Schubert: Klaviersonate B-Dur D 960 - Ein Überblick von "Zelenka"

  • Zitat

    Johannes Roehl: Deutlich weniger Verständnis, wenn ein sog. "Schubert-Papst" wie Brendel im LP- und CD-Zeitalter, da 5 min. länger keine große Sache mehr sind, diese Wh. auslässt.


    Bei Alfred Brendel, lieber Johannes,
    verhält es sich ein wenig anders. Er lässt die Wiederholung der Exposition aus Überzeugung weg. Ich habe es vor Jahren, als ich mit den Beethoven-Sonaten begann, in seinem Buch "Über Musik" gelesen und auch in meinen Texten zitiert, konnte aber jetzt beim raschen Nachlesen die Stelle so schnell nicht finden. Er argumentiert sinngemäß, warum man einerseits Beethovens Wiederholungen spielen soll und andererseits Schuberts Wiederholungen nicht, dass sich bei Beethoven jede Note aus sich selbst heraus rechtfertige, auch in den Wiederholungen, das es bei Schubert jedoch reine Wiederholungen seien, und dass es deshalb nicht nur richtig sei, sie wegzulassen, sondern sogar geboten. So ganz habe ich das nie verstanden und bin auch nicht seiner Meinung, sondern ich bin der Meinung, dass der Komponistenwille zu respektieren sei.
    Wenn man das z. B. allein schon auf D.960 bezieht, kann bei Weglassen der Expositionswiederholung passieren, was ich in meinem vorherigen Beitrag erklärt habe, dass nämlich acht wichtige Takte unter den Tisch fallen.
    An anderer Stelle hat Brendel sogar selbst erklärt, warum das bei Beethoven so ist, wie es ist, und bei Schubert anders, dass beide völlig unterschiedlich komponieren.
    Das Argument, dass manche Pianisten die Wiederholung weglassen, damit der Kopfsatz den Rest der Sonate nicht erschlägt, kann ich wiederum nicht verstehen. Dass würde ja im Umkehrschluss bedeuten, dass eine Mehrzahl der Pianisten nicht so denkt.
    Ich habe daraufhin mal die drei hier in deinem Beitrag in Rede stehenden Pianisten Schnabel, Brendel und Arrau gegenübergestellt und der besseren Vergleichbarkeit so getan, als wenn auch Brendel und Schnabel die Exposition wiederholt hätten. In Klammern stehen die Prozentanteile:


    Schnabel 1937/38: 40:29 - 18:02(44,5) - 11:10(27,6) - 4,07(10,2) - 7:10(17,7)
    Arrau (1980)........: 44:01 - 20:07(45,8) - 10:49(24,6) - 4:45(10,8) - 8:20(18,8)
    Brendel (1997).....: 42:19 - 20:11(47,7) - 09:13(21,8) - 4:10((09,8)- 8:45(20,7)


    Wir sehen, dass sich so die Unterschiede wieder etwas nivellieren. Jeder der Drei tritt nur in einem Satz signifikant hervor: Brendel im Kopfsatz, Arrau im Scherzo und Schnabel im Andante.


    Liebe Grüße


    Willi :)

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

  • Wunderbare Anekdote! Dabei spielt Berman den ersten Satz ja gar nicht langsamer als Richter, hier die Zeiten der oben abgebildeten EMI-Aufnahme:


    1: 23:52
    2: 11:56
    3: 4:47
    4: 9:07

    Gerade habe ich die 1992iger Berman-Aufnahme bekommen. Die Zeiten:


    1. 21.30
    2. 10.15
    3. 4.30
    4. 8.30


    Er ist also doch etwas geschwinder als früher!


    Herzlich grüßend
    Holger

  • Nochmal zur These, dass der Kopfsatz "früher" bzw. von Pianisten der älteren Generation deutlich zügiger gespielt wurde (immer ohne Wdh., wenn nicht explizit angemerkt):


    Schnabel 1937 13:54
    Wührer 1950er 12:31
    Erdmann 1951 (Radio Bremen/Tahra) 12:13
    Erdmann 1950/51? (WDR/Orfeo) 12:22
    Annie Fischer 1960 12:45
    Horowitz (wann?) 13:07 (Urania, Aufnahmedatum weiß ich nicht; seine späte DG liegt bei 19:14 incl. Wdh., das ist aber immer noch schneller "typische neuere Aufnahmen)
    Curzon (1972? Decca box) 13:15
    Lupu 1994 18:15 (incl. Wdh., wäre ca. 13:30 ohne)
    Haskil 1951? 13:06
    Haskil 1957? 13:41 https://www.youtube.com/watch?v=oqd7VG21Apw
    Sofronitsky 1956 (live, in der Brilliantbox) 14:03 (es gibt eine spätere? wesentlich langsamere (17:30) auf youtube)
    Rubinstein 1965 14:17


    d.h. Schnabel, lt. Willi viel zu schnell, ist interessanterweise klar auf der langsamen Seite der frühen Aufnahmen (jedenfalls von der Gesamtdauer, habe jetzt Tempoänderungen nicht berücksichtigt). Und andere Interpreten wie Haskil oder Fischer sind in anderem Repertoire nicht unbedingt "Raser".


    Daher liegt für mich nahe, dass in dieser Zeit bzw. bei diesen Pianisten der Satz beinahe durchweg als ein "Allegro moderato" aufgefasst wurde. Spätestens seit Richter hat sich das geändert und wenn auch nur wenige (Afanassiev, Korstick) Richter folgen (bzw. noch breiter spielen), so hat sich ein übliches Tempo bei 20-22 min. mit Wdh. herausgebildet, das deutlich (10-20%) langsamer ist als das in den 1950ern verbreitete. Insbesondere scheint es, ganz abgesehen von Mittelwerten, in den letzten 40 Jahren außer Lupu kaum einen Pianisten zu geben, der den Satz im "alten" Tempo spielt. Es gibt also mehr Ausreißer zu noch langsameren Tempi (Afanassiev u.a.).
    Ich habe natürlich nicht alles überprüft, aber (außer Lupu) keinen neueren "schnellen" gefunden (und es wurde hier im Thread auch keiner genannt. Meine beiden Einspielungen auf historischen Instrumenten liegen mit 20:38 (Lahusen) und knapp 22 (Staier) genau im typischen "neuen" Bereich.


    ERGÄNZUNG: Andras Schiffs neuere Aufnahme kommt mit 18:33 beinahe an Lupu und damit an den "alten" Tempobereich heran; die ältere Decca-Aufnahme war bei etwas über 20 min im heutigen Bereich (wenn auch auf der zügigen Seite).



    Es gibt zwar noch ein paar "zügige" zwischen 19 u. 20 min., aber alle sind klar langsamer als Lupu (der seinerseits langsamer ist als die meisten "alten"), alle mit Wdh. (man müsste es genauer machen, aber knapp 5 min abziehen kommt etwa hin, um mit den Einspielungen ohne Wdh. vergleichen zu können). Ändert alles nichts an der deutlichen Verschiebung gegenüber den alten Aufnahmen.


    Horowitz (DG) 19:14
    Badura-Skoda 19:24 bzw. 19:41
    Todd Crow 19:24
    Koroliov 19:32
    Jörg Ewald Dähler (HIP) 19:09
    Pollini: 18:56
    Zhu Xiao Mei 19:27


    keine Wdh.
    Goode 14:04
    Barenboim (Erato) 14:05

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Lieber Johannes,


    Schnabel ist unter den 4 Interpretationen ohne WH die ich habe im ersten Satz identisch mit Cursor am zügigsten. Schnabel klingt aber deutlich rascher, da er viel lauter spielt und dynamische Abstufungen im p vermissen lässt. Subjektiv klingt er IMO, da gröber, schneller.


