Brahms, Johannes - Sinfonien-Gesamtaufnahmen - welche sind empfehlenswert/unverzichtbar

  • Lieber David,


    Du bist in Sachen Brahms-Symphonien dann ja bereits gut ausgestattet. Der Barbirolli-Zyklus ist, wie ich finde, sehr gelungen und seit kurzem endlich wieder verfügbar gemacht worden. Jochum/Berlin dürfte noch Mono sein, es gibt aber noch einen Stereozyklus mit dem London Philharmonic Orchestra.


    Bernard Haitink lief mir bei Brahms eigentlich noch nie über den Weg. Ich persönlich bin bei diesem Dirigenten eher skeptisch. Seine früheren Aufnahmen empfinde ich oftmals als blutleer und ohne eigene Akzente. Ganz anders der alte Haitink, etwa seine 3. Mahler aus Chicago, die Spitze ist.



    Als Gesamtaufnahme würde ich am ehesten zu Bernstein mit den Wiener Philharmonikern raten. Da hättest Du zudem noch die beiden Ouvertüren, die Haydn-Variationen, das Violin- und das Doppelkonzert mit dabei. Meines Erachtens alles auf ganz hohem Niveau. Digitalaufnahmen aus den 80er Jahren, die auch klanglich überzeugen.


    Bei Brahms habe ich eigentlich eher Einzelaufnahmen zusammengetragen. Mein Liebling ist die Erste, von der ich auch die meisten Aufnahmen habe. Da würde ich folgende als ganz herausragend ansehen:



    Die Stokowski-Aufnahme stammt vom "60th Anniversary Concert" mit dem London Symphony Orchestra von 1972, wo Stokowski sein Debütprogramm von 1912 wiederaufleben ließ. Decca hat es in "Phase 4 Stereo" aufgezeichnet. Es kam später nochmal klanglich verbessert bei Cala raus. Die Wand-Aufnahme ist seine einzige Einspielung mit dem Chicago Symphony Orchestra und übertrifft m. E. seine zahlreichen anderen Aufnahmen noch (was am CSO liegt).



    Bei der 2. Symphonie wäre mein Tipp ebenfalls Stokowski. Es handelt sich um eine Einspielung mit dem National Philharmonic Orchestra von 1977. Da war er 95. Es müsste seine vorletzte Aufnahme sein (der Mendelssohn auf derselben CD ist die letzte).



    Symphonie Nr. 3 war die Lieblingssymphonie von Hans Knappertsbusch. Die hier gezeigte Aufnahme von 1963 aus Stuttgart war auch die letzte, die aufgenommen wurde. Kna hat den ganz großen Atem und kommt auf 43 Minuten Spielzeit. Wermutstropfen hier: Sie ist leider nur in Mono.



    Was die 4. Symphonie angeht, nochmal Stokowski. Ein Konzert aus der Royal Albert Hall von 1974 - sein vorletzter öffentlicher Auftritt. Ich meine, Norbert hat sich die Aufnahme kürzlich auch zugelegt und begeistert davon berichtet. Sehr guter Stereoklang.

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Selber besitze ich die GA von John Barbirolli mit den Wiener Philharmonikern

    Guten Morgen, David,


    zu dieser GA kann ich Dir nur gratulieren, es sind besonders schöne und liebevolle Interpretationen. Jochums DGG-Aufnahme kenne ich nicht, da sie nur mono ist, habe ich sie nicht gekauft, weil sich bei mir die Regalbretter schon sowieso unter Brahms-Lasten biegen :D
    Im übrigen hat Dir Joseph noch ein paar schöne Vorschläge gemacht, dem ist nichts hinzuzufügen. Besonders die Live-Aufnahme der Ersten aus Chicago unter Wand ist super!
    Da Du offenbar, was Brahms betrifft, nichts von Klemperer hast, würde ich als Alternative seine Aufnahmen vor allem favorisieren:

    Außer dem Sinfonien enthält die Kassette noch die beiden Ouvertüren op. 80 & 81, die Haydn-Variationen und, mit der großartigen Christa Ludwig, die Alt-Rhapsodie. Es sind Aufnahmen aus der frühen Stereo-Zeit (mit Ausnahme der Haydn-Variationen, die 1954 noch mono aufgezeichnet wurden), aber sehr gut restauriert und recht transparent und rauscharm. Die Sinfonien stammen aus 1957/58, die Rhapsodie vom März 1962. Ein ganz anderer Brahms als der von Barbirolli oder Karajan, aber sehr hörenswert. "Wie in Marmor gemeißelt", hat es ein Kritiker einmal beschrieben. Die Box ist außerdem mit einem guten Booklet ausgestattet, mit vielen Informationen zu den Werken, und, vor allem, zu den Aufnahmen.


