Bayreuth 2018

  • Eine für die Zukunft der Bayreuther Festspiele wichtige über die diesjährige "Lohengrin" Inszenierung hinausgehende Ankündigung: Kommentare zu dieser sensationellen Meldung sollten allerdings bereits in unserer laufenden Diskussion gegeben werden.


    Die Holzwürmer zog es zum Grünen Hügel hin.
    Sie wollten sehen den neuen Insektengrin.
    Danach wollten sie Katharina animieren,
    als nächstes den Holzwurmgrin zu inszenieren.
    :stumm::untertauch::hail:

    Umfassende Information - gebündelte Erfahrung - lebendige Diskussion- die ganze Welt der klassischen Musik - das ist Tamino!

  • Lieber Holger,
    in jedem Deiner Sätze steckt immer ein Gesprächsangebot. Leider kann man nur die wenigsten aufgreifen und weiterverfolgen.
    Mit dem Lohengrin folgt Wagner den mittelalterlichen Schwanenrittersagen sehr eng. Nur daß er verdichtet, in dem er die fatale Frage in die Hochzeitsnacht verlegt. Interessant hierzu ist Elke Ukena-Bests Aufsatz im wagner spectrum 1/2014, das Lohengrin zum Schwerpunkt hat.
    Um Friedrich Gundolf ganz frei zu zitieren: Der Dramatiker erfindet nicht, er formt um.
    Das Frageverbot selbst muß jeden Poeten reizen. Der Lohengrin ist ja keine Erbauungsoper, die die Voraussetzungen für das Gelingen einer guten Ehe schildert, sondern das Gegenteil: W. setzt das Scheitern durch den Tabubruch in Szene. Ganz im Gegensatz zu Deiner Auffassung denke ich, daß Liebende sich nicht bis auf den Urgrund ihres Wesens befragen lassen müssen. Auch hier rufe ich mir einen Dichter zum Zeugen auf, Georges "Mensch und Drud" endet mit der Zeile:


    Nur durch den zauber bleibt das leben wach.

    Es grüßt Hans.

    ..., eine spe*ifisch deutsche Kultur ist, jenseits der Sprache, schlicht nicht identifi*ierbar.
    -- Aydan Ö*oğu*

  • Mit dem Lohengrin folgt Wagner den mittelalterlichen Schwanenrittersagen sehr eng. Nur daß er verdichtet, in dem er die fatale Frage in die Hochzeitsnacht verlegt. Interessant hierzu ist Elke Ukena-Bests Aufsatz im wagner spectrum 1/2014, das Lohengrin zum Schwerpunkt hat.

    Das werde ich mir besorgen, lieber Hans! Wenn ich es nicht finde, melde ich mich.

    Um Friedrich Gundolf ganz frei zu zitieren: Der Dramatiker erfindet nicht, er formt um.

    Ja, das hat Wagner immer so gemacht. Aber gerade hier im Lohengrin finde ich, dass die "populistischen" Züge der Gattung Oper durchschlagen in einer nicht ganz unbedenklichen Vereinfachungstendenz. Wenn man z.B. die Antithese Heidentum-Christentum nimmt, dann wird sie in der romantischen Hochliteratur wie z.B. bei Eichendorff doch deutlich differenzierter - einschließlich der Ironie - behandelt. Bei Wagner ist das sehr klischeehaft-schablonenhaft - etwas boshaft formuliert: Romantik popularisiert als Bildzeitungs-Schlagzeile. Auch ist er in Sachen Liebe-Ehe hier erstaunlich bürgerlich-konservativ, was für ihn eigentlich untypisch ist. Und das Frauenbild ist geradezu reaktionär. Die Männer werden verklärt, die Frauen verderben alles. Entweder ist der Mann das Opfer der Intrigen der bösen Frau (Telramund) oder er ist ihr als starker Mann und Held himmelhoch überlegen und wird vom schwachen und schwach werdenden Geschlecht bitter enttäuscht (Lohengrin).

    Das Frageverbot selbst muß jeden Poeten reizen. Der Lohengrin ist ja keine Erbauungsoper, die die Voraussetzungen für das Gelingen einer guten Ehe schildert, sondern das Gegenteil: W. setzt das Scheitern durch den Tabubruch in Szene. Ganz im Gegensatz zu Deiner Auffassung denke ich, daß Liebende sich nicht bis auf den Urgrund ihres Wesens befragen lassen müssen. Auch hier rufe ich mir einen Dichter zum Zeugen auf, Georges "Mensch und Drud" endet mit der Zeile:


    Nur durch den zauber bleibt das leben wach.

    Die Frage ist aber dann doch, was für ein Zauber das ist - einer, der Leben ermöglicht oder zerstört. Du hast natürlich Recht, die Vorstellung eines "gläsernen Menschen", der keine Geheimnisse hat und haben darf vermeintlich wegen der Liebe, ist genauso schrecklich. Aber da ist dann finde ich derselbe Konstruktionsfehler wie bei Wagner. Die Kehrseite von Wagners von Feuerbachs Religionskritik inspiriertem Programm, das Mythische, Religiöse, Metaphysische zu vermenschlichen, indem das Menschlich-Allzumenschliche in etwas quasi Übermenschliches, d.h. "Heldisches", verwandelt wird, ist eine - heroische - Mythisierung des Menschlichen. Es zeigt sich aber letztlich, dass man das Göttlich-Unbedingte nicht 1:1 in etwas Menschliches einfach übersetzen kann. Dann wird menschliche Komplexität reduziert und dabei das Entscheidende negiert: die menschliche Bedingtheit. Und diese Bedingtheit heißt eben, dass der Mensch Fragen stellt und stellen muss. Elsa sucht einen Erlöser im Märchentraum, den sie findet und dem sie fraglose Treue schwören muss. Nur ist die Realität kein Märchentraum, aus dem Traum muss man schließlich wieder erwachen, indem man Fragen stellt. In Heideggers Sein und Zeit gibt es den bedenklichen Satz vom Dasein, "dass sich seinen Helden wählt". Man wählt sich also mit Wagner einen Helden und Erlöser, und zwar mythisch-unbedingt, dem man egal was kommt und kommen mag in fragloser (Frageverbot!) Treue ergeben ist. Und in die Realität übersetzt ist der Helden-Erlöser aus dem Märchen und Märchentraum dann "wahr" geworden der deutsche Kaiser oder der über alles geliebte "Führer", dem man auch dann noch sein Leben opfert, wenn es aussichtslos ist: Treue, die untertänig keine Fragen stellt, bis in den Tod, bis in den "Untergang". Ein fatales ideologisches Konstrukt, was Wagners Oper da dem für so etwas anfälligen und es bereitwillig aufnehmenden Publikum anbietet.


    Die Verbindung zu "Rumpelstilzchen" ist hier:


    ORTRUD


    Was gäbst du drum, es zu erfahren,
    wenn ich dir sag´: ist er gezwungen
    zu nennen wie sein Nam und Art,
    all seine Macht zu Ende ist,
    die mühvoll ihm ein Zauber leiht?

    FRIEDRICH


    Ha! Dann begriff ich sein Verbot!


    Mir hat die Inszenierung des 2. Aufzuges sehr gut gefallen. Wagners Neuerung, das Dialogprinzip aus dem klassischen Drama in die Oper einzuführen, wird unterstützt, indem Neo Rauch einen stimmungsvollen Bild-Hintergrund gibt, also kein wirkliches Bühnenbild. So die Ausstattung bescheiden zurückgenommen rücken der gesprochene Dialog und die Musik ins Zentrum. Eindrucksvoll auch, wie Ortrud Telramund fesselt - der Mann in den Fesserln der Frau in Kontrast zu Elsa im 1. Aufzug, welche da die Gefesselte ist. Der dramaturgische Gegensatz der beiden Frauenfiguren wird so sehr sinnenfällig herausgearbeitet. Die Hochzeitsszene finde ich auch hervorragend, weil Elsas Zweifel, zwischen Ortud und Lohengrin zu stehen, sehr gut szenisch verdeutlicht werden. Sehr eindringlich auch die Schlussszene, wo Elsa gedrängt wird, die Pose von Cosima auf diesem fürchterlich kitischigen Foto mit Wagner anzunehmen, indem sie zum Herrn der Schöpfung ihn anhimmelnd "aufschaut", der sie herablassend von oben betrachtet, das aber sichtlich gequält tut. Anja Harteros singt wunderbar und ich finde allerdings auch, dass Waltraut Meier die böse Hexe Ortrud sehr überzeugend verkörpert. Piotr Beczalas Stimme ist wirklich zum Dahinschmelzen und auch darstellerisch lässt er nichts zu wünschen übrig. Ich bin schon gespannt auf den 3. Aufzug.


