Hans Pfitzner - "Phönix aus der Asche?"

  • Hans Erich Pfitzner (* 5. Mai 1869 in Moskau; † 22. Mai 1949 in Salzburg) war ein deutscher Komponist, Dirigent und Autor politischer und theoretischer Schriften.


    LG

    Harald


    Freundschaft schließt man nicht, einen Freund erkennt man.
    (Vinícius de Moraes)

  • Hallo,


    ich habe heute erstmals in diesen Thread hineingeschaut und kann ein Buch empfehlen, daß sich mit Pfitzners Vita in Bezug auf den Nationalsozialismus auf sehr kompetente und faire Weise befasst:
    Sabine Busch: "Hans Pfitzner und der Nationalsozialismus", J.B. Metzler, Stuttgart, ISBN 9783476452887.


    Viele Grüße


    J.Schneider

    "Die Musik steht hinter den Noten" (Gustav Mahler)

  • Den Beitrag, den ich hier eingestellt hatte, habe ich gelöscht. Er war dumm und überflüssig. Ich hatte all die Beiträge zu diesem Thread nicht mitbedacht, die schon vorliegen.

  • Hans Pfitzner, * 5.5.1869 in Moskau als Sohn deutscher Eltern, † 22.5.1949 in Salzburg. Sein Vater war Geiger, später Musikdirektor in Frankfurt am Main, seine Mutter Pianistin.
    Pfitzner fühlte sich der Romantik verpflichtet, den Traditionen von Schumann, Brahms und Wagner sowie Eichendorff, dessen Lyrik ihn zu einer Reihe von Liedern inspirierte.



    LG

    Harald


    Freundschaft schließt man nicht, einen Freund erkennt man.
    (Vinícius de Moraes)

  • Hans Pfitzner war schon ein schräger Vogel. Da brennen in Deutschland die Synagogen und die braunen Machthaber machen sich daran, Europa in einen Weltkrieg zu stürzen, das setzt sich Pfitzner hin und komponiert eine melancholisch-lyrische Symphonie, die in ihrer an den Klassizismus gemahnenden Art vor allem auf einen Komponisten verweist: Felix Mendelssohn-Bartholdy. :S
    Das dürfte den Nazis - wenn sie es überhaupt zur Kenntnis genommen haben - nicht gefallen haben und auch die Nachwelt hat das Werk weitgehend ignoriert.


    Dabei ist es losgelöst vom historischen Kontext ein schönes Werk, das eine nähere Beschäftigung durchaus lohnt. Und in den Bambergern unter Werner Andreas Albert findet es auch kompetente Anwälte.

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  • Hans Pfitzner war schon ein schräger Vogel. Da brennen in Deutschland die Synagogen und die braunen Machthaber machen sich daran, Europa in einen Weltkrieg zu stürzen, das setzt sich Pfitzner hin und komponiert eine melancholisch-lyrische Symphonie, die in ihrer an den Klassizismus gemahnenden Art vor allem auf einen Komponisten verweist: Felix Mendelssohn-Bartholdy. :S
    Das dürfte den Nazis - wenn sie es überhaupt zur Kenntnis genommen haben - nicht gefallen haben und auch die Nachwelt hat das Werk weitgehend ignoriert.

    Na, wenn Pfitzner aus dem von Dir geschilderten Grund ein schräger Vogel war, dann war er nicht der einzige. Ich meine in einer Schostakowitsch-Biographie gelesen zu haben, dass Stalin über die Neunte von DS enttäuscht oder sogar erbost war - hatte er doch, nach dem Sieg über Nazi-Deutschland, aus diesem Grund etwas Grandioses, etwas mit gehörigem Tschinderassabum, die Neunte von Beethoven im Hinterkopf, erwartet. Doch DS wollte dem Generalissimus den Gefallen nicht tun.


    :hello:


    Nachsatz: Sollte ich mich geirrt haben, bitte ich alle Fans von DS um Entschuldigung...