    LG Siamak

  • Zitat

    Johannes Roehl: d.h. Schnabel, lt. Willi viel zu schnell, ist interessanterweise klar auf der langsamen Seite der frühen Aufnahmen (jedenfalls von der Gesamtdauer, habe jetzt Tempoänderungen nicht berücksichtigt). Und andere Interpreten wie Haskil oder Fischer sind in anderem Repertoire nicht unbedingt "Raser".


    Lieber Johannes, ich hatte das, was du als "viel zu schnell" bezeichnest, in der Tat auf die Sechzehntelsequenz ab Takt 29 bezogen, wo er das Tempo im Vergleich zum ersten Teil m. E. unverhältnismäßig anzieht.
    Zum Vergleich habe ich gerade Eduard Erdmann nachgehört:

    der zwar insgesamt schneller ist, aber er spielt das in einem insgesamt gechlosseneren Tempo, in derm er an besagter Stelle viel organischer in die Sechzehntel einmündet. Hinzu kommt bei Erdmann noch, wie ich auf die Schnelle feststellen konnte, eine größerer dynamischer Kontrast, weil er zu Beginn bis zum ersten großen Crescendo (ab Takt 34) ein berückendes Pianissimo spielt und mir in besagtem Crescendo einen gewaltigen Schauer über den Rücken jagt. Man muss natürlich hinzufügen, dass der Klang der Erdmann-Aufnahme ungleich bessder ist als der der Schnabel-Aufnahme.


    Liebe Grüße


    Willi :)

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  • Ich hatte eben ein sehr berührendes Hörerlebnis. Heute war diese Aufnahme bei mir eingetroffen:



    Ich war ja schon durch seine früheren Aufnahmen der Beethoven- und Brahmskonzerte unter Szell von seinem Spiel sehr beeindruckt, aber nach so langer Zeit vor allem des körperlichen wie seelischen Leidens wieder spielen zu können (with two hands) und so ein Album vorzulegen, ist doch noch eine andere Sache, und so muss ich Sagitt (Beitrag Nr. 127) Recht geben:
    diese Aufnahme der B-dur-Sonate ist ganz sicher oben mit anzusiedeln. Jedoch höre ich nicht nur Demut und Tiefsinn aus dieser Aufnahme, sondern eine unendlich große, positive Stimmung, ganz im Gegensatz zum Komponisten, als er dies an seinem viel zu frühren Lebensende, noch als eigentlich junger Mensch, komponierte.
    Man könnte vielleicht sagen, dass Leon Fleisher, eingedenk seines eigenen Schicksals und der überwundenen Erkrankung, aus dieser Sonate das Positive, das Erlösende heraushörte und in seine Interpretation einfließen ließ, aber dafür müsste man sich doch noch näher mit der Aufnahme und dem Stück generell befassen.


    Liebe Grüße


    Willi :)

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  • Lieber Willi



    Es freut mich sehr, dass auch dich diese Aufnahme berührt.Leon Fleisher ist durch seine lange Krankheit als Pianist von der Bühne verschwunden. Man hatte seine älteren Aufnahmen, die seinerzeit hochgelobt wurden. Ich kann mich noch sehr genau erinnern, wie ich ihn 1963 mit einer Aufnahme des Brahms Quintets Opus 34 kennen lernte und damals begeistert war. Für mich ist Fleisher der amerikanische Pianist mit der größten musikalischen Aussagekraft gewesen.
    Leider ist die Heilung wohl in einem Alter eingetreten, in dem es für den Neustart der Karriere zu spät war? Ich kenne jedenfalls keine andere neue Aufnahme von ihm, was ich sehr schade finde.
    Durch Haskil und Lipatti wissen wir, wie sehr Menschen durch Leid hindurch zu den tiefsten Geheimnissen der Musik vorstoßen können.Fleisher gehört ebenfalls in dieser Reihe.
    Beste Grüße Hans

  • ch hatte eben ein sehr berührendes Hörerlebnis. Heute war diese Aufnahme bei mir eingetroffen:



    Ich war ja schon durch seine früheren Aufnahmen der Beethoven- und Brahmskonzerte unter Szell von seinem Spiel sehr beeindruckt, aber nach so langer Zeit vor allem des körperlichen wie seelischen Leidens wieder spielen zu können (with two hands) und so ein Album vorzulegen, ist doch noch eine andere Sache, und so muss ich Sagitt (Beitrag Nr. 127) Recht geben:
    diese Aufnahme der B-dur-Sonate ist ganz sicher oben mit anzusiedeln. Jedoch höre ich nicht nur Demut und Tiefsinn aus dieser Aufnahme, sondern eine unendlich große, positive Stimmung, ganz im Gegensatz zum Komponisten, als er dies an seinem viel zu frühren Lebensende, noch als eigentlich junger Mensch, komponierte.
    Man könnte vielleicht sagen, dass Leon Fleisher, eingedenk seines eigenen Schicksals und der überwundenen Erkrankung, aus dieser Sonate das Positive, das Erlösende heraushörte und in seine Interpretation einfließen ließ, aber dafür müsste man sich doch noch näher mit der Aufnahme und dem Stück generell befassen.

    Lieber Willi,


    stell Dir vor, gestern habe ich diese so besondere CD auch gehört. :) Schon die beiden Bach-Busoni-Stücke sind wunderbar. Mir gefällt im ersten Satz diese zurückhaltende, leise Art, die aber nicht auf dynamische Höhepunkte verzichtet. Der zweite Satz ist sehr eindrucksvoll, beim Scherzo merkt man doch etwas das Handycap der rechten Hand, da fehlt etwas die der leichte Anschlag. Das Finale finde ich schließt nicht so ganz organisch im Ton an das Vorherige an, das hätte für mich etwas zurückhaltender sein können. Aber insgesamt ist das wahrlich eine beeindruckende Aufnahme.


    Dann hatte ich noch etwas Zeit und habe mir den 1. Satz von Lazar Bermans 1992iger Mitschnitt auch noch angehört (25 Sekunden (Zeitangaben s.o.!) muss man abziehen mit Auftritt und Beifall):



    Ich war beeindruckt: Lazar Berman schafft es, klar zu machen, dass dies ein Sonatensatz ist mit dem Sinn des Dramas. Er hangelt sich nicht nur an den Kantilenen entlang wie so viele, sondern spielt die syntaktischen, dramatischen Kontrastierungen in den Themen unglaublich klar und hochspannend heraus. Überall gibt es kleine und kleinste Dramen - eine vollständige Beseelung der Musik. Eine wirklich "große Aufnahme". Zumal der klang, die Akkordik zu Beginn hat die Fülle einer Orgel und er zieht alle Register.

    Leider ist die Heilung wohl in einem Alter eingetreten, in dem es für den Neustart der Karriere zu spät war? Ich kenne jedenfalls keine andere neue Aufnahme von ihm, was ich sehr schade finde.

