Was ist dran an Karajan? - Versuch einer Analyse

  • Seit 2004 läuft dieser Thread nun hier - mit unterschiedlicher Beteiligung - all die Jahre hindurch.
    Und man könnte davon ausgehen, daß nun zu diesem Thema schon alles gesagt wurde.
    Aber mitnichten


    Auf eine Bemerkung des Musikjournalisten Axel Brüggemann in einem Interview mit Christian Thielemann - (http://www.osterfestspiele-salzburg.at/) - dass Karajans Art zu dirigieren eine Zeit lang aus der Mode gewesen zu sein schien, antwortete dieser:


    Zitat

    Für Leute, die sich mit Musik auskennen, war Karajan nie aus der Mode. Und wissen Sie warum? Weil er es einfach konnte! Weil er präzise war. Weil er ein erstklassiger Handwerker war. Ein Vorbild für jeden Dirigenten!


    Das Statement ist länger, deshalb gibt es in diesem Beitrag einen Link auf die entsprechende Seite


    mit freundlichen Grüßen aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Ich finde ja, daß man Karajans Rang als großer Dirigent im ausgezeichneten Sinne nicht bestreiten kann. (Das sage ich als jemand, der gerade kein enthusiastischer Anhänger von Karajan ist!) Er konnte ein Orchester erziehen und nach seinen Klangvorstellungen formen, hat eine eigene Ästhetik des Orchesterspiels geschaffen. Und er war ein absoluter Perfektionist im handwerklichen Sinne. Das können bzw. haben nur ganz, ganz wenige! Woran man sich reibt und auch reiben kann ist eben diese Karajan-Ästhetik. Das ist aber finde ich kein Grund, gehässig zu werden gegenüber dem Phänomen Karajan. Da werden auch Dinge transportiert (Jet-Set usw.), die mit der Musik wenig zu tun haben.


    Schöne Grüße
    Holger

  • Zitat

    Woran man sich reibt und auch reiben kann ist eben diese Karajan-Ästhetik


    Das wäre schon fast wieder einen neuen Thread wert - aber im Augenblick finde ich dieses Thema hier ganz gut aufgehoben.


    Es war doch - seien wir ehrlich - gerade Karajans Ästhetik die ihn berühmt machte - weil sie die Ästhetik der fünfziger, sechziger und siebziger Jahre des 20. Jahrhunderts war. Anders wäre wohl ein handwerklich guter Mitteklasse-Dirigent aus ihm geworden.
    Diese leicht schönfärberische Ästhetik ist eigentlich eine österreichische (wienerische?). Daß er sie mit einem der damals berühmtesten deutschesten Orchester realisiert hat ist schon bemerkenswert.


    Prinzipiell ist es ja so, daß diese Ästhetik von Klassikhörern (zumindest in Österreich) noch jahreland nach seinem Tod bevorzugt wurde - und teilweise heute noch wird. Universal Klassik ist ja nun wirklich kein kulturelles Wohlfahrstunternehmen.
    Umsonst bringen die nicht eine "Karajan-Edition" nach der anderen heraus - immer die Angst im Nacken ihr Zugpferd Nr. 1 könnte eines Tages könnte eines Tages seine Zugkraft einbüssen - Aber derzeit ist das noch nicht absehbar.....


    mit freundlichen Grüßen aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Es war doch - seien wir ehrlich - gerade Karajans Ästhetik die ihn berühmt machte - weil sie die Ästhetik der fünfziger, sechziger und siebziger Jahre des 20. Jahrhunderts war. Anders wäre wohl ein handwerklich guter Mitteklasse-Dirigent aus ihm geworden.


    Eine solche Aussage von dir, lieber Alfred? - Ich gebe zu, du überrascht mich!


    Aber dieser Gedanke ist durchaus nicht unberechtigt: Was wäre aus Karajan zu Zeiten eines Levi, von Bülow oder Mahler (als Dirigent genommen) geworden? Hätte er trotzdem das Zeug für eine internationale Karriere gehabt? Oder wäre es doch nur beim Stadttheater geblieben?

    mfG Michael


    Eine Meinungsäußerung ist noch kein Diskurs, eine Behauptung noch kein Argument und ein Argument noch kein Beweis.