    LG,
    Nemorino

    Die Welt ist ein ungeheurer Friedhof gestorbener Träume (Robert Schumann).

  • zu dieser GA kann ich Dir nur gratulieren, es sind besonders schöne und liebevolle Interpretationen.


    JA!!! Da ich mit diesen Aufnahmen groß geworden bin (war ein Geschenk meiner Großeltern) sind sie für mich zum Maßstab geworden.


    Vielen Dank euch allen für eure Empfehlungen. Nun trifft mich wohl doch die Qual der Wahl...
    Ach ja, mein Großvater schwärmte mir gestern in diesem Zusammenhang von einer Wiener Aufnahme unter Kubelik vor. Ich habe davon noch nie gehört und leider kann ich nicht ausschließen, dass er da was durcheinander gebracht hat. Kennt ihr eine solche Aufnahme?

  • Ach ja, mein Großvater schwärmte mir gestern in diesem Zusammenhang von einer Wiener Aufnahme unter Kubelik vor. Ich habe davon noch nie gehört und leider kann ich nicht ausschließen, dass er da was durcheinander gebracht hat. Kennt ihr eine solche Aufnahme?


    Dein Großvater hat sich durchaus recht erinnert, eine solche gibt es. Sie wurde ein wenig von Kubelíks späterer mit dem BR-Symphonieorchester verdrängt, ist aber auch bereits in Stereo:



    Aufnahme: Sofiensäle, Wien, 24.-25. März 1956 (Nr. 4), 28. Februar-4. März 1957 (Nr. 2), 23.-24. September 1957 (Nr. 1) & 28.-29. September 1957 (Nr. 3)


    Ich bilde gleich auch noch die andere mit ab:



    Aufnahme: Herkulessaal, München, 26.-29. April 1983 (Nr. 1 & 2) & 3.-6. Mai 1983 (Nr. 3 & 4)


    Ich habe vor Jahren mal in beide reingehört und fand sie ansprechend, ohne dass ich das jetzt im Detail ausführen könnte.

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Ach ja, mein Großvater schwärmte mir gestern in diesem Zusammenhang von einer Wiener Aufnahme unter Kubelik vor. Ich habe davon noch nie gehört und leider kann ich nicht ausschließen, dass er da was durcheinander gebracht hat. Kennt ihr eine solche Aufnahme?

    Lieber David,


    die kenne ich nur zu gut! Es war mein erster Stereo-Zyklus der Brahms-Sinfonien. Die Aufnahmen entstanden in den späten 1950ern in den Wiener Sofiensälen, mit den Wiener Philharmonikern. Herrliche musikantische Interpretationen, auch klanglich gut (damals, als sie herauskamen, sensationell). An manchen Stellen hat man das Gefühl, daß Kubelik seinen Brahms ein bißchen nach Böhmen verpflanzt, doch das schadet den Werken überhaupt nicht. Lange Jahre waren die Aufnahmen vergriffen und erschienen relativ spät auf CD, ich selber habe sie bis heute aber nur auf LP, aus den weiter oben genannten Gründen.

    Beim großen Urwaldfluß kann man sie als 2 CD-Album erwerben.


    LG, Nemorino

    Die Welt ist ein ungeheurer Friedhof gestorbener Träume (Robert Schumann).

  • Lieber Nemorino,
    lieber Joseph,


    vielen Dank für die schnelle Antwort. Da wird sich mein Großvater freuen, dass er mit dieser Empfehlung nicht alleine dasteht.

    Die Aufnahmen entstanden in den späten 1950ern in den Wiener Sofiensälen, mit den Wiener Philharmonikern.


    Das passt auch zu dem, dass er meinte er hätte sie damals in meinem Alter gehört.

  • Da bist Du mir ein paar Minuten zuvor gekommen, lieber Joseph II.!