    Er war ja immer, lieber Sagitt als Lehrer aktiv und hat während seiner Krankheit auch noch eine Aufnahme mit Werken für die linke Hand gemacht. Ich glaube, es gibt noch eine spätere CD. Da schaue ich nachher mal. Michel Beroff hatte übrigens dasselbe tragische Schicksal (die berüchtigte "Pianistenkrankheit"). :hello:


    Herzlich grüßend
    Holger

  • Berman (1992) habe ich jetzt zuende gehört! Was für eine Aufnahme! Da wird jede Note "beseelt". Im Finale hört man dann alle Doppelbödigkeiten und Abgründe gequälter Subjektivität: Überdruss, Widerwillen gegen die Seligkeit eines Kehraus-Finales, die keine mehr ist. Einfühlsamer und aufmerksamer, feinsinniger kann man diese Musik kaum aushorchen. Zum Vergleich der verschiedenen Berman-Aufnahmen bin ich aber noch nicht gekommen! :hello:


    Schöne Grüße
    Holger

  • Die neue Aufnahme von Zimerman ist was ganz, ganz Besonderes. Ich neige bei der B-Dur Sonate dazu, jenen Interpreten den Vorzug zu geben, die die getragene Stimmung der ersten beiden Sätze auch in den dritten und vierten Satz hineinwirken lassen, sonst fällt für mich das Gebilde auseinander. Der andere Weg, nämlich die ersten beiden Sätze schneller zu spielen, mag bis zu Richters Einspielung, wie Johannes und Willi herausgefunden haben, die übliche Herangehensweise gewesen sein. Aber nach der Aufnahme von Richter mit diesem langsamen ersten Satz hört man das Stück einfach anders, das geht wohl jedem Interpreten so, das sieht man ja auch daran, dass nach Richters Aufnahme die Zeiten für den ersten Satz durchschnittlich viel langsamer wurden. Zimerman ist nun, zumindst für mich, der erste Pianist, der einen anderen Weg geht. Das Molto moderato ist mit ca. 20 Minuten gewissermaßen natürlich im Fluss, auch in den schnellen Passagen ist aber noch das Molto moderato spürbar. Der Satz behält seinen langsam voranschreitenden Charakter, ist aber niemals unnatürlich langsam. Den dritten und vierten spielt er mit viel Elan und weist im Booklet darauf hin, dass Schubert in seinem letzten Jahr noch lange Reisen unternommen hat und auch durchaus lebenslustig war. Das spiegelt sich in diesen Sätzen. Im Unterschied aber zu allen mir bekannten Aufnahmen zaubert Zimerman nun aber gerade in den schnellen Sätzen mit einer Eleganz und mit zarten Schattierungen, die Ihresgleichen suchen. An der Oberfläche herrscht Fröhlichkeit, aber die 'Tiefen' der ersten beiden langsamen Sätze sind nicht vergessen. Rein pianistisch ist das von einer Vollkommenheit, von der man nichts ahnt, wenn man es nicht gehört hat. Was für eine Aufnahme!!!


    Viele Grüße
    Christian

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  • Lieber Christian,


    deine Eindrücke kann ich voll und ganz bestätigen.


    Liebe Grüße


    Willi :)

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

  • Die neue Aufnahme von Zimerman ist was ganz, ganz Besonderes. Ich neige bei der B-Dur Sonate dazu, jenen Interpreten den Vorzug zu geben, die die getragene Stimmung der ersten beiden Sätze auch in den dritten und vierten Satz hineinwirken lassen, sonst fällt für mich das Gebilde auseinander. Der andere Weg, nämlich die ersten beiden Sätze schneller zu spielen, mag bis zu Richters Einspielung, wie Johannes und Willi herausgefunden haben, die übliche Herangehensweise gewesen sein. Aber nach der Aufnahme von Richter mit diesem langsamen ersten Satz hört man das Stück einfach anders, das geht wohl jedem Interpreten so, das sieht man ja auch daran, dass nach Richters Aufnahme die Zeiten für den ersten Satz durchschnittlich viel langsamer wurden. Zimerman ist nun, zumindst für mich, der erste Pianist, der einen anderen Weg geht. Das Molto moderato ist mit ca. 20 Minuten gewissermaßen natürlich im Fluss, auch in den schnellen Passagen ist aber noch das Molto moderato spürbar. Der Satz behält seinen langsam voranschreitenden Charakter, ist aber niemals unnatürlich langsam. Den dritten und vierten spielt er mit viel Elan und weist im Booklet darauf hin, dass Schubert in seinem letzten Jahr noch lange Reisen unternommen hat und auch durchaus lebenslustig war. Das spiegelt sich in diesen Sätzen. Im Unterschied aber zu allen mir bekannten Aufnahmen zaubert Zimerman nun aber gerade in den schnellen Sätzen mit einer Eleganz und mit zarten Schattierungen, die Ihresgleichen suchen. An der Oberfläche herrscht Fröhlichkeit, aber die 'Tiefen' der ersten beiden langsamen Sätze sind nicht vergessen. Rein pianistisch ist das von einer Vollkommenheit, von der man nichts ahnt, wenn man es nicht gehört hat. Was für eine Aufnahme!!!

    Da hast Du die Situation und alles Andere sehr treffend beschrieben, lieber Christian! :)


    Meine Rezension findet sich im Zimerman-Thread (nur nochmals der Vollständigkeit halber für spätere Zeiten, damit es nicht vergessen wird): :D


    Krystian Zimerman : Primus inter Pares?


    Herzlich grüßend
    Holger

  • Ich habe die Erweiterung meiner Sammlung von Aufnahmen der D.960 wieder aufgenommen, und so sind in den letzten Tagen folgende Aufnhamen hinzugekommen:




    Von Barenboim ist eine Box mit sämtlichen vollendeten Sonaten dabei. Leider fehlt also die von der Anlage her ähnlich vollendete Sonate D.840 "Reliquie" wie die vollendete Symphonie D.759 "Unvollendete", schade! Ich habe nun die Hälfte der schon einmal Anfang November bestellten Aufnahmen, die wegen der Halsstarrigkeit eines Hermes-Filiailisten gegen meinen Willen zurückgewiesenen, doch noch erhalten. Insgesamt habe ich nun 71 Aufnahmen der D.960. In den nächsten Tagen geht es mit den Hörberichten weiter.


    Liebe Grüße


    Willi :)

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).


  • Diese Aufnahme ist ein schönes Beispiel dafür, dass genauso wenig wie beim Thema Oper irgendwelche Bilder, hier die Hörschnipsel reichen würden, um eine Interpretation wirklich in Gänze beurteilen zu können. Hört man bei Ushida nur den Beginn des Kopfsatzes, dann nimmt das intim-beseelte Spiel gefangen. Aber die höheren Interpretationsfragen in Sachen Schubert, die einem angesichts dieser Aufnahme durch den Kopf gehen, erschließen sich so einfach nicht. Ushida spielt Schubert empfindsam, als empfindsamen Romantiker. Was dabei allerdings verloren geht, ist die Kompexität einer romantischen Umformung einer klassischen Sonate. Ihre Art, weich zu zeichnen und Schuberts letzte Sonate so erklingen zu erlassen, als sei sie ein Mozart-Klavierkonzert, wo die Musik einfach nur "läuft", bringt die dramatische Sukzessivität nahezu zum Verschwinden. Es ist keineswegs so, dass Ushida dynamisch kontrastarm spielen würde. Aber es fehlt die plastische Zeichnung en detail, die Plastizität einer Scharfzeichnung der "Formen" und die sich daraus ergebenden Bewegungen und Gegenbewegungen. Bei Ushida gibt es so gut wie keine Kontrapunktik. Besonders bemerkbar macht sich das im etwas blass wirkenden Finale und im Mittelteil des Scherzo. Obwohl sie die Kontraste spielt, schließen sie sich nicht zu einem "Gegeneinander" korrespondierend zusammen. Man höre gerade im Trio mal zum Vergleich Krystian Zimerman! Das alles bleibt bei Ushida ohne dramatisches Konfliktpotenzial eher eine "Dokumentation" verschiedener Empfindungen, die im einträchtigen Nebeneinander sozusagen aufgesammelt werden. Der langsame Satz steht geradezu auf der Stelle: absolute Windstille. Die eigentliche Schwierigkeit bei Schubert ist jedoch die, in der Romantisierung der klassischen Syntax das Klassische als "Rahmen" eben doch noch durchscheinen zu lassen, ohne aber wiederum den epischen Charakter einer vordergründigen Dramatisierung zu opfern. Eine Gratwanderung. Und die gelingt dieser Aufnahme dann doch nicht so, wie anderen "großen" Interpretationen dieser wunderbaren Musik.


