im weiteren Verlauf durch die zunehmend dissonant klingenden Akkorde im Diskant im Verein mit einer langen Steigerung durch den geschärften Klang hier ein unglaubliches dramatisches Potential freilegt, was die Stimmung, auch in den nun abwechselnd auftretenden Achtelquint- und Sextakkorden (ab Takt 173), deutlich am Boden hält. Zusätzlich intensiviert sie dies noch durch die nun wieder bedrohlicher gespielten tiefen Basstriller, die ab Takt 186 wieder auftreten.

    Den Themenabschnitt im Piano pianissimo (ab Takt 194 mit Auftakt spielt sie gar unübertroffen, wie ich finde. Auch der letzte Abschnitt der Durchführung, der immer wieder durch die teils dissonanten Quint- und Sextakkorde im Bass sich teils erfolglos gegen das dräuende Dunkel wehrt, hellt sich erst im letzen großen, absteigenden Bogen (ab Takt 209) auf, auch das von ihr wunderbar gespielt.

    Der Beginn der Reprise klingt dann auch wie von einem anderen (weitaus positiveren) Stern.

    Den ppp-Triller in Takt 223 spielt sie atemberaubend.

    Und dann der sagenhafte dritte Thementeil, wo es durch die innere Beschleunigung schon im Leisen brodelt, sie aber erst im Crescendo (hier ab Takt 253) die Leinen endgültig los lässt und wieder eine unglaubliche Steigerung spielt. Hier ist der Grat zwischen Hemmungslosigkeit und Nochkontrolle äußerst schmal, den sie aber m. E. nicht überschreitet, sondern im nur äußerst nahe kommt.

    Auch das wunderbare Seitenthema spielt sie wieder mit höchstem Ausdruck, aus dem traurigen, von Takt 267 bis Takt 288 einschließlich in fis-moll gefangenen, dann mit dem lichten Oktavbogen ab Takt 289 wieder befreiten B-dur spielt sie abermals herausragend.

    Und wie luzide von innen strahlend spielt sie abermals die Achteltriolensequenz, durch die sanften Pausenstockungen am Ende sich der Schlussgruppe nähernd.

    Auch die dynamisch so kontrastreiche, aber auch temporal so wechselseitige Schlussgruppe spielt sie abermals grandios und schließt mit einer atemberaubenden Morendo-Coda ab.

    Welch ein überragender Kopfsatz!!


    Beim Andante, dass sie viel langsamer spielt als Michael Endres, fällt mir eine Formulierung ein, an die ich bisher überhaupt nicht gedacht habe: wie wunderbar traurig ist doch ihre Lesart dieses scheinbar aus dem unbekannten Jenseits stammenden Themas, das dennoch sich auf Schuberts Seele spiegelt. Und noch etwas "Unerhörtes" habe ich dennoch gehört: sie spielt die Achtel aus der Begleitfigur, die "m.s." (mano sinistra, also mit der linken Hand ) gespielt wird, leiser als alle anderen, die ich bisher gehört habe- faszinierend! Und hier in dieser Aufnahme kann man es auch gut sehen.

    Und auch ihre Durauflösung, Takt 14 bis 17 ist in ihrem tiefen Pianissimo und ruhigen Atmen äußerst anrührend. Auch die nächste Steigerung und das darauffolgende Decrescendo und die letzten Thementakte im Piano pianissimo sind einfach nur unglaublich.

    Und erst ihre Lesart des choralartigen wunderbaren Seitenthemas, in der Satzanlage auch als Teil B bezeichnet, sie ist in der Würde und dem Zauber, den sie ausstrahlt, fast nicht von dieser Welt.

    Und in der Oktavierung ab Takt 51 steigert sich ihr Gesang gar zu einem verhaltenen Hymnus. Auch die Rückkehr des Themas in die Bassoktave und die zunehmenden dynamischen Bewegungen erwachsen bei ihr aus dem piano heraus ganz organisch und folgerichtig, und sie scheut sich auch nicht, in dieser Sequenz den dynamischen Höhepunkt des Satzes, das Crescendo ab Takt 71 zu einem veritablen f/ff zu steigern. Diese starke Steigerung wird schlüssig durch die voraufgegangene Eintrübung in Takt 70 auf der Eins.