    Schöne Grüße
    Holger

  • Aber gerade hier im Lohengrin finde ich, dass die "populistischen" Züge der Gattung Oper durchschlagen in einer nicht ganz unbedenklichen Vereinfachungstendenz. Wenn man z.B. die Antithese Heidentum-Christentum nimmt, dann wird sie in der romantischen Hochliteratur wie z.B. bei Eichendorff doch deutlich differenzierter - einschließlich der Ironie - behandelt. Bei Wagner ist das sehr klischeehaft-schablonenhaft - etwas boshaft formuliert: Romantik popularisiert als Bildzeitungs-Schlagzeile. Auch ist er in Sachen Liebe-Ehe hier erstaunlich bürgerlich-konservativ, was für ihn eigentlich untypisch ist. Und das Frauenbild ist geradezu reaktionär. Die Männer werden verklärt, die Frauen verderben alles. Entweder ist der Mann das Opfer der Intrigen der bösen Frau (Telramund) oder er ist ihr als starker Mann und Held himmelhoch überlegen und wird vom schwachen und schwach werdenden Geschlecht bitter enttäuscht (Lohengrin).

    was zur Ehrenrettung des Wagnerschen Lohengrins:
    Der Lohengrin hat seine Qualität daran, weil das Heldische im Lohengrin eben darin nicht funzt


    Die Figuren kommen glücklicherweise allzu menschlich rüber.


    Der König ist – neben Telramund-Trottel – totaler Vollhorst. Das beginnt damit, dass er sich wiederholt hinter dem Heerrufer (singt/textet wie ein Einschleimer) verschanzt und sich in ein obskures Gottesurteil verkrümelt. Dem Ausgang desselben scheint er aber dann wiederum doch nicht so recht zu trauen, denn nach Telramunds Intervention im 2. Akt starrt er wie alle anderen entsetzt auf Lohengrin.


    Und Lohengrin selbst entpuppt sich im 3. Akt bloß als öder durchschnittlicher bürgerlicher Charakter, indem von Elsa ausreichenden Ertrag/Entgelt für seine Zuneigung einfordert, um es auf die Haben-Seite seines GuV-Kontos buchen zu können:
    Dein Lieben muss mir hoch entgelten
    für das, was ich um dich verliess;
    kein Los in Gottes weiten Welten
    wohl edler als das meine hiess.


    Ortruds „dass all seine Macht zu Ende ist,
    die mühvoll ihm ein Zauber leiht?“
    wäre dann durchaus dem Lohengrin angemessen, in dem diese ganze Chose als fauler Zauber erkennbar wird (darin tendierte m.E. auch Hans Heukenkamps Deutung) .


    Und um diese Inszenierung mir höchst frei :thumbsup: zu „deuten“. Lohengrins Frageverbot könnte auch aus seiner Überzeugung (als technischer Fachmann, Ingenieur im Blaumann) resultieren, dass Elsa, als seine künftige Küchenschabe, von diesem ganzen Elektro-Zeugs und den Bilanzen sowieso nix checkt.

  • was zur Ehrenrettung des Wagnerschen Lohengrins:
    Der Lohengrin hat seine Qualität daran, weil das Heldische im Lohengrin eben darin nicht funzt


    Die Figuren kommen glücklicherweise allzu menschlich rüber.

    Ich glaube nicht, dass Wagner seine Heldenfigur "dekonstruieren" wollte. Dafür gibt es glaube ich bei Wagner keinen Hinweis - mich würde das jedenfalls sehr wundern. Lohingrin ist so wie ich es sehe - daran wird man kaum zweifeln können - als eine Erlöserfigur konzipiert. Die Erlösungstat ist eine doppelte: Elsa aus der Notsituation befreien und Deutschland gegen die Ungarn zum Sieg verhelfen. Was scheitert, ist die Erlösungstat, aber nicht der Erlöser. Woran scheitert die Erlösungstat? Es ist die korrupte Welt, die zeigt mit ihren Intrigen, Zweifeln, ihrer Untreue, dass sie den Erlöser nicht verdient hat. Wagners Oper steht ja im Kontext des nach nationaler Einheit strebenden revolutionären 1848iger Deutschland. Oper befriedigt Bedürfnisse, und Wagner wusste wohl, um welche nationalistischen Bedürfnisse es ging, wenn er diese "deutsche Oper" konzipierte. Die Botschaft ist daher glaube ich an die gerichtet, welche zur deutschen Einheit und nationalen Erhebung gebracht werden wollen: Einen Helden als Erlöser findet ihr nur, wenn ihr bedingungslose Treue und Gehorsam gegenüber ihm zeigt, also dem Erlöser-Ideal euch verpflichtet. Ansonsten habt ihr verwirkt. Genau das ist ja auch die Wirkungsgeschichte, Lohengrin wurde als strahlender romantischer Held inszeniert.

    Ortruds „dass all seine Macht zu Ende ist,
    die mühvoll ihm ein Zauber leiht?“ wäre dann durchaus dem Lohengrin angemessen, in dem diese ganze Chose als fauler Zauber erkennbar wird (darin tendierte m.E. auch Hans Heukenkamps Deutung) .

    Lohengrin sagt:


    O König, hör! Ich darf dich nicht geleiten
    Des Grales Ritter, habt ihr ihn erkannt,
    wollt´ er in Ungehorsam mit euch streiten,
    ihm wäre jede Manneskraft entwandt!


    Wie Rumpelstilzchen, das beim Namen genannt wird, ist auch Lohengrins Zauber nun weg. Deswegen muss sich der König selber helfen. Hier nun hätte Wagner ja auch einen ganz bösen Schluss machen können, dass Deutschland so ohne Hilfe des Erlöser-Helden den Kampf verliert und verlieren muss. Dann wäre das Stück aber vielleicht beim Publikum durchgefallen. Statt dessen gibt es deshalb etwas "Erhabenes", was die nationalistische Seele tröstet und erhebt: Lohengrins Prophezeiung stärkt die unbeugsame Siegesgewissheit des Deutschen - wieder so ein Unbedingtes, was alle Fragen und Zweifel vertreibt und vernichtet. Dramaturgisch darf man das durchaus als ein Zugeständnis an die romantisch-nationalistischen Bedürfnisse des Publikums werten - ein wenig überzeugendes, opportunistisches. Shakespeare wäre so etwas sicher nicht passiert :D :


    Doch, großer König, laß mich dir weissagen:
    dir Reinem ist ein großer Sieg verliehn.
    Nach Deutschland sollen noch in fernsten Tagen
    des Ostens Horden siegreich niemals ziehn!


    Ich werde darüber weiter nachdenken - heute sehe ich ja den 3. Akt und wie Sharon den Schluss interpretiert.


    Schöne Grüße
    Holger

  • Zitat

    Dr. Holger Kaletha: heute sehe ich ja den 3. Akt und wie Sharon den Schluss interpretiert.


    Er wird überraschend, lieber Holger!


    Liebe Grüße


    Willi :)

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

  • Ich glaube nicht, dass Wagner seine Heldenfigur "dekonstruieren" wollte. Dafür gibt es glaube ich bei Wagner keinen Hinweis - mich würde das jedenfalls sehr wundern. Lohingrin ist so wie ich es sehe - daran wird man kaum zweifeln können - als eine Erlöserfigur konzipiert. Die Erlösungstat ist eine doppelte: Elsa aus der Notsituation befreien und Deutschland gegen die Ungarn zum Sieg verhelfen. Was scheitert, ist die Erlösungstat, aber nicht der Erlöser.


    Ich glaub auch nicht, das Wagner das wollte. Mir kommt allerdings rüber, indem diese ganze Lohengrin-Chose sich nicht mit seinen Intentionen/Konzeptionen deckt; überspitzt gezockt, sich sogar gegen seine Intentionen wendet. Wie gesagt: Glücklicherweise!
    "Was scheitert, ist die Erlösungstat, aber nicht der Erlöser."
    Bin ich mir bisher nicht ganz sicher, ob er nicht auch als Erlöser scheitert. Denn er agiert im 2. Akt ungeschickt, indem er als Erlöser "zu spät" auftritt. Nämlich erst in der 5. Szene und dann die Sachlage nicht mal sofort checkt. Dann kümmert er sich nicht ausreichend um Elsa, so dass Teramund sie zunächst ungestört fies anmacht und sie selbst dann noch von Lohengrin dafür harsch angemacht wird ("Elsa, mit wem verkehrst du da " :thumbsup: ) Vom 3. Akt mal ganz zu schweigen.
    Wagner beschrieb mal „Wotan als die Summe der Intelligenz der Gegenwart“. Aber wie dämlich und tölpelhaft dagegen Wotan im Rheingold und auch in der Walküre agiert, lassen diese Figur gleichfalls wie ein Vollpfosten rüberkommen. Und beim Walhall der Götterhämmerung – im Bericht Waltrautes- drängen sich vor allem Assoziationen sich auf mit dem Zerfall vom SED-Politbüro zur Wende-Zeit auf und deren hilfloses Gebaren ..
    Ja. Zustimmung; natürlich ist der Lohengrin gewissermaßen auch „Geschichtsschreibung“ von Wagners politischer Gegenwart. Dass sich das bei Wagner mit Ideologie verfilzt, geschenkt!