    Schöne Grüße
    Holger

  • Lieber Holger,


    habe leider nicht die Zeit, inhaltlich auf Deinen gut begründeten Beitrag einzugehen.
    Aber ich möchte wenigstens darüber informieren, dass ich es anders höre.
    Für mich ist Uchidas Darstellung diejenige, die ich hier am liebsten höre, und die mich am besten überzeugt.


    Allerdings habe ich kein Problem damit hinzuzufügen, dass ich Zimermans Einspielung gerade beim ersten Hören auch ziemlich gut fand.


    Für Begründungen fehlt mir leider, wie gesagt, im Moment die Zeit. Ich muss gleich das Haus zum Üben verlassen....


    Es kann auch gut sein, dass bei mir hinsichtlich Uchida ein gewisses grundsätzliches "sich hingezogen-Fühlen" existent ist, so wie es bei Dir - unterstelle ich jetzt einmal- bei Michelangeli der Fall sein könnte.
    Allerdings fühle ich mich auch sehr oft mit meiner Uchida-Präferenz beim Vergleichshören bestätigt ( auch bei Mozart oder Beethoven), aber eben auch hier beim Schubert. Da gibt es dann schon sehr gute Gründe, Takt für Takt und Note für Note.


    Es hätte mich bei Deiner Bewunderung für Michelangelis Stil auch gewundert, wenn Dir Uchida uneingeschränkt zusagt. Das sind dann doch sehr andere, vielleicht auch schon gegensätzliche Musikauffassungen. Den Reiz kann ich bei beiden nachvollziehen ( gerade auch beim Klavierkonzert Nr. 1 mit dem Altmeister), aber auf lange Sicht gebe ich dann doch meistens der Dame recht. Ich kann nicht anders.



    Alles Gute :-)


    Gruß
    Glockenton

    "Jede Note muss wissen woher sie kommt und wohin sie geht" ( Nikolaus Harnoncourt)

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  • Holger's sehr dezidierte und geschliffen formulierte Auseinandersetzung mit der Interpretation von Mitsuko Ushida zeigt mir wieder einmal auf, dass ich hier ab einem bestimmten Niveau nicht mitdiskutieren kann.
    Ich liebe diese Einspielung - finde sie aber einfach nur "schön", ohne das in musiktheoretischen Standard-Begriffen erläutern zu können. Ich kann sie zwar mit anderen Einspielungen vergleichen und entscheiden, welche ich auch, gleich oder weniger gelungen finde, aber eben halt nur mit einfachen Worten.
    Dies nur so am Rande - schön, dass hier für uns beide Platz ist... ;)

    Herzliche Grüße
    Uranus

  • Es hat mir keine Ruhe gelassen, dass ich zeitbedingt nicht konkreter argumentieren konnte.
    Ich will das jetzt tun, jedoch tatsächlich konkret und mich erst einmal auf einige Aspekte des ersten Satzes beschränken.
    Um des Vergleichens willen, habe ich mir zur Uchida-Aufnahme die DG-Aufnahme Zimermans angehört und gleichzeitig die Noten mitgelesen.


    Takt 1 und folgende:
    In der Partitur steht pp als dynamische Vorgabe, sowie legato als grundsätzliche artikulatorische Richtungweisung. Bei Uchida hören wir in der Tat ein wunderbares pp, bei Zimerman ist es leider schon ein mf. Hat er damit recht, dass er die Vorgabe Schuberts aus diese Weise auslegt? Ich finde nein, denn der Effekt ist eine bedauerliche Profanisierung. Es wird mit größerer "klassischer Klarheit" so etwas wie eine Form herausgemeißelt, die dieser Maßnahme gar nicht bedürfte. Uchidas Gegenbeispiel zeigt, dass die Befolgung der dynamischen Anweisung hier richtig ist, denn aus dem pp entwickelt sich der Aufmerksamkeit erzwingende Anfang einer geheimnisvollen Lyrik, die dem Hörer liedhaft eine bewegende Geschichte erzählt.


    Mit welchen pianistischen Mittel geht Uchida hier vor?


    Zunächst setzt sie im Auftakt eine leichte agogische Verzögerung ein. Dadurch wird ein „wahres Pathos“ erzeugt ( der Begriff wird leider immer sehr negativ belegt, obwohl sich so viele Menschen genau danach sehnen….).
    Das wird auch im Übergang von Takt 4 auf Takt 5 deutlich, denn auch dort wird durch diese agogische Betonung der Eindruck von Ernsthaftigkeit, Innigkeit und dem Glauben an das Kostbare erzeugt. Ihr Klavierton ist sehr singend, weich und lyrisch, so wie es m.E. auch vom Liedkomponisten Schubert hier gemeint war.
    Die Achtelbegleitung im Tenor der linken Hand gibt ein warmes harmonisches Fundament, wobei auch feinste harmonische Reize erkennbar werden (z.B. das e in auf der Eins in Takt 2, welches im Bb-Dur-Akkord eigentlich eine Dissonanz ist und sich auf dem zweiten Achtel ins F auflöst), ohne dass man auf sie mit der Holzhammermethode hingewiesen wird. In der rechten Hand wird die Melodie herausgearbeitet, und zwar in einem wunderbar orchestral-oktavischem Nebeneinander von Alt und Sopran. Die harmonische Füllstimme des Sopran II ( in Takt 1 ist es ein f) tritt demgegenüber leicht zurück, ist aber dennoch perfekt ausbalanciert zu den anderen Stimmen hörbar vorhanden.
    Diese wohlbalancierte „Abmischung“ hält Uchida konsequent und im vollendeten Legato durch, und zwar alles im Pianissimo!!! Wer so etwas einmal selbst versucht hat, der weiß, dass diese ersten Takte in dieser Qualität vorgetragen genau so schwer sind, wie eine Etude von Chopin herunterzudonnern. Es erfordert ein unglaubliches Maß an Konzentration, Körperbeherrschung und dem Vermögen, sich selbst zuzuhören.
    Das alleine hier ist schon ein wahrhaft meisterliches Niveau!


    Dann kommt die Stelle mit dem Basstriller in Takt 8, auch im pp. Dieser klingt bei ihr wie ein fernes Grollen von Orchesterpauken, vielleicht so ähnlich wie es bei Beethoven in der Pastorale beim abziehenden Gewitter klingt, wobei es hier natürlich von Schubert eine andere „erzählerische“ Funktion hat. In den darauffolgenden Takten kommt zur Klangbalance der ersten Takte noch bei ihr der Tenor als weitere gleichberechtigte Gesangsstimme hinzu.


    Der darauffolgende Triller markiert den genialen tonalen Übergang der ersten Tonika von Bb-Dur zur neuen Tonika nach Gb-Dur, eine große Terz abwärts. Die Melodie wird in diesem neuen tonalen Zusammenhang weitergeführt, wodurch Langeweile durch Ertrinken in Schönheit vermieden und die Aufmerksamkeit des Hörers aufrechterhalten wird. Wie nun Uchida diesen ebenballs mit pp bezeichneten Übergang spielt, finde ich in der Tat magisch: Hier passt alles , man rutscht durch den Triller sozusagen eine Terz tiefer in das Gb-Dur und die herrliche Melodie darf in diesem neuen Zusammenhang weitersingen. Obwohl es harmonischen gesehen ein Abwärtssprung ist, fühlt es sich wie eine Aufwertung an, wie ein melodischer Aufschwung.