    Die alten Aufnahmen gibt es auch noch in dieser billigen 10 CD-Kassette:

    die außerdem noch mehr rare Sachen enthält, so z.B. Kubeliks erste Studio-Aufnahme von Dvoraks Neunter und die kompletten Slawischen Tänze, dazu noch die Dvorak-Sinfonien Nr. 7 ebenfalls mit den Wiener Philharmonikern (Decca) und Nr. 8 (mit dem Philharmonia Orchestra), sowie eine bemerkenswerte Aufnahme von Schuberts Großer C-Dur-Sinfonie (Nr. 9) vom November 1958, mit dem Royal Philharmonic Orchestra (EMI). Über die klangliche Seite der Kassette kann ich nichts sagen, ich besitze sie nicht. Man sollte aber vorsichtshalber vorher reinhören, denn bei Membran ist man nie so ganz sicher. Oft sind die Überspielungen sehr gut gelungen, manchmal weniger.
    Soweit ich weiß, ich nur die Dvorak Nr. 8 eine Mono-Aufnahme, alles andere ist Stereo.


    LG, Nemorino

    Die Welt ist ein ungeheurer Friedhof gestorbener Träume (Robert Schumann).

  • Da Du offenbar, was Brahms betrifft, nichts von Klemperer hast, würde ich als Alternative seine Aufnahmen vor allem favorisieren:
    Klemperer / Philharmonia Orchestra (EMI)


    Zitat

    JA!!! Da ich mit diesen Aufnahmen groß geworden bin


    Bei mir waren es die Klemperer-Aufnahmen. Die 4 EMI-LP´s habe ich damals alle einzeln von meinem Taschengeld finanziert ... bis heute hochgeschätzt ... aber heute auf CD !
    Gerade was man bei Brahms zuerst hört führt zu einer ungeahnten Prägung.



    Jeder von Euch (Josef, nemorino, David, Farinelli, ...) hat ja nun in den letzten Beiträgen seine Meinung und Eindrücke zu Brahms-Aufnahmen kund getan. Alle diese Eindrücke haben unterschiedliche Beweggründe.
    *** Müsste ich mich heute für eine Brahms-Sinfonien - GA entscheiden, so würde ich
    Solti / Chicago SO (Decca) nehmen. Die ist in allen Punkten überdurchschnittlich, brillant, mit Megaspannung und glänzt durch famose Detailarbeit. ;) Da geht auch keine Paukenstelle unter !
    Auf CD hatte sie für Jahre (wenn nicht Jahrzehnte) Klemperer auf LP abgelöst.



    Decca, 1978-1980, ADD

    Gruß aus Bonn, Wolfgang

  • Müsste ich mich heute für eine Brahms-Sinfonien - GA entscheiden, so würde ich
    Solti / Chicago SO (Decca) nehmen.


    Hallo Wolfgang,


    volle Zustimmung, wobei Solti noch den Vorteil bietet, sämtliche Wiederholungen zu spielen, was sonst fast keiner macht.

    Doch, einen dürfen wir hier auf keinen Fall vergessen, und das ist George Szell! Seine präzisen, detailgenauen und großartig durchgeformten Versionen sind ebenfalls große Klasse. Aber wenn ich jetzt nachdenke, fallen mir gleich noch ein paar andere Dirigenten ein ...... Wie gesagt, der Markt ist übersättigt, und man kann beim besten Willen nicht alles kaufen. Da streikt das Portemonnaie, und der fehlende Platz auch!


    LG, Nemorino

    Die Welt ist ein ungeheurer Friedhof gestorbener Träume (Robert Schumann).

  • Hallo Josef,


    seit langem lese ich, dass Du die Stokowski-Aufnahmen der Brahms-Sinfonien favorisierst.
    Da ist schon was dran, denn die sind schon sehr spannend, wenn auch extravagant interpretiert.


    Ich habe seit eine paar Tagen die Stokowski-10CD-Box mit Stokowski´s späten Aufnahmen (SONY) (darüber berichte ich an andere Stelle noch ...).