    .


    MUSIKWANDERER

  • Nachsatz: Sollte ich mich geirrt haben, bitte ich alle Fans von DS um Entschuldigung...


    Nein, da mußt Du Dich nicht entschuldigen, das stimmt so. Schostakowitsch war allerdings ein Held für viele, die den Stalinismus innerlich ablehnten. Pfitzner hat es dagegen anscheinend geschafft, es sich es sowohl mit den Nazis als auch mit den Gegnern des braunen Regimes zu verscherzen.

  • Hans Pfitzner war schon ein schräger Vogel. Da brennen in Deutschland die Synagogen und die braunen Machthaber

    ...


    Pfitzner war aus einem ganz anderen Grund ein "schäger" (besser brauner?) Vogel.

    Wer die Musik sich erkiest, hat ein himmlisch Gut bekommen (gewonnen)... Eduard Mörike/Hugo Distler

  • Zit.: "Pfitzner war aus einem ganz anderen Grund ein "schäger" (besser brauner?) Vogel."


    Könntest Du so freundlich - und entgegenkommend - sein, lieber zweiterbass, diese Feststellung ein wenig zu konkretisieren und zu erläutern? Es würde mich sehr interessieren, worauf Du mit der Formulierung "aus einem ganz anderen Grund" abhebst.

  • Dazu habe ich schon gepostet, lieber Helmut Hofmann; wenn Du in der Suchfunktion Pfitzner und bei Autor zweiterbass eingibst, müsstest Du darauf stoßen.

    Wer die Musik sich erkiest, hat ein himmlisch Gut bekommen (gewonnen)... Eduard Mörike/Hugo Distler

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  • Das umstrittene Werk "Krakauer Begrüßung" wurde inzwischen übrigens zum Druck freigegeben (erhältlich u. a. hier). Prof. Dr. Johann Peter Vogel verfasste hierzu einen Text.


    Zudem gibt es nun eine erste Einspielung des WDR Sinfonieorchesters unter David Marlow (Dauer: 5:33; hier mehr dazu). Gehört habe ich sie aber noch nicht.

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Pfitzner war nicht nur erzkonservativ, sondern auch ein radikaler Kulturkämpfer (Stichwort: Schriften), sein Gedankengut war völkisch geprägt und er war ein übler Antisemit - das alles ist schon schlimm genug, aber ein Nazi auf Parteilinie war er dennoch nicht, die Nazis konnten mit dem Eigenbrötler relativ wenig anfangen, seine Kulturideologie war nicht die ihre. Also: Er war eine höchst problematische Persönlichkeit, aber kein klassischer "Brauner".

    Beste Grüße vom "Stimmenliebhaber"

  • Zit.: "wenn Du in der Suchfunktion Pfitzner und bei Autor zweiterbass eingibst, müsstest Du darauf stoßen."
    Hab ich getan, lieber zweiterbass, - bin aber dabei nicht klüger geworden.
    Also noch mal meine Bitte um eine Erläuterung Deiner obigen Bemerkung. Pfitzner ist mir als Mensch und Komponist eine wichtige Person der Musikgeschichte geworden, seitdem ich mich im Zusammenhang mit der Vorstellung seiner Lieder hier im Forum auch näher mit seiner Biographie befasste.
    Und mir scheint: Man fällt allzu leicht plakative Urteile über ihn (womit ich selbstverständlich nicht Dich meine!).

  • Und mir scheint: Man fällt allzu leicht plakative Urteile über ihn (womit ich selbstverständlich nicht Dich meine!).

    Falls das in meine Richtung gehen sollte: Ich habe mich sehr intensiv mit Pfitzners Vita und Persönlichkeit auseinandergesetzt, indem ich zum Beispiel dieses Buch gelesen habe:


    http://www.olms.de/search/Detail.aspx?pr=2003081


    Solltest du wirklich ein Interesse daran haben, dein Pfitzner-Bild kritisch zu hinterfragen, kann ich dir dieses Buch nur empfehlen, wo wirklich alle nur denkbaren Quellen zusammengetragen sind, die für sich sprechen, und zwar eine deindeutige, klare Sprache!