  • Ich weiss nicht was hier überraschend sein soll.
    MEIN Lieblingsdirigent war ja nicht Karajan - sondern Karl Böhm.
    Ich wurde hier nur zum "Anwalt Karajans", weil ich in etwa weiss WESHALB er heute kritisiert wird, bzw versucht wird ihn zu "demolieren".
    Er hat sich nie für die Moderne eingesetzt - sondern vorzugsweise "Museales" dirigiert.
    Er hat seine Karriere stets als das Maß aller Dinge gesehen - unabhängig von den politischen Rahmenbedingungen.
    Er hat seine Karriere nach Kriegsende - nach einer kurzen Zeit des Berufsverbotes - sofort wieder fortsetzen können,
    Wobei Walter Legge eine entscheidende Rolle spielte. Legge setzte alle seine Macht ein um das Berufsverbot Karajans zu umgehen.
    Über eine Schweizer Subfirma der britischen Columbia wurde der Wiener Musikverein angemietet und wurde zum "exterritorialen Gebiet" erklärt. Karajan durfte zwar nicht auftreten - aber er dirigierte hinter verschlossenen Türen. Blieb nur noch das Problem des Stromes, der in jener Zeit ständig Störungen unterworfen war und oft sogar ausfiel. Legge löste das Problem, indem er eigene Aggregate zur Stromerzeugung organisierte UND das notwendige Benzin hierfür über die Alliierten bezog. Ein Spagat ohnegleichen. 1947 setzte er dann zusätzlich noch die Aufhebung des Berufsverbots für Karajan - die beiden nannten sich in der Zwischenzeit "Freunde" - durch.
    Anschließend nahm Karajans Karriere einen glänzenden Verlauf - Politiker und Kritiker buckelten vor ihm gleichermaßen. Und als die EMI - nachdem Legges Einfluss geschwunden war - Karajan ziehen ließ - übernahm ihn die Deutsche Grammophon Gesellschaft mit Handkuss und tausend Freuden.
    Solch eine Karriere war naturgemäß, die ihre Favoriten durch Karajan verdrängt sahen, ein Dorn im Auge - und man begann über Karajans Vergangenheit zu schreiben. Eigenartigerweise interessierte sich aber kaum jemand dafür - so groß war Karajans Ruhm. So wartete man seinen Tod ab um anschließend an seiner Kompetenz in Geschmacksfragen zu äußern. Das ging - man verzeihe die saloppe Formulierung - erneut in die Hose, denn aus dem "Dirigentenpapst" Karajan war inzwischen ein "Heiliger" geworden - und die sind bekanntlich sacrosanct.



    Zitat

    Was wäre aus Karajan zu Zeiten eines Levi, von Bülow oder Mahler (als Dirigent genommen) geworden? Hätte er trotzdem das Zeug für eine internationale Karriere gehabt?

    Genau kann man das natürlich nicht sagen, aber ich denke schon.
    Es ist ja zu wenig, "gut" zu sein" -
    Es ist fast noch wichtiger zur rechten Zeit das Richtige zu tun, darauf zu achten, daß es auch bemerkt wird, und die richtigen Verbindungen zu pflegen. Über diese Fähigkeiten verfügte Karajan weitgehend - und der Erfolg wäre (vermutlich) auch unter anderen Rahmenbedingungen nicht ausgeblieben.....


    PS: Ein Teil von Karajans "Klangästhetik" ist der DGG "anzulasten" bzw "deren Verdienst" - je nach Standpunkt....


    mit freundlichen Grüßen
    aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Lieber Alfred,


    ich kann Dir weitgehend folgen, aber stimmt das


    Er hat sich nie für die Moderne eingesetzt - sondern vorzugsweise "Museales" dirigiert


    denn wirklich?


    Es gibt durchaus Aufnahmen Karajans von Orff (De temporum fine comoedia, allerdings bezeichnenderweise seit langem vergriffen) oder Webern, Schönberg und Berg.



    :hello:

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • OK
    Aber über alles gesehen war es doch eher marginal.
    Wobei ich mir die boshafte Bemerkung leider nicht verkneifen kann, daß Carl Orff vermutlich nicht auf der Wunschliste der "Vertreter der Moderne und der Avantgarde" gestanden haben dürfte...... :hahahaha:


    mfg aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Es war doch - seien wir ehrlich - gerade Karajans Ästhetik die ihn berühmt machte - weil sie die Ästhetik der fünfziger, sechziger und siebziger Jahre des 20. Jahrhunderts war. Anders wäre wohl ein handwerklich guter Mitteklasse-Dirigent aus ihm geworden.

    Ich würde das anders ausdrücken, lieber Alfred: Karajan hat das entworfen, geradezu "gemacht", was wir heute für die Ästhetik der fünfziger bis siebziger Jahre halten. Diese existiert ja nicht irgendwo im Niemandsland "an sich", sondern wird "konstituiert" von prägenden Persönlichkeiten wie Karajan es war. Daß Karajan diese dominierende Stelle und Machtposition bekommen konnte im Musikleben Mitteleuropas (Berlin, Wien, Salzburg, London, Mailand) und auch in der Wertschätzung, hat durchaus viele Faktoren und Ursachen. Aber wenn er nicht diese überragende künstlerische Qualität gehabt hätte, dann wären auch die anderen Faktoren niemals ausreichend gewesen, um ihm diesen Rang zu verschaffen. Man darf doch nicht vergessen: Er war der Nachfolger von Furtwängler. Um dessen Platz einzunehmen, muß man schon etwas können. Natürlich gab es auch in dieser Zeit ästhetische Alternativen zu Karajan, beispielsweise Pierre Boulez. Das ist ein ganz anderer Stil vom Dirigieren und Typ von Dirigent. Ich bin wie gesagt nie der große Karajan-"Fan" gewesen und habe auch eher andere Dirigenten bevorzugt.


