Rausch, Trauma und Sucht in der Kunstmusik

  • Liebe Taminos,



    Ich bin neu im Forum und froh dabei zu sein. Mich
    interessiert – neben (fast) allem die psychischen Wirkungen von Musik – beim Hörer
    oder auch beim Komponisten. Dies kann der Rausch – durch Substanzkonsum oder
    die Musik selbst sein, eine traumatische Erfahrung z. B. des Komponisten, die
    er in seiner Musik verarbeitet oder auch ganz konkret die Sucht – also die
    Abhängigkeit von unterschiedlichsten Substanzen. Dass Musik eine psychotrope
    Wirkung hat, ist eine Binsenweisheit. In der POP Musik hat dies jeder am
    eigenen Leib erfahren oder erfährt es durch seine Kinder.



    Aber auch in der sog. Kunstmusik sind vergleichbare Effekte
    bekannt, jeder kennt die „Gänsehaut“, die durch ein besonders bewegendes
    Musikstück hervorgerufen wird. Nicht selten verarbeiten Künstler in ihren
    Werken persönliche Traumen oder euphorisierende Erlebnisse (berühmtes Beispiel
    die Rheinische Sinfonie von Robert Schumann – für einen Kölner eher in die
    Kategorie traumatisierend einzuordnen, denn er hat die Sinfonie vor Freude über
    die Berufung nach Düsseldorf geschrieben :D ), einige haben selbst Erfahrungen mit
    psychotropen Substanzen oder ihre Werke rufen Affekte hervor, die diesen
    Erfahrungen ähneln. So mag der Effekt des Konsums psychotroper Substanzen vom
    Komponisten in seiner Musik bewusst – oder auch unbewusst – antizipiert oder
    imitiert werden, die Musik kann beim Zuhörer psychotrope/psychodelische Effekte
    hervorrufen, weil der Komponist in seinem Werk biografische traumatisierende
    oder euphorisierende Ereignisse verarbeitet hat oder der Komponist mag seine
    Musik unter dem Einfluss psychotroper Substanzen (häufig in der Musikgeschichte
    Alkohol) komponiert haben. Für alle diese Möglichkeiten lassen sich in der
    Musikgeschichte etliche Beispiele finden, wahrscheinlich ebenso in der
    bildenden Kunst und in der Literatur – aber Musik ist nun einmal die emotionalste
    Kunst, deren Effekte direkt und ungefiltert bzw. unreflektiert das limbische
    System erreichen. Aber auch aktives Zuhören – d. h. analytisches und rationales
    Hören nicht anstatt sondern gleichzeitig zum emotionalen Hören bedeutet auch
    Bewusstseinserweiterung. In jedem Fall
    setzt aktives Zuhören das sich Öffnen für neue, unerwartete vielleicht auch
    beklemmende Erfahrungen voraus. Ich bin
    gespannt auf eure Kommentare.

  • Rausch, Trauma und Sucht bilden die Achsen eines
    imaginierten Koordinatensystems des Substanzkonsums. Seien es persönliche,
    gesellschaftliche, politische oder auch die großen Traumata der Menschheit -
    wie z. B. das Bewußtsein um die Endlichkeit des Lebens – immer sind diese auch
    beherrschende Themen in Literatur, Kunst und Musik aller Jahrhunderte gewesen. So
    mag ein Trauma selbst - bewusst oder unbewusst – Eingang in ein Kunstwerk
    finden, die Bewältigung eines Traumas kann Thema eines Kunstwerks sein oder die
    Abhängigkeit an sich – vielleicht schon weit entfernt vom Trauma – wird im
    Kunstwerk spürbar und erfahrbar. Für all dies lassen sich reichlich Beispiele
    aus allen Jahrhunderten finden. Ein anderer Aspekt in diesem Themenbereich ist
    die bewusstseinsverändernde Wirkung selbst, die Künstler aller Couleurs
    fasziniert hat und die teilweise absichtsvoll herbeigeführt wurde, um eine
    drogeninduzierte Erweiterung des Erlebens zu registrieren und diese Erlebnisse
    in ein Kunstwerk einfließen zu lassen. Der späte Goethe brauchte zum Schreiben
    Weinkontingente, die bei anderen einen Vollrausch ausgelöst hätten. Schiller
    wurde vom Geruch verfaulender Äpfel in seiner Schreibtischschublade high. Man
    kann getrost sagen: Ohne den Rausch gäbe es vielleicht auch keine Kunst. Ein
    Beispiel aus neuerer Zeit: die Opiumpfeifen von Jean Cocteau - selbst schwerst
    opiumabhängig malte er einen Menschen, bestehend aus Opiumpfeifen. Wie das Rauschmittel selbst ein
    Kunstwerk beeinflußt ist eine interessante aber meist spekulative Frage, wie läsen sich z. B. die Werke von Novalis
    ohne seine Opiumsucht? Am deutlichsten wird bei Baudelaire, was die Künstler sich
    vom Rauschmittel erwarteten.Das
    Lebenskrisen Eingang in künstlerisches/ kompositorisches Schaffen finden ist
    durch zahlreiche Beispiele belegt, in welchem Ausmaß Krisen Einfluß auf das
    künstlerische Ergebnis nehmen, bleibt in der Musikwissenschaft aber umstritten.
    Das vielleicht berühmteste Beispiel der musikalischen Verarbeitung einer Krise
    ist Beethovens 5. Sinfonie, die als Bewältigung der dem Komponisten bewusst
    werdenden zunehmenden Ertaubung interpretiert werden kann. Beethovens Konzentration auf das „innere“
    Gehör bei Verlust des äußeren Gehörs sei eine wichtige Voraussetzung für seine
    weitere Entwicklung als Musiker gewesen (Danuser 1997). Wie und ob Rausch, Trauma und Sucht
    ihren Niederschlag in Musik finden, möchte ich gerne mit euch diskutieren.

