Der Musiker Gräber

  • Lieber hart!


    Vielen Dank für Deine interessanten Kommentare zu den Sängern Waldemar Kmentt und Hildegard Behrens, die zu meinen absolut liebsten deutsch-singenden Künstlern gehören.


    Gruß Wolfgang

    W.S.



  • Zum heutigen Todestag des Komponisten Ambroise Thomas


    Charles Louis Ambroise Thomas, so sein vollständiger Name, hatte von Anbeginn seines Lebens herausragende Vergünstigungen einmal als Musiker zu reüssieren. Sein Vater Jean-Baptiste Martin Thomas, war ein vielseitiger Musiker und wirkte als Geiger im Opernorchester.
    Der Vater unterrichtete den Sohn in Solfège und Violine und die Mutter erteilte dem Jungen Klavierunterricht. Dieses familiär gestaltete frühe Musikstudium trug recht bald Früchte; schon mit neun Jahren konnte Charles Louis Ambroise Thomas als »Wunderkind« in Erscheinung treten, denn er beherrschte sowohl die Geige als auch das Klavier professionell.


    Als der Vater des Wunderkindes 1823 starb, begab sich die Mutter mit ihrem Sohn nach Paris, wo er unter anderen auch bei dem damals sehr berühmten deutsch-französischen Komponisten Friedrich Kalkbrenner privaten Unterricht bekam. Ab 1828 studierte er am Pariser Konservatorium. Dieses Studium war so erfolgreich, dass er 1832 mit seiner Kantate »Hermann und Ketty« den Prix de Rome gewann.
    Auch andere bekannte französische Komponisten hatten diesen Preis, der mit einem mehrjährigen Studienaufenthalt in Italien verbunden war, erhalten, zum Beispiel vor ihm Hector Berlioz und nach ihm Charles Gounod und Claude Debussy.
    So ein renommierter Preis war schon eine gute Starthilfe als Ambroise Thomas von seinem Italienaufenthalt wieder nach Paris zurückkehrte. Neben dem um etwas jüngeren Charles Gounod war Thomas zu einem äußerst beliebten Komponisten geworden. Sie waren die Nachfolger von Meyerbeer, Fromental Halévy und Auber.


    Ambroise Thomas´ erste Oper, die er 1837 aus der Taufe hob, war die einaktige Opéra comique »La double Échelle«, wenn man den Chronisten glauben darf, war das schon ein achtbarer Erfolg, der mit 247 Aufführungen zu Buche schlug. Ein regelrechter Triumph soll die 1849 von ihm komponierte Oper »Le Caïd« gewesen sein, wo man bis zum Jahr 1900 über 400 Aufführungen zählte; im November 2007 erlebte dieses Werk sogar Aufführungen in Thomas´ Geburtsstadt Metz.


    Paris gilt als die Hauptstadt des 19. Jahrhunderts; zu Thomas´ Zeiten waren auch einige berühmte Virtuosen wie zum Beispiel Liszt, Paganini, Vieuxtemps, Thalberg ,Chopin ... nach Paris gekommen und in den berühmten Salons, wo man dann schon einmal neben Thomas auch Camille Saint-Saens oder Jules Massenet treffen konnte, ein Ereignis.
    In der Stadt waren spektakuläre Umbrüche im Gange - die Fotografie trat neben die malende Zunft, erste Eisenbahnstrecken wurden in Betrieb genommen und Haussmann zog in den 1850er Jahren wie mit dem Lineal gezogene Boulevards durch die Metropople und Ambroise Thomas konnte 1875 noch die Eröffnung der Opéra Garnier erleben, und die Uraufführung seiner letzten Oper, »Françoise de Rimini«, fand am 14. April 1882 im Palais Garnier statt.


    Ambroise Thomas hat die beachtliche Zahl von zwanzig Opern geschaffen, das ist zwar noch nicht einmal die Hälfte dessen was sein Vorgänger Auber in diesem Genre hinterließ, aber es waren zwei ganz große Würfe dabei, nämlich »Mignon« und »Hamlet«; die er ziemlich am Ende seines Opernschaffens herausbrachte.


    Beide Operntitel erinnern an zwei berühmte Namen, nämlich an Johann Wolfgang von Goethe und William Shakespeare. Das war von den Librettisten schon recht clever gemacht, denn diese Operntitel waren literarisch schon bestens eingeführt. Es war damals gang und gäbe, sich bei den Werken der Weltliteratur zu bedienen, Gounods »Faust« oder Massenets »Werther« sind weitere Beispiele ...
    Die beiden Librettisten Jules Barbier und Michel Carré hatten mit Gounods »Faust« einen so großen Erfolg eingefahren, dass sie sich sagten, dass das Anzapfen schon berühmter Namen nochmal erfolgreich sein könnte. Als Vorlage zu Thomas´ »Mignon« diente ihnen ein kleiner Teil aus dem zweiten Buch des Romans »Wilhelm Meisters Lehrjahre« von Johann Wolfgang von Goethe. Sie fertigten von dem Urstoff eine flüchtige Skizze, dann gingen sie mit ihrem Libretto »hausieren«, boten den Stoff erst Meyerbeer an, dann gingen sie zu Gounod und schließlich auch noch zu Ernest Reyer. Erst nachdem diese drei Komponisten abgelehnt hatten, kam Ambroise Thomas zu diesem Text, aus dem dann seine mit Abstand größte Oper hervorging.
    Bei Goethe stirbt das Mädchen an gebrochenem Herzen, und die Feier zu ihrer Beerdigung wird im Roman ausführlich dargestellt. Das kollidierte aber mit den Opéra-Comique-Konventionen, das Publikum wollte glücklich nach Hause gehen. Die beiden Libretto-Texter waren Pragmatiker und stellten fest:


    »Als erfahrene Bühnen-Praktiker, die wir waren, mussten wir einsehen, dass uns der Tod Mignons sieben bis 800 Aufführungen kosten würde! Also ließen wir die beiden lieber als braves Bürgerpaar heiraten, mit Aussicht auf zahlreiche Nachkommenschaft.«


    Einen ganz wesentlichen Teil zum Erfolg der Oper »Mignon« scheint die Mezzosopranistin Célestine Galli-Marié beigetragen zu haben, die später dann die erste Carmen war.
    Nach der Uraufführung 1866 folgte 1870 Aufführung einer Zweitfassung, wo dann auch die Rolle der Mignon von einem Sopran gesungen wurde.


    In Deutschland war die kulturtragende Schicht nicht begeistert, dass deutsche Dichter gerade von den französischen Musikschaffenden auf diese Weise quasi »missbraucht« werden; so sah man in Deutschland dann auch Gounods Oper lieber mit dem Titel »Margarete«
    Aber mit der Zeit setzte sich »Mignon« auch in deutschen Landen durch und fand sich noch vor einigen Jahrzehnten als viel gespieltes Stück auf den Spielplänen der Opernhäuser.


    Thomas´ zweites herausragendes Stück war seine vorletzte Oper »Hamlet«, wo die gleichen Librettisten wie bei »Mignon« am Werk waren; 1868 war diese Komposition entstanden, die ursprüngliche literarische Vorlage braucht man hier wohl nicht zu erklären ...
    Auch dieses Opernwerk hat seit ihrer Uraufführung am 9. März 1868 an der Pariser Oper einige Modifikationen erlebt. Am 19. Juni 1869 wurde eine zweite Fassung an der Covent Garden in London gegeben. Die erste Fassung in Französisch, die zweite Fassung in Italienisch. Auch »Hamlet«, ein fünfaktiges Stück, war, nach sehr erfolgreicher Premiere, lange Zeit aus dem Blickfeld der Opernfreunde entschwunden, wenn man einmal von Teilstücken aus dem Werk absieht.
    Die Wahnsinnsszene der Ophelia wird ja oft mit Lucia di Lammermoor verglichen, sie ist bei Koloratursopranistinnen außerordentlich beliebt - von Nellie Melba und Marcella Sembrich bis Maria Callas und Joan Sutherland ... wurde dieses Bravourstück immer wieder dargeboten.
    An einem der ersten Häuser, der Metropolitan Opera New York, lag seit der letzten Aufführung dort, das war 1897, eine Zeitspanne von 113 Jahren, dann wurde Thomas´ »Hamlet« an der »Met« recht erfolgreich wieder aufgeführt. In der Zwischenzeit fand »Hamlet« als Oper wieder etwas mehr Beachtung.


    Neben diesen vorgenannten beiden Opern hat auch Thomas´ Oper »Gillet et Gillotin«, die er 1859 unter dem Titel »Gillotin et son père« komponiert hatte, in Paris für Gesprächsstoff gesorgt, weil es deswegen einen Prozess gab. Die Librettisten hatten in Frankreich eine weit bessere Stellung als im restlichen Europa. In Frankreich legte der König 1713 fest, dass die Tantiemenzahlung zwischen Textdichter und Komponist zu teilen ist, der Librettist wurde als Co-Autor des Komponisten gesehen. Thomas wollte der Aufführung nicht zustimmen, da er die Musik passend für die damals an der Opéra Comique engagierten Sänger geschrieben hatte.
    Thomas-Marie-François Sauvage, der den Text zu diesem Werk geschaffen hatte, erhob nun vor Gericht Klage, damit die Oper aufgeführt wird. Die Sache zog sich dann 12 Jahre lang hin.
    Das Urheberrecht von Sauvage - so das Gericht - wurde von der Verweigerung Thomas‘ verletzt. Somit wurde der Komponist nicht nur dazu verurteilt, einen Großteil der Prozesskosten zu übernehmen, sondern auch sich an den Proben für die Uraufführung der nun umbenannten Oper »Gille et Gillotin« zu beteiligen, seine Partitur den neuen Bedingungen der Oper anzupassen und fehlende Teile neu zu komponieren.


    Als Auber im Mai 1871 gestorben war, trat Ambroise Thomas an die Spitze des Konservatoriums und blieb dieser Institution bis zu seinem Tod im Jahre 1896 erhalten.


    Praktische Hinweise:
    Montmartre-Friedhof, 20 Avenue Rachel, 75018 Paris
    Cimetière de Montmartre ist über die Metro-Station Blance mit der Linie 2 zu erreichen
    Am Eingang befindet sich eine Informationstafel mit dem Friedhofsplan. Man folgt vom Eingang aus der Avenue Principale bis zum Kreisel und biegt dann links in die Avenue de la Croix ab; im Gräberfeld (Division) 28 findet man das Grab.

  • Lieber Hart,
    danke für Deinen neuerlichen ausführlichen Beitrag. Nun nutze ich diesen Beitrag für eine private Nachricht an Dich. Hast Du mein Mail wegen des geplanten Besuchs bekommen?


    Herzlichst
    Operus

    Umfassende Information - gebündelte Erfahrung - lebendige Diskussion- die ganze Welt der klassischen Musik - das ist Tamino!

  • Lieber Operus,
    da kann ich eine ganz kurze Antwort geben - nein.

    Lieber Hart,
    vielleicht klappt es auf diesem Wege. Ich schlug Dir vor Sonntag 18., Treffen Gottlob-Frick Gedächtnisstätte im Rathaus Ölbronn anschließend gemeinsames Mittagessen oder anderer Zeitvorschlag von Dir. Wir können auch telefonieren 07131/45659.


    hezrlichst
    Operus

    Umfassende Information - gebündelte Erfahrung - lebendige Diskussion- die ganze Welt der klassischen Musik - das ist Tamino!

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  • Der Eingang zum Friedhof Enzenbühl



    Zum heutigen Todestag von Karl Richter




    Ein kleiner Hinweis, dass man hier einen Musiker begraben hat ...


    Karl war das vierte von fünf Kindern, die Clara Hedwig Richter ihrem Mann, dem Pfarrer Dr. Christian Johannes Richter gebar. Plauen liegt im Vogtland, also im Grenzgebiet von Bayern, Sachsen, Thüringen und Böhmen.
    Als Karl gerade seine ersten Schritte ins Leben tat, wurde sein Vater als Superintendent an die St. Marienkirche in Marienberg, ein Ort im Erzgebirge, berufen.
    Die Atmosphäre seines Elternhauses hat Karl Richter einmal so beschrieben:


    »... in einem Pfarrhaus wurde sehr viel Musik gemacht; ich hab auch viel´ Geschwister, es wurde viel gesungen, die Verbindung mit der Kirche, Orgel und Kirchenchor hat mich frühzeitig zum Singen und zur Musik überhaupt gebracht. Ich habe über Freiberg im Erzgebirge meinen Weg gemacht als Kind und habe dort das große Erlebnis der berühmten und schönsten existierenden Silbermannorgel gehabt, bis ich in den Kreuzchor kam und dort als Kind gesungen habe ...«


    Die Familie blieb nur bis 1935 in Marienberg, im Advent des Jahres ereilte Johannes Richter der Herztod, Sohn Karl war beim Tod seines Vaters gerade neun Jahre alt geworden. Die Mutter zog mit den Kindern nach Freiberg, eine bekannte Bergbaustadt mit dem Dom St. Marien, der gleich zwei Silbermann-Orgeln beherbergt.


    Am 6. Februar 1944 wurden die fünf Pfarrerskinder Vollwaisen, auch die Mutter ist an Herzversagen gestorben, aber die Kinder waren ja inzwischen ins Erwachsenenleben hineingewachsen. Karl Richter war schon so erwachsen, dass er 1943 eine Einberufung zum Militär bekam.


    Bereits 1937 war Karl Richter auf eigenen Wunsch ins Kreuzgymnasium nach Dresden gegangen und wurde Mitglied im berühmten Kreuzchor, den Kreuzkantor Rudolf Mauersberger leitete.
    1940 nahm der sich bereits im Ruhestand befindende vormalige Thomaskantor - Karl Straube - den hochbegabten Karl Richter als seinen letzten Schüler an; Straube unterrichtete den jungen Mann kostenlos, Richter musste lediglich 70 Pfennige Stromkosten pro Orgelstunde bezahlen.
    Durch die kriegsbedingte Unterbrechung des musikalischen Tuns konnte Richter seine Studien an der Staatlichen Hochschule für Musik in Leipzig erst 1946 wieder fortsetzen. Seine Lehrer waren exzellente Bach-Kenner; neben Straube war da nun der amtierende Thomaskantor Günther Ramin.
    Die Lehrer konnten stolz auf ihren Schüler sein, der das Staatsexamen mit Auszeichnung ablegte. Um einen Arbeitsplatz brauchte er sich keine Sorgen machen, man ernannte ihn zum Organisten an der Thomaskirche und an seiner vorigen Ausbildungsstätte fungierte er als Lehrer für Orgelspiel. Achtzehn Monate, vom Juni 1949 bis Ende 1950 war er Organist an der Thomaskirche - bei Dienstantritt noch keine 23 Jahre alt - und verblüffte durch sein sehr breites Repertoire. Anlässlich des Internationalen Bachfestes 1950 war Richter stark gefordert.
    Im Frühjahr 1950 begleitete er den Thomanerchor unter Günther Ramin auf einer Konzertreise in die Bundesrepublik Deutschland und in die Schweiz.
    Auf dieser Reise lernte er in Zürich ein Fräulein Glady Müller kennen, die dann ab Juni 1952 den Namen Glady Richter trug. Hatte er noch als Heranwachsender das nationalsozialistische Regime erlebt, konnte er nach dem Krieg beobachten, dass staatliche Organe wieder allgegenwärtig waren, um ihren Bürgern zu zeigen, wo es langgeht. Auf seiner Westtournee hatte er gesehen, dass es auch andere Möglichkeiten gab.


    Mit einem Köfferchen, das nur das Allernotwendigste enthielt - er wollte bei den Grenzposten nicht mit großem Gepäck auffallen - fuhr er zunächst nach Berlin und von dort weiter nach Zürich. Von Zürich aus sondierte er was ihm die Bundesrepublik Deutschland beruflich zu bieten hat. Auf Vermittlung von Günther Ramin wurde Richter zu einem Probespiel für das freie Kantorat an der Münchner Markuskirche eingeladen; ab Oktober war er dann als Kantor an der Markuskirche bestätigt. Gleichzeitig übernahm er eine Verpflichtung als Lehrer für Orgelspiel und evangelische Kirchenmusik, dazu kam schließlich noch die Leitung des Hochschulchors an der Musikhochschule München. Der Lebensmittelpunkt lag nun in München, die Frischvermählten zogen nach der bayerischen Metropole und bekamen 1952 einen Sohn und 1961 noch eine Tochter.


    München war als Musikstadt bis dato primär von Richard Strauss und Richard Wagner geprägt, nun sollte also Johann Sebastian Bach hinzukommen. Im katholischen München wollte der Sohn eines evangelischen Pfarrers den Protestanten Bach zu höchsten Ehren kommen lassen. Und Richters Wirken beschränkte sich nicht nur auf München, die Ansbacher Bachwochen haben ihm fast alles zu verdanken; später kann man dann sogar von einer weltweiten Ausstrahlung sprechen.
    München war für Karl Richter für fast drei Jahrzehnte der zentrale Punkt seines Wirkens. Zu Beginn des Jahres 1956 war Thomaskantor Günther Ramin gestorben; da dachte man in Leipzig, dass Richter der geeignete Nachfolger wäre und überbrachte eine entsprechende Offerte, aber nach einer Bedenkzeit von einigen Wochen hatte sich Richter entschlossen in München zu bleiben, um hier sein begonnenes Werk fortzusetzen; die wirtschaftlich attraktiven Möglichkeiten im Westen mögen auch mit zu der Entscheidung beigetragen haben. Hier gab es ein vorzüglich funktionierendes Bachorchester und einen adäquaten Bach-Chor.
    Richter hatte, durch seine Herkunft bedingt, die große sächsisch-protestantische Musiktradition vor Augen. Was er in München vorfand, war der Heinrich-Schütz-Kreis, eine Chorvereinigung, die sich unter Richters Vorgänger, Professor Michael Schneider, in besonderem Maße der Pflege des Chorwerks von Heinrich Schütz und Johann Sebastian Bach gewidmet hatte.
    In München war es zwar all die Jahre üblich gewesen zu Karfreitag die »Matthäus-Passion« aufzuführen, aber Motetten oder Kantaten des Bachschen Werks waren bisher nicht zu Gehör gebracht worden. Karl Richter war von Bachscher Musik begeistert, das war klar, aber er hatte auch die Fähigkeit das Feuer weiterzutragen und konnte bei anderen Begeisterung entfachen; was zur Folge hatte, dass der Chor viel Zulauf, auch aus Studentenkreisen bekam, diese Studenten konnten damals noch ohne Bachelor-Druck zu den Proben erschienen. Es waren sehr junge Stimmen, die da erklangen, Karl Richter schätzte einmal, dass das Durchschnittsalter so bei 21 Jahren liegt, wobei sehr junge Soprane dabei waren. Er mochte diese jungen Stimmen, die er für Bach als das Ideale sah, eigentlich kein Wunder, wenn man bedenkt, dass er bei den Thomanern groß geworden war.
    Die begeisterten Laiensänger mussten zwar einiges an Zeit investieren, weil ab 1952 noch die Abendmusiken eingeführt wurden, die monatlich an jedem letzten Freitag im Monat in der Markuskirche stattfanden, aber der Erfolg dieser Veranstaltungen war überwältigend, die St. Markuskirche oft völlig überfüllt, das kulturelle Umfeld war damals so ganz anders als heute.
    Zum Jahresanfang hatte sich noch der Heinrich-Schütz-Kreis präsentiert, aber das Programm vom 28. Mai 1954 stellt den Chor dann erstmals als »Münchener Bach-Chor« vor.
    Das Jahresprogramm 1955 war prall gefüllt; Bach stand zwar immer noch deutlich im Vordergrund, aber Richter studierte auch Werke von Komponisten des 20. Jahrhunderts ein. Es erweiterte sich nicht nur der künstlerische Inhalt, sondern auch der geografische Radius, der sich zwar noch auf Bayern beschränkte, aber später folgten weite Konzertreisen. Der Publikumserfolg ließ auch die Schallplattenproduzenten aufhorchen, 1955 erfolgten erste Aufnahmen (Telefunken/Decca) mit Werken von Bach, Händel und Mozart.


    Das »Münchner Bach-Orchester« gab es zur Zeit dieser Aufnahmen noch nicht, man firmierte noch als »Kammerorchester«. In den nächsten Jahren waren Richters Erfolge geradezu atemberaubend. Auftritte und Schallplattenaufnahmen häuften sich, das Fernsehen kam dann auch noch hinzu.


    Erwähnenswert ist auch noch die Bachwoche in Ansbach, die man sich fast zehn Jahre lang ohne die Mitwirkung Richters nicht so recht vorstellen konnte; auch hier zog er alle Register. Von 1955 bis 1964 bestimmte Karl Richter als Cembalist, Organist und Dirigent mehr und mehr das Programm. Seinem Münchner Bach-Chor stellte er erstklassige Solisten zur Seite, in den Programmen erschienen Namen wie zum Beispiel:
    Peter Pears, Fritz Wunderlich und Dietrich Fischer-Dieskau, Kieth Engen, Hertha Töpper ... aber auch international geschätzte Instrumentalisten wie Andres Segovia (Gitarre), Henryk Szeryng (Violine), Pierre Fournier (Violoncello) oder Ralph Kirkpatrick (Cembalo).
    Ansbach liegt etwa 200 Kilometer von München entfernt und obwohl der Stadtname den Komponisten-Namen in sich trägt, entwickelte Richter die Idee das Festival nach München zu holen, was natürlich in Ansbach Irritationen auslöste.


    Zum Ende der 1960er Jahre war Richter mit Chor und Orchester zu einem regelrechten Exportschlager geworden, die halbe Welt stand auf dem Reiseplan und da waren immerhin etwa 150 Sänger und Instrumentalisten unterwegs. Aus Bonn, damals noch Regierungssitz, flossen reichliche Gelder als Unterstützung der Verbreitung deutscher Kultur im Ausland.


    Zu seinen Lebzeiten war Karl Richter im Bezug auf die Musik Johann Sebastian Bachs das Maß der Dinge. Auch mit dem Operndirigat hatte er geliebäugelt, Kieth Engen hat davon berichtet, dass Richter den Kollegen Knappertsbusch und Keilberth zugesehen hat, wie diese eine Opernprobe leiten.
    Glucks »Orfeo ed Euridice« hat er dann im August 1967 im Münchener Herkules-Saal gemacht.
    Handels »Giulio Cesare« (Julius Cäsar) und »Xerxes« hat er in Buenos Aires dirigiert, eine aufregende Sache für den Konzertdirigenten im damals größten Opernhaus der Welt, dem Teatro Colon. Der Tenor Horst Laubenthal berichtet, dass der Dirigent oft 20 bis 30 Meter von den Sängern weg war. Als Operndirigent konnte er nicht groß reüssieren, das wäre wohl auch des Guten etwas zu viel gewesen.


    Was Karl Richter aber in seinen Münchner Jahren aus dem ehemaligem Heinrich-Schütz-Kreis gemacht hat, wird für alle Zeiten bewundernswert bleiben. Die in aller Regel überschwängliche Kritik kürte ihn zum »Bach-Papst«, ein merkwürdiger Titel für einen Protestanten.
    Richter und seine gesamte musikalische Umgebung tauchten ja permanent in christliche Texte ein, da hätte man vermuten können, dass da alles edel ist, soweit das Auge reicht, aber dem war nicht so, wie die Headline einer Zeitung beweist:
    »Krach zwischen dem Dirigenten Karl Richter und Münchens Bach-Chor«, war hier zu lesen; was war geschehen? Richter hatte völlig überraschend nach 26 Jahren während einer Chorprobe seine Arbeit mit dem Ensemble für beendet erklärt - das war ein absoluter Hammer!


    Da muss es schon länger gegärt haben, wie ein Interview mit Richter vermuten lässt. Äußerer Anlass war eine vom Chorvorstand initiierte Spendenaktion; man beabsichtigte bei Industrie und Wirtschaft 150 000 Mark einzusammeln, eine Summe, die noch für eine Brasilienreise benötigt wurde.
    Nach diesem Spektakulären Rücktritt war das kulturelle München aufgescheucht und die Presse fragte bei Richter nach:
    »Was sind die Bedingungen dafür, dass Sie in München eventuell weitermachen?«
    Richter antwortete:
    »Der Vorstand müsste so aussehen, wie ich das will. Zum zweiten: absoluter Arbeitsfrieden. Und drittens: Leute, die Vereinspolitik machen wollen, müssen verschwinden, dazu zählen drei der fünf Vorstände.«
    Richter erklärte, dass er unter Vereinspolitik das Verhalten von Leuten verstehe, die gegeneinander hetzen, Anhänger um sich scharen und die künstlerische Qualität minimieren.


    Nun, Richter blieb, aber seine Bindung an München war längst nicht mehr so stark, wie das in den ersten Aufbaujahren der Fall war, das hatte verschiedene Gründe: Er war zur Berühmtheit geworden, woraus eine rege Reisetätigkeit resultierte, und er siedelte 1967 mit der Familie in die Heimat seiner Frau über, ab 1970 wohnte man in Erlenbach am Zürichsee im eigenen Haus.


    In der CD-Besprechung von 2013 zu einer 1961 entstandene h-Moll-Messe - die Richter wohl über viele Jahre fast hundertmal aufgeführt hat - kann man lesen:
    »Karl Richter ist als Bachinterpret heute fast ausschließlich ein historisches Phänomen.«
    Noch zu Richters Lebzeiten gesellten sich zu den meist enthusiastisch-positiven Kritiken auch Meinungen hinzu, die das völlig anders sahen, die sogenannte »HIP-Welle« gewann an Bedeutung. Richter zeigte sich von dieser aufkommenden historisch informierten Aufführungspraxis scheinbar unbeeindruckt; Leute die näher an ihm dran waren, wie zum Beispiel Erika Berghöfer-Engen, berichteten, dass er, als Kritik und Zweifel an seiner Leistung lauter wurden, tief verletzt war. Sein Kommentar dazu nach draußen war, dass eine Interpretation ohne Inspiration schließlich durch historische Staffage nicht besser werde.


    Immer noch war Richter ein gefragter Mann und hatte seine Pläne, er arbeitete rastlos und antwortete auf Ratschläge, dass zu viel arbeite: »Meine Zeit ist jetzt« und er sprach klar aus: »Wir Richter werden nicht alt«. Er wirkte nicht kränklich, dennoch stand es mit seiner Gesundheit nicht zum Besten, sein Augenlicht bereitete ihm Probleme und er lernte Partituren auswendig. Im Februar 1971 hatte er bereits einen Herzinfarkt überlebt, damals mussten für die nächsten zwei Monate alle Konzerte abgesagt werden. Nun war wieder Februar, aber genau zehn Jahre später, die Planungen für eine Japan-Tournee, die ihn im Mai mit vier verschiedenen Konzertprogrammen mit dreizehn Auftritten durch verschiedene Städte führen sollte, liefen auf Hochtouren.
    Es war in München ein sonniger Sonntag - Septuagesimae - bitterkalt. Karl Richter logierte im Hotel »Vier Jahreszeiten« und war in seinem Zimmer mal wieder am Telefonieren, diesmal war es ein Telefonat mit dem Geiger Otto Büchner, zu dem er ein gutes Verhältnis hatte - Richter sagte: »Moment, ich leg mal auf, ich ruf gleich zurück, es klopft« Büchner wartete vergeblich auf den Rückruf ... Glady Richter ging derweil im Englischen Garten spazieren und hatte keine Ahnung, dass ihr Mann an einem Herzinfarkt gestorben war.


    Bei der Trauerfeier in der Markuskirche sang der Bach-Chor die Motette »Fürchte dich nicht«; die Beisetzung fand am 23. Februar 1981 auf dem Friedhof Enzenbühl in Zürich statt. Bei der Beerdigung gab der Pfarrer seine eigene Petersausgabe der Bach-Motetten mit ins Grab.



    Ganz in der Nähe dieser Kapelle ist das Grab von Karl Richter


    Praktischer Hinweis:
    Forchstrasse 384, 8008 Zürich, die Tram 11 fährt zum Friedhof
    Das Grab von Karl Richter ist auf dem Friedhofsplan mit der Nummer 34 ausgewiesen, man findet es leicht, weil es nur wenige Schritte von der Friedhofskapelle entfernt ist.l

  • Vorbemerkung:
    Auch bei Adelina Patti bietet die Literatur verschiedene Geburtstage an - Wikipedia, zum Beispiel, aktuell den 18. Februar. Dass oben der 19. Februar gewählt wurde, resultiert aus einem Interview, das Eduard Hanslick mit der Sängerin in Wien führte, hier sagt Patti:
    »Dass ich schon eine bejahrte Frau bin, das wissen Sie, - was nützt es, meinen Geburtstag, den 19. Februar 1843 zu verleugnen?«



    Zum heutigen Geburtstag der Ausnahmesängerin Adelina Patti


    Adelina wurde in eine singende Familie hineingeboren. Caterina, Adelinas Mutter, hatte dem Komponisten Francisco Barili bereits vier Kinder geboren; als der wesentlich ältere Barili starb, kam Caterina Barili mit Donizetti als Primadonna nach Palermo. Dort heiratete sie den Tenor Salvatore Patti. Fortan zog das Sängerpaar von Engagement zu Engagement.
    Amelia, ihre erste gemeinsame Tochter, kam 1831 in Paris zur Welt, 1835 folgte *Carlotta in Florenz, 1842 Carlo in Madrid und am 19. Februar 1843 wurde, ebenfalls in Madrid, wo Mutter Caterina am Teatro del Circo ein Engagement hatte, Tochter Adelina geboren.
    *Carlotta >siehe Beitrag 497


    Als der Sänger-Clan 1847 wieder zurück in Italien war, hatte schon die älteste Tochter Clotilda aus Caterinas erster Ehe, ihre erfolgreichen Auftritte und deren Brüder folgten, alle Kinder Caterinas, das waren letztendlich acht, wurden Berufsmusiker.


    Salvatore Pattis Tenor war inzwischen nicht mehr ganz so brillant, wie in jungen Jahren. So griff er zu, als 1848 von dem nach Amerika ausgewanderten italienischen Sängerkollegen Ferdinand Palmo ein lukrativ scheinendes Angebot kam. Salvatore Patti sollte für eine Saison die Leitung der Operntruppe »Palmo´s Opera House« in New York übernehmen, es war eines der frühesten Opernhäuser in New York.
    Zunächst war die singende Familie Patti erfolgreich, dennoch fehlten ihnen irgendwann ausreichend Zuschauer und das Unternehmen ging pleite. Also hängten Adelinas Eltern ihre Unternehmerrolle an den Nagel und gingen wieder ins Engagement, nun an das »Astor Place Opera House«, ein 1847 eröffnetes Opernhaus der etwas feineren Art, mit gepolsterten Sitzen, anstatt der sonst in amerikanischen Theatern üblichen Bänke, aber auch dieses Opernhaus schloss bereits 1853 wieder seine Pforten.


    In diesem Umfeld war also Adelina herangewachsen und für sie war ganz normal, dass der Mensch singend durchs Leben geht, denn alle in ihrer Umgebung waren stets am Singen. Es wird berichtet: »Sie sang, bevor sie sprechen konnte«, aber diese Aussage ist eine Sache der Interpretation ... Aber die Vierjährige soll, wenn die Mutter auch nur summend ein paar Töne vorgab, eine ganze italienische Arie absolut fehlerfrei gesungen haben. Die Pattis waren Italiener durch und durch, aber im Theater-Milieu wirkten Leute von überallher, sodass, das Kind spielend Sprachen lernte, sie sagte einmal: »Ich lernte von allen Sprachen zuerst das Englische, dann erst Italienisch, endlich Französisch und Spanisch.«


    In einer Zeit, als die Eltern kein Engagement hatten und Salvatore Patti einige Stücke aus dem Familienbesitz ins Pfandhaus tragen musste, kam dem Vater die Idee, dass man das helle Kinderstimmchen vermarkten könnte und die Kleine sang mit Lust drauf los, keine Kinderlieder, sondern »Una voce poco fa« aus dem »Barbier«, das alles hatte sie ihrer Mutter abgelauscht, bei jedem Auftritt ihrer Mutter saß sie abends im Theater, um dann später das Gehörte und Gesehene minutiös nachzuspielen.


    Adelinas erster öffentlicher Auftritt ist am 22. November 1851 dokumentiert, da sang sie in einem New Yorker Konzertsaal, auf einem Tisch stehend, damit man sie besser sehen konnte, es dürfte ihr erster ganz großer Beifall gewesen sein, der sie dann ein ganzes Sängerinnenleben bis zu einem Wohltätigkeitskonzert, das sie am 24. Oktober 1914 in der Royal Albert Hall in London gab, begleitete; das war ihr letzter öffentlicher Auftritt. Man glaubt zunächst, dass ein Rechenfehler vorliegt, wenn man auf eine Gesangskarriere von 63 Jahren kommt.
    Ihr erstes »Vorsingen« hatte das etwa zehnjährige Mädchen vor dem gerade durchreisenden italienischen Kontrabassisten Giovanni Bottesini und seinem Freund, dem Geiger Luigi Arditi, damals sehr berühmte Leute.
    Luigi Arditi berichtete, dass Adelina mit ihrer Puppe ankam, diese auf einen Stuhl setzte und zu ihrer Puppe sagte, dass die Mutti ihr jetzt etwas Schönes singt (Lá, ma bonne pétite, attends que ta Maman te chante quelque chose de jolie).
    Und dann sang die Puppen-Mutti den prominenten Italienern eine Bellini-Arie vor, die es in sich hat, da hat´s Bellini dem Sopran nicht gerade leicht gemacht ...
    Adelina, vielleicht war´s auch Mutter Caterina, hatten »Ah! non giunge« aus »La Sonnambula«, gewählt, die beiden Zuhörer sollen geweint haben ...
    Adelina wurde nun als Wunderkind herumgereicht, man begab sich mit ihr auf erfolgreiche Tourneen. Ihr südländisches Aussehen und auch das altkluge Gehabe des Kindes bewirkten - als optische Zugabe zum Gesang -, dass die Begeisterung des Publikums überschwappte. Sie war von Kindesbeinen an gewohnt vor Publikum zu possieren und auch schon vor Kameras zu agieren, eine Technik, die gerade im Werden war.
    Das Mädchen tourte mit Vater Salvatore, der die Sache managte, dem norwegischen Geiger Ole Bull und dem österreichischen Pianisten Maurice (Moriz) Strakosch, der 1852 Adelinas ältere Schwester Amalia geheiratet hatte, durch Amerika - wenn Adelina »Home Sweet Home« sang, war die Vorstellung immer ein Erfolg; und die ganze Tournee war vor allem auch ein wirtschaftlicher Erfolg, der jedoch bei Adelina, die während ihrer Aufritte mitunter potenziellen Spielkameradinnen im Saal zuwinkte, zur Ermüdung führte.
    Bei der Rückkehr nach New-York hatte Adelina bereits in dreihundert Konzerten gesungen. Sie bedurfte nun der Ruhe vom Konzertbetrieb. Jetzt war es notwendig, die Weichen für die Zukunft zu stellen. So allmählich kamen nun auch die anderen Mitglieder der Großfamilie Barili-Patti in die Staaten, so auch Adelinas Stiefbruder Ettore Barili, Amerikas erster Rigoletto, der nun auch für die Gesangsausbildung seiner Stiefschwester verantwortlich zeichnete. Die Familie übersiedelte aufs Land, heute liegt dort die Bronx.
    Die dreizehnjährige Adelina begab sich mit Ettore auf eine Konzertreise nach Kuba und begeisterte die Kubaner mit Arien von Bellini und Rossini. Strakosch hatte eigentlich nicht die Aufgabe des Gesangslehrers, aber er studierte mit Adelina die Rosina im »Barbier« ein. Ansonsten wollte man dem heranwachsenden Mädchen eine schöpferische Pause gönnen. Strakosch, ein Branchenkenner par excellence, bot Adelina Gelegenheit die Gesangsgrößen ihrer Zeit zu studieren - Adelina hörte und sah Henriette Sontag, eine Jenny Lind, eine Giulia Grisi ... Strakosch wusste, dass das die Maßstäbe für Adelina waren.
    Aber mit dem Lernen war das bei Adelina so eine Sache - ihr Charakter hatte sich so entwickelt, dass sie nicht frei von Arroganz war und deshalb nicht mehr die bescheiden Lernende sein mochte. Da war pädagogisches Feingefühl gefragt, wenn sie Lernzwänge auch nur ahnte, blockte sie ab. Wenn ihr allerdings eine Melodie gefiel, dann war das Spiel gewonnen. Strakosch war vor allem an ihrer Ausbildung für die Bühne gelegen.