    Schöne Grüße
    Holger

  • Mir ist vollkommen klar, dass das Folgende zu höchst problematischen Missverständnissen führen kann, aber vielleicht funktioniert es ja trotzdem:


    Wenn man über den Karajanschen Ästhetikbegriff spricht, so drängt sich mir oftmals der Vergleich mit Leni Riefenstahl auf. Ich meine dies vollkommen unabhängig vom jeweiligen politischen Hintergrund beider Lebensläufe!. Nicht nur, dass beide m.E. überhaupt die Absicht hatten, eine gewisse Ästhetik in ihrer jeweiligen Arbeit zu implementieren. Z.B. auch die von Karajan inszenierten visuellen Aufnahmen ähneln m.E. der Ästhetik Riefenstahls. Bitte nochmals, dieses vollkommen wertfrei zu verstehen! Es geht mir nicht um die Verurteilung der einen oder der anderen Ästhetik. Mich würde vielmehr interessieren, ob ich dieser Vergleich auch anderen hier sinnvoll erscheint oder er doch vollkommen abseitig ist?

    mfG Michael


    Eine Meinungsäußerung ist noch kein Diskurs, eine Behauptung noch kein Argument und ein Argument noch kein Beweis.

  • Zitat

    Mich würde vielmehr interessieren, ob ich dieser Vergleich auch anderen hier sinnvoll erscheint oder er doch vollkommen abseitig ist?


    Ich hoffe, dich nicht heute bereits das 2. Mal zu überraschen:
    Ja - der Vergleich ist durchaus sinnvoll - (und man könnte das Thema durchaus erweitern)
    Aber das Thema ist heikel und bedarf großer Diziplin
    WENN es gewünsch wird - so empfehle ich dringend hiezu einen eigenen Thread mit zugkräftigem Titel zu starten - weil dieser hier sonst den thematischen Hauptstrang verlassen würde


    Lg
    aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Banner Trailer 2 Gelbe Rose
  • Während hier schon von mir unbemerkt das Thema Karajan wieder aufgegriffen wurde, habe ich in den letzten Tagen neben viel eigenem Üben und Studieren mir Bruckners 8. und 9. angeschaut/angehört, und zwar in Karajans Interpretation mit den Wiener Philharmonikern.
    Im Thread "was sehe ich zur Zeit auf DVD" habe ich vor einigen Tagen dazu etwas geschrieben, und hoffe es ist in Ordnung, wenn ich mich hier einmal ausnahmsweise selber zitiere:


    Tatsächlich gelingt es ihm (Karajan) mit seiner an Art Musik zu zelebrieren (das Wort "dirigieren" reicht irgendwie nicht) ein transzendentes, nicht wirklich erklärliches Zusammensein mit dem Orchester zu erlangen. Er muss nicht mehr alles Mögliche vorzeigen, denn es scheint an den besten Stellen eine Verschmelzung der Gedanken der Ausführenden mit dem Dirigenten stattzufinden. Seine Konzentration und sein enormer Wille ist derart präsent, dass er eigentlich nie im Laufe der Aufführung nachkorrigierend eingreifen muss. Er will etwas, macht vorab seine Einsätze, seine Gestik und Zeichen, und dann kommt es, und es ist gut. Es gibt kein Versuchen und keine Zweifel.


    Natürlich gibt es immer Sachen, die man einmal von dem, von dem Anderen und dann wieder von Karajan am besten findet, aber eines muss ich doch sagen: Er war innerhalb der Berufsgruppe Dirigent ein sehr singuläres Ereignis. Als er die Kirche (in Österreich)..betrat, schien vorher klar zu sein, dass das Publikum miterleben wird, wie gerade Interpretationsgeschichte geschrieben wird.


    Erklären kann und will ich das nicht, aber es fällt mir deutlich auf.



    Von der Aufführung der 9. Bruckners, die im traditionsreichen grossen Saal des Wiener Musikvereins unter seiner Leitung stattfand, habe ich ebenfalls einen sehr guten Eindruck.
    Diese absolute Hingabe, diese Ernsthaftigkeit und vor allem diese superbe Orchesterklangqualität (die DVD hat eine ausgezeichnet luftig und aufgelöst klingende PCM-Spur, die eine Beurteilung derselben über meinen Kopfhörer sehr gut möglich macht) fasziniert doch sehr.


    Ich spreche übrigens von dieser DVD:





    Natürlich ist es so - und das wurde glaube ich schon früher im Thread angesprochen- dass Karajan sein persönliches Konzept, seine Mittel und seine Ästhetik hat. Wenn die Musik dazu passt, und andere Faktoren ebenfalls vorhanden sind - wie dieses transzendierende Verschmelzen des Orchester mit dem Dirigenten der mit geschlossenen Augen den Klang formt - dann konnte es zu absoluten Sternstunden kommen, zu Ergebnissen die bis heute einzigartig und unübertroffen sind. Beispiele hierfür sind z.B. seine Beethoven Nr. 3 (Eroica), gerne in der letzten DG-Aufnahme. Vor kurzem hörte ich eine Eroica-DG-Einspielung des von mir ebenfalls sehr verehrten Böhm und musste hier einfach zur Kenntnis nehmen, dass diese Dramatik, dieser greifbare Klang, dieses Mitreissende in doch erheblich stärkerem Umfang bei Karajan zu hören ist, obwohl Böhm das in typischer Weise mit Deutlichkeit und klassischer Ausgewogenheit interpretierte. Erschwerend kam für die von mir gehörte Böhm-Aufnahme hinzu, dass sie klangtechnisch zwar schon stereo, ansonsten aber doch schon bald historisch klang, also überhaupt nicht mit der Karajan-Produktion mithalten konnte.
    Es gibt eine ganze Reihe von Aufnahmen, bei denen ich bis heute nicht sagen kann, dass ich eine andere Aufführung gleich gerne höre. Aber natürlich gibt es auch Aufnahmen, bei Karajans Ansatz irgendwie gar nicht zur Musik passen will- doch darüber gehen ja bekanntlich immer die Meinungen auseinander.
    Ich lese ja immer mit schöner Regelmässigkeit, dass seine 6. von Beethoven so sehr gelungen sei. Dem kann ich hier nicht so recht folgen (bis aufs unerreichte Gewitter), weil ich finde, dass er irgendwie diesen Affekt des entspannten, heiteren Durchatmens eines Menschen in der Natur nicht wirklich verstanden hat bzw. den einfach nicht haben wollte. Es fehlt mir da das Poetische....vielleicht mag ich lieber die Vorstellung, wie ein reifer Mensch auf einem Baumstamm rastet und die herrliche Natur vor dem Hintergrund eines bewegten Lebens, das bereits hinter ihm liegt im Sinne eines Nach-Hause-Kommens erlebt und geniesst. Bei Karajan höre ich da immer noch den Ton eines energiereichen, jugendlichen Helden, der gut zur Eroica passt, aber nicht zur Pastorale.
    Möglich, dass Beethoven wenigstens dieses rasche Tempo Karajans wollte - ich finde es hier aber nicht so passend, wohlwissend, dass man für diese Meinung sowohl Zustimmung und Ablehnung ernten kann.



    Bevor ich auf diesen Thread stiess, sagte ich noch zu meiner Frau: "Es gibt nicht wenige Aufnahmen mit Herbert von Karajan, auf die ich im Leben niemals mehr verzichten könnte."
    Ja, ich würde schon sagen, dass ich ein Karajan-Bewunderer bin, allerdings nicht in dem Sinne, dass ich nun fanatisch sage, dass von dem immer alles am besten sei. In seinen guten, unwiederholbaren Momenten jedoch, geht mir nichts über sein Musizieren, und ich bin froh, dass ich seine Aufnahmen schon früh als junger Mensch kennenlernen durfte.



    Gruss
    Glockenton

    "Jede Note muss wissen woher sie kommt und wohin sie geht" ( Nikolaus Harnoncourt)

  • Wenn man über den Karajanschen Ästhetikbegriff spricht, so drängt sich mir oftmals der Vergleich mit Leni Riefenstahl auf.


    Selbst wäre ich wohl nicht auf diesen Vergleich verfallen. Nun, wo er ausgesprochen ist, kommt er mit ziemlich plausibel und gar nicht abwegig vor. Ich würde auch noch einen Schuss August von Platen beimischen wollen, damit der Vergleich nicht ganz so grell und exponiert ausfällt. Ich habe die Bilder ziemlich genau im Kopf, weil sie sich auch so leicht einhämmern. Ja, die Olympiafilme und die "verfilmte" Musik Karajans sind sich nahe. Letztlich auch in ihrer Seelenlosigkeit. Politische oder ideologische Aspekte würde ich bei dieser Betrachtung mal außen vor lassen. Das geht schon, wenn man nicht gleich etwas unterstellen will. Hier gilt's der Kunst. Seltsam finde ich, dass die Werbeindustrie noch immer von der Riefenstahl lebt, währen ich Karajan in seinem Versuch, der Musik auch einen bildhaft-filmischen Ausdruck zu geben, ästhetisch für total veraltet erachte. Ich kann diese völlig vorhersehbaren Filme - vor allem die Pastorale auf dem Lichtkreis - nicht mehr sehen. So ist Musik für mich nicht. Es muss auch ein Risiko dabei sein, etwas Unwägbares. Nicht nur dieser wunderschöne Drill. Dabei war Karajan ein so überragender Musiker. Die frühen und mittleren Aufnahmen möchte ich nicht missen. Allein seine "Cosi" und sein "Rosenkavalier" - beide mit der Schwarzkopf - hätten gereicht für die Unsterblichkeit. Noch einmal hat mich auch der alte Karajan beglückt. Nämlich mit seinem Wiener Neujahrskonzert, das allerdings auch stirbt vor Schönheit. Aber es war ein schöner Tod. Und er hatte vielleicht selbst schon eine Ahnung davon. Mein Eindruck ist, er kehrte zur Ehrlichkeit zurück.


    Gruß Rheingold

    Es grüßt Rüdiger als Rheingold1876


    "Was mir vorschwebte, waren Schallplatten, an deren hohem Standard öffentliche Aufführungen und zukünftige Künstler gemessen würden." Walter Legge (1906-1979), britischer Musikproduzent

  • Lieber Alfred,


    ich kann Dir weitgehend folgen, aber stimmt das



    denn wirklich?


    Ja, das stimmt im Prinzip. Ein paar Werke aufzunehmen heißt noch lange nicht, "sich für die Moderne einzusetzen". Betrachtet man sein Repertoire, stellt man fest, dass er noch sehr viel mehr zeitgenössisches dirigiert hat, aber nach dem Krieg zumeist nur in Festspielaufführungen, wo zeitgenössisches auf dem Programm stand oder gar Uraufführungen gegeben wurden. Es gab aber nur wenige moderne Werke, die Karajan in den Orchesteralltag übernahm und nach der Orff-Uraufführung gab es meiner Erinnerung nichts mehr modernes.