    Hier ist auch die Brahms-Sinfonie Nr.2 (gem. Deiner Abb) dabei. Es spielt das National PO (das aus Londoner Orchestern wohl zusammengestellt ist.)
    Die Aufnahmen mit dem Orchester sind leider nicht sehr Detailreich aufgenommen mit grossem Hallanteil und sehr weiträumig. Die Aufnahmen um 1976/7 kLingen alle so gleich in der Abmischung, als wenn man die Mikros einmal aufgestellt hat und fertig. Ich finde es toll wie Stokowski die Blechbläser herausstellt und auf besondere Art akzentuiert, aber die Pauken wummern mir zu sehr im Hintergrund. Für das Tempo im 4.Satz schätze ich eher Aufnahmen unter 9Min.
    :!: Alles in allem gefällt mir meine letzter Neuzugang bei Brahms 2 - mit Levine / Chicago SO (RCA) und auch Levine / Wiener PH (DG) eindeutig besser.



    SONY, Stereo
    - die Box konnte ich letzte Woche für 4,98€ bestellen - Wahnsinn :angel: -



    PS.: Die letzte Stokowski-Aufnahme und sein letztes Dirigat war nicht Mendelssohn 4 (die ich auch grosse Klasse finde), sondern als 95-Jähriger die Bizet 1 ... der Hammer !

    Gruß aus Bonn, Wolfgang

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  • Doch, einen dürfen wir hier auf keinen Fall vergessen, und das ist George Szell!


    Hallo nemorino,


    jaaaaa, wir könnten hier weiter machen mit favorisierten Brahms - GA. Da ist es bei mir mind genau wie bei den Beethoven-Sinfonien, dass sich eine Unmenge an GA angesammelt hat ... :thumbup: lohnt sich ja auch bei dem Repertoire.
    :thumbup: Klar Szell (SONY) gehört dazu. Wenn ich die Dritte höre ist mein Gedanke am Schluss: "Man war das ne Interpretation !"
    Szell gehört wie Klimpus Otto in jede gute Brahms-Sammlung ...


    Das mit den Wdh bei Solti hatte ich noch vergessen zu erwähnen, weil das für mich kein wichtiger Punkt ist ... aber die hat Solti alle dabei.
    :D Ich finde es ja besser die Zweite 1.Satz bei Szell mit 15:30, bei Dorati mit 13:53 zu hören, als bei Solti mit 20:43 - bei gleichem Tempogefühl ... :pfeif::untertauch:

    Gruß aus Bonn, Wolfgang

  • Ich glaube, irgendwo habe ich mal in meiner Anfangszeit in diesem Forum geschrieben, dass mir zu Brahms' Sinfonien ein bisschen der Zugang fehlt.
    Das ist inzwischen nicht mehr so, tatsächlich habe ich aber noch immer relativ wenige Aufnahmen und nur eine GA (Szell).
    Nach dem Durchsehen dieses Threads habe ich den Eindruck, dass es sehr viele lohnende Alternativen gibt - sehr schön...! ...einerseits, andererseits sehr schwer, mich zu entscheiden.


    Mal sehen - Solti, Rattle, Bernstein, Karajan...? Oder doch Wand, dessen NDR-GA ich mal hatte, aber zu Zeiten, da mir Brahms noch nicht so lag, wieder verkauft habe. Spannend wäre vielleicht auch ein vermeintlicher Brahms-"Außenseiter" wie Levine, Kubelik oder Dorati...?


    Fragen über Fragen...

    Herzliche Grüße
    Uranus

  • Wand (NDR Studio 1980er Jahre) gibt es ja normalerweise sehr günstig. Der Klang ist vielleicht etwas "trocken", aber es sind straffe "unsentimentale" Interpretationen, quasi das Gegensteil von Bernstein (in der Tat erinnert Wand mich manchmal sogar an Toscanini, der ist allerdings noch etwas zügiger). Aber auch kein so starker Kontrast zu Szell. Dafür wären wohl die sehr langsamen "romantischen" Lesarten des späten Bernstein und (von dem Tempi teils noch extremer) Giulini eine Option.

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Wand ist aber nicht gleich Wand. ;) Es gibt verschiedene Gesamtaufnahmen mit Günter Wand und den Brahms-Sinfonien.


    Mein Favorit ist diese:



    -aufgenommen 1990/92

    Grüße aus der Nähe von Hamburg


    Norbert


    Das Beste in der Musik steht nicht in den Noten.

    Gustav Mahler



  • Ja, auch für mich seine beste Gesamtaufnahme Jedenfalls eindeutig besser als der bekanntere und frühere RCA-Zyklus, der mich von allen mir bekannten Brahms-Aufnahmen von Wand am wenigsten überzeugt.