    P.S.: Meine Einschätzung vom Menschen Pfitzner, die auf dieser Beschäftigung fußt, ändert übrigens nichts daran, dass ich einige Werke von ihm sehr mag - bei Wagner ist es ja ganz ähnlich.

    Beste Grüße vom "Stimmenliebhaber"

  • Zit.: "kann ich dir dieses Buch nur empfehlen,"
    Ich kenne es. Und nicht nur dieses.
    Ich sagte doch: Ich habe mich mit der Biographie Pfitzners befasst. Und für mich als Historiker muss das immer heißen: gründlich.

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  • Pfitzner war übrigens nie NSDAP-Mitglied und wollte beim Antisemitismus Ausnahmen zugelassen haben, Ausnahmen, die Musiker betrafen. Daraus entwickelte sich sogar bei Hitler persönlich der Verdacht, Pfitzner könne selbst jüdische Wurzeln haben. Es wurde tatsächlich eine heimliche Untersuchung angestellt, die wohl zu keinen konkreten Ergebnissen kam, den Verdacht aber auch nicht völlig ausräumte. Trotz seiner strammen nationalsozialistischen Gesinnung blieb Pfitzner den meisten Machthabern suspekt. Sie mochten ihn nicht, weil er sich bei jeder Gelegenheit anbiederte, was selbst Hitler nicht beeindruckte. Bereits 1933 schrieb der Komponist an den Reichkanzler einen Brief mit der Aufforderung, seinen Werken mehr Beachtung zu schenken. Dem Schreiben war gleich eine Liste von Aufführungsterminen beigefügt. Die Reaktion aus der Reichklanzlei war kurz und kühl. Solche Annäherungsversuche wiederholten sich und wurden schließlich als Belästigung empfunden. Pfitzner wurde bespitzelt. Man traute ihm nicht. Als sich der sehr linientreue und eingefleischte Nazi Wilhelm Rode, Bariton und Intendant der Deutschen Oper Berlin, weigerte, Pfitzners Opern aufzuführen, platzte dem der Kragen. Er erging sich gegen Verdi, den Rode an seinem Haus letztlich bevorzugte. In OTHELLO "mordet zum Schluss ein Angehöriger der schwarzen Rasse ein blondes, arisches Weib", so Pfitzner. Dieser Schwachsinn ist wirklich ohne Beispiel. Wie so oft bei Pfitzner, der unter Verfolgungswahn litt, hatte auch dieses Vorkommnis seine Vorgeschichte. Bei einer Vorstellung von PALESTRINA 1930 wollte Pfitzner Rode als Borromeo nicht haben, weil er ihn "nicht schätze". Er sei unsicher und singe die Partie nicht gern. Das muss Rode zu Ohren gekommen sein. Und er hatte es nicht verhgessen.


    Joseph II. sei Dank für die Hinweise auf die "Krakauer Begrüßung". In dem verlinkten Text taucht ja auch Richard Strauss auf, der seinerzeit Hans Frank mindestens ein ganz kurzes Lied mit einem eigenen Text widmete, in dem dieser sogar namentlich genannt wird.

    Es grüßt Rüdiger als Rheingold1876


    "Was mir vorschwebte, waren Schallplatten, an deren hohem Standard öffentliche Aufführungen und zukünftige Künstler gemessen würden." Walter Legge (1906-1979), britischer Musikproduzent

  • fitzner war übrigens nie NSDAP-Mitglied und wollte beim Antisemitismus Ausnahmen zugelassen haben, Ausnahmen, die Musiker betrafen.

    Das stimmt: Er wollte selbst entscheiden, wer Jude ist und wer nicht. Ein nichtjüdischer progressiver Komponist wurde für ihn zum "Kulturjuden", ein jüdischer Künstler auf seiner Linie hingegen zum "Ehrenarier". Ob es das nun besser macht, weiß ich nicht.