    Nebenbei: Interessante Frage wäre, ob und wo Wagners Werk es schafft, den eigenen ideologischen Bann doch zu durchbrechen.

    Wie Rumpelstilzchen, das beim Namen genannt wird, ist auch Lohengrins Zauber nun weg. Deswegen muss sich der König selber helfen. Hier nun hätte Wagner ja auch einen ganz bösen Schluss machen können, dass Deutschland so ohne Hilfe des Erlöser-Helden den Kampf verliert und verlieren muss. Dann wäre das Stück aber vielleicht beim Publikum durchgefallen. Statt dessen gibt es deshalb etwas "Erhabenes", was die nationalistische Seele tröstet und erhebt: Lohengrins Prophezeiung stärkt die unbeugsame Siegesgewissheit des Deutschen - wieder so ein Unbedingtes, was alle Fragen und Zweifel vertreibt und vernichtet. Dramaturgisch darf man das durchaus als ein Zugeständnis an die romantisch-nationalistischen Bedürfnisse des Publikums werten - ein wenig überzeugendes, opportunistisches. Shakespeare wäre so etwas sicher nicht passiert :D :

    Eben dieses „Erhabene“ funzt ja nicht sonderlich und in der Gegenwart viel weniger. Das meinte ich mit faulem Zauber im Lohengrin. Ich zitierte Ortrud deshalb in diesem übertragenen Sinne.

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    FREITAG, 27.07.2018
    F.A.Z. - FEUILLETON
    Blitzboten des Fortschritts
    Verwandlungsmusik in betörendem Raumentwurf: Der Bayreuther „Lohengrin“ ist haltlos schön und verstört mehr als jede politische Demonstration.
    Das grüne Männchen am Ende – Herzog Gottfried, der Bruder Elsas, den die heidnische Hexe Ortrud in einen Schwan verwandelt hatte und der nun als neuer Herrscher von Brabant gleichsam das Ampellicht zum Weitergehen gibt – kann beim besten Willen keine politische Anspielung sein auf das grüne Abendkostüm der Bundeskanzlerin Angela Merkel, die von ihrer Loge aus diesen neuen „Lohengrin“ in Bayreuth verfolgt. Eine solche Absprache zwischen der Gewandmeisterei des Kanzleramts und dem Ausstatterehepaar Neo Rauch und Rosa Loy würde diesem ganzen Abend zuwiderlaufen, der sich für die Zwei-Reiche-Lehre, also die Trennung des Politischen vom Ästhetischen, in vorbildlicher Weise starkmacht.


    Der lettische Regisseur Alvis Hermanis, der von der Leitung der Bayreuther Festspiele ursprünglich vorgesehen war, diese „romantische Oper in drei Akten“ von Richard Wagner zu inszenieren, hatte ja gerade unter Verweis auf die strikte Trennung von Kunst und Politik, die der deutschen Medienöffentlichkeit oft so schwerfällt, den Auftrag zurückgegeben: Er werde wegen seiner Skepsis gegenüber der Grenzöffnungspolitik der deutschen Regierung in diesem Land so stark angegriffen, dass er in Bayreuth, diesem hochsensiblen Ort, jede politische Diskussion vermeiden wollte. Diskussionen gibt es hier ohnehin schon. Bayerns Ministerpräsident Markus Söder kann das Festspielhaus gar nicht betreten, ohne dass ihm Sprechchöre entgegenschallen, Flüchtlinge seien hier willkommen. Insofern war der Verzicht von Hermanis vorausschauend und weise. Man hätte bei diesem „Lohengrin“ am Ende kaum noch über Kunst geredet.


    Dabei muss man vor allem über Kunst reden: Rosa Loy und Neo Rauch, Maler und Grafiker von Weltmarktrang, haben zum ersten Mal für eine Oper Bühne und Kostüme entworfen und sich weit wegbewegt vom Comme-il-faut geschichtspolitischer Plakate, von Reichsadlern anstelle der Schwäne, von schwarz-weiß-roten Standarten und Chorheerscharen, die zu ihren „Heil!“-Rufen den rechten Arm recken. Ihr „Lohengrin“ ist ein Märchen geworden mit einem traumblauen Umspannwerk zwischen brabantischen Mannen, die Spitzenkrägen à la Frans Hals tragen. Das Umspannwerk mit seinen Porzellanisolatoren ziert ein kreisrundes Fenster, das gotische Kathedralrosette, mittelalterliche Turmuhr und elektrischer Spannungsgenerator in einem ist. Und so, wie der Sozialismus einmal die Künstler als „Ingenieure der Seele“ sah, platzt auch Lohengrin in die altflämische Welt des Aberglaubens hinein als Blitzbote des Fortschritts.


    Loy und Rauch arbeiten mit Papppappeln auf der Bühne und beleben für die Hintergründe die alte Kunst der Prospektmalerei neu. Das Schönste aber sind die Wolkenstudien für den zweiten Aufzug und die Verwandlungsmusik vor dem letzten Bild, ganz romantisch in der Malweise, aber völlig verwirrend im Raumentwurf: Da schaut man übers Schilf in einen Abgrund. Und dieser Abgrund ist der Himmel selbst, dessen Wolken am oberen Rand wiederum aussehen wie eine Wasseroberfläche von unten. So stürzt der Blick inmitten dieser Schönheit rückwärts, seitwärts, vorwärts überallhin, weil es gar kein oben oder unten gibt. Dieses Ineinander von Schönheit und Haltlosigkeit, unbewohnbar für den Menschen, verstört mehr als jede politische Demonstration.


    Yuval Sharon, als Regisseur für Hermanis eingesprungen, wurde vom musikalischen Leiter dieses „Lohengrins“, Christian Thielemann, im Vorfeld der Premiere „Sonnenschein vom Dienst“ genannt, weil er die Probenarbeit so harmonisch zu gestalten wusste. Auch er setzt nirgends auf Provokation. Die politische Dimension des „Lohengrin“, die es bei Wagner durchaus gibt, nämlich der Widerstreit zwischen charismatischer Herrschaft (Lohengrin) und Rechtsordnung (Friedrich von Telramund), wird von Sharon nur gestreift: König Heinrich (der fabelhafte, immer wieder erstaunliche, stimmlich überaus elegante Georg Zeppenfeld) guckt etwas pikiert, als Lohengrin erklärt, er sei nicht einmal dem König Rede und Antwort über seine Herkunft schuldig, sondern nur Elsa.


    Mag Sharons Chor- und Solistenführung manchmal auch so statisch sein wie bei Wolfgang Wagner 1967, mag das Duell zwischen Telramund und Lohengrin als Luftkampf zwischen Blitzkrieger und Kleidermotte in seiner kindlichen Theatralität auch ungewollt die Grenze zum Lächerlichen überschreiten – eines hat Sharon sehr sensibel ausinszeniert: die asymmetrische Beziehung zwischen Lohengrin und Elsa. Man sieht Elsas Scheu und Misstrauen gegenüber ihrem Retter von Anfang an. Und dieser Retter kennt keine Empathie für seine Frau, die er wie ein Mündel behandelt. Er leistet keinerlei Aufbauarbeit für ihr Vertrauen, ignoriert ihre sichtbaren Signale der Distanz. Das muss auf beiden Seiten zur Frustration und zum Bruch führen.


    Der Tenor Piotr Beczała, erst einen Monat vor der Premiere in der Titelpartie eingesprungen, ist ein Volltreffer für diesen Lohengrin. Im ersten Aufzug klingt die untere Mittellage noch etwas krümelig, aber je weiter der Abend voranschreitet, desto mehr „Glanz und Wonne“ verbreitet diese Stimme voller Kraft, Leichtigkeit und Charme. Der guten Akustik des Bühnenbildes wegen kann er den Anfang der Gralserzählung und den Dank an den Schwan weit hinten in schönstem Pianissimo singen und füllt damit doch das Riesenhaus. Anja Harteros ist eine kundige, erfahrene Elsa, die sich im Timbre anfangs deutlich an ihr ständiges Begleitinstrument, die Oboe, anlehnt, aber vielleicht schon auf dem Weg ist, diese Partie hinter sich zu lassen. Auf jeden Fall ist ihre Darstellung einer gebrochenen Frau durchweg beklemmend.