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Lieber Joseph, ja, den früheren Aufnahmen kann man eine gewisse "nüchterne Sachlichkeit" nicht ganz absprechen, aber auch das sind für mich sehr gelungene Einspielungen.
    Die spätere Gesamtaufnahme ist gekennzeichnet von mehr Leidenschaft, deswegen ist sie auch für mich vorzuziehen.


    Allgemein würde ich übrigens empfehlen, diese Box zu kaufen:



    Für nicht viel mehr Geld erhält man insbesondere herausragend gute Bruckner Aufnahmen von 1995 bzw. 1996.

    Grüße aus der Nähe von Hamburg


    Norbert


    Das Beste in der Musik steht nicht in den Noten.

    Gustav Mahler


  • Ich würde ja diese Aufnahme empfehlen.


    Ich höre gerade die vierte von Nelsons und sie ist wirklich hervorragend. Wunderbar detailiert und auch die Dynamik empfinde ich als sehr stimmig. Gleichzeitig empfinde ich die Aufnahme als sehr gefühlvoll, aber nicht übertrieben romantisch, aber das dunkle, herbe und traurige am Brahms kommt sehr gut heraus.


    Und natürlich bei allen drei CDs eine Top Qualität :)

  • Wie vielleicht bekannt, sind bei Brahms für mich die Karajan-Interpretationen ( DG-Karajan 1 und 3, auch 2, aber die Aufnahmen aus den 60ern und die Spätaufnahmen finde ich noch etwas besser, die späten auch klangtechnisch am besten) das A und O.
    Zu diesen Karajan-Interpretationen ( die Herren mögen mir verzeihen) zähle ich auch DG-Abbado ( BPO) und Rattle ( BPO, Emi).
    Zwar setzen die durchaus ihre eigenen Interpretationen um, jedoch - in meinen Ohren- eindeutig auf der Basis der Karajan-Interpretationen und auch des vollen Karajan-Klangs, den die Berliner Philharmoniker immer noch können, als ob der Maestro sie eben gerade erst verlassen hätte.
    Rattle selbst hat das in einem Interview, welches ich auf Youtube sah, auch ohne Probleme eingeräumt. So ein Brahms wäre ohne Karajans manchmal geradezu fanatisch-akribische Klangvorarbeit so nicht möglich.


    Nun habe ich mich natürlich auch nach Alternativen umgesehen, um einmal einen etwas anderen Brahms zu hören.
    Erst dachte ich, bei Thielemann fündig geworden zu sein, doch seine Tempi ( manchmal mir zu schnell), seine Agogik und sein für meine Vorstellungen manchmal zu wenig genießerisches Klangbild haben mich nach diversen Vergleichen mit Hilfe von Spotify und meinen in iTunes eingerippten CDs doch vom Kauf abgehalten.



    Nun jedoch ist eine neue Gesamtaufnahme herausgekommen, die es als CD im Moment noch nicht gibt, aber auf Spotify schon zu hören ist:




    Barenboim hat also die Symphonien nach seiner Chicagoer Aufnahme noch einmal eingespielt, worüber ich mich sehr freue.


    Wie klingt es nun?
    Sehr romantisch, weniger von der grundsätzlichen Musizierhaltung her am Karajan, als am Furtwängler orientiert, ähnlich auch wie bei Barenboims neulich aufgenommenen Schumann-Symphonien, die ich ausgesprochen schätze.
    Er wird jedoch nicht bei lauteren Abschnitten oder Crescendi schneller - Gott sei Dank.


    Die Tempi sind angenehm ruhig atmend, in sich schwingend und bei dem, was ich bisher genauer hörte, sich genau in jenem schwer zu finden Balancepunkt sich befindend, in dem man nicht mehr über das Tempo nachdenkt und sich voll auf die anderen Dinge der Musik konzentrieren kann. Innerhalb der ruhigen Tempi gibt es eine hohe Dichte von feiner Ausarbeitung, wobei nichts aufgesetzt wirkt und der große Zusammenhang nie verloren geht.
    Barenboim setzt auch agogische Mittel ein, aber irgendwie so organisch, dass es nicht als solches auffällt, sondern eher nach "das muss so" klingt.


