Moderne Musik und modernes Theater - Versuch einer Annäherung

  • Gegenfrage: Für wen hat der Komponist seine Werke geschrieben? In erster Linie für sein Einkommen selbst, dann für sein Publikum, manchmal für einen von ihm bevorzugten Interpreten. Sein finanzieller Verdienst ist aber abhängig vom Publikumsinteresse. Wenn ein Komponist fleißig komponiert und keiner geht hin, dann bleibt er ein armes Schwein.

    Ich antworte, lieber La Roche, darauf einmal mit einem Zitat. Es stammt aus dem 19. Jhd. und von dem großen Opernkenner Eduard Hanslick. Er stellt Wagners Behauptung, an der Nicht-Aufführungen seiner Meistersinger in Wien seien "die Juden" schuld, wie folgt richtig:


    "Was die Wiener Hofoper betrifft, so bin ich in der Lage, Herrn Wagner des Gegenteils zu versichern. Man beharrte nur auf dem Begehren, die notwendigsten Kürzungen vornehmen zu dürfen, und mit Recht, denn kein verständiger Direktor wird sein Publikum mit einer Oper von so abenteuerlicher, einschläfernder Länge heimsuchen. Wagner tut sich aber etwas darauf zugute, daß er jetzt >bisher noch nie für nötig gehaltene Bedingungen an seine Einwilligung zur Aufführung eines neuen Werkes stelle.<"


    Hanslick sagt also: Was bildest du, Wagner, Dir eigentlich ein, dass du glaubst, dir wird als Komponist eine Extrawurst gebraten, nur weil du Wagner heißt und dich für ach so bedeutender hältst als andere Komponisten? Der Operndirektor entscheidet mit Blick auf das zahlende Publikum, wie eine Oper aufgeführt wird, und nicht dein Libretto! Das ist die gängige Aufführungspraxis. Was also für einen Operndirektor Recht war zu Lebzeiten des Komponisten, warum soll das nicht für einen Regisseur von heute billig sein? Wenn man der Meinung ist, dass das Publikumsinteresse das Entscheidende ist, dann lässt sich so gerade eine "werktreue" Inszenierung nicht zwingend begründen. Denn das Werk, so wie es im Libretto und der Partitur geschrieben steht, muss dem Publikum überhaupt nicht gefallen: dies kann es als langweilig, nichtssagend etc. empfinden. Witzig ist in dieser Hinsicht die Anekdote mit Ravel und Toscanini. Ravel beschwerte sich nach einem Konzert, dem er beiwohnte, bei Toscanini, dass er seinen "Bolero" ruiniere, weil er ihn in Rekordgeschwindigkeit (in sage und schreibe 9 Minuten) runtergespielt hätte. (Die Anekdote erzählt Artur Rubinstein, der dabei war.) Darauf Toscanini unwirsch: Sie Ravel, haben ja keine Ahnung vom Publikum und davon, wie ihre Musik auf das Publikum wirkt! Ich verhelfe ihrer Komposition nur dazu, dass sie nicht beim Publikum durchfällt und vergessen wird!

    Das sehe ich auch bei den reproduzierenden Künstlern wie Pianisten, Dirigenten und (umstritten) Regisseuren so. Das Ergebnis hängt mit der Erwartungshaltung zusammen. Der eine geht zu Pollini, weil er Chopin hören will, der andere vielleicht, weil er Debussy mag. Der nächst geht ins Konzert, weil er Pollini hören will, egal was er spielt. Und im Anrechtskonzert geht ein Teil hin, weil er Karten hat. Diesem Teil ist es oft egal, wer was spielt. Die Erwartungshaltung hängt stark ab von der musikalischen Vorbildung. Zumindestens im Konzert.

    Das heißt aber doch: Wer nur Chopin von Pollini hören will, muss eben auch ertragen können, dass er Debussy, Strawinsky und Prokofieff spielt. Denn Pollini wollte nach dem Gewinn des Chopin-Preises um keinen Preis als "Chopin-Spieler" abgestempelt werden.


    Und der Begriff "reproduzierender Künstler" ist einfach hoch problematisch, weil kein Mensch wirklich eindeutig definieren kann, wo die Reproduktion aufhört und die Veränderung anfängt. Selbst bei solchen als besonders "werktreu" geltenden Interpreten nicht. Eine "rein reproduzierende" Interpretation ist eine Chimäre. So etwas gibt es in der Realität nicht. Siehe z.B. aktuell den Thread über "Gaspard de la nuit". Was ABM da macht, ist eine Veränderung. Er spielt die Tremoli einfach nicht ppp. Wozu man sagen muss, dass hier das, was im Notentext steht, schlicht nicht realisierbar ist, wenn man die rhythmische Struktur nicht verwischen will. Der Notentext gibt dem Interpreten da die berühmt berüchtigte Quadratur des Kreises auf. (Dafür gibt es viele Beispiele, z.B. bei Alexander Scriabin mit seinen exzessiven Spielanweisungen.)

    In der Oper, wo ich aus Erfahrung von mind. 700-800 Opernbesuchen in ca. 60 Jahren weiß, daß in Repertoirevorstellungen außerhalb der Premieren und besonderer Galavorführungen (Musikfestspiele u.a.)
    ein sehr gemischtes Publikum anzutreffen ist, möchte ich nicht ausschließen, daß ein bedeutender Teil die Oper nur zum Zwecke der Unterhaltung besucht. Keinesfalls mit dem Ziel, neue Deutungen zu erleben. Sie haben die Faxen dicke vom Alltagsleben, vom Streß auf Arbeit, von politischer Unzufriedenheit, von den schlechten täglichen Nachrichten usw. Sie wollen Ablenkung.

    Das Argument ist für mich nicht überzeugend aus zwei Gründen:


    1. Selbst Brecht bestreitet nicht, dass Oper "unterhalten" soll. Er sagt nur: Sie soll aber nicht nur unterhalten, sondern eben auch "belehren". Hier trifft er sich mit dem Klassiker Friedrich Schiller. Kunst ist für Schiller eben nicht nur Unterhaltung, sondern soll - das ist der idealistisch-humanistische Anspruch - der "ästhetischen Erziehung" dienen. Es geht deshalb auf der Bühne darum - so Schiller - eine "moralische Weltregierung" zu errichten. Hat der große Klassiker Schiller also umsonst gelebt? Hat uns der Humanismus der deutschen Klassiker wirklich gar nichts mehr zu sagen?


