Opern unter der Lupe -002- Ludwig van Beethoven: Fidelio

  • Ich bin zu diesem Beitrag gekommen - weil heute ein Mitglied meinte, wenn man keine Not auf der Bühne darstellen solle (wie ich es IMPLIZIT gewünscht hatte)
    "dann sollten schleunigst Beethovens Fidelio (Florestan verschmachtet im Knast vor sich hin)......und ander Werke ....von den Spielplänen verschwinden
    Ich wollte einges dazu schreben, bin aber beim Nachlesen der meisten Beiträge zu dem Schluss gekommen, ich hätte bereits alls, was mir wirchtig erschien gesagt - und andere auch....


    Aver dann habe ich doch noch eine interessante Stelle gefunden, die es wert ist kommentiert zu werden_

    Zitat

    Noch ein Nachtrag zu Pizarro: Wenn er in erster Linie eine persönliche Vendetta gegen Florestan (also über die Entlarvung seiner Verbrechen hinaus) hätte, warum hat er ihn nicht längst persönlich umgebracht, sondern zwei Jahre gefangen gehalten und dann auf Hungerkur gesetzt Und warum versucht er zuerst, Rocco den Mord ausführen zu lassen? Er singt zwar in der Arie "in seinem Herzen wühlen", aber im folgenden Duett will er Rocco bestechen (d.h. Pizarro ist sich sogar bewusst, dass er das nicht einfach per Befehl von ihm verlangen kann), damit der den Mord begeht.
    Ungeachtet der wutschnaubenden Arie scheint das alles eher dafür zu sprechen, dass Pizarro keinen persönlichen Hass hat, sondern politisch laviert und aus unterschiedlichen Gründen Florestan zuerst nur aus dem Verkehr ziehen und erst als es gar nicht anders geht, selbst umbringen will.


    Man sieht, daß der Verfasser des Gefühls des Hasses und der Rache nicht in vollem Umfange fähig ist.


    Einen Feind schnell zu erdolchen oder zu erschiessen ist ein kurzes Leiden für den passiven Teil und eine kurze Freude für den aktiven Teil
    ALLE Kulturen der Vergangenheit haben stets versucht das Leiden des Delinquenten so lange wie möglich hinauszuzögern.
    Das geht bis in die heutige Zeit so. In meiner Jugend hatte ich mangelnde Entscheidungsstärke eines gewissen Staates verachtet, der zum Tode verurteilten Häftlingen immer wieder Aufschub gewährte - den Prozess neui aufrollte - Aufschübe im letzten Augenblick verfügte - oft erst, als die Zeremonie der hinrichtung schon begonnen hatte. Erst mit zunehmender Reife habe ich die Raffinesse dieser Taktik durchschaut.: auf diese Weise wird der Delinquent oft Jahre- bis jahrzehntelang in Angst und Schrecken gehalten, die Persönlichkeit wird komplett zerstört. Und erst am Ende dieses Leidensweges steht die eigentliche Hinrichtung.
    DAS war es, was Pizarro (Der bestimmt kein schablonenhafter "Pappkamerad" ist), EIGENTLICH bezweckte. Aber es scheint ihm die Zeit davon gelaufen zu sein, so musste er seine Strategie ändern.


    Es wurde weiter oben im Thread behaupte, ich meinte, Pizarro wäre der "Gute" - und somit im Recht.
    Darüber habe ich mir keine Gedanken gemacht - ich moralisiere nicht - "Die Geschichte wird stets vom Sieger geschrieben"
    Aber der Haß von Pizarro - er ist abgrundtief (und davon verstehe ich etwas) muß durch eine SEHR PERSÖNLICHE VERLETZUNG hervorgerufen worden sein.
    Die Fehleinschätzung (aus meiner Sicht) beruht IMO darauf, daß sich die meisten Menschen solchen Hass überhaupt nicht vorstellen können
    Der Verfasser des Textes: "Er sterbe....." wusste es aber sehr wohl.
    Kaum zu verstehen, daß es derselbe war, der
    "Jetzt Schätzchen, jetzt sind wir allein
    wir können vertraulich nun plaudern"
    gereimt hat.
    Andrerseit aber doch progressiv:
    Der Stil der Zeitschrift "Die Gartenlaube"
    wurde hier trefflich vorweggenommen :D


    mfg aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Ob Pizarros Motiv, Florestan nicht schon längst getötet zu haben, tatsächlich in der Hauptsache Hass ist, oder doch vielmehr politisches Kalkül, das Ausleben von Macht oder gar Sadismus - ich weiß es nicht. Hass halte ich für die unwahrscheinlichste Variante. Allerdings sollte man nicht übersehen, dass wir es hier auch mit einer ganz schlichten dramaturgischen Notwendigkeit zu tun haben: Wäre Florestan bereits tot, würde Beethovens Fidelio ganz offensichtlich keinerlei Sinn ergeben, es gäbe diese Oper nicht! Im übrigen sei darauf verwiesen, das genau dieses Motiv des "Den Gegner nicht sofort töten" in praktisch jedem James Bond-Film eine ganz wesentliche Rolle spielt: nie wird Bond sofort getötet. Vielmehr erdenkt sich der Schurke absichtlich die phantasievollsten und insbesondere auch langsamsten Methoden, den Gegner zur Strecke zu bringen - und man glaubt fast, dies geschähe einzig zu dem Zweck, dem Geheimagenten genügend Zeit zu lassen, sich noch zu retten bzw. gerettet zu werden. Allein, dass der Schurke Bond tatsächlich hasst, ist m.E. nur in den seltensten Fälle - wenn überhaupt - der Fall.

    mfG Michael


    Eine Meinungsäußerung ist noch kein Diskurs, eine Behauptung noch kein Argument und ein Argument noch kein Beweis.