  • Als erstes Beispiel – ganz willkürlich ausgewählt mag Modest Mussorgsky
    dienen, der siebzehnjährig einem Garderegiment beitritt, und sich weitgehend
    sorglos als dandyhafter Bonvivant den Trinkgelagen der Kadettenschule widmen
    kann (A. A. Orlova, Moskau 1963, zit. nach Worbs). Bereits als Zwanzigjähriger
    unterzog M. sich einer Badekur wegen eines „nervösen Nervenleidens“ –
    möglicherweise erste Vorboten der Symptomatik des „heavy drinkers“. Hatte M.
    schon während seiner Kadettenzeit einen- wie man heute sagen würden – „schädlichen
    Gebrauch von Alkohol“ entwickelt, so geriet er nun vollends in die Abhängigkeit
    und spätestens nach dem Tod seiner Mutter 1865 – zu der er ein äußerst inniges
    Verhältnis hatte – entglitt ihm jegliche Kontrolle. Erstmalig wurde M. wegen eines Delirium tremens hospitalisiert aber
    offensichtlich soweit wieder hergestellt, dass er seiner künstlerischen
    Tätigkeit nachgehen konnte. Beeindruckt von der russischen Erstaufführung von
    Franz Liszt´s Totentanz, realisierte M. seine schon länger bestehende Idee
    eines programmatischen Orchesterstücks über eine russische Volkssaga, in der alljährlich in der Johannisnacht (d.h. der
    Nacht vor dem Fest Johannis‘ des Täufers der Hexensabbat auf dem Kahlen Berg in
    der Nähe von Kiew stattfindet. Damit gelang ihm 1867 mit dem Orchesterstück
    „Die Nacht auf dem kahlen Berge“ das erste völlig eigenständige Orchesterwerk.
    Mussorgskys persönliche Handschrift zeigt sich in Elementen, die im
    traditionellen Komponieren keinen Platz haben wie ungewöhnliche
    Akkordverbindungen, Ganztonskalen oder eine eigenwillige Instrumentation. Wegen
    solcher scheinbarer Fehler oder Ungeschicklichkeiten wurde Mussorgsky im
    Freundeskreis und darüber hinaus als Stümper oder Dilettant belächelt. Dabei
    sind es gerade diese besonderen Charakteristika, die seiner Musik ihre
    spezifische Eindringlichkeit und Kraft verleihen und mit denen er auf spätere
    Komponisten wie Debussy und Ravel gewirkt hat. Bei seinen Zeitgenossen, und
    insbesondere bei den Musikerkollegen des mächtigen Häufleins stieß M. hingegen
    auf völliges Unverständnis und schroffe Ablehnung. Balakirew, dem das Stück gewidmet
    war, lehnte es komplett ab, so dass das Werk ad acta gelegt und zu Lebzeiten
    Mussorgskys nicht aufgeführt wurde. Das Werk wurde 2 Jahre nach der ersten
    Episode eines Delirs ohne vorherige Skizzen direkt in Reinschrift in wenigen
    Wochen fertiggestellt, also quasi in einer manischen Schaffenskraft. Ob die
    entgegen allen musikalischen Konventionen fast halluzinatorische und delirante
    Tonsprache eine Verarbeitung seiner Deliriumserfahrung war, ist spekulativ,
    allerdings zeigt das völlige Unverständnis seiner Zeitgenossen und auch das
    befremdliche, für damalige Zeiten auch obszöne Sujet der Tondichtung, dass M.
    sich mit dem Verstoß gegen alle damals gültigen musikalischen Regeln in Abseits
    manövriert hatte. Er wurde nicht mehr ernst genommen und sein exzessiver
    Alkoholkonsum diente als Erklärung für sein befremdliches Werk. Ab 1873 verlor
    M. zunehmend jegliche Kontrolle über seinen Alkoholkonsum. Er selbst nahm an
    sich – wie er einem Freund gestand – Symptome beginnenden Wahnsinns wahr, sein
    Komponistenkollege Borodin berichtet von Halluzinationen in volltrunkenem
    Zustand. Borodin und RK betrachteten ihn als „Verkommenen“ und berichteten über
    „moralischen Verfall“ (zit. n. Worbs). M. war spätestens ab 1873 ein psychisch
    und physisch schwer kranker Mann. Letztmalig in der Öffentlichkeit trat M. anläßlich
    einer Gedenkveranstaltung für den im Februar 1981 verstorbenen Dostojewski auf.
    Wenige Tage später musste M. hospitalisiert werden, im März 1981 enstand im
    Krankenhaus 3 – 4 Wochen vor seinem Tod das berühmte Porträt von Ilja Repin. Am
    28.3.1881 verstarb M., als Todesursachen wurden Leberzirrhose, Wundrose,
    Epilepsie, chronische Nephritis und Rückenmarksentzündung vermerkt.

  • Wie und ob Rausch, Trauma und Sucht
    ihren Niederschlag in Musik finden, möchte ich gerne mit euch diskutieren.


    Lieber Hastetöne!


    Erst mal willkommen im Forum. Ich wünsche Dir viel Spaß und Austausch. Sicherheitshalber auch ein ordentliches Maß an Frustrationstoleranz!


    Das ist ein sehr interessantes Thema. Ich weiss noch nicht ob ich dazu was beitragen kann, aber verfolgen werde ich es sicher!


    Beste Grüße


    Caruso41

    ;) - ;) - ;)


    Wer Rechtschreibfehler findet, darf sie behalten!

  • Lieber Hastetöne,


    auch von mir ein schönes Willkommen! :) Das ist eine interessante Problematik. Mir fällt spontan Alexander Scriabin ein. Bei ihm gibt es sehr exaltierte Spielanweisungen. Am Schluss der 7. Klaviersonate steht in Takt 428 en délire. Die Musik befindet sich also im Delirium! :D :hello:


    Schöne Grüße
    Holger

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  • Bereits als Zwanzigjähriger unterzog M. sich einer Badekur wegen eines „nervösen Nervenleidens“ –
    möglicherweise erste Vorboten der Symptomatik des „heavy drinkers“. Hatte M.
    schon während seiner Kadettenzeit einen- wie man heute sagen würden – „schädlichen
    Gebrauch von Alkohol“ entwickelt, so geriet er nun vollends in die Abhängigkeit
    und spätestens nach dem Tod seiner Mutter 1865 – zu der er ein äußerst inniges
    Verhältnis hatte – entglitt ihm jegliche Kontrolle. Erstmalig wurde M. wegen eines Delirium tremens hospitalisiert aber
    offensichtlich soweit wieder hergestellt, dass er seiner künstlerischen
    Tätigkeit nachgehen konnte.


    Ich misch mich ja ungern ein, wenn ein Spezialist hier schreibt, dem ich naturgemäß unterlegen sein muß, aber man kan den notorischen Trinker IMO uns Süchtigen generel von zwei seiten betrachten.


    Zum einen als Person die durch den Genuß von Suchtmitteln zerstört wurde. Derjenige geriet eher zufällig in den Teufelskreis von Lustgewinn und Abhängigkeit,
    zum anderen aber als prädisponierte labile Person, wo der Alkohol (oder anderes Medium) zunächst als Korrektiv subjektiven Unglücklichseins durchaus erfolgreich eingesetzt wird bis er allmählich die Persion zerstört


    Ich hatte noch eine dritte Möglichkeit vergessen, jene der Drogen mit gesellschaftlichem Status, wie weispielsweise Kokain.
    Mir wurde von einem Freund aus der "besseren Gesellschaft" ernstahft eingeredet, Kokain habe keine Nebenwirkungen, es wäre den Reichen vorbehalten weil es unschädlich sei.


    Ich fragte ihn daraufhin, ob er je etwas vom Phänomen der "Kokainwanzen" gehört habe und ob er wisse was das sei...... :stumm:


    In der Tat aber vermag Musik Stimmungslagen zu beeinflussen. Und mit hoher Wahrscheinlichkeit regen Drogen in gewissen Dosierungen für eine Weile die Phantasie an und so bringt mancher Künstler - in unserem Falle Musiker - zu beeindruckenden Ergebnissen


    Hector Berlioz' Symphonie fantsatique enthält durchaus autobiograpische Züge....


    mfg aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Bei mir verbindet sich Rausch und Trauma mit dem Begriff Extase. In der Oper oft der Schluß eines Werkes, z.B. Salome, Elektra, auch Tristan. Bolero oder den La Valse könnte ich nennen, uva. Diskussionsstoff genug.


    Ich nenne Alexander Skrjabin mit seinem"Poem de l`Extase". Wie hier, teilweise mit erotischem Hintergrund, eine phantastische Steigerung aufgebaut wird, verschiedene Erregungszustände beschrieben werden, dazu die Instrumentation immer fulminanter wird, kurz vor dem Kulminationspunkt erstarrt, um dann in einer gewaltigen Steigerung das stark vergrößerte Orchester strahlend im Durakkord (fis??) enden zu lassen, das ist ein Meisterwerk. Leider sehr selten gespielt. Ich habe es erst einmal live im Konzertsaal gehört, vor etwa 30 Jahren in Gera, und es ist unvergessen!