    2. Wenn man Oper auf die Erfüllung nur eines Unterhaltungsbedürfnisses reduziert, dann zieht sie dem Hollywood-Kino und dem Musical gegenüber letztlich den Kürzeren. Denn technisch-perfekt, spektakulär unterhalten können Kino und Musical eindeutig besser. So haben diejenigen finde ich Recht, die sagen, Oper hat nur eine Überlebenschance als Kunstform, wenn sie nicht nur in der Konkurrenz mit anderen Unterhaltungsangeboten gesehen wird - sondern eben mehr ist als nur Unterhaltung.

    Damit ist
    der Vorgang abgeschlossen. Die Umsetzung des in Text, Musik und Handlung abgeschlossenen Werkes auf der Bühne oder im Konzertsaal war Sache der reproduzierenden Künstler.

    Das stimmt schon für die Romantik im 19. Jhd. nicht, die ein work in progress propagierte, eine Werkschöpfung, an dem die Interpreten zukünftiger Generationen mitarbeiten. Siehe dazu meinen Kolumnenartikel über Franz Liszts Klaviersonate h-moll.


    Schöne Grüße
    Holger

  • 1. Selbst Brecht bestreitet nicht, dass Oper "unterhalten" soll. Er sagt nur: Sie soll aber nicht nur unterhalten, sondern eben auch "belehren". Hier trifft er sich mit dem Klassiker Friedrich Schiller. Kunst ist für Schiller eben nicht nur Unterhaltung, sondern soll - das ist der idealistisch-humanistische Anspruch - der "ästhetischen Erziehung" dienen. Es geht deshalb auf der Bühne darum - so Schiller - eine "moralische Weltregierung" zu errichten. Hat der große Klassiker Schiller also umsonst gelebt? Hat uns der Humanismus der deutschen Klassiker wirklich gar nichts mehr zu sagen?


    2. Wenn man Oper auf die Erfüllung nur eines Unterhaltungsbedürfnisses reduziert, dann zieht sie dem Hollywood-Kino und dem Musical gegenüber letztlich den Kürzeren. Denn technisch-perfekt, spektakulär unterhalten können Kino und Musical eindeutig besser. So haben diejenigen finde ich Recht, die sagen, Oper hat nur eine Überlebenschance als Kunstform, wenn sie nicht nur in der Konkurrenz mit anderen Unterhaltungsangeboten gesehen wird - sondern eben mehr ist als nur Unterhaltung.


    Schöne Grüße
    Holger

    Im Grundsatz d'accord. Allerdings, lieber Holger, übersiehst Du die Erwatrtungshaltung. Das Eine -Brecht's Theorie et alt.- ist die Absicht, das Andere indes die Erwartung des Publikums. Und da stimme ich LaRoche durchaus zu: die haben vielfach keine Lust auf Dramentheorie. Die wollen einen schönen, festlichen Opernabend. Speziell bei Opern fällt die etwa vom Konzerthaus oder gar vom Schauspiel unterschiedene Kleidung auf. Wenn dieses Publikum auf eine "Nabucco" Inszenierung wie die von Herzog in Dortmund trifft, dann entläd sich der Unmut schnell in Buhs, weniger, weil sie mit der Inzenierung nicht einverstanden sind (das Moment des Unwillens, etwas reflektieren zu müssen, wozu man überhaupt nicht die Absicht hatte kommt allerdings noch dazu) sondern weil der festliche Abend empfindlich gestört wurde. Persönlich haben mich die Buhs ziemlich aufgeregt, ich frage mich allerdings: warum tut's das noch? Das ist immer wieder derselbe Ablauf. Es wird eher so sein, dass ich mich als Regisseur fragen müsste, was ich falsch gemacht habe, wenn mir alle zujubeln. Dies nur als kleine persönliche Bosheit.


    Liebe Grüße vom Thomas :hello:

    Früher ist gottseidank lange vorbei. (TP)
    Wenn ihr werden wollt wie eure Väter waren werdet ihr so wie eure Väter niemals waren.

  • Es wird eher so sein, dass ich mich als Regisseur fragen müsste, was ich falsch gemacht habe, wenn mir alle zujubeln.


    Um es auf den Punkt zu bringen lieber Thomas: Was für andere Künstler der Beifall ist, ist für den Regisseur der Buh-Orkan.

    Gott achtet mich, wenn ich arbeite, aber er liebt mich, wenn ich singe (Tagore)

  • Um es auf den Punkt zu bringen lieber Thomas: Was für andere Künstler der Beifall ist, ist für den Regisseur der Buh-Orkan.

    Daszu passt, dass mir gestern Abend ein Mitwirkender der Neuinszenierung "Die Verurteilung des Lukullus" durch Ruth Berghaus 1983 an der Deutschen Staatsoper Berlin erzählte, wie sie am Ende auf die Bühne kam und es freundlichen Applaus gab und sie hinterher halblaut zu besagtem Mitwirkenden sagte: "Keine Buhs? Was habe ich falsch gemacht?"


    Und dann erzählte mir am gleichen Abend noch ein Mitwirkender ihrer Brüsseler "Lulu"-Inszenierung in den 1980ern so einiges, aber das ist eine andere Geschichte und passt nicht hierher...

    Beste Grüße vom "Stimmenliebhaber"

  • True story, so sad!


    :hahahaha:


    Die humoristische Komponente dieses Threads entdeckt man, wenn man genau liest... :)



    Gruß
    Glockenton

    "Jede Note muss wissen woher sie kommt und wohin sie geht" ( Nikolaus Harnoncourt)

  • Im Grundsatz d'accord. Allerdings, lieber Holger, übersiehst Du die Erwatrtungshaltung. Das Eine -Brecht's Theorie et alt.- ist die Absicht, das Andere indes die Erwartung des Publikums. Und da stimme ich LaRoche durchaus zu: die haben vielfach keine Lust auf Dramentheorie.