    Das hat auch etwas damit zu tun, dass der Melodie nun nicht mehr ein mit Achtelbegleitung aufgelöster mehrstimmiger Chorsatz wie am Anfang gegönnt wird, sondern der Einzelstimme des Soprans ein 16tel-Akkordteppich der linken Hand zur Seite gestellt wird, der seinerseits für mehr Bewegung und ein gewisses Steigerungsgefühl sorgt. Es kommt nun darauf an, diese Figuren ( historisch geboren aus den sogenannten Albertibässen, hier jedoch lyrisch-erzählerisch weiterentwickelt) als bewegten harmonischen Teppich zu spielen, der die Melodie weich unterstützt, dabei auch die Kontrapunktik des Verhältnisses Sopran vs. immer noch vorhandener Bass-Stimme erkennbar bleiben zu lassen, ohne diese schulmeisterlich wie ein Fugenthema herauszuarbeiten. Uchida gelingt das in einer Weise, von der ich behaupte, dass man es nicht besser machen kann.


    Diese Takte sind nun durch den Orgelpunkt Gb gekennzeichnet, über den sich entsprechend der Melodie die wechselnden Akkorde aneinanderreihen. Es gibt eine aufheiternde Auflösung der Melodie in Achteln, während die linke Hand ein variiertes Begleitschema spielt, bis über Achtel-Triolen und den so einfachen, wie genialen Kunstgriff Schuberts, über Gb7 nach Bb-Dur mit der Quinte F im Bass zurückzumodulieren, die Geschichte wieder zum Haupttonart B-Dur zurückfindet, hier im Forte, und satztechnisch wie am Anfang, allerdings mit Achteltriolen statt Duolen in der linken Hand. Der Ausflug war also schön, aber der geheimnisvolle pp-Anfang war also durchaus genau so gemeint, denn er setzt sich hier im Forte gegenüber dem Gb-Dur-Ausflug eindeutig durch, auch im eher konservativeren bzw. weniger pianistischen als chorischen satztechnischen Stil.


    Auch hier gibt Uchida diese Dinge 1 zu 1 an den Hörer erkennbar aber doch nicht belehrend, sondern "geschehen-lassend" weiter, dabei auch im Forte sehr klangschön und niemals hässlich hart oder eckig-maskulin-dominant, sondern für meine Begriffe sehr typisch für den schubertschen Personalstil, der vom ihm eigenen Übergang von der Klassik zur Romantik gekennzeichnet ist.


    Hierzu noch die kurze Anmerkung, dass es – im Gegensatz zum Barock- vom Satz und vom Stil her nicht „die Romantik“ gibt, sondern jeder romantische Komponist seinen ganz individuelle Auslegung eben jenes romantischen Empfindens gefunden hat, was ja wohl zum philosophischen Konzept des Romantik passt.


    Uchidas Übergang ins Forte ist so organisch wie leidenschaftlich, dabei immer singend. Eine Instrumentalmusik, die nicht singend ist, mag ich nicht ( kann deswegen z.B. keinen „Teufelsgeiger“ hören…) Schubert ist definitiv jemand, der in sanglichen Legatobögen denkt ( da fällt einem nicht nur das Liedgut, sondern auch die große C-Dur ein), weshalb mich dieser Ansatz sofort musikalisch überzeugt, auch deshalb, weil sich die Seele am direktesten über den Gesang ausdrückt.


    Die Musik geht weiter, bis es zu einem an eine Beethoven-Sonate erinnernden dramatischen Übergang (verminderte Akkorde) zu Fis-Moll kommt ( man beachte die enharmonischen Beziehungen zum vorher verwendeten Gb-dur…).


    Der weitere Gesang der Melodie wird daraufhin dem Tenor anvertraut. Die rechte Hand spielt dazu begleitend Tonrepetitionen im Alt und einen kleinen Kontrapunkt im Sopran. Bei den 8tel-Figuren im Alt kommt es darauf an, die Tonwiederholungen mit Bögen und Staccatopunkten historisch richtig zu verstehen: Es kommt vom barocken Bogenvibrato her, einem damals schon impressionistischen Effekt, bei dem mit pulsierendem Druck in einem Strich die sich wiederholenden Noten leicht markiert wurden. Um das pianistisch entsprechend umzusetzen, sollte man auf jeden Fall zurückhaltend, und vor allem mit Pedalunterstützung spielen. Die Noten müssen ineinander gleiten; keinesfalls darf es Löcher dazwischen geben.
    Uchida macht auch hier alles richtig. Man kann als Hörgemeinde den Tenor mühelos mitsingen, gleichzeitig aber auch diese Dinge in den nicht störenden, sondern unterstützenden Begleitstimmen mitbekommen. Alles wirkt organisch, natürlich und fließend. Auch diese Umsetzung erfordert eine große handwerklich-pianistische Leistung.


    Nun, da sich sehe, dass der Textumfang groß wird, will ich es dabei belassen. Ich kann schlecht generell über etwas reden, sondern möchte eine Meinung – wenn ich sie denn begründen will- auch konkret und nachhörbar begründen.


    Vielleicht noch eine kurze vergleichende Betrachtung der genannten Stellen in der Zimerman-Version:


    Über die mf-Dynamik des Anfangs und den damit verbundenen metallischeren Klang als bei Uchida schrieb ich bereits. Bei Zimerman wird die Sopranmelodie herausgearbeitet, nicht jedoch der eine Oktave tiefer mitgehende Alt. Das ist zwar leichter zu spielen, aber in meinen Ohren weniger überzeugend und auch nicht schöner. Es wirkt profaner - das Geheimnisvolle fehlt.
    Ich meine, Schubert hat die Oktaven nicht deshalb geschrieben, um sie zu verstecken, sondern hier schon eine gewissen orchestrale Farbe ins Klavier zu bringen.
    Zimerman beachtet die Pause in der linken Hand vor dem Triller penibel, was mich aber auch nicht überzeugt, denn der fließende Übergang von Bb-Dur nach Gb-Dur gelingt mit einer Legato-Pedalisierung wie bei Uchida m.E. schöner und überzeugender.


    Der Trillerübergang von Bb-Dur nach Gb-Dur wirkt im Vergleich zu Uchida angesetzt und etwas gestelzt, keinesfalls so magisch und unter die Haut gehend. Zimerman spielt hier auch lauter und mit weniger Pedal.
    Bei den 16-tel-„Alberti“begleitungen höre ich bei ihm für meinen Geschmack zu viel Einzelnoten. Die linke Hand müsste als pulsierende Harmoniefläche sich etwas mehr unterordnen, wie ich meine.
    Die fröhliche Achtelauflösung der Melodie in der rechten Hand kann man bei ihm nicht als solche wahrnehmen, weil er sich hier zu sehr in agogischen Kleinst-Dingen verzettelt und insgesamt nicht derart den Eindruck eines großen Erzählbogens erzeugen kann, wie es Uchida vermag.
    Die Steigerung auf dem Orgelpunkt zerstört er, weil er vor dem ausgeschriebenen Crescendo noch ein Diminuendo plus Langsamerwerden einlegt, und das Durchsetzen des Bb-Dur-Tonfalls gerät bei ihm deshalb auch etwas zusammenhangslos, im Vergleich zu Uchida. Zudem wirkt dieses Bb-Dur Reprise bei ihm merkwürdig kraftlos – warum nur? Erst spielt er am Anfang zu laut, dann aber, wenn es um ein Forte geht, kommt er nicht richtig heraus.


    Beim Fis-Dur-Teil mit dem angedeuteten „Bogenvibrato“ in der rechten Hand spielt er eben nicht ein solches, sondern eine Mischung aus Staccato und Portato- genau das Falsche. Diese historischen Zusammenhänge sind ihm vielleicht nicht so geläufig, bzw. in den Zeiten, in denen er Klavier studierte, machte man das eben so und nicht als pulsierender Begleiteffekt. Ich weiß nicht, ob Uchida an diese HIP-inspirierten Dinge dachte, oder ob sie von ihrer Musikalität her es einfach intuitiv richtig macht. Hauptsache ist jedoch, dass man eben dieses Ergebnis hören kann, denn es überzeugt musikalisch einfach mehr. So wie es Zimerman macht, stört die Begleitung der rechten Hand eher, statt dass sie den Gesang des Tenors unterstützt.