    Aber ich habe neben youtube auch eine CD mit dem Chicago-Sinfonieorchester unter Pierre Boulez. Himmlisch, aber nichts zum Einschlafen.


    Skrjabin litt ja an Größenwhn, krankhaft, er hielt sich selbst für den Größten und sie sollten enden in einem "Mysterium", einem mehrtägigen Werk, in einem extra dafür geschaffenen Tempel, der die Erneuerung der Menschen darstellen sollte.


    Herzlichst La Roche

    Ich streite für die Schönheit und den edlen Anstand des Theaters. Mit dieser Parole im Herzen leb' ich mein Leben für das Theater, und ich werde weiterleben in den Annalen seiner Geschichte!

    Zitat des Theaterdirektors La Roche aus Capriccio von Richard Strauss.

  • Interessanter Komponist und bizarre Persönlichkeit, da gibt es für mich bestimmt noch viel zu entdecken. Mir fallen bei Rausch und Musik aber auch die Minimalisten - Steve Reich etc. - ein. Sich auf diese Musik einzulassen, ruft psychodelische Effekte ganz ohne irgendwelche Substanzen hervor. Und aus diesem Umfeld sei noch auf eine Neuentdeckung (für mich - ihr kennt den möglicherweise schon) verwiesen: Julius Eastman, 1990 in totaler Verelendung und obdachlos verstorben, völlig vergessen und jetzt langsam wiederentdeckt - großartige Musik! Nahm sicher eine Sonderrolle als offen und für damalige Verhältnisse geradezu provokativ schwul lebender Afroamerikaner im klassischen Musikbetrieb der USA in den der 70`er Jahre ein. Eastman genoss Ende der 70`er und Anfang der 80`er Jahre einen guten Ruf als Musiker und Komponist, wurde mit seinem SEM Ensemble immer wieder für Konzerte, Auftritte und auch eine Tournee durch Europa engagiert, manövrierte sich aber durch einen provokativen Lebensstil ins Abseits. Hinzu kam ein zunächst zunehmend unkontrollierter Alkoholkonsum (Whiskey) und später eine Crack-Kokain Abhängigkeit, die ihn für den Konzertbetrieb zunehmend untragbar machte. Eastman, der großartige Musiker und Komponist starb völlig allein am 28.5.1990 im Krankenhaus laut Todesbescheinigung an Herzversagen, hervorgerufen durch mögliche Tuberkulose, Austrocknung und Kachexie. Ein HIV Test wurde nicht
    durchgeführt – oder ist nicht bekannt, allerdings lassen die knappen Berichte über seinen Gesundheitszustand zusammen mit dem Wissen um Hochrisikosex und
    Drogenkonsum Ende der 80`er Jahre natürlich an Aids denken.


    Liebe Grüße, Konrad


    Inzwischen gibt es ein paar Aufnahmen:
    Julius Eastman, Femenine, S.E.M Ensemble (1974 live recording) Label: frozen reeds
    Julius Eastman, Unjust Malaise; Gay Guerilla, Various Artists and Julius Eastman, Label: New World Records
    Julius Eastman, Unjust Malaise; Crazy Nigger, Label: New World Records
    Julius Eastman, Evil Nigger, Jace Clayton, The Julius Eastman memory Depot Label: NEWAM (Newamsterdamrecords)






  • Skriabin wurde vor 1914 mindestens über zwei Perioden jeweils über mehrere Wochen hinweg an der Nervenklinik der Universität Heidelberg behandelt. Über den Ausgang ist mir nichts bekannt. Er hat den dortigen Ordinarius aus Geldmangel mit mehreren kleinen, diesem gewidmeten Kompositionen "bezahlt". :yes:


  • Ein vielversprechender junger Komponist.
    "GHB" ist für den Musiker eine Tonfolge, für den "Rave- oder technofan" oder eben den Suchtspezialisten eine psychotrope Substanz - besser bekannt als KO-Tropfen (Gammahydroxybuttersäure), die in niedrigerer Dosierung psychodelisch wirken. Nikodijevic beschreibt im Stück GHB-Tanzaggregat musikalisch seine persönlichen Erfahrungen mit dem Zeug. Lohnenswert zu hören. Ähnliche Stücke von ihm: k-hole/schwarzes Loch (da geht es um Ketamin - bisher nur auf You tube) und "Tiefenrausch" - ein Kompositionsauftrag von „The European Concert Hall Organisation“ (ECHO) für die Reihe „Rising Stars“. Es gibt noch keinen Tonträger, das Armida Quartett tourt mit dem Stück.
    P.S.: Um Mißverständnisse zu vermeiden, hier wird nichts verherrlicht, sondern der Komponist gibt sehr persönliche Erfahrungen wieder, wie z. B. Berlioz in seiner Symphonie fantastique seinen Opiumrausch nach einem fehlgeschlagenen Suizidversuch mit Laudanum (alkoholische Opiumlösung - die Modedroge des 19.ten Jahrhunderts).


    LG


    Konrad

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  • @ hastetöne,


    auch von mir Neuling einen Willkommensgruss ("Du auch ?"). Ich habe noch nicht ganz den roten Faden gefunden, um was es hier geht. Möchte noch etwas abwarten, vielleicht kann ich dann was beitragen. :)


    Schöne Grüsse
    D.

  • Lieber hastetöne,
    gleich mit einigen Beiträgen und neuen Gedanken, hast Du Dich nahezu spektakulär bei uns eingeführt. Herzlich willkommen und ein weiter so. Bin schon gespannt auf die nächsten Beiträge. Ob ich zu der Thematik etwas beitragen kann weiß ich noch nicht. Obwohl ich zum Beispiel beim jubeldnden Schluss von "Fidelio" tatsächlich mit namenloser Freude mitfeiern, mit jubeln und mitschwitzen kann. Dein Nickname lässt auf Humor schließen, auch auf diesem Gebiet hat Tamino einiges zu bieten: Da gibt es die witzigsten Cover und sogar ein Tamino-Holzwurm triebt hier sein Unwesen. :hahahaha:


    Herzlichst
    Operus

    Umfassende Information - gebündelte Erfahrung - lebendige Diskussion- die ganze Welt der klassischen Musik - das ist Tamino!

  • Liebe Taminos, danke für die netten Begrüßungen; lieber operus, was Du zu Fidelio sagst, trifft enau die Intention dieses Themas. Mir geht es so bei Dvoraks Cello-Konzert, besonders beim Mittelsatz.

    Obwohl ich zum Beispiel beim jubeldnden Schluss von "Fidelio" tatsächlich mit namenloser Freude mitfeiern, mit jubeln und mitschwitzen kann.

    Musik kann beim Zuhörer euphorisierende aber natürlich auch deprimierende Wirkungen haben. Und es gibt Grund zu der Annahme, das diese Stimmungen - mögen sie durch Substanzen oder auch ohne Drogen ausgelöst sein - auch die Entstehung des Werkes beeinflussen - in verschiedenster Hinsicht, manchmal auch genau reziprok.
    Ein Beispiel hierfür Wilhelm Friedemann Bach, der älteste und angeblich begabteste Bachsohn, der im Alter - vulgär ausgedrückt- als "verkrachte Existenz" gilt.