    Er liebt den dunklen deutschen Klang. Das Orchester spielt vielleicht mit etwas weniger "Grundwärmedruck" wie das immer bei Brahms sehr groß klingende BPO. Der Sound bleibt hier immer - auch im Fortissimo- angenehm. Sich ins Ohr schneidende erste Violinen gibt es da also nicht.
    Unverbesserliche Romantiker werden diese Interpretationen als ein Grund zum Aufatmen in einer irgendwie entromantisierten Interpretationszeit empfinden. Wer ( wie ich begründet finde irrtümlich) meint, das Brahms eine zackig-eckige Sportsmusik schrieb, sollte diese Einspielungen nicht in Erwägung ziehen. Auch Leute die einen dürren Gerippe-Brahms der offenliegenden Texturen ( vielleicht noch mit Darmsaiten und "mit ohne Vibrato") -aus welchen kaum zu verstehenden Gründen auch immer- vorziehen, sollten bei ihrem Gardiner oder Norrington bleiben.


    Es sind Interpretationen für Leute, die bereit sind, sich auf die Musik selbst einzulassen, die keine "Knalleffekte" oder sonstiges brauchen, um hinter dem Ofen vorgelockt zu werden. Auf seine Wortkargheit angesprochen sagte Brahms einmal " ich spreche durch meine Musik". Genau das kann man hier hören, wenn man denn will, wenn man denn auf die Musik selbst, die ja vor der Komposition nicht existierte, hören will.
    Man nehme sich einen guten Kopfhörer und versinke in seinem Sessel. Eigentlich sollte man danach als ein Anderer wieder aus dem Sessel aufstehen.


    Besonders gut gefällt mir, dass man an vielen Stellen irgendwie meint, zwischen den Zeilen eine durch das Vordergründige und Offensichtliche hindurchscheinende Tiefe und Alterweisheit vernehmen zu können, die einen durchaus betroffen hinterlassen kann. Ich interessierte mich zunächst für Barenboim und hörte dann plötzlich etwas vom -vermeintlichen- Ausgangspunkt, den Brahms vielleicht gefühlt und gewollt haben mag - wunderbar.


    Ich werde mir also diese CDs bestellen, selbst wenn der klangliche Unterschied zur besten Spotify-Premium-Auflösung vs. WAV-file sehr gering sein mag. Barenboim musiziert hier jenen Brahms, den ich mir eigentlich von Thielemann erhoffte.
    Die Karajan- und die zwei karajanitischen Interpretationen sind für mich zwar immer noch die unverzichtbaren, aber hier gibt so viel Schönes zu hören und zu lernen, dass ich es doch auch gerne besäße. Der zweite Satz der dritten Symphonie ist einfach nur himmlisch. So habe ich den noch nicht gehört.



    Für Interessierte habe ich noch einen Link zu einer englischsprachigen Rezension.


    Gruß
    Glockenton


    PS: Tip: den zweiten und den dritten Satz der 3. unbedingt hintereinander anhören. Das Poco-Allegretto macht so erst richtig Sinn, finde ich. Dass könnte man jetzt funktionsharmonisch sogar "technisch" begründen, doch das reicht nicht. Da gibt es noch weitere Ebenen. Der dritte Satz reagiert auf das, was im 2. Satz gesagt wurde.

    "Jede Note muss wissen woher sie kommt und wohin sie geht" ( Nikolaus Harnoncourt)

  • Ich hatte das große Glück alle 4 Brahms-Symphonien zwischen 1984 und 1988 live (bis auf die 2. sogar doppelt) unter Herbert von Karajan erlebt zu haben. De warme Streicherklang und der satte Klang der Blechbläser haben mir damals sehr imponiert. Daher hat mich dieser Brahms geprägt, auch wenn ich immer neugierig auf andere Interpretationen bin.

  • Ich hatte das große Glück alle 4 Brahms-Symphonien zwischen 1984 und 1988 live (bis auf die 2. sogar doppelt) unter Herbert von Karajan erlebt zu haben. De warme Streicherklang und der satte Klang der Blechbläser haben mir damals sehr imponiert. Daher hat mich dieser Brahms geprägt, auch wenn ich immer neugierig auf andere Interpretationen bin.


