Gerne würde ich einige Gedanken und Erlebnisse zu BWV 82 und generell der Aufführung Bachscher Vokalmusik teilen.Bei dem was ich mitteilen möchte, geht es ausnahmsweise einmal nicht um eine am Markt erhältliche Aufnahme, aber ich möchte doch gerne erzählen, dass ich gestern Abend für mich eine kleine Premiere feiern durfte:
Ich habe die Eingangsarie dieser Kantate gestern mit einem kleinen norwegischen Orchester einstudieren (den Kantor dieser Kirche mit der Einstudierungsarbeit entlastet...) und musizieren dürfen, wobei ich selbst das Orgelcontinuo aus der Partitur spielte. Mein Kollege Kantor ist dann später hinzugekommen und hat für uns dirigiert, was angesichts dessen, dass wir ein zusammengebuchtes und nicht etwa jahrlang aufeinander eingespieltes Ensemble waren, doch hilfreich war, z.B. beim Ritardando der zuletzt gesungenen Bassworte "Ich habe genug" vor dem Orchesternachspiel.
Was die Bachinterpretation angeht, sind wir uns zum Glück immer sehr einig und arbeiten diese im Vorhinein aus, auch durch Eintragungen in den Orchesterstimmen.
Erstaunlich war für mich, dass wir in kurzer Zeit ( vielleicht insgesamt eine Stunde) Probe mit dem Orchester und dem Sänger auf ein ziemlich gutes Ergebnis kommen konnten.
Die Musiker/innen waren sehr flexibel und für mich unerwartet stilbewusst.
Wir konnten die Todesschlaf-Figuren in den Streichern herausarbeiten, mit den weichen Akzenten auf den Synkopen auf der Zählzeit 3, das schwebend-wiegende Bogenvibrato mit der schwerpunktmässigen Betonung der 1 in der Viola und dem Violoncello und darüber der Dialog der Oboe mit dem Gesangs-Bass, der aus einem wiegenden Siziliano-Motiv und ausgeschriebenen Ornamenten besteht.
Zwischendurch gibt es noch die dynamisch stark auf die nächste Eins hinführenden Dreiklangs-Arpeggien der Streicher bei der Textstelle " ich habe den Heiland, das Hoffen der Frommen, auf meine begierigen Arme genommen".
Diese Figuren drücken für mich eine aus der Tiefe der Seele kommenden Freude und Hoffnung inmitten der Todes-Schläfrigkeit des ersten Satzes aus.
Gerade die Mischung von eigentlich freudigen Nebenaffekten ( die durch entsprechende Figuren den Text erläutern, kommentieren) in den sehr ernsten Hauptaffekt der Todes-Sehnsucht ist für mich besonders charakteristisch für Bachs unvergleichliche Kompositionskunst und für sein Ausdrucksvermögen.
Für eine CD-Aufnahme wäre es sicherlich zwar gut gewesen, das eine oder andere Detail noch deutlicher auszuarbeiten, aber insgesamt war es doch schon so, dass selbst ich damit recht zufrieden war, was mich selbst überrascht.
Wir haben mit heutigen Instrumenten in normaler Stimmung gespielt, was aber nicht heisst, dass es nicht doch auch ziemlich "HIP" im Sinne des Sprechens in Tönen war.
Ich muss ehrlich sagen, dass eine Aufführungen von Bachs geistlichem Vokalwerk für mich zum Schönsten gehört, was man überhaupt machen.
Da fühle ich mich so, als würde ich in einen Raum eintreten, der den Kern der Musik selbst darstellt. Wenn die Aufführung denn gelingt, kenne ich für mich nichts Erfüllenderes.
Wir planen nun, in 2-3 Jahren eine Aufführung der Johannespassion zu realisieren und hoffen, dies auch finanziell darstellen zu können.
Meine Aufgabe wird es sein, jede Stimme der Partitur durchzuarbeiten, vorbereitend einzurichten, insbesondere die Rezitative mit der Continuogruppe und den Sängern einzuarbeiten, der richtigen deutschen Aussprache zu ihrem Recht zu verhelfen und natürlich die Continuo-Orgel zu spielen.
Wir wollen versuchen, eine wirklich gutes und hohes Interpretationshiveau hinzubekommen.
Da Probenzeit Geld kostet, kommt es bei diesem Ziel auf die Vorarbeit und die Probenorganisation an.
Durch den langen Vorlauf hoffe ich, dass wir neben unseren normalen Musikdiensten diese Herausforderung bestehen können.
Angesichts des schönen und ermutigenden Erlebnisses des gestrigen Abends mit BWV 82 freue ich mich jedenfalls schon sehr darauf.
Glockenton