    Die erste publizierte Komposition WFB`s – und eines der wenigen zu B`s Lebzeiten veröffentlichten Stücke ist die Sonate in D-Dur. Komponiert in seiner Dresdener Zeit und veröffentlicht 1745 macht diese Sonate WFB`s Dilemma deutlich: Im langsamen Satz lehnt er sich an das Hauptthema aus der Kunst der Fuge seines Vaters an, der Beginn des Satzes könnte problemlos aus der Feder JSB´s stammen, allerdings zeigt sich die Meisterschaft des Sohnes im weiteren Verlauf, der Vater wird nicht nur zitiert, sondern höchst kunstvoll weiterentwickelt, das Thema JSB wird bei WFB nämlich als Variation in der Umkehrung wiedergegeben, der Vater wird durch den Sohn quasi auf den Kopf gestellt. Nähe und Distanz – ausgedrückt in wenigen Noten. Dieser Konflikt zwischen Vatertreue und dem Bedürfnis nach
    Aufbruch und Bruch wird zum Lebensthema WFB´s, das ihm anhaltende Erfolglosigkeit und bittere Armut bescheren wird und an dem er letztendlich
    zerbrechen wird.
    W.F. Bachs Ruf wurde durch den unsäglichen und schlecht recherchierten Roman von Brachvogel und der Verfilmung von Gründgens nachhaltig ruiniert. Seine Alkoholproblematik und eine "eigenwillige und bizarre" Persönlichkeit dürfen aber wohl als gesichert gelten. Bach bemühte sich in Berlin vergebens um eine feste
    Anstellung, um seine prekäre wirtschaftliche Situation zu verbessern, ihm läuft der Ruf seines angeblich „bizarren und capriciösen Betragens“ voraus, zudem hat
    sich wohl seine Alkoholproblematik bis nach Berlin herumgesprochen.WFB zog sich im Weiterenverbittert fast vollständig aus dem Berliner Musikleben zurück, er hatte wohlaufgegeben, die Anerkennung zu erhalten, die ihm seiner Meinung nach zustand. WFBwar verarmt, alt und verkannt. Spannend aus meiner Sicht ist, dasst WFB in dieserZeit seiner Isolation vom Musikbetrieb und wohl auch der zunehmendunkontrollierten Alkoholkrankheit mit den 12 Polonaisen sein Meisterwerk schuf,

    dass seinen Nachruhm bis heute begründen sollte und ihm auch als altem Mann eine gewisse Anerkennung der Zeitgenossen einbrachte. Der Aufbau dieser Stücke
    orientiert sich am Wohltemperierten Clavier JSB´s und damit indirekt am Clavier-Büchlein für Friedemann, dass der Vater ihm als Kind gewidmet hatte und
    in dem einige Stücke aus dem Wohltemperierten Klavier enthalten sind. Somit zeigt sich auch im späten Meisterwerk WFB´s der lebenslange Einfluß des
    unerreichbaren Vaters (zit. n. Kahmann). WFB stirbt völlig verarmt und verbittert, dem Totenbuch der Berliner Luisenstadtkirche ist zu entnehmen, dass
    der völlig verarmten Witwe die Bestattungskosten erlassen wurden, als Todesursache wird die Brustkrankheit – also wohl die TBC angeführt.


    Viele Grüße,


    Konrad

  • Liebe Taminos, jetzt mal eine nicht stofflich gebundene Sucht - die Sexsucht.
    Ich hoffe ihr überseht nicht das leichte Augenzwinkern bei diesem Text.
    In einem Rondo kehrt ein musikalisches Thema immer wieder, dieses Thema wäre in diesem Text: Sex. Damit Mißverständnisse vermieden werden, sei darauf hingewiesen, dass die leicht ironische Darstellung im Folgenden keineswegs den Leidensdruck von Menschen mit zwanghaftem Sexualverhalten bagatellisieren soll, allerdings kann man bei entsprechenden Recherchen durchaus den Eindruck eines inflationären Gebrauches dieser Begrifflichkeiten gewinnen. Sexsucht scheint besonders in den USA – speziell in Hollywood - zu grassieren, gemessen an der Zahl der outings von Prominenten. Der Komponist, der hier vorgestellt werden soll, hatte ein bewegtes, wechselvolles Liebesleben – ob diagnostische Kriterien der Sexsucht (ohnehin eine sehr fragwürdige und umstrittene Entität) erfüllt sind, lässt sich natürlich im Nachhinein bei einem Barockkomponisten mit lückenhaften biographischen Quellen nicht entscheiden. Sicher ist aber das Kriterium der Selbstschädigung – durch seine amourösen Eskapaden hat sich Alessandro Stradella immer wieder selbst in Schwierigkeiten gebracht, letztlich hat ihn wahrscheinlich ein Abenteuer das Leben gekostet. Stradellas musikhistorische Bedeutung liegt in der Vorwegnahme der Form des Concerto grosso. Zu seiner Zeit war Stradella in Rom in aller Munde, zum einen wegen seiner musikalischen Erfolge zum anderen aber auch wegen seiner Erfolge als Liebhaber adliger Damen.
    Unterstützt durch Musikmäzene kann Stradella an seinem musikalischen Ruhm arbeiten. Allerdings lassen die Affären nicht lange auf sich warten. Ein Mitglied des venezianischen Hochadels bittet Stradella, seine Mätresse Agnese van Uffele als Privatlehrer in Musik zu unterrichten. Wie ihr sicher schon ahnt, dauert es nicht lange und der Lehrer bezirzt seine Schülerin – allerdings wieder mit üblen Folgen für den Komponisten, denn einem venezianischen Adligen die Geliebte auszuspannen, stößt nicht auf allzu viel Verständnis in Adelskreisen. Der Komponist muß fliehen und findet Zuflucht in Turin, am Hof des Herzogtums Savoyen. Stradellas Ruf war nun endgültig ruiniert, er galt als Mensch „von geringem moralischen Wert“. Stradella wird Opfer eines Mordanschlags: Mit mehreren Messerstichen wird er lebensgefährlich verletzt, die Attentäter hielten ihn wohl für tot und ließen ihn auf der Strasse liegen.
    Der Komponist bediente alle üblichen Genres im italienischen Barock des 17. Jahrhunderts, sein Hauptaugenmerk lag aber auf der säkularen Vokalmusik und hier besonders der Kantate. Die Kantate ist ein Experimentierlabor der barocken Vokalmusik. Sie erlebt einen regelrechten Boom: Die High society trifft sich jede Woche in den Palazzi der Kardinäle und der Mächtigen und veranstaltet dort musikalische Abende; angereichert mit Diskussionen über Sprache, Kultur und Ästhetik, einem guten Essen und den neuesten Klatschgeschichten.
    Stradellas Accademia d`amore – Text von Giampietro Monesio -, ist die musikalische Untermalung einer Diskussion über die Liebe. 2 Widersacher – Bellezza (Schönheit) und Cortesia (Liebenswürdigkeit, Höflichkeit) streiten darüber, welche von beiden wichtiger für die Liebe ist. Letztlich fasst Amor, der hier den Moderator gibt das Ergebnis der Debatte zusammen: Bellezza erweckt die Liebe und Cortesia erhält sie.
    (Alessandro Stradella (1642-1682): Amanti,Ola,Ola (Accademia d'Amore), CD Label: Chandos, DDD, 2001/05
    Cristiana Presutti, Gianluca Befliori Doro, Riccardo Ristori, Rosita Frisani, Anna Chierichetti, Estevan Velardi.)
    Im zweiten Teil der Debatte kommen in diesem Konzept üblicherweise andere Diskutanten zu Wort, so meldet sich „Disinganno“ (Die Ernüchterung) und erklärt und warnt Liebende, dass Amors Pfeile vergiftet seien und die resultierenden Wunden seien schmerzhaft. Dies geschieht in der musikalischen Form des Scherzo. Im weiteren Verlauf der accademia übrigens ist Amor sauer auf Disinganno, der Wasser in seinen amourösen Wein schüttet, und beendet abrupt diese Diskussion: „Wer nicht liebt, kann kein guter Poet sein“.
    Stradella verkehrt später in den Nobelvierteln Genuas und genießt seine angesehene Position in dieser Gesellschaft. Damit ist es - bei Kenntnis des bisherigen Lebenslaufes des Komponisten – nicht verwunderlich, dass die nächste Affäre nicht lange auf sich warten lassen kann. Aber es kommt bitter: „Am Mittwoch Abend gegen 19:00 wurde der Musiker Stradella auf dem Nachhauseweg in Begleitung seines Dieners… drei mal niedergestochen und starb sofort ohne noch ein Wort sagen zu können und der Diener, der vor ihm ging, sah nichts bis er ihn auf das Gesicht fallen sah. So starb er und man weiß bis jetzt nicht, wer das tat.“ (zit. nach Gianturco). Es gibt drei Versionen über die potentiellen Täter bzw. Auftraggeber. Zum einen eine ungebührliche Affäre Stradellas mit der Schwester eines der reichen Adligen, zum anderen wird ein Eifersuchtsdrama mit einer Schauspielerin genannt, in deren Zentrum Stradella stand und zum Dritten werden etliche Affären mit den Damen des Genueser Hochadels berichtet.
    Stradellas Werke werden bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts aufgeführt, dann geraten sie weitgehend in Vergessenheit. Erst in jüngerer Zeit wird die Qualität Stradellas wieder entdeckt und Konzerte mit seinen Werken finden statt und Tonträger erscheinen.
    Ich finde, es lohnt, mal reinzuhören:
    Alessandro Stradella, Ensemble Arte Musica, Francesco Cera ‎– Stradella: Complete String Sinfonias
    Label: Brilliant Classics ‎– 95142