    Bis zu ihrem sechzehnten Lebensjahr hatte Adelina Patti immerhin neunzehn große Partien vollständig drauf. Politische Umstände machten es notwendig, dass Adelinas Debüt auf der Opernbühne etwas früher stattfand als ursprünglich von der Familie geplant, am 24. November 1859 erschien sie als Lucia in »Lucia di Lammermoor« in der New Yorker Academy of Music.
    So allmählich erarbeitete sie sich in Amerika die notwendige Bühnenerfahrung, denn das waren nun keine »Wunderkind-Auftritte« mehr, aber es gab auch keine typischen Anfängerrollen für sie; ihre Rollen waren gleich die großen Operngestalten. Strakosch, der nun als Pattis Manager wirkte, hatte Auftritte in Washington, New Orleans, Mexiko-Stadt und Montreal organisiert, als Adelina Patti in New Orleans konzertierte brach der amerikanische Bürgerkrieg aus, da war es keine schlechte Idee. sich aus dem Staube zu machen.


    1861 kam Adelina Patti mit Vater und Manager nach Europa. So ganz stolperfrei, wie das oft dargestellt wird, ging die erste Zeit in Europa nicht über die Bühne, denn überraschenderweise war die Saison in London abgesagt worden. Nun folgten einige Turbulenzen, auch finanzieller Art, den Pattis ging das Geld aus und Strakosch musste einen Kredit aufnehmen.
    Nun gab es einiges Hin und Her und am Ende stand aber dann doch eine Abmachung mit Covent Garden, die für Miss Patti zwei Auftritte pro Woche vorsah, was mit einhundertfünfzig Pfund pro Monat honoriert werden sollte. Ihr in Amerika ersungener Ruhm hatte für das Londoner Publikum kaum Bedeutung, man beäugte die junge Miss eher misstrauisch, als sie am 14. Mai 1861die Bühne betrat und sich anschickte, eine doch nicht ganz einfache Rolle zu singen.


    Als jedoch das eher unscheinbar wirkende Mädchen seine erste Arie »Come per me sereno« fulminant beendet hatte, brach ein Jubelsturm der Begeisterung los, man hatte hier zwar schon einige große Stimmen gehört, aber diese außergewöhnliche Qualität wurde sofort erkannt, natürlich auch vom Direktor, der schon ab Juli die Gage um 100 Pfund pro Woche anhob, monetär ging es fürderhin ständig aufwärts. Nicht nur das Publikum, auch die Presse überschlug sich in ihrer Begeisterung, die Patti, der neue Star am Opernhimmel, hatte schon am ersten Abend Europa erobert. Auch die Direktoren anderer bedeutender Opernhäuser waren nun an der Patti interessiert, aber sie zog es vor, zunächst mal für diese Saison in London zu bleiben.
    Die große Giulia Grisi befand sich zu dieser Zeit gerade auf ihrer Abschiedstournee, Grisi und Patti standen noch in »Don Giovanni« gemeinsam auf der Bühne, Patti als Zerlina, die Grisi gab die Donna Anna. Adelina Patti arbeitete dort mit einem ganz exklusiven Ensemble und hatte hier auch den ersten Kontakt mit Guiseppe Verdi.


    Adelina Pattis nächstes größeres Engagement war für die Saison 1862/63 in Paris vorgesehen, die diesen Vorgang begleitende Presse war, salopp ausgedrückt, grottenschlecht. In Paris war man gegen fast alles, was aus London kam entweder neidisch oder hochnäsig, also für Adelina keinesfalls gute Vorzeichen.
    Sie trat - wen wundert´s - mit »La Sonnambula« an, da konnte man nichts Negatives schreiben ... Der damals hochbetagte Daniel-François-Esprit Auber schrieb, dass er sich den ganzen Abend über um zwanzig Jahre jünger gefühlt hätte und Berlioz nannte die Patti eine »Göttin der Jugend« - Kaiser und Kaiserin waren auch anwesend, das Kaiserpaar bat sie in die Loge, Gioachino Rossini lud sie zu einer seiner Soireen. Als sie hier vor kleiner Gesellschaft »Una voce poco fa« vortrug, fragte Rossini von wem das Stück sei - Patti hatte ganz im Rausch ihrer stimmlichen Möglichkeiten des Guten zu viel getan und Verzierungen eingebaut, die Meister Rossini nicht kannte und die ihn nicht erfreuten. Adelina ruderte zurück und es kam noch zu ersprießlicher Zusammenarbeit; als sie sich von Paris verabschiedete, gab Rossini ihr zu Ehren ein Abendessen, Adelina Patti saß als Ehrengast zwischen Rossini und Auber.
    »Le Figaro« bat die Scheidende zum Interview, was damals noch nicht zum journalistischen Standard gehörte, da wirkte sie eher als unbedarftes Mädchen und keineswegs als weltgewandte Persönlichkeit.
    Dessen ungeachtet wuchs ihr Ruhm in Europa; auch an ihrer nächsten Station, in Wien, wo der berüchtigte Kritiker Eduard Hanslick tätig war. An ihrem Gesang hatte er kaum etwas auszusetzen, aber er seine Aussage deckt sich mit dem, was aus dem Pariser Figaro-Interview herauszulesen ist, er stellte fest:
    »Adelina, ein sehr unliterarisches Persönchen, interessierte sich für nichts, was außerhalb der Oper, genauer gesagt, außerhalb ihres Rollenkreises lag.«
    Ob ihrer sängerischen Leistung schäumte die Begeisterung über, sie wurde beschenkt bis zum es geht nicht mehr ... parallel dazu entstand Missgunst, Neid und Spott, eine Klaviatur des Star-Kults, an dem sich im Prinzip bis heute nichts geändert hat.


    Auch Deutschland wurde mit Pattis Besuch beehrt, anlässlich einer Tournee machte sie auch in Frankfurt Station, wo sie vor gekrönten Häuptern sang, die es damals noch in größerer Anzahl gab. In Hamburg soll ihre Marguerite in Gounods »Faust« sensationell gewesen sein.
    Aber auch diese Begeisterung konnte noch getoppt werden, nämlich in Spanien. In ihrer Geburtsstadt Madrid konnte man das Gedränge am Theater nur durch polizeilichen Einsatz in Schranken halten.


    Dass sie auch in Spanien mit Diamanten und Schmuck überhäuft wurde, versteht sich schon fast am Rande, desgleichen 1864 bei ihrer Rückkehr nach Paris, wo Napoleon III. ganz aus dem Häuschen war, er setzte unverzüglich seinen Stallmeister mit Diamant-Ohrringen und Armbändern in Marsch um die Göttliche zu beschenken. Die Zeitung schrieb:
    »Rührt die Trommeln! Blast die Hörner! Mademoiselle Patti, die großartige, die berühmte, die unvergleichliche, die wunderbare Patti ist zurück!«


    Dann, am 11. November 1865 in Florenz, ihr erster Auftritt in Italien - man ahnt es - als Amina in »La Sonnambula«. Die Presse rang nach Worten, um die Superlative ihrer Stimme zu beschreiben, der italienische König war anwesend und das Königspaar von Portugal auch.


    Inzwischen war Adelina Patti 25 Jahre alt geworden und hatte ihr Debüt als Ehefrau; zum Unwillen ihrer Familie heiratete sie im Juli 1868 in London den Marquis de Caux. Dieser verlangte zunächst, ganz dem Stil der Zeit entsprechend, dass sein Eheweib nun nicht mehr beruflich tätig sein sollte, aber daraus wurde nichts, der Marquis fungierte künftig als Manager seiner Gattin.
    Zu dieser Zeit folgten Engagements in St. Petersburg und Moskau.
    Zar Alexander II. und dessen Gattin hatten die außergewöhnliche Stimme gleich ins Herz geschlossen und man überschüttete sie mit Blumen, Diamanten und Riesengagen, nebst anderen Aufmerksamkeiten. In all dem Jubel und Trubel hatte sich die Patti jedoch stimmlich übernommen, so dass sie eine Vorstellung nicht zu Ende singen konnte, was aber ihrer Popularität in keiner Weise schadete. Als der Zar Adelina Patti in der Oper mit einem Diamantendiadem krönte, war der Begriff »Königin der Oper« geboren.


    1868 war Rossini in Paris gestorben - Gounod war tief gerührt als Patti bei der Beisetzung Rossinis »Stabat Mater« sang. Berlioz folgte Rossini wenige Monate später und im gleichen Jahr starb auch Salvatore Patti und ein Jahr darauf - 1870 - Adelinas Mutter Caterina.
    Auch die Ehe mit dem Marquis neigte sich dem Ende zu, als Folge des Deutsch-Französischen Krieges verlor de Caux seinen gesellschaftlichen Rang.


    Die »Königin der Oper« fand den französischen Tenor Ernest Nicolini so attraktiv, und dieser seine Juliette auch, dass beide die Kuss-Szene in einer Aufführung von Gounods »Roméo et Juliette« über Gebühr ausdehnten. Aufmerksame Zuschauer stellten fest, dass genau 21 Mal geküsst wurde, also weit häufiger als im Libretto steht. Als der Marquis seine Gattin deswegen in der der Garderobe zur Rede stellte, gab es einen Mordskrach, der Direktor war um seinen Singstar besorgt, ließ die Tür aufbrechen und die Polizei nahm den Marquis mit. Es war ein Skandal, die Zeitungen berichteten interessante Details. Aber über all dem strahlte ihre Stimme, die 1876, als sie mit Ernest Nikolini bei der Londoner Premiere von »Aida« sang, noch reifer geworden war und sie die Kenner mit Tiefen ihrer Stimme beeindruckte. Mit Verdi gab es zwar wegen Aida Meinungsverschiedenheiten, aber letztendlich begeisterte die Patti auch Verdi. Pattis Auftritte in Italien fügten diesem Sängerinnenleben noch weitere Superlative hinzu.

    Und wenn gerade von Superlativen sie Rede ist, kann man auch gleich Pattis neues Heim beschreiben, das sie 1878, im Süden von Wales gelegen, erwarb. Es war ein Landhaus, dem sie den Namen »Craig-y-Nos« gab und als ihr Schloss bezeichnete. Obwohl ihre Scheidung eine Menge Geld verschlungen hatte, investierte die Diva mächtig in ihr neues Anwesen und es entstanden An- und Umbauten beträchtlichen Ausmaßes. 20 Angestellte hatten hier zu tun. Es gab Elektrizität im Haus, ein damals seltener Luxus, einen eigenen Bahnanschluss, einen Tennisplatz, ein Gewächshaus ... und but not least ein eigenes Theater mit immerhin 150 Sitzplätzen und aufwendiger Technik. Besonders Verkehrsgünstig war das Anwesen nicht gelegen, London war gute 300 Kilometer entfernt, aber es stand ja ohnehin wieder eine Amerikatournee an.


    Dem Hype - 1881 - bei ihrem Amerika-Comeback konnte sich kaum jemand entziehen. Das Schiff mit dem Superstar an Bord wurde mit Beibooten in den New Yorker Hafen geleitet, ein Empfangskomitee stand bereit und eine Musikkapelle intonierte »God Save the Queen« und alle entblößten ihr Haupt. Das alles war von Impresario Mapleson recht gut in Szene gesetzt; dass die so Vergötterte in ihrem Hotel Berge von Blumen vorfand, versteht sich am Rande, James Henry Mapleson ließ da nichts anbrennen, schließlich gründete er 1856 in London die erste Musikeragentur der Welt und inszenierte das alles unter dem Hintergrund 25-jähriger Berufserfahrung.
    Es ließen sich nun einige Seiten mit Sensationsberichten füllen, die schildern, welche horrende Honorare ihr ausgezahlt wurden, dass eines ihrer Auftrittskleider mit Diamanten im Wert von einer Million Euro (umgerechnet) bestückt war und man ihr für die USA-Tournee einen eigenen Eisenbahn-Waggon zur Verfügung stellte, der 18 Meter lang war und einen Salon mit Klavier, ein Schlafzimmer und eine Küche in luxuriöser Aufmachung enthielt. Für das Notwendigste wurden 45 Koffer mitgeführt, dazu noch einige Tiere.
    Die Patti konnte sich alles erlauben, konnte Forderungen stellen, wie zum Beispiel die, dass auf Plakaten ihr Name stets um ein Drittel größer gedruckt sein musste, als die Namen der anderen Mitwirkenden.


    Bei all diesen Umtrieben könnte man vermuten, dass es vielleicht mit ihrer Kunst nicht mehr so besonders war, aber in praktisch allen Veröffentlichungen wird berichtet, dass ihre Darbietungen gesangstechnisch stets auf höchstem Niveau waren. Sie traute sich sogar an Wagner heran und sang 1894 in der Royal Albert Hall Elisabeths Gebet und das Lied »Träume« aus dem Zyklus »Wesendonck-Lieder« - Gustav Mahler hatte ihr Wagners Orchestrierung übersandt, und von dieser Darbietung war sogar der Musikkritiker George Bernard Shaw beeindruckt.


    Als Ernest Nicolini 1898 starb, war Adelina Patti knapp 56 Jahre alt und entschloss sich im folgenden Jahr zu ihrer nun dritten Heirat. Altersmäßig war es ein ungleiches Paar, denn der von ihr Auserwählte war der achtundzwanzigjährige schwedische Baron Rolf Cederström.
    Die Patti wirkte noch während des Zweiten Burenkrieges an Benefizkonzerten in Covent Garden mit, das war immerhin 39 Jahre nach ihrem Debüt an diesem Haus, wobei sie aber bemerkte, dass das Alter seinen Tribut fordert.
    Und nochmal setzte sie was drauf und unternahm 1903 eine US-Abschiedstournee, die jedoch neben hohen Gagen auch harsche Kritiken brachten, man spricht sogar von vernichtenden Kritiken in der amerikanischen Presse. Die New York Times schrieb am 3. November 1903:
    »Ihre aufrichtigsten Bewunderer müssen mit Bedauern feststellen, dass sie noch einmal gekommen ist, um auf dem Konzertpodium ... vorzuführen, was einmal die perfekteste, die schönste aller Stimmen war«


    Inzwischen war es technisch möglich geworden, produzierte Töne zu konservieren; von anderen Musikern gab es schon Schallplatten, von Adelina Patti aber noch nicht, denn sie hatte zwar Elektrizität im Haus, war jedoch gegenüber dieser neuen Technik der Tonaufnahmen misstrauisch. Zwar sollen schon 1890 auf Phonographenzylindern Aufnahmen ihrer Stimme gemacht worden sein, aber diese gelten als verschollen.
    Erst als die Gramophone Company Aufnahmen des Kollegen Caruso vorspielte, konnte man sie überzeugen, dass auch ihre Stimme der Nachwelt erhalten bleiben sollte. Patti willigte 1905 endlich ein, im Dezember wurde Fred Gaisberg mit seinem Aufnahmegerät nach Craig-y-nos eingeladen und kam dann im Juni 1906 nochmals nach Wales. So entstanden 27 Aufnahmen. Adelina Patti war damals 62 respektive 63 Jahre alt und als sie erstmals ihre Stimme von der Platte hörte, war sie hellauf begeistert, »Ah! mon Dieu! Maintenant je comprends pourquoi je suis Patti! Oh, oui! Quelle voix! Quelle artiste! Je comprends tout!«, soll sie ausgerufen haben.
    Das ideale Alter für die Schallplattenaufnahme einer Sopranistin war das zwar nicht, aber selbst anhand dieser späten Aufnahmen, bei denen Kurzatmigkeit hörbar wird, kann man, quasi in einer Art Hochrechnung rückwärts, feststellen, dass hier einmal eine Stimme mit unwahrscheinlichen Möglichkeiten war, es war vermutlich die beste Frauenstimme des 19. Jahrhunderts.
    Adelina Patti starb in Craig-y-nos und wurde acht Monate später auf dem Friedhof Pére Lachaise in Paris beigesetzt, in Publikationen ist zu lesen, dass es ihr Wunsch gewesen sei, ganz in der Nähe Rossinis zu sein; es fällt schwer zu glauben, dass sie von Rossinis Umzug nach Florenz im Jahr 1887 nichts wusste.



    Praktische Hinweise:
    Das Grabmal von Adelina Patti befindet sich auf dem Pariser Friedhof Cimetière du Père-Lachaise / Division 4, man geht vom Haupteingang aus auf der Avenue Principale geradeaus, lässt das verlassene Grabmal Rossinis links liegen und wählt dort wo sich der Weg spaltet, die leicht ansteigende rechte Variante. Das Grabmal ist etwa 200 Meter vom Haupteingang entfernt.






    .

  • Lieber Hart,


    wieder ein fabelhafter Beitrag über die Sangeskönigin Patti, der eigentlich auch in unsere neue Themenreihe "Das müssen Sie lesen" hineingehört. Da ich weiß, dass Du diese umfangreiche Ausarbeitung am Sonntag Morgen vor unserem Treffen in der Gottlob-Frick-Gedächtnisstätte geschrieben hast - ziehe ich mit Bewunderung meinen Hut vor Deiner Leistung. :jubel: :jubel: :jubel:
    Herzlichst mit Grüßen an Deine liebe Frau


    Ingrid und Hans

    Umfassende Information - gebündelte Erfahrung - lebendige Diskussion- die ganze Welt der klassischen Musik - das ist Tamino!

  • Da Hermine Spies keine Tonaufnahmen hinterlassen konnte und niemand mehr lebt, der sie gehört hat, ist ihr Name und sind ihre Leistungen weitgehend verblasst; vielleicht würde sie sich darüber freuen, dass sie nicht ganz vergessen ist - heute ist ihr Geburtstag und morgen ihr Todestag.





    Auf dem Kreuz-Querbalken ein Hinweis, dass es sich um ein Musikergrab handelt.


    Nach ihrer Heirat hieß die Sängerin dann Hermine Spies-Hardtmuth, aber auf den Plakaten und Konzertprogrammen stand Fräulein Hermine Spies.
    Die kleine Hermine wuchs weitab vom städtischen Treiben zuerst im Lahntal und später in der Landschaft des Vogelsbergs heran.
    Löhnberger Hütte liegt bei Weilburg. Hermines Vater war im Eisenhüttenwesen tätig und hatte familiäre Verbindungen zu dem damals bedeutenden Eisenverhüttungs- und Verarbeitungsbetrieb Buderus.


    Hermine verlor ihre Mutter, die kaum 30 Jahre alt war, durch eine Typhusepidemie. An die Stelle der Mutter trat deren Schwester, welche die Kinder betreute. Diese Tante spielte Klavier und legte den Grundstein für Hermines Interesse an Musik und am Gesang. Schon in ihrer Schulzeit übertrug man ihr herausgehobene Aufgaben, die jedoch nichts mit Gesang zu tun hatten.
    Gleich nach der Konfirmation wurde sie mit 14 Jahren nach Wiesbaden in das Bernhardtsche Haus gebracht, wo sie eine fundierte Bildung erhielt, die ihren Fähigkeiten entsprach. Die Leiterin des Instituts, Natalie Bernhardt, machte Hermines Vater auf das Gesangstalent seiner Tochter aufmerksam und die damals in Wiesbaden geschätzte Sängerin Pauline Freudenberg kümmerte sich fortan am Freudenbergschen Konservatorium um Hermines musikalische Ausbildung.


    Als sich einmal die Herren der Eisenhütten zu einer Tagung in Bonn trafen, schloss sich an diese Veranstaltung ein Ausflug an, in dessen Verlauf Hermine mit Gesangseinlagen glänzen konnte. Wie berichtet wird, waren diese Darbietungen der eigentliche Start zur nun sehr ernsthaft betriebenen Gesangskarriere.
    Der Vater sollte über den Winter nach Berlin und seine Tochter mitnehmen, aber wegen des Vaters Herzbeschwerden riet der Arzt diesem von einer Berlin-Reise ab und Hermine - das praktisch im Wald groß gewordene Kind - reiste nun alleine als junges Fräulein in die Riesenstadt Berlin, das war 1878, sie war also 21 Jahre alt und hatte dort ganz schreckliches Heimweh. Sie war sehr sensibel, eine Eigenschaft, die sich auch noch später zeigen sollte. Da wurden dann schon einmal Tränen vergossen, wenn sie in der Gesangsstunde Schuberts »heiß mich nicht reden ...« sang. Mit ihrem Professor kam sie in Berlin gut zurecht und die Gesangsstunden machten ihr große Freude. Ausgewiesene Fachleute waren zu diesem Zeitpunkt schon der Meinung, dass hier eine außergewöhnliche Stimme heranreifte und das Fräulein Spies glaubte das auch selbst zu bemerken und war beruhigt, dass der Vater das viele Geld, das diese Ausbildung kostete, wahrscheinlich nicht ganz umsonst investierte.
    In einem Brief aus Berlin berichtete sie: »Ich singe jetzt gar keine Sopransachen mehr. Alles Alt!« Schon zu diesem Zeitpunkt ihrer Ausbildung war der jungen Sängerin klar, dass sie keine Karriere als Opernsängerin anstreben, sondern sich dem Lieder- und Oratoriengesang widmen wird. In Berlin kam Hermine Spies natürlich mit vielen Experten in Kontakt. Diese rieten dazu sich noch intensiver weiterzubilden, damit sie auch auf großen Podien bestehen könne. Sie befolgte diesen Rat und schloss einen weiteren Aufenthalt in Berlin an; diesmal jedoch nicht im Stübchen einer Pension, sondern wohlbetreut im Hause des damals berühmten Professors Siegfried Dehn, der auch Clara Wieck unterrichtete, wenn diese sich in Berlin aufhielt. Von Dehns Frau wurde Hermine wie eine Tochter gesehen. Professor Dehn hatte natürlich einen Freundes- und Bekanntenkreis, der sich sehen lassen konnte, das Flair des Hauses war entsprechend, da gab es beispielsweise einige Gemälde Tischbeins an den Wänden. Das alles wirkte auf die junge Frau ein und erweiterte ihren Horizont entsprechend.


    Als Vater Spies das Lahntal verließ und seinen Wohnsitz in Wiesbaden nahm, hatte das auch für Tochter Hermine Konsequenzen; ihr Vater richtete es so ein, dass seine Tochter sowohl geografisch näher bei ihm war als auch von einer Berühmtheit des Liedgesangs unterrichtet werden konnte. Hermine Spies´ Wohnort war nun Wiesbaden, Frankfurt am Main war etwa 40 Kilometer entfernt. Zu dieser Zeit war auch Julius Stockhausen, ein damals Zeichen setzender und bekannter Sänger, in Frankfurt ansässig geworden. Hermines Schwester berichtet so darüber:


    »Unter dieses Meisters Einfluss kam es wie neue Offenbarungen über sie, mit ihrem raschen Auffassungsvermögen vermochte sie das von ihrem Lehrer vollkommen tadellos zu Gehör Gebrachte mit geradezu erstaunlicher Genauigkeit wiederzugeben. Sie befand sich bei ihm, dessen Geist auch bald durch ihre Lieder wehte, auf einem Gebiete, wo sich ihr lebhaftes Empfinden, ihr inniges Gemütsleben, die Einfachheit ihres Wesens zu dem entfalten konnte, was später in der Kunstwelt so anerkannt wurde.«


    Sie wohnte auch im Hause Stockhausen in der Savignystraße. 1880 wünschte der Festausschuss des Mannheimer Musikfestes eine Stockhausen-Schülerin zur Übernahme einer Altpartie; Hermine Spies sang das Solo in Mendelssohns »Walpurgisnacht«. Auch dieses kleine Solo wurde in der Zeitungsnotiz erwähnt: »In dem kleinen Alt-Solo«, hieß es da, »debütierte eine junge Dame aus Frankfurt, Fräulein Hermine Spies, eine Schülerin Stockhausens, in vorzüglicher Weise. Die junge Dame wird sich unzweifelhaft bald einen bedeutenden Namen erwerben.«


    Der Rezensent hatte das klar erkannt. Die Qualität ihres Vortrags sprach sich recht schnell herum, ihre Konzerttermine wurden immer zahlreicher; sie sang in Norddeutschland, an fürstlichen Höfen und vor Kaiser Wilhelm I. und hatte sogar ihre erste Konzertreise ins Ausland gemacht und in Holland gesungen. Der endgültige Durchbruch war ihr am 2. Dezember 1882 in Berlin und am 4. Januar 1883 in Leipzig gelungen. Die Kritiken in Berlin und Leipzig waren überschwänglich; nach dem Konzert im Gewandhaus schrieb die Presse:


    »Die jugendlich fesselnde Sängerin erweist sich als eine Altistin, von solcher Bedeutung, dass es uns im Augenblick schwer fällt, sie in Parallele mit irgend einer ihrer Kolleginnen bringen zu können, sowohl was Fülle, Wucht und Umfang des Organs als die vorteilhafte Verwertung der imponierenden Mittel, die gesamte künstlerische Art ihres Denkens und Empfindens anlangt.«


    Obwohl sich einige renommierte Bühnen bemühten, diese Ausnahmealtistin auf die Opernbühne zu bringen, war diesen Bemühungen kein Erfolg beschieden; das Operntheater war nicht die Welt der Hermine Spies, sie lehnte alle diesbezüglichen Angebote ab.
    Der Vater, der so viel für die erstklassige Ausbildung seiner Tochter getan hatte, durfte die großen Anfangserfolge noch voller Stolz erleben, starb aber dann 1884.


    Zu Pfingsten dieses Jahres hatte Hermine Spies eine Einladung zum niederrheinischen Musikfest, das waren Festivitäten, die man sich heute kaum noch vorstellen kann. Lange vorher wählte sie ihre Stücke aus und verwarf ihre Auswahl wieder, korrespondierte deswegen auch mit Max Bruch ... Trotz dieses Aufwandes lief es bei den Proben nicht gut, es gab Tränen, aber plötzlich trat Johannes Brahms auf den Plan und fragte: »Was fehlt denn der Kleinen?«
    Der damals allgewaltige Ferdinand Hiller hatte an dem Vortrag der jungen Sängerin einen Fehler bemerkt und nervös und spektakulär abgeklopft. Einige Imponderabilien hatten dazu beigetragen, dass Hermine Spies bei der schließlich von ihr selbst ausgewählten Arie der Dejaniera aus Händels »Herakles« bei der Hauptprobe musikalisch gestrauchelt war. Diese »Herakles-Arie« war dann bei ihr für jetzt und alle Zeit »gestorben«. Mit Hiller hatte sie später dennoch gute Kontakte. Anstatt der vertrackten Händel-Arie trug sie dann »Ach ich habe sie verloren« aus »Orpheus« vor und konnte mit diesem Bravourstück das Publikum begeistern.
    Dieser Begegnung mit Brahms sollten dann noch viele folgen; später musizierten sie auch zusammen; und ein Briefwechsel ist auch noch erhalten geblieben.


    Im November 1883 sang sie in Berlin die Altpartie in Mendelssohns Oratorium »Elias«, da Hermine Spies keine Tonaufnahmen hinterlassen konnte, sollte man zumindest auf die begeisterten Kritiken hinweisen, um sie entsprechend zu würdigen, die Vossische Zeitung schrieb damals:


    »Hermine Spies zeigte sich uns als die vorzüglichste Altistin, die wir überhaupt in unserer Erinnerung haben. Eine Stimme von einer sinnlichen Frische und Wärme, wie wir sie wohl von Italienerinnen gehört haben, aber auch nur von diesen. Der Eindruck, den Fräulein Spies aufs Publikum machte, war unbeschreiblich! Rührend war der Kampf, indem sich das Publikum befand, zwischen Enthusiasmus, der sich äußerlich betätigen wollte, und der guten Gewohnheit, in Oratorien-Aufführungen nicht zu applaudieren. Nach der zweiten Arie ließ er sich aber doch nicht mehr halten, leise, schüchterne Bravos entströmten den gepressten Kehlen ...«


    Solche Kritiken beleuchten eine Leistung, der neben außergewöhnlicher Begabung auch unbändiger und zäher Fleiß zugrunde lag. So folgte Erfolg auf Erfolg. Im Januar 1884 gab es in Berlin einen gemeinsamen Liederabend mit Anna Schultzen von Asten. Das Aufgabenfeld der inzwischen berühmten Altistin vergrößerte sich ständig, auch geografisch. Über große Strecken reiste man im Damencoupé und wurde am Bahnhof mit der Equipage abgeholt, es gab Lorbeerkränze und sie sang oft vor Prinzen und Königen, derer es damals noch eine Menge gab; Hermine Spies musste sich zuweilen mit Brillanten behängen, was sie zwar nicht so gut fand, aber anscheinend wurde das allgemein erwartet.
    Auch in Wien glich ihr Hotelzimmer einem Blumenmeer, die Kritiken waren dazu adäquat, Eduard Hanslick schrieb:


    »Eine in Deutschland gefeierte, für Wien neue Erscheinung lernten wir in Fräulein Spies kennen. Selten hat eine Liedsängerin unser Publikum so sehr entzückt, so schnell erobert. Und das mit den echten künstlerischen Mitteln; ohne virtuoses Blendwerk, ohne die Würze des bloß Pikanten oder Interessanten. Ihr Organ, ein kräftiger, vollklingender Alt von eigenartig herber Frische, nur in der Tiefe ohne rechtes Metall, gehört nicht zu jenen außerordentlichen Stimmen, die (wie manche italienische) schon durch ihren sinnlichen Reiz gewonnenes Spiel haben. Aber die künstlerische Bildung dieser Stimme ist vorzüglich, und ihre Beseelung durch die Mächte: Gemüth und Geist macht sie unwiderstehlich. Daß Fräulein Spies die Unterweisung Stockhausens genoß, möchte fast errathen, wer diesen größten und vielseitigsten aller Liedersänger häufig gehört. Die tadellose Verbindung der Register; dieses schöne Legato, der lange, so richtig ausgesparte Athem; die immer deutliche, korrekte Aussprache - dies allein sind schon schwerwiegende technische Errungenschaften. Als dienstbare Geister empfangen sie aber erst ihre Macht durch den Zauber eines seltenen poetischen wie musikalischen Instinkts und einer lebensvollen Reproduktionskraft. Sobald Fräulein Spies die ersten Töne eines Lieds anschlägt, hat man die Empfindung, daß sie Gedicht und Musik völlig erfaßt und tief in sich aufgenommen habe. Ihre Stimme schmiegt sich mit verschiedenem Klang den verschiedenen Tondichtungen an, und in diesen wieder den charakteristischen einzelnen Wendungen des Dichters, des Tonsetzers. Was immer sie auch singe, Heiteres oder Pathetisches, Scherz oder Wehmuth, Schubert oder Brahms - man glaubt ihr alles ... «


    Dem folgen dann Hanslicks detaillierte Besprechungen der einzelnen Lieder dieses Konzertabends. Als sich in Wien die Claque bei ihr meldete, ließ sie diese entrüstet abblitzen, sie hatte es nicht nötig Beifall zu kaufen.


    1887 sang sie zusammen mit der nicht minder berühmtem Amalie Joachim in Rostock, dann ein einzigartiger Vorfall bei einem Liederabend, den sie am 4. November 1887 in Kopenhagen gab; in der Pause kamen ihr Selbstzweifel, sie wollte nicht mehr weiter singen, ihre sie oft auf Konzertreisen begleitende Schwester sprach von »Kleinwahn«. Erst nach vielem gutem Zureden konnte das Konzert erfolgreich zu Ende gehen. Ihre Schwester Minna kannte nicht nur Hermines künstlerische Qualität, sondern auch ihre Übersensibilität, weshalb sie den Begriff »Kleinwahn« prägte. Die Schwester legte dann auch ihr Veto ein, als ein finanziell äußerst attraktives Angebot zu einer halbjährigen Amerika-Tournee unterbreitet wurde, gewarnt durch das Erlebnis in Kopenhagen, mochte sie dieses Risiko nicht eingehen.


    Nach jeweils ausgedehnten Sommerfrischen, die der anstrengenden Herbst- und Wintersaison folgten, präsentierte Hermine Spies ihrem Publikum stets neu erlernte Stücke, was zeigt, dass auch die Sommermonate nicht nur mit Nichtstun verbracht wurden. Ihre häuslichen Verhältnisse hatten sich inzwischen verändert, wenn sie von Konzertreisen in die Adelheidstraße nach Wiesbaden zurückkehrte; während ihrer Abwesenheit schuf man ihr ein Heim, in welchem sie ihre auf Reisen erworbenen Kunstschätze in geschmackvoller Umgebung genießen konnte.


    1889 hatte Hermine Spies schon in London mit Hans Richter zusammengearbeitet und nun bahnte sich auch noch eine Konzertreise nach Russland an. Als sie in Königsberg das letzte Konzert auf deutschem Boden absolviert hatte, ging es in 20-stündiger Zugfahrt im kalten Abteil gegen St. Petersburg, nicht gerade ideal für eine Sängerin. Auch in Russland war die Erwartung auf diese außergewöhnliche Sängerin mächtig angeheizt worden und wiederum beschlichen Hermine Spies Zweifel ob sie all diese Erwartungen auch befriedigen konnte - sie konnte es!
    Zwar war zu bemerken, dass die italienischen und französischen Lieder zunächst mehr zündeten, als die ernsteren deutschen, aber letztendlich konnte sie auch dort den in heimatlichen Gefilden gewohnten Beifall entgegennehmen. So kam es dann auch noch zu einer zweiten Russlandreise.


    Als man in Berlin das hundertjährige Jubiläum der Singakademie feierte und das Denkmal des Begründers der Singakademie, Carl Friedrich Fasch, enthüllt wurde, sang sie unter Joachims Begleitung die Alt-Arien der H-moll-Messe.


    Im Sommer lernte Hermine Spies auf einem Musikfest in Wiesbaden den Amtsrichter Dr. Hardtmuth kennen, Was danach folgte, formuliert die Schwester der Sängerin im typischen Stil der Zeit:
    »... nahm ihr Geschick jene Wendung, die im Frauendasein die höchste Vollendung bedeutet: ihr Schifflein war dahin gesteuert, wo die Ehe mit den Rechten und Pflichten des Weibes sie erwartete.«


    Hermine Spies zog noch einmal zu einer umjubelten Abschiedstournee aus, dann war die Karriere einer der glänzendsten Altistinnen beendet. Noch im ersten Ehejahr schwanden ihre Kräfte, das erwartete Kind konnte nicht mehr geboren werden. Hermine Spies starb einen Tag nach ihrem Geburtstag.


    Praktische Hinweise:
    Nordfriedhof, Platter Straße 83, 65193 Wiesbaden
    Das Grab befindet sich im Gräberfeld A 19 und steht unter Denkmalschutz.
    Am einfachsten findet man das Grab, wenn man das Tor linker Hand des Haupteingangs benutzt; vom Haupttor aus führt ein leicht ansteigender Weg, entlang der Friedhofsmauer, dorthin. Aber direkt an diesem zweiten Tor befindet sich auch ein Parkplatz.
    Vom diesem Tor aus geht man etwa 100 Meter geradeaus auf einen Trauerpavillon zu, gleich links und vis-á-vis des Gebäudes ist das Grab.



    Das Foto zeigt das zweite Eingangstor des Nordfriedhofs in unmittelbarer Nähe des Parkplatzes.


  • Lieber hart!


    Dir sei gedankt, dass Du auch auf Sänger/innen aufmerksam machst, die unsereiner nie zu hören bekam. Die Erinnerungen daran sollte man auch trotz fehlender Höreindrücke aufrecht erhalten. Danke!


    Gruß Wolfgang

    W.S.

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  • Zum heutigen Geburtstag von Ferdinand Leitner


    Als Ferdinand mit seinen Eltern Berlin in Richtung Prag verließ, war er gerade mal zwei Jahre alt. Offenbar durfte der erst vierjährige Knabe im Deutschen Theater zu Prag schon Opernvorstellungen besuchen, denn in einem Rundfunk-Gespräch erzählte er einmal selbst, dass ihn dort der Dirigent Alexander von Zemlinsky so beeindruckte, dass der Vierjährige den Entschluss fasste, einmal Dirigent zu werden. Erste Schritte dazu wurden gemacht als das Kind fünf Jahre alt war, er bekam Klavierunterricht. Im Alter von zehn Jahren kehrte Ferdinand mit seinen Eltern wieder nach Berlin zurück. Der Unterricht in Prag hatte ihn so weit gebracht, dass er, noch keine elf Jahre alt, in Berlin seinen ersten Klavierabend gab.
    Alle folgenden künstlerischen Aktivitäten des heranwachsenden Kindes schlossen monetäre Interessen stets ein. Ferdinand betätigte sich als Kinderdarsteller im Film und auf der Bühne und er trat sogar bei Max Reinhardt in einem Stück von Stefan Zweig auf. Als der Kinderdarsteller keine Zukunft mehr hatte, ging er in Berlin zur Hochschule für Musik und studierte dort bei Franz Schreker und Paul Hindemith Komposition, sowie bei Julius Prüwe Dirigieren. Unter Karl Muck war Leitner Korrepetitor bei den Bayreuther Festspielen 1929 und bei Artur Schnabel erwarb er sich noch einige Kenntnisse am Klavier.
    1935 wurde Leitner Assistent von Fritz Busch in Glyndebourne und 1939 folgte die Einberufung zur Wehrmacht.
    Bald war Ferdinand Leitner in Berlin ein gefragter Pianist, begleitete auch andere Künstler, wie zum Beispiel Georg Kulenkampff und Ludwig Hoelscher, sowie namhafte Sängerinnen und Sänger. Im Theaterbetrieb hatte er auch bei Bruno Walter assistiert. Die Tatsache, dass er vor 1933 als Dirigent von Arbeiterchören tätig war, trug ihm ein zehnjähriges Dirigierverbot ein. Die letzten Kriegsjahre hatte er dann als Kapellmeister im Theater am Nollendorfplatz in Berlin überstanden.