    Trotz seiner strammen nationalsozialistischen Gesinnung blieb Pfitzner den meisten Machthabern suspekt.

    Ich finde, von "strammer Gesinnung" kan man da nicht wirklich sprechen, weil dazu noch einiges mehr gehört: Unterordnung unter den Führer, den bewussten Eintritt in die Partei (du hast ja serlbst darauf hingeweisen, dass Pfitzner kein NSDAP-Mitglied war), also auch wirklich bedingungslose Unterodnung, Einreihung in die Masse, und dafür war Pfitzner viel zu eigensinnig. Auch seine von der Rassenlehre abweichende Einteilung der Menschen in Juden und Nichtjuden relativ unabhängig von ihrer Abstammung ist so ein Indiz, dass er keine "stramm nationalsozialistische Gesinnung" hatte.

    Beste Grüße vom "Stimmenliebhaber"

  • Hallo Helmut Hofmann,


    das ist der Beitrag den ich meine - ich habe ihn zwar noch nicht hier gefunden (ich suche ihn hier noch), aber er ist in meinem PC als Forenbeitrag gespeichert:



    "Hallo,


    bestimmte Teile aus Helmut Hofmanns Beitrag Nr. 7, für die ich mich persönlich bedanke, möchte ich ergänzen und Folgendes sehe ich absolut nicht als seine Meinung.
    Immer wieder ist die Meinung zu hören, viele Menschen haben „ach zwei Seelen in ihrer Brust“ und es dürfe nicht nur stets auf die problematische Charakterseite gesehen werden.
    Diese Sichtweise übertragen auf den „GRÖFAZ“: Er war musik-, tier- und kinderliebend, hat die Familie hoch gehalten („Mädchen…, der Führer braucht Soldaten“), hat mit dem Autobahnbau begonnen, hat die Arbeitslosigkeit beseitigt, es gab „KdF“, der Jugend wurde bei „BdM“ und „HJ“ eine „sinnvolle“ Freizeitbeschäftigung geboten usw. usw. – also „gar so schlecht kann er (es) ja doch nicht gewesen sein!“
    Aber wer noch zur Zeit der NS-Prozesse in Nürnberg an die dort Angeklagten Ergebenheitsadressen schrieb, wie das Pfitzner getan hat, beweist damit eine ….(ohne Adjektiv) geistige Nähe zu verbrecherischen Ideologien, die naiv begründet sein mag, aber macht sie das entschuldbar?
    Es bleibt die Frage, ob gewisse Größen in der deutschsprachigen Musikszene sich mit dieser Sicht gedanklich auseinander gesetzt haben?
    Viele Grüße
    zweiterbass"

    Wer die Musik sich erkiest, hat ein himmlisch Gut bekommen (gewonnen)... Eduard Mörike/Hugo Distler

  • Ändert all dies was an seiner Bedeutung als Komponist? Seinen Palestrina, seine Rose, seinen Heinrich finde ich weder von Strauss, noch gar von anderen gleichzeitigen Komponisten a6ch nur annähernd erreicht!

  • Davon war auch nicht die Rede - es ging um den "schrägen" Vogel!

    Wer die Musik sich erkiest, hat ein himmlisch Gut bekommen (gewonnen)... Eduard Mörike/Hugo Distler

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  • Pfitzner war übrigens nie NSDAP-Mitglied und wollte beim Antisemitismus Ausnahmen zugelassen haben, Ausnahmen, die Musiker betrafen.

    So dachte ein Herrmann Göring aber auch: "Wer Jude ist und wer nicht bestimme ich!"


    Das nur als kleine Anmerkung zu dem natürlich sehr komplexen Thema. :hello:

  • Danke, lieber zweiterbass!