    Nun will ich schließen, weil ich ansonsten ein Buch über alleine diesen Interpretationsvergleich schriebe.
    Ich habe hier Uchidas Fassung mit einer Interpretation verglichen, die mir beim ersten Hören ohne Partitur noch – abgesehen von ihr- am ehesten zusagte.
    Es wäre für mich jetzt interessant, noch einmal genau die anderen Herrschaften genauer zu hören, aber das lässt – wie gesagt- meine Zeit nicht zu.
    Mein Fazit dieser - zugegeben nur ersten- Takte ist: Uchida atmet hier über den Flügel den Geist Schuberts in wunderbarer Weise in ihr Publikum. Sie liefert in meisterhafter technischer Beherrschung einen singenden, lyrischen und tief ergreifenden Schubert, wie man es sonst kaum hört ( aus meiner Sicht, wohlgemerkt).


    Die Seelenverwandschaft Schuberts zu Mozart ist für mich ein eindeutiger Fakt. Man höre sich nur die Fünfte Schuberts ins Böhms Spätaufnahme an. Es ist wie ein später Mozart, aber eben doch Schubert. Von daher ist es für mich kein Fehler, dass Uchida das so empfindet und es auch so spielt - ganz im Gegenteil. Wenn ich mich richtig erinnere, habe ich dazu auch etwas Gleichlautendes in einem ihrer Interviews gehört.


    Wer bis hierher tatsächlich mitgelesen und nicht aufgegeben hat – Gratulation und vielen Dank!
    Wenn man die Noten vorliegen hat, dann wird es viel leichter, meinen Text nachzuvollziehen... ;)


    Gruß
    Glockenton

    "Jede Note muss wissen woher sie kommt und wohin sie geht" ( Nikolaus Harnoncourt)

  • Wunderbarer Beitrag, Danke! Bin auf der Berlinale und habe leider weder Uchida noch Zimerman auf meinen ipod zum Nachhören. Dass Zimerman allerdings gleich zu Beginn mf spielt, habe ich so nicht in Erinnerung, vielleicht ist diese Aufnahme - wie alle neueren Aufnahmen - etwas höher ausgepegelt?


    Viele Grüße, Christian

  • Es hat mir keine Ruhe gelassen, dass ich zeitbedingt nicht konkreter argumentieren konnte.
    Ich will das jetzt tun, jedoch tatsächlich konkret und mich erst einmal auf einige Aspekte des ersten Satzes beschränken.

    Lieber Glockenton,


    es ist immer ein großes Vergnügen, Deine Beiträge zu lesen und so auf einem wirklich tiefen Niveau über Interpretation nachzudenken. Was Du über Zeitmangel schreibst kann ich Dir sehr gut nachfühlen! Mir geht es im Moment nicht ander als Dir - ich finde leider kaum Zeit zum ausgiebigen Musikhören und auch noch detailliert darüber zu schreiben. Nach einem Arbeitstag, der morgens um 5:30 begint und um 16 Uhr oder 17 Uhr aufhört, muss man dann in der Restzeit die Alltagserledigungen machen, dann kommt noch die Beschäftigung mit Veröffentlichungen, die sich wegen der knappen Zeit auch hinzieht und hinzieht bis hin zur unendlichen Aufschiebung. Zum Glück habe ich eine Wohnküche, so dass ich dann, wenn ich den Kochlöffel schwinge, die Musik laufen lassen kann. :) Aber mit Noten ein oder zwei Stunden intensiv vor den Lautsprechern kleben - das habe ich zuletzt im verflossenen Jahr 2017 gemacht!


    Bei D 960 ist es ja eigentlich so, dass wir entweder von den Melodikern oder von Richter geprägt sind. Eigentlich alle, ob nun Kempff, Brendel, Rubinstein, selbst Horowitz, bis hin zu Pollini, Radu Lupu (die Aufnahme ist wirklich wunderschön!) und nicht zuletzt Ushida zelebrieren die gesangliche Seite im Kopfsatz. Daran sind wir gewöhnt. Im Rahmen dieses Threads macht man dann aber das, was ich bei D 960 eigentlich nie gemacht habe, nämlich einen wirklich bewussten Interpretationsvergleich. Und dann entdeckt man, dass gerade vom Kopfsatz auch eine ganz andere Sicht möglich ist, die weder auf der Richter- noch der melodischen Kempff-Linie (so nenne ich sie jetzt mal) liegt. Da waren für mich die Aufnahmen von Lazar Berman die Offenbarung (die allerdings auch wieder unterschiedlich sind). Bei Berman merkt man auf einmal: Hoppla, bei diesem Schwelgen in der Melodik, was die "großen" Schubert-Interpreten betreiben, geht auch etwas verloren. Bei Berman hört man, dass auch dieser Schubert-Satz ein Sonatensatz-Drama sein kann und vielleicht immer gewesen ist, nur ist das in der Melodieseeligkeit, wozu die Musik natürlich verführt, denn diese Melodik kann einen wirklich becircen, gewissermaßen untergegangen. Berman ist ein äußerst gewissenhafter Interpret, das ist penibel genau und interpretatorisch konsequent gespielt. Er gibt gerade dem Kopfsatz wirklich Gewicht. Ich habe da allerdings auch wieder nur aus Zeitmangel stenographisch kurz drüber geschrieben:


    Schubert: Klaviersonate B-Dur D 960 - Ein Überblick von "Zelenka"


    Bei meinem Vergleich Zimerman-Ushida hatte ich mich auch gar nicht auf den Kopfsatz, sondern den langsamen Satz bezogen. :D Das Faszinierende bei Zimerman ist, dass auch er von diesem gängigen Interpretationsschema abweicht. Unverkennbar hat er mehr Affinität zu D 959 (das hat Willi zu Recht bemerkt) und geht auch D 960 von daher an. Den Kopfsatz für sich genommen empfinde ich bei Zimerman auch nicht als so gewichtig - da finde ich, dass Berman mehr zu sagen hat. Absolut betrachtet hat Bermans Interpretation von D 960 vielleicht wirklich doch mehr Gewicht. Aber Zimerman, das sollte man finde ich berücksichtigen, geht Schubert bewusst nicht von der Melodik, sondern der Rhythmik her an. Das Tolle bei seiner Deutung von D 960 ist, dass sich bei ihm die Gewichte verschieben. Nicht der Kopfsatz ist das Zentrum, sondern der folgende langsame Satz wird zum Gravitationszentrum, um das alle anderen Sätze sozusagen kreisen. Da passt alles zusammen, das ist ein sich völlig schlüssiges und in seiner Andersartigkeit aufrüttelndes Interpretationskonzept. Zimerman - ich habe ihn in Düsseldorf gehört - verfügt über eine Spielkultur, die wirklich erlesen ist und als großer Chopin-Interpret hat er sehr viel Sinn für Melodik - ist zudem mit einer Sängerin verheiratet. :D Also darf man annehmen, dass er das Melodische ausgerechnet bei Schubert ganz bewusst zurückgehalten hat. Zudem versteht er sehr viel von Klavierbau. Im Klappentext steht, dass er den Flügel so präpariert hat, dass er einem Hammerflügel ähnlich ist. Das ist ein auch nicht uninteressanter Hinweis, gerade wenn es um die Abstufungen im Pianissimo-Bereich geht.


    Die Zimerman-Aufnahme hatte ich hier besprochen:


    Krystian Zimerman : Primus inter Pares?


    Mich würde interessieren, wie Du Lupu im Vergleich mit Ushida findest!


    Ein schönes Wochenende wünschend mit herzlichen Grüßen nach Norwegen
    Holger


    Die Zimerman-Aufnahme hatte ich hier besprochen:

  • Lieber Holger,


    und wieder bin ich auf dem Sprung zum Üben in der Kirche.... ^^


    Vielen Dank für Deine interessante Antwort.