    Unmittelbar nach dem großen Krieg ging es für Leitner zunächst in Hamburg weiter, wo er unter Jochum erster Kapellmeister war und man unter Nachkriegsbedingungen schließlich eine »Butterfly« zustande brachte. Leitners nächste Station war München, wo es unter den damals üblichen Nachkriegsbedingungen ein äußerst schwieriges Arbeiten war. Er machte dort eine »Zauberflöte« und »Eugen Onegin« also Stücke, die das Publikum bestens kannte.


    1943 schon lernte Leitner Carl Orff kennen und der war damals mit den sehr unterschiedlichen Beurteilungen von »Carmina Burana« in einer ähnlichen Situation wie Leitner, der nicht dirigieren durfte. Aber nach dem Krieg konnten die beiden dann so richtig loslegen; Leitner führte alle Werke Orffs auf und dirigierte nicht nur die Uraufführung von »Oedipus der Tyrann« (1959) und »Prometheus« (1968), sondern auch zahlreiche Erstaufführungen seiner Werke.


    Zweiundzwanzig Jahre lang - von 1947 bis 1969 - war er in Stuttgart als Opernchef und Generalmusikdirektor tätig, wo es stets aufwärts ging. In Zusammenarbeit mit dem Intendanten Walter Erich Schäfer wurde an der Stuttgarter Oper in dieser Zeit Großes geleistet. Günter Rennert und Wieland Wagner waren in dieser Zeit die Garanten, dass das ausgezeichnete hauseigene Ensemble richtig in Szene gesetzt wurde. Da Wieland Wagner oft in Stuttgart zu Gast war und Wolfgang Windgasse hier zum Ensemble gehörte, sprach man ganz allgemein vom »Winter Bayreuth«. Grauenhafte Entgleisungen aus dieser Zeit wurden nicht bekannt. Als Ferdinand Leitner einmal von einem amerikanischen Journalisten gefragt wurde, wie sehr ihn die Szenerie und Kostüme in einer Opernproduktion beeinflussen, antwortete er:


    »Enorm. Ich sage nicht, wer es war oder was es war, aber in einer sehr großen Stadt in Deutschland sagte ich nach drei Aufführungen: Es tut mir leid. Ich soll zehn Abende leiten, aber ich kann nicht. Wenn ich nach oben schaue, sehe ich absolut etwas anderes, und dann kann ich die Musik nicht machen.«


    1957 gab es an der Stuttgarter Staatsoper einen zünftigen Krach, das musikproduzierende Personal drohte damit, das Haus zu verlassen. Ferdinand Leitner und Wolfgang Windgassen, der Sprecher des Solopersonals, stellten fest, dass sich durch die Renovierung des Hauses während der Theaterferien die Akustik dramatisch verschlechtert hatte. Windgassen meinte: »Wir singen uns hier um Kopf und Kragen« Die er mit »wir« bezeichnete waren:


    Martha Mödl, Trude Eipperle, Lore Wissmann, Maria Kinas, Otto von Rohr, Gustav Neidlinger, Josef Traxel ...


    Eine musikalisch-diplomatische Meisterleistung vollbrachte Leitner, als die Stuttgarter Oper im Frühsommer 1958 mit der für die Schwetzinger Festspiele eingerichteten Oper »Der Revisor« von Werner Egk zu einem Gastspiel nach Paris eingeladen war. Das war noch vor den großen Gesten von Charles de Gaulle und Konrad Adenauer. Bei dem Theaterfestival war viel politische Prominenz anwesend und Leitner musste beide Nationalhymnen dirigieren. Der Marseillaise gab er den ihr angemessenen Schwung in entsprechender Lautstärke; die deutsche Hymne ließ er dagegen als Streichquartett, getreu der Version aus dem 2. Satz von Joseph Haydns sogenanntem Kaiserquartett, spielen.


    Aber Glück währt nicht ewiglich, irgendwann kam in Stuttgart Sand ins Getriebe und die Zeit von Friede, Freude, Eierkuchen war vorbei. Leitner hatte öffentlich geäußert: »Entweder Herr Kleiber oder ich werden an diesem Theater tätig sein.«
    Der von vielen bewunderte »Wunderknabe« Carlos Kleiber war an der Stuttgarter Oper aufgetaucht, was Leitner nicht angenehm war, weil er sich - immerhin am Haus seit 1947 tätig - als »Platzhirsch« fühlen konnte. Zunächst war angedacht, dass der junge Kleiber in Stuttgart eine »Lulu«-Aufführung leiten sollte, was Generalmusikdirektor Ferdinand Leitner zu verhindern wusste. Nach einigem Hin und Her sollte Carlos Kleiber, der mit Bergs Witwe einen vertrauten Briefverkehr pflegte, dann »Wozzeck« dirigieren; mit diese Produktion gab die Württembergische Staatsoper im Sommer 1966 bei den Edinburgher Festspielen ein Gastspiel. Die erste der beiden Aufführungen war für Kleiber ein voller Erfolg, obwohl er mit Irmgard Seefried überhaupt nicht einverstanden war. Als er zur zweiten Probe die aufgebauten Mikrophone von BBC sah, drehte der oft übersensible Kleiber durch, tat kund, dass er sich krank fühle und sagte schließlich die Vorstellung wegen Erkrankung ab. Nun sollte Leitner die Kastanien aus dem Feuer holen, verspürte aber dafür überhaupt keine Lust und nannte künstlerische Gründe, die zwar auch nachvollziehbar waren, aber das Ganze war natürlich ein Riesenskandal, der sowohl innerhalb als auch außerhalb der Staatsoper kontrovers diskutiert wurde. Hernach gab es sich lange hinziehende Untersuchungen zu diesem Fall.
    Es wird auch berichtet, dass man bei Ferdinand Leitner auch die sprichwörtliche schwäbische Sparsamkeit übertrieben habe; es soll um Pensionsansprüche und seiner Bedeutung entsprechende Honorierung gegangen sein.
    In seinen Erinnerungen schreibt Intendant Walter Erich Schäfer:


    »Dass Leitner uns verließ, ein paar Jahre, ehe ich pensioniert wurde, hat mir ehrlich leid getan. Seine Motive habe ich nie bis zum Grunde begriffen. Jedenfalls: ich bin ihm von Herzen dankbar für alles, was er für unser Theater und damit für mich getan hat.«


    Für Zürich war es ein ausgesprochener Glücksfall, dass es dem damaligen Direktor Juch, der von 1964 bis 1975 am Zürcher Opernhaus das Sagen hatte, gelang Ferdinand Leitner von der damals weit renommierteren Stuttgarter Staatsoper zu verpflichten. In einem Interview sagte Leitner einmal, dass der Tod von Wieland Wagner und der Weggang von Günther Rennert nach München wichtige Punkte gewesen seien, dass er Stuttgart verließ.
    Am Zürcher Opernhaus hatte sich Leitner als Gastdirigent mit Strauss' «Capriccio», Wagners «Tristan und Isolde» und Mozarts «Zauberflöte» eingeführt, und dieser Linie blieb er auch als musikalischer Oberleiter dann weitgehend treu, aber pflegte, wie die Jahre vorher auch, die Moderne. 14 Jahre lang war er dem Opernhaus Zürich fest verpflichtet; Gastdirigate führten Ferdinand Leitner rund um den Globus.
    Er hatte schon 1958 am Teatro Colón in Buenos Aires gastiert, wo er Erich Kleiber ablöste und dann gastierte er im Laufe seines Lebens in allen bedeutenden Musikzentren.
    In Chicago gab es 1970 einen dramatischen Zwischenfall - dort wurde gerade Mozarts Oper »Don Giovanni« gespielt. Ferdinand Leitner dirigierte, und während der Aufführung wurde er plötzlich ohnmächtig, konnte aber dem Orchester noch ein entsprechendes Zeichen geben.
    Pinchas Steinberg, der Konzertmeister übernahm Taktstock und Dirigentenpult und konnte die Aufführung zu Ende dirigieren, Später machte dann Steinberg eine beachtliche Dirigentenkarriere.


    1983 trat Leitner von seinem Amt als musikalischer Oberleiter zurück und widmete sich wieder vermehrt seiner internationalen Konzerttätigkeit. Doch 1984 konnte man ihn nochmals als Wagner-Dirigenten erleben, als das Opernhaus nach der Umbauzeit mit den «Meistersingern von Nürnberg» wiedereröffnet wurde. 1990/91 lud ihn Alexander Pereira ein, die Leitung von Tschaikowskys «Eugen Onegin» zu übernehmen. Dass sich der 79-Jährige darauf einließ, obwohl er sich seit Jahrzehnten nicht mehr mit dem Werk beschäftigt hatte, war ein beeindruckendes letztes Zeugnis seiner Vielseitigkeit, Offenheit und musikalischen Neugier.


    Am 10.06.1996 schrieb DER SPIEGEL:
    »Ein Star wollte der Dirigent nie sein - ihm ging solides Handwerk über alles, und dafür liebten ihn die Kollegen ... traditionsbewusst und doch mit wacher Neugier für die deutsche Moderne von Schillings bis Zimmermann.«


    In Stuttgart erinnert heute noch der Ferdinand-Leitner-Steg, eine Fußgängerbrücke zwischen Hauptbahnhof und Staatsoper, die seit 1997 seinen Namen trägt, an sein Wirken in der Stadt.



    Unmittelbar an der Kapelle befindet sich der Friedhofsparkplatz

    Praktischer Hinweis:

    Forchstrasse 384, 8008 Zürich, die Tram 11 fährt zum Friedhof.
    Zum Grab von Ferdinand Leitner geht man von der Kapelle aus - diese Sicht berücksichtigend - nur etwa 50 Schritte nach links. Auf dem Friedhofsplan orientiert man sich am Feld B.
    In unmittelbarer Nähe befindet sich auch das Grab von Karl Richter, siehe Beitrag Nr. 516.




  • Zum heutigen Geburtstag von Heinrich Allmeroth


    Knickhagen ist heute der kleinste Ortsteil von Fuldatal, das nordöstlich von Kassel und am Südrand des Reinhardswaldes liegt. Das Große Sängerlexikon nennt als Geburtsjahr von Heinrich Allmeroth zwar das Jahr 1900, aber auf dem Grabstein des Sängers steht die Zahl 1901. Dass es sich um einen Sänger handelt, steht nicht auf dem Grabstein, auch nicht, dass er Intendant der Berliner Staatsoper war; aber es steht drauf: GENERALINTENDANT DER STAATSTHEATER DRESDEN 1954-1961.


    Heinrich Allmeroths Vater war Lehrer und der Sohn absolvierte Volksschule und Gymnasium, um nach dem Abitur an den Universitäten in Göttingen und in Frankfurt am Main Volkswirtschaft zu studieren. 1924 promovierte er über die wirtschaftliche Entwicklung des Kreises Eschwege seit dem 19. Jahrhundert.
    In welcher Form er seine Gesangsausbildung absolvierte ist in der Literatur kein Thema, sein Debüt soll er 1926 als Max im »Freischütz« am Stadttheater Göttingen gegeben haben. Danach ging seine Sängerkarriere über Halle/Saale weiter und ab 1928 an singt er für sechs Jahre im Rheinland: in Dortmund, Köln und Düsseldorf.
    1935 wechselt Heinrich Allmeroth zur Staatsoper Stuttgart, wo er bis 1938 engagiert ist. Ein letztes Engagement vor Kriegsende ist von 1938 bis 1944 in der sächsischen Metropole Leipzg dokumentiert.
    Wie es seinerzeit üblich war, sang ein Sänger fast alles, was einigermaßen zu seinem Stimmfach passte, Heinrich Allmeroth war ein lyrischer Tenor, der als Tamino »Zauberflöte«, Edgar »Vampyr«, Lyonel »Martha«, Graf Almaviva »Barbier von Sevilla«, Wilhelm Meister »Mignon«, Alfred »La Traviata«, Alvaro »Die Macht des Schicksals«, Rodolf »La Bohème«, Pinkerton »Madame Butterfly« und Titelpartien in »Don Carlos« oder »Palestrina« sang - diese Nennungen beanspruchen keine Vollständigkeit.
    Die Staatsoper in Wien registriert, dass Allmeroth am 25. Mai 1939 in »Ein Maskenball« - natürlich sang man das damals in deutscher Sprache - die Rolle des König Gustav III. sang; Wien war ja damals kein Ausland, also muss man als internationale Auftrittsorte noch Amsterdam und Basel nennen.


    Nach dem Zweiten Weltkrieg ist Allmeroth von 1946-48 an der Volksbühne Leipzig tätig, danach noch für ein Jahr am Berliner Metropoltheater. Ab 1949 ist Heinrich Allmeroth Intendant am Theater in Rostock. Wie es scheint, war Allmeroth knappe zwanzig Jahre an doch nicht ganz unbedeutenden Theatern in einem breiten Rollenspektrum tätig. Dennoch findet man keine Tondokumente seiner Stimme. Bestimmt wurde er an seinen Auftrittstagen mit reichlich Beifall bedacht, aber, wie die allermeisten Künstler, die allabendlich eine ordentliche Arbeit abliefern, konnte er nicht über den Tag hinaus als Sänger berühmt werden. Helge Roswaenge und Franz Völker waren nur wenig älter, Richard Tauber schon auf der Höhe, als Allmeroth das Singen begann, fast gleichaltrig war der Riesentenor Max Lorenz, dann kamen Walther Ludwig, Peter Anders und Bernd Aldenhoff, um einen kleinen Einblick in das sängerische Umfeld der Zeit zu geben.


    Nach dem Zweiten Weltkrieg hat Allmeroth eine administrative Karriere gemacht, die praktisch in Rostock begann. In Nachschlagewerken steht lapidar: »1952-54 stellvertretender Intendant der Berliner Staatsoper, schließlich von 1954 bis zu seinem Tod Intendant der Staatsoper Dresden.«
    Schon am Beginn seiner Sängerlaufbahn engagierte sich Allmeroth als Sprachrohr seines Ensembles in der Genossenschaft Deutscher Bühnen-Angehöriger. Gewerkschaftsarbeit hatte schon immer etwas mit Politik zu tun, hier an exponierter Stelle im Nachkriegs-Berlin tätig zu sein, das hatte schon einige Brisanz.


    Von 1945 bis 1952 war der renommierte Schauspieler und Regisseur Ernst Legal Intendant der Deutschen Staatsoper in Berlin. Für Legal galt immer, dass künstlerische Belange stets die Priorität vor den politischen Dingen haben müssen; aber das passte damals absolut nicht in die politische Landschaft. Die politische Führung sah das gerade andersherum. Schließlich kam es zu Turbulenzen wegen der Brecht-Oper »Die Verurteilung des Lukullus«, Ernst Legal mochte nicht mehr und ging ab, wie es so schön in der Theatersprache heißt.
    Selbstverständlich hatte sich Allmeroth auch nach dem Krieg wieder gewerkschaftlich betätigt, nunmehr im FDGB, den er ab 1950 auch in der Volkskammer der DDR vertrat. Die Staatliche Kommission für Kunstangelegenheiten (Stakuko) guckte den Rostocker Intendanten für die Nachfolge Legals aus. Wichtig war zu diesem Zeitpunkt sowohl die politisch neue Ausrichtung dieser Kulturstätte als auch der Wiederaufbau des zerstörten Hauses. In dieser Zeit fand ja in Berlin ein Kulturkampf statt. In dieser Situation trat der parteilose Gewerkschafter Allmeroth zunächst seine Stellung als Stellvertretender Intendant an und wurde erst im Februar 1953 offiziell zum Intendanten des Hauses bestellt. Mit dem Dramaturgen und Komponisten Wilhelm Neef kam ein ehrgeiziger Mann an die Staatsoper, der sogleich ans Werk ging, um das Haus künstlerisch wie ideologisch neu auszurichten, was im Ensemble nicht unbedingt Freude auslöste. Auch Allmeroth hatte an Neefs übertriebenem Ehrgeiz Anstoß genommen, was dazu führte dass Neef nicht in die Fußstapfen Allmeroths treten konnte, sondern das Haus verließ.
    Von »ganz oben« war Hermann Allmeroths Intendanz ohnehin nur als Interimslösung gedacht; Johannes R. Becher ernannte Max Burghardt zum Intendanten der Berliner Staatsoper, wobei das Gebäude erst 1955 fertiggestellt werden konnte.
    Hermann Allmeroth war dann ab 1954 in Dresden. Am 19.10.1961 war in NEUES DEUTSCHLAND zu lesen: Nach langer schwerer Krankheit ist in den Morgenstunden des Mittwochs der Generalintendant der Dresdner Staatstheater, Dr. Heinrich Allmeroth, im Alter von 60 Jahren gestorben.


    Praktischer Hinweis:
    Der Städtische Friedhof und Urnenhain Tolkewitz ist ein Waldfriedhof im Dresdner Stadtteil Tolkewitz, auf dem ausschließlich Urnenbestattungen stattfinden. Der Friedhof liegt neben dem Johannisfriedhof an der Wehlener Straße.



    Ab hier geht es zum Grab etwa 150 Meter nach rechts >


    Vom Eingang aus geht man etwa 150 Meter bis zum Beginn dieses Teiches und biegt hier rechts ab. Dann sind es nochmals etwa 150 Meter zur Terrassenanlage mit dem Teich der Tränen. Am Ende des Teiches befindet sich das Grab rechts, auf dem Friedhofsplan ist das Grab mit der Zahl 88 im Feld H eingetragen.



  • Zum heutigen Geburtstag von Arthur Honegger


    Arthurs Eltern stammten aus angesehenen Schweizer Familien und kamen aus Zürich in die Normandie, nach Le Havre, wo sich Arthurs Vater als selbständiger Kaffeeimporteur niedergelassen hatte. Arthur war das erste Kind seiner Eltern, drei Geschwister folgten. Der kleine Arthur konnte seiner Mutter zwar beim Klavierspiel zusehen und zuhören, aber die Eltern hatten keine besondere musikalische Ausbildung ihres Sohnes ins Auge gefasst.


    Erste musikalische Gehversuche machte der Knabe als Autodidakt, indem er Beethovens Sonaten vorwiegend lesend in sich aufnahm, Beethoven bezeichnete er als seinen musikalischen Vater. Schließlich brachte der Junge eigene Kompositionsversuche zu Papier und beschrieb das dann später so:


    »Ich hab dann angefangen, und meine Kindersonaten, die ich als Neun- und Zehnjähriger schrieb, nach diesem Durchlesen, nach diesem Studium der Beethoven-Sonaten sind ganz naive kindische Kopien der Beethoven-Sonaten mit Beethovenscher Harmonie und also rührend vor Naivität.«


    Eigentlich hatte der Vater geplant, dass sein Sohn sich ebenfalls in das Geschäft des Kaffeehandels einarbeiten sollte, aber durch die Fürsprache des Zürcher Komponisten Friedrich Hegar, der bis 1914 das Konservatorium Zürich leitete, konnte der junge Mann sein Musikstudium 1910 in Zürich beginnen. In dieser Zeit besuchte er auch Konzerte zeitgenössischer Komponisten wie Richard Strauss und Max Reger.
    Wieder nach Le Havre zurückgekehrt, besuchte er 1911-13 wöchentlich das Konservatorium in Paris, natürlich per Zugfahrt! Bei Lucien Capet studierte er Violine und wurde in die Kontrapunktklasse von André Gédalge aufgenommen, später dann auch in die Kompositionsklasse von Charles-Marie Widor und in die Dirigentenklasse von Vincent d´ Indy. Als der Erste Weltkrieg ausbrach, musste Honegger im Schweizer Grenzschutz 1914-1916 seinen Militärdienst ableisten - er war ja immer Schweizer Staatsbürger. Danach ließ sich Arthur Honegger endgültig in Paris nieder.


    Ende1918, also nach Beendigung seines Studiums, trat er mit seinem Ballett »Le Dit des Jeux du monde« an die Öffentlichkeit, es war sein erstes eigenständiges Werk, das zwar einen Skandal auslöste, aber den Effekt hatte, dass der Jung-Komponist mit einem Schlag einer breiteren Öffentlichkeit bekannt war.


    In der Kulturmetropole Paris wird Honegger unter anderen auch mit Darius Milhaud , Francis Poulenc , Georges Auric , Louis Durey und Germaine Tailleferre bekannt, die sich vor allem gegen romantisches Pathos und impressionistischen Klangdunst wenden. Der Musikkritiker Henri Collet fasst 1920 diese Musiker unter der Bezeichnung »Les Six« zwar zusammen, aber Honegger bewahrt durchaus seine Eigenständigkeit und bleibt den alten Meistern verbunden.


    Einen beachtlichen künstlerischen Durchbruch erzielte Honegger 1921 mit seinem Oratorium »Le Roi David«, das im Théâtre du Joratin in dem kleinen Örtchen Mézières, etwa 15 Kilometer nordöstlich von Lausanne, uraufgeführt wurde. Mit Beginn des Ersten Weltkrieges hatte dieses Volkstheater für sommerliche Aufführungen, bei dem die Bevölkerung mitwirkte, seine Pforten geschlossen. Nun sollte es dort wieder weiter gehen und der Theaterleiter René Morax schrieb das Drama, das Davids Aufstieg vom einfachen Hirten zum König und Propheten behandelt, jetzt war man auf der Suche nach einer Bühnenmusik.
    In dieser Situation gab Ernest Ansermet, der Dirigent des Orchestre de la Suisse Romande, den Rat, Honegger in Paris zu fragen. Igor Strawinsky unterstützte diese Empfehlung. So fiel der Auftrag an einen in Frankreich lebenden Schweizer, der in seiner Heimat eher unbekannt war.


    Honegger hatte dieses Werk, das zunächst als Bühnenstück konzipiert war, in nur wenigen Monaten geschrieben, am 25. Februar 1921 hatte er damit begonnen und bereits am 28. April stand die Partitur. Der Erfolg des Werkes in dieser ersten Fassung veranlasste Honegger, es auch im Konzertsaal aufführen zu lassen, womit eine Art Oratorium entstand, das bis heute Bestand hat. Im Dezember 1923 erlebte dieses Werk in einer neuen Orchestrierung und mit deutschem Text - Hans Reinhart, der Bruder des Winterthurer Mäzen Werner Reinhart hatte es übersetzt - unter der Leitung des Komponisten seine Erstaufführung in der modifizierten Form.


    Der nächste Erfolg ließ nicht lange auf sich warten, bereits 1923 entstand »Pazific 231«, ein sinfonischer Satz, der seine Uraufführung am 8. Mai 1924 in der Pariser Oper hatte, die Spieldauer dieses Stücks beträgt in der Regel weniger als zehn Minuten und ist dem Dirigenten Ernest Ansermet gewidmet.
    »Pacific 231« ist die musikalische Konstruktion einer Schnellzuglokomotive. Einer der schönsten, die es gab, sagte Arthur Honegger, und er, der nicht nur ein großer Komponist, sondern auch ein großer Lok-Kenner war, hatte sich intensiv mit den Realitäten einer fahrenden Lok in all ihren Bewegungsphasen befasst, eine englische Gesellschaft stellte ihm für Studienfahrten eigens ein solches Ungetüm zur Verfügung.
    Sein etwas jüngerer Kollege Paul Hindemith war zwar auch ein begeisterter Eisenbahner, aber der hatte ein Faible für Modelleisenbahnen. Honegger berauschte sich an den realen Loks, die für die schnellsten Züge eingesetzt wurden. Als er einmal mit seinem Komponistenkollegen und Landsmann Othmar Schoeck an einem Bahnhof zusammen traf, nahm er diesen wie ein Kind bei der Hand und lief mit ihm den ganzen Zug entlang, bis vorn zur Lokomotive.
    Von Honegger selbst sind zu diesem Thema zwei Aussprüche im Umlauf:


    »Das, was ich im 'Pacific' versucht habe, ist nicht die Nachahmung der Geräusche einer Lokomotive, sondern die Gestaltung eines Eindrucks und der physischen Freude durch eine musikalische Konstruktion.«


    und


    »Ich habe immer leidenschaftlich die Lokomotiven geliebt. Für mich sind es lebende Wesen, und ich liebe sie, wie andere die Frauen oder die Pferde.«


    Es sei hier eingeflochten, dass der Meister neben Lokomotiven auch seinen Bugatti-Sportwagen liebte. Über den Schweizer Paul Sacher kam es zu einer Dirigierverpflichtung Honeggers nach Baden-Baden; das Konzert fand am 29. Mai 1946 mit dem Orchester des Südwestfunks statt. DER SPIEGEL berichte damals:


    »... Pacific 231 hält 10 Minuten lang ein volles Hundert geigender, blasender oder lärmschlagender Menschen in schweißtreibender Bewegung. Zuerst vibrieren die Trommelschlegel, dann markieren gequetschte Geigentöne einen kleinen Pfiff und das Quietschen anrollender Räder, und schließlich geraten die Streicherbögen wie Pleuelstangen in rotierende Bewegung, Pacific 231 kommt auf Touren ...«


    Von Honeggers Privatleben ist zu berichten, dass er am Conservatoire de Paris die französische Pianistin Andrée Vaurabourg kennen lernte und 1926 heiratete. Mit dem jazzinspirierten Concertino für Klavier und Orchester (1924) hatte er ihr eines der erfolgreichsten Instrumentalkonzerte des 20. Jahrhunderts gewidmet.
    In der Literatur wird dargestellt, dass diese Ehe auf der Basis des getrennten Wohnens geschlossen worden ist, vermutlich waren die Schwierigkeiten von Clara und Robert Schumann bekannt ...


    Nach »Pacific 231« entstehen 1928/29 die Opern »Judith« und »Antigone«, letztere nach einem Libretto von Jean Cocteau (nach der Tragödie Antigone von Sophokles); bei der Uraufführung in Brüssel konnten Bühnenbilder von Picasso und Kostüme von Coco Chanel bewundert werden.


    Bei dem umfangreichen Œuvre Honeggers, das vom Klavierstück über Sinfonien und Instrumental-Konzerten bis zu Chansons, abendfüllenden Opern und Filmmusiken mehr als 200 Kompositionen zählt, kann man in diesem Rahmen nicht auf alles eingehen.


    Seine Sinfonie Nr. 1 war ein Auftragswerk des Dirigenten Serge Koussevitzky, der schon die Uraufführung von »Pacific 231« geleitet hatte. Mit diesem Auftragswerk sollte das 50-jährige Bestehen des Boston Symphony Orchestra gefeiert werden, die Uraufführung fand im Februar 1931 statt, es ist eine von insgesamt fünf Sinfonien Honeggers.


    Und schon wieder kam ein Auftrag, diesmal von der russischen Tänzerin und Schauspielerin Ida Rubinstein, die als Urahnin der Performance gilt, die Beurteilungen dieser Dame gehen weit auseinander - den einen galt sie als Traumfrau der zwanziger Jahre, Strawinskis Beurteilung war dagegen hart, denn er meinte, dass das die dämlichste Frau der Kunstwelt ist, der er jemals begegnet sei.
    Das Oratorium »Jeanne d’Arc au bûcher«, so der Titel des neuen Werks, zu Deutsch Johanna auf dem Scheiterhaufen, mit einer Aufführungsdauer von etwas mehr als einer Stunde, erlebte seine konzertante Uraufführung im Mai 1938 in Basel. Paul Sacher war der Dirigent, als Jeanne war natürlich Ida Rubinstein zu sehen; die Szenische Aufführung fand 1942 im Stadttheater Zürich statt. Dieses Oratorium wurde während des Krieges in vierzig Städten des unbesetzten Teils Frankreichs aufgeführt und entwickelte sich in der Art eines nationalen Symbolwerkes. Nach der Befreiung Frankreichs von den deutschen Besatzern erweiterte man das Stück um einen Prolog, der Jeanne als Retterin Frankreichs preist.


    Als die Deutschen 1940 in Frankreich einmarschieren, beschließt Honegger in Paris zu bleiben und arbeitet einfach weiter. Honeggers Verhalten im besetzten Paris war seit langem Gegenstand von kontroversen Diskussionen und ist es immer noch. Während Forscher wie Fred Prieberg dem Komponisten Kollaboration mit der deutschen Besatzungsmacht vorwerfen und ihm einige Zusammentreffen mit Deutschen sowie seine Teilnahme an einer propagandistisch ausgerichteten Wien-Reise anlässlich Mozarts 150. Todestages 1941 zur Last legen, nehmen andere Musikwissenschaftler ihn als einen im Exil lebenden Schweizer in Schutz, dessen Status ganz anders als derjenige der Franzosen beurteilt werden müsse. Honeggers Stellung als Schweizer im besetzten Paris ist also äußerst unklar und lässt vielfältige Interpretationen zu.


    Honeggers 2. Symphonie ist Paul Sacher gewidmet, welcher die Uraufführung am 18. Mai 1942 mit dem Zürcher Collegium Musicum in Zürich leitete.
    Die Kritik der Nachkriegszeit beschreibt dieses Stück meist als eine Darstellung des Elends, der Gewalt und der Depression in Paris während der ersten Jahre der Besatzung, eine Rezension von 1947 beschrieb das Werk als »geboren in der apokalyptischen Stunde am brennenden Rand des Todes«. Honegger bestand darauf, dass diese Interpretationen falsch sind; Die einzigen äußeren Einflüsse, die er einräumte, waren, dass es während des Komponierens sehr kalt war ...


    Honeggers persönliches Wirken war nicht auf Frankreich und die Schweiz beschränkt, so war er zum Beispiel auch zu Vortragsreisen in den USA und Südamerika und erfuhr im Laufe seines Lebens eine Menge an Ehrungen und Auszeichnungen. Die Universität Zürich ehrte ihn mit der Ehrendoktorwürde und eine schweizer Banknote und eine deutsche Briefmarke zeigen sein Porträt. Frankreich ernannte ihn zum Großoffizier der Ehrenlegion ...


    Schon zwei Jahre vor seinem Tod komponiert der Meister nicht mehr, und lebt zurückgezogen am Fuße des Hügels von Montmartre in einer Wohnung im dritten Stock.
    Obwohl Honegger schon 1955 dort an einem Herzschlag starb und YouTube und ähnliche Musikzapfstellen nicht kennen konnte, sagte er damals schon:


    »Es wird eben viel zu viel Musik gemacht, viel zu viel Musik gespielt. Besonders jetzt mit dem Radio, wo man einen Knopf aufdrehen kann, und man hört die ganze Zeit Musik. […] Das geht von morgens bis abends durch, und die Leute gewöhnen sich nach und nach an diesen Lärm. Schon jetzt weiß ich von vielen jungen Leuten, Studenten usw., dass die alle ihre Aufgaben erledigen, während das Radio nebenher läuft. Also ist die Musik, was es auch sei, ein Meisterwerk oder Tingeltangel-Musik, eine Begleitung zur ernsten Sache, die man nicht mehr anhört«.


    Zum Ende seines Lebens hin, sah Arthur Honegger die Entwicklung in der Musik zunehmend kritisch, was sicher auch mit seinem gesundheitlichen Zerfall zusammenhängt, aber auch mit einem generellen Pessimismus hinsichtlich der Zukunftsaussichten der Musikkultur. Deren Ende müsse man, so sagte er in einem seiner letzten Gespräche, mit klarem Auge wie dem Tode entgegensehen.
    Bei Honeggers Beisetzungsfeier hielt Jean Cocteau als Repräsentant des «Groupe des Six» eine Gedenkrede.


    Praktische Hinweise:
    Das Grab findet man auf dem Cimetière Saint-Vincent am Montmartre in Paris. Der Zugang zu dem kleinen Friedhof befindet sich an der Rue Lucien Galard und ist sowohl vom Cimetière de Montmartre als auch von Sacré-Cœur aus fußläufig leicht zu erreichen.



    Das Grab von Arthur Honegger findet man nur 15 Meter vom Eingang entfernt, gleich rechts an dem Sträßchen - im Hintergrund ist ein bisschen von Sacré-Cœur zu sehen.

  • Leitner war auch an der "Neuen" Alten Musik intensiv beteiligt. Er war z.B. ständiger Dirigent der Cappella Coloniensis des WDR. Ich habe noch einige Aufnahmen von ihm, meist Telemann-Ouvertüren.

    Schönheit lässt sich gerne lieben...

    (Andreas Hammerschmidt,1611-1675)

  • Fast fünfzig Jahre stand er vor dem Concertgebouw-Orchester, und auch anderen großen Klangkörpern, ohne großes künstlerisches Können kann so etwas nicht funktionieren. Wenn man dazu noch bedenkt, dass er schon 1945 den Taktstock beiseitelegen musste, ist das eine große Lebensleistung als hervorragender Musiker.
    1926 machte er die erste seiner über 90 Aufnahmen mit dem Concertgebouw-Orchester und ist heute immer noch auf dem Tonträgermarkt präsent.





    Zum heutigen Todestag von Willem Mengelberg


    Willem Mengelberg wurde am 28. März 1871 in Utrecht geboren; seine familiären Wurzeln reichen nach Deutschland, sein Großvater war Dombaumeister in Köln und später dann in Utrecht, wo die Familie lebte. Willems beide Eltern waren Deutsche, die zwei Jahre vor seiner Geburt von Köln aus in das gut 200 Kilometer entfernte Utrecht zogen und ein Atelier zur Herstellung sakraler Kunst gründeten. Joseph Wilhelm, so der Taufname, war das vierte Kind seiner Eltern, man kann von Kinderreichtum sprechen, denn er hatte 15 Geschwister. Allgemeine künstlerisch-handwerkliche Anlagen lassen sich in der Familie des Vaters und der Mutter nachweisen, die Liste ihrer geschaffenen Sakralkunst ist beachtlich. Dass in der Familie eifrig musiziert wurde ist nicht überliefert, aber eine Internetquelle sagt, dass die Mutter eine hervorragende Pianistin gewesen sei und der junge Mann recht früh Klavierunterricht erhalten habe und in einem Knabenchor gesungen hat; außerdem soll Willem seit seiner frühen Jugend für häusliche Anlässe komponiert haben und es wird dargestellt, dass Willems Eltern im Laufe der Zeit sahen, dass eine musikalische Ausbildung ihres Sprösslings unausweichlich war.


    Seine Ausbildung erfolgte am Konservatorium in Köln, und so wie er deutsche Wurzeln von den Eltern her hatte, hatten seine Lehrkräfte ihre Wurzeln bei musikalischer Prominenz. Im Hauptfach studierte er Klavier bei Isidor Seiss, der wiederum von Friedrich Wieck, also dem Vater von Clara Schumann, ausgebildet worden war. Die Fächer Komposition und Dirigieren erlernte er bei dem Komponisten und Dirigenten Prof. Franz Wüllner, der seine musikalische Ausbildung bei einem Freund Beethovens absolviert hatte. Mengelbergs Abschlusszeugnis war in allen Fächern glänzend, zeigte aber eher in die Richtung einer Pianistenkarriere.
    Während seiner Studienzeit wohnte Mengelberg einigen Strauss-Konzerten bei. Als Strauss in Köln »Don Juan« probte, bekam der Spieler des Glockenspiels seinen Part nicht in den Griff, Strauss wurde deswegen nervös und Mengelberg sprang, auf den Wink seines Lehrers hin, ein. Die Sache klappte nun zur Zufriedenheit von Strauss, aber nur bei der Probe, abends griff Mengelberg daneben ...
    Später fand man in Mengelbergs Nachlass mehr als vierzig Schriftstücke an Korrespondenz von Richard Strauss, sogar ein Telegramm war dabei, in welchem er Mengelberg eine schöne Villa, direkt neben seiner offerierte.