    Tomasz Konieczny als Telramund beweist in Stimme und Diktion eine enorme Durchschlagskraft, auch wenn er seine Figur etwas zu eindeutig als Knatterbösewicht anlegt. Staunenswert ist die Rückkehr von Waltraud Meier auf den Grünen Hügel. Ihre Ortrud hat nicht die schlundige Tiefe einer Furie der Finsternis, aber sie macht etwas anderes aus ihrer Figur: eine perfide, abgefeimte, biegsam-elegante, eisig-verführerische Intrigantin mit stahlblanken Spitzen in der Stimme. Auch der markige Bass Egils Silinş als Heerrufer und nicht zuletzt der von Eberhard Friedrich zu penibler Präzision gebrachte Chor bewegen sich auf diesem hohen Niveau der Besetzung.


    Christian Thielemann dirigiert seinen ersten „Lohengrin“ in Bayreuth mit Lust und Kenntnis, mit dichtem Anschluss an die Szene, feinsten Akzenten, schönster Transparenz in großer Zartheit. Das Geheimnisvolle des Klangs, dessen Herkunft nicht enträtselbar sein soll, das indirekte Leuchten wird vielleicht erst in den Folgevorstellungen gänzlich glücken. Auch wenn dieser „Lohengrin“ szenisch eher zurückhaltend ist, beschreibt er doch in Musik und Bühne ein so hohes Niveau, wie es nach Bayreuth unbedingt gehört. Jan Brachmann

    „In sanfter Extase“ - Richard Strauss (Alpensinfonie, Ziffer 135)

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    SAMSTAG, 28.07.2018
    F.A.Z. - FEUILLETON
    Übergriffsfreies Duschen im Karfreitagsregen
    Uwe Eric Laufenbergs „Parsifal“-Inszenierung entstellt Richard Wagners antichristliche Ambitionen in geradezu altbarocker Drastik zur Kenntlichkeit.
    Man könnte den „Parsifal“ von Richard Wagner auch einmal nur auf die Sublimation des Malerischen hin betrachten, darauf also, wie Sichtbares in der Phantasie des Hörers erzeugt wird, ohne dass die Musik es allzu naturalistisch imitiert. Wagner ist ein Meister des Unterschwelligen, darauf beruht seine immense Wirkung. Schwäne etwa sind im „Parsifal“ immer wieder im Spiel. Singen hört man sie selten, aber ihren Flügelschlag in der Luft kann man erahnen und das Kräuseln der Wasseroberfläche des Sees, kurz vor der Landung, auch. Dass Wagner den Hörer lenkt, ihn aber letztlich zum Mittäter macht, ist ein Geheimnis seines Manipulationsgenies.


    Semjon Bytschkow, der dieses Jahr in Bayreuth das Dirigat des „Parsifal“ von Hartmut Haenchen und Marek Janowski übernommen hat, hält sehr genau diese Balance zwischen der dringlichen Insinuation von Bildern und dem Verwischen der Spuren solcher Manipulation. Das Orchester kann, besonders am Anfang des zweiten Aufzugs, in geradezu altbarocker Drastik die Gesten des Zorns malen und dabei ins Schrille und Pfeifende überdrehen.


    Aber im Vorspiel zum ersten Aufzug, in den Verwandlungsmusiken und dem Karfreitagszauber schwebt doch alles mit einer seidenmatten Unfassbarkeit dahin, die das Hören anregt und sich doch der Mitverantwortung für die Bilder immer wieder entzieht. Überhaupt ist Bytschkow ein Dirigent des Maßes, kein Extremist. Der erste Aufzug ist bei ihm mit einer Stunde und fünfundvierzig Minuten zwar zwölf Minuten langsamer als bei Hans Zender, aber immer noch einundzwanzig Minuten schneller als bei Arturo Toscanini.


    Extrem sind die Sänger dieser Besetzung: Das Duett zwischen Parsifal (Andreas Schager) und Kundry (Elena Pankratova) im zweiten Aufzug hat man selten so laut gehört wie hier. Vielleicht liegt es am Verstärkungseffekt der Bühne von Gisbert Jäkel – im ersten und im dritten Aufzug ein christliches Kloster im Nordirak, im zweiten ein orientalisches Frauenbad, immer mit dem gleichen Raumteilungseffekt –, aber es liegt wohl auch an den Singenden selbst, die ihre Töne mit vulkanischer Energie herausschleudern. Dabei hat Pankratova viel Wärme und Zartheit für „der Liebe ersten Kuss“, den sie Parsifal schenkt. Und auch Schager hat sich durch die vokalen Rüpeleien der ersten zwei Aufzüge keineswegs kaputtgesungen, so dass er bei der Taufe im vorletzten Bild Schmelz und Süße abrufen kann. Das hätte man auch vorher schon mal gern gehört.


    Günther Groissböck ist von der Stimme her kaum ein gütiger Gurnemanz; auch die Regie verlangt ihm die Ruppigkeit eines Zuchtmeisters ab. Die Textverständlichkeit könnte besser werden. Sie ist dagegen geradezu brillant bei Derek Welton als erbarmungslosem Zauberer Klingsor, auch bei Thomas J. Mayer als Amfortas, der sich hier mit äußerster Aggressivität der Zumutungen durch die mönchische Ritterschaft erwehren muss. Dem Chormeister Eberhard Friedrich ist es zu verdanken, dass die Konfrontationen zwischen den Gralsrittern und Amfortas musikalisch und sprachlich zu eindrucksvollen Momenten sozialdynamischer Gewalt werden. Dazwischen dröhnt kolossal die grabeshohle Stimme von Tobias Kehrer als Titurel.


    Die Inszenierung von Uwe Eric Laufenberg, jetzt im dritten Jahr zu sehen, verstört das Publikum merklich. Es gibt heftige Buh-Lawinen, die das Regieteam, zu dem noch Jessica Karge als Kostümbildnerin gehört, beim Schlussapplaus wegzulächeln versucht. Dabei hat Laufenberg Richard Wagners Idee vom „Bühnenweihfestspiel“, durch das „die Kunst die Substanz des Religiösen zu retten versucht“, ziemlich konsequent durcherzählt. Die Gralsritter sind am Anfang eine Ritualgemeinschaft, die noch immer archaischen Opferkulten anhängt. Sie trinken buchstäblich das Blut des Amfortas, dem sie bei jeder Mahlgemeinschaft neue Wunden zufügen.


    Dass dabei der holzgeschnitzte Christus vom Kreuz genommen und Amfortas in die Pose des Gekreuzigten (mit Dornenkrone) gebracht wird, entstellt auch Wagners Absichten zur Kenntlichkeit: Seine Spätschriften rund um den „Parsifal“ triefen vor einer Sprache in Dialysemetaphorik, wonach das Blut des Erlösers –


    Jesus Christus – von seinen jüdischen Anteilen gereinigt und durch arisches Blut ersetzt werden müsse. Dieser Prozess der szenischen Ersetzung von Christus durch Amfortas fängt diese zutiefst antichristliche Ambition Wagners, die zur Zeit der Uraufführung vom evangelischen Theologen Gustav Portig wachsam thematisiert worden ist, ein.


    Im Lauf der Inszenierung wird aus Parsifal, dem Krieger, ein Künstler im Dirigentenkostüm. Er befriedet die Gewalt der Religionen, beendet den Opferkult der Gralsritter, befreit die muslimischen Frauen aus dem Schador zu glücklicher, gemischtgeschlechtlicher Nacktheit mit Männern beim übergriffsfreien Duschen im Karfreitagsregen. Ein Videozuspiel lässt Richard, Winifred und Wolfgang Wagner friedlich die Augen schließen. Sie sind aus ihrem Amt als Gralshüter entlassen. Noch während die Musik spielt, erstrahlt der Zuschauerraum in zauberischem Licht als Ort der Verklärung. Dass Wagners Kunstreligion auch im „Entjudungsinstitut“ in Eisenach Gestalt gewann, wo man nach 1933 die Kantaten- und Oratorientexte von Johann Sebastian Bach und Georg Friedrich Händel von allen jüdischen Verweisen gereinigt hat, bleibt hier ausgespart. Was hässlich ist an


    Wagner, wäscht Laufenberg ab. Das Werk soll schöner sein und größer als der Mensch. Jan Brachmann

    „In sanfter Extase“ - Richard Strauss (Alpensinfonie, Ziffer 135)

  • Banner Trailer 2 Gelbe Rose
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    DONNERSTAG, 02.08.2018
    F.A.Z. - FEUILLETON
    Liebe und Zorn in vollendeter Schönheit
    Plácido Domingo übernimmt sich mit dem Dirigat der „Walküre“ und wird gnadenlos ausgebuht, während die Sänger Glücksmomente bescheren
    Liv Ullmann, Reihe 23, Platz 28 links, schwarzes Kleid mit aufgestickten Goldfarnblättern, stocken die Hände beim Schlussapplaus. Was hier gerade passiert, ist grausam: Der Dirigent der „Walküre“, Plácido Domingo, tritt allein vor den Vorhang des Bayreuther Festspielhauses und wird, bis zur Gehässigkeit gnadenlos, ausgebuht. Vor über vierzig Jahren, als die norwegische Schauspielerin, die nun die Richard-Wagner-Festspiele besucht, mit Ingmar Bergman die „Szenen einer Ehe“ drehte, erlebte Domingo seine glanzvollen Debüts in London, Buenos Aires und Paris. Aus dem überragenden Tenor von damals ist inzwischen ein immer noch charaktervoller Bariton geworden – aber auch ein Dirigent, der Mitleid erweckt. Das hätte man ihm ersparen sollen.


