Don Quixote - Cellokonzert oder Tondichtung?

  • Für mich zählte der DON QUIXOTE zu den Strauss-Werken, die ich immer besonders mochte, nicht wegen, aber auch nicht trotz seiner illustrativen Effekte. Die Assoziation mit dem TILL EULENSPIEGEL kann ich, gerade zu Beginn des Werkes, sehr gut nachvollziehen. Geprägt von den unten erwähnten frühen Aufnahmen, habe ich das Stück übrigens nie als ein primär solistisches, sondern als Tondichtung bzw. Orchestervariationen mit obligaten Soli empfunden. Der Rückgriff auf das Berlioz-Modell HAROLD EN ITALIE trug nicht wenig dazu bei, mir das Werk sehr schnell und nachhaltig nahe zu bringen. Leider habe ich es, wie so vieles, noch nie im Konzertsaal gehört, weil ich im Zweifelsfall doch immer lieber in die Oper gegangen bin.


    Der hier zu Recht bereits gelobten Aufnahme unter Kempe (In den Jubel über die von mir seinerzeit noch für viel Geld erstandenen Brilliant-Box aller Orchesterwerke von Richard Strauss kann ich nur einstimmen) möchte ich noch drei Aufnahmen gegenüber stellen, die mir das Werk einst nahe gebracht haben, das lange Zeit zu meinen Lieblingsstücken gehörte.


    Die von George Szell mit Pierre Fournier, mit der ich zunächst sozusagen groß wurde (und DON QUIXOTE in mir), wurde bereits erwähnt. Leider ist sie nicht mehr am Markt, aber wer das Werk liebt, sollte beruhigt zur Kenntnis nehmen, dass sie die 25 Euronen wert ist, die derzeit dafür gefordert werden (und weniger sowieso, wenn man dafür eine Aufnahme findet). Eine weitere (?) Szell-Aufnahme gibt es derzeit für ganz wenig Geld am Marketplace in Kombination mit Szell/Schwarzkopf VIER LETZTEn LIEDERn. Zu der kann ich aber nichts sagen:



    Die zweite wurde gerade wieder als Hybrid SACD aufgelegt und klingt trotz ihres hohen Alters (Aufnahmedatum 1954) ganz hervorragend (jedenfalls tat sie das auf meiner LP):



    Bis Ende des Monats gibt es diese maßstäbliche Aufnahme von Fritz Reiner und seinem Chicago SO mit Antonio Janigro (Cello) und Milton Preves (Viola) noch zum Sonderpreis.


    Auch eine dritte Aufnahme mit Authentizitätsstempel sollte man nicht verachten, auch wenn dabei die Ansprüche an den Klang etwas zurückgeschraubt werden müssen:



    Pierre Fournier (Cello) und Ernst Moraweg (Viola) werden begleitet von Clemens Krauss und den Wiener Philharmonikern. Da ich die beiden letztgenannten Aufnahmen (und den Szell auch) nur auf LP habe, habe ich sie ebenfalls schon länger nicht mehr gehört, aber es überrascht, wie viel solistischer Kempe die Partitur auffasst, als das in meiner Erinnerung an die älteren Aufnahmen der Fall ist. Vielleicht liegt das aber auch an der spektakulär durchhörbaren Aufnahmequalität (des Ashkenazy kenne ich leider nícht).


    Ganz im Gegensatz zu Karajan übrigens, dessen Aufnahme mot Rostropowitsch und Koch ich nicht so sehr mag, weil Karajan das Stück teilweise arg dehnt, was ihm nicht gut bekommt, deshalb aber noch lange nicht zur Altscheibensammlung geben würde.


    Ich muss wohl mal wieder meine LP-Anlage anwerfen oder im Lotto gewinnen, damit ich meine alte Sammlung endlich mal digitalisieren kann.


    :hello: Jacques Rideamus

  • Freunde der Mancha!


    Gestern wollte ich mein oben angekündigtes Vorhaben, noch etwas zu meinen Aufnahmen zu schreiben, in die Tat umsetzen. Das aber erwies sich als schwieriger als gedacht. Denn kaum hatte ich zu einer Aufnahme bestimmte Dinge notiert, stellte ich mir die Frage, ob das Notierte für die Beurteilung der Aufnahme überhaupt von Belang ist. Es mag am von Zwielicht beschriebenen hypertrophen Charakter des Werks liegen, dass mir der Maßstab, an dem die Qualität der Aufnahmen zu messen ist, mehr als bei anderen Werken klärungsbedürftig zu sein scheint.


    Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang teletons oben geäußerte Auffassung, es sei ein Qualitätsmerkmal, wenn das Cello nicht nerve [Anmerkung: Mir ist bewusst, dass Wolfgang diese Bemerkung halb scherzhaft gemacht hat, ich greife sie nicht auf, um Wolfgang vorzuführen, sonder um zu verdeutlichen, worum es mir geht]. Unabhängig davon, dass ich wohl andere Erwartungen an den Solocellisten habe als teleton, bleibt zu fragen, warum der Solocellist nicht nerven darf. Da der Solocellist für Don Quixote steht, betrifft die Frage das Verständnis der Figur Don Quixote: Ist die Figur Don Quixote nur ein nie nervender, niemanden störender Idealist? Oder beinhaltet die Figur darüber hinaus etwas, das als Laus im Pelz umschrieben werden könnte, etwas gesellschaftskritisches, etwas Nerviges? Wenn Letzteres der Fall ist, wäre ein Spiel des Solocellisten, das nie nervt, kein Qualitätsmerkmal, sondern im Gegenteil ein Manko.


    Bevor eine Aufführung des Don Quixote beurteilt wird, ist somit zu fragen, welche Voraussetzungen gegeben sein müssen, um von einer guten Don Quixote-Aufführung bzw. –Einspielung sprechen zu können? Was sind die Punkte, an denen sich eine gute Aufführung fest machen lässt, was sind die Qualitätsmerkmale?


    Wohlgemerkt geht es nicht um die Selbstverständlichkeit, dass die Musiker, vor allem die drei Solostreicher, ihren Part beherrschen müssen, sondern es geht um das Werk selbst, um die Anforderungen, die es stellt, um – ich wage es gar nicht zu schreiben, um nicht im Hermetik-Thread zitiert zu werden – das richtige Verständnis von Don Quixote.


    Da habe ich den Salat. Nichts ist es mit ein paar kurzen Sätzen zu den Einspielungen. Stattdessen muss die ganze Chose wieder aufgerollt werden, zuerst die Frage nach der gattungsmäßigen Einordnung von Don Quixote.


    1. Die gattungsmäßige Einordnung


    Dankenswerterweise kann ich insoweit an Zwielichts Ausführungen anknüpfen, der oben schrieb: „Strauss hat das Werk ja bewusst als ein gattungsmäßig hypertrophes angelegt: es ist gleichzeitig symphonische Dichtung, Variationenwerk für Orchester und Solokonzert, besser: eine Sinfonia concertante…“


    Diese Beschreibung trifft meines Erachtens, abgesehen von einer unten zu erörternden Kleinigkeit, zu. Es erscheint mir trotzdem sinnvoll, die drei maßgeblichen Aspekte noch einmal aufzugreifen:


    a) Symphonische Dichtung:


    Ja, Don Quixote ist eine solche. Oben sprachen wir zwar mehrheitlich von einer Tondichtung, einem von Strauss mehrfach gebrauchten Begriff. Das besagt aber nicht anderes, da ein für unsere Zwecke relevanter Unterschied zwischen Symphonischer Dichtung und Tondichtung nicht besteht.


    Kurz erörtern möchte ich an dieser Stelle Audiamus´ Einwand, aus dem Titel („Fantastische Variationen über ein Thema ritterlichen Charakters“) ergebe sich, dass Don Quixote ein Variationswerk sei. Dieser Einwand, den ich oben doch recht barsch zurückgewiesen – Entschuldigung dafür –, gewinnt an Gewicht, wenn man bedenkt, dass Strauss die vorangegangenen symphonischen Dichtungen mit Ausnahme des Tills ausdrücklich Tondichtung genannt hat:


    Tondichtung nach N. von Lenau: Don Juan, op. 20 (1888 )
    Tondichtung nach W. Shakespeare: Macbeth, op. 23 (1886, Neufassung 1890)
    Tondichtung Tod und Verklärung, op. 24 (1889)
    Till Eulenspiegels lustige Streiche. Nach alter Schelmenweise, in Rondeauform für großes Orchester gesetzt, op. 28 (1895)
    Tondichtung nach F. Nietzsche: Also sprach Zarathustra, op. 30 (1896),
    Don Quixote. Fantastische Variationen über ein Thema ritterlichen Charakters, op. 35 (1897)
    Tondichtung Ein Heldenleben, op. 40 (1898 )