    Ich werde mir später Deine Zimerman-Besprechung durchlesen und mir im Vergleich Uchida-Zimerman einmal den zweiten Satz genauer anhören.


    Den Vergleich Lupu-Uchicha würde ich auch sehr gerne machen! Ich schätze ja beide außerordentlich, wobei ich Lupu eher als fantastischen Brahms-Ausleger mit Referenz-Charakter auf dem Schirm habe. Seine Impromptus von Schubert sind aber auch sehr eigen und gelungen, zudem eine tolle Alternative zur analogen und sehr guten Brendel-Aufnahme, die ich besser als seine letzte digitale finde.


    Lupu und Uchida sind von der Grundphilosophie aus meiner Sicht gar nicht so sehr verschieden. Beide hassen z.B. Übertreibungen, sind das Gegenteil vom Excentrikern und versuchen durch "anständiges" Spiel auf höhere Ebenen zu gelangen.


    Nebenbei und off-topic: ich habe mir gerade eine tolle CD für knapp über einem Euro mit Lupu und Perahia vierhändig bestellt, die ich schon auf Spotify mit Vergnügen höre. Sie spielen Mozart und Schubert vierhändig bzw. an zwei Klavieren - einfach wunderbar, wie ich finde. Gerade das Werk von Schubert nimmt einen von den ersten Tönen an gefangen.


    Gruß nach Münster :hello:
    Glockenton

    "Jede Note muss wissen woher sie kommt und wohin sie geht" ( Nikolaus Harnoncourt)

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  • Lupu und Uchida sind von der Grundphilosophie aus meiner Sicht gar nicht so sehr verschieden. Beide hassen z.B. Übertreibungen, sind das Gegenteil vom Excentrikern und versuchen durch "anständiges" Spiel auf höhere Ebenen zu gelangen.

    Das ist auch mein Ideal, lieber Glockenton! Mal sehen, ob ich noch andere Aufnahmen aus meiner Sammlung vor diesem Hintergrund bewusster durchhöre, wenn ich die Zeit finde. :hello:


    Einen schönen Sonntag wünscht
    Holger

  • Hallo liebe Forumsmitglieder,


    ich bin a kein Musiker, sondern leider nur Konsument und b ganz neu im Forum und lese mich an vielen Stellen noch ein. Ich bin nicht einmal ein großer Schubert-Liebhaber, sondern meine Schubertliebe beschränkt sich ziemlich auf das sog. „Forellenqintett“, einen Liederzyklus, sein Streichquintett und das Quartett „Der Tod und das Mädchen“, aber vor allem auf seine Klaviersonate B-Dur D 960.


    Diese Sonate begleitet mich schon über Jahre mit großer Begeisterung in der Interpretation von Afanassiev, in der 80-igern bei ECM aufgenommen. Die Länge des ersten Satzes hat mir nie etwas ausgemacht, ich empfand gerade die Spannung zu den anderen Sätzen beim Hören interessant. Das ist für mich letzten Endes als Konsument das eigentliche Kriterium. Interessant ist gut und nichts ist schlimmer, als nett, aber irgendwie langweilig. Ich wollte das hier doch kurz posten, weil Afanassiev offensichtlich hier gar keine Freunde hat 😟.


    Radu Lupu kenne ich auch und fand ihn immer gut, aber er hat mich nie wirklich begeistert.


    Folgende Anregungen aus dem Forum fand ich ausgesprochen interessant: Leif Ove Andsnes und Mitsuko Uchida, die ich bisher nur als Mozart Interpretin kannte. Beide Einspielungen haben mich tief beeindruckt und Uchida könnte ein neuer Begleiter für das weitere Hören werden.


    Die fachlichen Ausführungen im Forum zu den Noten lese ich mit Spannung, kann sie aber mangels Fachkenntnis nicht kommentieren.


    Als jemand, der also offensichtlich im Leben schon häufig mit Freude durch die „Hölle“ gegangen ist, grüßt


    Axel

  • Lieber Axel, herzlich willkommen hier im Forum. Deine Begeisterung für die B-dur-Sonate teile ich voll und ganz. Zur Anregung darf ich dir vielleicht die Lektüre der bisherigen Besprechungen der Aufnahmen dieser Sonate empfgehlen:


    Franz Schubert, Klaviersonate Nr. 21 B-dur D.960, CD (DVD)-Rezensionen und Vergleiche (2017)


    Da habe ich als Einstieg die Aufnahme von Afanassjew vom Juli 1985 in Lockenhaus genommen. Inzwischen bin ich bei der Nr. 49 angelangt und werde als 50. die Aufnahme von Vladimir Feltsman (2015) besprechen. Als zweite habe ich Afanassjews Live-Aufnahme von 2013 (Youtube) (in dem o. a. Thread Beitrag Nr. 18) hinterhergeschoben.

    Übrigens erwähnst du die Länge des Kopfsatzes bei Afanassjew. Sein Landsmann Swjatoslaw Richter konnte es noch länger. Er ist der Einzige, von dem ich sechs verschiedene Aufnahmen der Sonate habe und sicherlich einer der größten Schubert-Pianisten aller Zeiten, obwohl er nicht alle Sonaten aufgenommen hat.


    Liebe Grüße


    Willi:)

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

  • Hallo Willi,


    vielen Dank für Deine Begrüßung und den wertvollen Hinweis auf den zweiten Thread zur B-Dur Sonate. Den hatte ich noch nicht gesehen. Da gibt es ja noch einiges zu studieren.


    Liebe Grüße,

    Axel

  • Auch von mir ein herzliches Willkommen im Forum.


    Wir teilen zwei Vorlieben:


    Die 960 ist auch meine Lieblings-Schubert-Sonate (und eine meiner Lieblings-Klavierwerke überhaupt) - allerdings mag ich auch die meisten anderen seiner Sonaten sehr.


    Und Mitsuko Uchida mag ich bei Schubert noch mehr als bei Mozart.

    Herzliche Grüße
    Uranus

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  • Spaß beiseite: Bei Zimerman geht es nach dem Basstriller "einfach so" weiter, ebenso bei der Expositionswiederholung (warum spielt er sie dann überhaupt?) und beim o.g. Übergang in die Durchführung.

    Alfred Brendel meint ja sogar, dass dieser Basstriller ein Störfaktor sei und nicht in die melodische Anlage des Satzes passe. Also lässt er die Expositionswiederholung gleich ganz weg, dann braucht er dieses "Störfeuer" nicht zu spielen! :D Mit Adorno könnte man sagen: Das ist ein "Durchbruch" wie bei Mahler. Die meisten Pianisten können damit eigentlich nicht viel anfangen...

    Da höre ich mir lieber seine wirklich grandiose Einspielung von Chopins op. 22 an: Was er da mit Anfang 20 gemacht hat, ist für mich nach wie vor Klavierspiel vom anderen Stern.

    Das ist wirklich toll - mit dieser virtuosen polnischen Eleganz für den jungen Zimerman wie maßgeschneidert - und nicht zu glauben, dass die Veröffentlichungspolitik der DGG uns diese Aufnahme vorenthält. Auf den LP-Ausgaben damals bekam man immer ein Klavierkonzert und op. 22 mit dabei.