    1892 bot sich Mengelberg in Luzern ein weites Betätigungsfeld als Chor- und Orchesterleiter, das Leiten einer Musikschule und dem erteilen von Klavierunterricht. Das Dirigieren von Orchesterkonzerten überstürzte er nicht, es soll sich zunächst auf Dirigate, die er etwa einmal im Monat absolvierte, beschränkt haben. Bei dieser Tätigkeit entdeckte er Wissenslücken bei sich, indem er feststellte, dass es ihm nicht möglich war einige Instrumente vorspielen zu können; diesbezüglich war er von Lehrern umgeben, also nahm er bei seinen Orchestermusikern in der Handhabung der verschiedenen Instrumente Unterricht.
    Als Mengelberg dann später ein weltberühmter Dirigent geworden war, hatte er1938 seinen einzigen Auftritt bei den Internationalen Festwochen Luzern.


    Nun ergab sich 1895 in Amsterdam die Situation, dass sich Willem Kes, der Dirigent des Concertgebouw-Orchesters, verbessern konnte und diese Stelle vakant wurde. Das Orchester war 1888 gegründet und unter Kes bis dahin ordentlich geführt worden. Mengelberg kam nicht als Stardirigent nach Amsterdam, sondern als junger Mann von 24 Jahren, der gerade einmal seine ersten Erfahrungen als Kopf eines Orchesters gemacht hatte. Natürlich musste man sich erst aneinander gewöhnen und es liegt in der Natur der Sache, dass man Partituren unterschiedlich lesen kann. Der noch junge Mengelberg war klug genug, auch mal bei seinem alten Lehrer Wüllner nachzufragen, wenn es schwierig wurde.
    Aber mit der Zeit gewann seine Arbeit ein gewisses Ansehen und sein Bekanntheitsgrad wuchs; es kamen erste Anfragen für Gastauftritte. Das erste Auslandsgastspiel, das Mengelberg mit dem Concertgebouw-Orchesters absolvierte, und 1898 in Bergen stattfand, war auf Einladung von Edvard Grieg zustande gekommen. 1903 nahm das Orchester in London an einem Strauss-Festival teil, das Mengelberg großes Lob der Presse einbrachte, und wenn etwas in der Zeitung steht, spricht es sich herum; im November 1905 fragte man an, ob er in New York das Orchester der Philharmonic Society leiten wolle. »Ein Heldenleben« stand auf dem Programm, ein Stück, das ihm Meister Strauss gewidmet hatte. Auch hier war man des Lobes voll, ein Kritiker war sogar der Meinung, dass Mengelberg das Stück besser rüber gebracht habe als Strauss selbst. Wer an bekannten Musikzentren so gelobt wird, dem steht die Welt offen. In der »Sammlung« fehlte noch Paris, das dann 1907 in den Genuss Mengelbergscher Töne kam. Im gleichen Jahr heuerte er auch noch bei der Frankfurter Museumsgesellschaft an. Es folgten Dirigate an vielen europäischen Städten, einschließlich Moskau und St. Petersburg. Die New Yorker unternahmen gar den Versuch Mengelberg ganz für sich zu gewinnen. Ab 1921 bis 1930 weilte er fast die Hälfte der Konzertsaison in New York. Das New York Philharmonic Orchestra und das National Symphonie Orchestra taten sich Anfang der 1920er Jahre zusammen. Schließlich tauchte 1927 auch Toscanini bei diesem Orchester auf, der ja von Mengelberg nicht viel hielt, da war Abneigung und Rivalität.


    Bis dahin liest sich diese Aneinanderreihung von Erfolgen recht gut, aber da war nicht nur Friede, Freude, Eierkuchen, denn um Mengelberg gab es in früheren Jahren Dissonanzen in Amsterdam. Als 1903 Mengelberg in jugendlicher Begeisterung Gustav Mahler als »Beethoven unserer Zeit« feierte, teilte kaum jemand diese Meinung, ein Direktoriumsmitglied drohte mit Rücktritt, wenn der Kerl - gemeint war Mahler - hier noch einmal auftaucht. Mengelberg und Mahler verstanden sich wunderbar, also tauchte Mahler im Januar und Februar 1904 wieder auf, um seine erste Sinfonie zu dirigieren; wie berichtet wird, verließen die meisten Zuhörer den Saal.
    Es dürfte wohl nicht alleine an den Mahler-Konzerten gelegen haben, dass sich in diesen Jahren die Stimmung im Spannungsfeld »Mengelberg - Orchester - Vorstand« verdunkelte, es gab eine große Opposition der Orchestermusiker aber auch einige, die auf Mengelbergs Kurs waren. Im Laufe der vergangenen Jahre war die Zusammenarbeit zwischen Mengelberg, der so langsam zum »Halbgott« heranreifte, und seinen Musikern zunehmend schwieriger geworden. Man warf dem Dirigenten Arroganz vor, und dass seine Proben unerträglich seien, einen besonders heftigen Zwist gab es zwischen dem Solocellisten Isaak Mossel und Mengelberg. Der zweite Dirigent, André Spoor, trat zurück. Die Tagespresse beobachtete die Auffälligkeit, dass jüdische Musiker auf Initiative von Mengelberg entlassen wurden, die als prominente Orchestermitglieder galten und bei Konzerten die ersten Partys spielten und in den Presseberichten immer wieder Beifall erhielten. Es war ein harter Kampf in dessen Verlauf Mengelberg den Rücktritt von etwa einem Drittel der Orchestermusiker erzwingen konnte. Auch Mahler hatte Kenntnis von den Querelen in Amsterdam und bot seine Hilfe bei der Suche nach adäquaten Ersatzmusikern an. Natürlich hätte man auch dem Orchesterleiter den Stuhl vor die Tür setzen können, aber man war sich schon bewusst, dass Mengelberg sowohl Ruhm als auch Geld nach Amsterdam gebracht hatte.


    1920 war Willem Mengelberg seit 25 Jahren mit dem Orchester zusammen, die Planungen zu diesem Jubiläum liefen 1919 an, es wurde ein Mahler-Mengelberg Festival mit viel künstlerischer und sonstiger Prominenz und Jan Toorop fertigte sogar ein Porträt des Jubilars.
    In einem Cyclus von neun Konzerten wurden im Mai 1920 sämtliche Werke Gustav Mahlers aufgeführt. Ein Pariser Musikjournalist gab dem Festival den Beinamen »Amsterdamer Friedenskonferenz« - man sollte darauf hinweisen, dass erst 1918 ein schrecklicher Krieg zu Ende gegangen war, so galt es neben all den hochrangigen künstlerischen Darbietungen auch als ein großes Ereignis, wenn sich der Pariser Komponist Florent Schmitt und Hermann Abendroth zum ersten Mal nach 1914 die Hände schüttelten.


    Gustav Mahler kam nun öfter nach Amsterdam und es hatte sich so eingespielt, dass Mahler nicht im Hotel, sondern bei den Mengelbergs in der Van Eeghenstraat 107 wohnte. In diesen Jahren war Willem Mengelberg zum Idol der Niederländer geworden, der mit Orden und Ehrbezeigungen geradezu überschüttet wurde, natürlich war er auch Ehrendoktor und Professor geworden. All diese Verehrungen galten seiner künstlerischen Leistung, die er stets erbrachte, wozu auch die jährliche Aufführung von Bachs »Matthäus-Passion« gehört, die er erstmals am Palmsonntag 1899 aufführte.


    Zeitgenössische Komponisten wie zum Beispiel Béla Bartók, Zoltán Kodály, Ernst Krenek, Franz Schrecker ... waren ihm nicht besonders ans Herz gewachsen. Dennoch sah er durchaus seine Verantwortung, dem Publikum auch die Musik eines Igor Strawinsky anzubieten; so schrieb er einmal an seinen Dirigier-Assistenten Cornelis Dopper:


    »Sie haben wohl recht, daß die Musik Strawinskys im Konzertsaal fehl am Platze ist. Aber die Farbe, die moderne Technik - die Idee, daß die Leute auch S. bei uns hören können - das muß von uns wohlerwogen werden, und ich bin der Meinung, daß wir das anbieten müssen. Natürlich können und müssen wir sogar eine Auswahl aus den verschiedenen Stücken treffen.«


    Ging es bisher primär um Musik und zwischenmenschliche Dinge, kommt nun noch die Politik hinzu und beide sind in dieser Zeit eng miteinander verwoben und wurden und werden mehr oder weniger heiß diskutiert. Wie bereits dargestellt, war Willem Mengelberg noch in den 1930er Jahren in den Niederlanden eine fast alles überstrahlende Figur.
    Als am 10. Mai 1940 die deutsche Wehrmacht mit ihrem Überfall die lange Neutralität der Niederlande beendete, hatte sich auch für Mengelberg eine neue Situation ergeben.
    Am 10. Juli 1940 erschien in »De Telegraaf« ein Artikel, der den populären Dirigenten mit einem Schlag seines Glanzes beraubte.
    Natürlich waren die meisten Niederländer bitterböse und zornig, als sie Bilder, die während eines Gastspiels Mengelbergs im Deutschen Reich entstanden waren, sahen, die ihren Star-Dirigenten mit Hitlergruß und Sektglas im Kreis der neuen Herrscher zeigten.


    Ansonsten setzte Mengelberg seine Konzerttätigkeit unvermindert fort, setzte im Herbst 1940 ungerührt und zum Zorn des Reichskommissars Gustav Mahlers Musik auf sein Programm und holte noch 1944 (!) von höchster Stelle die Erlaubnis ein, Werke des feindlichen Komponisten Tschaikowsky aufführen zu dürfen
    Und er intervenierte bei der deutschen Besatzungsmacht: Er half dem jüdischen Geiger Carl Flesch, dem Flötisten Hubert Bahrwahser, der Pianistin Sara Bosmans-Benedicts ... - aber es hat den Anschein, dass er ob all dieses Unrechts, das ständig rings um ihn geschah, keine Stellung bezog; er hat die Nähe zur Macht nicht unbedingt gesucht, aber genutzt.


    Ein Ehrengericht für Musik 1945 und das zentrale Ehrengericht für Kunst stellte zunächst fest, dass Mengelberg nie mehr in den Niederlanden dirigieren darf. Nach einem Berufungsverfahren im Mai 1947 wurde das Urteil dahingehend abgemildert, dass man, ab 1945 geltend, ein Verbot für sechs Jahre aussprach, der erhoffte Freispruch war nicht drin. Auf königlichen Beschluss wurde ihm auch die früher verliehene Ehrenmedaille für Künste und Wissenschaften in Gold aberkannt.
    Der aus dem Verkehr gezogene Dirigent verbrachte seine ihm noch verbleibende Zeit verbittert, alt und kränklich in seiner »Chasa Mengelberg« im Schweizer Unterengadin, oberhalb von Sent gelegen, auf einer Höhe von etwa 1700 Metern, fast am »Ende der Welt«
    1911 hatte er Zuort, diesen kleinen Flecken, der ihm dann als Rückzugs- und Erholungsort diente, wo er aber auch mal gerne Gäste empfing, entdeckt. Von den Eltern her war ja einiges an gestalterischem Talent vorhanden, und so entwarf Mengelberg sein Haus selbst. Ab 1914 konnte man Gäste empfangen, aber der etappenweise fortschreitende Bau war dann erst 1922 in seiner jetzigen Form fertiggestellt.
    Die Gästeliste ist beachtlich und gespickt mit Berühmtheiten aus der Musikwelt wie zum Beispiel: Fritz Kreisler, Richard Strauss, Walter Gieseking, Paul Hindemith und CaselIa


    Noch während des Krieges, 1943, starb seine um vier Jahre jüngere Frau Mathilde, was ihn schwer traf; 1889 hatten sich die beiden kennengelernt, im Sommer 1900 war die Hochzeit und ihre Hochzeitsreise ging in die Schweiz.
    In seinem Testament hatte Willem Mengelberg festgelegt, dass nach seinem Tode die Chasa für »Musiker aller Welt» offen stehen sollte, damit sie hier - wie er es selbst so gerne getan hatte - ihren Urlaub verbringen können.
    Das hatte viele Jahre so Bestand, erst in den letzten Jahren ergab sich hier eine andere Situation, aber die Idylle soll nicht angetastet werden, alles besteht aktuell noch so wie es zu Lebzeiten Mengelbergs war.


    Am 22. März 1951, eine Woche vor seinem 80. Geburtstag und zwei Monate vor dem Ende des verkürzten Auftrittsverbots, starb Willem Mengelberg.
    Adriaan van Woudenberg, der 42 Jahre lang Hornist des Concertgebouw-Orchesters war, schreibt dazu:


    »Unter der ansässigen Bevölkerung war er sehr beliebt gewesen. So wurde er auch unter dem Geläut der Kirchenglocken von Vna, Ramosch und Sent von den Bewohnern dieser Orte nach Scuol geleitet, von wo er zu seiner letzten Ruhestätte in Luzern gebracht wurde.«


    Zum 50. Todestag von Willem Mengelberg besuchte auch Riccardo Chailly, der damalige Chefdirigent des Concertgebouw-Orchesters, das Grab im Friedenthal. Im Gedenkkonzert spielte das Amsterdamer Orchester unter seiner Leitung Mahlers Auferstehungs-Sinfonie.



    Der Haupteingang zum Friedhof in Luzern - hier geht es rechts >



    Bezeichnung des Grabfeldes


    Praktische Hinweise:
    Friedentalstraße 60, 6004 Luzern, Schweiz
    Vor dem Haupteingang stehend, befindet sich rechts ein schmaler Zipfel des Friedhofsgeländes. Hier benutzt man den linken Weg und kommt an künstlerisch gestalteten Wänden der alten Gräberhalle vorbei. Ziemlich am Ende findet man auf einem Grünstreifen links des Weges Mengelbergs Grab im Gräberfeld 36, das jetzt ein Ehrengrab ist. Eine kürzere Wegstrecke bietet sich an, wenn man vom neuen jüdischen Friedhof an der Sedelstraße kommt, dann ist das Grab rechts des Weges.

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  • Zum 100. Todestag von Claude Debussy



    Er war der Erstgeborene, vier weitere Geschwister folgten. Die Eltern betrieben dort draußen, weit vom Stadtkern Paris entfernt, ein Steingut- und Porzellangeschäft, womit sich kein Reichtum erwirtschaften ließ, der Vater gab den Laden auf und zog mit seiner Familie nach Paris, wo er dann seinen Lebensunterhalt als Buchhalter verdiente. Getauft wurde das Kind erstaunlicherweise erst als Zweijähriger, was damals recht selten vorkam, sein Name war ursprünglich Achille-Claude Debussy, aber sein Vater war eigentlich der angriffslustige Held, der, als der Knabe noch keine zehn Jahre alt war, bei der Pariser Kommune kämpfte, was ihm dann vier Jahre Haft einbrachte.
    Biografen stellten beim Überblick über Debussys Leben fest, dass er in seiner Familie so eine Art Kuckucksei war.
    Die als dominant beschriebene Mutter war der Ansicht, dass es einer Schule nicht bedurfte und brachte ihrem Ältesten Lesen, Schreiben, Rechnen und die anderen schulischen Dinge in einer Art »Ohrfeigen-Pädagogik« selbst bei, das Ergebnis war entsprechend, die so entstandenen Wissenslücken konnte er zeitlebens nicht schließen, obwohl er als Erwachsener Anstrengungen dazu unternahm.
    Vom Elternhaus her sind lediglich passive Musikstudien bekannt, der Vater liebte Operetten und nahm seinen Sohn einige Male zu solchen Veranstaltungen mit.


    Aber obwohl die Familie unkünstlerisch ausgerichtet war, hatten die Eltern mitbekommen, dass ihr Junge von Leuten höherer Kultur als musikalisch begabtes Kind gesehen wurde. Diese Zeit produzierte eine Menge »Wunderkinder« und Debussys Eltern hatten so viel Phantasie, dass sie sich vorstellen konnten, dass sie durch ihren Nachwuchs zu Ansehen, Geld und Ruhm gelangen könnten. Aber die typische »Wunderkind-Karriere« war es dann nicht, denn Achille-Claude war in Kreisen aufgefallen, die etwas von Musik verstanden.
    Jetzt tritt Madame Mauté de Fleurville auf den Plan, die nach den Angaben ihrer Tochter eine Chopin-Schülerin gewesen sein soll. Es ist wohl müßig, das auf den Wahrheitsgehalt zu überprüfen, denn dass Madame Mauté de Fleurville etwas vom Klavierspiel verstand, ist durch Debussy selbst überliefert, der meinte: »Das bisschen Klavierspielen, das ich kann, verdanke ich ihr.« und er bestand darauf, dass er das Wesentliche über Musik von ihr und nicht am Konservatorium gelernt hat.
    Für eine große Pianistenkarriere hat es dann aber nicht gereicht, vermutlich strebte er diese auch nicht an. Madame Mauté de Fleurville verfügte über Verbindungen zu höchsten Kulturkreisen, wenn man das in der Rückschau betrachtet, denn ihre Tochter Mathilde hatte sich in Paul Verlaine verguckt und den Dichter geheiratet, aber in dieser Ehe ging es keineswegs kultiviert zu, da wurde schon mal mit dem Messer hantiert oder aus der Pistole geschossen, Verlaine war ein äußerst exzentrischer Dichter; dass dies hier angesprochen wird, resultiert daraus, dass Debussy den in seinem Schaffen wichtigen Liedzyklus »Ariettes oubiées« und viele andere Texte dieses Dichters vertonte.
    Bei Madame Mauté de Fleurville hatte der Knabe das Klavierspiel so gut erlernt, dass der Aufnahme ins Pariser Konservatorium nichts im Wege stand, obwohl er noch im Kindesalter war; Debussy war gerade mal 11 Jahre alt. Sein äußeres Erscheinungsbild wird nicht sehr positiv beschrieben, »ein dicker Junge in kurzen Samthosen, tollpatschig, seltsam und verschlossen« - so stellt es ein Zeitgenosse dar. Sein Klavierlehrer am Konservatorium, Francois Marmontel, galt als Koryphäe. Bei seinen Mitschülern erfreut sich Debussy keiner großen Beliebtheit, wenn man einmal von Gabriel Pierné absieht, zu dem sich eine gewisse Freundschaft entwickelt.
    Dieser erinnert sich an die gemeinsame Zeit bezüglich des Klavierspiels seines Kommilitonen: »Er schien wie von einer Wut gegen das Instrument gepackt, traktierte es mit impulsiven Gesten, und atmete laut bei schwierigen Passagen.«


    Am Konservatorium gilt der Junge mit seinen komischen Ansichten schon etwas als Problemfall; da er nie eine reguläre Schule besucht hatte, mochte er sich nicht so recht daran gewöhnen, dass es hier Regeln und Vorschriften gab und konnte überhaupt keinen Sinn in Prüfungen und Diplomen erkennen. Sein Klavierlehrer meinte einmal: »Debussy liebt die Musik mehr als das Klavier.« Debussys Respekt vor großen Namen hielt sich in Grenzen, so bezeichnete er - längst dem Konservatorium entwachsen - Beethoven zum Beispiel als »Genie ohne Geschmack«, wobei er - in einem Zeitungsartikel von 1904 - das ganze Drumherum bei der Aufführung von Beethovens 9. Sinfonie attackierte und das Werk mit der »Mona Liesa« verglich. Damals, am Konservatorium, waren die Hausgötter der Klavierklasse Chopin und Schumann.
    Aber sein Freund berichtet auch seine Beobachtung, dass Debussy bereits im Teenager-Alter einen Hang zum Exklusiven an den Tag legte, was schon bei der Herstellung eines Spiegeleis und anderen alltäglichen Verrichtungen zum Ausdruck kam.
    Auch jenseits des Spiegeleis strebte Debussy nach Exklusivität und bemerkt, dass dazu auch Geld notwendig ist. Da traf es sich gut, dass eine russische musikbegeisterte Dame, Nadeshda von Merk, auf den jungen Studenten aufmerksam gemacht worden war und ihn im Sommer 1880 für ihre Reise in die Schweiz als Musiklehrer für ihre Kinder verpflichtete und auch am vierhändigen Klavierspiel mit ihm interessiert war, Debussy war zu diesem Zeitpunkt 18 Jahre alt, flunkerte aber und machte sich etwas älter. Mit dieser vermögenden Dame reisten auch fünf ihrer insgesamt elf Kinder, ein Geiger und eine beachtliche Anzahl Bediensteter. Der Hausmusikus reiste nun mit diesem Tross durch die Lande und war mit ihr in der Schweiz und Italien und sogar auf ihren Gütern, die sie in Russland besaß.
    Und wieder hat Debussy Kontakt mit der großen Kultur, denn seine Klavierpartnerin ist Musikwissenschaftlern als Brieffreundin und Mäzenin Tschaikowskys bekannt.
    Sonja, eine der Merk-Töchter, fand der junge Debussy so attraktiv, dass er 1882 in Wien um ihre Hand anhielt - man hatte in der Staatsoper gerade »Tristan« unter Hans Richter gehört - damit hatte er keinen Erfolg, das Engagement bei den Merks fand sein Ende.


    Bei der ganzen Herumreiserei, hatte er nicht nur viel gesehen, sondern war mit einem Lebensstil infiziert, den er auch in Paris pflegen wollte, er gab den Dandy, Cafés standen ihm näher als das Konservatorium. Geld floss ihm reichlich zu, weil er zu einem »Musiksklaven« der reichen Pariser Damen geworden war. Gegen ein entsprechend üppiges Honorar soll er sogar einmal in einem dieser Salons den ganzen ersten Akt aus »Parsifal« gesungen haben


    Anfang der1880er Jahre tritt die damals 30-jährige Madame Marie-Blance Vasnier, die auch über gutes Stimmpotenzial verfügte, ins Leben von Debussy; eine weitere gutbetuchte Dame der Pariser Gesellschaft, die mit einem wesentlich älterer Mann, einem Architekten, verheiratet war. Das Ehepaar schob den jungen Mann nach vorne, möbelte seine Allgemeinbildung etwas auf und gab ihm literarische Tipps. Im Rahmen dieser musikalischen Zusammenarbeit entstanden etwa 40 Lieder, auch der Lied-Zyklus »Fêtes galantes« auf Gedichte von Paul Verlaine. Der Erstfassung dieser Lieder fügte er eine Widmung hinzu, die für sich spricht:
    »Für Madame Vasnier diese Lieder, die nur durch sie leben und die ihre Anmut verlieren müssten, sollten sie jemals nicht mehr ihrem melodischen Feenmund entströmen.«
    Debussy hat immer wieder Lieder komponiert; vom frühesten erhaltenen Jugendlied »Madrid«, das er als 18-Jähriger für seine Studienfreunde schrieb bis zu dem Weihnachtslied »Für Kinder, die kein Zuhause mehr haben«, seinem letzten Lied, das er im Ersten Weltkrieg auf einen eigenen Text komponierte. Dazwischen liegen Welten. 101 Lieder für Stimme und Klavier.


    In dem Ehepaar Pierre und Marie-Blance Vasnier hatte er so eine Art Ersatzeltern gefunden und insbesondere Monsieur Vasnier drängte darauf, dass der langjährige Musikstudent etwas für sein Weiterkommen tat. Als Gipfel einer erfolgreichen Studienzeit galt in Paris immer noch die Erringung des »Prix de Rome«; aber das Procedere, das dahin führte, entsprach in keiner Weise dem was sich Debussy unter Musik vorstellte; er musste auch einige Probeläufe machen, bis er über alle Stöckchen sprang, die man ihm hinhielt ...
    Er reiste nun im Januar 1885 mit wenig Enthusiasmus in die Heilige Stadt und empfand den Aufenthalt in der Villa Medici als »Zwangsarbeit«. Nach zwei Jahren brach er diese Exkursion vorzeitig ab. Dieses Rom-Stipendium war ja keine rein Touristische Veranstaltung, die Stipendiaten sollten in der Villa frei arbeiten können und etwas Vorzeigbares nach Hause bringen. Debussys Arbeitsergebnis konnte die Herren der Académie nicht begeistern und sie notierten:
    »Wir bemerken mit Bedauern, dass dieser Stipendiat sich derzeit ausschließlich damit zu beschäftigen scheint, Merkwürdiges, Bizarres, Unverständliches und nicht Aufführbares zu schaffen«.
    Claude, von seinen zweiten Vornamen verabschiedete er sich um diese Zeit, wohnte zwar offiziell noch bei seinen Eltern (damals Rue de Berlin, heute Rue de Liège), aber er hatte sich mit Gaby (Gabrielle Dupont) zusammengetan und hauste in einer Dachwohnung, die spärlich möbliert war, aber immerhin über einen geliehenen Pleyel-Flügel verfügte. Bei Gaby handelte es sich um die erste längerfristige Beziehung zu einer Frau.


    Wie viele andere kulturbeflissene Franzosen auch, Saint-Saens war gleich bei den ersten, so reist auch Debussy 1888 nach Bayreuth und gleich im Jahr drauf nochmal, es hatte sich der Begriff »Wagnérisme« gebildet.
    Und wie könnte es auch anders sein, Debussy sah das Ganze zwiespältig. Einerseits konnte er sich dieser Musik Wagners nicht entziehen - Kennern der Materie blieb es nicht verborgen, dass immer mal wieder Spurelemente aus Bayreuth auch in Debussys Werken zu finden sind - »Parsifal« ist für ihn ein beeindruckendes und nachhaltiges Erlebnis. Andererseits ist ihm der ganze Verehrungskult mehr als suspekt.
    Wenig später, 1890, übergab ihm der Dichter Catulle Mendés das Libretto zu »Rodrigue et Chiméne«, daraus sollte eine Oper werden, Debussy wurde mit diesem Stoff nicht glücklich, brach die Arbeit ab und behauptete, dass seine Aufzeichnungen versehentlich verbrannt wurden. Dennoch war das Werk so weit gediehen, dass man Jahrzehnte später die Fragmente, die man fand, zusammenklaubte und die Oper am 14. Mai 1993 in Lyon zur Uraufführung brachte.


    »La damoiselle élue«, eine Kantate, die zu Teilen schon während Debussys Romaufenthalt entstand, gelangte zum ersten Mal im April 1893 zur Aufführung und wurde positiv aufgenommen.


    Nun hatte Debussy an Maurice Maeterlincks Stück »Pelléas et Mélisande« Gefallen gefunden und beschlossen daraus eine Oper zu machen, seit 1892 schrieb er an dieser Oper, zweifelte an seiner Arbeit, legte immer mal wieder Pausen ein, den Text richtete er selbst ein, die Uraufführung erfolgte dann endlich am 30. April 1902 an der Opéra-Comique. In späterer Zeit hat der Komponist diese Oper immer und immer mal wieder modifiziert ...


    Ein weiteres bedeutendes Werk ist die Sinfonische Dichtung »Prélude à l’après-midi d’un faune«, die am 22. Dezember 1894 erstmals in der Sociéte Nationale de Musique in Paris aufgeführt wurde und als Hauptwerk des musikalischen Impressionismus gilt, es ist eine Hinwendung zur modernen Musik. Das Publikum war von der Aufführung angetan, die Fachkritik gespalten.


    Als 1900 Debussys Verleger Georges Hartmann starb, der von Debussy immer und immer wieder vertröstet wurde, war das für Claude Debussy ein schwerer Schlag, weil da bisher immer mal wieder ein bisschen Geld ins Haus kam. Trotz der Erfolge von »La damoiselle élue« und »Prélude à l’après-midi d’un faune«, mussten sich Gaby und Claude mit Gelegenheitskompositionen und Klavierstunden finanziell über Wasser halten. Hartmann, der einstmals große Namen vertreten hatte, war zwischendurch immer mal wieder für einen kleinen Vorschuss gut, obwohl sein Stern längst am Sinken war, jetzt war hier nichts mehr zu erwarten.


    An seinen Symphonischen Skizzen für Orchester, »La Mer«, einem Musterbeispiel des musikalischen Impressionismus, begann Debussy 1903. Als diese Sinfonie, deren Aufführungsdauer etwas mehr als zwanzig Minuten beträgt, im Oktober 1905 in Paris erstmals aufgeführt wurde, verließ das Publikum nach dem Konzert enttäuscht den Saal.
    Der Rezensent Pierre Lalo, schrieb in der Zeitschrift »Le Temps«: »Zum ersten Mal hatte ich beim Anhören eines pittoresken Werkes von Debussy den Eindruck, nicht der Natur gegenüberzustehen, sondern einer Reproduktion der Natur, einer wunderbaren raffinierten, kunstvollen und geschickten Reproduktion, aber eben einer Reproduktion. Das Meer höre ich nicht, sehe ich nicht und spüre ich nicht.« Debussy hatte auf das sonst bei solchen Musikstücken übliche Mittel der Tonmalerei weitgehend verzichtet.
    Offensichtlich hatten anfänglich auch die Musiker des Orchesters Colonne mit diesem Stück und seinen neuartigen Klängen ihre Schwierigkeiten, denn es wird berichtet, dass ein Orchestermitglied bei den Proben aus seinen Noten einen Papierflieger bastelte, der dann zu allgemeinen Erheiterung über den Köpfen schwebte.
    Erst als Debussy ab 1908 begann das Werk selbst zu dirigieren, setzte sich das Stück durch und zählt heute zu den beliebtesten und meist gespielten Werken Debussys.


    Gaby hatte in dem eheähnlichen Verhältnis, das etwa von 1890 bis 1898 währte, die üblichen Haushaltsgepflogenheiten übernommen und das ärmliche Leben mit Claude geteilt. Während all der finanziellen Not besuchte der Meister eifrig die Cafés der Künstler und Literaten und war durchaus auch an Damen interessiert, die seinen Weg kreuzten, wie zum Beispiel die Sängerin und Pianistin Thérése Roger. Als Gaby einen eindeutigen Brief in Claudes Tasche fand, kam es zu einem Drama, Gaby richtete eine Pistole gegen sich selbst, der Schuss hatte jedoch ihrem Leben kein Ende gesetzt, aber das »Petit Journal« berichtete den Vorfall. Gaby wird von den Familien Chausson und Ysaye aufgenommen, der Komponist wendet sich der nächsten Frau zu, die durch Besuche bei den beiden im Hause längst bekannt war, die Dame hieß Lily und man hätte sie für eine Freundin Gabys halten können.


    Claude Debussy hat es eilig, nach all den Turbulenzen eine bürgerliche Ehe einzugehen, es wird überliefert, dass er gedroht habe sich umzubringen, wenn sie ihn nicht heirate. Am 19. Oktober 1899 ist der Hochzeitstermin; vormittags gibt der Bräutigam noch rasch eine Klavierstunde, damit er das Hochzeitsessen bezahlen kann. Lily Texier war ein 26-jähriges Mannequin als sie Claude heiratete, der schon 40 Jahre alt war. Ihre körperlichen Reize sollen außergewöhnlich gewesen sein, aber das war wohl zu wenig, um diese Verbindung auf Dauer stabil zu halten. Die Geldnöte hielten an und die Gattin fuhr dann lieber zu ihrer Familie nach Burgund. Im engeren Freundeskreis wusste man nach einiger Zeit, dass er Liiys überdrüssig war.
    Im Rahmen seiner privaten Unterrichtsstunden, die er des Geldes wegen geben musste, kam er ab 1901 auch in das Haus reicher Leute. Er unterrichte Raoul Bardac, den Sohn einer Bankiersfamilie. Die Mutter seines Schülers hatte als 17-Jährige den Bankier geheiratet, aber während ihrer Ehe hatte es der Geldmann übersehen oder toleriert, dass seine künstleraffine Frau nebenher eine Zweitbeziehung mit Gabriel Fauré unterhielt. Emma Bardac sang Sopran und inspirierte Fauré zu seinem Liederzyklus »La Bonne Chanson«
    Für Raols musikbegeisterte Mutter und dem prominenten Klavierlehrer gab es reichlich fachlichen Gesprächsstoff, der dann einen Übergang zu ganz privaten Dingen ermöglichte, man kam sich immer näher. 1904 kam es dann zum Skandal - Claude Debussy war inzwischen schon eine prominente Person - Debussys rechtmäßig angetrauter Gattin blieb nicht verborgen, dass Claude bei den Bardacs nicht nur Klavier spielte, sie besorgte sich ein Schießeisen (in der Literatur wird wahlweise von Pistole oder Gewehr berichtet) und richtet die Waffe gegen sich selbst. Während einige Jahre vorher Gaby danebengeschossen hatte, traf die Kugel bei diesem Selbstmordversuch; Debussy holte einen Arzt und verschwand, und Chronisten berichten, dass er sie noch nicht mal im Krankenhaus besucht hat.
    Er setzte sich mit Emma schleunigst aus Paris ab, das Paar entfloh auf die Kanalinsel Jersy, wo er dann sein schon 1903 begonnenes berühmtes und technisch schweres Klavierwerk »L'Isle Joyeuse« im Jahre 1904 neu konzipierte.


    Die Scheidungsformalitäten waren schwierig und zogen sich über Jahre dahin, lange vor der Heirat wurde am 30. Oktober 1905 das Töchterchen Claude-Emma geboren, das die beiden Chouchou nannten. Das Kind soll die Werke seines Vaters wunderbar interpretiert haben, starb aber, noch keine 14 Jahre alt, etwa ein Jahr nach ihrem Vater.


    Das alles hatte weitreichende Folgen; viele der ehemaligen Freunde wandten sich zumindest zeitweise ab, andere ganz und für immer. Die schottische Sängerin Mary Garden protestierte gegen sein Verhalten und der Literat Pierre Louys hatte ihm vorgeworfen, er habe sich bloß eine reiche Frau gesucht, um künftig ungestörter sein kostspieliges Künstlerleben führen zu können.


    Erst 1908 hatte Claude Debussy eine amtlich abgesegnete Familie beisammen. Dass er nun im Reichtum schwelgen konnte, war nicht der Fall, Emma konnte von all dem Geld, das da im Hintergrund ihres bisherigen Lebens vorhanden war, nichts Wesentliches in die neue Ehe einbringen. Aber Debussy hatte bis dahin so viele bedeutende Werke geschaffen, dass die Geister der Not nicht wieder kamen
    Zwischen 1904 und 1907 entstanden »Images«, eine Sammlung von Klavierstücken, die dem Klavier neue Ausdrucksmöglichkeiten und Klangfarben erschlossen und seinen impressionistischen Stil noch um eine Stufe höher hoben. Da tauchen bei Freunden der Künste dann schon einmal Assoziationen zu den Bildern von Claude Monet auf, aber die ernüchternde Wahrheit ist, dass Debussy der englischen Malerei näher stand.


    Im Juli 1908 entstand »Children´s Corner«, ein Zyklus, der sechs Stücke mit englischen Titeln umfasst und den der Vater seiner knapp dreijährigen Tochter widmet; im Hause Debussy ist eine englische Gouvernante, eine Miss Dolly, angestellt, die das Kind betreut. Bei der Uraufführung am 18. Dezember 1908 im »Circle musical« in Paris, war der Komponist sehr gespannt, wie diese Stücke beim Publikum ankommen, Debussy konnte zufrieden sein, die Leute hatten seinen Humor herausgehört.
    1912 spielte der Komponist selbst die ganze Suite auf einem Welte-Mignon-Reproduktionsklavier ein.
    Die »Jeux« sind Claude Debussys letztes großes Orchesterwerk und von diesen vielleicht sein am wenigsten bekanntes, eher für Musikwissenschaftler und weniger für das breite Publikum geeignet.
    Sein letztes Werk, das 1917, als der Erste Weltkrieg seinem Ende entgegen tobte, öffentlich aufgeführt wurde, war die »Sonate für Violine und Klavier«, der Klavierpart wurde noch von Debussy gespielt. Eigentlich wollte er insgesamt sechs Sonaten für verschiedene Instrumente schreiben, aber das konnte er nicht mehr in die Tat umsetzen, er war zu schwach geworden und schon seit Jahren schwer erkrankt, was er einerseits nach außen zu verbergen suchte, aber ganz Nahestehenden mitteilte. Über viele Jahre hinweg entwickelte sich schleichend ein Darmkrebs, der eine Operation unbedingt notwendig machte, Morphium soll die Schmerzen lindern. Anfang Dezember 1915 wird Debussy erstmals operiert, Radiumbehandlung soll helfen.


    Während der Krieg um Paris tobte und das deutsche Militär mit weittragenden Geschützen aus mehr als 100 Kilometern auf die Hauptstadt feuerte, lag der Schwerkranke im Sterben. Claude Debussy starb in der Nacht vom 25. zum 26. März 1918, es war kurz vor Mitternacht. Die Beerdigung fand auf dem Pariser Friedhof Pére Lachaise am 28. März statt, es war der Vorabend des Karfreitags. Wohl der Kriegsereignisse wegen, folgten nur etwa zwanzig Menschen dem Sarg. Erst ein Jahr später wurden seine sterblichen Überreste überführt und auf dem Friedhof Passy beigesetzt.