    Lieber Thomas,


    hier in Münster ist Brechts Theorie sehr lebendig - weil der Generalintendant Ulrich Peters ein Anhänger des Brecht-Theaters ist. Er hat sowohl Brecht/Weill "Mahagonny" als auch "Hoffmanns Erzählungen" entsprechend Brechts Theorie inszeniert. Und das Ergebnis war wirklich beglückend und alles andere als verstaubt - ungemein witzig und lebendig und fantasievoll. Wie genau er da Brechts Dramentheorie umgesetzt hat, hat natürlich nur der gemerkt, der Brechts Theorie kennt! :D

    Die wollen einen schönen, festlichen Opernabend.

    Das hat schon Adorno ironisch festgestellt. :D Genau damit geben sich aber die Regisseure nicht zufrieden, welche Oper dem Sprechtheater gleichstellen wollen und entsprechend als ernstes und Ernst zu nehmendes Theater betrachten, wo es um mehr als nur das Angenehme des "schönen Scheins" geht. Die Oper ist ja immer wieder als Kunstform totgesagt worden. Wenn sie auf diese Weise als Kunstform Ernst genommen zu neuem Leben erweckt wird, dann sollte man doch eigentlich froh sein!

    Wenn dieses Publikum auf eine "Nabucco" Inszenierung wie die von Herzog in Dortmund trifft, dann entläd sich der Unmut schnell in Buhs, weniger, weil sie mit der Inzenierung nicht einverstanden sind (das Moment des Unwillens, etwas reflektieren zu müssen, wozu man überhaupt nicht die Absicht hatte kommt allerdings noch dazu) sondern weil der festliche Abend empfindlich gestört wurde. Persönlich haben mich die Buhs ziemlich aufgeregt, ich frage mich allerdings: warum tut's das noch? Das ist immer wieder derselbe Ablauf. Es wird eher so sein, dass ich mich als Regisseur fragen müsste, was ich falsch gemacht habe, wenn mir alle zujubeln. Dies nur als kleine persönliche Bosheit.

    Inszwischen werden die "Buhs" als Ritual, das einfach dazugehört, von Freunden "moderner" Inszenierungen amüsiert hingenommen, so als das Salz in der Suppe, mehr noch: Sie wären sogar enttäuscht, wenn es sie nicht gäbe. :D


    Schöne Grüße
    Holger

  • Lieber Rüdiger,


    vielleicht erinnerst Du Dich an eine TV-Sendung der 70-er oder 80-er Jahre. Es war das heitere Beruferaten mit Robert Lembke. 4 Prominente mußten den Beruf eines Gastes erraten. Der letzte Gast war auch immer ein "Prominenter", das Rateteam mußte dazu die Augen verbinden. Und fast immer lautete die erste Frage: "Sind Sie ein Künstler?". Lautete die Antwort "Ja", dann kam sofort die nächste Frage "Sind Sir produzierender oder reproduzierender Künstler?" Produzierende Künstler waren Schriftsteller, Maler, Komponisten, Bildhauer. Reproduzierende Künstler waren Schauspieler, Sänger, Dirigenten oder Regisseure.


    Damit waren Prämissen vorgegeben, die klar definiert waren. Ein produzierender Künstler schafft ein Werk, ein Bild, ein Buch, ein Theaterstück, ein musikalisches Werk, z.B. eine Oper, ein Schauspiel . Damit ist
    der Vorgang abgeschlossen. Die Umsetzung des in Text, Musik und Handlung abgeschlossenen Werkes auf der Bühne oder im Konzertsaal war Sache der reproduzierenden Künstler. An Hand dieser Zuordnung war das Rateteam befähigt, eine Vorentscheidung zu treffen. Sie mußten nur noch raten, wer der Prominente war.


    Lieber La Roche, an solche Sendungen erinnere ich mich auch dunkel. Ich habe aber meine Zweifel, ob sie noch geeignet sind oder jemals geeignet waren, Definitionen über das Künstlertum von Regisseuren abzuleiten, die auch im Jahr 2018 Bestand haben. Das Unterhaltungsfernsehen der damaligen Zeit hat auch ein muffiges und hausbackennes Stilempfinden vermittelt, das ästhetisch noch tief im Dritten Reich verwurzelt war. Das aber ist ein anderes Thema.


    Ich habe nur dagegen polemisiert, dass Gerhard Regisseure nicht als eigenständige Künstler gelten lassen will, weil sie sich nicht so verhalten, wie er das erwartet. Sonst nichts. Mich stört diese permanente Herabwürdigung eines Berufsstandes mit sehr fadenscheinigen Argumenten. Nach dieser Lesart dürften nämlich auch Max Reimann, Wieland Wagner, Joachim Herz, Walter Felsenstein, Günther Rennert, Harry Kupfer und wer weiß wer noch keine eigenständigen Künstler sein. Was sind sie denn? An anderer Stelle wurde wieder von echten Inszenierungen gesprochen. Ich kenne nur Werthers Echte. ;) Inzwischen ist für mich zweifelsfrei geklärt, dass auch Regiearbeiten - ob sie einem nun gefallen oder nicht - eigenständige, schützenwerte Kunstwerke sind wie der Fettecken von Joseph Beuys. Das alles ist nachzulesen. Das macht nur viel Mühe und ist anstrengend. Manche Menschen unterliegen einem gravierenden Irrtum. Sie verwechseln Kunst mit ihren eignen Geschmack.

    Es grüßt Rüdiger als Rheingold1876


    "Was mir vorschwebte, waren Schallplatten, an deren hohem Standard öffentliche Aufführungen und zukünftige Künstler gemessen würden." Walter Legge (1906-1979), britischer Musikproduzent

  • Lieber Rheingold1876/ Rüdiger, egal wie man zum Regietheater steht, das habe ich eben mit dem größten Vergnügen gelesen, Danke!