    351230274395.jpg


    Beim Stöbern entdecke ich diese Platte hier - auch die hält er unter Verschluss. Das ist wohl die Version für Klavier Solo:


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    Eine Aufnahme, die mich schon in Jugendtagen beeindruckte, war Zimermans Platte der Brahms-Sonaten Nr. 1 und 2 - die reine klasissch-romantische Schönheit. Die Platte hatte ich mir damals aus der Düsseldorfer Musikbücherei ausgeliehen. Sie ist aber nie auf CD erschienen - Schuld ist wohl der skrupulöse Zimerman, der im Nachhinein seine alten Aufnahmen alle nicht mehr gut genug findet. ^^ Heute habe ich sie wenigstens das Datei auf der Festplatte:


    s-l500.jpg


    Schöne Grüße

    Holger

  • Alfred Brendel meint ja sogar, dass dieser Basstriller ein Störfaktor sei und nicht in die melodische Anlage des Satzes passe. Also lässt er die Expositionswiederholung gleich ganz weg, dann braucht er dieses "Störfeuer" nicht zu spielen! :D Mit Adorno könnte man sagen: Das ist ein "Durchbruch" wie bei Mahler. Die meisten Pianisten können damit eigentlich nicht viel anfangen...

    Deine Zusammenfassung von Brendels Argumentation gegen die Expositionswiederholung in der B-Dur-Sonate ist, nun ja, etwas unterkomplex ;). Als "Fremdkörper" bezeichnet er die Überleitungstakte insgesamt, nicht den Triller. Er begründet das zunächst mit den synkopisch zuckenden Rhythmen, die mit dem motivischen Material des Satzes nichts zu tun haben (was ohne Zweifel richtig ist) und auch in keiner Weise auf die folgenden Sätze vorausweisen. Erst dann bemängelt er den Triller, aber nicht als solchen, sondern die Tatsache, dass er hier "lärmend" im Fortissimo erscheint. Außerdem argumentiert er mit den Proportionen von Exposition/Reprise zur Durchführung. Er kommt deshalb zu dem Ergebnis, dass diese Überleitung der Konvention geschuldet ist, und weist dabei darauf hin, dass Schubert in manchen "Äußerlichkeiten der Form und der Notation viel konventioneller war als Beethoven". Das ist alles nicht von der Hand zu weisen, und ich gestehe, dass ich diese Wiederholung auch schon mal weggelassen habe (nicht bei meiner Aufnahme).

    "Herr Professor, vor zwei Wochen schien die Welt noch in Ordnung."
    "Mir nicht."
    (Theodor W. Adorno)

  • Deine Zusammenfassung von Brendels Argumentation gegen die Expositionswiederholung in der B-Dur-Sonate ist, nun ja, etwas unterkomplex ;). Als "Fremdkörper" bezeichnet er die Überleitungstakte insgesamt, nicht den Triller. Er begründet das zunächst mit den synkopisch zuckenden Rhythmen, die mit dem motivischen Material des Satzes nichts zu tun haben (was ohne Zweifel richtig ist) und auch in keiner Weise auf die folgenden Sätze vorausweisen. Erst dann bemängelt er den Triller, aber nicht als solchen, sondern die Tatsache, dass er hier "lärmend" im Fortissimo erscheint. Außerdem argumentiert er mit den Proportionen von Exposition/Reprise zur Durchführung. Er kommt deshalb zu dem Ergebnis, dass diese Überleitung der Konvention geschuldet ist, und weist dabei darauf hin, dass Schubert in manchen "Äußerlichkeiten der Form und der Notation viel konventioneller war als Beethoven". Das ist alles nicht von der Hand zu weisen, und ich gestehe, dass ich diese Wiederholung auch schon mal weggelassen habe (nicht bei meiner Aufnahme).

    Stimmt, da war mein Gedächtnis im "Opa-Alter" (Opa bin ich tatsächlich ^^ ) nicht mehr so gut. :D Wobei ja merkwürdig ist, dass in dieser "konventionellen" Überleitung so ein unkonventioneller Basstriller im Fortissimo geschrieben steht. Wenn man den Satz sehr flüssig nimmt, poltert es ganz schön. Und Brendel spielt flüssig... Geht man ihn dagegen sehr langsam an, wird er zum singulären Ereignis und fügt sich durchaus ein, finde ich. :hello:

  • Wobei ja merkwürdig ist, dass in dieser "konventionellen" Überleitung so ein unkonventioneller Basstriller im Fortissimo geschrieben steht.

    Brendel meint nicht, dass die Überleitung selbst "konventionell" sei, sondern dass die Expositionswiederholung der Konvention geschuldet sei, ohne die es natürlich gar keine Überleitung gegeben hätte. Das ist eben die Kernfrage: Kann man beides, also Überleitung und Wiederholung, so spielen, dass es zwingend erscheint? Ich denke erst seit ein paar Jahrzehnten über diese Frage nach und bin deshalb noch zu keinem endgültigen Ergebnis gekommen ;). Immerhin bin dich damit anscheinend in guter Gesellschaft: Vor vielen Jahren hat mal Peter Cossé Vladimir Ashkenazy auf einer Konzertreise begleitet und erstaunt festgestellt, dass der diese Wiederholung mal spielte und mal wegließ. Als Cossé ihn darauf ansprach, antwortete er (sinngemäß), dass er an dem einen Abend noch den Zug erwischen musste. Cossé hat ihm diese Antwort ziemlich übel genommen und ihm in seinem anschließenden Artikel fehlendes künstlerisches Ethos vorgeworfen. Mir gefällt diese Antwort trotzdem, weil sie die Bedeutung dieser Frage mal wieder auf Normalmaß zurückbringt. In vielen Rezensionen oder Diskussionen über Wiedergaben der B-Dur-Sonate bekommt man ja fast den Eindruck, als hinge deren Gelingen allein von der wiederholten Exposition ab. Wer sie spielt, bekommt fast automatisch Pluspunkte gutgeschrieben, ebenso wer es als Hörer schafft, den ersten Satz in einer 32minütigen Einspielung auf einem Hammerflügel anzuhören (woran ich gescheitert bin).

    "Herr Professor, vor zwei Wochen schien die Welt noch in Ordnung."
    "Mir nicht."
    (Theodor W. Adorno)

  • Deine Zusammenfassung von Brendels Argumentation gegen die Expositionswiederholung in der B-Dur-Sonate ist, nun ja, etwas unterkomplex ;). Als "Fremdkörper" bezeichnet er die Überleitungstakte insgesamt, nicht den Triller. Er begründet das zunächst mit den synkopisch zuckenden Rhythmen, die mit dem motivischen Material des Satzes nichts zu tun haben (was ohne Zweifel richtig ist) und auch in keiner Weise auf die folgenden Sätze vorausweisen. Erst dann bemängelt er den Triller, aber nicht als solchen, sondern die Tatsache, dass er hier "lärmend" im Fortissimo erscheint. Außerdem argumentiert er mit den Proportionen von Exposition/Reprise zur Durchführung. Er kommt deshalb zu dem Ergebnis, dass diese Überleitung der Konvention geschuldet ist, und weist dabei darauf hin, dass Schubert in manchen "Äußerlichkeiten der Form und der Notation viel konventioneller war als Beethoven". Das ist alles nicht von der Hand zu weisen, und ich gestehe, dass ich diese Wiederholung auch schon mal weggelassen habe (nicht bei meiner Aufnahme).


    Ich finde, dass Brendel sich mit dieser Argumentation auf hohem Niveau irrt. Der disruptive Charakter der Überleitung ist m. E. gerade ihr besonderer Reiz, sozusagen wie ein Riss im Idiom des Satzes. Bei einem Komponisten vom Range Schuberts darf man unterstellen, dass ihm der "Fremdkörper"-Charakter der Stelle nicht nur aufgefallen ist, sondern dass dieser auch beabsichtigt war. Anders gesagt: Schubert war als Komponist mehr als qualifiziert, eine Überleitung ohne Fremdkörper-Charakter zu schreiben, wenn er dies gewollt hätte.


    Hieraus folgt allerdings nicht, dass man die Wiederholung unbedingt spielen muss - ich halte nur Brendels Zweifel an der Überleitung für wenig plausibel.


    LG :hello:

    "Was Ihr Theaterleute Eure Tradition nennt, das ist Eure Bequemlichkeit und Schlamperei." Gustav Mahler

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