    Die neuerliche Oktavierung ab Takt 76 mit den neuerlichen Sechzehntelquintolen lässt sie weiterfließen, bevor sie, anders als mancher andere hier vorher Besprochene in einem ziemlich langen und ziemlich deutlichen Ritardando in dem ohnehin notierten Decrescendo hin zum Themenende auslaufen, und sie verlängert die Generalpause Takt 89 dadurch, dass sie zuvor den letzten Ton in Takt 88 auf kaum noch hörbarer Stufe lange ausschwingen lässt.

    Dann heben in der Wiederholung von Teil A die intensiven traurigen Empfindung wieder an, und auch sie führt die erste dynamische Steigerung (ab Takt 98 mit Auftakt) noch weiter als im ersten Teil A, wie so mancher ihrer voraufgegangenen Kollegen bzw. Kolleginnen es auch gemacht haben. Und in der letzten Steigerung geht sie, wie ich finde, noch ein bisschen weiter- faszinierend!

    Dem schließt sie eine äußerst berührende Cis-dur-Coda an.

    Auch das Andante hat sie m. E. überragend gespielt.


    Im Scherzo ist sie auch flott unterwegs, aber nicht ganz so schnell wie Michael Endres. Auch hier fließen die dynamischen und rhythmischen Feinheiten organisch mit in den Ablauf ein. In dieser Einspielung tut sich ein ungeheurer temporaler Kontrast zwischen den beiden Binnensätzen auf.

    Im Scherzo selbst erreicht sie eine große Leichtigkeit und rhythmische Eleganz, eben Delikatezza.

    Im Trio betont sie auch deutlich die Forzando-Piani und besonders das Fortissimo-Forzando In Takt 25/26. Natürlich schließt sie auch das Scherzo da capo ed infine la Coda, die kurzen vier Takte, an.


    Im Finale ist sie etwas langsamer als Michael Endres. Auch hier zeigt sie im Thema schon, dass sie die dynamischen Vorgaben der Partitur auch ausreizt, wie gleich im ersten Crescendo ab Takt 26 mit Auftakt deutlich wird. So spielt sie auch die nächsten Crescendi, ohne allerdings überborden zu werden.

    Das Seitenthema gestaltet sie in mitreißender Manier mit überragender Deutlichkeit der synkopierenden Achteltriolen. Das gibt dem Thema noch einmal einen ganz eigenen Schwung. Die beiden Generalpausentakte 154/155 gestalte sie ausreichend lange.

    Dann schließt sie eine höchstdynamische erste Durchführungssequenz (ab Takt 156) an und schlägt einen großen Bogen zurück zum Kopfsatz, der ja auch hochdynamische Steigerungen aufwies.

    Wunderbar dann auch ihr Decrescendo und der Gesang in der zweiten Hälfte dieses Durchführungsteils. Dem schließt sie mit der ersten Rückkehr des Themas den eigentlich zweiten durchführenden und dynamisch noch höher stehenden Abschnitt an, in dem sie wiederum sich dynamisch keine Fesseln auferlegt, vor allem in den Forzando-Akkorden (ab Takt 292, jeweils auf der Eins kraftvoll zugreift, und aber anschließend auch ein langes, betörendes Decrescendo spielt bis hin zur Rückkehr des Originalthemas in Takt 312 mit dem G-Akkord.

    Da ist dann wieder die "feinere Klinge" gefragt, die sie auch meisterlich handhabt und gleich im Seitenthema (ab Takt 360) den Flügel wieder singen lässt. Auch hier lässt sie nach dem berührenden Gesang des Hauptthemas wieder ausreichen Zeit zum Durchatmen in den Generalpausentakten428 und 429.

    Ein letztes Mal lässt sie dann den durchführungsartigen Teil erklingen mit seiner dynamisch-rhythmischen laut-leise-Zweiteilung. Und noch eines sei bei der Betrachtung dieses letzten durchführungartigen Teils gesagt. Dank ihrer schier unerschöpflichen pianistischen Fähigkeiten sind auch in diesem höheren Tempo die Achteltriolen in der Begleitung, hier wieder ab Takt 457), sehr gut zu vernehmen.