    Viele Grüße und einen einen sinnenfrohen Abend


    Konrad

  • Rauschhafte Interpretationen bachscher Klavierstücke (m-müller)


    Ich habe gerade beim Lesen dieses Themas von m-müller gelernt, dass es "Rausch" nicht nur bei Komponisten und/oder Hörern, sondern auch bei oder durch die Interpretation gibt. Spannend


    Grüße,


    Konrad

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  • Noch eine Ergänzung zum Thema "Sex, Sucht, Rausch":
    Gibt man im ICD 10 (International classification of diseases) das Stichwort "Sexsucht" ein, landet man bei F 52.7, "gesteigertes sexuelles Verlangen, dazugehörige Begriffe - Nymphomanie, - Satyriasis"
    Damit wird man direkt in die Renaissance und in den Barock katapultiert, Barockopern ohne Satyrn und/oder Nymphen sind kaum vorstellbar. Auch "Don Juanismus" ist ein entsprechender Begriff, das Weiterspinnen in Musik überlasse ich aber den Opernexperten.
    Ein Satyr ist eine mythologische Figur, halb Mensch, halb Tier – meistens Ziegenbock. Mit Dionysos - dem Gott des Weines, der Freude, der
    Fruchtbarkeit und der Ekstase und zugleich deren „Chef“ - teilten sie einen ausgeprägten Hang zu Sinnenfreuden aller Art und symbolisieren in Renaissance und Barock den ungezügelten männlichen Sexualtrieb. Die Satyrn werden mit Vollbart, stumpfer Nase, spitzen Pferdeohren, Pferdeschwanz oder oft auch Bocksbeinen und in der Antike mit einem (meist erigierten) Phallus dargestellt.
    Wie klingt ein Satyr? Rubens hat die Übergriffigkeit der bocksbeinigen (daher der Ausdruck „ich hab Bock“) Satyrn dargestellt(Diana und ihre Nymphen, von Satyrn überrascht; Museo del Prado, Madrid) , und ein Großmeister der Barockmusik – G. Ph. Telemann – hat diese Szenerie in einem Singspiel aufgegriffen:



    Telemann hat sicher bessere Werke komponiert, dies ist wohl eher als musikalisches Amüsement zu verstehen - oder er brauchte einfach Geld. Trotzdem sind da ein paar hübsche Kleinodien drin enthalten, z. B. die Arie des Damon "Ich glühe vor Liebe" (CD 2, Nr. 2). Man achte auf das lautmalerische Meckern des Ziegenbocks.


    Nymphen dagegen – Symbole für weibliche Verführungskunst, Anmut und Fruchtbarkeit sind eher widersprüchliche Wesen. Einige waren die weiblichen Leibwächter der keuschen, prüden Jagdgöttin Artemis und aus Paritätsgründen ebenfalls zu sexueller Entsagung verdonnert. Auf der anderen Seite war die Nymphe Calypso versessen darauf, den attraktiven Weltreisenden Odysseus als Bettgefährten auf Dauer zu halten, die berüchtigte, zaubermächtige Circe war ebenfalls Nymphe (daher der Begriff bezirzen). Eine Quellnymphe namens Salmakis war sogar derart liebeswahnsinnig, dass sie einen Sohn von Hermes und Aphrodite zu sich herunterzog und bettelte, sein Leib solle mit ihrem für immer vereint werden (Ergebnis: der Hermaphrodit). (Baur 1995). Die Figuren Nymphe und Satyr haben Künstler vieler Generationen zu erotischen Darstellungen veranlasst, "Sex sells" und die alten Meister konnten diesen Zusatzumsatz wohl gut gebrauchen und die Komponisten wollten auch ihren Teil des Kuchens haben.


    Etwas anders allerdings die musikalische Darstellung der Nymphen, die wohl hocherotisch aber mit Liebreiz und Anmut ausfällt. Die Nymphe Galathea war
    ihrem Acis treu ergeben und hat sich dem Zyklopen Polyphem verweigert. Hierzu bietet sich G. Fr. Händel an aus Acis und Galathea, die Arie der
    Galathea.

    Übrigens eine sehr lohnenswerte Aufnahme.


    Schönes Wochenende,
    Konrad

  • So, nach Sex und Rausch jetzt ein ziemlich abrupter Wechsel. Ihr werdet denken, was soll das jetzt. Schütz war grundsolider Angestellter seines Fürsten am Dresdner Hof, weder traumatisiert, noch süchtig und - soweit man weiß - auch nicht all zu oft berauscht. Aber bevor die Lehrer*innen hier im Chor rufen: "Thema verfehlt! Ungenügend! Setzen!" :baeh01: bitte noch ein bischen weiter lesen, die Kurve kriege ich noch: Heinrich Schütz musste sich - wie von Künstlern eigentlich erwartbar - zu den tagesaktuellen Geschehnissen seiner Zeit positionieren. Zu seiner Zeit als Hofkapellmeister am kursächischen Hof in Dresden kam der 30.jährige Krieg - ein fürchterlicher Gewaltexzess und ein widerliches Gemetzel - (1618 – 1648) auch ihm in der Schlacht bei Dessau bedrohlich nahe.
    Krieg, Kriegstraumata und Sucht/Substanzkonsum sind sich gegenseitig bedingende und verstärkende Entitäten. Angstlösende und enthemmende Wirkungen psychotroper Substanzen machen oftmals die Gewaltexzesse in kriegerischen Auseinandersetzungen erst möglich. Die Enthemmung in Gewaltexzessen wird durch die Ausdrücke „Blutrausch“oder „Siegestaumel“ deutlich. Gleichzeitig führt die Traumatisierung und damit die evtl. Entwicklung einer Posttraumatischen Belastungsstörung in den Substanzkonsum und in die Sucht. Wir finden daher bei Militärangehörigen in diesen Zusammenhängen u. U. Täter und Opfer in einer Person. Hier ein besonders drastisches Beispiel:
    Ein Veteran des Tschetschenien- Krieges: „Wir lebten hinter Stacheldraht. Umgeben von Wachtürmen und Minenfeldern….. Wie ein Gefängnis…. Alle tranken bis zur Besinnungslosigkeit. Tag für Tag sieht man zerstörte Häuser, sieht, wie…..Menschen getötet werden. Da bricht es auf einmal aus einem heraus….. Man ist ein besoffenes Vieh, und man hat eine Waffe in der Hand. Und nichts als Sperma im Kopf….. Diese Jungs amüsieren sich gern….Töten, saufen und vögeln – das sind die drei Freuden im Krieg.“ (Aus: Swetlana Alexijewitsch - Literatur-Nobelpreis 2015: Secondhand – Zeit).
    In deutscher Sprache wurden Kriegsgräuel erstmalig von Grimmelshausen in seinem Simplicissimus dokumentiert, gleichzeitig ist dies auch das erste Zeugnis, wie ein Künstler sich zu den Gewaltexzessen seiner Zeit positionieren kann. Die Dialektik von Opfer und Täter in einer Person wird deutlich:


    16. Capitel Heutiger Soldaten Tun und Lassen


    Diese Reimen waren um soviel desto weniger erlogen, weil sie mit ihren Werken übereinstimmten; denn fressen und saufen, Hunger und Durst leiden, huren und buben, rasseln und spielen, schlemmen und demmen, morden und wieder ermordet werden, totschlagen und wieder zutod geschlagen werden, tribulieren und wieder getrillt werden, jagen und wieder gejagt werden, ängstigen und wieder geängstigt werden, rauben und wieder beraubt werden, plündern und wieder geplündert werden, sich förchten und wieder geförchtet werden, Jammer anstellen und wieder jämmerlich leiden, schlagen und wieder geschlagen werden und in Summa nur verderben und beschädigen und hingegen wieder verderbt und beschädigt werden, war ihr ganzes Tun und Wesen."
    Schütz war grundsolider Angestellter des kursächischen Hofes in Dresden, hatte eine komfortable Lebensstellung und hatte zu kirchlichen und weltlichen Ereignissen
    die entsprechende Musik zu liefern. Im Herbst 1627 stand der Kurfürstenkollegtag in Mühlhausen bevor, für dessen Eröffnung am 8. Oktober Schütz eine Begrüßungsmusik zu komponieren hatte. Das Dilemma für den Komponisten liegt auf der Hand. Da treffen sich die Kurfürsten des „Heiligen römischen Reiches Deutscher Nation“ – zugleich die übelsten Kriegstreiber in einem immer mehr entgleitenden Konflikt, deram Ende einem Drittel der Bevölkerung das Leben kosten sollte und weite Landstriche menschenleer hinterließ. Aufrührerische Ideen lagen Schütz fern, aber die Massaker des Krieges ignorieren konnte er wohl auch nicht. Schützt löst diesen Konflikt mit der neuen Technik der Doppelchörigkeit in seinem doppelchörigen Konzert "Da pacem, Domine“.


    Der link ist dieser kleine Fleck



    Darin trägt der erste Chor den fünfstimmig auskomponierten gregorianischen Antiphon-Text als Gebet vor. Das Gebet um Frieden wird unterbrochen von einem
    vierstimmigen zweiten Chor, der mit Vivat-Rufen auf Kaiser und Kurfürsten diese als Fundamente und Schützer des Friedens feiert: "Vivat Moguntius, vivat
    Coloniensis.... etc. Im nächsten Schritt singen beide Chöre den 2. Teil des Antiphons und die Huldigung der Fürsten parallel, um zum Schluß als machtvolle Unterstreichung des Friedensappells doppelchörig „Da pacem domine“ zu singen. Gänsehaut pur ist spätestens hier garantiert.
    Heinrich Schütz kann somit als Beispiel dienen, in dem die Kunst - auch im Abhängigkeitsverhältnis und unter autoritären Regimes - versucht Stellung zu
    beziehen zu tagesaktuelle Menschheitskatastrophen wie dem Blutrausch des 30 jährigen Krieges. Das ist durchaus nicht selbstverständlich.


    LG,


    Konrad

  • Die perfekte musikalische Darstellung einer drogeninduzierten Psychose - vulgo: Horrortrip - Berlioz´s Symphonie fantastique.



    Der aufstrebende aber noch weitgehend unbekannte Komponist Hector Berlioz verliebt sich 1927 leidenschaftlich während einer Shakespeareaufführung in die Ophelia Darstellerin Harriet Smithson, obwohl die Schauspielerin ihm zunächst die kalte Schulter zeigt, wird diese Leidenschaft für den Musiker obsessiv. Die Geschichte dieser verzweifelten Liebe ist das Programm der Symphonie fantastique, und Berlioz hat nie einen Zweifel zugelassen, dass es die Geschichte seiner eigenen Liebe und seines eigenen Drogenwahns ist. Die Modedroge des 18. und 19. Jahrhunderts war alkoholische Opiumlösung (Laudanum), preisgünstig, leicht zu beschaffen und nahezu universal einsetzbar von Angst bis Zahnschmerz – das Aspirin des 19. Jahrhunderts. Viele Schriftsteller und Künstler dieser Zeit nutzten Laudanum zur Kreativitätssteigerung. Berlioz` Vater war Arzt und hat wohl reichlich Laudanum verordnet, somit gab es keine wirklichen Beschaffungsprobleme. Bei der Uraufführung lässt der Komponist das von ihm selbst verfasste Programm der Sinfonie verteilen mit der Anmerkung, dass die Verteilung des Programmes zum völligen Verständnis des dramatischen Planes des Werkes unerläßlich sei. Ein Wendepunkt der Musikgeschichte, denn zum ersten Mal erklingt Programmmusik, weiterentwickelt zur Sinfonischen Dichtung bis hin zur Konzeptmusik unserer Zeit, einschließlich der Fluxusbewegung. Somit wird der Hörer Ohrenzeuge einer Liebestragödie und eines Horrortrips - ausgelöst durch Opiumtinktur. Allerdings bewirken Opiate eher selten eine drogeninduzierte Psychose, in der Originalrezeptur von Paracelsus gehört Bilsenkraut (Inhaltsstoff der mittelalterlichen Hexensalben) dazu – sehr giftig und stark halluzinogen – es stellt sich daher die Frage, was hat Berlioz wirklich genommen, war es „nur“ Opiumlösung oder war noch etwas anderes dabei.
    Ein weiteres Novum führt Berlioz ein: Das Leitmotiv – hier „idée fixe“ genannt. Der Angebeteten wird bei deren Erscheinen in dem Gesamtkonzept ein musikalisches Thema unterlegt, dieses wiederum wird variiert je nach dem Kontext des Erscheinens. Im dritten Satz der Sinfonie wird mit Donner und Blitz angedeutet: Die Liebe wird nicht erwidert. In seiner Verzweiflung versucht sich der Protagonist mit Opium - als alkoholische Lösung in Laudanum - das Leben zu nehmen, damals recht populär als Schmerzmittel, in Künstlerkreisen zur Kreativitätssteigerung und auch zum Suizid. Auch Goethe hatte Erfahrung mit Laudanum und einiges spricht dafür, dass der Suizidversuch Faust`s mit Laudanum erfolgte. Der Protagonist in der S.f. (also Berlioz selbst) stirbt nicht an der Überdosis, (Zitat Programm von Berlioz):„die Dosis des Narkotikums ist zu schwach, um ihm den Tod zu geben, versenkt ihn aber in einen von den schrecklichsten Visionen begleiteten Schlaf. Er träumt, er habe die Frau, die er liebte, getötet, er sei zum Tode verurteilt, werde zum Richtplatz geführt und helfe bei seiner eigenen Hinrichtung“ Zitat Ende. Diese Szenerie wird im 4. Satz der S. f. musikalisch geschildert: Marche au supplice (Gang zum Richtplatz). Kurz vor Ende des Satzes erscheint für 4 Takte die idee fixe – also die Geliebte als letzter Anklang der vergeblichen Liebe, abrupt unterbrochen durch den Schlag des Fallbeiles der Guillotine. Im fünften und letzten Satz der S. f. schließlich findet sich der Protagonist in seinem drogeninduzierten Albtraum auf einem Hexensabbat. Der Begriff Hexensabbat –im Mittelalter mit deutlich antisemitischem Inhalt – hat sich in späteren Jahrhunderten von seiner ursprünglichen Bedeutung gelöst und bezeichnet jetzt ein Geheimtreffen mit Tanzritualen von Hexen und Zauberern aller Art.Im Programm der S. f. schreibt Berlioz: „ Er sieht sich inmitten einer scheußlichen Schar von Geistern, Hexen und Ungeheuern aller Arten….seltsame Geräusche, Stöhnen… ferne Schreie…“ Auch die Geliebte erscheint zum Hexentanz, die idee fixe ist hier durch den 6/8 Rhythmus mit Vorschlägen und Trillern stark verzerrt. Die Geliebte wird damit zur Teilnehmerin des Tanzrituals, das Thema der idée fixe ist zum ordinären Tanzlied verkommen. Das surreale und albtraumhafte der Szenerie unterstreicht Berlioz durch ein musikalisches Zitat des Dies irae aus der katholischen Totenmesse – begleitet von Totenglocken und im weiteren Verlauf auf die Spitze getrieben und damit deutlich parodiert durch die Kombination des Dies irae mit dem Hexentanz, wodurch eine geradezu höllische Verknüpfung entsteht. Berlioz selber hat die S. f. nur begrenzt Glück gebracht. Ließ ihn die geliebte Schauspielerin Harriet Smithon zunächst abblitzen, heirateten sie 3 Jahre nach der Uraufführung. Heinrich Heine und Franz Liszt waren unter den Hochzeitsgästen. Aber nach wenigen Jahren war die Ehe zerrüttet, die beiden trennten sich. Die S. f. begann jedoch ihren Siegeszug durch die Konzertsäle, gilt heute als eine bedeutende Sinfonie der Romantik und gehört zum Standardrepertoire aller großen Orchester. Großartige Musik – mir gefällt die Interpretation Rattle´s sehr – und eine überzeugende musikalische Darstellung einer drogeninduzierten Psychose – hier mit Laudanum, der Modedroge der Romantik, der viele Literaten und Musiker verfallen waren – z. B. ETA Hoffmann, Thomas de Quincy, u.v.a..