    Lieber Kapellmeister Storch,


    da kannst Du wirklich von großem Glück sagen! Wie gerne hätte ich das einmal in genau dieser Kombination live gehört...aber damals hätte ich dazu die Möglichkeiten nicht gehabt.


    Gruß
    Glockenton

    "Jede Note muss wissen woher sie kommt und wohin sie geht" ( Nikolaus Harnoncourt)

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  • Die hier ist vor einigen Tagen als Neuerscheinung angezeigt worden.

    Hat da schon jemand hineingehört?


    Johannes Brahms:

    Symphonien Nr.1-4

    Musikkollegium Winterthur, Thomas Zehetmair

    Label: Claves



    Beste Grüße von der Nordseeküste sendet Andrew

    „Nichts auf Erden ist kräftiger, die Traurigen fröhlich, die Ausgelassenen nachdenklich, die Verzagten herzhaft, die Verwegenen bedachtsam zu machen, die Hochmütigen zur Demut zu reizen, und Neid und Hass zu mindern, als die Musik.“

  • Hallo zusammen,

    ich bin aktuell auf der Suche nach Karajans erster Brahms-GA aus den 60ern. Gibt es die GA in einer kombinierten Ausgabe? Bislang bin ich nur auf folgende Einzel-CDs-gestoßen (generell scheinen die Aufnahmen eher schwerer zu finden sein):

    Sinfonie Nr. 1:

    Sinfonien Nr. 2 + 3:

    Sinfonie Nr. 4:


    Stimmt das so weit? Vielleicht können ja einige Taminos weiterhelfen, die die GA selber besitzen.


    Liebe Grüße

    Amdir

  • Gibt es die GA in einer kombinierten Ausgabe?

    Lieber Amdir,


    ich fürchte nein. Genau diese Frage stelle ich mir bereits vor etlichen Jahren. Komplett habe ich diesen Zyklus nur in der riesigen Box "Karajan - 1960s" in Erinnerung. Du hast jedenfalls die logischsten Einzel-CDs zusammengetragen. Ich habe auch, anders als bei Karajans Zyklen aus den 70ern und 80ern - vielleicht auch deswegen -, keinen wirklichen Höreindruck verinnerlicht. Für Brahms besaß dieser Dirigent m. E. durchaus ein Händchen.


    Liebe Grüße

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Hallo zusammen,

    ich bin aktuell auf der Suche nach Karajans erster Brahms-GA aus den 60ern. Gibt es die GA in einer kombinierten Ausgabe? Bislang bin ich nur auf folgende Einzel-CDs-gestoßen (generell scheinen die Aufnahmen eher schwerer zu finden sein):

    Es sei denn, Du nennst noch einen Plattenspieler Dein Eigen. ;) Bei Discogs würdest Du mit dieser prachtvoll gestalteten Box fündig. :)


    MS5qcGVn.jpeg

    Es grüßt Rüdiger als Rheingold1876


    "Was mir vorschwebte, waren Schallplatten, an deren hohem Standard öffentliche Aufführungen und zukünftige Künstler gemessen würden." Walter Legge (1906-1979), britischer Musikproduzent

  • In den späten 1980ern wollte DG natürlich einzelne CDs und neue Aufnahmen verkaufen. Da hatte Karajan die Brahms-Sinfonien mit dem "Laserstrahl"-Cover, die digital aufgenommen waren.

    Die 1970er Karajan-Aufnahmen waren auf einzelnen CDs in der "Galleria"-Reihe und die aus den 1960ern in der billigsten "Resonance"-Reihe, bzw. die 4. eben auch in der o.g. Edition mit den tollen Covern von HvKs Gattin.


    Es gab etwas später (1990er) eine Reihe von Boxen mit Symphonie-Aufnahmen Karajans nach Komponisten sortiert, die hatten pastell/rosa Cover. Hier wurden Brahms-Aufnahmen aus den 1970ern verwendet. D.h. die 1960er Aufnahmen waren zwar meistens auf CD erhältlich, aber nicht in einer Box, soviel ich weiß.


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    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Die von Johannes abgebildete GA mit den Aufnahmen von DG-10/1977 bis 02/1978 war eben DER Brahms bei DG, der klanglich OK ist und Karajan als guten Brahms - Dirigenten wiedergibt.

    Hätte sich eine weitere GA mit Karajan aus organisatorischen Gründen für die DG gelohnt ?