    Domingo, klug, lernbegierig, vielseitig, liebt die Musik von Richard Wagner. Er hat in Bayreuth den Siegmund in der „Walküre“ und die Titelpartie in „Parsifal“ gesungen. Doch als Dirigent mutet er sich nun zu viel zu. Die akustischen Verhältnisse mit dem gedeckten Orchestergraben und der verzögerten klanglichen Ansprache – der Ton kommt mit größerem Abstand als andernorts nach dem Schlag des Dirigenten – sind heikel. Man darf als Dirigent den Sängern gegenüber nicht nachgiebig sein, muss führen, sonst verlangsamt sich das Tempo immer mehr.


    Domingo und das Orchester beginnen noch verheißungsvoll mit den Winterstürmen des Vorspiels. Die Graupelböen der Streicher brechen harsch hervor. So muss es sein. Doch schon beim ersten Bläsereinsatz stimmt die Hierarchie der Stimmen nicht mehr. Der Walkürenritt im dritten Aufzug wird später klingen wie aus einem alten Transistorradio.


    Im ersten Aufzug schleppt sich der Eingangsdialog von Siegmund und Sieglinde zäh dahin. Die wundervolle Anja Kampe, die ihre erste Sieglinde an der Seite von Domingo als Siegmund gesungen hat, lässt sich in dieser Partie nichts anmerken, verströmt ihren vollen, warmen Sopran und nimmt die genießerisch zerdehnten Zwischenspiele des Orchesters mit großem Atem auf. Stephen Gould, unermüdlich und unfehlbar, hier als Siegmund noch zarter und weicher als wenige Tage zuvor in der Partie des Tristan, sucht manchmal – „Nun weißt du, fragende Frau, warum ich Friedmund nicht heiße“ – mit seiner Stimme Orientierung für die Intonation. Es fehlen Führung und Stütze durch das Orchester.


    Im zweiten Aufzug wird es besser. Catherine Foster verpasst der Musik als Brünnhilde mit ihrem hellen, fröhlichen Kraftweibjuchzer „Hojotoho!“ einen Vitaminstoß. Und die Szenen einer Ehe zwischen der herrlich dunkel orgelnden Marina Prudenskaja als Fricka – im Gewand einer kaukasischen Ölprinzessin – und John Lundgren als ihrem Gatten Wotan haben den Fluss und die Spannung einer lebendigen Konversation. Man hört Domingos Liebe zur Musik, hört, wie er das Solo des Englischhorns auskosten will nach dem Streit zwischen Brünnhilde und ihrem Vater Wotan, diese intime Landschaft aus blauschwarzen Tinten der Melancholie, denen man musikgeschichtlich ein paar Jahre später wiederbegegnet in manchen Orchesterstellen bei Sergej Rachmaninow. Es ist das Dirigat eines Hingerissenen, eines selbstvergessenen Träumers.


    Diese „Walküre“, die Katharina Wagner aus dem „Ring des Nibelungen“ in der Inszenierung von Frank Castorf für drei letzte Vorstellungen – recht ungewöhnlich für Bayreuther Verhältnisse – herausgelöst hat, ist sängerisch traumhaft besetzt. Die acht Wotanstöchter Caroline Wenborne, Christiane Kohl, Simone Schröder, Regine Hangler, Mareike Morr, Mika Kaneko, Alexandra Petersamer und Marina Prudenskaja in einer Doppelrolle bilden eine vokal luxuriöse Spezialeinheit Walhalls. Catherine Foster – ausgebildete Hebamme, bevor sie Sängerin wurde – springt als Brünnhilde auf die Spitzentöne ihrer Partie mit der Leichtigkeit und Zielsicherheit eines Eichhörnchens. Aber sie hat für die Todesverkündigung an Siegmund – hier rührt einem Stephen Gould besonders ans Herz – auch den nötigen Ernst und den Sinn fürs Geheimnis. Tobias Kehrer geht als Hunding über das Rollenklischee des Grimmbolds angenehm hinaus mit der durchaus eleganten Führung seiner durchdringenden Bassstimme.


    Aber John Lundgren als Wotan macht vor allem staunen. Das ist Wagnergesang von rarer Schönheit: deutlich in der Artikulation, vollendet gebunden, reich durchmoduliert in allen Nuancen der Liebe und Wut, des Zorns und der Zuneigung. Wotans Abschied und der Feuerzauber krönen die Aufführung mit einer Viertelstunde reinen Glücks: eine Stimme, die Harm und Anstrengung unter sich zurücklässt wie der Segler die Erde beim Fliegen, und ein Orchesterklang, der unter Domingos Leitung gelöst dahinströmt.


    Im Schein des Feuers ist das auch der Abschied vom aserbaidschanischen Ölbohrturm, den Aleksandar Denić für die Bühne ersonnen hat, und von Frank Castorfs „Ring“, der, je länger er hier gespielt wurde, desto mehr Zustimmung erfahren hat. Zwei Vorstellungen lang wird dies alles noch zu sehen sein, für Plácido Domingo dürften es zwei der schwierigsten Vorstellungen seines Lebens werden. Jan Brachmann

    „In sanfter Extase“ - Richard Strauss (Alpensinfonie, Ziffer 135)

  • Im "Nordbayerischen Kurier" heißt es dazu auszugsweise:


    Domingo habe "in dieser „Walküre“ einen Wagner-Stil praktiziert[...], von dem man glaubte, dass er längst der Vergangenheit angehört. Der Dirigent setzte auf Pathos, statt auf dramatischen Zugriff. Jedoch: Einfach nur langsamer dirigieren führt nicht zwangsläufig dazu, dass Spannung entsteht, wie sich etwa beim Feuerzauber am Schluss des Stücks zeigte. Die Bewegung in der Musik kam hier fast zum Stillstand. Das Zerdehnen vieler Passagen dürfte auch für die Sänger nicht immer die pure Freude gewesen sein."


    Der Mitschnitt des BR liegt mir mittlerweile vor. Rein von den Spielzeiten her erschließt sich diese Kritik nicht automatisch. 1. Akt: 67 Minuten, 2. Akt: 92 Minuten, 3. Akt: 70 Minuten. Ergibt insgesamt 229 Minuten.


    Vergleichen wir mal:


    Keilberth (1955): 64 Min. + 87 Min. + 67 Min. = 218 Min.
    Knappertsbusch (1956): 64 Min. + 94 Min. + 73 Min. = 231 Min.
    Solti (1965): 66 Min. + 93 Min. + 70 Min. = 229 Min.
    Goodall (1975): 73 Min. + 100 Min. + 76 Min. = 249 Min.
    Luisi (2013): 64 Min. + 89 Min. + 66 Min. = 219 Min.
    Haenchen (2013): 63 Min. + 90 Min. + 70 Min. = 223 Min.
    Petrenko (2015): 61 Min. + 85 Min. + 65 Min. = 211 Min.


    Das Ergebnis überrascht doch einigermaßen, weil Domingo fast exakt dieselben Tempi anschlägt wie seinerzeit Solti in der berühmten Einspielung (die gemeinhin nicht als langsam gilt) und insgesamt im Mittelfeld liegt.


    Ich habe bereits zumindest auszugsweise in den Mitschnitt gehört. Besonders langsam kam es mir bei Domingo eigentlich nur am Ende des 1. Aktes vor, wo dem Siegmund tatsächlich ein flotteres Tempo lieber gewesen wäre. Das Vorspiel zum 2. Akt ist tempomäßig dann schon wieder völlig im Rahmen, das zum 3. Akt etwas blutleer, aber tempomäßig auch nicht weiter auffällig. Für Wotans Abschied braucht Domingo keine 16 Minuten und ist damit auch weit entfernt von Extremen. Vielleicht schaffte er es aber nicht, die Oper durchgehend mit Spannung zu füllen, wodurch die für sich genommen nicht so langsame Aufführung langatmig vorkam.