    Ciao


    Von Herzen - Möge es wieder - Zu Herzen gehn!


  • Ich lese ja immer mit schöner Regelmässigkeit, dass seine 6. von Beethoven so sehr gelungen sei. Dem kann ich hier nicht so recht folgen (bis aufs unerreichte Gewitter), weil ich finde, dass er irgendwie diesen Affekt des entspannten, heiteren Durchatmens eines Menschen in der Natur nicht wirklich verstanden hat bzw. den einfach nicht haben wollte.


    Ich muss zugeben, dass ich diesen Affekt auch nicht verstehen möchte. Für mich ist der erste Satz der Pastorale der Natur schlechthin gewidmet und nicht dem Menschen in der Natur (die Menschen treten eher im zweiten und vierten Satz auf). Ich habe die Karajanaufnahme aus den 1960ern und finde sie absolut überwältigend - gerade der erste Satz hat mich fast zu Tränen gerührt. Generell bin ich für Dirigentenidolatrie nicht zu haben, aber meine Karajanaufnahmen von Sibelius oder dem Ring des Nibelungen finde ich absolut fantastisch. Als Nicht-Wagnerianer interessiert mich nicht, ob die Aufnahmen eher "kammermusikalisch" seien oder nicht - die Vor- und Zwischenspiele sind absolut grandios interpretiert. Mein absoluter Liebling ist die Reise nach Nibelheim im Rheingold: da hat es mich beim ersten Mal Hören aus dem Sessel gerissen. Meine Vergleichsaufnahme, nämlich der Ring instrumental von Maazel, verblasst dagegen wie eine 500-jährige Tapete.


  • Ich darf hier noch einige absolute Topaufnahmen ergänzen, immerhin alles "Zeitgenossen" von HvK:



    Ich - für meinen Teil - finde das sogar mit seine besten Aufnahmen.


  • Über Karajan heutzutage objektiv zu schreiben, ist überaus schwierig geworden, weil jeder Dutzende von Bildern und biographische Details mit sich herumschleppt. Ich hätte mich früher auch zur Anti-Karajanfraktion gezählt, weil ich von diesem ganzen Zeug voreingenommen war, habe dann aber doch immer wieder hinreissende Aufnahmen gehört und nachdem ich die Biografie von Uehling gelesen habe, hat sich mein Bild etwas gewandelt.


    Karajan und seine Biographie sind ein typisches Produkt der Nachkriegszeit, ebenso wie die Geschichte der Callas. Die waren nur in dieser Zeit so möglich. Das waren vermutlich die ersten Klassiksuperstars, die es auch in die letzte und primitivste Provinzpostille geschafft haben und die für Ihr Tun von den einen vergöttert und von den anderen gehasst wurden. So etwas wäre heute gar nicht mehr möglich.


    An Karajans musikalischer Potenz kann keiner ernsthaft zweifeln, seine Ästhetik gerade im höheren Alter ist aber auch für mich problematisch. Aber er war einer der ganz großen Operndirigenten des 20. Jhdts und eine ganze Reihe seiner Aufnahmen sind nach wie vor erste Wahl (siehe weiter oben).


    Als Mensch hätte ich ihn sicher nicht gemocht, Karl Böhm - den alten Griesgram - auch nicht. Wer mal das Buch von Lebrecht "Der Mythos vom Maestro" gelesen hat, wird feststellen, dass die meisten Herren der Zunft (Damen gab es bis da kaum) keine "netten" Zeitgenossen waren. Ich war z.B. erstaunt, dort zu lesen, dass einige aus dem Umfeld von Bruno Walter - dem angeblich großen Humanisten - nach seinem Tod zu Protokoll gaben: Er war ein Schwein.



    Da fällt mir die Idee für einen neuen thread ein: Mit welchem Dirigenten lebend oder tot würdet Ihr am mal liebsten ein Bier trinken gehen.

  • Als Mensch hätte ich ihn sicher nicht gemocht, Karl Böhm - den alten Griesgram - auch nicht. Wer mal das Buch von Lebrecht "Der Mythos vom Maestro" gelesen hat, wird feststellen, dass die meisten Herren der Zunft (Damen gab es bis da kaum) keine "netten" Zeitgenossen waren. Ich war z.B. erstaunt, dort zu lesen, dass einige aus dem Umfeld von Bruno Walter - dem angeblich großen Humanisten - nach seinem Tod zu Protokoll gaben: Er war ein Schwein.