    Auch der nahe Eiffelturm kann der Orientierung dienen




    Das Eingangstor zum Friedhof Passy



    An der Hinweistafel wendet man sich nach links zur Division 14


    Praktische Hinweise:
    Cimetiére de Passy ist ein relativ kleiner Friedhof inmitten der Stadt, der auch sehr einfach zu erreichen ist. Man fährt mit der Metro bis zur Station Trocadéro, quert die Straße und steht schon nach wenigen Schritten vor dem Friedhofstor, das man nicht unbedingt als solches erkennt. Es geht auf diesem Friedhof mitunter recht eng zu und man ruht dicht gedrängt


  • Zum heutigen Geburtstag von Georg Maikl


    Georg Maikl stammt aus einer sangesfrohen Familie, sein Vater war ein bekannter Tiroler Jodler und auch Sohn Georg jodelte mit, offenbar zog die Gruppe durch die Lande, denn der als Talentsucher begnadete Hamburger Theaterdirektor Bernhard Pollini soll Georg Maikl in einer Jodler-Gruppe in Prag entdeckt haben. Vermutlich hatte Pollini bei dem jungen Maikl viel stimmliches Potenzial gehört, denn er bot ihm einen Zehn-Jahresvertrag für die Hamburger Oper an. Da Pollini jedoch im November 1897 starb, war dieser Vertrag gegenstandslos geworden.
    In Wikipedia und anderen Veröffentlichungen ist zwar zu lesen, dass Pollini Georg Maikl 1899 in Prag entdeckt habe, aber das ist nach der Faktenlage wohl nicht möglich ...


    Seine sängerische Ausbildung hatte Maikl von dem Stuttgarter Bariton Anton Hromada - auch da ist im Internet zu lesen, dass Hromada Tenor war - erhalten, der wiederum ein Schüler von Stockhausen war und auch bei Lamberti in Mailand studiert hatte. Hromada gilt als eine in ganz Deutschland bekannte Sängerpersönlichkeit; er unterrichtete auch als Gesangslehrer am Stuttgarter Konservatorium.


    Georg Maikl war ein lyrischer Tenor, und als solcher hatte er 1899 an der Mannheimer Hofoper sein Debüt als Tamino in der »Zauberflöte«. Er muss in Mannheim große Erfolge gehabt haben, denn das Archiv der Wiener Staatsoper verzeichnet einen ersten Auftritt dort in »Zar und Zimmermann« in der Rolle des Chateauneuf am Samstag, 7. November 1903.
    In diesen Zeiten hat Maikl dann auch Auftritte in Opern, die man heute kaum noch kennt, wie beispielsweise »Das war ich«, von Leo Blech oder »Der Schneider von Schönau« von Jan Brandts-Buys ...


    Richard Strauss streute im Laufe seines langen Lebens viele Komplimente unter´s Gesangspersonal, meist waren Sängerinnen das Ziel, aber über das Wirken von Georg Maikl soll er einmal gesagt haben: »Maikl ist der pflichttreueste Ensemblesänger überhaupt, der mir begegnet ist.« Die reinen Fakten im Sängerleben des Georg Maikl beweisen, dass Maikls Wirken in Wien fast unglaublich ist, denn er sang an der Wiener Staatsoper vom 7. November 1903 bis zum 9. April 1950! Stand er bei seinem Wiener Debüt als Chateauneuf noch mit dem legendären Wilhelm Hesch, der den van Bett gab, auf der Bühne, waren seine Tenorkollegen in der »Palestrina«-Aufführung im Frühjahr 1950 - wo Maikl als Abdiso mitwirkte - Julius Patzak und Karl Terkal. Über Maikls Auftritte an der Wiener Staatsoper sind die wunderlichsten Zahlen zu lesen, die höchste, die ich lesen konnte war 3062, ich kam nur auf 1693 ... aber was heißt hier »nur«, es ist fast unglaublich, was dieser Mann geleistet hat. Georg Maikl gab zwar auch Gastspiele, natürlich in Salzburg beim Mozartfest und den Salzburger Festspielen, aber auch in Stuttgart, Wiesbaden, Brünn, Prag und an der Komischen Oper Berlin.


    Sein Werdegang an der WSO ist gut an den »Fidelio«-Aufführungen abzulesen: 1904-1929 sang er 78 Mal die Rolle des Jaquino, 1906-1941 war er 22 Mal als Florestan zu hören und 1932-1940 gab er 19 Mal den Ersten Gefangenen.
    Seine zahlenmäßige Paraderolle war der Sänger im »Rosenkavalier«, den die Wiener 192 Mal von ihm hören durften. Diese Superlative an Zahlen sind nur möglich, weil der Mann über längere Zeiträume hinweg praktisch jeden Abend auf der Bühne stand, das ist heute nur schwer vorstellbar. Er war ein Allroundsänger, der fast überall einsetzbar war, wo es einer Tenorstimme bedurfte, aber seine Grenze war das Heldenfach. Ein Mann der an allen großen Musikzentren der Welt sang, war Georg Maikl nicht und auf Tonträgern ist er nur wenig dokumentiert.


    Aber ein Sänger, der über einen Zeitraum von 47 Jahren auf den Brettern der Wiener Staatsoper gestanden und noch 1907 unter dem Dirigat von Gustav Mahler den Belmonte gesungen hat, 1914 in der Uraufführung von Franz Schmidts »Notre Dame« mitwirkte, den Anweisungen des Dirigenten Hans Pfitzner in »Palestrina«-Aufführungen folgte - um nur einige wichtige Veranstaltungen anzusprechen - hat Theatergeschichte geschrieben. An unwahrscheinlich vielen Abenden konnte er durch absolute Bühnenpräsens gefallen, eine rekordverdächtige Leistung.
    Ihm zu Ehren gibt es seit 1954 in Wien eine Maikl-Gasse.


    Liselotte Maikl


    Das gesamte Leben der Familie Maikl ist Theatergeschichte, denn Georg Maikls Frau war Balletttänzerin und die 1925 geborene Tochter trat zunächst in die Fußstapfen ihrer Mutter; im Alter von sieben Jahren trat das Mädchen in die Ballettschule der Wiener Staatsoper ein und wirkte dort als Balletttänzerin, bis das Haus kriegsbedingt geschlossen wurde. Neben dem Ballett hatte Liselotte Maikl auch an der der Wiener Musikakademie bei Kammersängerin Marie Gerhart Gesang studiert und stand sogar noch mit ihrem Vater auf der Bühne.
    Liselotte Maikl sang zunächst einige Jahre am Landestheater Linz und wechselte dann zur Wiener Volksoper, um am 19. Mai 1951 ihr Debüt an der Wiener Staatsoper zu geben, was ihr Vater gerade noch erleben durfte. Auch Liselotte Maikl wurde (1974) - wie ihr Vater - zur Kammersängerin ernannt. Die Liste der WSO weist aus, dass sie dort bei 1204 Aufführungen in 92 Rollen zu hören war, allerdings waren das nie die ganz großen Gestalten der Opernwelt. In ihrer letzten Vorstellung sang sie im Dezember 1978 in »Die Walküre«, wo sie für die Walkürenrufe zuständig war, die weiblichen Stars an diesem Abend waren Ingrid Bjoner, Christa Ludwig und Leonie Rysanek.
    Ihre alten Tage hatte sie in einem Künstlerheim in Baden bei Wien verbracht, wo sie am 10, Dezember 2014 im Alter von 89 Jahren starb.


    Praktischer Hinweis:
    Das Grab befindet sich auf dem Wiener Zentralfriedhof, Gruppe 33A, Reihe 5, Nr. 17
    Vom Haupteingang geht man auf die Alten Arkaden zu und hält sich dort halb links.


    CD-Hinweis



    Erstaunlicherweise gibt es noch Aufnahmen seiner Stimme, die natürlich keinen ungetrübten Hörgenuss bieten, denn die meisten der Aufnahmen sind vor 1910 entstanden. Aber bei allen Unzulänglichkeiten der Aufnahmetechnik, lässt sich die lyrische Schönheit der Stimme zumindest erahnen, zeigt aber auch deutlich ihre Grenzen auf, zum Beispiel in der Gralserzählung. Ein echtes Kuriosum auf dieser CD ist das 16. Stück. Es ertönt die schnarrende Stimme eines Ansagers: »Romanze des Postillon von Lonjumeau, vorgetragen von Herrn Hofopernsänger Georg Maikl ...« dann folgt eine recht eigenwillige Interpretation der ersten Strophe des Chaplou-Liedes, den Rest übernimmt ein Posthorn ... Es ist ein Hineinhören in eine längst versunkene Zeit.

  • Einer der lehrreichsten und wertvollsten Threads im Tamino Klassik Forum, besonders durch die kompetenten ausführlichen Kommentare.
    Herzlichst
    Operus

    Dem kann ich mich wie immer nur anschließen!

    Schönheit lässt sich gerne lieben...

    (Andreas Hammerschmidt,1611-1675)


  • Zum heutigen Geburtstag von Eugen d´Albert




    Als Sohn eines Franzosen und einer Engländerin kam er in Glasgow zur Welt, in eine Welt, die in Glasgow wirtschaftlich etwas aus den Fugen geraten war. Dennoch hatten genügend Leute Lust die damals üblichen Ballhäuser zu besuchen, wo Eugens Vater als Komponist und Kapellmeister für den nötigen Schwung sorgte. Geldsorgen kannte die Familie nicht, der angesehene Vater konnte mit seiner Familie gut leben. Die Mutter war bei Ankunft des Kindes 37 Jahre alt. Im Familienkreis nannte man den Jungen Eugy (Judschi gesprochen). Ansonsten wünschte der Vater, dass zu Hause französisch gesprochen wurde, während Annie d´ Albert darauf bestand mit ihrem Sohn englisch zu sprechen, weil sich ja das Kind in seinem Geburtsland verständlich ausdrücken können müsse. Als schließlich der siebenjährige Knabe ein deutsch-englisches Wörterbuch in die Hände bekam, war es um ihn geschehen, diese Sprache wollte er unbedingt kennen lernen und noch im Kindesalter las er deutsche Bücher, sogar »Faust« soll er gelesen haben.


    Das Kind konnte von der Erbmasse her aus einem überreichen Fundus schöpfen. Eugens aus Italien stammende Vorfahren waren auch Musiker von einiger Bedeutung, seine Großmutter war eine ausgezeichnete Pianistin und sein Vater hatte in Paris eine vorzügliche Ausbildung bei Wilhelm Michael Kalkbrenner genossen.


    Als Eugy in dem Alter war, dass er einen Klavierstuhl erklimmen konnte, versuchte er natürlich das Tun seiner Eltern nachzuahmen, was viele Kinder tun, ohne dass aus ihnen dann musikalische Größen werden. Man darf vermuten, dass der Vater das Geklimpere seines Sprösslings in geordnete Bahnen lenkte, denn als der Zehnjährige erfuhr, dass ein Musikpreis für Kinder ausgeschrieben war, wollte er dabei sein. Als er nun vor der Prüfungskommission die a-Moll-Sonate von Mozart und eigene Kompositionen zu Gehör brachte, war er auch schon Preisträger.


    Die Eltern ahnten, dass hier etwas Außergewöhnliches am Werden war und verlegten ihren Lebensmittelpunkt nach London, denn Eugy hatte eine Freistelle an der »National Training-School for Music« erhalten. Der Unterricht war dort vom Organisatorischen her nicht optimal, weil Arthur Sullivan eher als Star seiner Zeit auftrat, worunter die Unterrichtsplanung litt. Nachdem einige Schüler-Eltern darüber ihren Unmut äußerten kamen neue Lehrer an das Institut. Sein nächster Lehrer hielt alle Unterrichtsstunden exakt ein, fand aber bewundernd alles gut, was d´ Albert machte. Erst als der aus Österreich stammende Klavierlehrer Ernst Pauer in London auftauchte - selbst ein Schüler Czernys - war Eugy ernsthaft gefordert, denn Pauer rügte auch die kleinste Kleinigkeit, wenn nicht absolut exakt gespielt wurde. Pauers Sohn Max, zwei Jahre jünger als Eugy, wurde in der gleichen Klasse unterrichtet und die beiden freundeten sich an. Dass Vater Pauer seinen Sohn mitunter bevorzugte, störte die beiden Jungs nicht weiter.


    Als sich Eugy bei einem weiteren Wettbewerb einen Preis erspielt hatte, wurde das auch in der Presse entsprechend gewürdigt und er durfte zwei Mal Königin Queen Viktoria vorspielen. Dies wurde wiederum vom Adel beobachtet, was dem sich entwickelnden Jungstar Zugang zu diesen Kreisen verschaffte. Seine öffentlichen Auftritte wurden für ihn zur Routine.
    Sein Idol war Richard Wagner, den er aus Klavierauszügen und Partituren spielte und er konnte mit dem Text »Morgendlich leuchtend« etwas anfangen, hatte er doch stets seine Deutsch-Studien betrieben.
    In dieser Lebensphase stellte er manch Herkömmliches in Frage, zerriss auch mal vor den Augen der entsetzten Eltern ein Notenblatt und es kam zum familiären Streit, insbesondere mit dem Vater, der ja schließlich auch eine Menge von Musik verstand. Der Vater beendete den häuslichen Unfrieden damit, dass er seinen 16-jährigen Sohn für ein Jahr zu seinem in Paris lebenden Stiefbruder schickte, der dann die mittlere Phase der Adoleszenz seines Gastes erleben durfte und diesen nach einem Jahr gerne wieder nach London gab.
    Wieder zuhause in London, beschäftigte sich Eugy neben seiner Musik mit Geschichte, Literatur und Sprachen. Dazu kam er mit bedeutenden Künstlern seiner Zeit in Kontakt, wie Anton Rubinstein, Clara Schumann, Max Bruch ... Eine besondere Zusammenarbeit ergab sich mit Hans Richter, der anregte, dass das vom 16-jährigen Eugéne d` Albert komponierte a-Moll-Konzert im Herbst 1881bei einem »Richter-Konzert« von dem jungen Mann selbst vorgestellt wird. In der »Times« erschien eine umfangreiche Kritik, die Eugen d`Albert eine große Zukunft als Komponist und Pianisten vorhersagte.


    Es gab einen großen Abschied von den Eltern - Hans Richter hatte mit diesen ausgehandelt, dass er ihren Jungen mit nach Wien nimmt und Eugy versprach beim Abschied seinen Eltern, dass er ihnen die Kosten erstatten wolle, wenn er erst mal sein eigenes Geld verdienen würde.
    Eugens flegelhafte Anfälle gab es nicht mehr, er fühlte sich bei Familie Richter pudel wohl und bewunderte seinen »Ersatzvater«, der ihn zu den Proben der Philharmoniker mitnahm und ihn mit dem 70-jährigen Franz Liszt bekannt machte, der damals eine lebende Legende war. Nachdem Eugen Liszt vorgespielt hatte, meinte dieser: »seit Tausig hörte ich niemand so spielen! - Du wirst die Welt in Erstaunen versetzen!«
    Im Folgenden kam Eugen d´Albert mit den wichtigsten Leuten der Stadt in Kontakt, lernte Bruckner kennen und wurde Brahms vorgestellt. Ende Februar 1882 präsentierte Richter seinen Schützling in einem großen Philharmonischen Konzert, das Publikum feierte den Jungpianisten enthusiastisch, die Presse war in ihrer Beurteilung eher reserviert.


    Eugen d`Albert wollte zu Liszt nach Weimar und bewarb sich brieflich, wurde vom Meister angenommen und hatte im Mai 1882 seine erste Unterweisung in Weimar und machte dort über Wochen eine gute Figur, und begleitete Liszt dann auch nach Bayreuth, wo ihn Liszt weiter unterrichtete, wenn Wagner nicht um den Weg war, denn der mochte es nicht, wenn Liszt auf seinem Terrain unterrichtete.


    Wieder zurück in Weimar, drängte Liszt, dass d´Albert nun in Berlin konzertieren sollte, aber ein überfordertes Publikum und ein unzulängliches Programm sorgten für einen Misserfolg. Weitere Konzerte in Berlin waren erfolgreich und der Pianist wurde an den Hof gebeten und von Kaiser Wilhelm I. empfangen. Nun war d´Albert zum vielgefragten Künstler geworden und gastierte in vielen Städten, in Weimar war er zum Hofpianisten ernannt worden. In Weimar hatte sich für Eugen um 1882 eine Liebschaft zu Louise Schärnack, einer Hofopernsängerin entwickelt, woraus sich aber keine dauerhafte Bindung ergab. Als Eugen 1884 auf einem Tonkünstlerfest Louise Salingré, die eigentlich von Geburt Salinger hieß, kennenlernte, hatten beide eine nicht funktionierende Liebschaft hinter sich gebracht und strebten eine innige Gemeinsamkeit an, aber da beide Heiratswillige noch nicht volljährig waren, konnten sie nicht einfach heiraten, so wie das heute möglich ist. Helgoland galt damals als Hochzeitsinsel für schwierige Fälle, auch die Staatszugehörigkeit spielte keine Rolle, am 12. September 1884 heirateten beide auf der Insel.
    Als Wohnsitz hatten sie Coburg ausgewählt, der Gatte war mit Konzertverträgen gut ausgestattet, die wirtschaftliche Basis war vorhanden. Er spielte in vielen deutschen Städten, aber auch in Mailand, Turin ... und hatte Optionen für Gastspiele in Österreich und Frankreich.
    War der konzertierende Gatte einmal zu Hause, entwickelte er einen gesundheitsbewussten vegetarischen Lebensstil, war er weg, genehmigte sich seine Gattin schon mal ein Thüringer Würstchen.


    Musikalisch war sein Augenmerk ganz auf die Fertigstellung seiner ersten Symphonie gerichtet, aber wie sich noch herausstellen sollte, war dies nicht sein ihm adäquates Genre.
    Mit der Zeit gab es für das Ehepaar d´Albert zu viele gesellschaftliche Verpflichtungen, die Eugen vom Komponieren abhielten; er suchte eine Stadt ohne Hofhaltung. Die Wahl fiel auf Eisenach. Dort wurde sein Sohn Wolfgang geboren, der ganz neue Töne zu Gehör brachte, die seinem Vater das Klavierspiel unmöglich machten; d´Albert ließ sich deshalb im Garten einen Turm bauen, um dort ungestört spielen zu können, aber es stellte sich heraus, dass dies auch keine ideale Lösung war.
    Eine längerfristige Lösung ergab sich Ende 1889, als d´Albert zusammen mit dem Violinvirtuosen Pablo Sarasate eine einjährige Konzerttournee durch Nordamerika vereinbarte; Gattin Louise begleitete ihren Mann. Louise begann sich am Lebensstil amerikanischer Damen zu orientieren, man lebte sich auseinander. Wie missionarisch d´Albert unterwegs war sieht man zum Beispiel auch daran, dass er auch die Sängerin Lotte Lehmann zu vegetarischer Kost überredet hatte.
    Als die Amerika-Tournee beendet war, begab sich Louise in ärztliche Behandlung, d`Albert betrieb die Scheidung und löste seinen Eisenacher Haushalt auf.


    Im Oktober 1889 kam die 35-jährige venezolanischen Pianistin und Komponistin - man könnte noch Dirigentin und Sängerin hinzufügen - Teresa Carreño nach Berlin. Vor sachkundigem Publikum hatte sie gleich mit ihrem ersten Konzert hier einen Riesenerfolg, dem weitere, auch in anderen Städten, folgten; bei einem Gewandhauskonzert in Leipzig beeindruckte Teresa Carreño den anwesenden Edvard Grieg mit dem Vortrag seines a-Moll-Konzertes und auf einer Russland-Tournee begeisterte sie ihr Publikum ebenso wie in Deutschland.
    Als nun 1891 die große Tonkünstlerversammlung in Berlin stattfand, traf Eugen d´Albert erstmals mit dieser exotischen Schönheit zusammen, die Dame soll d´Albert zunächst kühl begegnet sein, wurde aber zutraulicher als sie in einer öffentlichen Orchesterprobe von ihrem Klavierkonkurrenten hörte, wie er das G-Dur-Konzert von Beethoven spielte. Die beiden näherten sich immer mehr an, gaben gemeinsame Konzerte und eine Heirat wurde ihnen von allen möglichen Seiten eingeredet, führende Zeitungen berichteten von der Heirat, was jedoch nicht den Tatsachen entsprach. Hans von Bülow betätigte sich dann auch noch als Ehevermittler und redete den beiden gut zu. Beide Partner hatten gescheiterte Ehen hinter sich und aus diesen Verbindungen waren Kinder da. Am 27. Juni 1892 gab man sich in London das Ja-Wort und die neue Familienplanung konnte in Angriff genommen werden. In Coswig, knappe zwanzig Kilometer von Dresden entfernt, hatte man ein großes Grundstück mit einem geräumigen Haus erworben, Eugen ließ sich an einer abgelegenen Ecke des Parks einen Pavillon zum Arbeiten bauen; so war gewährleistet, dass sich beide bei ihrer künstlerischen Arbeit nicht störten.
    Es war ein für jeden sichtbar ungleiches Paar, sie groß, schön und stattlich, er wirkte daneben eher unvorteilhaft, der Altersunterschied betrug elf Jahre.
    Neben einigen Kompositionen war auch Eugenia, die gemeinsame Tochter von Teresa und Eugen entstanden. Endlich sollte nun auch seine so lange geplante erste Oper »Der Rubin« aufgeführt werden, am 12. Oktober 1893 fand die erfolgreiche Uraufführung in Karlsruhe statt, aber heutzutage ist das Werk weitgehend unbekannt.
    In Coswig war Ende 1893 Herta, die zweite Tochter zur Welt gekommen und die Kinderschar auf fünf angewachsen, von Eingeweihten ist die Episode überliefert, dass Teresa mal ihren Mann um Hilfe bat und rief: »Eugenio, komm und schaffe Ordnung, meine Kinder und dein Sohn hauen unsere Kinder.«


    Der Geburt von Herta folgte ein Paukenschlag; d´Albert setzte sich ans Wochenbett seiner Frau, um ihr mitzuteilen, dass er die Scheidung möchte. Wie Zeitgenossen mitteilen, sei das wie ein Blitz aus heiterem Himmel gekommen, es seien keine Unstimmigkeiten vorausgegangen. Terese nahm sich in Berlin gute Anwälte und d´Albert musste mehr berappen, als er wollte. Erwähnenswert ist, dass beide noch in gemeinsamen Konzerten auftraten.


    Eugen d´Albert gab noch ein verunglücktes Gastspiel Hofkapellmeister in Weimar, das den alten Glanz inzwischen verloren hatte, aber ihm winkte neues Liebesglück, er und die Sängerin Hermine Finck waren sich bei gemeinsamer Arbeit näher gekommen. Die optische Erscheinung des Paares war jetzt gerade umgekehrt, Hermine war wesentlich kleiner als Eugen. Es war die Oper »Ghismonda« entstanden und das nächste Opernwerk »Gernot« war im Werden, aber auch eine neue Ehe, die Trauung mit der Sängerin Hermine Finck fand am 21. Oktober 1895 in Gernsbach, einem Ort unweit von Baden-Baden statt. Einem Freund schrieb er dazu: »Es ist dies in Wirklichkeit das erstemal, dass ich mit vollem Bewusstsein, mit Bedacht in die Ehe trete. Ich habe endlich das ersehnte Ideal, mein Glück, meinen Frieden gefunden.«


    Das Paar reiste quer durch Europa, nicht immer zu zweit. Hermine war eine gute Sängerin, aber bei weitem keine so dominante Künstlerpersönlichkeit, wie es Teresa Carreño gewesen war. Eugen d´Albert reihte in seinem Schaffen Oper an Oper, sie seien hier aufgezählt, es ist in diesem Rahmen nicht möglich, auf die Entstehung und Aufführung der Stücke näher einzugehen:


    Der Rubin 1893 / Ghismonda 1895 / Gernot 1897 / Die Abreise 1898 / Kain 1900 / Der Improvisator 1902 / Tiefland 1902-1903 / Flauto solo 1905 / Tagaldabas 1907 / Izeyl 1909 / Die verschenkte Frau 1912 / Liebesketten 1912 / Die toten Augen 1912-1913 / Der Star von Olivera 1918 / Die Revolutionshochzeit 1919 / Sirocco 1921 / Mareike von Nymwegen 1923 / Der Golem 1926 / Die schwarze Orchidee 1928 / Mister Wu (unvollendet)


    !897 ließen sich die d´Alberts in Sachsenhausen bei Frankfurt am Main nieder und d´Albert eilte während der Saison mit einem ungeheuren Schaffenspensum durch Europa. d´ Albert sah seine Pianistentätgkeit immer primär als Broterwerb und seine Kompositionen als etwas Höherwertiges. Es traf ihn deshalb, dass seine sechste Oper »Der Improvisator« nur mäßigen Beifall erhielt und in der Presse überhaupt nicht gut ankam. Wie immer nach der Konzertsaison, sollte es auch 1902 in die Sommerfrische gehen, diesmal war das Ziel Stresa, wo Frau Hermine schon im März vorausgefahren war, um das gemietete Haus ihren Bedürfnissen entsprechend auszustatten. Nach einiger Zeit reifte die Idee heran, sich am Lago Maggiore ein eigenes Refugium zu schaffen, sie bezogen in Meina die »Villa Erminia«.
    Und dort entstand dann das Werk, das man automatisch assoziiert, wenn der Name Eugen d´Albert erwähnt wird - »Tiefland«.
    Das Libretto stammt von Rudolf Lothar, der das Stück nach einem Schauspiel des katalanischen Dichters Angel Guimera herausgearbeitet hat, wobei der Komponist tatkräftig mithalf. Aber ohne einen Zufallsgriff des Generalmusikdirektors von Schuch in Dresden, wäre dieses Werk nie entstanden, der fischte das Stück aus einem Stapel von Manuskripten heraus, die zurückgeschickt werden sollten.
    Gustav Mahler war einer der ersten, die das neue Werk kennenlernten, die d´Alberts waren vom Lago Maggiore nach Wien gereist und spielten ihm »Tiefland« vor, wobei Frau Hermine den gesanglichen Teil übernahm, was Mahler aufhorchen ließ, er hätte diesen Mezzosopran gerne an seinem Opernhaus gehabt. Anfang Juli 1903 war »Tiefland« fertiggestellt, aber niemand mochte das Stück zur Aufführung bringen.


    Endlich ein Hoffnungsschimmer, Angelo Neumann wollte das Werk in Prag aufführen. Hier ergab sich dann die Schwierigkeit einen für die Rolle des Pedro geeigneten Tenor zu finden, weil sowohl Weichheit als auch dramatische Kraft gefordert war. Der Heldentenor Elsner schien dieser Aufgabe gewachsen zu sein, starb aber wenige Monate vor der geplanten Aufführung. Nach einigen weiteren Schwierigkeiten hob sich dann der Vorhang am 15. November 1903, und als die Vorstellung zu Ende war, hob er sich zum Schlussapplaus 42 Mal, es war ein überwältigender Erfolg geworden.
    Man könnte nun annehmen, dass sich alle maßgeblichen Theaterleute um diese so erfolgreich aufgeführte Oper gerissen hätten, aber dem war nicht so; auch die folgenden Aufführungen in Leipzig brachten unterschiedliche Kritiken, dann stand eine ausgedehnte Amerika-Tournee an, die ihm allerhand Ärger einbrachte. Hermine und Eugen waren froh wieder in Europa zu sein; sie ging gleich nach Meina, er »hausieren«, um seine Oper »Tiefland« an den Mann zu bringen, auf dieser musikalischen Geschäftsreise klapperte er einige deutsche Opernhäuser ab. Es kamen Zusagen aus Köln und Mannheim; er arbeitete schon an neuen Opern und Liedern aus »Des Knaben Wunderhorn«.
    Die Hamburger Uraufführung von »Tragaldabas« war ein völliger Misserfolg, ein Eklat. Aber der Erfolg folgte auf dem Fuß, »Tiefland« entwickelte sich prächtig, Anfang Januar 1908 erlebte die Oper in Berlin ihre 50. Aufführung und schon im Mai des gleichen Jahres stand d´Albert wieder in Berlin am Pult, um die hundertste Aufführung zu dirigieren.


    Im Alter von 45 Jahren wurde Eugen d´Albert 1909 noch einmal Vater einer Tochter, Violante hieß das Kind, aber fast gleichzeitig trug er sich einmal wieder - nach fünfzehnjähriger Ehe - mit Abwanderungsgedanken. Er hatte die verwitwete Dichtergattin Ida Fulda als für ihn interessante Frau entdeckt und es stellte sich heraus, dass sein Sohn aus erster Ehe, Dr. Wolfgang d´Albert, in Punkto Frauen den gleichen Geschmack hatte, es gab deswegen Krach zwischen Vater und Sohn. Am 15. Mai 1910 brachte Ida Fulda Töchterchen Disiderata zur Welt, geheiratet wurde später, womit Ehefrau und Tochter automatisch Engländerinnen wurden; die Familie zog nach Wien. Eugen d´Albert reduzierte seine Konzerttätigkeit erheblich. Ida wollte, wie aus Berlin gewohnt, einen großen Salon führen, aber Eugen mochte lieber in Ruhe arbeiten; die Zänkereien häuften sich ... - man ahnt es - Eugen dachte an Scheidung. Dramatisches war vorausgegangen: Bei einer Auseinandersetzung in der Wiener Stadtbahn drohte Ida aus dem fahrenden Zug zu springen; da sagte Eugen »Bitte!« Die Gattin sprang hinaus und brach ein Bein. Die Ehe war rasch zu Ende; zwischen all diesen Turbulenzen fand der Mann noch Zeit an neuen Opern zu arbeiten, es waren »Die verschenkte Frau« und »Die toten Augen«, und schon ging die Suche nach neuen Stoffen weiter - »Scirocco« war angedacht.
    Im April 1913 kam der vielreisende d´Albert auch nach München und fand im Kreise von Klavierschülern und -Schülerinnen einen besonderen Zugang zu Friederike Jauner, die in ihrem Bekanntenkreis Fritzi genannt wurde. Um es kurz zu machen, am 17. Dezember 1913 war die Hochzeit, die neue Ehefrau war 24 Jahre alt, wirkte jedoch erheblich jünger, wie berichtet wird. Die junge Frau konnte so richtig zu ihrem berühmten Mann aufschauen und staunen, wenn sie ihn auf seinen Konzertreisen begleitete. Die Ferien verbrachte das Paar in Kärnten, im Juni 1914 hatte d´Albert gerade den zweiten Akt zu »Scirocco« fertiggestellt, da fielen die Schüsse in Sarajevo, die beiden packten schleunigst ihre Koffer und reisten nach Zürich. Eugen d´Alberts wichtigstes Konzertland war Deutschland, dort galt er nun als feindlicher Ausländer. Unverzüglich beantragte er die Schweizer Staatsbürgerschaft, reiste dann aber nach Italien weiter, das zu diesem Zeitpunkt noch neutral war.


    Nach einigem Umherirren erwarb er ein Haus in Rapallo. Im September 1915 wurde Eugen mal wieder Vater einer Tochter, Wilfriede war geboren worden, die Familie hatte sich in Montreux niedergelassen, da Italien in den Krieg eingetreten war. Aber bald darauf ging es nach Zürich, wo er dann für ein halbes Jahrzehnt sesshaft wurde. Eugen d´Albert konnte alte Kontakte aktivieren und erreichen, dass er eine Sondererlaubnis zum Konzertieren in Deutschland bekam. An der Berliner Hofoper konnte »Tiefland« unter dem bewährten Dirigat von Leo Blech, der schon das Werk in Prag aus der Taufe gehoben hatte, Triumphe feiern; an der Dresdner Hofoper stand die Uraufführung von »Die toten Augen« auf dem Programm und wurde ein großer Erfolg. Ein privater Erfolg stellte sich am 20. Februar 1917 ein, als ihm die Tochter Felicitas geboren wurde. In diesem Jahr arbeitete d´Albert intensiv an der »Revolutionshochzeit«, wobei er zum Ausdruck brachte, dass er dieses Werk am meisten liebt. Der Mann führte das Leben eines Gehetzten, seine Arbeitsleistung ist kaum glaubhaft. Von all seinen Reisen schrieb er eine Unmenge lieber Briefe nach Hause. Fritzi hatte sich verändert, Konkretes wurde nie bekannt, das Paar dachte an Trennung, mochten die aber der Kinder wegen nicht vollziehen, aber wegen des Geredes zog man nach Luzern.
    Nach einiger Zeit schien das Zusammenleben wieder zu klappen, der Krieg war zu Ende und Fritzi konnte ihrem Gatten berichten, dass er im Oktober erneut Vater werden würde. Nun war d´Albert wieder ständig auf Reisen, sein Sohn Benvenutos wurde an dem Tag geboren, als in Leipzig die Uraufführung der »Revolutionshochzeit« über die Bühne ging, es war der 24 Oktober 1919. Nach der grandiosen Aufführung gab es - trotz großer Not n Deutschland - eine rauschende Feier, bei der sogar der mit d´Albert befreundete Gerhart Hauptmann ein Gedicht vortrug. Die Heimfahrt scheute d´Albert offenbar wie der Teufel das Weihwasser; noch immer hatte er seinen Sohn »Das Kind der Versöhnung« nicht gesehen; er begab sich per Schiff im November auf eine Tournee nach Norwegen. Nach langer Abwesenheit traf sich das Ehepaar in Leipzig, die Mutter war gekränkt, weil der Vater bis dahin seinen Sohn noch nicht gesehen hatte. Familiär schien alleswieder gut zu laufen 1920 feierte die nun fünfköpfige Familie ein harmonisches Weihnachtsfest. Nach den Festtagen bereitete der Meister »Scirocco« vor, die Uraufführung sollte am 16. Mai 1916 in Darmstadt sein. Zu diesem Ereignis war Fritzi aus der Schweiz angereist. Vor Ort musste sie dann erleben, dass sich ihr Gatte mit auffallender Intensität um eine zierliche junge Dame mit Pagenfrisur und hübschem Gesicht kümmerte; sie hielt es für einen harmlosen Flirt.
    Fritzis Erstaunen war groß, als Anfang Juni Eugens Nachricht eintraf, dass er jetzt endlich die Frau seines Lebens gefunden habe und sich deshalb scheiden lasse. Die Scheidung war im Frühherbst 1921 amtlich; die Hochzeit mit Hilde Fels aus Mannheim konnte am 15. November des gleichen Jahres stattfinden. Die Neuvermählten besaßen während der Zeit ihrer Ehe kein eigenes Heim, sie waren mit großem Gepäck ständig auf Reisen.


    Unversehens trat Margit Labouchére, eine Deutsche mit Mann und Kind, in das Leben d´ Alberts, der es möglich war, den berühmten Komponisten mit spirituellen Tricks zu umgarnen, Eugen d´Albert war solchen Dingen schon immer zugänglich gewesen. Urplötzlich war Hilde abgemeldet und er setzte seine Reisetätigkeit mit der neuen Bekanntschaft fort, die vom staunenden Publikum als die siebente Ehefrau wahrgenommen wurde.


    Es hatte Tradition, dass d´Albert einen Teil des Sommers dazu verwendete, um mit seinen drei Kindern aus der Ehe mit Fritzi entspannte Ferienwochen zu verbringen. Es hatte sich so eingespielt, dass während dieser Wochen stets Fräulein Zanetti zur Kinderbetreuung zur Verfügung stand, die zu den Kindern ein gutes Verhältnis hatte.