    Und auch die letzte Rückkehr zum Thema mit den nachlassenden G-Akkorden spielt sie so aufmerksam und differenziert wie zu Beginn.

    Dem fügt sie als Schlussstein ein begeisterndes Presto hinzu.


    Ich denke, ich habe meine neue Referenz gehört.


    Liebe Grüße


    Willi:thumbup::thumbup::thumbup::thumbup::thumbup::thumbup::thumbup::thumbup::thumbup::thumbup::thumbup::thumbup::thumbup::thumbup::thumbup:

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

  • Danke für deinen Bericht.


    Das ist ein starkes Stück Musik. Sie wird immer noch besser. Ich kann sie, zumindest beim Carnaval, gar nicht genug hochschätzen.


    MlG

    D.

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  • Danke, lieber Damiro,


    ich besuche auch jedes Konzert von ihr in dieser Gegend. Und am 18. Februar geht die Reise durch den Schubertschen Sonatenkosmos weiter. Dann spielt sie in meinem Klavierabo in Köln die Sonaten D.784, D. 568 und D. 959. Ich freue mich jetzt schon sehr darauf.


    Liebe Grüße und ein schönes Fest (an dem wir viel zu singen haben)


    Willi:)

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

  • Weihnachten ist nun vorüber - ich konnte die beiden Feiertage bei gleissendem Sonnenschein in 2200 m Höhe auf dem Hochjoch, Grasjoch und Valisera- Alpe bei Schruns verbringen- und es bleibt mir, dir, lieber Willi, und den übrigen, hier lesenden Threadbesuchern einen glücklichen Jahreswechsel und ein gutes 2019er Jahr zu wünschen.


    Bei mir geht es bald weiter mit einigen Einspielungen von Miles Davis und seinen Leuten von 1944 bis zunächst 1968/ 1971, Rachmaninows Klaviersonate No. 1 in der Olli Mustonen- Interpretation von 2005 sowie den beiden Aufnahmen des Carnaval von 1951 und 1959 von Wladimir Sofronitzky, u.w.m.


    Zur Übersicht möchte ich heute das Programm der Reihe "Meisterpianisten" der SKS Russ in Stuttgart verlinken:


    https://www.sks-russ.de/konzerte-65.html?group=114


    Tokarew habe ich noch nie gehört, ich werde hingehen. Wir werden wahrscheinlich nur eine Schubert- Sonate gleich nach dem Jahresbeginn hören, in f- moll, D 625, für mich wären noch die Beethoven`schen Bagatellen und die vier Chopin Scherzi im Frühsommer wichtig.


    MlG

    D.

  • Lieber Willi,


    dank des direkt nachvollziehbaren youtube-Mitschnittes mit Mitsuko Uchida habe ich, nachdem ich die Partitur zur Hand genommen habe, Deine Ausführungen aufmerksam gelesen und anhand des Videos nachvollzogen. Ich kann Deine Anmerkungen nur in jeder Hinsicht unterstreichen - sie spielt das Ganze sehr sublim; alle Nuancen, alle Dynamikbezeichnungen, alles, alles ist da, und nicht nur, dass sie alle Facetten wiedergibt, was lediglich eine mechanische Perfektion beweisen würde, diese ungeheure Sensibilität, dieses große, fein verästelte Einfühlungsvermögen, das sie mit einer ungeheuren Palette von Ausdrucksmöglichkeiten in die Musik einbringt, das ist schon ganz enorm. Die dunkel grollenden Basstriller, die fein gesponnenen Melodien im Diskant, alles ist ganz prägnant und bezwingend. Eine wirklich tolle Aufnahme, trotz des geringen Bandrauschens, das wohl dem ursprünglichen Videoband geschuldet ist. Wie schön jedoch, dass diese Aufnahme existiert und geteilt worden ist. Jedenfalls freue ich mich schon auf Deine nächsten Besprechungen.