    LG Fiesco

    Il divino Claudio
    "Wer vermag die Tränen zurückzuhalten, wenn er den berechtigten Klagegesang der unglückseligen Arianna hört? Welche Freude empfindet er nicht beim Gesang seiner Madrigale und seiner Scherzi? Gelangt nicht zu einer wahren Andacht, wer seine geistlichen Kompositionen anhört? … Sagt nur, und glaubt es, Ihr Herren, dass sich Apollo und alle Musen vereinen, um Claudios vortreffliche Erfindungsgabe zu erhöhen." (Matteo Caberloti, 1643)

  • Inzwischen ist für mich zweifelsfrei geklärt, dass auch Regiearbeiten - ob sie einem nun gefallen oder nicht - eigenständige, schützenwerte Kunstwerke sind wie der Fettecken von Joseph Beuys.

    Vor diesem Hintergrund finde ich es durchaus interessant, dass Regiearbeiten inzwischen sogar rekonstruiert/rekreiert werden: z.B. die Dresdner Berghaus-Elektra und Heiner Müllers Bayreuther Tristan vor einiger Zeit in Lyon oder die Salzburger Götterdämmerung im Schneider-Siemssen-Bühnenbild. Auch dies mag man gut oder nicht gut, gar überflüssig finden und trotzdem zeigt es m.E., dass es sich bei den Arbeiten wohl um etwas mehr, als bloßes Handwerk handelt.

    mfG Michael


    Eine Meinungsäußerung ist noch kein Diskurs, eine Behauptung noch kein Argument und ein Argument noch kein Beweis.

  • Lieber La Roche, an solche Sendungen erinnere ich mich auch dunkel. Ich habe aber meine Zweifel, ob sie noch geeignet sind oder jemals geeignet waren, Definitionen über das Künstlertum von Regisseuren abzuleiten, die auch im Jahr 2018 Bestand haben. Das Unterhaltungsfernsehen der damaligen Zeit hat auch ein muffiges und hausbackennes Stilempfinden vermittelt, das ästhetisch noch tief im Dritten Reich verwurzelt war.

    Lieber Rüdiger,


    ganz gehe ich da nicht mit. Ich erinnere mich nicht dunkel, sondern ganz deutlich daran, daß unsere ganze Familie bei den von mir genannten Sendungen (besonders "erkennen Sie die Melodie") vor dem schwarz-weiß-Fernseher saß und sich freute, wenn Rigoletto als Person deutlich erkannt werden konnte (woran, wenn nicht am Buckel, den man ihm heute schon oft gar nicht mehr zubilligt!), aber dann das falsche Lied "hat Dein heimatliches Land" sang. Die Richtigstellung zu wissen, das empfanden meine Eltern als Bestätigung ihrer Jugenderlebnisse! Das hat nichts zu tun muffigem Stilempfinden, verwurzelt im 3. Reich. Das war damals für Leute, deren musikalische Bildung nicht denen der jetztigen Taminos entspricht, eine Sendung mit Niveau!


    Solche Menschen gibt es auch noch heute, wahrscheinlich sogar mehr als früher, denn musikalische Bildung fällt weitgehend aus. Zu solchen Sendungen zähle ich auch die Opern- und Operettensendungen von Anneliese Rothenberger, Erika Köth, Peter Schreier, Theo Adam oder Rainer Süß, die viele Anhänger hatten und die sogar ich jetzt noch vermisse! Wie kann man über muffiges und hausbackenes Stilempfinden reden, wenn viele Menschen heute sich danach sehnen, wenigstens ab und an musikalisch nicht nur Helene Fischer oder Andreas Gabalier sehen zu müssen, aber eine "volkstümliche" Sendung mit klassischer Musik sich auf Andre Rieu beschränkt (dessen Engagement ich übrigens hoch einschätze)?


    Mir hat es damals nicht geschadet, solche Sendungen zu sehen, im Gegenteil, sie haben in mir den Wunsch genährt, Oper mehr live zu erleben. Gerade Ende der 60-er und die kompletten 70-er hatte ich fast komplette Opernabstinenz, und mir diese Welt wieder zu entdecken, dazu haben diese Sendungen beigetragen.


    Und dieser Satz:

    Um es auf den Punkt zu bringen lieber Thomas: Was für andere Künstler der Beifall ist, ist für den Regisseur der Buh-Orkan.

    ist für mich ein schrecklicher Satz, leider wohl ein wahrer Satz. Er heißt doch nichts anderes, als den Wunsch oder Drang des Regisseurs, sein Publikum zu provozieren, ihm seinen Willen aufzuzwingen. Wie fies ist das denn eigentlich? Was bin ich glücklich, daß es Leute wie Prof. Gilles, Rene Kollo, Bernd Weikl und nun hoffentlich auch einige Kritiker gibt, die dagegen antreten. Ich fühle mich wohl dabei, sie moralisch zu unterstützen, weil ich hoffe, daß eines Tages so sein wird, daß Buh-Rufe von allen als Mißfallskundgebungen aufgefaßt werden und nicht als Sonderform des Applauses für Leute, deren Gedanken ich nicht verstehen will!!


    Herzlichst La Roche

    Ich streite für die Schönheit und den edlen Anstand des Theaters. Mit dieser Parole im Herzen leb' ich mein Leben für das Theater, und ich werde weiterleben in den Annalen seiner Geschichte!

    Zitat des Theaterdirektors La Roche aus Capriccio von Richard Strauss.

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  • Nach dieser Lesart dürften nämlich auch Max Reimann, Wieland Wagner, Joachim Herz, Walter Felsenstein, Günther Rennert, Harry Kupfer und wer weiß wer noch keine eigenständigen Künstler sein.