    Mit seiner neuen Oper »Golem«, an deren Gestaltung Margit Labouchére nicht unwesentlich mitgearbeitet hatte, war d´Albert mal wieder der Überzeugung, dass dies das Beste sei, was er bisher geschaffen hat. Am 14. November 1926 wurde das Werk in Frankfurt a. M. uraufgeführt, Clemens Krauss dirigierte. Die Kritik liest sich gut und befasst sich ausgiebig mit musikalischen Aspekten, so etwas wird heute nicht mehr gedruckt ...
    Einige Opernhäuser übernahmen das Werk, aber dann wurde es um die Oper still. Dennoch kannte d´Albert keinen Stillstand, schon waren seine Gedanken bei einer neuen Oper, es sollte etwas noch nie Dagewesenes werden, eine »Jazz-Oper« mit dem Titel »Die schwarze Orchidee«. Als Margit von diesen Plänen hörte, gab es heiße Diskussionen.
    Von Margit Labouchére ist schriftlich folgendes überliefert:


    »D´ Albert verlässt die hohe ernste Richtung. Er wendet sich anderen Zielen in der Kunst zu. Es lebe der Jazz! "Die schwarze Orchidee" wird komponiert. Ich gehe diesen Weg nicht mit. - Ich ziehe mich seelisch zurück! - Ich kämpfe. - Ungehört - verfliegen meine Worte!«


    Bei all dem Zank war d´Albert immer damit befasst sich von Hilde scheiden zu lassen, die jedoch dazu partout keinen Anlass sah. Bei Margit Labouchére hatte er es vergeigt, er war ohne Frau. Als jedoch die Sommermonate kamen, trat wieder das so viele Jahre bewährte Kinderfräulein in Aktion, Virginia Zanetti reiste aus Lugano an, um den Ferienhaushalt zu regeln.
    »Die schwarze Orchidee«, mit deren Vorarbeiten er schon 1925 begonnen hatte, war im Sommer 1928 fertig. Der Effekt des absolut Neuen war jedoch inzwischen nicht mehr gegeben, denn Ernst Krenek hatte schon 1927 seine Jazzoper »Jonny spielt auf« vorgestellt. Als »Die schwarze Orchidee« am 1. Dezember 1928 in Leipzig erstmals aufgeführt wurde, war das ein Achtungserfolg mit guten Kritiken.
    Inzwischen sind die Sommer mit seinen Kindern auch Geschichte, ein Kinderfräulein ist nicht mehr nötig, dennoch besteht Kontakt zu Virginia Zanetti, die nun in den Jahren 1929 und 1930 in der Betreuung von d´Albert ein neues Betätigungsfeld gefunden hat, wenn dieser in der Gegend aufkreuzt.
    In einem letzten Konzert hatte sich d´Albert Ende 1929 vom Publikum verabschiedet, aber weitere Opernpläne hatte er noch. Immer noch beanspruchte ihn die Auseinandersetzung mit seiner sechsten Ehefrau, die sich immer noch der Scheidung widersetzte. In Riga, so las es d´Albert in der Zeitung, sollte es auf Grund der Gesetzeslage möglich sein sich scheiden zu lassen, die Stadt galt damals als Scheidungsparadies von internationalem Rang, also nichts wie hin. 1931 zog er mit Virginia Zanetti nach Riga, wo er drei Zimmer gemietet hatte.
    Am Vormittag des 3. März befasste er sich noch mit der Instrumentierung seiner neuen Oper »Mister Wu«, wobei er über Atemnot klagte. Nach dem Mittagessen klagte er über starkes Unwohlsein; man rief die Ärzte und auch seine Rechtsbeistände eilten ans Krankenbett, mit denen er noch juristische Fragen besprechen konnte, dann wurde die Herztätigkeit immer schwächer, um viertel vor sechs starb Eugen d´Albert nach einem arbeitsintensiven und ereignisreichen Leben. Das schweizerische Generalkonsulat ließ unverzüglich den Nachlass versiegeln und das Testament sicherstellen.
    Seine letzte Oper wurde von Leo Blech fertiggestellt. Am 29. September 1932 fand am Sächsischen Staatstheater in Dresden die Uraufführung statt.


    Seine letzte Ruhestätte fand Eugen d´ Albert hoch oben auf dem über dem Luganer See liegenden historischen Friedhof von Morcote, einem Ort, etwa zehn Kilometer südwestlich von Lugano. Auf einem Bild von der Beisetzung sind ganz vorne die drei Kinder aus seiner fünften Ehe zu sehen.


    Hinweis: Nur einige Schritte rechts vom Grab d´Alberts befindet sich das Grabmonument des Sängers Georges Baklanoff.


    Die Kirche Santa Maria del Sasso am Bergfriedhof Morcode - das Grab befindet sich ganz in der Nähe



    In der Grabstätte wurden auch d´Alberts Töchter Violante und Desiderata bestattet.

  • Kurt Moll durfte seinen 80. Geburtstag nicht mehr erleben, er starb im letzten Jahr im Alter von 78 Jahren, nach schwerer Krankheit. Sein 80. Geburtstag bietet einen Anlass, auf dieses reiche Sängerleben zurückzublicken.



    Ein würdiges Grab für den großen Sänger, im Sommer wird hier üppiges Grün den Stein umgeben.



    Kurt Molls Eltern, die selber im Kirchenchor sangen und zu Hause musizierten, förderten seine Liebe zur Musik. Seine Gymnasialzeit absolvierte Kurt in Düren, etwa zwanzig Autominuten von seinem Elternhaus entfernt. Als Zwölfjähriger begann er mit dem Cellospiel.
    Zu Beginn seines Studiums an der Hochschule für Musik in Köln, hatte Kurt Moll angestrebt Cellist zu werden, bemerkte dann aber, dass eine größere Begabung zum Sänger vorhanden war. Neben seiner Ausbildung an der Hochschule, nahm er private Gesangsstunden bei Emmy Müller in Krefeld.
    Da er nicht aus reichem Hause kam, war er bestrebt sein Studium möglichst zügig durchzuziehen und machte auch schon Ende der 1950er Jahre an der Kölner Oper kleinere Sachen mit Sawallisch, dem dann später Größere folgen sollten.


    1961 gab Kurt Moll sein Debüt als Ludovico in Verdis »Othello« am Stadttheater von Aachen, Aachen war von jeher ein Sprungbrett für Künstler, die später weltberühmt wurden, wie zum Beispiel die Dirigenten Leo Blech, Fritz Busch, Herbert von Karajan, Wolfgang Sawallisch ... oder die Sängerinnen Elisabeth Grümmer, Tiana Lemnitz, Irmgard Seefried, Margarete Teschemacher ...


    An diesem Theater erarbeitete er sich in den Jahren bis 1964 einen breiten und soliden Grundstock seines Repertoires. Seine nächste Station war dann das Stadttheater Mainz, wo Moll jedoch nur in einer Saison zu hören war, dann führte ihn sein Weg ans Opernhaus Wuppertal, wo er in den Jahren 1965 bis 1967 sang. Anschließend ging es wieder zurück ans Opernhaus von Köln, wo er bis 1970 blieb, aber in seiner letzten Kölner Saison schon Gastspiele an der Staatsoper Hamburg gab, deren Mitglied er 1970 wurde, das war unter der Ägide Rolf Liebermann. Am 16. März 2005 hat er sich als Daland in »Der fliegende Holländer« vom Hamburger Publikum verabschiedet, in 58 Partien und insgesamt 817 Vorstellungen hatte er an diesem Haus Maßstäbe gesetzt.


    Bayreuth war schon etwas früher auf den Bassisten aufmerksam geworden; auch hier begann Moll behutsam und bescheiden 1967 als 2. Gralsritter in »Parsifal« und 1968 stand er dort in den »Meistersingern« als Nachtwächter auf der Bühne - Karl Ridderbusch sang damals den Pogner; 1975 war dann Kurt Moll in Bayreuth als Pogner zu hören.


    Wann beginnt eine Weltkarriere? Im Falle Kurt Moll dürften das die Salzburger Festspiele 1970 gewesen sein, wo Moll als Serastro zu hören war und große Aufmerksamkeit erregen konnte. In vielen Folgejahren war er hier auch in einem halben Dutzend anderer Rollen zu Gast, natürlich auch als Osmin und als Ochs im Rosenkavalier, wo der Rheinländer sich sprachlich von einer Wienerin unterweisen ließ, um gerade in Österreich glaubhaft rüber zu kommen.


    Eine weitere große Station war für Kurt Moll 1972 sein Debüt als Osmin an der Mailänder Scala; und er drang in Italien noch weiter südlich vor, als er anlässlich eines Papstjubiläums Beethovens »Missa solemnis« mit Ingrid Bjoner, Christa Ludwig und Placido Domingo im gewaltigen Petersdom sang. Nach und nach gastierte Kurt Moll an allen großen Opernhäusern, natürlich auch an der »Met« in New York. Zunächst 1976 im Rahmen eines Gesamtgastspiels der Pariser Oper, sein eigentliches Debüt war dort erst 1978 als Landgraf in »Tannhäuser«, wobei er es für strategisch notwendig hielt etwas zu flunkern und die Herren der »Met« in dem Glauben ließ, dass er den Landgraf routiniert drauf hätte, was jedoch nicht der Fall war, aber letztendlich bemerkte wohl kaum jemand, dass hier ein Rollendebüt stattfand, wenngleich mitunter von Stimmkennern vermerkt wird, dass diese Rolle für die Stimme Molls etwas hoch liegt.
    In den folgenden Jahren sang er hier auch noch die wenig spektakuläre Rolle des Sparafucile in »Rigoletto« und den Rocco im »Fidelio«, aber auch seinen glänzenden Ochs im »Rosenkavalier, Osmin, Gurnemanz, Komtur und Serastro. 1988 gastierte er an der San Francisco Opera als Ochs von Lerchenau.


    In den Jahren 1972 und 1974 bis 1976 sang er in Bayreuth Fafner, Pogner und Marke, Kurt Moll widmete sich mit Vorliebe dem deutschen Fach, wobei die herrlichen Spielopern Albert Lortzings sich zu Molls Zeiten leider immer mehr von den Spielplänen verabschiedet hatten.


    Um das italienische Fach hat Kurt Moll einen Bogen gemacht, wenn man sich auf die großen Rollen bezieht, aber er hat diesen Bogen auch um Hans Sachs gemacht, was man nicht als Ängstlichkeit, sondern eher als Klugheit sehen sollte. Selbst Herbert von Karajan warf in dieser Sache einen Köder aus und meinte, dass Moll, falls er den Sachs singen wollte, ihn nur fünf Minuten vorher anrufen brauche ...


    So wie man bei Kurt Moll nicht alle Opernhäuser aufzählen braucht, an denen er sang, verhält es sich mit den Dirigenten, er arbeitete fast mit allen Namhaften zusammen. Somit ist seine Stimme auch auf Tonträgern erfreulich umfangreich dokumentiert.
    Er war ein Star, zu dem dieser Begriff überhaupt nicht passte, aber Fakt ist, dass er zu den führenden Bassisten des 20. und 21. Jahrhunderts gehörte.
    An der Bayerischen Staatsoper debütierte Moll 1971 als Einspringer, indem er die Rolle des Pogner in den »Meistersingern« übernahm. Fortan wurde er eine Art Ensemblemitglied und zu einem der beliebtesten Sänger überhaupt. Vor allem der damalige Generalmusikdirektor und spätere Operndirektor Wolfgang Sawallisch vertraute auf ihn, begleitete ihn auch regelmäßig am Klavier. Alle seine großen Rollen hat dieser Bassist in München gesungen; er war nicht nur Bayerischer, sondern auch Hamburger und Wiener Kammersänger. Die erste Würdigung dieser Art erhielt er schon 1975 in Hamburg, 1979 folgte die Bayrische Staatsoper und Wien 1993.


    An der Wiener Staatsoper war er an 130 Abenden als Mitgestalter beteiligt. Erstmals sang er dort im Oktober 1972 in »Parsifal« und letztmals als Osmin 1999. Ochs, Serastro und Osmin fallen besonders ins Auge, wenn man die Liste seiner Auftritte in Wien überblickt.


    Ganz dankbar muss man für seine Lied-Aufnahmen sein, die er uns hinterlassen hat, vor allem die hinreißend interpretierten Balladen von Carl Loewe, die von fortschrittlichen Zeitgenossen heute so gerne belächelt werden. Wenn man sich seine Liedprogramme anschaut wird deutlich, dass er neben Loewe über ein recht umfangreiches Lied-Repertoire verfügte.


    Es muss ganz schön was los gewesen sein, als er sich 2006 im Rahmen der Münchner Festspiele dort von seinem Publikum verabschiedete. Er hatte dazu keine seiner tragenden Rollen ausgewählt, Kurt Moll ging gedanklich, aber stimmlich gereift, in seine Anfängerjahre zurück und begnügte sich mit der Rolle des Nachtwächters in den »Meistersingern«, nach seinem «Hört, ihr Leut, und lasst euch sagen, die Glock hat eilfe geschlagen: Bewahrt euch vor Gespenstern und Spuk, dass kein böser Geist eu'r Seel beruck! Lobet Gott, den Herrn!»
    melden Zeugen dieser Szene: Beifall in Orkanstärke und Huldigung durch ein sich spontan von seinen Sitzen erhebendes Publikum bereits nach dem zweiten Akt. Die Begeisterung galt dem Sänger Kurt Moll.


    Bereits 1992 wurde Kurt Moll an die Kölner Hochschule für Musik berufen, wo er aus der Perspektive des erfahrenen Sängers - nicht nur für Köln, sondern ganz allgemein über die Sänger-Ausbildung an deutschen Musikhochschulen - meinte, dass in der Ausbildung einfach viel zu wenig gesungen wird und anderthalb Stunden pro Woche keinesfalls ausreichen; er sagte: »Das ist für ein Hauptfach viel zu wenig!« Als positives Beispiel verwies er auf die Ausbildung am Tschaikowski-Konservatorium in Moskau, wo die Sänger jeden Tag Gesangsunterricht haben. Und das Legato lag ihm am Herzen, das Binden von einem Ton zum anderen, ohne Unterbrechung - er dozierte: »Das ist das A und O des Singens«.


    Zum 65. Geburtstag hatte er ein Saxofon bekommen, das er lernen wollte, natürlich war da auch noch ein Privatleben, er war begeisterter Jäger, ging in der nahen Eifel auf die Pirsch und genoss im Wald die Beobachtung der Natur. Auch seine tragenden Rollen als Opa und sogar Uropa vernachlässigte er nicht.
    Mit seiner Heimat blieb Kurt Moll immer eng verbunden, kehrte an seine alte Schule zurück und konnte junge Leute für gute Musik begeistern, auch das Konzertforum »Cappella Villa Duria« hat dem prominenten Sänger einiges zu verdanken.
    Einem Journalisten vertraute er einmal Szenen seines privaten Freizeitverhaltens an und schilderte, dass er in New York so wohnt, dass er im Bademantel zur Metrpopolitan Opera gehen kann. Seine Freizeit vermochte er optimal zu nutzen, er warf den Plattenspieler an, setzte sich Kopfhörer auf, stellte den Fernseher auf lautlos und las ein Buch. Wie er sagte, sei das von seiner Großmutter ererbt; die konnte zugleich Lesen, Rosenkranzbeten und Stricken, gab er zum Besten.


    Am Ende seines Lebens hatte er mit erheblichen gesundheitlichen Problemen zu kämpfen und die Kraft ließ nach. Aber drei Jahre vor seinem Tod sagte er in einem Interview mit dem Norddeutschen Rundfunk: »Ich habe alles gehabt in meinem Leben - ich kann wunderbar abschließen« - Schön, wenn man so auf sein Leben zurückblicken kann.


    Mit der Aufführung von Mozarts »Requiem« in der Marienkirche in Düren gedachte das Konzertforum »Cappella Villa Duria« des sympathischen Sängers.


    Die Bayerische Staatsoper widmete »Die Entführung aus dem Serail«, die am 24. März 2017 zur Aufführung kam, Kurt Moll.


    Tröstlich ist für alle, die ihn mochten, dass Kurt Moll eine reichhaltige Diskographie hinterlassen hat, die es ermöglicht, anlässlich seines Geburtstages mit einem geeignetes Stück seiner zu gedenken.


    Praktischer Hinweis:
    Das Grab findet man auf dem Melaten-Friedhof in Köln, Aachener Straße 204, 50931 Köln
    Kurt Molls Grab ist am besten zu erreichen, wenn man den kleinen rechten Eingang an der Aachener Straße, also in Richtung Piusstraße, benutzt - Gräberfeld »N«

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  • Heute vor einem Jahr starb Agnes Giebel



    Auf der Grabstele steht Agnes Giebel und oben drauf GESANGLIEBE,
    ein treffliches Anagramm ihres Namens.




    Kaum eine andere Sängerin wurde in der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg als Bachinterpretin so gefeiert wie die Sopranistin Agnes Giebel. Wenn sie als Solistin in den Kantaten, Oratorien und Passionen des Thomaskantors auftrat, schwärmten die Kritiker in der Regel von ihrer in allen Lagen schönen Stimme voller Einfühlungsvermögen und Noblesse.


    Sie wurde im niederländischen Heerlen geboren, einem Ort, der in einer guten Viertelstunde von der deutschen Grenze aus mit dem Auto erreicht werden kann. Ihre Eltern waren Deutsche, der Familienname war Reichert, die wirtschaftlichen Verhältnisse waren bescheiden. Künstlerische Dinge spielten in der Familie keine besondere Rolle, wenn man einmal davon absieht, dass Alfred Reichert, der Vater, für den häuslichen Gebrauch Gedichte schrieb und viel und gerne sang. Alfred Richter war ausgebildeter Polizist, betrieb aber ein Taxiunternehmen. Agnes war gerade ein Jahr alt, als sie ein Brüderchen bekam. Vater und Mutter teilten sich die Kinderbetreuung und die kleine Agnes begleitete den Vater bei seinen Taxifahrten.
    Als es zu Querelen mit seinen niederländischen Kollegen kam, ging der Vater mit seiner Familie wieder nach Deutschland zurück, nach Essen, wo auch die Großeltern wohnten. Vater Reichert modifizierte seinen Autofahrerberuf und eröffnete eine Fahrschule.


    Mit fünfeinhalb Jahren wurde Agnes eingeschult. Bruder Alfred besuchte das Gymnasium und der jüngste Bruder Willi die Mittelschule. Agnes ging bis zu siebten Klasse in die Volksschule, was Alfred Richter mit dem Lob begründete: »Die ist doch sowieso schlau genug.«
    Ein Handelsschullehrer mochte dieser Argumentation nicht folgen und machte dem Vater die Vorteile des Besuchs einer Handelsschule klar.


    Alfred Reichert wird in Essen Mitglied des Männerchors »Die Glocke«, wo man 1935 auch einen Kinderchor gründet, für den Vater Ehrensache, seine dreizehnjährige Tochter dort hinzuschicken. Der Chorleiter erkannte des Mädchens Talent.
    Im Hause des Chorleiters fanden unterschiedliche musikalische Aktivitäten statt. Hier hörte Agnes Reichert erstmals in ihrem Leben ein Kunstlied; es war Schumanns »Mondnacht«, ein Junge von vierzehn oder fünfzehn Jahren hatte es gesungen, Agnes war zu Tränen gerührt und zu Weihnachten lagen die Noten zu diesem Stück unterm Weihnachtsbaum.


    Eine Chorfreundin von Agnes, deren Pflegetante »Klavier- und Gesangspädagogin« auf dem Türschild stehen hatte, nahm Agnes mal zur Tante mit, die den Mädchen Gesangsunterricht erteilte - erste öffentliche Auftritte folgten.


    Nach Beendigung der Handelsschule wurde Agnes Reichert Sekretärin bei der Stadtverwaltung und beim TÜV eingesetzt, was wohl damit zu tun hatte, dass Agnes´ Vater Fahrlehrer war.


    Der Chorleiter Jo Gromann ermutigte Agnes Reichert sich zur Bühneneignungsprüfung am Essener Theater anzumelden, und damit das auch ein Erfolg werde, vermittelte er ihr Gesangsstunden bei einem Sänger, die Stunde kostete fünf Mark.
    So gewappnet erschien dann die 21-Jährige vor der Jury und sang »Die Nacht« von Strauss und die Arie der Mimi aus »La Bohéme« - Nach drei Wochen kam der Bescheid, dass man sie für geeignet hielt.


    Das gewährte Stipendium reichte gerade mal fürs Schulgeld; beim TÜV war sie nur noch als Halbtagskraft beschäftigt, was mit einer entsprechenden Gehaltsreduzierung einherging. Im Kriegsjahr 1942 begann Fräulein Reichert ihr Gesangsstudium an der Folkwang-Schule in Essen, die damals in einer ehemaligen Volksschule untergebracht war.


    Die Eltern reagierten auf den Entschluss der nun erwachsenen Tochter unterschiedlich; während der Vater meinte: »Warum denn nicht, sie hat doch eine schöne Stimme«, stand Mutter Reichert dem Ganzen verständnislos gegenüber und sagte: »Kommt doch für uns nicht in Frage. wir wollen doch wohl keine vonne Bühne.«


    Agnes Reicherts Gesangslehrerin an der Folkwang-Schule war nun Hilde Wesselmann, die wiederum selbst über eine ausgezeichnete Ausbildung verfügte. Frau Wesselmann war von der Stimme ihrer neuen Schülerin überrascht und holte sogleich ihre Kollegin herbei, die für die Bühnenausbildung zuständig war; man sah wohl schon einen neuen Stern am Opernhimmel aufgehen.
    Agnes Reicherts musikalischer Kenntnisstand war so, dass sie nur zwei Opernaufführungen erlebt hatte, sie war zwei Mal in »Othello«, einmal mit ihrer Schulklasse und einmal mit den Eltern.
    Schon zum Beginn ihrer Ausbildung bemerkte die junge Frau, dass sie nicht das Format einer »Rampensau« hatte, sie wollte singen, sonst nichts weiter. Es war keine große Opernszene, die geprobt wurde, sondern Schumanns »Mondnacht«. Schon beim Vorspiel wurde ihre Haltung korrigiert, und nochmals und nochmals ... als sie richtig zu stehen glaubte, wusste sie nicht mehr mit welchem Ton sie beginnen sollte; die Katastrophe war da, sie verließ weinend die Gesangsstunde, lief nach Hause und legte sich für mehrere Tage ins Bett, sie hatte einen Nervenzusammenbruch erlitten; als Frau Wesselmann zu Besuch kam, war das für die Kranke ein weiteres unerträgliches Ereignis - für Agnes Reichert stand fest: »Ich singe nie mehr«.


    Nach einer Erholungspause fuhr sie in den Harz, nach Nordhausen. Dort war Heinz Giebel, ein Soldat aus Essen, in der Kaserne stationiert; sie kannten sich aus Essen. Als die beiden in Nordhausen spazieren gingen, hörten sie aus einer Kirche Orgelspiel und gingen hinein. Es kam zu einem Gespräch mit dem Organisten, auch ein Soldat, der hier seinen Urlaub verbrachte und vor seiner Abreise noch ein Konzert geben wollte. In dieser ungezwungenen Atmosphäre sang Agnes Reichert Bachs »Schafe können sicher weiden« und der Organist bat sie bei seinem Konzert mitzuwirken. Im Pfarrhaus stand ein Klavier, Heinz Giebel konnte etwas Klavier spielen; die beiden übten und das Konzert in der Kirche war ein Erfolg; tags darauf fuhr der Organist zurück an die Front, so war das damals.


    Im Dezember 1943 war aus Fräulein Reichert Agnes Giebel geworden und im Sommer 1944 wurde das Söhnchen Werner geboren. Die junge Familie hatte im uralten Schulhaus ein Zimmer bekommen, es war das Zimmer des Organisten, der im Krieg war.
    In den letzten Kriegswochen wurde Nordhausen bombardiert, die Mutter floh mit ihrem Kind zu Fuß vor den Bomben, fand unterwegs eine alte Strickjacke und nähte daraus später eine Strampelhose für den Sohn.
    In den Endtagen des Krieges hatte Frau Giebel noch Kontakt zu ihrem Mann, der dann in Berlin in amerikanische Gefangenschaft geriet. Als die Russen kamen, wurden die Kriegsgefangenen ausgetauscht. Heinz Giebel schaffte man in einem Güterwagen nach Tula, einer Großstadt etwa 200 Kilometer südlich von Moskau, wo er 1947 im Lazarett des Gefangenenlagers an einer Lungenentzündung starb. Heinz Giebel merkte, dass es mit ihm zu Ende ging; er konnte einem Mitgefangenen noch einen Brief an seinen Sohn und seine Frau mitgeben


    Die Zeit unmittelbar nach Kriegsende war für Agnes Giebel hart und hielt einige unangenehme Überraschungen bereit, aber 1956 bekam sie Besuch von einer ehemaligen Studienkollegin, die mittlerweile an einem Opernhaus sang; diese drängte: »Du musst Sängerin werden«. Alte Kontakte wurden wiederbelebt. An der Folkwang-Schule musste sie zwar noch einmal eine Aufnahmeprüfung machen, die sie problemlos absolvierte; nun begann ihre zweite Studienzeit. Ihr Ziel war Konzertsängerin zu werden.
    Im Laufe der Ausbildung gaben die Studierenden zahlreiche Konzerte, bei denen Agnes Giebel dann im Duett oder Terzett sang. Der Korrepetitor mochte das auf Dauer nicht akzeptieren und bestand darauf, dass auch Frau Giebel eine Arie beizusteuern habe. Es war die »Rosenarie« aus »Figaros Hochzeit«. Beim Konzert forderte das Publikum erfolgreich ein da capo - die Folkwang-Schule hatte einen neuen Star.
    Sie war ein Star mit dem Mangel nicht vom Blatt singen zu können ... und der Schul-Direktor, der den Chor leitete, hielt nicht viel von stimmlichen Begabungen, die nicht vom Blatt singen konnten und sagte: »Ihr mit eurer Tongeburt ...« was die Sängerin natürlich verlegen machte und kränkte; das muss der Gesangspädagoge dann bemerkt haben, denn er flüsterte ihr ins Ohr: »Wenn man die schönste Stimme der Schule hat, muss man nicht unbedingt vom Blatt singen können.«


    Agnes Giebels erstes Konzert mit Orchester war 1947 das Weihnachtskonzert in der Remscheider Luther Kirche, Teilnehmer berichteten von Augenblicken künstlerischer Vollkommenheit. Die Qualität ihres Singens sprach sich schnell herum, Agnes Giebel konnte gar nicht so viel lernen, wie sie singen sollte. Anfang der 1950er Jahre machte eine kleine amerikanische Firma erste Schallplattenaufnahmen von ihrer Stimme - es war Bachs »Missae breves«, Hans Grischkat dirigierte.
    Hilde Wesselmann blieb für Frau Giebel die natürliche Lehrerin, der sie unbedingt vertraute, Wesselmanns Gesangsklasse hatte an der Schule den Namen »Flüsterklasse«, weil man da nicht viel vom forcieren der Stimme hielt. Agnes Giebel blieb der Folkwang-Schule über all die Jahre ihrer langen Karriere verbunden.
    Bei Frau Wesselmann lernte Agnes Giebel die um zwölf Jahre ältere Altistin Helmi Dohrmann kennen, die damals als Konzertsängerin einen gewissen Bekanntheitsgrad hatte. Wenn Dohrmann eingeladen wurde, machte sie schon einmal darauf aufmerksam, dass es da auch eine recht gute Sopranistin gab, die gut zu ihrer Altstimme passte. So waren die beiden 1952 und 1954 auch in Bilbao, um dort zu Ostern in der »Matthäus-Passion« zu singen. Frau Dohrmann verstand nicht nur was vom Singen, sondern wusste damals schon wie PR geht; von Spanien aus verschickte sie Postkarten an Dirigenten und ließ Agnes Giebel mit unterschreiben. Erst wenn man auch schon im Ausland aufgetreten ist, gilt man zuhause etwas, so die Meinung.


    Wann eine Karriere beginnt ist meist nicht punktgenau auszumachen, im Falle der Agnes Giebel lässt sich aber sagen, dass das Bach-Gedenkjahr 1950 und das Deutsche Bachfest in Leipzig der entsprechende Zeitpunkt war. Damals verpflichtete sie Karl Ristenpart, der Dirigent des RIAS Kammerorchesters für seine Aufnahmen der Bachkantaten. So etwas sprach sich in Expertenkreisen schnell herum, so dass sich Kontakte zu Günther Ramin in Leipzig, Karl Richter in München, sowie zu Theodor Egel in Freiburg ergaben, um nur einige wichtige Namen in dieser Zeit zu nennen.


    Im Laufe der nächsten Jahre erfolgte eine enge Zusammenarbeit mit Günther Ramin, der sie, wenn immer es ihm möglich war, als seine Bach-Solistin einsetzte.
    natürlich arbeitete die Bach-Spezialistin auch oft mit Karl Richter zusammen, aber als ihren Lieblingsdirigenten bezeichnete sie stets Theo Egel, den Dirigenten und Gründer des Freiburger Bachchores, der mit der Altistin Marga Höffgen verheiratet war. Egel, Höffgen und Giebel passten hervorragend zusammen und zu diesen kam dann noch Wunderlich und Fischer-Dieskau dazu, das konnte sich hören lassen ...
    Weniger zufriedenstellend war die Zusammenarbeit mit dem Dirigenten Hermann Scherchen, der für Giebels Geschmack die »Matthäus-Passion« zu schnell dirigierte, so etwas mochte sie nicht, da lag ihr Sergiu Celibidache weit besser. Aber sie arbeitete auch mit Otto Klemperer, Joseph Keilberth , Lorin ,Maazel, Riccardo Muti ... im Rahmen ihrer internationalen Karriere zusammen.
    Sie war zwar vorwiegend als Bach-Sängerin bekannt, trat aber auch als eine vorzügliche Interpretin bei Mozart-Konzerten hervor; sogar als Pamina in der »Zauberflöte« war sie zu hören, im Mai 1961 in einer konzertanten Aufführung in London unter Klemperer. Auch einer Schauspielerin in der Fernsehoper »Figaros Hochzeit« lieh sie ihre Stimme.


    Neben dem Singen gab es natürlich auch noch ein Privatleben, und in diesem auch Männerbekanntschaften, aus denen sich etwas mehr entwickelte. Da war zunächst ein Korrepetitor mit dem absoluten Gehör, dann ein Pfarrer, aber in eine neue Ehe mündeten diese Annäherungen nicht.
    1954 lernte Agnes Giebel den um drei Jahren älteren Herbert Kanders kennen, der in seiner Soldatenzeit zusammen in der gleichen Kaserne mit Hans Giebel war. Herbert Kanders war Musiker, hatte im Krieg abenteuerliches erlebt und sah nach dem Krieg nach mehreren Aktivitäten als Musiker keine Zukunft mehr und war, als er Agnes Giebel erstmals begegnete, gerade im Begriff ein Studium als Diplomhandelslehrer zu beginnen. Im September 1954 hat das Paar geheiratet, die Ehefrau unterstützte ihren Mann bei seinem Studium, das er 1958 abschloss.
    Gemäß dem Bibelspruch »Denn der Mann sei des Weibes Haupt«, übernahm Herbert Kanders das Management seiner berühmten Gattin und traf oft alleine Konzertvereinbarungen, wobei es schon auch mal zu Meinungsverschiedenheiten kam, wie beispielsweise bei der Schallplatteneinspielung von Orffs »Carmina Burana« mit dem WDR Symphonie-Orchester, wo ganz schnell ein hohes »d« gebraucht wurde - als sie das wegen voriger Belastung ablehnen wollte, stellte sich heraus, dass Giebels Manager und Ehemann das schon fest zugesagt hatte. Manchmal sang sie bis zu hundert Konzerte im Jahr. Kanders drängte seine Frau auch dazu sich mit der modernen Musik zu befassen, also sang sie eben Honegger, Kodály, Liebermann, Poulenc, Henze ...
    1958 wurde die erste Tochter Janne geboren und 1962 kam das zweite Mädchen zur Welt. Die jüngere Tochter ist heute mit dem Namen Kristina Kanders als Drummerin, Sängerin und Malerin bekannt, betätigt sich also ebenfalls künstlerisch, wählte aber ganz bewusst eine andere Richtung als ihre Mutter. Die Opern- und Konzertsängerin Julia Giebel ist eine Enkelin von Agnes Giebel.


    Agnes Giebel sang ihren ersten Liederabend Ende Juni 1949, begleitet hatte sie ihr damaliger Freund Wolfram Rinker, später hatte sie den bekannteren Begleiter Sebastian Peschko, der bekannt geworden war, weil er Georg Kuhlenkampff und Heinrich Schlusnus begleitete.
    Als Peschko aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr konnte, war für etwa drei Jahre der Schweizer Karl Engel Begleiter ihrer Liederabende; aber das »ideale« Duo waren sie nicht.
    Ausgezeichnet funktionierte die Zusammenarbeit mit dem Niederländer Felix de Nobel, der Agnes Giebel in dem Zeitraum von 1968 bis 1975 dann ständig bei Liederabenden begleitete. Ihr Liederabend-Programm hatte sie im Laufe der Jahre immer mehr ausgebaut, aber zwei Liederzyklen haben sie ein Leben lang begleitet: Schumanns »Frauenliebe und Leben« und Hindemiths »Marienleben«. Als ihre Liederabende zahlreicher wurden, wuchs auch ihr Bekanntheitsgrad und der geografische Radius erweiterte sich ebenfalls - Konzertreisen in viele Europäische Länder, die USA und Japan. Anlässlich eines Liederabends in Köln war in der Presse von der »Primadonna des Konzertsaals« zu lesen. Agnes Giebel war in ihrem Metier ganz oben angekommen, aber etwa in der Mitte der 1970er Jahre musste sie zum ersten Male ein Konzert wegen stimmlicher Probleme absagen. Auch Herbert Kanders hatte seiner Frau mehrfach gesagt, dass sie nun langsam ans Aufhören denken sollte.
    Am Silvesterabend 1979 trank Agnes Giebel mit ihrem Mann in der häuslichen Wohnung noch Sekt und man wünschte sich ein gutes neues Jahr. Die guten Wünsche waren vergeblich; am Neujahrstag ist Herbert Kanders im Krankenhaus gestorben, er hatte am Neujahrsmorgen über Herzbeschwerden geklagt. Sie hatte nun in ihrem Leben schon zum zweiten Mal erlebt, was sie so oft im letzten Lied von Schumanns op. 42 immer wieder gesungen hatte.


    Agnes Giebel sagte sofort alle vereinbarten Konzerte mit höheren Ansprüchen ab; erst im Februar 1980 trat sie wieder auf, in Lengerich. Da hatte sie auch »Frauenliebe und Leben« gesungen und eine Konzertkritik war mit »erlebt wie gesungen« überschrieben; und in der Kritik heißt es weiter: »So eindringlich in Freude und Leid hat der Rezensent den ersten Zyklus "Frauenliebe und Leben" noch nie gehört, das war nicht gesungen, sondern erlebt.«


    Ohne Singen schien ihr das Leben sinnlos, aber sie fand einen Weg in der Kombination von Body-Building und Stimmtraining, so dass sie wieder auftreten und auch Meisterkurse geben konnte. Diesbezüglich tat sich ein weites Feld in Japan auf.
    Nicht die ganz hohe Kunst erlebte Giebel bei ihren Reisen nach dem dänischen Tvind, wie sie meinte, war das nichts fürs Renommee, aber sie habe das sehr gerne getan.
    Agnes Giebel konnte es nun etwas lockerer angehen, mit ihren ernsteren Gesängen hatte sie eine Menge hochkarätiger Konzerte absolviert, nun ließ sie sich auch gerne mal in heimatlichen Gefilden mit Hausmannskost hören und sang mit einiger Begeisterung sogenannte »Küchenlieder«. In der Zeitung war die Überschrift zu lesen: »Die Giebel als Mamsell mit Küchenliedern« und die Moritaten-Sängerin alberte: »auch in Kamen fielen wir heute aus dem Rahmen.«


    Verschiedene Musikhochschulen waren an Agnes Giebel herangetreten, um sie als Lehrerin einzustellen, sie hätte eine Professur erhalten können, aber so wie sie nicht auf der Opernbühne agieren mochte, wollte sie sich auch in keine behördlichen Zwänge einbinden lassen. Unterrichten ja, aber in eigener Regie; und sie tat das ausgiebig und mit Begeisterung. Sie gab viele auswärtige Meisterkurse, nannte aber ihr Haus in Köln auch das »Belcanto-Studio Agnes Giebel«. Einige Schülerinnen wohnten auch bei ihr.


    Einer ihrer späteren Begleiter war äußerst skeptisch, als er gebeten wurde, mit der 74-jährigen Giebel einen Liederabend vorzubereiten; er befürchtete viel großes Gerede über vergangenen Glanz und wenig Stimme. Aber schon bei der Probearbeit bemerkte er, dass man die einstudierten Schubert-Lieder dem Publikum mit Erfolg anbieten kann.
    Beim Bundesverband deutscher Gesangspädagogen wachte Agnes Giebel mehr als ein Jahrzehnt über die Mitgliederbeiträge und legte dieses Amt erst 2000 altersbedingt nieder.


    Als gefragte Sängerin musste Agnes Giebel viel reisen, aber sie reiste nicht gerne; nach eigener Aussage brachte sie auch keine besonderen Reiseeindrücke mit nach Hause, denn sie hat sich in den Städten ihrer Auftritte nie etwas angesehen, sondern sich nur aufs Singen konzentriert.
    Bis ins hohe Alter hat sie ihre Stimme täglich trainiert. Sie stand im Austausch mit Atem- und Gesangspädagogen und wollte genau wissen, wie das alles funktioniert.