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões


  • Der Lohengrin hat seine Qualität daran, weil das Heldische im Lohengrin eben darin nicht funzt


    Das ist ein entscheidender Punkt. Im Scheitern der Heldenfiguren liegt überhaupt das ganze dramatische Potential. Und Sharon hat das gut inszeniert. Sein Lohengrin scheitert anders, als andere Lohengrine.
    Beim Verdikt über Telramund und Heinrichs ("Vollhorst") melde ich aber Widerspruch an. Heinrich bewältigt die Chose letztendlich souverän. Vierundzwanzig Stunden nach seinem Eintreffen in Brabant ist die Lehensfrage geklärt, und er hat ein Kontingent Brabanter zur Heeresfahrt bekommen.
    Telramund als betrogener Betrüger (Wapnewski) hat doch wunderbare Passagen von Wagner bekommen, die ihn eben nicht desavouieren.

    ..., eine spe*ifisch deutsche Kultur ist, jenseits der Sprache, schlicht nicht identifi*ierbar.
    -- Aydan Ö*oğu*


  • Aber gerade hier im Lohengrin finde ich, dass die "populistischen" Züge der Gattung Oper durchschlagen in einer nicht ganz unbedenklichen Vereinfachungstendenz. Wenn man z.B. die Antithese Heidentum-Christentum nimmt, dann wird sie in der romantischen Hochliteratur wie z.B. bei Eichendorff doch deutlich differenzierter - einschließlich der Ironie - behandelt.


    Die Sommernacht, die Neo Rauch für die ersten Szenen des zweiten Akts erfindet, ist eigentlich eine Eichendorffsche:


    Wolken ziehn wie schwere Träume -
    Was will dieses Graun bedeuten?


    Das fand ich sofort überzeugend, und das hat mich sehr für ihn eingenommen.


    Ironie geht den Opern von Wagner völlig ab. Das Komische, das er in den Meistersingern und im Siegfried stellenweise meisterhaft gestaltet, ist ganz und gar unironisch.

    ..., eine spe*ifisch deutsche Kultur ist, jenseits der Sprache, schlicht nicht identifi*ierbar.
    -- Aydan Ö*oğu*

  • Vielleicht schaffte er es aber nicht, die Oper durchgehend mit Spannung zu füllen, wodurch die für sich genommen nicht so langsame Aufführung langatmig vorkam.


    Das würde ich auch annehmen, denn entscheidend ist für mich nicht die Geschwindigkeit sondern der Aufbau einer inneren Spannung und Dramaturgie.

  • Regisseur Yuval Sharon sieht Wagners romantische Oper eigentlich nicht als Lohengrin-, sondern Elsa-Stück. Denn Elsa ist die einzige Figur, so Sharon, welche eine Entwicklung durchmacht. Nachdem ich mir nun gestern – trotz großer Hitze und mit Schwitzen bei 30 Grad – abschließend den 3. Aufzug angeschaut habe, wage ich die These, dass dies eine Werbung nicht nur für gelungenes, sondern für die Unverzichtbarkeit von – gutem und nicht schlechtem mit Reich-Ranicki – Regietheater ist. Denn Sharons Inszenierung macht das Notwendige, nämlich das Problematische im vermeintlich Unproblematischen dieses so populären Wagner-Stücks aufzuzeigen, das neben einer erfolgreichen und überaus beliebten Oper eben auch ein Stück deutscher Ideologie ist und bleibt. Sharon deutet das Stück um von einem Lohengrin-Heldenepos in eine Emanzipationsgeschichte von Elsa und vollbringt damit eine Art Katharsis eines ideologiebelasteten zum ideologiebefreiten Stück. Dabei liegt dem amerikanischen Regisseur offenbar die so „deutsche“ Tradition einer romantischen Verklärung von „Werken“ zu Weihe-Objekten religiöser Andacht bis hin zur Versteifung zu einer Werktreue-Ideologie, welche das Werk für sakrosankt erklärt, kontinental fern. Und das ist wirklich wohltuend! Denn das Pochen auf „Werktreue“, gerade hier wäre es nur die Parodie der Lohengrin-Ideologie von Zweifellosigkeit und fragloser Treue und damit ein Kadavergehorsam gegenüber dem Werk. Zum Werk gehört letztlich immer auch Werk-Kritik – und das ist keine Gralsschändung und Ortruds-Intrige gegen buchstäbliche Libretto-Treue. Sharon treibt solche Werk-Kritik wohltuend ohne erhobenen gesellschaftskritischen Zeigefinger allein aus der Kreativität seiner Werkdeutung heraus: indem er Wagners Schluss durch einen schlüssigeren ersetzt, zeigt er die dramaturgischen Schwächen von Wagners Lohengrin-Figur auf.


    Die dritte Szene beginnt mit einem Wechsel der Farben: Blau, die romantische Farbe der Ferne, der Distanz eines unnahbaren Unendlichen, weicht ihrem Komplementärkontrast Orange als Symbol menschlicher Nähe. Hochzeitsmarsch und Brautgemach, sie zeigen jedoch bei Sharon nicht das „Rein-Menschliche“ der Liebe, sondern die entfremdete gesellschaftliche Konvention. Der Liebeshymnus im Duett wird, wie es sich für christlich-brave Vermählte gehört, fromm aus dem Gesangbuch wie Sonntag in der Kirche abgelesen. Denn nun kommt heraus, was dieser Liebe – anders als derjenigen zwischen Brünnhilde und Siegfried – von Anfang an fehlt: die zur Selbstfindung führende Selbsterkenntnis. Elsa formuliert nicht nur ihren Zweifel, sie spürt, dass sie die Liebe in Lohengrin nicht erkennt. Was sie einklagt, ist das Prinzip der Gleichheit und Reziprozität: So wie Du Dich für mich geopfert hast, will ich mich auch für Dich opfern können, so wie Du mir vertraut hast, will ich auch Dir vertrauten. Elsa fühlt sich durch das Frageverbot in ihrer Liebe erniedrigt, weil sie dem Geliebten seine – vermeintlich aufopferungsvolle – Liebe nicht zurückgeben kann. Lohengrin wird durch diese Anwürfe nun gezwungen, sich als Liebender erkennen zu geben, auch ohne dass er seinen Namen nennt. Und genau hier kommt heraus, dass er eigentlich ein mythisches Wesen bleibt und kein Mensch werden kann, der wirklich zur selbstlosen Liebe fähig ist. Sharons Inszenierung macht nun genau hier den Moment fest, wo sich Elsa von Lohengrin emanzipiert. Während Lohengrin letztlich mit der Gewalt eines Dämons versucht, die Liebe Elsas wie ein Besitzstück an sich zu reißen und sie so auf der Bühne sinnenfällig mit Stricken fesselt – eine Wiederholung von Elsas auswegloser Gefangenschaft in der Eröffnungsszene aus dem 1. Aufzug – weist die nun von ihrem vermeintlichen Erlöser zum zweiten Mal gefesselte Elsa diese Scheinliebe einer Liebesforderung aus Recht und Gewalt selbstbewusst zurück. Sie emanzipiert sich damit vom träumenden Kind zur erwachsenen Frau.


    Lohengrins den Zweifel weckende Antwort bestätigt letztlich Ortruds heidnische Sicht, wonach es sich bei Lohengrin nicht um einen christlichen Helden, sondern vielmehr einen heidnischen Magier handelt. Verräterisch spricht Lohengrin von Elsas „Zauber“, dem er, als er sie beim ersten Mal erblickte, gleich erlegen sei. Doch ist das wirklich reiner Liebeszauber? Wo ist ihre „Reine“, die ihn so entzückt, wenn sie „in schwerer Schuld Verdacht“ steht? Ist dieser Zauber nicht vielmehr – mangels Wahrnehmungs-Evidenz moralischer „Reine“ – nicht nur ein erotisch-sinnlicher? Und Lohengrin entlarvt sich schließlich selbst, indem er Elsas Einklagen der Liebes-Reziprozität von gegenseitigem Vertrauen und wechselseitiger Opferbereitschaft die mythische Reziprozität einer Gabe durch Tausch entgegenstellt. Damit zeigt er letztlich, dass er ein heidnischer und kein christlicher Erlöser ist, indem er Elsas Liebe als „Preis“ und Ausgleich für das fordert, was er gegeben hat: seine Rettungstat und das, was er durch seine Liebe zu ihr aufgegeben hat. „Dein Lieben muss mir hoch entgelten für das, was ich um dich verließ“. Das ist – heidnische und nicht christliche – Märchenlogik, welche die Liebe als Gegengabe zum Tausch für eine geleistete Gabe einfordert. Erinnern wir uns hier an das Volksmärchen: Die Vögel in Hänsel und Gretel werden zu lebensrettenden Helfern als Dank für die Brotkrumen, die sie von Hänsel bekommen haben. Wahre Liebe jedoch kann nicht in diesem Sinne „Dank“ einfordern, wie der Märchenheld Lohengrin es tut, sie ist nämlich eine Gabe, die sich verschenkt – ganz und gar ohne einen Lohn durch Tausch. Lohengrin hat sich mit dieser Interpretation der Liebesgabe als ein Tauschverhältnis entlarvt als einer, der für die Menschenwelt und die menschliche Liebe gar nicht taugt. Sein Rückzug in die menschenferne Welt des Grals ist damit nur konsequent. Das wiederum bedeutet eigentlich: Wagners selbstgesetzter religionskritischer Anspruch, die Götter in vermenschlichte Helden anthropologisch umzuschaffen, er ist im Falle seines Zeus-Lohengrin unfreiwillig gescheitert: Lohengrin gebärdet sich selbstherrlich wie ein Dämon, nicht wie ein gütig-liebender Mensch. Elsas Tabubruch enthüllt sich so letztlich als die dramaturgische Notwendigkeit, welche die Unmöglichkeit aufzeigt, dass sich Traumwelt und Wirklichkeit, Mythos, Märchen und die Wirklichkeit menschlicher Liebe wirklich zu so etwas wie in einer Ehe dauerhaft verbinden können. Elsa und Lohengrin scheitern also nicht einfach an Ortruds Intrige, das Sähen des Zweifels enthüllt nur die Wahrheit, dass sie von vornherein ein unmögliches Liebespaar sind.