    Lieber "Rheingold1876",


    so sehr ich dir in dem Punkt zustimme, dass Regisseure wie Wieland Wagner, Felsenstein, Herz, Rennert und Kupfer nun wirklich zweifelsfrei große schaffende Künstler waren, weil sie große eigenständige Regiekunst geschaffen haben, muss ich dir im ersten von dir geschilderten Fall leider widersprechen: Max Reimann war nun wirklich kein Künstler, bestenfalls ein Überlebenskünstler! :D :untertauch:


    https://de.wikipedia.org/wiki/Max_Reimann


    Und der von dir sicher gemeinte Max Reinhardt war auch nicht einfach nur Künstler, sondern ein Regie-Gott! :hail: :hail: :hail:

    Beste Grüße vom "Stimmenliebhaber"

  • @ Thomas Pape
    „das Andere indes die Erwartung des Publikums. Und da stimme ich LaRoche durchaus zu: die haben vielfach keine Lust auf Dramentheorie. Die wollen einen schönen, festlichen Opernabend.“


    Schwer vorstellbar, dass es sowas wie ein einheitliches Opernpublikum gibt…
    Klar steht ein Teil von denen auf Aida mit opulenten Stimmen im Sandalenfilm-Layout.
    http://www.youtube.com/watch?v=b8rsOzPzYr8
    Das kommt ja auch recht niedlich bis lustig rüber, aber untermauert einen doch zu sehr den bereits holzschnittartigen Aufbau vom Libretto sowie die – im Verhältnis zum Falstaff oder Otello - ziemlich blockhaft organisierte Mucke, die dennoch höchst fetzige Qualität aufweist. Also, es ist vorstellbar, dass ein anderer Teil des Publikums zur Aida-Premiere am 14.04 in Hannover (Repusic, Voges, Bäremklau) sich eine szenische Umsetzung erhofft, die diese ganze Chose z.B. szenisch kontrastiert.


    La Roche
    „ist für mich ein schrecklicher Satz, leider wohl ein wahrer Satz. Er heißt doch nichts anderes, als den Wunsch oder Drang des Regisseurs, sein Publikum zu provozieren, ihm seinen Willen aufzuzwingen. Wie fies ist das denn eigentlich?“


    Für mich kein schrecklicher Satz. Und Provokation ist auch viel zu kurz gegriffen. Gar nicht so wenige Komponisten und Dichter stehen dem Publikumsbeifall überhaupt dem Publikum skeptisch gegenüber. Möglicherweise sogar skeptischer als Regisseure.


    Ein Schüler Alban Bergs beschrieb die Zweifel seines Lehrers an der Qualität seines Wozzecks, ob seines Erfolgs bei einem Teil vom Publikum… Brahms Sinfonie Nr. 4, Goethes „Märchen“ oder „Faust II“ wollen m.E. eigentlich gar nicht sofort, unmittelbar bzw. einschnappend vom Hörer/Leser verstanden/eingeschlürft werden .. und im Vorspiel auf dem Theater (Faust) belfert der Dichter gegen das Publikum, dass er verachtet: „.. O sprich mir nicht von jener bunten Menge, Bei deren Anblick uns der Geist entflieht…" Noch satirischer wird dieses Dilemma in Strauss Ariadne unter die Lupe gefasst, wenn es um Anpassungszwang an Auftragsgeber bzw. ans Publikum geht: Der Komponist: „ .. ein Übergang zu ihrer Gemeinheit ! Dieses maßlos ordinäre Volk will sich Brücken bauen aus meiner Welt in die seinige ! o Mäzene ! Das vergiftet mir die Seele für immer .. „


    Wieso wird dem Publikum etwas aufgezwungen. Keiner ist verpflichtet zum Applaus oder überhaupt die Vorstellung zu besuchen .

  • Hier prallen aus meiner Sicht zwei völlig gegensätzliche Geisteshaltungen aufeinander. Würde es nicht auch um dahinterstehende Menschen mit ihren Verletzungen gehen, könnte man an diesen Diskussionen aus der bequemen Beobachterrolle heraus durchaus soziologisch interessante Studien betreiben. Meine These ist, dass es nur vordergründig um RT und Opern geht.

    Nein, ich denke, das Hauptproblem ist die Monopolstellung der Regietheaterinszenierungen. Wenn man also nur "verhunzte" Inszenierungen zu sehen bekommt, ärgert man sich. Die ganze rechts-links-Theorie kommt erst dazu, wenn man recherchiert hat, warum verhunzt wird.

  • Lieber Holger, auch bin bin der Auffassung, dass die Sicht auf jenen Stil, der - wie ich finde - fälschlicherweise RT genannt wird (was sollte Theater auch sonst sein?) zu einseitig ist. Zu den genannten Namen sollten unbedingt die Berghaus und Pöppelreiter kommen. Und die traten bekanntlich auch nicht aus dem Nichts hervor. Brecht, auf den sie sich beriefen, muss hier unbedingt genannt werden. Die Berghaus hat beim ihm gut gelernt. Vor allem, dass genau und stets begründet gearbeitet werden muss. Die Wurzeln liegen also tief. Spuren führen noch weiter in die Vergangenheit. Zu Meyerhold zum Beispiel. An die Berliner Krolloper. Man kann sich die wenigen atemberaubenden Bühnenbilder im Netz anschauen. Viel haben die Nazis nicht übrig gelassen. Wie ich finde, hatten die 68er keinen nennenswerten Anteil an dieser Theaterentwicklung.

    Sie haben wohl durchgesetzt, dass werktreue Neuninszenierungen nicht mehr auf die Bühnen kommen, soviel Erfolg hatte Meyerholds Produktionsgymnastik mit dem Ziel der Gleichschaltung einer optimierten Arbeiterschaft nicht. Ich empfinde das alles als theatergeschichtlich ganz interessant, lehne aber sowohl die Gelüste der Konstruktivisten wie auch den Verhunzungszwang ab. Mag ja sein, dass das alles ganz wichtig ist, und eine Meyerhold-Rekonstruktion würde ich mir auch geben, aber was weg muss, ist das Regietheatermonopol.

  • Max Reimann war nun wirklich kein Künstler, bestenfalls ein Überlebenskünstler! :D :untertauch:


    Das war nicht schlecht mit diesem Max. Entweder brach sich meine ganz frühe jugendliche linke Seele Bahn oder die Rechtschreibroutie meines Macbooks machte sich wieder einmal selbstständig. Danke, dass es Dir aufgefallen ist, lieber Stimmenliebhaber. In der Tat war Max Reinhardt gemeint - dieser da:



    Er hat ganz erheblich dazu beigetragen, dass Regie eine ganz eigenständige Kunst wurde.