    Liebe Grüße

  • Franz Schubert, Klaviersonate Nr. 21 B-dur D.960

    Khatia Buniatishvili, Klavier

    220px-Khatia_Buniatishvili%2C_2008.jpg

    Instrument: Steinway?

    AD: 2018/19? - 15. 3. 2019 (Album release)

    Spielzeiten: 20:22 - 14:21 - 3:41 -8:25 --- 46:49 min.;

    Zur Person Khatia Buniatishvilis verweise ich auf diesen Thread:

    Aktive Pianisten unserer Tage - Khatia Buniatishvili


    Khatia Buniatishvili beginnt den Kopfsatz in durchaus zutreffendem Pianissimo und in langsamem Schreiten. Ich würde hier davon ausgehen, dass sie zu den Langsameren in diesem Satz gehört. Sie belebt dieses langsame Schreiten aber durchaus durch dynamische Bewegung, indem sie im 2. Teil des Hauptthemas in Takt 13 bis 16 ein moderates Crescendo-Decrescendo spielt. Insgesamt spielt sie den Satz jedoch in der identischen Zeit wie Rudolf Buchbinder.

    Im 3. Teil (Takt 19 bis 34) spielt sie nicht nur die durch die Verkürzung der Notenwerte bedingte innere Beschleunigung, sondern sie tut schon ab Takt 27, spätestens aber ab Takt 29, als im Bass und Diskant nur noch Sechzehntel vorliegen, des Guten m. E. zu viel und spielt auch eine an ein Presto grenzende äußere Beschleunigung. Das ist mir bisher nur an wenigen Pianisten aufgefallen.

    Die dynamische Steigerung in Takt 34/35 ist allerdings grandios, ebenso wie die zweite Steigerung am Ende des 4. Teiles, Takt 46/47. Auch die dynamischen Verläufe spielt sie in diesem Teil sehr aufmerksam.

    Das fis-moll-Seitenthema (ab Takt 49) nimmt sie wieder sehr zügig, was schon einen sehr großen Tempokontrast zu den ersten beiden Thementeil ausmacht, die bei ihr schon eher Andante molto moderato waren. Ich weiß nicht, ob Schubert hier an so große Tempokontraste gedacht hatte. Aber, wie dem auch sei, sie spielt das bis dahin durchaus sehr ordentlich.

    Auch die Achteltriolensequenz im dritten Thema (ab Takt 79 bis 98) gefällt mir ausnehmend, die Wechsel zwischen Legato- und Staccatoanteilen, eingebunden in die dynamischen Bewegungen, gelingen in hier sehr transparenter, diesseitiger Tongebung, sehr gut, wie ich finde.

    Auch die Schlussgruppe kann für sich einnehmen, wobei mir hier die eine oder andere dynamische Akzentuierung noch etwas deutlicher hätte hervortreten können.

    Doch das holt sie in der Überleitung zur Wiederholung der Exposition nach, die sie dankenswerterweise spielt. Vor allem das Crescendo in Takt 122a bis 124a ist m. E. sehr überzeugend.

    Auch die Pausenfermate vor der Wiederholung gefällt mir sehr, geht schon in Richtung Afnassjew.

    man mag das langsame Tempo der Exposition nun mögen oder nicht, jedenfalls hält sie auch in der Wiederholung daran fest, ist also überzeugt von dem, was sie tut. Schon das verdient Respekt.

    Und bei der Wiederholung verfestigt sich bei mir der Eindruck, dass sie das wirklich gut macht.

    Sie spielt auch den 3. Thementeil wieder so wie zuvor, mit dieser enormen Beschleunigung und auch das herrliche Crescendo in Takt 34/35 und den wirklich überzeugenden 4. Thementeil (s.o.).

    Auch für das fis-moll-Seitenthema, das in Takt 70 zum dur zurückkehrt und die Achteltriolensequenz kann man das Gleich sagen.

    Was mir in diesem Abschnitt besonders gefällt - ich vergaß das vorhin zu sagen- sie überspielt in dem stockenden letzten Teil des Seitenthemas (ab Takt 94) die Pausen nicht, wie so mancher andere Pianist, sondern sie führt sie sorgfältig aus, was diesen Abschnitt, wie ich finde, zu einer Schlüsselstelle macht.