    LG,


    Konrad

  • Hallo hastetöne,

    Zitat

    Im Opiumrausch: Hector Berlioz und die Symphonie Fantastique


    Die perfekte musikalische Darstellung einer drogeninduzierten Psychose - vulgo: Horrortrip - Berlioz´s Symphonie fantastique.

    aber nicht mit dieser Aufnahme! :D


    Ich habe das nur gekauft wegen Susan Grahams Cléopâtre!


    LG Fiesco

    Il divino Claudio
    "Wer vermag die Tränen zurückzuhalten, wenn er den berechtigten Klagegesang der unglückseligen Arianna hört? Welche Freude empfindet er nicht beim Gesang seiner Madrigale und seiner Scherzi? Gelangt nicht zu einer wahren Andacht, wer seine geistlichen Kompositionen anhört? … Sagt nur, und glaubt es, Ihr Herren, dass sich Apollo und alle Musen vereinen, um Claudios vortreffliche Erfindungsgabe zu erhöhen." (Matteo Caberloti, 1643)

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  • Hmmm.... mir gefällt sie gut - aber welche Aufnahme würdet ihr denn empfehlen?
    Konrad


    Hallo Konrad, mir gefällt die Aufnahme von Markevitch außerordentlich gut ...
    klick
    .....war meine allererste und ist es bis heute geblieben, Markevitch und Berlioz :thumbsup: !


    LG Fiesco

    Il divino Claudio
    "Wer vermag die Tränen zurückzuhalten, wenn er den berechtigten Klagegesang der unglückseligen Arianna hört? Welche Freude empfindet er nicht beim Gesang seiner Madrigale und seiner Scherzi? Gelangt nicht zu einer wahren Andacht, wer seine geistlichen Kompositionen anhört? … Sagt nur, und glaubt es, Ihr Herren, dass sich Apollo und alle Musen vereinen, um Claudios vortreffliche Erfindungsgabe zu erhöhen." (Matteo Caberloti, 1643)

  • An Jean Sibelius scheiden sich die Geister, Adorno hielt ihn für einen der furchtbarsten Komponisten überhaupt, für Leonard Bernstein war Sibelius einer der bedeutendsten Sinfoniker und Simon Rattle schnitt die Musik Sibelius´ bis auf die Knochen. Zwischen diesen Extremen bewegt sich die Einschätzung dieses eigenwilligen Komponisten. Das Klischee, in allen seinen Werken höre man die finnischen Seen blinken oder rauschen, hängt der Sibelius Rezeption bis heute an. Klischees haben ja auch oft einen wahren Kern, die Inspiration durch die finnische Natur hat Sibelius selbst herausgestellt.
    Sibelius hatte ein Alkoholproblem, die klassischen Kriterien der Abhängigkeit sind eher nicht erfüllt, aber mit heutiger Diagnostik würde man von einem „schädlichen Gebrauch von Alkohol“ sprechen. Er hat enorme Summen Geldes versoffen und seine Familie damit in existentielle Not gebracht, konnte dieses Verhalten entgegen seiner Vernunft aber nicht einstellen. Zudem traten in seiner Familie psychiatrische Erkrankungen gehäuft auf – eine Schwester litt an Zyklothymie (manisch-depressiv) und verbrachte ihre letzten Jahre in einer Nervenheilanstalt, bei der Mutter waren vergleichbare Züge bekannt und Sibelius selbst waren die tiefen depressiven Täler aber auch die euphorischen Höhen nicht unbekannt. Zudem litt er an einer erblichen Form des Tremors ( Zittern - meistens die Hände), die merkwürdigerweise unter Alkohol besser wird. Hat er sich evtl. mit Alkohol sowohl psychisch als auch körperlich selbst "therapiert" - übrigens kein ganz unbekannter Mechanismus in der Suchtentstehung.
    Ende 1908/ Anfang 1909 war der Komponist am Ende; durch seinen immensen Alkoholkonsum hatte er sich und seine Familie nahezu in den Ruin getrieben, seinen Verpflichtungen gegenüber seinem Verlag konnte er nicht nachkommen und zudem wurde ein Tumor im Halsbereich diagnostiziert, dessen Dignität unklar war. Sibelius musste sich daher mit dem Gedanken an sein baldiges Ableben befassen, außerdem wurde er von seinen Ärzten zu kompletter Alkohol- und Nikotinabstinenz (S. war zwanghafter Zigarrenraucher) verdonnert. Und jetzt kommt das für dieses Thema Faszinierende: In dieser Phase der erzwungenen Abstinenz schafft Sibelius mit seiner 4. Sinfonie sein überragendes – weit in die Zukunft weisendes Werk. Oft gebrauchen Künstler psychotrope Substanzen zur Kreativitätssteigerung, hier ist es die Abstinenz, die S. dieses epochale Werk ermöglicht. S. verschiebt die Grenzen der klassischen Sinfonieform und weitet die Tonalität bis an die Grenze der Atonalität aus. Die Leiden des Komponisten sind in der 4. zu hören, die Grundidee der Sinfonie ist der Tritonus, der schon im ersten Akkord (c – fis) auftaucht und der allen schon Tonalitätsübergreifend ist. Der Tritonus ist der „diabolus in musica“, Komponisten haben diesen Akkord für besonders finstere Momente genutzt, Sibelus macht ihn zur Uridee seiner Sinfonie. Es könnte ein unterhaltsames Spiel für Gesellschaftsabende sein, herauszubekommen, wo dieses Intervall in der Sinfonie überall vorkommt. Das Publikum nahm die Sinfonie mit Unverständnis und Stirnrunzeln auf - unter Fachleuten (was immer das ist :D ) gilt die 4. als herausragend. Sibelius hat danach nie mehr ein derart zukunftweisendes Werk geschrieben.
    Übrigens – ich bin ein Rattle Fan und finde diese Aufnahme der Sinfonien toll.