    Noch im März 2006 sang sie vor etwa 80 Zuhörer in einer Kapelle bei Köln »Frauenliebe und Leben«, sie ist geschwächt und singt im Sitzen, auch Hans Georg Albrecht ist da, ihr Lebenspartner seit 1995, er sitzt im Rollstuhl und stirbt wenige Wochen später.
    2017 berichten die Zeitungen, dass die Sopranistin Agnes Giebel am 24. April im Alter von 95 Jahren im Kreis ihrer Familie gestorben ist.
    Die Trauerfeier fand am Nachmittag des 10. Mai 2017 in der Trauerhalle des Melatenfriedhof statt. Für die Traueranzeige wählte man einen Text von Marie von Ebner-Eschenbach:


    Ein kleines Lied! Wie geht´s nur an,
    Dass man so lieb es haben kann,
    Was liegt daran? Erzähle!


    Es liegt darin ein wenig Klang,
    Ein wenig Wohllaut und Gesang
    Und eine ganze Seele.


    Praktische Hinweise:



    An dieser Stelle befindet sich ein Parkplatz zum Friedhofsbesuch.



    Auf dem Foto ist rechts die Trauerhalle zu sehen; man wendet sich nach dem Eingang nach links und findet im RUHEGARTEN das Urnengrab von Agnes Giebel


  • aber 1956 bekam sie Besuch von einer ehemaligen Studienkollegin, die mittlerweile an einem Opernhaus sang

    Lieber "hart",


    vielen Dank für deinen Beitrag, der wirklich hochinteressant zu lesen war! Nur mit der einen von mir zitierten Jahreszahl habe ich Probleme, di kriege ich im Kontext schlecht unter. Du meintest sicher 1946, oder? :hello:

    Beste Grüße vom "Stimmenliebhaber"

  • Lieber Stimmenliebhaber,
    in der Tat sagt die Logik, dass das 1946 gewesen sein muss ...


    Weil Du so schön aufgepasst hast, versuche ich das einmal ganz exakt nachzuliefern:


    »Als die schlimmste Hungerzeit vorbei war, erhielt Agnes Giebel 1946 Besuch von ihrer ehemaligen Studienkollegin Else Rothermund. Diese sang mittlerweile an der Oper. "ich habe jetzt so viele singen gehört", erzählte sie, "aber so wie Du singt keine. Du musst Sängerin werden."«



  • Zum heutigen Todestag von Ludwig Hoelscher


    Ludwig war das jüngste von drei Kindern, die dem Ehepaar Hoelscher geboren wurden. Der Vater, Heinrich Hoelscher, verdiente sein Geld als Juwelier, griff jedoch in seiner freien Zeit gerne zur Geige und sein sehnlichster Wunsch war, seine drei Söhne musikalisch so weit voran zu bringen, dass es reichte, ein familiäres Streichquartett zu bilden.
    Hausmusik wurde im Hause Hoelscher aber auch vorher schon großgeschrieben, denn Heinrich Hoelscher hatte bereits vor der Geburt seiner Kinder entsprechende »Dilettanten« um sich geschart, die ein Quartett bildeten; die Jungs wuchsen also in einem Milieu auf, in welchem das Musizieren so selbstverständlich dazu gehörte, wie Frühstück und Mittagessen.


    Heinrich Hoelscher kann man schon als Musikbesessenen bezeichnen, denn er war aktives Mitglied des Männergesangvereins und erster Vorsitzender eines Liebhaberorchesters, wo er die ersten Geigen als Konzertmeister anführte.
    Vater Hoelschers Musikbibliothek enthielt fast alle Partituren der Kammermusik und der bedeutenden Sinfonien. Dazu kamen Sammlungen von Instrumenten. Allein um die Möglichkeit zu haben, Schuberts Forellenquintett zu Hause aufzuführen, kaufte er einen Kontrabass.


    Während Vater Hoelscher seinen ältesten Sprössling noch selbst anleitete, engagierte er für die beiden jüngeren Söhne einen Herrn aus der Nachbarschaft, der als energisch beschrieben wird; die Erziehungsmethoden darf man sich schon etwas rustikal vorstellen.
    Wenn man liest, dass der Vater streng darauf achtete, dass seine Jungs in der ersten Zeit mindestens eine halbe Stunde pro Tag übten, scheint diese Forderung allerdings auch nicht übertrieben zu sein.
    Endlich, als Ludwig neun und seine Brüder zehn und elf Jahre alt waren, konnte der Vater neben seinem Freundesquartett auch sein Familienquartett gründen. »Cellisten sind immer die Gesuchteren«, meinte der Vater und beorderte deshalb gleich zwei seiner Söhne an dieses Instrument. Aber so ganz glücklich war Vater Hoelscher noch nicht, also entschied er kurzerhand, dass sich Ludwig zukünftig auch als Bratschist zu betätigen habe und drückte seinem Sohn eine Ritter-Bratsche in die Hand, da war Ludwig so etwa elf oder zwölf Jahre alt. Nun hatte das Familienquartett endlich den richtigen Klang.


    Von nichts kommt nichts - diese Redensart scheint passend, wenn man sich vorstellt, dass Vater Hoelscher, abends von einer Geschäftsreise kommend, die Jungs aus dem Bett holte, um sich noch zum Quartett-Spiel zu versammeln.
    An die Öffentlichkeit trat das Familienquartett bei sogenannten »Bunten Abenden«, beim Gesellschaftsabend des »Tennisclubs« oder auch bei Kirchenkonzerten. Auf den Programmzetteln stand dann: »Herr Heinrich Hoelscher und seine Söhne«. 1926 ist Heinrich Hoelscher gestorben.


    Der in Köln lehrende Violinpädagoge Bram Eldering, den man bezüglich der Weiterentwicklung von Ludwig um Rat gebeten hatte, empfahl den jungen Hoelscher an den Sonderling Wilhelm Lamping, dieser hatte nämlich eine vollkommen veränderte Grifftechnik entwickelt.
    Professor Lamping versammelte ab 1925 an einem der schönsten Flecken Mainfrankens seine Schüler um sich.
    Erwein von Schönborn, ein Musik liebender Graf, hatte bei Berchtesgaden den Violoncello-Virtuosen Wilhelm Lamping kennen- und schätzen gelernt und ihm Räume auf der Hallburg - heute als Schloss Hallburg bezeichnet - zunächst als Sommersitz überlassen.


    Es dauerte nicht lange, und schon hatte Lamping einige seiner Schüler und befreundete Künstler um sich versammelt. Das Ergebnis dieser Treffen waren immer häufigere Konzerte – entweder auf der Hallburg selbst oder in der Umgebung. In diesem für Ludwig Hoelscher neuen Umfeld unter Gleichgesinnten konnte er entscheidende Impulse empfangen. Mitunter kamen auch Gäste zum Schloss.
    Als 1929 der Besuch von Elly Ney angekündigt wurde, war die Aufregung groß, Lamping kannte sie von seiner Studienzeit in Köln; die Künstlerin kam gerade aus Amerika - das war damals was ... Vor der Ankunft des hohen Gastes wurde alles minutiös geprobt und arrangiert; dann kam, für die jungen Leute überraschend, eine schlichte, natürliche Frau, die ihre große Freude daran hatte, wenn die Studenten Volkslieder auf drei Celli spielten. Auch im folgenden Jahr beehrte der Stargast das Schloss mit seinem Besuch und Hoelscher war überrascht, dass er mit ihr ein Werk durchspielen durfte und sogar eine Einladung nach Starnberg erhielt.
    All die auf der Hallburg erworbenen Kenntnisse nahm der junge Cellist mit nach Leipzig, wo er mit Julius Klengel eine weitere bedeutende Lehrerpersönlichkeit kennenlernte.
    In München konnte Hoelscher von dem schon recht erfahrenen Hugo Becker ebenfalls noch wertvolle Erkenntnisse zu seinem Instrument vermittelt bekommen.
    1930 erhielt Ludwig Hoelscher zusammen mit Ibolyka Zilzer den Mendelssohn-Preis für ausübende Tonkünstler.


    Ein ganz entscheidender Schritt im Leben von Ludwig Hoelscher ist die Bekanntschaft mit der Pianistin Elly Ney, die, wie bereits erwähnt, zu dieser Zeit ein leuchtender Stern war. Als Hoelscher dann in Starnberg eintraf, war Elly Ney gerade in der Vorbereitung einer Auslandsreise und er fühlte sich mit seinem Cello zunächst deplatziert. Dennoch nahm sich Frau Ney mitten in den Reisevorbereitungen die Zeit die e-moll-Sonate von Brahms mit ihm durchzuspielen.
    In der Folgezeit entstand bei Ney der Wunsch wieder einmal in einem größeren Rahmen Kammermusik zu spielen. Gemeinsam wurde beratschlagt welcher Geiger das Trio ergänzen könnte, und man kam dabei auf Wilhelm Stross. Somit entstand dieses Trio aus Künstlern, die alle den Mendelssohn-Preis bekommen hatten. Schon im Dezember 1931 spielte sich das Trio mit Werken von Haydn, Mozart, Beethoven, Schubert und Brahms ein. Am 15. Januar 1932 begann man eine Tournee durch ganz Deutschland, wobei der Name Elly-Ney-Trio im deutschen Musikleben zum Begriff wurde.
    Für Elly Ney - sie war gerade fünfzig - war der rauschende Beifall nichts Neues, aber für die beiden jungen Streicher waren das ganz besondere Erlebnisse. Es blieb nicht alleine bei der triumphalen Tournee durch Deutschland; es folgten Konzertreisen nach England, Skandinavien, Italien, Niederland und der Schweiz. Neben dem künstlerischen Erfolg, erzielte das Trio auch einen beachtlichen wirtschaftlichen Gewinn, der schließlich exakt durch drei geteilt wurde.


    1936 debütierte Ludwig Hoelscher mit den Berliner Philharmonikern unter Wilhelm Furtwängler, mit dem er über viele Jahre hinweg immer wieder zusammenarbeitete.
    Als Solist spielte Hoelscher natürlich auch unter anderen namhaften Dirigenten seiner Zeit wie zum Beispiel: Böhm, Cluytens, Enescu, Georgescu, Haitink, van Hoogstraten, Karajan, Keilberth, Kempe, Knappertsbusch, Leitner, Münchinger, Rieger, Sawallisch ..., die Liste würde lang, wollte man alle nennen.
    Ähnlich umfangreich ist die Liste seiner Uraufführungen, denn viele zeitgenössische Komponisten schrieben für Hoelscher.


    Er hat mehr als fünfzig Werke uraufgeführt, auch hier seien einige Beispiele genannt: Wolfgang Fortner, Karl Hasse, Joseph Rheinberger, Ermanno Wolf-Ferrari, Hans Pfitzner, Walter Gieseking, Karl Höller, Harald Genzmer, Hans Werner Henze, Ernst Krenek, Heinrich Sutermeister, Peter Jona Korn, Günter Bialas, Wilhelm Keilmann, Casimir von Pászthory
    1937 komponierte Hans Pfitzner sein Duo, op. 43, für Violine, Violoncello und kleines Orchester und widmete es dem Geiger Max Strub und dem Cellisten Ludwig Hoelscher; das Werk wurde 1939 in Frankfurt uraufgeführt. Auch ein 1944 in Solingen und Wien aufgeführtes Pfitzner-Werk ist Hoelscher gewidmet.
    1944 wurde Hoelschers Name auf die sogenannte »Gottbegnadeten-Liste« gesetzt, damit war er einer der Künstler, die vom aktiven Kriegsdienst freigestellt waren.


    1948 folgten in Wiesbaden die Erstaufführungen von Wolfgang Fortners Sonate für Violoncello und Klavier, sowie Walter Giesekings Konzert-Sonatine für Violoncello und Klavier.
    In den Jahren 1947, 1949 und 1953 wirkte Hoelscher bei Erstaufführungen von Werken Paul Hindemiths in Deutschland mit.
    Nach dem Zweiten Weltkrieg bildete Hoelscher mit dem Geiger Gerhard Taschner und dem Pianisten Walter Gieseking ein Trio; später wirkte er im Brahms-Trio neben dem Geiger Conrad von der Goltz und der Pianistin Kirsti Hjort mit.


    1953 unternahm Ludwig Hoelscher seine erste Tournee durch Japan, die Reisemöglichkeiten verbesserten sich ständig und Hoelscher war ein weltweit gefragter Musiker.
    Als Hochschullehrer wirkte er schon 1938 am Mozarteum in Salzburg, später dann auch in Stuttgart.


    Seine Wahlheimat war Tutzing am Starnberger See geworden und die Gemeinde war stolz einen weltberühmten Künstler als Mitbürger zu haben, so wurde Ludwig Hoelscher, der dann auch 1958 zu den Mitbegründern der dort alljährlich stattfindenden Musiktage gehörte, zum Ehrenbürger ernannt.


    Sein Bild schmückte einst - zusammen mit dem Bildnis der Ehrenbürgerin Elly Ney - den Veranstaltungssaal des Rathauses; dann kam ein fortschrittlicher neuer Bürgermeister, der die Bilder aus dem Saal entfernen ließ. Schließlich hatte Hoelscher ausgiebig vor der Prominenz des Dritten Reiches musiziert und war auch Mitglied in einer damals sehr mitgliederstarken Partei gewesen.
    Aber in einer Publikation - zur Jubiläums-Feier von Tutzing - war man letztes Jahr wieder stolz darauf, dass neuerdings eine umfangreiche Box von 10 CDs mit Aufnahmen Hoelschers erschienen ist.


    Praktischer Hinweis:
    Man findet das Grab von Ludwig Hoelscher auf dem Alten Friedhof in Tutzing, ein kleiner Friedhof, nur wenige Meter vom Starnberger See entfernt, an der Graf-Vieregg-Straße. Am besten orientiert man sich an den Hinweisschildern zum Ortsmuseum. Vom Haupttor aus geht man an der Kirche vorbei zur Mauer an der See-Seite.



    Anmerkung:
    Auf dem Alten Friedhof in Tutzing ist auch die berühmte Sängerin Zdenka Faßbender und das Sänger-Ehepaar Therese und Heinrich Vogl begraben; siehe Beiträge 266, 299 und 423.


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  • Zum heutigen Geburtstag von Gabriel Fauré


    Gabriel war eines von insgesamt sechs Kindern seiner Eltern, sein Vater war Lehrer und Schulinspektor. Gabriel Faurés Geburtshaus stand in einer Gemeinde am Rande der Pyrenäen, die heute etwa 15.000 Einwohner hat, nach Paris ist es von hier aus etwa 750 Kilometer.


    Als Schüler hatte der Junge erste musikalische Übungen im Choralgesang mit Harmoniumbegleitung. Sonstigen Musikunterricht hatte er nicht erhalten, aber ein Zugang zum schuleigenen Klavier bot ihm die Chance sich autodidaktisch das Klavierspiel beizubringen. Das sich entwickelnde Talent fiel einem Ratsmitglied des Départements Ariège auf, der die Eltern darauf hinwies und der Familie empfahl, ihren Sohn an der von dem Schweizer Louis Niedermeyer gerade wieder gegründeten »École de Musique Religieuse et Classique Niedermeyer«, in Paris anzumelden. Während der antireligiösen Zeit in Frankreich hatte diese Institution keinen Bestand, aber existierte nun wieder neben dem Conservatoire.
    So wurde also der neunjährige Gabriel im Herbst 1854 an der »Ecole Niedermeyer« als Schüler angenommen. Zusammen mit etwa dreißig Mitschülern strebte der Junge nun dem Ziel entgegen ein Kirchenmusiker zu werden, der Gregorianische Choral und das Orgelspiel nahmen an dieser Schule einen breiten Raum ein. Ganz im Gegensatz dazu orientierte man sich zu dieser Zeit am Conservatoire an den französischen Komponisten wie zum Beispiel Charles Gounod und Hector Berlioz.
    Elf Jahre lang studierte Fauré an der »Ecole Niedermeyer«. Das Repertoire war weitestgehend auf die Musik der Zeit bis Bach und Händel beschränkt. Mozart, Haydn, Beethoven und höchstens noch Mendelssohn gehörten zu den modernsten Komponisten mit deren Musik die Schüler der École Umgang hatten.
    Als Niedermeyer 1861 starb und Camille Saint-Saëns als Nachfolger gewonnen werden konnte, kamen die Schüler mit modernen Kompositionen in Berührung und lernten auch Wagner, Schumann, Liszt ... kennen. War Camille Saint-Saëns zunächst nur der Lehrer von Fauré, konnte man in späteren Jahren von Freundschaft sprechen.
    Natürlich war auch Fauré von Wagners Musik beeindruckt, er unternahm mehrere Reisen nach Deutschland und kam dabei auch nach Bayreuth.


    Fauré verließ 1865 die »Ecole Niedermeyer« als diplomierter »Maître de Chapelle«; seine erste Organistenstelle trat er im Januar 1866 an der Kirche Saint-Sauveur in Rennes an, danach war er 1870 an der Notre-Dame-de-Clignancourt in Paris. Es war Krieg, auch Fauré musste zum Militär, aber 1871 waren die Schlachten geschlagen und es konnte wieder friedliche Musik gemacht werden.
    Zunächst unterrichtete er für kurze Zeit in Lausanne, kam dann aber als zweiter Organist wieder nach Paris und 1874 kam er an die angesehen Organistenstelle der Sainte-Madeleine, zunächst als Vertreter von Saint-Saëns, später war er dann dort als Chorleiter tätig.


    Camille Saint-Saëns führte Fauré in die bedeutenden Pariser Salons ein; so auch in den der berühmten Sängerin Pauline Viardot - das war 1872 - die Töchter im heiratsfähigen Alter hatte. Prompt verliebte sich Gabriel in die damals 18-jährige Marianne Viardot. Es war nicht nur eine kleine Liebelei, denn das Paar verlobte sich 1877; sowohl Mariannes Mutter als auch Turgenev hatten diese Verbindung protegiert, aber dem Verlöbnis war nur eine Dauer von einem halben Jahr beschieden, dann schwand Mariannes Interesse - vier Jahre später heiratete sie einen Pianisten.
    Fauré hatte sich rasch mit der ganzen Familie Viardot angefreundet, was auch musikalische Früchte trug; als Beispiel sei die Sonate für Klavier und Violine A-Dur, op.13 genannt, ein Werk das noch heute populär ist. Fauré hatte es für Madames Sohn Paul Viardot komponiert.
    Die aufgelöste Verlobung traf den damals 32-Jährigen tief und fand in mehreren Stücken ihren Niederschlag, wohl ganz besonders in dem Lied »Aprés un réve« und der »Elegie für Violoncello«.


    Mit mehr als hundert Liedern, die in einem Zeitraum von etwa sechzig Jahren entstanden, leistete Fauré einen ganz wesentlichen Beitrag zum französischen Kunstlied.
    Im Gegensatz zu Maurice Ravel und Claude Debussy, die der nachfolgenden französischen Komponistengeneration angehören, ist Fauré im internationalen Musikleben weitaus weniger präsent. Doch durch seine lange Lehrertätigkeit nahm er jedoch maßgeblich Einfluss auf die Musik in Frankreich um 1900. Der Höhepunkt seines Schaffens besteht wohl in der Vokalmusik, insbesondere in Klavierliedern.


    1883 heiratete Fauré Marie, die Tochter des berühmten Bildhauers Emmanuel Frémiet, aus dieser Ehe gingen zwei Söhne hervor.
    Zwischen 1892 und 1896 hatte Fauré eine Affäre mit Emma Bardac, die dann die Frau von Debussy wurde. Etwa um 1900 verliebte sich Gabriel Fauré in die 24-jährige verheiratete Pianistin Marguerite Hasselmans, deren Ehe unverzüglich geschieden wurde.
    Fauré lebte mit ihr bis zu seinem Tode in einem eheähnlichen Verhältnis, in der Rue de Wagram richtete er ihr ein luxuriöses Appartement ein, wo sie auch Klavierunterricht gab.


    1892 ernannte man Gabriel Fauré zum Inspektor für Musikunterricht und vier Jahre später vertraute man ihm als Titularorganist die große Orgel an der Madleine an. In dieser Zeit übernahm er auch eine Professur am Conservatoire de Paris an, wo er Nachfolger von Jules Massenet geworden war.
    Er unternahm auch Reisen nach London, als dort einige seine Werke aufgeführt wurden, die man in Großbritannien schätzte.
    Ab 1901 lehrte er an der École Niedermeyer und war von 1905 bis 1920 Direktor des Conservatoire, was von manchen nicht gerne gesehen wurde, weil er nicht an diesem Institut studiert hatte. Auch die vom neuen Direktor initiierte Modernisierung des Lehrplans führte zu massiver Kritik konservativer Kräfte, die darin gipfelte, dass man Fauré als »Robespierre« beschimpfte.


    Seit 1903 betätigte sich Fauré auch journalistisch, indem er regelmäßig in der renommierten Tageszeitung »Le Figaro« Beiträge über Musik schrieb.
    In dieser Zeit bemerkte er, dass sein Gehör stark nachließ und sich die Taubheit rasch entwickelte. Dessen ungeachtet, beschäftigte sich der Komponist 1907 mit der Konzeption seiner ersten Oper - »Pénélope«.
    Seit vielen Jahren schon wollte der gelernte Kirchenmusiker eine Oper schreiben, fand aber keinen Librettisten; gerne hätte er etwas von dem sehr erfolgreichen Louis Gallet gehabt, aber dieser mochte nicht für einen Anfänger schreiben, gleich gar nicht, wenn der Komponist nur einen bescheidenen Einakter plante.
    Dennoch eröffnete sich ihm die Möglichkeit vom Kirchenmilieu aus der Bühne zu nähern, er schuf vor seiner ersten Oper eine Menge Schauspielmusiken.
    Endlich! Am 4. März 1913 gelangte »Pénélope« an der Oper von Monte Carlo zur Uraufführung. Als Leiter des Pariser Konservatoriums war Fauré administrativ so stark belastet, dass er nur in den Sommermonaten an seiner Oper (Poéme lyrique) arbeiten konnte.
    In Monte Carlo machte man nichts Großes aus dem neuen Werk, so dass es hier lediglich drei Aufführungen gab. Aber Fauré hatte das eh´ als eine Art Probelauf für Paris gesehen und das Stück dann in etwas modifizierter Form zwei Monate später mit triumphalem Erfolg in Paris präsentiert.


    1919 war Faurés Taubheit so weit fortgeschritten, dass man ihm nahelegte, sein Amt als Direktor des Conservatoires aufzugeben. Seine Pension war nicht gerade üppig, aber Freunde und Gönner bewirkten, dass er im Gespräch blieb.
    Als er sich im Herbst 1924 im Südosten von Frankreich aufhielt, wo er noch sein Streichquartett op. 121 vollendete, verschlechterte sich sein Gesundheitszustand; am 18. Oktober kehrte Gabriel Fauré nach Paris zurück, wo er am 4. November an einer Lungenentzündung starb.


    Das offizielle Paris richtete für den Komponisten ein als pompös beschriebenes Staatsbegräbnis aus. Bei diesen Feierlichkeiten erklangen auch Sätze aus Faurés »Requiem« op. 48, das musikgeschichtlich eine Sondereinstellung einnimmt.
    Gabriel Fauré hatte in Ausübung seines »Brotberufes« so viel Begräbnismusik gemacht, dass es ihn danach drängte, mal etwas ganz anderes zu machen. Der Amtskirche waren diese Töne zwar nicht ganz geheuer, weil Fauré den Tod gänzlich anders interpretierte als bisher üblich, er komponierte keine Schreckensbotschaft, sondern Zuversicht; das Werk ist ein intimer Trauergesang.
    Es erklang erstmals am 18. Januar zur Beisetzung des Architekten Joseph Soufaché. Das berühmte »Pie Jesu« wurde von einem Knabensopran gesungen. Trompeten, Posaunen und Hörner fügte er erst später hinzu - sie standen bei der Uraufführung nicht zur Verfügung.
    Sein Requiem gehört heute zu den häufig gespielten Werken, es erklang zum Beispiel bei der Trauerfeier für Francois Mitterand und 2016 für die Opfer des LKW-Attentäters von Nizza.


    Der Musikwissenschaftler Christoph Schlüren schrieb in der »nmz« einen lesenswerten Beitrag über Gabriel Fauré, aus dem ich mir erlaube, wenige Zeilen zu zitieren:


    »Wer die magische Welt Gabriel Faurés mit ihren so eigentümlichen wie grazil fließenden modalen Wendungen exemplarisch kennenlernen möchte, sei auf Stücke wie die Elégie für Cello op. 24, die Pavane op. 50, die Sicilienne aus der Schauspielmusik zu Pelléas et Mélisande, den langsamen Satz der 2. Cellosonate oder natürlich das Requiem op. 48 verwiesen. All diese Musik ist äußerst bekannt, und es kann nur erstaunen, wie wenig Beachtung daneben ihr diskreter, innerlich aristokratischer und äußerlich bescheidener Schöpfer findet, der sich lediglich als durchlässigen Empfänger empfand und verstand und nicht als Macher und Führer, um den sich der Rest der Welt zu drehen hat.«


    Praktische Hinweise:
    Cimetiére de Passy ist ein relativ kleiner Friedhof inmitten der Stadt, der auch sehr einfach zu erreichen ist. Man fährt mit der Metro bis zur Station Trocadéro, quert die Straße und steht schon nach wenigen Schritten vor dem Friedhofstor, das man nicht unbedingt als solches erkennt. Es geht auf diesem Friedhof mitunter recht eng zu und man ruht dicht gedrängt.
    Das Grab von Gabriel Fauré befindet sich in der Division 15; eine Hinweistafel zeigt den Weg.



    Man geht die Treppe hoch und findet das Grab links in der hintersten Ecke.


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    Hier hat man alle seine Lieder, die Interpreten sind erstklassig!

  • Banner Trailer Gelbe Rose
  • Ein würdiges Grab für den großen Sänger, im Sommer wird hier üppiges Grün den Stein umgeben.

    Lieber Hart,


    es erfüllt meine Frau und mich mit großer Freude, dass gerade Du das Grab von Kurt Moll relativ kurz nach Fertigstellung des Grabsteins und zusammen mit der wundervollen Kreation in Verbindung mit der Meistersingerkette vorstellen konntest und Du den Lebensweg des großen Bassisten in Deiner unnachahmlichen Art kommentierst. Ingrid und ich waren zusammen mit der Witwe von Kurt Moll auf dem Melaten-Friedhof und sprachen über die Gestaltung des Grabes. Nun können wir es durch Deinen Beitrag sehen. Danke! Bei dem Grün des Grabes werden auch zwei Bäumchen von uns persönlich und als Freundschaftszeichen in kollegialer Hochachtung von der Gottlob Frick Gesellschaft dabei sein. Da die Beerdigung nur im engsten Familienkreis stattfand konnten wir keine Blumen niederlegen und wählten nun den Weg, jetzt etwas Immergrünes auf das Grab pflanzen zu lassen. Wir stehen mit Ursula Moll in Verbindung, deshalb ist der gemeinsame Besuch der Ruhestätte von Kurt Moll bei uns bereits fest eingeplant.


    Herzlichst
    Operus

    Umfassende Information - gebündelte Erfahrung - lebendige Diskussion- die ganze Welt der klassischen Musik - das ist Tamino!



  • Zum heutigen Geburtstag von Otto Klemperer


    Die Wurzeln seiner Familie waren in der österreichisch-ungarischen Monarchie. Der Urgroßvater von Otto Klemperers Vater wurde 1758 als Gumpel Klopper geboren und 1803 als Marcus Klemperer begraben. Der Name Klopper weist auf eine jüdische Tradition hin, denn die Klopper waren die Leute in einer jüdischen Gemeinde, die an die Türen ihrer Glaubensbrüder klopften, damit diese rechtzeitig zur Synagoge kamen.


    Die Eltern Otto Klemperers lernten sich in Breslau auf einer Puppenmesse kennen, denn Ottos Vater war in dieser Branche im Geschäft seines Bruders tätig. Die Eltern kamen sich musikalisch näher. Ottos Mutter war Klavierlehrerin und sein Vater sang - wie sich Otto Klemperer erinnerte - mit »wunderschöner Stimme« Schubert, Loewe, Mozart und Brahms, wurde jedoch von seiner Begleiterin gerügt, weil er die Lieder nach Gehör vortrug und keine Noten lesen konnte. Des Vaters Bravourstück war Schumanns »Dichterliebe«.


    Die Eltern heirateten 1881 in Breslau, verließen die Stadt jedoch 1889, weil es zum Streit zwischen den Brüdern kam und übersiedelten nach Hamburg. Zu Wohlstand kam die Familie nicht, weil der Vater, wie sich der Sohn erinnerte, sich mehr für Schubert und Schiller interessierte als für Buchführung. Der Familie ging es wirtschaftlich nicht besonders gut, aber die Familie mütterlicherseits war reich und half, wenn Not am Mann war.
    Otto war viereinhalb Jahre alt als er nach Hamburg kam und lebte bis zu seinem 16. Lebensjahr dort; er fühlte sich als Hamburger.
    Ein guter Schüler war er zunächst nicht und hielt es für notwendig den Eltern ein Zeugnis vorzuenthalten, aber die Schule schickte ein Duplikat. Der Klassenlehrer schrieb ihm ins Buch »Wer etwas kann, den hält man wert, den Ungeschickten niemand begehrt.« Und der junge Klemperer fühlte, dass das genau auf ihn zutraf, denn es gab in seinem Leben immer wieder Situationen, die diese Ungeschicktheit offenkundig machten.
    Aber er entwickelte sich dann doch zu einem guten Schüler, ja sogar zu einem sehr guten, aber als »Erster« durfte er nicht offiziell in Erscheinung treten, das ging an einem großen deutschen Gymnasium schon damals nicht.


    Seine Einführung in die Musik übernahm die Mutter und Klemperer meinte in der Rückschau, dass er schon mit sechs Jahren hübsch Klavier spielen konnte. Als er dann soweit war, dass er seiner Mutter widersprechen konnte, schickte die ihn zu einem Klavierlehrer, bei dem er bis zu seinem fünfzehnten Lebensjahr viel lernte. Daneben übte er jeden Tag zwei Stunden.
    Als ihn einmal, mehr zufällig und nicht abgesprochen, die Cousine seiner Mutter spielen hörte, war diese so beeindruckt, dass sie den Eltern das Angebot machte, die musikalische Ausbildung des Jungen zu finanzieren. Offiziell hatte Otto dagegen keine Einwände, aber insgeheim gedachte er, wenn er erst einmal volljährig war, Schauspieler zu werden.
    Man zog noch einen befreundeten Pianisten der Familie zu Rate, dem Otto vorspielen musste, dann war die erste Entscheidung gefallen, dass er Musik studiert; die zweite Entscheidung wurde nach einem Hamburger Konzert des Niederländers James Kwast, das Otto mit seiner Mutter besucht hatte, getroffen - er würde bei Kwast am Hoch´schen Konservatorium in Frankfurt studieren.
    Zum Ende des Sommers 1901 verließ er ohne Abitur Hamburg und reiste mit seiner Mutter nach Frankfurt, wo er bei einem alten Klavierlehrer wohnte. Die Aufnahmemodalitäten am Institut absolvierte er problemlos, das freie Leben konnte beginnen.


    Hier nutzte er die Privilegien, die sich einem Musikstudenten in dieser Stadt boten, er konnte kostenlos Generalproben besuchen, hörte Eugen d´Albert, der das Fünfte Konzert von Beethoven spielte und zum ersten Mal den »Ring« - bisher hatte er nur mit Mozart, Beethoven und Schubert gelebt.
    Als von seinem größten Eindruck in Frankfurt spricht Klemperer, wenn er von der Begegnung mit dem großen Sänger Stockhausen berichtet, zu dessen Gesangsstunden er als Pianist gebeten wurde.
    Nach nur einem Jahr verließ Kwast aus privaten Gründen Frankfurt und Klemperer folgte seinem Lehrer zu dessen nächster Wirkungsstätte, das war das Klindworth-Scharwenka-Konservatorium in Berlin. In Berlin gefiel es Klemperer nicht besonders gut, aber er betrieb auch dort fruchtbringende Studien bei guten Lehrern und übte acht Stunden am Tag Klavier. Natürlich nutzte er auch hier das kulturelle Angebot der Stadt, wo zum Beispiel Johannes Messchaert ein ganzes Programm von Mahler-Liedern vortrug und von Mahler selbst am Flügel begleitet wurde; man schrieb das Jahr 1906 und der Saal war nur halb voll, weil der Name Gustav Mahler damals noch weitgehend unbekannt war.
    Klemperer selbst hatte am Klindworth-Scharwenka-Konservatorium dergestalt einen persönlichen Erfolg, dass er sich den ersten Preis als bester Klavierstudent erspielte und nicht nur die Ehre hatte, sondern auch 200 Mark Preisgeld verbuchen konnte.
    Kwast schickte seinen Schüler auch zum Rubinstein-Wettbewerb nach Paris, aber dieser Sprung war zu groß, den Klavierpreis gewann Wilhelm Backhaus.


    Otto Klemperers Dirigentenkarriere begann als »Einspringer«. Er hatte den Dirigenten Oscar Fried kennengelernt, der mit Max Reinhardt eine Inszenierung von Offenbachs »Orpheus in der Unterwelt« plante. Reinhard engagierte Klemperer als Chormeister und Vertreter des Dirigenten.
    Nach der zweiten Aufführung kam es zu einem entsetzlichen Krach zwischen Fried und der Sopranistin; danach dirigierte Klemperer das Werk fünfzig Mal.


    Schon der kleine Otto kannte Gustav Mahler durch viele Begegnungen auf seinem Schulweg, denn die Familie wohnte ganz in der Nähe des Dirigenten der Hamburger Oper und der Kleine kannte den Namen durch die Programmhefte, die seine Eltern von ihren Theaterbesuchen nach Hause brachten.
    Dass Mahler ein großer Komponist sei, erfuhr Klemperer erst in seiner Studentenzeit. Das erste Mahler-Werk, das er kennenlernte, war die Fünfte Symphonie in einer Nikisch-Aufführung - der Ersthörer war enttäuscht.


    Das erste richtige Zusammentreffen mit Mahler war 1905 in Berlin, wo Fried Mahlers Zweite Symphonie dirigierte und Klemperer bat, hinter der Bühne die Fernmusik zu dirigieren.
    Mahler war bei der Generalprobe anwesend und sagte - auf Nachfrage Klemperers ob es so richtig gewesen war - »Es war schauderhaft.«
    Das ist ein gutes Beispiel für Missverständnisse, denn Klemperer argumentierte, dass da in der Anweisung »sehr schmetternd« steht, aber Mahler meinte es sollte weit, weit hinten geschmettert werden ...
    Also ließ Klemperer seine Musiker bei der Aufführung piano spielen und Mahler war voll des Lobes. Etwas später konnte Klemperer Mahler in Berlin bei Proben seiner Dritten Symphonie als Dirigent beobachten und war sehr beeindruckt.
    Und seine Mahler-Begeisterung hielt an, denn schon als alter Mann sagte er. »Toscanini war der berühmteste Dirigent seiner Generation. Aber Mahler war hundertmal besser«.
    Mahlers Symphonien gefielen ihm nicht in allen Teilen, am höchsten schätzte er die Neunte.


    Eine Visitenkarte Mahlers, auf die er eine Empfehlung geschrieben hatte, war für Klemperer der Türöffner zum Deutschen Opernhaus in Prag. Angelo Neumann war dort Chef und gab ihm einen Vertrag über fünf Jahre. Sein erstes Dirigat an diesem Haus war »Der Freischütz«.
    Danach folgten viele Operetten, die damals dem Zeitgeschmack entsprachen. Wegen negativen Presseartikeln gegen Neumann kam es nach drei Jahren zu Unstimmigkeiten, denn Klemperer war mit dem Kritiker befreundet und Neumann hatte Grund zu vermuten, dass sein Dirigent in dieser Sache seine Hände mit im Spiel hat. Klemperer sagte dazu: »Also gab ich meine Stellung auf oder vielmehr wurde ich aufgegeben.«


    Klemperer suchte hektisch ein neues Betätigungsfeld und fand heraus, dass in Hamburg eine Stelle vakant war - wieder bat er Mahler um Vermittlung; dieser sandte ein Telegramm nach Hamburg: »Klemperer zugreifen«.
    Und die Herren in Hamburg griffen zu. Im September 1910 fing er in der Hansestadt an und hatte mit »Lohengrin« einen kaum zu beschreibenden Erfolg, die Presse überschlug sich!
    Einer der vier Edelknaben war Elisabeth Schumann, ein Name, der noch einige Bedeutung für Klemperer haben sollte ...