    Auch das Überleitungs-Ritardando vor der Durchführung führt sie sehr schön aus.

    Der traurige Fluss der cis-moll-Durchführung fällt bei ihr nicht gar so heftig aus, ist, wie ich finde eher nur mehr melancholisch und in der Achteltriolensequenz schon wieder sehr aufgehellt, wobei sie auch hier wieder die dynamischen Verläufe sorgfältig ausarbeitet.

    Auch sie spielt im zweiten Teil der Durchführung die insistierenden Achtel, die trotz der Rückkehr zum B-dur nichts wirklich Gutes verheißen, sehr eindrücklich und lässt diese Sequenz in einer großartigen Steigerung auslaufen und schließt danach die ebenfalls überzeugende Sequenz mit den wechselnden Quint- und Sextakkorden an, die mit den Thementeilen auch die Oktaven wechseln.

    Im letzten Teil, als sich das Thema im Diskant immer höher schraubt und die sinistren Basstriller wieder auftauchen, spielt sie in zunehmend durchsichtiger , webender Tongebung. Ich würde diese Durchsichtigkeit jetzt aber nicht geschlechtsspezifisch betrachten. Sie spielt diese sich zunehmend in hellere Stimmung verwandelnde Überleitung zur Reprise in einem schönen Bogen zu Ende.

    Hieran schließt sie die Reprise an, wieder nach einer respektablen Generalpause- sie spielt, wie Kaiser es über Afanassjews Interpretation so schön ausdrückte- die komponierte Stille mit.

    Die Reprise spielt sie auch wieder, wie schon die Exposition und die Wiederholung derselben, in langsamem Tempo, das hier zu Beginn der Reprise die Gefahr offenbart, Schuberts Satzvorschrift "sempre legato" nicht einzuhalten.

    Und hier, in der Reprise, stört mich die plötzliche Tempozunahme (hier ab Takt 248), eigentlich noch mehr als in der Exposition. Hier kommt es mir fast wie ein Bruch vor. Natürlich ist die abschließende Steigerung wieder grandios.

    Auch das Seitenthema mit der zentralen Achteltriolensequenz erzeugt mich wiederum, ebenso wie die Schlussgruppe. Und was hier im Forum teilweise mit dem Attribut "weiblich" in Verbindung gebracht wurde, ist für mich nur außerordentliche lyrische Ausdrucksfähigkeit, die sich bevorzugt auch in hohen und sehr leisen Passagen manifestiert, eine Fähigkeit, die Khatia Buniatishvili m. E. hat und hier auch zeigt.

    Sie schließt den Satz mit einer berührend gespielten kurzen Coda ab.


    Das Andante sostenuto spielt sie in einem derart langsamen Tempo, wie ich es noch nie gehört habe. Es ist m. E. eher ein Adagio molto und verbreitet eine lastende, brütende Schwere, und die Durauflösung, (Takt 14 bis 17), verliert m. E. auch durch dieses Buchstabieren der Noten an positiver Helligkeit. Auch di dynamischen Verläufe zerfallen m. E. bei dem lähmend langsamen Tempo ein wenig.

    Umso erstaunlicher ist der neuerliche Temposprung beim Erklingen des Seitenthemas (ab Takt 43). Das ist so ähnlich wie im Kopfsatz, wo mir der Temposprung an den entsprechen Stellen (s. o.) auch zu groß erschien. In der zweiten Hälfte des Themas, ab Takt 67, kommen noch dynamische Steigerungen an durchgehenden Piano-Stellen hinzu. Das Seitenthema hat an und für sich schon das richtige Tempo, aber es passt im Vergleich der vielen schon gehörte Interpretationen nicht zum Tempo des Hauptthemas.

    Am überzeugendsten gerät ihr m. E. noch der 3. Teil des Seitenthemas (Takt 76 bis 88), wo das Thema wieder in den Diskant zurückgekehrt ist, wo sie am Schluss auch moderat retardiert und im Generalpausentakt 89 auch eine ausführliche Pause macht.

    Dann kehrt in Takt 90 in der Weiderholung des Hauptthemas auch die bleierne Schwere zurück, wobei ich sogar den Eindruck habe, sie sei noch etwas bleierner als zuvor.