    Sie sollen nicht nett sein, sie sollen gut dirigieren, was die von Dir Genannten wirklich konnten. Das reicht mir. ;)


    Lieber lutgra, mit den Jahren habe ich da auch einiges gelesen. Niemand ist nur ein guter Mensch, und niemand ist nur ein schlechter Mensch. Auch Künstler nicht. Es geistert da immer wieder eine gewisse Sehnsucht oder irrige Vorstellung herum, dass ein Mensch, der Großes vollbringt in der Kunst, das im Alltäglichen auch hätte leben sollen. Warum? Die meisten von uns, die sich bemühen um Freundlichkeit, Zuverlässigkeit, Korrektheit, die den Anderen neben sich achten und respektieren, die sich in Toleranz üben - die bringen nichts hervor, was von Dauer ist, was sie unsterblich macht. So ist das nun mal. Trinke kein Bier mit Dirigenten. :no:


    LG Rheingold

    Es grüßt Rüdiger als Rheingold1876


    "Was mir vorschwebte, waren Schallplatten, an deren hohem Standard öffentliche Aufführungen und zukünftige Künstler gemessen würden." Walter Legge (1906-1979), britischer Musikproduzent

  • Lieber Rheingold
    da hast du völlig recht. Ich lese zwar gerne Musikerbiografien von Komponisten und Dirigenten, lasse das aber keinesfalls in meine Wertung, ob mir eine künstlerische Aussage gefällt oder nicht einfließen. Deshalb höre ich gerne Wagner und sammle Platten von George Szell und Fritz Reiner. Und wie oft Karajan nun in die Partei eingetreten ist, ist mir inzwischen auch schnurz.

  • Wer die Möglichkeit hat, einem Dirigenten bei der Arbeit zuzusehen, der sollte sie wahrnehmen - das kühle Blonde hinterher ist dann als notwendige Zugabe wichtig!


    Wer bei dieser (oder auch mehreren) "Sitzungen" zu einer anderen Meinung kommt, als die, daß hier vorne, vor dem Orchester, nur ein "Diktator" agieren kann, der liegt völlig daneben.


    Zu einer anderen Gelegenheit gesagt, noch dazu von einem, der mir überhaupt nicht gefällt (muß er auch nicht!), paßt das von bewußtem Menschen verkündete Zitat als Charakterisierung sehr gut an dieser Stelle: "Auf einem Schiff, ob's dampft, ob's segelt, gibt's einen, der die Sache regelt: Und das bin ich!"


    :hello:

    .


    MUSIKWANDERER

  • Banner Trailer 2 Gelbe Rose
  • Ich darf hier noch einige absolute Topaufnahmen ergänzen, immerhin alles "Zeitgenossen" von HvK.
    Ich - für meinen Teil -finde das sogar mit seine besten Aufnahmen.


    Hallo Lutgra,


    seine 4 Alben aus dem 20.Jhd, die Du noch ergänzt, habe ich auch - es sind durchweg gute - sehr-gute Interpretationen. Das ist alles Musik die Alfred als "Museal" bezeichnet, also nicht übermässig modern und voll geniessbar :thumbup: ; ich habe dafür mal in anderen Beiträgen die Bezeichnung "anständige Musik" verwendet:


    - die Schostakowitsch 10 hat Karajan in den 60ern bereits vorher nochmal eindrucksvoller aufgenommen;
    - die Prokofieff 1 und 5 sind gut, aber vergleiche das mal mit der Szell-Aufnahme der 5 ...
    - die Honegger 2 und 3 gefallen mir auch, aber weist Du was die Ansermet-Aufnahmen noch alles an Inhalten ausloten? ...
    - die Sibelius 4-7 haben Tiefe und die Aufnahmen zeugen von grösstem Verständnis für Sibelius. Dennoch sind mir gerade die DG-Aufnahmen zu abgeklärt, zurückhaltend; die EMI-Aufnahmen 1,2,4-7 sind wüster und direkter; die mit dem Philharmonia Orchestra (2 und 5 in Stereo) sind im Vergleich gegen seine späteren Aufnahmen unerreicht! Ausserdem - kennst Du Bernstein´s , Barbirolli´s und Roshdestwensky´s Sibelius? ...

    Gruß aus Bonn, Wolfgang

  • Hallo Lutgra,


    seine 4 Alben aus dem 20.Jhd, die Du noch ergänzt, habe ich auch - es sind durchweg gute - sehr-gute Interpretationen. Das ist alles Musik die Alfred als "Museal" bezeichnet, also nicht übermässig modern und voll geniessbar ; ich habe dafür mal in anderen Beiträgen die Bezeichnung "anständige Musik" verwendet:


    - die Schostakowitsch 10 hat Karajan in den 60ern bereits vorher nochmal eindrucksvoller aufgenommen;
    - die Prokofieff 1 und 5 sind gut, aber vergleiche das mal mit der Szell-Aufnahme der 5 ...
    - die Honegger 2 und 3 gefallen mir auch, aber weist Du was die Ansermet - Aufnahmen noch alles an Inhalten ausloten ? ...
    - die Sibelius 4-7 haben Tiefe und die Aufnahmen zeugen von grösstem Verständnis für Sibelius. Dennoch sind mir gerade die DG-Aufnahmen zu abgeklärt, zurückhaltend; die EMI-Aufnahmen 1,2,4-7 sind wüster und direkter; die mit dem Philharmonia Orchestra (2 und 5 in Stereo) sind im Vergleich gegen seine späteren Aufnahmen unerreicht ! Ausserdem - kennst Du Bernstein´s , Barbirolli´s und Roshdestwensky´s Sibelius ? ...