    Dann kam der große Caruso als Herzog in »Rigoletto« nach Hamburg und sang hier auch noch in »Carmen« und »Martha«.
    Es wurde in Hamburg viel verlangt, jeden Tag eine andere Oper und nie ausreichend Zeit, um ordentlich zu proben, das zerrte an den Nerven, heute bezeichnet man das als »Burnout«.
    Ein Vetter Klemperers war ein bekannter Arzt, der zu einer Auszeit riet und der den Ausfall auch finanzieren wollte.


    Er verließ Hamburg für ein Jahr und ging zu seinem alten Lehrer Pfitzner nach Straßburg, wobei er etwas außerhalb bei einer nur französisch sprechenden Familie wohnte. Dort studierte er intensiv aber in ruhiger Atmosphäre Partituren.
    In dieser Zeit lernte er auch Richard Strauss etwas näher kennen; sie hatten sich zwar schon einmal 1906 kurz in Berlin getroffen, aber nun - es war 1911 in Heidelberg - hatte man, anlässlich eines Festes zum 100. Geburtstag von Franz Liszt, Gelegenheit sich umfangreicher auszutauschen. Die beiden trafen sich noch oft, auch in der Strauss-Villa in Garmisch, wo sich einmal folgendes Gespräch entwickelte:
    Strauss: »Ja sagen Sie mir, was soll denn überhaupt aus den deutschen Theatern und Opernhäuser werden, wenn alle Juden weggehen?«
    Dann wandte sich Frau Pauline an Klemperer und meinte:
    »Ach wissen S´ Herr Doktor, wenn Ihnen die Nazis an´n Kragen wollen, kommen S´ nur zu mir. Dann werd ich´s den Herrn schon geben.«
    Worauf Strauss seine Gattin verwundert ansah und meinte:
    »Dös wär grad der rechte Moment, sich für an Juden einzusetzen.«


    1911 ging hatte sich Klemperer wieder erholt und ging voller Tatendrang nach Hamburg zurück, stürzte sich in die Arbeit, aber auch in eine Liebesaffäre von einiger Tragweite. Im Herbst 1912 begann eine dramatische Beziehung zwischen Klemperer und der Sopranistin Elisabeth Schumann. Man probte »Fidelio«, nicht im Theater, sondern in einer Villa in Groß-Flottbek, wobei sich Klemperer heftig in die blühende junge Frau verliebte, die diese Gefühle erwiderte, obwohl sie verheiratet war. Das verliebte Paar gab sich überhaupt keine Mühe seine Gefühle vor der Öffentlichkeit zu verbergen.


    Elisabeth Schumann war nicht irgendeine Sängerin, sie besaß eine der schönsten Stimmen ihrer Zeit und war ein Publikumsliebling ersten Ranges. Und Klemperer mit seiner Riesenstatur fiel auch überall auf.
    Für zwei Wochen waren die beiden verschwunden, der gehörnte Ehemann, der in Hamburg sehr bekannter Architekt Walther Puritz, ging zur Polizei und erstattete Vermisstenanzeige. Als dann schließlich Frau Schumann wieder in Hamburg auftaucht, weigert sie sich die eheliche Gemeinschaft fortzusetzen, der Ehemann fordert Klemperer zwei Mal zum Duell auf Pistolen, aber dieser lehnt ab und meint lapidar: »Soll er doch auf Enten schießen!«
    Nun nähert sich das Drama seinem Höhepunkt; am zweiten Weihnachtsfeiertag 1912 stand »Lohengrin« auf dem Programm, Klemperer dirigierte.
    Elisabeth Schumann verfolgte die Aufführung in einer Loge und sah mit Schrecken, dass ihr Ehemann mit Freunden in der ersten Reihe saß. Vergeblich versuchte sie, Klemperer durch Zeichen zu warnen. Die Aufführung war fast vorüber, als Puritz plötzlich aufsprang und rief: »Klemperer, umdrehen!« Als der Dirigent sich nach dem Störer umsah, traktierte der wütende Ehemann ihn mit einer Reitpeitsche. Klemperer stürzte in den Orchestergraben, es kam zu einem Handgemenge; ein Pastor im Publikum und etliche Zuschauer betätigten sich als Streitschlichter.
    Das Publikum konnte diese Vorgänge nicht so recht einordnen, aber Klemperer sorgte für entsprechende Aufklärung und rief den Leuten zu: »Herr Puritz hat mich angegriffen, weil ich seine Frau liebe. Guten Abend!«
    Klemperer und Schumann verschwanden nach Wien, irgendwann kehrte die Sängerin zu ihrem Mann zurück, aber als die Todkranke Elisabeth Schumann im April 1952 - auf Vermittlung von Lotte Lehmann - mit dem nun weltberühmten Klemperer telefonierte, bemerkten Eingeweihte, dass sich die Gefühle über vier Jahrzehnte erhalten hatten.


    Nach den Turbulenzen am Hamburger Theater ist Klemperer ab 1913 selbständiger Dirigent in Barmen, was natürlich ein gewaltiger Rückschritt war, der aber den Vorteil brachte, dass er hier nach Gutdünken dirigieren und inszenieren konnte.


    Pfitzner war in Straßburg Direktor der Oper und des Konservatoriums geworden und schickte einen Freund nach Barmen, der ihm offerierte für ein Jahr nach Straßburg zu kommen, wo er Pfitzner für die Zeit vertreten sollte, in der dieser seinen »Palestrina« zu orchestrieren. Die Zusammenarbeit mit Pfitzner war nicht unproblematisch.


    Nachdem Klemperer in Köln eine erfolgreiche Gastvorstellung von »Fidelio« gegeben hatte, wurde er dort ab 1917 fest engagiert und avancierte sogar zum Generalmusikdirektor und 1919 zum Ehemann, eine Sopranistin der Kölner Oper wurde seine Ehefrau. Bald kam ein Sohn und eine Tochter dazu.


    Beruflich war die nächste Station Wiesbaden, das Theater war zwar kleiner als das in Köln, aber es ergab sich der Vorteil, dass er nur für die Hälfte des Jahres an Wiesbaden gebunden war und sich die übrigen Monate frei entfalten konnte. So reiste er von 1924 bis 1936 jedes Jahr für sechs Wochen nach Russland und erwog sogar mit seiner Familie auf Dauer dorthin zu gehen.


    1927 lockte man Klemperer nach Berlin, wo er die sogenannte Krolloper übernahm. Die Sache war insofern problematisch, dass diese Oper keinen eigenen Etat hatte, sondern finanziell im Etat der Lindenoper mit drin war. Gleichzeitig war der Umbau der Lindenoper im Gange, was zu erheblichen Schwierigkeiten bei der täglichen Arbeit führte. Die Lindenoper verfügte auch über die besseren Sänger und Tiedjen wachte schon darüber, dass sich Klemperer nicht mal die Leider für Fidelio auslieh. An der Krolloper führte Klemperer viele zeitgenössische Werke auf, erzeugte aber schon auch mal Unmut mit einem »Fliegenden Holländer«, bei dem die Akteure auf der Bühne in gegenwärtiger Kleidung auftraten; der Wagnerverein deutscher Frauen protestierte ob dieses Frevels; bei der folgenden Aufführung waren über zweihundert Kriminalbeamte im Publikum verteilt.
    Mitten in der Wirtschaftskrise leistete sich Berlin drei Opernhäuser; das war der Punkt, dass die weitere Existenz der Krolloper in Frage gestellt wurde. Diese Institution hatte nur vier Jahre Bestand. Letztendlich waren es aber keine finanziellen Gründe, dass diese Oper geschlossen wurde; als sich Klemperer 1933 von Tietjen verabschiedete und meinte, dass die Entwicklung so gelaufen sei, weil er Jude ist, meinte Tietjen: »Nein, das ist nicht so wichtig. Ihre politische und künstlerische Richtung wollten sie nicht. Das ist der Grund, weshalb die Krolloper geschlossen wurde.«


    Otto Klemperer erkannte die Zeichen der Zeit und fuhr mit dem Zug in die Schweiz; vierzehn Tage später kam die Frau mit den Kindern nach, sie hatte auch etwas Geld mit über die Grenze gebracht, das sie listigerweise in einen Kuchen eingebacken hatte.
    Im Oktober 1933 ging es per Schiff nach Amerika, es war nicht seine erste Konzertreise dorthin, 1926 war er schon einmal drüben gewesen. Es hatte sich so ergeben, dass man in Los Angeles einen Dirigenten brauchte; er reiste alleine, die Familie blieb in Wien. Als er wieder nach Wien zurück kam, hatte sich die politische Situation dort so entwickelt, dass er 1935 mit seiner Familie ganz nach Amerika ging und fünf Jahre später amerikanischer Staatsbürger wurde.


    Opern hat Klemperer in den USA überhaupt nicht dirigiert, er dirigierte viel in der Provinz. Im Herbst 1939 wurde bei ihm ein Gehirntumor entfernt; warum Los Angeles seinen Vertrag auflöste, mochte er in den 1970er Jahren nicht sagen, aber man darf vermuteten, dass seine labile Gesundheit der Grund für einige Ausfälle Klemperers gewesen sein könnten, wo er trotz seiner stattlichen 1,98 Meter keine gute Figur machte (siehe Link zur PDF-Datei), da war er drüben nicht mehr gefragt und kehrte 1946 nach Europa zurück.
    Zwei Konzerttourneen in Europa zeigten die hier größere Kulturdichte und erneuerten alte Kontakte. Der bekannte Musikkritiker Aladár Tóth war Intendant der Budapester Oper geworden und holte Klemperer an sein Haus, was dort für einen allseits beachteten Aufschwung sorgte. Aber im dritten Jahr seines Wirkens wurde der politische Einfluss auf seine Arbeit für ihn unerträglich.
    Nach Budapest war Klemperer in Buenos Aires und Australien. In Montreal hatte er 1951 auf dem Flughafen einen Unfall, ein Oberschenkelhalsbruch zwang ihn zu einem achtmonatigen Krankenhausaufenthalt. Als es wieder so einigermaßen ging, setzte er seine Tourneen fort, aber bis 1955 konnte er nicht aufrecht stehend dirigieren.


    Seit 1954 hatte er seinen festen Wohnsitz in Zürich und lebte dort mit deutschem Pass; 1956 starb seine Frau. 1958 dann der schreckliche Brandunfall, als Klemperer beim Rauchen eingeschlafen war, dabei Feuer fing und ausgerechnet mit einer in der Nähe stehenden Flasche Alkohol einen Löschversuch unternahm.


    Klemperer war schon 1929 zum Dirigieren in London gewesen und kam da nach seinem amerikanischen Exil 1951 wieder hin, wo er mit Walter Legge, der Klemperers Konzert besuchte, ins Gespräch kam und dieser fragte, ob Klemperer das Philharmonia Orchestra dirigieren wolle. Man kam damals nicht zusammen.


    1957 gab Klemperer in London einen Beethoven-Zyklus, es wurden Aufnahmen gemacht und 1959 bot ihm Legge einen lebenslangen Vertrag an, der dann auch zustande kam; der kleine Schönheitsfehler war, dass das Orchester keinen lebenslangen Vertrag mit Legge hatte.
    Dies kam zum Tragen, als Legge im März 1964 urplötzlich auf die Idee kam das Orchester aufzulösen. Orchestermitglieder fragten bei Klemperer nach ob er ihr Präsident werden wolle, dieser sagte ja, und so konnte die fruchtbare Zusammenarbeit mit dem New Philharmonia Orchestra fortgeführt werden.
    Das gemeinsame Musizieren währte siebzehn Jahre. In dieser Zeitspanne entstanden viele Schallplattenaufnahmen, die den Ruhm Klemperers beförderten.
    Trotz dieser vielen Einspielungen, stand Otto Klemperer der musikalischen Konservierungstechnik stets kritisch gegenüber und antwortete einmal auf die Frage eines Journalisten, ob er gerne Schallplattenaufnahmen macht:
    »Nein, ich hasse das. Ich mache ganz gerne eine Aufnahme vor einer Konzertaufführung, weil ich dann Zeit habe, das Werk richtig vorzubereiten. Aber ich hasse das ewige Gerenne in den Kontrollraum, um abzuhören, was ich aufgenommen habe.«


    Thomas Mann lässt Klemperer in seinem Roman »Doktor Faustus« als Dirigent von Adrian Leverkühns »Apocalyptischem Oratorium« auftreten; auch dadurch wurde er unsterblich.




    Der Eingang zum Friedhof



    Orientierungsmöglichkeit anhand der Grabnummern


    Praktische Hinweise:
    Nach den Gebäuden am Eingang wendet man sich nach links, wo der Weg geringfügig ansteigt, dann ist gleich rechts das Grab von Otto Klemperer.


    Hier der Link zum SWR als PDF Datei.
    Klempereru


  • Zum heutigen Todestag von Pauline Viardot-Garcia




    Wenn man es ganz genau nimmt, hieß sie von Geburt an Michelle Ferdinande Pauline García; die Eltern nannten sie Paulita. Der Name Garcia nimmt in der Geschichte der Gesangskunst einen ganz besonderen Rang ein, es ist kaum zu glauben, was diese Familie alles hervorgebracht hat.
    Paulines Vater war der spanische Tenor Manuel del Pópulo Vicente Garcia. Paulines Schwester die 1808 geborene, hochberühmte Maria Malibran und Paulines 1805 geborener Bruder, Manuel Garcia, ein Bariton und Gesangspädagoge, hat sich in der Entwicklung der Gesangskunst mit seiner Kehlkopfspiegelung einen Namen gemacht.


    Die Familie Garcia stammte aus Andalusien und übersiedelte 1808 nach Paris, wo Pauline als jüngstes von drei Kindern zur Welt kam. In Ausübung ihrer Kunst waren die Eltern viel unterwegs. Von 1823 bis 1825 wuchs Paulita in London auf, dann reisten die Garcias nach Amerika; wie überliefert ist, führten sie in New York 1826 »Don Giovanni« auf, prominenter Theaterbesucher soll Lorenzo da Ponte gewesen sein.
    Nun reiste Vater Garcia weiter nach Mexiko, wo die Familie mit einigen Schwierigkeiten zu kämpfen hatte, aber dessen ungeachtet bekam Paulita im November 1828 ihren ersten Klavierunterricht bei Marcos Vega, das war der Organist der Kathedrale von Mexiko City.
    Man hatte sich in Amerika einiges Geld erspielt, aber auf der Rückreise wurde die Musikantentruppe ausgeraubt und kam im Mai 1829 mittellos wieder nach Paris.
    Hier erhielt Paulita zunächst bei Sébastien Arnould Meysenberg Klavierunterricht, in den frühen 1830er Jahren wurde Pauline dann von Franz Liszt unterrichtet, der mit den Garcias befreundet war und Paulines leichten Anschlag lobte.


    Als Manuel del Pópulo Vicente Garcia 1832 starb, war das für das junge Mädchen ein schwerer Verlust. Die Mutter zog mit ihr nach Brüssel, wo Paulines Schwester Maria wohnte, die inzwischen mit dem belgischen Geiger Charles de Bériot zusammenlebte. Maria Malibran bezog ihre jüngere Schwester in ihre Konzertveranstaltungen mit ein, indem sie diese als Solo-Pianistin und Komponistin präsentierte. Noch am 18. August 1836 hatten sie einen großen gemeinsamen Erfolg, aber nur wenig später stürzte Maria Malibran bei einem schweren Reitunfall, an dessen Folgen sie am 23. September 1836 starb.


    Nun bestimmte die Mutter welchen künstlerischen Weg die Tochter beschreitet, dank Paulines vielfältiger Begabungen waren die Möglichkeiten breit gestreut. In der Literatur wird der Vorgang so dargestellt:


    »Am Tag als Pauline sechzehn wurde, sagte ihre Mutter zu ihr: "Geh an dein Klavier und sing das hier für mich!" Es war eine Arie von Rossini. Pauline kam der Aufforderung nach. "Sehr schön, meine Entscheidung steht fest. Schließe dein Klavier, von nun an wirst du singen!"«


    Pauline hatte ihren Vater verloren, dann die Schwester und nun auch noch ihre Lieblingstätigkeit als Pianistin und Komponistin.
    Bereits ein Jahr nach dem Tod ihrer berühmten Schwester debütierte Pauline als Sängerin in Brüssel; danach folgte eine von der Mutter begleitete Konzertreise nach Deutschland, bei der stets darauf hingewiesen wurde, dass die Sechzehnjährige nicht nur Sängerin, sondern auch Pianistin, Bearbeiterin und Komponistin ist. Die Presse berichtete über ihre Auftritte so positiv, dass sogar Giacomo Meyerbeer, der gerade zur Kur in Bad Schwalbach weilte, nach Wiesbaden reiste, um sie zu hören. Meyerbeers Abstecher nach Wiesbaden trug später Früchte, als er seine Oper »Le Prophéte« schrieb und bei der tragischen Mutterfigur Fidés den Mezzosopran Paulines im Ohr hatte.


    Stets wurde sie mit ihrer so früh verstorbenen Schwester verglichen, wobei sie dieser bezüglich der stimmlichen Qualitäten in nichts nachstand. Aber die Schwestern unterschieden sich sowohl im Charakter als auch im Aussehen ganz erheblich. Galt die Malibran als wild und schön, verwendete man für Pauline die Attribute beherrscht und intellektuell und nicht wenige bezeichneten sie ganz ungeniert als hässlich; Marie d´Agoult war eine der Damen die das hinausposaunten.


    Die Opernbühne betrat Pauline Garcia als sie 18 Jahre alt war in London. Am 9. Mai 1839 debütierte sie als Desdemona in Rossinis »Otello«. Sogar die Sängerin Margarete Stockhausen, die Mutter des berühmten Bariton Julius Stockhausen, berichtete ihrem Sohn begeistert von diesem Ereignis, aber auch die Presse war durchweg hervorragend.
    Nach diesem Debüt in England gab sie zunächst in Frankreich im eher privaten Kreis Kostproben ihres Könnens, um dann im Herbst 1839, ebenfalls als Desdemona in Rossinis »Otello«, ihr französisches Operndebüt am Théâtre Italien zu geben. Kein Geringerer als Théophile Gautier schrieb in seiner Kritik:


    »Sie besitzt eines der zauberhaftesten Instrumente, die man hören kann. Sein Timbre ist bewundernswert, weder zu hell noch zu verschattet. Es ist ganz und gar keine metallische Stimme wie die der Grisi; allein die Töne der mittleren Lage haben etwas kaum zu beschreibendes Weiches und Eingängiges, das zu Herzen geht. Der Umfang ist außergewöhnlich.«


    Diese Lobeshymne geht noch weiter; hier ist nur ein knappes Drittel zitiert. Die in Leipzig erscheinende »Allgemeine musikalische Zeitung« berichtete in der Nr. 148 aus Paris:


    »Fräulein Garcia war während der verflossenen Saison der glänzendste Stern am musikalischen Himmel. Man hörte sie mehremale in öffentlichen Konzerten, noch öfter aber in glänzenden Privatcirkeln ... Wer Gelegenheit hatte, sie näher kennen zu lernen, ist nicht minder von Mannichfaltigkeit ihrer Talente und Kenntnisse, von ihrem Geist und von der Liebenswürdigkeit ihres Benehmens, als von der Genialität als Komponistin, dramatische Künstlerin und Sängerin entzückt. Meister sämtlicher europäischer Sprachen, die deutsche nicht ausgenommen, ist sie mit der schönen Literatur aller Nationen vertraut und ihr Talent für die die Zeichenkunst ist so groß, daß sie vielleicht darin nicht minderes zu leisten vermöchte als in der Musik.«


    Man muss auf solche zeitgenössischen Berichte vertrauen, um sich ein Bild zu machen, wenn keine Tondokumente vorhanden sind. Damen am Theater wurden zwar bei entsprechender Leistung vom Publikum bewundert, standen aber auch in dem Ruf einer gewissen Flatterhaftigkeit. So stand auch Pauline dem Theaterbetrieb nicht unkritisch gegenüber und sprach sogar vom »Courtisanenwesen«.


    Im Alter von 19 Jahren trat Pauline Garcia in den Stand der Ehe und heiratete am 8. April 1840 den um 21 Jahre älteren Louis Viardot, der zu dieser Zeit Direktor des Théâtre-Italien war. Der Gatte war aber auch Kunstsammler, Kunstkritiker und Hispanist; er hatte schon zu Paulines Schwester Maria in einem freundschaftlichen Verhältnis gestanden.
    Am Einfädeln dieser Eheschließung soll George Sand wesentlich mit beteiligt gewesen sein.
    Die Hochzeitsreise ging nach Italien, wo man Charles Gounod traf, der dort als Rompreisträger weilte und auch Fanny Hensel hielt sich in dieser Zeit mit ihrem Mann in Italien auf.


    Louis Viardot hängte seinen Beruf als Theaterdirektor an den Nagel und managte seine vielgefragte Gattin. Ihr erstes Engagement hatte sie 1841 in England.
    In den beiden nun folgenden Jahrzehnten entwickelte sich eine in den europäischen Musikzentren umjubelte Karriere der Superlative.
    Aber gerade in Frankreich ergaben sich nun für die Viardots Schwierigkeiten, weil sie den seit Dezember 1851 regierenden Louis Napoléon nicht mochten. Also waren sie meist im europäischen Ausland unterwegs. Zu Erholungspausen begab sich das Paar zunächst nach Nohant auf das Gut von George Sand, ab 1844 dann auf das eigene Schloss »Courtavenel« in Rozay-en-Brie.
    Pauline Viardot hat vier Kindern das Leben geschenkt: 1841 kam Tochter Louise zur Welt, 1852 Claudie, 1854 Maria-Anne und im Sommer 1857 der Stammhalter Paul.


    Sie beendete ihre Bühnenkarriere relativ frühzeitig; schon mit 42 Jahren zog sie sich zurück. Sie sang alles was ihr gefiel, ihre Stimme hatte den entsprechenden Umfang sie konnte das auch, aber es zeigten sich dann mitunter schon Abnutzungserscheinungen.
    Wenn man jedoch ihren weiteren Lebensweg verfolgt, muss man die Aussage, dass sie ihre Bühnenkarriere beendete relativieren, denn es war ja schließlich nicht so, dass sie ab diesem Zeitpunkt nicht mehr gesungen hätte.
    Sie hatte sich ihrer ständigen vertraglichen Verpflichtungen entledigt und gestaltete ihre künstlerische Tätigkeit nun nach eigenem Gutdünken.


    Die Familie verließ Frankreich und nahm ihren Wohnsitz ab dem Sommer 1863 im Großherzogtum Baden. Baden-Baden war in jener Zeit, insbesondere in den Sommermonaten, der Treffpunkt der großen Gesellschaft. Auch Iwan Turgenev hatte sich hier niedergelassen.
    Clara Schumann war ebenfalls 1863 mit ihren Kindern in Baden-Baden in ein Häuschen gezogen; Pauline hatte das angeregt, die beiden waren seit 1838 befreundet. Während ihrer gemeinsamen Zeit in Baden-Baden arrangierten sie beeindruckende Konzerte.


    Viardots Haus war im Schweizerstil erbaut; auf einem großem Areal an der damaligen Tiergartenstraße (heute Fremersbergstraße 27), welches im 20. Jahrhundert durch Neubauten ersetzt wurde. Dazu ließen sich die Viardots eine Tonhalle und ein Theater errichten.
    Ein zierlicher, mit Geschmack eingerichteter und akustisch guter Saal ist am andern Ende des Gartens der Villa Viardot entstanden, durch gläserne Deckenfenster von oben beleuchtet, mit Büsten und Bildern bestückt. An den dunkelgrün tapezierten Langwänden glänzte eine Galerie alter Meisterwerke - und was das für Meisterwerke waren!
    Das besondere musikalische Prunkstück war jedoch die Orgel, davor ein Flügel von Pleyel, der hier nicht vergessen werden sollte. Die Orgel stammte von Aristide Cavaillé, einem der bedeutendsten Orgelbauer aller Zeiten, 1851 entworfen. Ganz billig war dieses Instrument nicht, 10.256 Francs standen zu Buche, Pauline musste damals ihren Schmuck veräußern.
    Madame Viardot komponierte und produzierte, und unterrichtete Schülerinnen aus aller Welt, wobei sie mit ihren Schülerinnen und Kindern Konzerte gab und eigene Bühnenwerke vor der internationalen Baden-Badener Gesellschaft aufführte. Die Libretti schrieb Ivan Turgenev.
    Sie komponierte aber auch mehr als hundert Lieder auf Texte von Musset, Turgenev, Puschkin, Gautier, Mörike und Goethe, die größtenteils noch zu Lebzeiten publiziert wurden. Von »Le dernier sorcier« soll Liszt so begeistert gewesen sein, dass er sich für eine Aufführung in Weimar einsetzte.
    Fast noch berühmter als ihre eigenen Lieder wurden ihre Transkriptionen von 12 Mazurken von Chopin, die sie mit Gedichten von Louis Pomey unterlegte und sehr oft in Konzerten sang. Entsprechend bearbeitete sie auch Walzer von Franz Schubert und ungarische Tänze von Johannes Brahms.
    Pauline Viardot konnte für ein knappes Jahrzehnt an diesem kleinen Treffpunkt der großen Welt alle Register ihrer musikalischen und literarischen Interessen ziehen. Turgenev besaß hier eine Villa, es entwickelte sich eine lange währende Freundschaft zu dem russischen Dichter, der eigentlich ein Deutscher sein wollte, wenn auch nur zu dieser Zeit ...


    Als 1870 der deutsch-französische Krieg ausbrach, mussten die Viardots Baden-Baden verlassen. Sie lebten zunächst in London und kehrten erst später nach Paris zurück, wo sie in Bougival, 15 Kilometer westlich von Paris, ein großes Anwesen mit Park kauften. Turgenjew ließ sich im Park ein Holzchalet bauen.
    Pauline sang 1873 die Uraufführung von Massenets Oratorium »Marie Magdaleine«. Gabriel Fauré war in dieser Zeit sehr eng mit der Familie verbunden. Camille Saint-Saëns begleitete Pauline oft in Liederabenden und widmete ihr seine Oper »Samson und Dalila«
    Das Jahr 1883 brachte nichts Gutes; im Mai starb Louis Viardot und im September Turgenjew.
    Danach verkaufte Pauline Viardot das große Anwesen und zog sich in eine Wohnung in Paris zurück.
    Am 20. Mai 1896 war ihre langjährigen Freundin Clara Schumann in Frankfurt gestorben, die in ihren letzten Jahren auf den Rollstuhl angewiesen war. Pauline war dankbar, dass ihr ihre Vitalität weitgehend erhalten blieb und ließ es sich nicht nehmen nach Frankfurt zu reisen, wo am 23. Mai in der Mylinusstraße zur frühen Morgenstunde die Trauerfeier stattfand und sich viele Weggefährten eingefunden hatten, um sich hier von Clara Schumann zu verabschieden.


    Pauline sind danach noch einige lebenswerte Jahre vergönnt gewesen. Einige Tage vor ihrem Tod gab die nunmehr alte Dame noch eine Stunde. Sie war eigentlich nicht krank, obwohl sie bis ins hohe Alter rauchte. Wie man sich erzählt, sagte sie kurz vor ihrem Tod: »Noch zwei Tage habe ich zu leben« - und so geschah es, Pauline Viardot-Garcia starb am 18. Mai 1910 im Alter von 89 Jahren in Paris.


    Praktische Hinweise:
    Montmartre-Friedhof, 20 Avenue Rachel, 75018 Paris
    Cimetière de Montmartre ist über die Metro-Station Blance mit der Linie 2 zu erreichen
    Am Eingang befindet sich eine Informationstafel mit dem Friedhofsplan. Man folgt vom Eingang aus der Avenue Principale bis zum Kreisel und biegt dann links in die Avenue de la Croix ab; im Gräberfeld (Division) 28 findet man das Grab.



    Orientierungstafel am Friedhofseingang


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  • Zum heutigen Geburtstag von Rosemarie Lang



    Rosemarie Lang war schon eine bekannte Sängerin als sie den Cellisten Andreas Pammler vom Leipziger Gewandhausorchester heiratete, deshalb war sie jahrzehntelang als die Mezzosopranistin Rosemarie Lang bekannt. Sie wurde in Grünstädtel bei Schwarzenberg, einem Ort im sächsischen Erzgebirge, der so um die tausend Einwohner hat und wegen einer Kuriosität am Ende des Zweiten Weltkriegs in die Literaturgeschichte einging, geboren.
    Von dort aus sind es etwa 120 Kilometer bis Leipzig; nach Altenburg, der Stadt ihres ersten Engagements, sind es von Rosemarie Langs Geburtsort gerade mal siebzig Kilometer.
    Diese geografischen Daten zeigen, dass die Sängerin vermutlich mit Vorliebe in ihrer Heimat tätig war, wobei man jedoch auch die politischen Verhältnisse in dieser Zeit sehen muss, die nicht dazu angetan waren, dass Kontakte nach überallhin problemlos gepflegt werden konnten.


    Rosemarie Lang hat in Leipzig Gesang studiert ihre Lehrerinnen waren: Elisabeth Breul, Eva Schubert-Hoffmann und Helga Forner. 1969 konnte sie beim Robert-Schumann-Wettbewerb in Zwickau den zweiten Preis im Gesang bei den Damen erringen, beim Leipziger Bach-Wettbewerb 1972 stand sie bei den singenden Damen an erster Stelle.


    Nach ihrem Erstengagement am Thüringischen Landestheater Altenburg kam sie 1972 an das Opernhaus in Leipzig, wo sie sich bis 1987 in die Herzen des Publikums sang; wenn jemand solange in den unterschiedlichsten Rollen an einem Haus zu hören und zu sehen ist, entsteht ein ganz besonderes Verhältnis, das waren immerhin fünfzehn Jahre.


    Gastspiele führten sie - also ebenfalls im näheren Umfeld - auch nach Dresden und Berlin. So hörte man sie 1980 an der wieder eröffneten Dresdner Semperoper, wo sie die Partie der Venus in einer vielbeachteten Inszenierung des »Tannhäuser« von Harry Kupfer sang.
    Als Rosemarie Lang 1987 an der Berliner Staatsoper ihren Auftritt als Klytämnestra in der Premiere von Glucks »Iphigenie in Aulis« mit überwältigendem Erfolg absolvierte, war es klar, dass man sie ganz in Berlin behalten wollte. Sie hatte hier zwar auch schon in früheren Jahren gastiert, aber dieser Erfolg im Sommer 1987 nahm eine Sonderstellung ein.
    Aber solche Erfolge halten nicht ewig vor, als nach der sogenannten »Wende« in der Spielzeit 1991/92 der neue Intendant Georg Quander an der Staatsoper erschien, blieb auch eine Rosemarie Lang von den Turbulenzen am Haus nicht ganz verschont.
    1992 sprang sie in Mahlers »Lied von der Erde« für Brigitte Fassbaender ein und machte auch in diesem Falle eine gute Figur.
    Ihre seltenen Ausflüge über die deutsche Grenze waren ein Auftritt bei den Salzburger Festspielen, wo sie 1990 das Alt-Solo im Stabat mater von Dvorák übernahm und 1996 war sie an der Oper von Oslo als Fricka und als Waltraute im Nibelungenring zu Gast.
    1999 konnte Rosemarie Lang dann noch ihr Amerika-Debüt feiern, als sie an der Oper von Washington die Brangäne im »Tristan« sang. Der Dirigent Heinz Fricke hatte zu diesen Häusern eine besondere Beziehung und Rosemarie Lang musizierte gerne mit ihm.


    Besonders zu würdigen sind die Leistungen, die Rosemarie Lang als Lieder- und Konzertsängerin erbrachte. Eine ganz hervorragende Aufnahme von Schumanns Zyklus »Frauenliebe und -leben« entstand 1990 in der Dresdner Lukaskirche. Im Booklet ist eine sparsame Vita der Sängerin abgedruckt, wo auch erwähnt wird, dass Rosemarie Lang in Japan mit großem Erfolg gastierte.
    2009 wurde Rosemarie Lang durch Krankheit gezwungen ihren Abschied von der Bühne zu nehmen; es soll ALS, eine heimtückische Krankheit, gewesen sein.
    Die Trauerfeier fand am 10. Februar 2017 auf dem Südfriedhof in Leipzig statt.


    Praktischer Hinweis:
    Rosemarie Lang wurde auf dem Südfriedhof in Leipzig bestattet, das Grab ist in der Abteilung II, nicht weit vom Eingang am Friedhofsweg 3 entfernt, der sich in der Nähe des Völkerschlacht-Denkmals befindet.


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  • Lieber "hart",
    habe großen Dank für deinen wunderbaren Beitrag zu Rosemarie Lang, eine Sängerin, die ich häufig und gerne in Oper, Konzert und mit Liederabenden erlebt und außerordentlich geschätzt habe. Schön, dass ich nun weiß, wie ihr Grab aussieht.
    Zwei Anmerkungen zu deinem Text muss ich aber noch machen:

    So hörte man sie 1980 an der wieder eröffneten Dresdner Semperoper, wo sie die Partie der Venus in einer vielbeachteten Inszenierung des »Tannhäuser« von Harry Kupfer sang.

    Rosemarie Lang sang die Venus - alternierend mit Lona Cullmer-Schellbach - in der Wiederaufnahme der Harry-Kupfer-Inszenierung von Wagners "Tannhäuser" 1987 in der wieder eröffneten Semperoper. 1980 war diese noch nicht wiedereröffnet. Ganz genau sang Rosemarie Lang die Venus in der Semperoper Dresden an folgenden Terminen (ich habe nämlich alle Besetzungszettel dieser Inszenierung eingesehen und erfasst): 19.04.1987 (Rollendebüt neben Günter Neumann unter Günter Neuhold), 1.11.1987 (neben Günter Neumann unter Ude Nissen), 29.12.1987 (neben Günter Neumann unter Ude Nissen), 28.05.1988 (neben Klaus König unter Ude Nissen) und 12.03.1989 (neben Klaus König unter Ude Nissen). Also fünf Vorstellungen zwischen April 1987 und März 1989, aber nicht schon 1980.

    Aber solche Erfolge halten nicht ewig vor, als nach der sogenannten »Wende« in der Spielzeit 1991/92 der neue Intendant Georg Quander an der Staatsoper erschien, blieb auch eine Rosemarie Lang von den Turbulenzen am Haus nicht ganz verschont.

    Naja, sie hat im Gegensatz zu einigen anderen (ich nenne hier stellvertretend für viele Eva-Maria Bundschuh und Siegfried Lorenz) schon Glück gehabt, dass sie im Ensemble bleiben und bis zum Karriereende weitersingen durfte, obwohl sie kündbar gewesen wäre. Natürlich hatte sie auch das Können, aber das hatten die beiden anderen Genannten auch). Ich habe ihr das auch gegönnt, weil sie wirklich eine Leistungsträgerin im Ensemble dieses Hauses war und auch unter Barenboim/Quander blieb: Im neuen Barenboim-Kupfer-"Ring" alternierte sie mit Uta Priew als Fricka und war in der "Götterdämmerung" die Premierenbesetzung der Waltraute, ihre Leib- und Magen-Partie Brangäne ang sie in der Fischer-Inszenierung bis zu deren Ende 1995 und war dann im Jahre 2000 die Premierenbesetzung der Brangäne in der Neuinszenierung von Harry Kupfer unter Barenboim). Da ging es einigen anderen Ensemblemitgliedern, die bleiben konnten/mussten und trotzdem degradiert wurden, weit schlechter. Nach 2000, als die Stimme nachließ, musste sie dann freilich auch Partien im Charakterfach übernehmen, die ihrem Naturell überhaupt nicht entsprachen - die Herodias muss der blanke Horror für sie gewesen sein und war auch dementsprechend nicht besonders gut. Ihre Tragik begann eigentlich erst mit der Diagnose dieser furchtbaren Krankheit ALS, die sie zum vorzeitigen beruflichen Aus zwang und fortan ihr weiteres Leben bestimmte, auch wenn ihre Familie alles tat, um ihr dieses so angenehm wie möglich zu machen, was sicher dazu beitrug, dass ihr Leben doch noch einige Jahre länger dauerte als anfänglich von den Ärzten prognostiziert.


    Wirklich verschont blieb damals niemand von den damaligen "Turbulenzen", aber einen Karriereknick erlebte sie als eine der wenigen nicht - sie war ja auch eine sehr bodenständige Persönlichkeit, für die neben ihrer Kunst noch vieles andere im Leben zählte. Solche Leute ohne Allüren braucht man in den Ensemble natürlich auch! :thumbup:
    Und nun nochmal ganz herzlichen Dank, dass du heute, an ihrem zweiten postumen Geburtstag, hier an Sie erinnert und mir und allen anderen ihre Grabstätte visuell erschlossen hast! Das weiß ich wirklich sehr zu schätzen - wie diese ganze Rubrik auch! :hello:

    Beste Grüße vom "Stimmenliebhaber"

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