    Die Änderung der Begleitfiguren in die klopfenden Dreier-Staccato-Sechzehntel verlieren m. E. durch das langsame Tempo ihre insistierende Wirkung.

    Auch die Rückkehr der berührenden Durauflösung, hier in Takt 103 bis 106, verliert m. E. an Strahlkraft.

    Die Steigerungen sind zwar dynamisch korrekt aufgebaut, verlieren aber ihren Vorwärtsdrang.

    Auch die wunderbare Coda ist zwar dynamisch sorgfältig gespielt, gerät aber ebenso wie die voraufgegangenen Sequenzen des Hauptthemas in Gefahr, auseinander zu fallen.

    Sie ist in diesem Satz über 5 Minuten langsamer als Rudolf Buchbinder und 3:20 Minuten langsamer als Valery Afanassjew.


    Der neuerliche Temposprung zum Scherzo ist gewaltig und aus dem Tempovorschriften nicht zu erklären. Es ist viermal so schnell wie das "Andante" und hat aber fast zweieinhalb mal so viele Takte.

    Rhythmisch ist das sicherlich in Ordnung und auch die "delicatezza" liegt vor, und es passt auch zur zeitlichen Ausdehnung des Kopfsatzes, aber das "Andante liegt wie ein gewaltiger erratischer Block dazwischen.

    Das Trio spielt sie recht anmutig, spielt auch im zweiten Abschnitt das Fortissimo-forzando in Takt 26 korrekt, vergisst dies jedoch in der Wiederholung.

    Dann spielt sie das Scherzo da capo ed infine la Coda.


    Das rondeau-ähnliche finale Allegro hat wieder normal schnelles Tempo, ist nur eine knappe halbe Minute länger als bei Buchbinder.

    Sie spielt es mit leichtem Klangcharakter, wobei mir die Wechsel von Legato- und Staccato-Bausteinen gut gefallen. Die ersten beiden fp-g-Akkorde (Takt 1/2 und 10!11) betont sie normal laut und abschwellend, den dritten (Takt 32/33) schon zu wenig. Das erste Crescendo ab Takt 25 spielt sie kraftvoll,, das zweite ab Takt 55 und das dritte ab Takt 73 erscheinen mir zu schwach, kaum als solche wahrzunehmen.

    Das überaus lyrische Seitenthema (Takt 85 bis 155) liegt ihr offenbar besonders. Da flicht sie die dynamischen Bewegungen organisch in den melodiösen Fluss ein, allerdings habe ich am Schluss die beiden Generalpausentakte 154/155 schon häufig von längerer Dauer erlebt. Im Kopfsatz hat sie die entsprechenden Generalpausen (s. o.) länger gestaltet.

    Den dritten, durchführungsähnlichen Teil (Takt 156 bis 224) gestaltet sie in der ersten dramatischen Hälfte hochdynamisch und, wenn ich das so sagen darf, im Gegensatz zu mehreren in ihrem Thread getroffenen Bemerkungen, mit durchaus männlicher Attitüde, gerät aber bei der dynamischen Kontrastierung in der zweiten lyrischen Hälfte dieses Abschnitts in Gefahr, wieder des Guten etwas zu viel, oder in diesem Fall, zu wenig tun, denn die letzten vier Töne in der Oktavierung in Takt 191-193 auf der Eins sind in dem Decrescendo so gut wie nicht mehr zu hören, und das wiederholt sich in der Wiederholung der Phrase in Takt 200-201 auf der Eins.

    Das ist m. E. nicht weiblich zart, sondern unzulänglich.

    Der G-Akkord zu Beginn der Themenwiederholung in Takt 225/226 ist nicht fortepiano gespielt, sondern nur piano, desgleichen der in Takt233/234.

    In die Gefahr gerät sie beim wieder mehr durchführungsartigen Crescendo und Forteabschnitt ab 248 nicht. Da lässt sie es mächtig krachen und es auch rhythmisch an nichts fehlen. Im Abschnitt mit den Dynamikwechseln und den Achteltriolen ab Takt 268 mit Auftakt spielt sie manche der Achteltriolen nicht präzise genug, da hört man dann nur zwei Achtel statt deren drei.