    Diesen Beitrag von Dir hatte ich nicht gefunden. Jetzt hat sich geklärt, was Du mit der Formulierung "aus einem ganz anderen Grund" gemeint hast.

  • Ich habe gerade die erste Symphonie von Hans Pfitzner kennengelernt, die 1932 entstandene cis-Moll Symphonie. Dabei handelt es sich um eine Umarbeitung des Streichquartetts op. 36 für Orchester. Das hört man allerdings überhaupt nicht, denn das Werk wurde nicht als Streichersymphonie umgeschrieben, sondern für ein volles Orchester instrumentiert. Das viersätzige Werke ist knapp 40 Minuten lang. Ein überhaupt nicht auftrumpfendes, sondern eher vergrübeltes Werk, das derartig viele schon beim ersten Hören eindrucksvolle Passagen enthält, dass ich mir ziemlich sicher bin, dass ich es nach mehrfachem Hören sehr hoch einschätzen werde.

  • Erstbegegnung mit dieser Vokalphantasie, die Hans Pfitzner 1929 als Reaktion auf den Tod seiner ersten Frau schrieb. 8 Sätze auf Gedichte von Michelangelo, Goethe, Conrad Ferdinand Meyer und Richard Dehmel, ein Satz ist rein Instrumental. Der eröffnende Chorsatz wird zum Ende wiederholt. Ein sehr herbes vom Expressionismus geprägtes Werk teils am äußersten Rande der Tonalität, das man sicher mehrmals hören muss, um es komplett zu erfassen.

  • Herute erreichte mich eine Leser-Anfrage, die ich an dieser Stelle weitergebe:


    Zitat

    Sehr geehrter Herr Schmidt,

    ich erlaube mir Sie auf diesem Wege um Hilfe zu bitten. In meinen Erinnerungen will es mir scheinen, als hätte ich irgendwo gelesen, dass Hans Pfitzner einmal gesagt habe, dass Musik sich aus Tönen und Rhythmen zusammen setze, die Form sie aber zur Kunst mache. Können Sie das bestätigen? Und können Sie mir bitte auch sagen, wie das Zitat genau heißt? Und können Sie mir bitte auch noch sagen, wo dies geschrieben steht?


    mfg aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



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  • In meinen Erinnerungen will es mir scheinen, als hätte ich irgendwo gelesen, dass Hans Pfitzner einmal gesagt habe, dass Musik sich aus Tönen und Rhythmen zusammen setze, die Form sie aber zur Kunst mache.

    Kein derartiges Zitat in Pfitzner-Büchern gefunden :( ?( Ich erinnere mich, dass Pfitzner Melodie als vertikales und Rhythmus und Klang als horizontales Element bestimmt.
    Pfitzner setzt den Einfall bzw. den Willen zum Einfall als zentrales Prinzip bzw. Agens (wobei einen Wille zum Einfall doch irgendwie widersprüchlich rüberkommt, weil Einfall eigentlich nicht intentional, nicht ganz in der Souveränität eines kompositorischen Subjekt verortet ?( ).
    Nur Mucke mit einsprechenden Einfall erfüllt – nach Pfitzner - überhaupt den Anspruch Kunst zu sein. Sie bedarf zwar der Form, aber die wäre gegen über dem Einfall bloß akzidentiell. Letztlich ist der Einfall ist die Basis, die sich die Form schafft.


    Die 6. Szene im Palestrina gibt diesem Gedanken quasi ästhetische Gestalt
    http://www.youtube.com/watch?v=o-_oGOv4q3c
    ~ 1:24:24


    https://www.google.de/url?sa=t…Vaw1r-k-q3G9zpVxT5wHbGBt0
    Seite 26


    Ohne Palestrina mit Pfitzner identifizieren zu wollen, könnte man darüber spekulieren, ob sich dahinter sowas wie reflexionsfeindliche Haltung Pfitzners verbirgt bzw. dass er gezielt seinen Brägen dagegen abdichtet, Kunstwerke (einschließlich solche, die er selbst komponierte) als höchst rationale und konstruierte Gebilde sehen zu müssen; sein Palestrina bildet in diieser Hinsiicht nämlich (ohne h) überhaupt keine Ausnahme :D :


    "...Doch des Bewußtseins Licht, das tödlich grelle,
    Das störend aufsteigt wie der freche Tag,
    Ist feind dem sußen Traumgewirk, Dem Künsteschaffen;
    Der Stärkste streckt vor solcher Macht die Waffen... "


    vielleicht findet jemand was Plausibleres darüber..