    Ergibt sich also aus der Nicht-Betitelung des Don Quixote als Tondichtung, dass Don Quixote anders als die als solche bezeichneten Werke keine ist? Nein, ich meine nicht. Es ergibt sich nur, dass Strauss dem Variationswerkcharakter des Werkes in den Vordergrund stellen wollte. Dass es sich bei Don Quixote um ein Variationswerk handelt, besagt jedoch nicht, dass es nicht zugleich eine Tondichtung sein kann.


    Welche Dichtung der Musik zugrunde liegt, hat Strauss nicht verborgen gehalten. Die Figur Don Quixote ist weltberühmt. Kaum eine andere Figur dürfte so oft vertont worden sein – außer vielleicht Orpheus. Jeder kennt die Abenteuer des Ritters von der traurigen Gestalt, jeder Sancho Pansa


    Michael hat oben geschrieben, Don Quixote sei durchaus als Programmmusik hörbar, denn es gebe Erläuterungen zu den einzelnen Abschnitten. Es gibt sie nicht nur, erlaube ich mir hinzuzufügen, sondern Strauss hat das Programm eigenhändig bekannt gegeben, wenngleich erst nach der Uraufführung. Eine Darstellung des Programms findet sich z. B. in Konolds Konzertführer Romantik. Auch ganz konkrete Tonmalereien sind zu hören (z.B. die Kämpfe mit der Hammelherde und den Windmühlen)


    b) Variationenwerk:


    Kein Zweifel, Don Quixote ist ein solches. Könnte man es nicht hören, würde bereits ein Blick in die Partitur genügen, in die Strauss über den Titel hinaus ausdrücklich die Überschriften Don Quixote, Sancho Pansa, Variation I, Variation II usw. aufgenommen hat (nicht aber die weiteren Beschreibungen wie z.B. „Abenteuer an den Windmühlen“).


    Allerdings, das sei an dieser Stelle bereits erwähnt, finde ich mich als Hörer in den Variationen nicht wirklich zurecht. Zu weit auseinandergezogen sind sie, als dass ich genau folgen könnte. Es freut mich daher, dass es Zwielicht nach seinem Bekenntnis ebenso geht. Geteiltes Leid ist bekanntlich halbes Leid.


    c) Solokonzert:


    Gegen diese Bezeichnung habe ich im Wesentlichen zwei Einwände.


    Zum einen hat das Werk ersichtlich keine Konzertform, weshalb sich Zwielicht wohl sogleich auf die Sinfonia concertante zurückgezogen hat.


    Zum andern ist es kein Solokonzert. Ja, Don Quixote steht im Vordergrund, aber die Solobratsche tritt ebenfalls konzertierend in Erscheinung und auch die Solovioline hat ihre Auftritte.


    Kein Konzert liegt also ist Don Quixote, schon gar nicht ein Solokonzert, sondern Don Quixote beinhaltet eine Vielzahl konzertanter Elemente.


    Um Missverständnissen vorzubeugen: Oben schrieb ich zwar, dass ich das Werk in erster Linie als (Cello)Konzert hören würde. Das steht jedoch nicht im Widerspruch zu meinen hiesigen Ausführungen. Denn dass mich vor allem das konzertante Element des Solocellos interessiert, dass ich das Werk mithin als Konzert höre, bedeutet nicht, dass es eines ist.


    d) Zwischenergebnis:


    Als Zwischenergebnis halte ich in enger Anlehnung an Zwielicht fest: Don Quixote ist zugleich Symphonische Dichtung und Variationenwerk, es enthält ein Vielzahl konzertanter Elemente.


    2. Bedeutung des Zwischenergebnissses für die Aufführung/Interpretation:


    In einem zweiten Schritt ist zu fragen, was das Zwischenergebnis für die Aufführung/Interpretation bedeutet.


    a) Symphonische Dichtung:


    Aus der Erkenntnis, dass es sich bei Don Quixote um eine Symphonische Dichtung handelt, folgt, dass die Aufführung der vertonten Dichtung gerecht werden sollte.