    So ist Sharons überraschende Umdeutung des Schlusses dramaturgisch auch nur konsequent. Elsa behält die Farbe menschlicher Nähe, das Orange, während sich Lohengrin in den kühl-blauen Blaumann mit Zeus-Blitz zurück verwandelt, als der er zuerst erschienen ist. Sharon lässt Lohengrin entkräftet sterben, wie es der Märchenlogik entspricht: mit der Namensnennung erlischt die Magie. Ortrud rückt als Gefangene und Gefesselte auf dem Scheiterhaufen an die Stelle von Elsa. Und Elsa, sie stirbt nicht! Der Märchenheld verwandelt sich wie der Schwan in einen Prinzen in ein leuchtend grün gefärbtes Naturwesen, das Elsa endlich als ihren Gatten erkennt: „Mein Gatte! Mein Gatte!“ – aus der Klage um das Verlorene wird so die Erkenntnis gelungener Emanzipation. Lohengrin erfährt seine Auferstehung wie der Phönix aus der Asche, gewinnt die „Natur“ des „Rein-Menschlichen“, die er als Märchenheld nicht besaß. Wagners Geist und Philosophie wird von Sharon auf diese Weise gegen Wagners Textbuch-Buchstaben schließlich „verwirklicht“.


    Nur ein Werktreue-Anbetungs-Hammel könnte hier behaupten, Wagners Schluss werde damit „verunstaltet“. Denn Wagners Dramaturgie fordert in ihrer Unschärfe und Widersprüchlichkeit vielfältige Kritik nur so heraus. Wagner will das Ende als den Sieg des Christentums über das Heidentum erscheinen lassen. Das „Rein-Menschliche“, die Liebe und die mir ihr verbundene unbedingte Treue, wird von den heidnischen Intrigen der Welt verraten und dieser Verrat am Ende bestraft durch Trennungsschmerz und Tod. Nur: Ein wirklich christlicher, liebender Gott straft nicht – in Mahlers 2. Symphonie, der „Auferstehungs“-Symphonie, besteht die erlösende Botschaft bezeichnend darin, dass das göttliche Strafgericht ausfällt. Die Oper endet also dramaturgisch mit „heidnischer“ Märchenlogik, einem Tun-Ergehens-Zusammenhang, welcher für den nicht erfolgten Tausch von Heldentat und Liebesgabe den Tod als strafende Gerechtigkeit im Sinne einer das Unrecht ausgleichenden Opfergabe einfordert. Und dass Lohengrin bei Wagner zum Gral zurückkehren „muss“, zeigt, dass die von Wagner in das Märchen dramaturgisch eingebaute Legende des christlichen Helden überhaupt keine christliche ist, sondern wiederum eine heidnische, welche die eiserne Notwendigkeit des Schicksals über die Liebe und Gnade stellt. Was bei Wagner übrig bleibt als Heldisch-Unversehrtes, ist allein die deutsche Ideologie einer „fraglos vertrauenden Gefolgschaft“, wie sie vor dem Hintergrund des verlorenen deutschen Kaiserreichs der Wagner-Verehrer Paul Natorp Beethovens „Eroica“ ganz im Geiste des Lohengrin als deren „deutsches Wesen“ andichtete. Sharons emanzipatorische Umdeutung des Schlusses zeigt nicht mehr und weniger, wie werkimmanent dramaturgisch bodenlos dieser ideologische Überbau deutschen Heldentums bei Wagner selbst eigentlich ist. Es gehört zur Ironie der Wirkungsgeschichte, dass Wagner, der abscheuliche Antisemit, sich im Lohengrin so gar nicht scheute, selber das „Judentum in der Musik“, nämlich Mendelssohns Hochzeitsmarsch, musikalisch zu zitieren und schließlich 2018 von einem amerikanisch-jüdischen Regisseur inszeniert wird, der eben Wagner nicht „verunstaltet“, vielmehr „dekonstruiert“ im Sinne des französisch-jüdischen Philosophen Jacques Derrida: Dekonstruktion, das ist der kritische Humanismus eines Aufzeigens des Bedingten im Unbedingten, des Relativen im Absoluten, was nicht zur Sinnzerstörung, vielmehr zu einer deutend-belebenden Sinnverschiebung führt. :)


    Schöne Grüße
    Holger

  • Das ist ein entscheidender Punkt. Im Scheitern der Heldenfiguren liegt überhaupt das ganze dramatische Potential.

    Ja. Zustimmung, wobei mir das Wort Scheitern beinahe noch etwas zu beschönigend/heroisch rüberkommt. Viele Heldenfiguren schrumpfen in näherer Perspektive m.E. ziemlich kläglich. Und bei Wotan drängt sich Verdacht auf, dass er im Laufe der Walküre – neben seiner bereits vorhandenen Dussligkeit - zunehmend Züge eines vielbeschäftigt/termin-gestressten Bürgers annimmt. Lohengrin agiert äußerst armselig im 2. Akt und im 3. Akt dazu kleinkariert in seinem Bestehen aufs Tauschprinzip gegenüber Elsa.

    Beim Verdikt über Telramund und Heinrichs ("Vollhorst") melde ich aber Widerspruch an. Heinrich bewältigt die Chose letztendlich souverän. Vierundzwanzig Stunden nach seinem Eintreffen in Brabant ist die Lehensfrage geklärt, und er hat ein Kontingent Brabanter zur Heeresfahrt bekommen.

    Wir müssen uns ja da nicht einig sein. Im Gegentum. Dein Widerspruch finde ich fruchtbar, weil er beiträgt, aus ganz unterschiedlichen Erfahrungen, Deutungen sich der Chose zu nähern.
    An Heinrichs Souveränität hab ich weiterhin sehr große Zweifel. Das Gebet Lohengrins mit der Rückkehr von Gottfried kommt mir daher eher wie Deus ex machina rüber, damit die Chose überhaupt funzt.
    Seht da den Herzog von Brabant!
    Zum Führer sei er euch ernannt!

    Telramund als betrogener Betrüger (Wapnewski) hat doch wunderbare Passagen von Wagner bekommen, die ihn eben nicht desavouieren.

    Fetzige Mucke/Passagen haben auch z.B. Wotan und Marke; wobei bei letzterem Bassklarinette fast solistische Züge rüberwachsen lässt. Dennoch find ich beide Figuren letztlich als Trottel.

  • Fetzige Mucke/Passagen haben auch z.B. Wotan und Marke; wobei bei letzterem Bassklarinette fast solistische Züge rüberwachsen lässt. Dennoch find ich beide Figuren letztlich als Trottel.

    O Mann... ;(

    Beste Grüße vom "Stimmenliebhaber"

  • Die Sommernacht, die Neo Rauch für die ersten Szenen des zweiten Akts erfindet, ist eigentlich eine Eichendorffsche:


    Wolken ziehn wie schwere Träume -
    Was will dieses Graun bedeuten?


    Das fand ich sofort überzeugend, und das hat mich sehr für ihn eingenommen.

    Das finde ich auch - und Dein Hinweis auf Eichendorff ist sehr schön! :)

    Ironie geht den Opern von Wagner völlig ab. Das Komische, das er in den Meistersingern und im Siegfried stellenweise meisterhaft gestaltet, ist ganz und gar unironisch.

    Das glaube ich auch!


    Was die Helden angeht: Ich glaube, Wagners Schopenhauer-Lektüre ist insofern ein Einschnitt, als danach ein pessimistischer Zug bei ihm auftaucht. So sehe ich eine gewisse Umkehrung in der Dimension des Scheiterns. Siegfried scheitert - da kommt der Pessimismus Wagners durch - an der Welt und Gesellschaft. Bei Lohengrin, wo das pessimistische Motiv noch nicht da ist, scheitert umgekehrt die Welt an ihrem Helden, der sich aus der Welt zurückzieht.