    Erst als Karajan später in den 80ern seine Digitalen Aufnahmen vorlegte erfolgte eine weiter Brahms -Sinfonien - GA auf 2 CD, ohne weitere Kurzwerke (Ouvertüren und Haydn - Var.).

    Deshalb gibt es den Brahms-Karajan aus den 60ern tatsächlich bei DG-RESONANCE und der Karajan-EDITION (Nr.4) nur als Einzel-CDs (;) die aber für um 1Euro zu haben wären).


    Ich habe vor Jahrzehnten mal eine Liste über die Tempi der 3 DG-Aufnahmen aller 4 Sinfonien erstellt, weil mich Karajans Sichten immer schon interessiert haben: Grosse und entscheidende Unterschiede ergeben sich bei den Tempi nicht. Auch die Wdh. im Kopfsatz lässt Karajan immer weg. :D Solche Mätzchen, das der 1.Satz der Zweiten mit Wdh. über 20Min dauert, gibt es bei Karajan nicht, :pfeif: was ich nebenbei begrüße (bei DG 1964 sind das 15:41) :thumbup:.



    :!:Ich möchte dich, lieber Amdir aber auf zwei weitere Brahms - Einzel-CDs mit den Sinfonien Nr. 1 und 3 aufmerksam machen, die ich auf CD über die DG-Aufnahmen mit den Berliner PH stellen würde.

    :angel: Es sind die beiden Hammer-Aufnahmen mit den Wiener PH (Decca, 1960) der Sinfonien Nr. 1 und 3, die irgendwie noch spannender und dramatischer rüber kommen und von mir genau so hoch geschätzt werden wie die überbordende weitere Brahms/Karajan-Sinfonien-GA auf DVD (DG, LIVE 1973).


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    Decca, 1960, ADD


    Die Abb zeigt eine Japan-CD-Pressung, die aber derzeit nicht verfügbar ist.

    Ich habe diese Karajan-Aufnahmen der Sinfonie NR.1 aus der Decca-Emotionen-Serie und Sinfonie NR.3 aus der Serie Decca-Ovation (gibt es auch als LONDON-Jubilee). (((Die dort gekoppelte Dvorak 8 gehört ebenfalls zu meinen liebsten Aufnahmen des Werkes.)))


    --- die Abb der Ersten mit Tragischer Ouv (Decca) habe ich gerade nicht gefunden; bei der Flut an Brahms - Karajan auch schwierig ---

    Gruß aus Bonn, Wolfgang

  • 0002894798228_600.jpg


    Gerade gesehen: Digital gibt es die 60er-Jahre-Gesamtaufnahme bei Qobuz derzeit ziemlich preiswert, auch als 24/96 Hi-Res. Das Booklet hier.

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Wenn ich dieses Photo von Karajan sehe, vergeht mir jede Lust, mir diese Aufnahmen anzuhören <X.

    Der Traum ist aus, allein die Nacht noch nicht.

  • Danke euch für die Hilfe und die Infos :thumbup:


    Dann werden es wohl die Einzel-CDs werden, einen Plattenspieler besitze ich nicht (mir gefällt aber das Coverfoto mit den stählernen Augen tatsächlich recht gut).

    Die GAs aus den 70ern und 80ern besitze ich bereits, beide gefallen mir sehr gut. Außerdem hat Karajan mit seiner Aufnahme der 1. Sinfonie in London meine Lieblingseinspielung des Werkes hingelegt (in einem anderen Thread habe ich diese Aufnahme schon einmal ausführlich vorgestellt):

    Deshalb möchte ich mir auch noch die frühe GA zulegen. Danke teleton für den Hinweis auf die Wiener Einspielungen, die kommen auch auf meine lange Wunschliste :)


    Liebe Grüße

    Amdir

  • Lieber Amdir,

    es gibt noch weitere Karajan Brahms Aufnahmen.

    zaP2_G1353773W.JPG

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    Der Brahms Zyklus aus Japan wurde bis heute nicht veröffentlicht.

    http://www.karajan.info/concol…nJapan1English.html#bpo7e

    Musik ist höhere Offenbarung als alle Weisheit und Philosophie. Wem meine Musik sich verständlich macht, der muß frei werden von all dem Elend, womit sich die anderen schleppen.

    Ludwig van Beethoven


    Bruckner+Wand So und nicht anders :)

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