  • Betr.: Die von Alfred Schmidt hier eingebrachte Frage eines Lesers:
    „In meinen Erinnerungen will es mir scheinen, als hätte ich irgendwo gelesen, dass Hans Pfitzner einmal gesagt habe, dass Musik sich aus Tönen und Rhythmen zusammen setze, die Form sie aber zur Kunst mache“


    Pfitzner hätte das – vermutlich – so nicht formuliert, aber in ihrem Kern entspricht diese Auffassung seiner Musikästhetik. Nur ist diese, da stark von Schopenhauer beeinflusst, ein wenig komplexer. Zugrunde liegt ihr das Theorem des „Einfalls“. Der „Einfall“ des musikalisch schöpferischen Menschen, des Komponisten also, bildet den Kern, gleichsam die Substanz und die Grundlage des musikalischen Kunstwerks und besteht nach Pfitzner aus „Ausdruck“ und „Bewegung“. Wenn man so will, kann man diese Begriffe mit denen im Zitat benutzten Begriffen „Töne“ und „Rhythmen“ in etwa gleichsetzen.


    „Musik“, so Pfitzner, „ist, da sie die Vereinigung jener zwei Ur-Elemente ist, einerseits durch und durch Ausdruck, andrerseits durch und durch Bewegung. Mit einem kühnen Gleichnis könnte man hinzusetzen: so, wie die Welt einerseits durch und durch Wille, andererseits durch und durch Vorstellung ist. Selbst beim kleinsten Stückchen (…) oder selbst nur Motiv, das man, künstlerisch betrachtet, als einen einzigen Ausdruck empfindet, ist die Bewegung nicht wegzuleugnen…“.
    Um zu einem musikalischen Kunstwerk zu werden, bedarf der „Einfall“ jedoch der „Gestaltung“, wie Pfitzner das nennt. Aus ihm geht dann die den „Einfall“ als musikalisches Werk konstituierende „Form“ hervor. Pfitzner benutzt dafür auch das Wort „Architektonik“ und führt aus:


    „Die Bewegungsgestaltung der Musik, ihre Architektonik, das, was wir die großen Formen nennen, ist keine so einfache und selbstverständliche Sache, weil sie uns jetzt vertraut ist; sie ist historisch geworden; und schwer geworden! Darin liegt das Sekundäre ihres Wesens und das (…) Akzidentielle, was hier historisch erkannt wird.“
    Die „Gestaltung“, bzw. Formung des Einfalls ist ein schöpferischer Akt, aber er knüpft an die dem Einfall innewohnenden formgebenden Strukturelemente an (wie ich das in meinen Begriffen ausdrucken möchte). Pfitzner unterscheidet diesbezüglich zwischen drei Gattungen oder Formen von „Einfällen“. Um ihn diesbezüglich zu zitieren:


    „Da ist zunächst die Art der Einfälle, die eine starke Tendenz zum Zurückbiegen und Schließen haben; die alles gleich aussprechen, zugleich die Form erledigend (Lyrik, Melodie).
    Dann eine andere Art, die, drastisch kurz und aphoristisch, breitbeinig dasteht, zur Homophonie und rhythmischer Prägnanz neigend, bereit, mit sich alles machen zu lassen, einen >Fluß< in sich nicht enthaltend, aber darauf angewiesen, mit Umformung in den „Fluß< der Musik aufgenommen zu werden (Motiv).
    Und eine dritte, die, mit vorwiegend melodischer Struktur, in sich eine eigene Entwicklungsmöglichkeit enthaltend, oft mehr zu versprechen als zu sagen scheint, mit der Neigung ins Weite zu schwimmen, mit großem Atem (Sinfonik, Melodie, Thema).“