    Wollte man dies genauer ausarbeiten, müsste man differenzieren zwischen den Ebenen der Dichtung Cervantes` und dem von Strauss vertonten Programm. Genau betrachtet müsste die Aufführung nicht der vertonten Dichtung Cervantes´ gerecht werden, sondern dem von Strauss zugrundegelegten Programm. Dieses Programm muss nicht dem Werk von Cervantes entsprechen. Es kann beispielsweise die Figuren anders verstehen. Näher zu vergleichen wäre mithin, wie einerseits Cervantes die Hauptfiguren literarisch charakterisiert und wie andererseits Strauss diese musikalisch charakterisiert. Eine solche Untersuchung kann hier jedoch nicht geleistet werden – sie wäre Stoff für eine Seminararbeit. Die eigentliche notwendige Unterscheidung lasse daher ich im Folgenden größtenteils unter den Tisch fallen. Man sollte aber im Hinterkopf behalten, dass es sie gibt.


    Dass die Aufführung der vertonten Dichtung gerecht werden sollte, ist zunächst ganz konkret zu verstehen, z. B.: In Variation I sollten die fallenden Noten von Pauke und Harfe so gespielt werden, dass sie dem Fall Don Quixotes entsprechen, der soeben von den Windmühlenflügeln zu Boden geschleudert wurde. In Variation II sollte das Blöken der Hammelherde hörbar sein. In Variation 7 sollte der Wind zu hören sein. Kurz, es sollte möglichst realistische Tonmalerei betrieben werden.


    Deutlich schwieriger ist zu beurteilen, wie Don Quixote insgesamt gesehen zu verstehen ist. Zu diesem Thema ist u. a. zu fragen nach der Charakterisierung der Personen, nach dem Humor, nach der Ironie in dem Stück.


    Zur Charakterisierung Sancho Pansas haben Edwin und Zwielicht sich oben bereits kurz geäußert:


    Zitat

    Original von Edwin
    Das Verhältnis der beiden Gestalten in Cervantes' Roman ist freilich nicht, daß Don Quichote der edle Charakter ist und Sancho der Clown, sondern es geht um die Gegenüberstellung von idealistischer Träumerei und bodenständigem Realismus.


    Zitat

    Original von Zwielicht
    Zwei kleine Einwände hätte ich: Zum einen ist Strauss ja eben nicht in die Falle getappt, Sancho Pansa als Clown darzustellen. Er betont stattdessen die Ähnlichkeit der komplementären Figuren Don Quixote und Sancho Pansa, was zumindest eine legitime Möglichkeit ist. Zweitens charakterisieren (wenn ich das richtig mitbekommen habe) noch zwei andere Soloinstrumente die Figur des Sancho: so wird das erste ihm zugeordnete Thema nicht von der Bratsche, sondern unisono von Bassklarinette und Tenortuba intoniert - eine reizvolle, etwas drollige Instrumentation, mit der der komische Aspekt der Figur betont wird. Beide Instrumente spielen ja auch im folgenden bei der Charakterisierung Sanchos eine gewisse, allerdings untergeordnete Rolle.


    Wir sehen, Edwin und Zwielicht sprechen über unterschiedliche Ebenen. Edwin spricht von dem Verhältnis der beiden Gestalten in Cervantes´ Roman, Zwielicht hingegen von der Charakterisierung von Sancho Pansa durch Strauss.


    Ich halte es hier mal mit der Ebene des Romans und weise darauf hin, dass ich die Beschreibung Sancho Pansas als bodenständigen Realisten für nicht überzeugend halte, was ich anhand der Einführung Sancho Pansas in das Buch verdeutlichen möchte (angemerkt sei, dass über Don Quixote bereits Bibliotheken geschrieben worden sind und diverse Auffassungen darüber, wie Don Quixote zu verstehen ist, vertreten worden sind und noch vertreten werden). Zitat:


    „Während dieser Zeit suchte Don Quijote einen Ackersmann, seinen Ortsnachbar, zu gewinnen, einen guten Kerl – wenn man den gut nennen kann, dem es am Besten fehlt –, der aber sehr wenig Grütze im Kopf hatte. Und schließlich sagte er ihm so viel, redete ihm so viel ein und versprach ihm so viel, daß der arme Bauer sich entschloß, mit ihm von dannen zu ziehen und ihm als Schildknappe zu dienen.