    An Heinrichs Souveränität hab ich weiterhin sehr große Zweifel. Das Gebet Lohengrins mit der Rückkehr von Gottfried kommt mir daher eher wie Deus ex machina rüber, damit die Chose überhaupt funzt.
    Seht da den Herzog von Brabant!
    Zum Führer sei er euch ernannt!

    Er wird aber von Lohengrin als "großer König" und "Reiner" bezeichnet. Schlecht ist sein Ansehen also nicht. Was allerdings stimmt, ist, dass er vielleicht ähnlich dem preußischen König, der die Kaiserkrone 1848 ablehnte, eine gewisse Passivität hat und fremde Hilfe braucht. Ausdruck davon könnte sein, dass er nicht selbst entscheiden will, sondern sich auf ein Gottesurteil verlässt etc. Als Trottel würde ich ihn auch nicht bezeichnen - nur ist er kein machtvoller absolutistischer Herrscher mehr wie Ludwig XIV, was ja auch der politischen Realität des 19. Jhd. entspricht.


    Schöne Hrüße
    holger

  • Interessant hierzu ist Elke Ukena-Bests Aufsatz im wagner spectrum 1/2014, das Lohengrin zum Schwerpunkt hat.

    Ich habe die Seite gefunden, lieber Hans - das Inhaltsverzeichnis macht in der Tat sehr neugierig. Ich werde mal schauen, ob ich den Band hier aus der Bibliothek ausgeliehen bekomme. Dann schaue ich rein und bestelle ihn mir bei Königshausen Neumann, wenn ich feststelle, dass ich ihn unbedingt haben muss. :) Danke nochmals für den Hinweis! :hello:


    Liebe Grüße
    Holger

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  • Lieber Holger,
    Du hast mit Deiner ausführlichen Betrachtung der Inszenierung einen guten Schlußpunkt an dieses Gespräch gesetzt.
    Die Tatsache allein, daß man sich lange darüber austauscht und bei allen unterschiedlichen Gesichtspunkten Vergnügen an diesem Gespräch hat, spricht für die Arbeit, die Sharon, Thielemann, Rauch und die Sänger und Musiker abgeliefert haben.
    Mir hat von allen Deinen Assoziationen und Verweisen besonders die Verbindung zu Rumpelstilzchen gefallen: Als Anhänger einer heldischen Auffassung der Titelrolle (bin ich wirklich), mußte ich bei diesem Hinweis wirklich schmunzeln.
    Es grüßt Hans

    ..., eine spe*ifisch deutsche Kultur ist, jenseits der Sprache, schlicht nicht identifi*ierbar.
    -- Aydan Ö*oğu*

  • Du hast mit Deiner ausführlichen Betrachtung der Inszenierung einen guten Schlußpunkt an dieses Gespräch gesetzt.
    Die Tatsache allein, daß man sich lange darüber austauscht und bei allen unterschiedlichen Gesichtspunkten Vergnügen an diesem Gespräch hat, spricht für die Arbeit, die Sharon, Thielemann, Rauch und die Sänger und Musiker abgeliefert haben.
    Mir hat von allen Deinen Assoziationen und Verweisen besonders die Verbindung zu Rumpelstilzchen gefallen: Als Anhänger einer heldischen Auffassung der Titelrolle (bin ich wirklich), mußte ich bei diesem Hinweis wirklich schmunzeln.

    :D Lieber Hans, ich habe mir den Wagnerspectrum-Band (diesen und auch den über RT) bestellt und werde den Beitrag, auf den Du dankenswerter Weise hingewiesen hast, lesen. Dann melde ich mich nochmals als Schlusspunkt nach dem Schlusspunkt! :hello:


    Schöne Grüße
    Holger

  • Du hast mit Deiner ausführlichen Betrachtung der Inszenierung einen guten Schlußpunkt an dieses Gespräch gesetzt.


    Lieber Holger, lieber Hans,

    da ihr bereits den Schlusspunkt gesetzt habt, ist es für mich leicht nicht mehr in die Sachdiskussion einzusteigen. Wäre mir bei dieser Hitze auch zu antrengend gewesen. Erfreulich war das Niveau und vor allem die analytische, tiefgehende "Lohengrin" Deutung von Holger. Wollte man mitdiskutieren, wäre eine gründliche Auseinandersetzung mit Holgers Erkenntnissen, Thesen und Schlussfolgerungen die dazu berechtigende Voraussetzung. Also kann es nur weitgehende Annahme und Zustimmung sein, wenn nicht in die Diskussion eingestiegen wird. Holger und Hans Euch beiden herzlichen Dank für Eure ausgezeichneten "Lohengrin-Beiträge". Wenn so konkret anhand einer Inszenierung analysiert und begründet diskutiert wird, dann führt sich die nicht zu lösende Problematik: Werktreue oder Deutung? (gleich Neuinszenirung) - Moderne oder Tradition? - Grenzen der künstlerischen Freiheit? Machbares - oder nicht mehr zu Tolerierendes? selbst ad absurdum. Deshalb bitte mehr solche am Beispiel orientierte Diskussionen.

    Herzlichst

    Operus

    Umfassende Information - gebündelte Erfahrung - lebendige Diskussion- die ganze Welt der klassischen Musik - das ist Tamino!

  • da ihr bereits den Schlusspunkt gesetzt habt, ist es für mich leicht nicht mehr in die Sachdiskussion einzusteigen. Wäre mir bei dieser Hitze auch zu antrengend gewesen.

    Lieber Operus,


    das kannst Du doch gerne machen! :) Dann wird der Schluss eben zum "offenen Schluss", das fände ich sehr wünschenswert und würde mich sehr freuen! Bevor ich in den Urlaub entschwinde, ist noch ein bisschen Zeit. Ich hoffe der bestellte Wagnerspectrum-Band kommt diese Woche, damit ich den Ansatz von Hans besser verstehe!


    Die Kosky-Inszenierung der "Meistersinger" wäre auch noch lohnend, finde ich - aber dann erst nach meinem Urlaub. :hello:


    Schöne Grüße
    Holger


  • Lieber Holger,

    wir stehen kurz vor der Abfahrt nach Bayreuth. Meine Frau stellt schon die Festarderobe zusammen. Wir werden "Holländer", "Meistersinger" und "Parsifal" sehen. Wenn ich auf Deinen Beitrag im von Dir gesetzten "Lohengrin"- Niveau qualifiziert antworten soll, dann brauche in Zeit, die ich im Augenblick nicht habe.


    Herzlichst

    Operus

    Umfassende Information - gebündelte Erfahrung - lebendige Diskussion- die ganze Welt der klassischen Musik - das ist Tamino!

  • Wenn ich auf Deinen Beitrag im von Dir gesetzten "Lohengrin"- Niveau qualifiziert antworten soll, dann brauche in Zeit, die ich im Augenblick nicht habe.

    Macht ja nichts, lieber Operus! Die Zeit läuft uns nicht weg! Aufgeschoben ist nicht aufgehoben, wie man so schön sagt! :hello:


    Schöne Grüße
    Holger

  • wir stehen kurz vor der Abfahrt nach Bayreuth. Meine Frau stellt schon die Festarderobe zusammen. Wir werden "Holländer", "Meistersinger" und "Parsifal" sehen.

    Toll, dann viel Vergnügen - hatte ich doch vergessen zu wünschen! :D


    Liebe Grüße
    Holger

  • Falls jemand Die Sendung mit der Maus verpasst hat - hier ist sie:

    http://bit.ly/2GxLdZF


    Ich finde das einfach entzückend und sehr wertvoll. Meine Klasse (Zwölfjährige) geht im Herbst geschlossen in das Ballett Peter Pan in der Wiener Volksoper.

    Auch wenn wir nicht die Bayreuther Festspiele anpeilen, werde ich ihnen diese Folge zeigen - ihnen, von denen die meisten noch nie in einem Theater waren und auch gar nicht wissen, was das ist - damit sie sehen, was hinter den Kulissen so vor sich geht.

    Bitte bedenken Sie, dass lautes Husten - auch zwischen den Stücken - die Konzentration der Künstler wie auch den Genuss der Zuhörer beeinträchtigt und sich durch den Filter eines Taschentuchs o. ä. erheblich dämpfen lässt.

  • Und das Festspielorchester unter Thielemann spielt die Titelmelodie zur "Maus" - im Graben des Bayreuther Festspielhauses.

    Bitte bedenken Sie, dass lautes Husten - auch zwischen den Stücken - die Konzentration der Künstler wie auch den Genuss der Zuhörer beeinträchtigt und sich durch den Filter eines Taschentuchs o. ä. erheblich dämpfen lässt.

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