    Ich denke, mit diesen Ausführungen und den Zitaten, die aus dem dritten Kapitel von Pfitzners Schrift „Die neue Ästhetik der musikalischen Impotenz“ genommen sind, dürfte hinreichend belegt sein, dass die „Erinnerungen“ des Lesers im wesentlichen zutreffend sind.

  • Pfitzners Schrift Die neue Ästhetik der musikalischen Impotenz. Ein Verwesungssymptom? von 1920 ist im wesentlichen ein Pamphlet gegen Paul Bekker und sein berühmtes Beethoven-Buch. Anders als der Bekker-Antipode August Halm, der ein wirklich geistvoller, scharfsinniger Musikschriftsteller ist (seine gesammelten Schriften wollte Th. W. Adorno herausgeben, wozu es aber nicht gekommen ist) und eine von Respekt geprägte und trotz aller Differenzen anerkennende Rezension des Bekker-Buches geschrieben hat, ist Pfitzners Stil der einer Polemik zudem mit weltanschaulich-nationalistischem, deutschtümelndem Einschlag, der in einer antisemitischen Tirade gegen den "Juden" Bekker endet, dem er "Hochverrat am Deutschtum" vorhält, weil er das internationale Judentum vertrete. Als Musikästhetiker kann man Pfitzner nur - ihn ironisch paraphrasierend - "Impotenz" bescheinigen. Er ist ein wirklich langweiliger Hanslick-Epigone und eklektischer Schopenhauer-Leser mit Tendenz zum schematischen Denken, das hinter Hanslicks herausragendes Niveau als Theoretiker und Ästhetiker weit zurückfällt. So verteilt Pfitzner "Form" und "Ausdruck" in der Musik auf die Elemente "Rhythmus" und "Harmonie" - die "Melodie" sei ja nur die Synthese von beiden. Das ist nicht nur grobschlächtig, sondern schlicht indiskutabel.


    Schöne Grüße
    Holger

  • Obwohl bereits 2010 erschienen, bin ich erst jetzt auf diese CD aufmerksam geworden:

    Sie enthält auch zwei Balladen, die ihre Berühmtheit eigentlich der Vertonung durch Carl Loewe verdanken: "Die Heinzelmännchen" nach August Kopisch und "Herr Oluf" nach Johann Gottfried Herder. Dass sich auch Pfitzner der - wie ich finde, zu unrecht - gern belächelten Heinzelmännchen angenommen hat, wusste ich bislang nicht. Pfitzner gelingt für mein Dafürhalten ein spukhaftes Meiststück, bei dem er sich nicht scheut, sogar ein musikalisches Zitat aus seinem "Palestrina" ironisch einzubauen. Für die unterschiedlichsten traditionellen Gewerke der Geschichte - Schneider, Fleischer, Bäcker, Küfer, Zimmerleute - findet er eine eigene bildhafte Sprache. Der Barition Hans Christoph Begemann liefert einen glänzenden Vortrag ab. Wie ich schon in einem Dietrich Fischer-Dieskau gewidmeten Thread ausführte, muss ich mich erst noch an den den Oluf von Pfitzner gewöhnen. Gefesselt bin ich aber vom Beginn. Es scheint, als stürze Herr Oluf auf seinem Pferd regelrecht ins Reich der Elfen hinein. Er kann und will nicht ausweichen. Er musst dorthin.

    Es grüßt Rüdiger als Rheingold1876


    "Was mir vorschwebte, waren Schallplatten, an deren hohem Standard öffentliche Aufführungen und zukünftige Künstler gemessen würden." Walter Legge (1906-1979), britischer Musikproduzent