    Unter anderem sagte ihm Don Quijote, er solle sich nur frohen Mutes anschicken, mit ihm zu ziehen; denn vielleicht könnte ihm ein solch Abenteuer aufstoßen, daß er im Handumdrehen irgendwelche Insul gewänne und ihn als deren Statthalter einsetzte. Auf diese und andre solche Versprechungen hin verließ Sancho Pansa – denn so hieß der Bauer – Weib und Kind und trat in seines Nachbarn Dienst als Knappe.


    Sancho Pansa zog auf seinem Esel einher wie ein Patriarch, mit seinem Zwerchsack und seiner Lederflasche und mit großem Sehnen, sich schon als Statthalter der Insul zu sehen, die sein Herr ihm versprochen hatte.“


    Verhält sich so ein bodenständiger Realist? Wohl kaum, das einzig bodenständig realistische an diesem Auszug ist, dass Sancho Pansa seiner Frau – und seinem Kind - vorsichtshalber gar nichts von seinem Auszug erzählt. Er ahnt also wohl doch, dass das so clever nicht ist, was er da unternimmt. Nein, Sancho Pansa ist in meinen Augen ein dummer, fauler Kerl, der mit ein wenig Bauernschläue ausgestattet ist, mehr aber nicht.


    Entsprechend sollte der Solobratschist sich nicht durch kunstvolles Spiel hervortun, sondern einfach-derb vor sich hinbrabbeln. Betont man Sancho Pansas Rolle als Dummkopf ist die Bratsche vielleicht sogar das perfekte Instrument. Immerhin ist der Bratschist gewissermaßen der Tenor unter den Instrumentalisten, wie unzählige Bratschenwitze belegen.


    Den bei Sancho Pansa wesentlichen Aspekt des Komischen spreche ich unten beim Punkt Humor an.


    Die Charakterisierung Don Quixotes ist hier natürlich ebenfalls nicht in wenigen Sätzen zu leisten. Daher möchte ich nur kurz bemerken, dass ich Edwins Kurzbezeichnung als idealistischer Träumer für im Wesentlichen zutreffend erachte. Allerdings kommen weitere wesentliche Aspekte hinzu. Träumer ist Don Quixote insofern, als er in seiner eigenen (Ritter)Welt lebt und eine massive Wahrnehmungsstörung hat. Nicht-Träumer ist er aber, insofern er mit einem erheblichen Tatendrang ausgestattet ist. Er fährt aus auf Abenteuer und wo immer sich eins anbietet, greift er zu. Das Bild des idealistischen Träumers darf mithin nicht dahingehend missverstanden werden, dass Don Quixote untätig herumsitzt. Im Gegenteil. Er ist voller Tatendrang. Zudem erweist er sich seinem Knappen gegenüber deutlich als Herr: er schlägt ihn, erteilt ihm Befehle usw.


    Der Solocellist sollte mithin nicht nur idealistisch schwärmen, sondern durchaus an passender Stelle sehr handfest, deklamierend spielen.


    Dieses Handfeste betrifft aber nicht nur Don Quixote, sondern das Geschehen insgesamt. Es lohnt sich, genauer hinzusehen, was Strauss aus dem Buch vertont hat und was nicht. Das Buch Don Quixote enthält ja weit mehr als die Aneinanderreihung von Abenteuer-Episoden. Nur solche hat sich Strauss aber herausgesucht. Über die Gründe mag man spekulieren: größere Publikumswirksamkeit, größere Möglichkeiten zur Illustration kommen in Betracht. Für hiesige Zwecke wichtig ist, dass Strauss den Idealisten Don Quixote kaum zu Wort kommen lässt (Ausnahme: die große Schwärmerei in der dritten Variation), sondern vor allem den Abenteurer beschreibt.


    Für das Spiel bedeutet das: Den durchaus körperlichen Abenteuern der beiden Helden kommt man mit reinem Schönklang nicht nach. Nicht vom Solocello, sondern auch vom Orchester insgesamt ist also durchaus handfestes Spiel zu fordern.