    LG,


    Konrad

  • Hmm... eigentlich habe ich mit Protest und Widerspruch gerechnet, als ich Sibelius´s 4.te als sein "Meisterwerk" beschrieben habe. Aber ihr scheint ja einverstanden - oder?


    LG,


    Konrad

  • Aber ihr scheint ja einverstanden - oder?


    Joa... eigentlich schon, wenngleich ich seine 5. persönlich noch mehr schätze.


    Danke übrigens für die interessanten Hintergrundinformationen zur Entstehung der 4.

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  • Jetzt wieder ein Schwenk zum Trauma. Bitte aber keine Grundsatzdiskussion zur Täter/ Opfer Frage. Ob ein Doppelmörder durch seine Tat oder die zugrundeliegenden Ursachen traumatisiert ist soll hier nicht diskutiert werden. Die Musik (und Biographie) Gesualdos jedenfalls lässt IMO keinen Zweifel, dass Gesualdo nach der Tat psychisch schwer lädiert war oder bestimmte vorbestehende Persönlichkeitsmerkmale danach skuril prononciert waren.
    Don Carlo Gesualdo, Fürst von Venosa, komponierte „musica reservata“ – Musik von einer und für eine Elite. Über 300 Jahre fast völlig vergessen, wurde er durch Igor Strawinsky wiederentdeckt und erlebt heute hohe posthume Anerkennung, verdeutlicht durch Bearbeitungen zeitgenössischer Komponisten wie Strawinsky, Peter Eötvös und Enno Poppe. Eine eigenartige Faszination ist dieser Musik eigen, man ihr sich kaum entziehen, kann sich darin versenken und verlieren. Auch Literaten wurden durch Gesualdos Musik zu Fantasiereisen angeregt.
    Hermann Hesse, nachdem er eine Aufnahme mit Musik Gesualdos gehört hatte: Einst vor tausend Jahren
    Unruhvoll und reiselüstern
    Aus zerstücktem Traum erwacht
    Hör ich seine Weise flüstern
    Meinen Bambus in der Nacht.


    Statt zu ruhen, statt zu liegen
    Reißts mich aus den alten Gleisen,
    Weg zu stürzen, weg zu fliegen,
    Ins Unendliche zu reisen.
    Wo Hesse offensichtlich einen psychodelischen Effekt in der 2. Strophe – wo er gleich ins Unendliche reisen will - und sexuelle Stimulation in der ersten erfahren hat, nutze Aldous Huxley die Madrigale Gesualdos als Hintergrund für einen Meskalintrip: „eine Platte mit einigen Madrigalen Gesualdos wurde aufgelegt. „Diese Stimmen“ sagte ich anerkennend „bilden eine Art Brücke, die in die menschliche Welt zurückführt“.“ (Aldous Huxley: Die Pforten der Wahrnehmung, Erfahrungen mit Drogen, London 1954, Die Musik Gesualdos im Meskalinrausch).
    Gesualdo war mit der 25 jährigen Donna Maria d´Avalos verheiratet, lt. Zeitzeugen eine Frau von außergewöhnlicher Schönheit. Nachdem Gerüchte über deren Untreue zu ihm drangen, überraschte er sie in flagranti mit ihrem Liebhaber. Beide wurden vom Fürsten und seinen Helfern brutal ermordet. Obwohl der Doppelmord großes Aufsehen bei den Zeitgenossen verursachte, wurde Gesualdo strafrechtlich nicht belangt, die Tat galt nach damaligem Recht als Ehrenmord, der bei Adligen nicht verfolgt wurde. Der Komponist zog sich anschließend weitgehend aus dem öffentlichen Leben zurück, komponierte und entwickelte seinen eigenwilligen Musikstil, parallel zu einem zunehmend exzentischen Lebensstil. Seine Werke wurden von einer bei Gesualdo angestellten Musikergruppe vor wenigen ausgewählten Zuhörern aufgeführt (musica reservata). Einer dieser regelmäßigen Zuhörer war Torquato Tasso, bekanntester Dichter jener Zeit, Librettist einiger Madrigale Gesualdos und uns heute bekannt durch das Schauspiel Goethes. Ob die traumatisierte Psyche des Komponisten und die extrem starke Affektbeladung, die in dem Gewaltexzess gegen seine untreue Ehefrau deutlich wurde, Ausdruck in seinem musikalischen Schaffen gefunden hat, sei dahingestellt, ist aber ziemlich wahrscheinlich. Hierauf deuten die zeitlichen Parallelen seiner persönlichen und seiner musikalischen Biographie hin.
    Im Schaffen Gesualdos stellt die Suche nach einem musikalischen Ausdruck für Schmerz, Trauer und Tod das zentrale Thema dar, und dies führt ihn – ähnlich wie in seinem Privatleben – zu damals für nicht für möglich gehaltene Extreme – musikalisch und wohl auch persönlich. Tonalen Reibungen, Chromatik und unvorbereitete Tonartsprünge unterstreichen und verstärken die starken Affekte des Textes seiner Werke, heutige Hörer können die rauschhafte Schmerzauskostung gut nachvollziehen, bei längerem Hören der Madrigale Gesualdos kann man sich eines psychodelischen Effektes – wie bei Hesse und Huxley - kaum erwehren. Die ungewohnte Harmonik und Tonalität in der Spätrenaissance haben ihre ästhetische Grundlage in einer expressiven Wortausdeutung, hierfür entstand eine spezielle Affektenlehre, die besagt, dass sich Affekte wie Freude, Trauer oder Schmerz musikalisch ausdrücken lassen und Musik beim Hörer vergleichbare Affekte hervorrufen kann. Ein Stilmittel dieser Art ist der passus duriusculus (lat.: ein wenig harter Gang), der eine Kette chromatisch absteigender Sekunden, die stimmenparallel geführt wird, bedeutet. Dieses Stilmittel wird in der Spätrenaissance und in der Barockmusik als musikalisches Mittel eingesetzt, um Schmerz, Trauer und Leid auszudrücken. Bei Gesualdo findet man den passus duriusculus im Zusammenhang mit Tod und Schmerz, im Beginn von Moro lasso al mio duolo (Sterben will ich an meinem Schmerz).





    LG,


    Konrad