    Es grüßt Rüdiger als Rheingold1876


    "Was mir vorschwebte, waren Schallplatten, an deren hohem Standard öffentliche Aufführungen und zukünftige Künstler gemessen würden." Walter Legge (1906-1979), britischer Musikproduzent

  • Nein, ich denke, das Hauptproblem ist die Monopolstellung der Regietheaterinszenierungen. Wenn man also nur "verhunzte" Inszenierungen zu sehen bekommt, ärgert man sich.


    Genau so ist es!!

    Gott achtet mich, wenn ich arbeite, aber er liebt mich, wenn ich singe (Tagore)

  • ist für mich ein schrecklicher Satz, leider wohl ein wahrer Satz. Er heißt doch nichts anderes, als den Wunsch oder Drang des Regisseurs, sein Publikum zu provozieren, ihm seinen Willen aufzuzwingen. Wie fies ist das denn eigentlich?

    Ist das aber, lieber La Roche, nicht eine wahrnehmungsperspektivische Projektion? Es ist sicher so, dass sich ambitionierte Regisseure über ein Publikum, dass nur "unterhalten" werden will, ärgern und sie deshalb in ihrem Ärger auch schon mal zum Mittel der Provokation greifen. Und das Publikum, das diese Provokation erlebt, fühlt sich angesprochen und nimmt entsprechend die Provokation besonders intensiv wahr. Aber heißt das, dass solche Regisseure Theater nur machen, um das Publikum zu ärgern? Kann man ihnen im Ernst eine solche "Intention" unterstellen? Das ist für mich dann doch absurd. Denn - das sagt der gesunde Menschenverstand: Kein Mensch widmet doch sein ganzes Leben einer Aufgabe, wenn es eine nur negative und keinerlei positive Movitation gäbe! Nein, sie inszenieren Opern weil sie - in ihrem Verständnis natürlich - das Theater und die Oper lieben!


    Und was heißt: Der Künstler zwingt dem Publikum seinen Willen auf? Warum kann man das nicht umkehren und sagen: Dem Künstler das Recht absprechen, dem Publikum seine Sicht vom Theater und vom Stück zu vermitteln - was eigentlich so unvermeidlich ist wie das Wasser, was aus dem Wasserhahn kommt, wenn man ihn aufdreht - bedeutet, dass das Publikum dem Künstler seinen Willen aufzwingen will?

    Was bin ich glücklich, daß es Leute wie Prof. Gilles, Rene Kollo, Bernd Weikl und nun hoffentlich auch einige Kritiker gibt, die dagegen antreten.

    Ich überhaupt nicht. Du hast es, weil Du nicht bundesrepublikanisch geprägt bist, wohl nicht mitbekommen. Zur Hochzeit des RAF-Terrorismus gab es den hoch problematischen "Radikalenerlass" mit Berufsverboten für bestimmte politische Gesinnungen, der zum Glück recht bald wieder kassiert wurde. Einer der Wenigen, der in der Hysterie damals einen klaren Kopf bewahrte, war Ex-Bundeskanzler Willy Brandt, der sagte: "Ich verstehe nicht, warum ein Lokomotivführer nicht Kommunist sein darf." Bernd Weikl ist zwar gebürtiger Österreicher, aber er müsste davon doch damals auch etwas mitbekommen haben, denn er hat in der BRD gearbeitet und auf etlichen Bühnen agiert. Insofern verstehe ich nicht, warum er allen Ernstes heute wieder so etwas wie einen "Radikalenerlass" nun für Künstler (RT-Regisseure) fordert, der im Prinzip genauso wenig demokratisch ist wie der gegen Lokomotivführer von einst. Damit stellt man sich - jenseits jeglicher Konsensfähigkeit - ins politische Abseits.

    Ich fühle mich wohl dabei, sie moralisch zu unterstützen, weil ich hoffe, daß eines Tages so sein wird, daß Buh-Rufe von allen als Mißfallskundgebungen aufgefaßt werden und nicht als Sonderform des Applauses für Leute, deren Gedanken ich nicht verstehen will!!

    Warum sagst Du: "nicht verstehen willst" und nicht vielmehr: "... nicht verstehen kannst? Ist das nicht das Eingeständnis, dass es doch nicht so unmöglich ist, den "Gedanken" hinter solchen Inszenierungen zu verstehen - wenn man denn nur will? ;)

    Sie haben wohl durchgesetzt, dass werktreue Neuninszenierungen nicht mehr auf die Bühnen kommen, soviel Erfolg hatte Meyerholds Produktionsgymnastik mit dem Ziel der Gleichschaltung einer optimierten Arbeiterschaft nicht.

    Die Regisseure setzen doch nichts durch, sie werden engagiert, weil sie erfolgreich, anerkannt sind usw. Wären sie es nicht, bekämen sie auch keine Aufträge, etwas zu inszenieren.

    aber was weg muss, ist das Regietheatermonopol.

    Bevor man von einem "Regietheatermonopol" spricht, sollte man doch vielleicht erst einmal klären, was "Regietheater" überhaupt ist, ein in den Theaterwissenschaften ja überhaupt nicht allgemein anerkannter Begriff. Ist dieser Name nicht vielmehr nur die diffuse Sammelbezeichnung für alles so Grundverschiedene, was nur das eine eint, dass es ein bestimmter Teil des Publikums nicht mag?


    Schöne Grüße
    Holger

  • @Kurzstückmeister
    "Wenn man also nur "verhunzte" Inszenierungen zu sehen bekommt, ärgert man sich. .."


    Komisch, die überwiegende Anzahl reingezogener Opern-Inszenierungen der letzten Jahren kamen mir nicht verhunzt rüber…


    @Kurzstückmeister
    "Die ganze rechts-links-Theorie kommt erst dazu, wenn man recherchiert hat, warum verhunzt wird."