    Hallo teleton
    viele Fragen, hier die Antworten


    von Karajan habe ich beide Versionen der 10., aber mir gefällt in diesem Fall die zweite besser


    die Ansermet- Einspielungen kenne ich nicht, ich schätze den Dirigenten im französischen Repertoire sehr, aber seine Platten sind oft fast unbezahlbar


    von den Emi Karajan Einspielungen habe ich 2,4 und 5, 2 und 5 sogar als Originale


    Barbirolli und Bernstein sind zwei meiner "Hausdirigenten", von denen steht fast alles im Schrank, natürlich auch die Sibelius Symphonien


    Prokofief 5 und Szell habe ich auch, aber noch nie gehört, da ich von den Spielzeiten her befürchte, dass es mir zu schnell dirigiert ist, ich finde auch seine "Domestica" ungenießbar.


    Auf CD schätze ich noch sehr die Sibelius Aufnahme mit dem Helsinki PO unter Leif Segerstam


  • Also ich habe einmal im Fänsän zufällig gesehen, wie Karajan die 1. von Prokoffjef dirigiert hat. Das war ein Erlebnis. Mit kleinsten Bewegungen brachte er die Musiker dazu, wirklich alles zu geben.
    Wenn ich wüsste, wo ich diese Aufnahme kaufen könnte, ich würd es tun.


    Tschö
    Klaus

    ich weiß, dass ich nichts weiß. Aber ganz sicher bin ich mir da nicht.

  • Prokofief 5 und Szell habe ich auch, aber noch nie gehört, da ich von den Spielzeiten her befürchte, dass es mir zu schnell dirigiert ist


    Hallo Lutrgra,


    da bist Du wegen der Spielzeiten voreingenommen.
    Die Szell - Aufnahme der Prokofieff 5 ist Karajan in jeder Hinsicht überlegen. Was Szell gleich zu beginn an Spannung aufbaut und wie er insgesamt dieses Werk auslotet, da kommen nicht einmal die russischen Aufnahmen heran. Das ist Meisterklasse in Vollendung !
    ((OT: Die Szellsche Domestica ist die einzige, die ich bei dem langatmigen Werk überhaupt ab kann !))



    wie Karajan die 1. von Prokoffjef dirigiert hat. Das war ein Erlebnis.

    Die Prokofieff 1 gefällt mir mit Karajan auf der CD (mit 1 und 5) auch sehr gut. Das Werk bietet ja nun nicht die ganz grosse Int-Herausforderung; wenn das von den Berliner PH anständig geprobt wurde, dann brauchte auch Karajan in der von Dir erwähnten TV-Wiedergabe auch nicht wer weis wie rumzufuchteln.
    Ich kenne eigentlich keine Aufnahme der spritzigen Sinfonie Nr.1, die wirklich schlecht wäre - die sind im Prinzip alle TOP: habe Karajan, Solti, Kitaenko, Weller, Bernstein, N.Järvi.

    Gruß aus Bonn, Wolfgang

  • Die Szell - Aufnahme der Prokofieff 5 ist Karajan in jeder Hinsicht überlegen. Was Szell gleich zu beginn an Spannung aufbaut und wie er insgesamt dieses Werk auslotet, da kommen nicht einmal die russischen Aufnahmen heran. Das ist Meisterklasse in Vollendung !

    So, jetzt habe ich sie auch gehört und stimme zu, diese Aufnahme ist wirklich super. Das schnelle Tempo funktioniert auch für mich, und man sitzt sozusagen die ganze Zeit auf der vorderen Stuhlkante. Auch der Klang ist für 1959 ohne jeden Tadel. Das war schon eine goldene Ära. Habe entdeckt, dass ich auch die CD habe:


    Die Szellsche Domestica ist die einzige die ich bei dem langatmigen Werk überhaupt ab kann !

    Ich habe nie verstanden, warum die meisten Musikliebhaber dieses Stück nicht mögen, ich liebe es. Das zugehörige Programm ist natürlich völlig überflüssig und ich habe das gleich vergessen. Die Musik berührt mich aber sehr. Hier gibt es auch eine Aufnahme aus der Frühzeit der Stereophonie, die alle anderen m.E. in den Schatten stellt:



    Das Cover bestätigt natürlich wieder schlimmste Vorurteile!

  • 24 DVD, 330 CD, 2 Blu-Ray Audio plus Buch
    limitierte Auflage


    Dieser Brocken in des Wortsinns eigentlicher Bedeutung enthält die 》Complete Recordings on Deutsche Grammophon and Decca《. Zum genauen Inhalt lese man die Produktinformation.


    .

    Vor Schuberts Musik stürzt die Träne aus dem Auge, ohne erst die Seele zu befragen:
    so unbildlich und real fällt sie in uns ein. Wir weinen, ohne zu wissen warum; Theodor W. Adorno - 1928




  • Das Tamino-Forum ist (auch) ein lesenswertes Archiv. Will man sich über ein Thema informieren, lohnt es sich in die Beiträge einzulesen, Subjektives steht neben Sachlichem und ergibt ein Gesamtbild. Dieses erlebte ich, als ich mir die 325 bisherigen Beiträge dieses Threads zum Dirigenten Herbert von Karajan zu Gemüte führte, der seit Beginn des Forums besteht und nun fünf Jahre geruht hat. Den einen oder anderen erwähnten Link habe ich gelesen.
    .