    Ein weiterer wesentlicher Aspekt des Buches ist der Humor. Er kommt im Buch allen Facetten vor, vom derb-clownesken bis zur feinen ironischen Distanz. Strauss hält es eher mit dem derb-clownesken. Bestes Beispiel dafür ist die Variation 3: Don Quixote hat sich ins allerschönste, alleridealistischste Schwärmen verstiegen (es handelt sich um die soeben genannte Ausnahme). Sancho Pansa plappert ihm am Ende der Variation blöd hinein. Don Quixotes Reaktion steht im krassen Gegensatz zum vorherigen Schwärmen. Er kanzelt Sancho Pansa derbe ab. Im Konold steht dazu: „Wieder einsetzendes Geplapper beantwortet der Ritter mit einer Ohrfeige.“


    Solche Stellen erfordern die Fähigkeit des Orchesters bzw. des Dirigenten, zwischen verschiedenen Spielstilen abrupt hin und her springen zu können. Vom schwärmerischen, leuchtenden Schönklang in einer Sekunde zur kurzangebundenen Derbheit, dieses schnelle Umschalten muss funktionieren. Außerdem ist an solchen Stellen nicht der kantilenenhafte große Bogen, sondern die witzige Episodenhaftigkeit, die Fähigkeit zum Herausstellen markanter Stellen gefordert.


    b) Variationenwerk:


    Oben hat Zwielicht und dem folgend habe ich bereits ausgeführt, dass bei den Variationen die Gefahr des Auseinanderfallens besteht. Ich jedenfalls benötige das Programm und die Partitur auf dem Schoß, um mich zurecht zu finden.


    Aufgabe des Dirigenten ist es daher, dieses Auseinanderfallen möglichst zu verhindern, die musikalische Struktur der Variationen zu verdeutlichen.


    Ich habe allerdings meine Zweifel, ob diese Verdeutlichung gelingen kann. Zu weitläufig scheinen mir die Variationen geraten, als dass ein Normalhörer ihnen folgen könnte.


    c) Das konzertante Element:


    Da Solocello und Solobratsche wesentliche Handlungsträger des Stückes sind, befürworte ich deutlich das Herausstellen, örtlich und klanglich.


    Das betrifft weniger die Tonkonserve als die Live-Aufführung. Will der Dirigent das konzertante Element verdeutlichen, bietet es sich an, den Solocellisten und den Solobratscher wie in einem Konzert vor das Orchester zu platzieren, gern auch antiphonisch. Lässt man hingegen die Orchestersolisten die Soloparts von ihrem Platz im Orchester aus übernehmen, tritt das konzertante Element automatisch in den Hintergrund.


    3. Zusammenfassung:


    Zusammengefasst ergeben sich folgende wesentlichen Maßstäbe:


    - Das vertonte Geschehen sollte plastisch dargestellt werden, gerade in den Fällen der Tonmalerei


    - Die Solobratsche darf nicht zu viel wollen, sondern sollte im Gegenteil derb-einfach spielen.


    - Das Solocello muss allen Facetten Don Quixotes gerecht werden. Es sollte idealistisch schwärmend, aber an passender Stelle auch zugreifend handfest beziehungsweise betont deklamierend spielen können.


    - Das Orchester insgesamt darf nicht nur Schönklang spielen. Handfestes Spiel ist auch hier bisweilen vonnöten, die Fähigkeit zur markanten, kurzangebundenen Derbheit unabdingbar. Schnelles Umschalten muss beherrscht werden.


    4. Aufnahmen


    Die Aufnahmen im Einzelnen danach durchzugehen, ob und inwieweit sie die genannten Maßstäbe erfüllen, und das hier im Einzelnen darzulegen, mag ich mir nicht antun. Allzu lang würde das dauern und ich hab´ mich schon ganz müde geschrieben. Ich beschränke mich daher auf einige kurze Bemerkungen:


    a) Kempe, Tortelier, Staatskapelle Dresden, aufgenommen 1973.


    Teleton hat es oben bereits geäußert: Wer diese Aufnahme besitzt, braucht im Prinzip keine weitere mehr. Genau so sehe ich es auch. Hier stimmt alles. Tortelier, der das Werk noch unter Strauss´ Dirigat gespielt hat, ist ein perfekter Don Quixote. Seine Fähigkeit zum deklamatorischen Spiel kommt hier aufs beste zur Geltung.


    b) Toscanini, Feuermann, NBC Symphony Orchestra, aufgenommen 1938 und
    c) Toscanini, Miller, NBC Symphony Orchestra, aufgenommen 1953