    Wow. Interessante Links-Rechts-Theorie, weil ältere Herren wie z.B. Peter Stein, Peymann oder Luc Bondy (1948 – 2015) die noch am ehesten mit den sog. 68zigern in Verbindung zu bringen wären, mit dem was du vermutlich als RT identifizierst, herzlich wenig zu tun haben/hatten..

  • Die Regisseure setzen doch nichts durch, sie werden engagiert, weil sie erfolgreich, anerkannt sind usw. Wären sie es nicht, bekämen sie auch keine Aufträge, etwas zu inszenieren.


    "Sie" wären hier die "68-er", also nicht nur die Regisseure, sondern auch die Intendanten, Kritiker, Wissenschaftler.

    Zitat

    Bevor man von einem "Regietheatermonopol" spricht, sollte man doch vielleicht erst einmal klären, was "Regietheater" überhaupt ist, ein in den Theaterwissenschaften ja überhaupt nicht allgemein anerkannter Begriff. Ist dieser Name nicht vielmehr nur die diffuse Sammelbezeichnung für alles so Grundverschiedene, was nur das eine eint, dass es ein bestimmter Teil des Publikums nicht mag?

    Nein, über den grundlegenden Unterschied von Regietheater versus Werktreue siehe Wikipedia, das ist genug als Kommunikationsgrundlage. Du kannst Dich natürlich dem verweigern und in Deiner Begrifflichkeit bleiben, nur kommt so keine Kommunikation heraus. Das "Regietheatermonopol" erkennt man daran, dass es fast keine Inszenierungen der Art "theatro barocco" gibt, beziehungsweise diese nur an "exotischen" Orten, und dass Inszenierungen der Art Schenk/Zefirelli mit wenigen Ausnahmen an großen Häusern nicht mehr neu entstehen. Peter Stein ist irgendwo dazwischen, den muss ich jetzt nicht genau zuordnen können, um meine allgemeine Beobachtung anstellen zu können.

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  • Nein, über den grundlegenden Unterschied von Regietheater versus Werktreue siehe Wikipedia, das ist genug als Kommunikationsgrundlage. Du kannst Dich natürlich dem verweigern und in Deiner Begrifflichkeit bleiben, nur kommt so keine Kommunikation heraus.

    Im "Wikipedia"-Artikel steht folgendes:


    Regietheater ist ein Schlagwort aus der Theaterkritik, entstanden in den 1970er Jahren. Eine Inszenierung wird als „Regietheater-Inszenierung“ bezeichnet, wenn nach Meinung des Rezensenten die Ideen des Regisseurs einen (möglicherweise zu) großen Einfluss (verglichen mit den Ideen des Autors, der Darsteller oder im Musiktheater des Komponisten, der Sänger bzw. des Dirigenten) auf die Darbietung haben.


    Der Begriff Regietheater suggeriert, dass es sich hierbei um eine einheitliche Strömung im Schauspiel oder Musiktheater handelt. Zwei Gründe sprechen jedoch gegen die Anerkennung des Begriffs Regietheater als Gattungsbegriff: Zum einen ist der Begriff zu wenig konkret und wird demgemäß von verschiedenen Kommentatoren für Regisseure der verschiedensten Stilrichtungen gebraucht, zum anderen fehlt es dem Begriff aufgrund seiner (zumindest ursprünglich) negativen Konnotation an Neutralität.


    Also: "Regietheater" ist ein journalistischer und kein wissenschaftlicher und wissenschaftlich anerkannter Begriff.


    Zweifellos wird mit ihm aber operiert. Das ist natürlich richtig. Dann ist aber die Frage: Wer hat ein Interesse daran, "werktreues" dem "Regie"-Theater in dieser Weise kategorisch gegenüberzustellen? Antwort: Derjenige, der sich für die verschiedenen Strömungen des modernen Theaters nicht interessiert. Diese Unterschiedung ist also ein Konstrukt, entstanden aus einem bestimmten Interesse bzw. Desinteresse heraus. Und genau deshalb ist die Rede von einem "Monopol" fragwürdig. Ein Monopol hat, wer ein und dasselbe Produkt in marktbeherrschender Position vertreibt. Es ist aber schlicht eine absurde Vorstellung, Konwitschny und Bieito z.B. als "Monopolisten" in diesem Sinne anzusehen, denn sie haben was ihre Auffassung vom Theater betrifft schlicht so gut wie überhaupt nichts gemeinsam. Das allerkleinste gemeinsame Vielfache, dass sie nicht "werktreu" sind im Sinne der RT-Gegner, ist ein so dünnes Eis, das zu einer wirklich tragfähigen Definition in keiner Weise tragfähig ist. (Philosophen nennen das eine bloße "Nominaldefinition" ohne wirklichen Inhalt.)


    Schöne Grüße
    Holger

  • @Kurzstückmeister
    "Sie" wären hier die "68-er", also nicht nur die Regisseure, sondern auch die Intendanten, Kritiker, Wissenschaftler."


    Ja ja die 68ziger hausen inzwischen weltweit in allen Metropolen, um ihre Wühlarbeit fortzusetzen


    z.B.


    der RT-Parsifal in Seoul unter ML von Zagrosek/Philippe Arlaud
    https://www.youtube.com/watch?v=4qXtqkat-o0
    da fragt sich doch glatt manch wackerer Kämpe fürs Wahre und Schöne in der Oper, warum Verunstaltung des Parsifals durch CDFs Eismeer


    ein RT-Boris in St. Petersburg,
    https://www.youtube.com/watch?v=16NiqpBZMpM


    YT-Feedback:
    „Boris Godunov is one of my favorite operas, but in spite of the good singers, orchestra and sound, this production with dresses and things of today is HORRIBL“


    Und als Sahnehäubchen der völlig verschandelte RT-Wozzeck in Moskau durch Tscherniakov (in Kollaboration mit Currentzis)
    https://www.youtube.com/watch?v=IeWxuTrLx1Q


    weil ja die sich zusammengerotteten 68ziger auch in Südkorea und Russland so außerordentlich wirkmächtig waren und es weiterhin sind..


    sogar RT-Parsifal in der so „konservativen“ MET
    https://www.youtube.com/watch?v=qhBGZlcjn84



    schade, dass Rolf Liebermann mit seiner „Verhunzung“ des Parsifals in Genf (ca. 1981, ist nach einer Atomkatastrophe angesiedelt) nicht in dein 68ziger-Schema passt, weil Liebermann Jahrgang 1910 ..


    da wäre z.B. auch Dieter Dorn (Intendant und Regisseur) zu nennen, aber der inszenierte leider wiederum zu „konservativ“ als das es in dein Schema unterzuordnen wäre..