    Im letzten Abschnitt dieses erneut durchführungsartigen Teils, hier mit den Sechzehntel-Tonleitern (ab Takt 292) spielt sie wieder überzeugend, hier ab Takt 298 auch ein schönes Decrescendo spielend.

    Im nun echten reprisenförmigen 5. Teil beginnt sie wieder mit einem leise gespielten G-Akkord. Diese Akkorde hat Schubert nicht aus Jux und Dollerei dort hingesetzt, sondern es sind Schlüsselstellen, die die anderen Pianisten, die ich bisher in dieser Reihe hatte, alle fortepiano gespielt haben. Das kann doch so schwer nicht sein, jedoch ist auch der fp-Akkord in Takt 344/345 wieder nur piano.

    Erst das Seitenthema 360 ist wieder ohne Einschränkungen als gelungen zu bezeichnen, und dass sie durchaus Klavier spielen kann, zeigt sie auch durch die vielen Synkopenachtel in der Begleitung. Am Ende dieses Seitenthemadurchgangs lässt sie in Takt 428/429 wieder eine längere Generalpause.

    Der wiederholte erste Ab schnitt des durchführungsartigen Abschnitt liegt ihr wieder durchaus, und man kann die Freude an diesem hochdynamischen Spiel, wie ich finde, durchaus spüren. Und leider hat dieser Abschnitt wieder die Oktavierungen im Diskant, in denen in beiden Stellen (466/467) und 473/474) den Achteln und Sechzehnteln die Luft ausgeht, und diesmal sind es jeweils mehr als vier.

    Die letzten Themenwiederkehr ab Takt 490 und die Presto-Coda spielt sie ohne Fehl und Tadel, man kann sogar sagen, dass die Coda das Beste ist, was sie im ganzen Stück gespielt hat.


    In dieser Einspielung ist m. E. das zum Tragen gekommen, dass ma in einem so langen Stück, nicht nur vielfältige Gelegenheit hat, sich als Pianist auszuzeichnen, sondern dass sich auch viele Stellen als Klippen entpuppen, die man manchmal nicht sieht, aber man hört es, wenn die Spielergebnisse nicht (immer) der Partitur entsprechen und wenn sich der Rücken kein einziges Mal mit einem Schauer meldet. Und ich beginne zu ahnen, warum die nur wenige Monate ältere Yuja Wang bisher die B-dur-Sonate noch nicht vorgelegt hat. Möglicherweise fühlt sie sich noch nicht reif dafür. Aber wenn dem so ist, hoffe ich, dass dieser Zeitpunkt bald kommen wird.

    Was nun diese Aufnahme betrifft, so habe ich mehr Schatten als Licht festgestellt. Um die B-dur-Sonate adäquat zu spielen, muss man sicher nicht nur eine gute Pianistin (ein guter Pianist) sein, sondern auch nach bestem Wissen und Gewissen und mit sehr viel Vorbereitung und intensiven Proben ans Werk gehen.

    Ich bin aber bei dem, was ich gehört habe, guten Mutes, dass Khatia Buniatishvili diese Sonate in Zukunft noch viel besser spielen wird.


    Liebe Grüße


    Willi:)

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

  • Was nun diese Aufnahme betrifft, so habe ich mehrSchatten als Licht festgestellt. Um die B-dur-Sonate adäquat zu spielen, mussman sicher nicht nur eine gute Pianistin (ein guter Pianist) sein, sondern auchnach bestem Wissen und Gewissen und mit sehr viel Vorbereitung und intensivenProben ans Werk gehen.

    Ich bin aber bei dem, was ich gehört habe, guten Mutes,dass Khatia Buniatishvili diese Sonate in Zukunft noch viel besser spielenwird.

    Herzlichen Dank für Deine ausführliche Rezension! Ich gehe davon aus, lieber Willi, dass mein Fazit dem Deinigen sehr ähnlich ausfallen wird. Mal sehen, wann ich diese Woche zum Hören kommen werde! ;)


    Liebe Grüße

    Holger

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