    Die 1938er Aufnahme habe ich mir nur wegen Feuermann gekauft. Sie überrascht, gerade wenn man die bekanntere 1953er Aufnahme kennt, durch eine viel größere Energie und Schnelligkeit. Die 1953er Aufnahme wirkt im Vergleich deutlich breiter, aber auch flexibler, farbiger. 1938 waren die Zügel straffer angezogen, konnte die Musik weniger atmen. Die Tonqualität ist überraschend gut, allerdings mit heutigen Aufnahmen natürlich nicht zu vergleichen. Gerade die Höhen sind deutlich beschnitten, was beispielsweise dazu führt, dass die Schwärmerei in der dritten Variation nicht leuchtet. Feuermann spielt wunderbar, unangestrengt richtig. Ihm mit den Noten in der Hand zuzuhören, ist ein Genuss. Nur fehlt mir bei ihm im Vergleich zu Tortelier die große Geste, das Handfeste. Die Solobratsche fällt überdies im Vergleich zu Feuermann deutlich ab, was den Eindruck weiter schmälert.


    d) Boult, du Pre, New Philharmonia Orchestra, aufgenommen 1968


    Diese Aufnahme war der Anlass für die oben angestellten Überlegungen. Boult spielt nämlich vor allem schön. Sonst aber passiert nicht viel. Für mich ist die Aufnahme daher mangelhaft. Du Pre finde ich als Don Quixote ebenfalls nicht gut. Ich habe in dieser Aufnahme den Eindruck, sie vermag es nicht, die einzelnen Noten zu einem sinnvollen Ganzen zusammenzubringen. Ihr Spiel ist mir nicht beredt genug.


    e) de Waart, Isserlis, Minnesota Orchestra, aufgenommen 1991


    Nach du Pre ist Isserlis eine Offenbarung. Bei ihm wird Don Quixote wieder zu einer Figur aus Fleisch und Blut. Dass Isserlis nicht die Unangestrengtheit Feuermanns erreicht, ist ihm wohl kaum vorzuwerfen. Das Orchester hingegen bietet eine nur gute Leistung. Nicht, dass einzelne Passagen missrieten. Aber umgekehrt gibt es auch selten Stellen, an denen das Orchester so spielt, dass ich sagen würde: Wow!


    Die neuere Aufnahme Isserlis´ unter Maazel hat denn auch deutlich bessere Kritiken bekommen – die besitze ich aber nicht.


    Viele Grüße
    Thomas

  • Diese ausführliche und auch für einen Laien, wie ich es bin, größtenteils verständige Werkanalyse hat mich schwer begeistert. Dafür danke ich ganz herzlich!


    Was sagt ihr zu der Einspielung von R.Strauss mit der Staatskapelle Berlin und Mainardi am Solo-Cello (1933)? Interessanterweise habe ich von einigen Cellisten gehört, dass Strauss dieses Werk nicht optimal zur Geltung bringt. Ich muss anmerken, dass ich diese Aufnahme ausgezeichnet finde.

    Arrestati, sei bello! - (Verweile, Augenblick, du bist so schön!)

  • Zitat

    Original von Milletre
    Was sagt ihr zu der Einspielung von R.Strauss mit der Staatskapelle Berlin und Mainardi am Solo-Cello (1933)? Interessanterweise habe ich von einigen Cellisten gehört, dass Strauss dieses Werk nicht optimal zur Geltung bringt. Ich muss anmerken, dass ich diese Aufnahme ausgezeichnet finde.


    Ich wollte eh noch ein paar Sätze zu Thomas' vorzüglichen Ausführungen sagen, aber greife hier schon mal vor: Auch ich finde Strauss/Mainardi vorzüglich - die verschiedenen Charaktere werden wirklich zum Sprechen gebracht, trotz tendenziell flotter Tempi herrscht große Flexibilität in den Details, die sich aber fast nie verselbständigen. Zudem klingt die Aufnahme für ihr Alter nicht übel. Von der Grundanlage ist Kempe/Tortelier nicht unähnlich.





    Viele Grüße


    Bernd

  • Hallo Thomas,


    Dein Super-Beitrag hat mir mehr als zuvor gezeigt, wie wichtig das Cello, sowie sein Ausdrucksgehalt für das Werk ist.