    Vor Schuberts Musik stürzt die Träne aus dem Auge, ohne erst die Seele zu befragen:
    so unbildlich und real fällt sie in uns ein. Wir weinen, ohne zu wissen warum; Theodor W. Adorno - 1928




  • Dieser Brocken in des Wortsinns eigentlicher Bedeutung

    Lieber moderato,


    besser kann man es wirklich nicht ausdrücken! Ich frage mich, was man mit solch einer Riesenkiste anfangen soll. Jeder Klassikfreund, der Karajan nicht grundsätzlich ablehnt, wird eine Vielzahl, wenn nicht das meiste bereits haben, was darin enthalten ist. Ich persönlich habe jede Brahms-Sinfonie mit Karajan mindestens viermal, jede Beethoven-Sinfonie mindestens dreimal usw.usf. Interessant dürfte eigentlich nur das beiliegende Textbuch sein, aber auch darin wird kaum etwas Essentielles zu finden sein, was man nicht anderweitig schon gelesen oder gehört hat.


    Ich bin alles andere als ein Karajan-Fanatiker, aber unbestreitbar zählt er zu den bedeutendsten Dirigenten des 20. Jahrhunderts und hat auch meinen Musikgeschmack, wenn nicht geprägt, so doch nachhaltig beeinflußt. Viele seiner Opernaufnahmen sind - zu Recht - Legende, und auch die Mehrzahl seiner Konzertaufnahmen haben Ausnahmerang. Ich nenne als Beispiel nur seinen ersten Beethoven-Zyklus mit den Berliner Philharmonikern von 1962 (DGG), oder fast alle seiner Aufnahmen mit dem Londoner Philharmonia Orchestra aus den Jahren 1948 bis 1960. Obwohl die meisten davon noch in Mono produziert wurden, sind sie fast ausnahmslos zu Klassikern geworden und laufen lt. Klaus Umbach, einem bekennenden Karajan-Verächter, als "Festival in permanence". Und wie oft Karajan der NSDAP beigetreten ist oder auch nicht, hat mit seinen musikalischen Aussagen nichts zu tun und war mir schon immer total egal. Karajan hat Politik und Politiker aller Couleur immer nur vor seinen Karren gespannt, soweit es ihm und seiner Karriere nützlich war. Bestimmt ist er niemals einem solchen Karren hinterhergelaufen.


    Fast 30 Jahre nach seinem Tod lebt er jedenfalls nicht nur in den Regalen, sondern auch in den Herzen zahlreicher Musikfreunde weiter, trotz aller Anfeindungen und trotz seiner zahlreichen "Allüren", die doch eigentlich nur vom Wesentlichen ablenken.


    LG, Nemorino

    Die Welt ist ein ungeheurer Friedhof gestorbener Träume (Robert Schumann).

  • In meinen CD-Regalen sind HvK Aufnahmen: Dieser preislich günstige Brocken mit frühen Aufnahmen von 1938 bis 1960. Über die darin enthaltenen Aufnahmen kann man in einer der englischen Kundenrezensionen nachlesen. Der Kaufentscheid war durch die Prokofiew Aufnahme von Peter und der Wolf mit Romy Schneider als Sprecherin begründet, die ich zum Zeitpunkt des Erwerbs suchte und durch den tiefen Durchschnitts-Preis pro CD. (Dass die gesuchte Peter und der Wolf Einspielung nicht darunter war, hat nicht geschmerzt. Die Aufnahme hab ich später erstanden.) ;)



    Einzelne Einspielungen, so Richard Strauss Alpensinfonie, die es als Beispiel-CD zum Kauf meines ersten Players gab, ebenfalls vom gleichen Komponisten Vier letzte Lieder und Metamorphosen. Und die vier Brahms Sinfonien.


    Ich bin kein HvK Anhänger oder Ablehner. Da bin ich wohl zu pragmatisch veranlagt. Wenn mir Qualität begegnet und der Preis stimmt, schlag ich als Käufer zu. Die frühen Aufnahmen huldigen noch nicht dem Schönklang der DG Jahre und werden den einen oder anderen aufgrund der Aufnahmequalität vom Kauf abhalten. Interpretatorisch hat es durchaus Perlen darunter.
    .

    Vor Schuberts Musik stürzt die Träne aus dem Auge, ohne erst die Seele zu befragen:
    so unbildlich und real fällt sie in uns ein. Wir weinen, ohne zu wissen warum; Theodor W. Adorno - 1928




  • Also dass die (instrumentalen) Mono-Aufnahmen Karajans mit dem Philharmonia Orchestra "ausnahmslos" oder auch nur größtenteils zu Klassikern geworden wären, halte ich für nicht richtig. Im Gegenteil sind sie, abgesehen von Randrepertoire, das er später nicht mehr eingespielt hat, m.E. nahezu vollständig durch die späteren Stereoaufnahmen (meist DG, aber in den 70ern auch wieder EMI) "verdrängt" worden und nicht annähernd so bekannt oder verbreitet erhältlich (bis eben mit dem Ablaufdatum vor ein paar Jahren alles nochmal in dicke Boxen gepackt wurde). (Das soll keine Aussage über ihre Qualität sein.)
    Was aus der Legge-Zeit zum "Klassiker" geworden ist, vielleicht mehr als irgendwas anderes mit Karajan, und dafür sollte man mindestens zur Hälfte den Sängern die Verantwortung geben, sind zwei oder drei Opernaufnahmen, etwas Falstaff und Rosenkavalier.

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

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