  • Zitat

    Amfortas08
    sogar RT-Parsifal in der so „konservativen“ MET
    https://www.youtube.com/watch?v=qhBGZlcjn84


    Diese Inszenierung von François Girard ist doch der absolute Knaller! :hail::hail::hail::hail::hail:


    LG Fiesco

    Il divino Claudio
    "Wer vermag die Tränen zurückzuhalten, wenn er den berechtigten Klagegesang der unglückseligen Arianna hört? Welche Freude empfindet er nicht beim Gesang seiner Madrigale und seiner Scherzi? Gelangt nicht zu einer wahren Andacht, wer seine geistlichen Kompositionen anhört? … Sagt nur, und glaubt es, Ihr Herren, dass sich Apollo und alle Musen vereinen, um Claudios vortreffliche Erfindungsgabe zu erhöhen." (Matteo Caberloti, 1643)

  • Kinderstück
    "na ja, was RT ist, scheint doch etwas besser definiert zu sein, als anderweitig behauptet, sonst könnte es die Beispielsnennungen ja nicht geben ..."


    ich kann leider mit RT-Defs bisher nicht viel anfangen...
    deshalb ist in meiner Schreibe zuweilen zu lesen.. "was du als RT indentifizierst oder verstehst" etc etc .. auf die Dauer bin ich zu finger-faul für so viele Worte ... => bloß RT
    und nicht mal halbszenische Aufführung ist ohne Regie ...
    => bleibt es bei RT .. und als Wortprügel, Spielmarke oder quasi Anti-Monstranz etc ist das Wörtchen RT wiederum höchst nutzbar ....

  • Zitat

    Zitat von Rheingold: weil sie sich nicht so verhalten, wie er das erwartet.

    Lieber Rheingold,


    das ist eine arge Verdrehung meiner Worte: Es geht nicht darum, das sie das nicht machen, was ich will, sondern darum, dass sie es nicht so machen, wie es der Komponist gewollt hat. Allerdings erwarte ich und - wie du an anderen Kommentaren hier erkennen kannst und ich es auch aus einem großen Bekanntenkreis weiß - viele andere Zuschauer mit mir, dass, wenn uns (das Wort ist denen, die es nicht verstanden oder verstehen wollten, ja bereit erklärt worden) das Werk unter Namen und Titel des Komponisten angekündigt wird, es auch das Werk ist und nicht irgend eine absurde Fantasie irgend eines Regisseurs.


    Liebe Grüße
    Gerhard

    Regietheater ist die Menge der Inszenierungen von Leuten, die nicht Regie führen können. (Zitat Prof. Christian Lehmann)

  • Lieber Gerhard, ich kann die Debatte jetzt nicht weiterführen, denn ich bin im Nachteil Dir gegenüber, weil ich nämlich nicht weiß, wie der Komponist es "gewollt hat" - dass seine Werke in hundert, zweihundert oder fünfhundert Jahren aufgeführt werden sollen. :(

    Es grüßt Rüdiger als Rheingold1876


    "Was mir vorschwebte, waren Schallplatten, an deren hohem Standard öffentliche Aufführungen und zukünftige Künstler gemessen würden." Walter Legge (1906-1979), britischer Musikproduzent

  • Nur so nebenbei:


    Es gibt keine "reproduzierenden Künstler". Das ist technisch unmöglich. So wie es auch keine schwarzen Schimmel gibt. Schimmel sind weiß und Künstler erschaffen Neues. Die Reproduktion eines Werkes ist zwar auch ein Werk, aber es ist keine Kunst.


    Als Künstler und Künstlerin werden heute die in der Bildenden Kunst, der Angewandten Kunst, der Darstellenden Kunst sowie der Literatur und der Musik kreativ tätigen Menschen bezeichnet, die als Arbeiten bezeichnete Erzeugnisse künstlerischen Schaffens hervorbringen. (Wikipedia)


    Kunst ist ein menschliches Kultur­produkt, das Ergebnis eines kreativen Prozesses. Das Kunstwerk steht meist am Ende dieses Prozesses, kann aber seit der Moderne auch der Prozess selbst sein. Ausübende der Kunst im engeren Sinne werden Künstler genannt. (Wikipedia)


    kreativ: schöpferisch; Ideen habend und diese gestalterisch verwirklichend (Duden)



    Thomas

  • weil ich nämlich nicht weiß, wie der Komponist es "gewollt hat".

    Der liebe Gott jedenfalls besitzt sie ganz sicher, diese Erkenntnis. :) Fragt sich also nur: Wer besitzt eigentlich die Gottebenbildlichkeit? Der Regisseur? Das Publikum? Tamino? Nach der Beantwortung dieser kleinen theologisch-metaphysischen Frage sind - oder besser wären - wir aus dem Schneider. Aber - ach! Vielleicht kommt der böse Skeptiker Descartes und klaut sie uns einfach, die erhabene Gottebenbildlichkeit des stolzen humanen Geschlechts, dann haben wir Pech gehabt und uns bleiben nur unsere menschlich-allzumenschlichen Fantasien oder schlicht der Seufzer: "Oh compositor malignus, warum verschließt uns nur dein großer Wille deine schönen Töne!" :D :angel:

  • Die Unterscheidung die in Beitrag Nr. 58 zwischen Kunst und Künstler gemacht wird, trifft auf unser Gebiet - die Musik - nicht zu.
    zweiterbass

    Wer die Musik sich erkiest, hat ein himmlisch Gut bekommen (gewonnen)... Eduard Mörike/Hugo Distler

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