    Leider kam mein Statement mit dem Nervenden Cello etwas zu deutlich heraus.
    Es ist tatsächlich nur die Karajan-Aufnahme durch Rostropowitsch für mich nervend, weil Rostropowitsch das Instrument seltsam "pumpen" läßt. Das hat aber nichts mit seiner Interpretation zu tun den Don Quixote darzustellen.
    Natürlich kommt es bei dieser Datstellung mit dem Cello nicht auf eine äußere Virtuosität an, sondern auf eine handfeste Datstellung des Don Quixote.
    Das Rostropowitsch auch diesen Punkt erfüllt möchte ich ihm gar nicht negativ unterstellen - es ist dieses "ausholen/pumpen" und der dadurch entstehende Celloklang. Das ist mir dort halt nervend aufgefallen.


    Die Cellisten in meinen favorisieten Aufnahmen - Tortelier (Brillant) und Harrell (Decca) machen ihre Sache perfekt und interpretieren den Don Quixote programmgemäß richtig. Aber auch ihr Celloklang, der keineswegs in Richtung süslich oder auf Virtuosität bedacht geht, ist aber hier ebenfalls perfekt.
    :yes: Mein Qualitätsmerkmal ist aber bei diesen Aufnahmen mit Kempe (EMI/Brill) und Ashkenazy (Decca) nicht nur alleine das Cellosolo, sondern die fabelhafte spannende Dramaturgie dieser beiden Dirigenten.

    Gruß aus Bonn, Wolfgang

  • Heute 02/2018 suchte ich nach dem Thread zur Sinfonischen Dichtung Don Quixote (fand diesen aber nicht im Themenverzeichnis) und wollte schon einen neuen Thread für Don Quixote starten.


    Nach langen Suchen fand ich dann doch diesen interessanten Thread, der nicht nur wichtige Beiträge zu verfügbaren Aufnahmen vorweisen kann, sondern auch umfangreiche Beiträge zum Programm und Inhalt von Don Quixote enthällt = siehe Beitrag 32 vom geschätzten (aber in den letzten jahren verschollenen) Thomas Norderstedt.



    Ich möchte aber als Ergänzung zu meinen genannten Aufnahmen (Beitrag 26) unbedingt auf einer der Allerbesten hinweisen: :angel:Fritz Reiner / Chicago SO
    Diese RCA-LP war nebenbei mein Erstkontakt für Don Quixote mit dem herrlichen Cover, dem Picasso-Bild von Don Quixote mit Sancho Pansa.


    :thumbup: Da mehrere dieser Reiner-R.Strauss-Aufnahmen mein geglückter Anfang für Richard Strauss waren, bin ich heute froh mir die unten abgebildte RCA-5CD-Box mit einer guten Auswahl der wichtigsten Tondichtungen in ausgezeichneten 24Bit-Remastering zugelegt zu haben.


    *** Die Klangqualität dieser RCA-Living-Stereo-Aufnahmen von 1954 -1959 ist auch für heutige Verhältnisse frapierend natürlich und sauber eingefangen. Von der TOP-Aufnahmetechnik hätten mache Schallplattenlabel zu dieser Zeit nur träumen können ! Möglich wurde die gute Übernahme auf CD durch ausgezeichnete 24Bit-Remastering.


    :!: Wie Reiner das Werk zelebriert, wie packend er die modernen Effekte beim Kampf gegen die Hammerherde rüber bringt und insegesamt voll überzeugt ist Referenzklasse.
    Auch der Cellopart dieser "Cellosinfonischen Dichtung" ist sehr entscheidend für das Gelingen der Gesamtinterpretation - Antonio Janogro halte ich dahingehend für Perfekt - einfach wunderbar !
    [Bei aller Bewunderung des geschätzten Cellisten M.Rostropowitsch (siehe Vorbeitrag), aber so "überbetont" gefällt es mir nicht.]


    - derzeit nicht mehr so preiswert wie noch 2017 -

    RCA, 1954 - 1959, ADD



    Es gibt seit kurzem auch eine weitere komplettere R.Strauss-Neuauflage mit Fritz Reiner - auf sogar 10CD:
    - da die entscheidenden Tondichtungen bereits auf der oben abgebildeten 5CD-Box enthalten sind und ich ansonsten mehr als komplett mit R.Strauss ausgestattet bin, benötige ich diese nicht -



    RCA, 50er-Jahre, ADD

    Gruß aus Bonn, Wolfgang