Das Kunstlied im Interpretenvergleich

  • Lieber orsini,


    Du sprichst einen sehr, sehr wichtigen Aspekt bei der Beurteilung des Gesanges an, nicht nur beim Lied, auch in der Oper und weitergehend selbst bis zur U-Musik. Auch ich glaube, daß die übergroße Mehrheit der Musikliebhaber Noten nicht oder nur unzureichend lesen kann. Und trotzdem haben sie ein eigenes Urteil über Sänger. Und das sollte keiner verdammen, der nicht die Fähigkeit hat wie Helmut Hofmann, Caruso41 u.a. hier im Forum. Nicht jeder will und kann jeden Ton und jede Silbe zerpfücken um dann zu interpretieren, wie sich in ein und demselben Stück Sänger unterscheiden.
    Einige Fachleute auch hier im Forum (zum Glück nicht alle) mögen ruhig voller Verachtung auf die Nichtfachleute blicken, das wäre ja nicht schlimm. Aber ihre Verachtung und Geringschätzung hier zum Ausdruck zu bringen, das führt zu einem Gefühl, nicht "dazuzugehören." Und das halte ich für grundfalsch. Wir hören doch Stimmen gerne, in Oper und Lied, weil uns die Stimme etwas gibt, etwas, was mehr ist als bloße Notenwiedergabe, etwas, was uns das Drumherum vergessen lassen kann. Es muß doch außerhalb der exakten Analyse ein weiteres Kriterium geben, was uns veranlaßt, Musik und Gesang zu einer der schönsten Nebensache der Welt zu machen. Wenn Sänger nur gehört würden, um Stimmanalysen durchzuführen und die Emotion außer acht gelassen würde, dann sähe es schlecht um das zahlende Publikum aus!!
    Mir geht es so wie Dir, darüber, ob ein Interpret, eine bestimmte Musik mich erreicht oder nicht, darüber entscheiden eine ganze Reihe Kriterien. Die Stimme selbst, das Bauchgefühl, was sie vermittelt, die Umgebung, die persönliche Stimmung usw. Es gibt Tage, da mag ich einfach keine Klassik und höre z.B. Countrymusik oder Elvis oder die BeeGee`s, und es gibt Tage, da brauche ich Klassik, an manchen Tagen Orchestermusik, und an anderen Tagen Oper. Es gibt auch Tage, da brauche ich keine Musik, da bleibt das Radio oder der CD-Player stumm.
    Übrigens kann ich Noten lesen. Ich will mir aber das Hören einer Arie nicht zerstören, wenn ich dazu die Noten in der Hand halte und krampfhaft versuche, Abweichungen vom Notenmaterial und vom Text festzustellen. Da würde ich mein Bauchgefühl, meine Emotion abschalten müssen. Und damit meine Art, Musik zu genießen.
    Herzlichst La Roche


    Hallo La Roche, wir sind ja nicht oft einer Meinung, aber hier stimme ich dir mit vollster Überzeugung zu, mir macht es auch keine Freude vergleichend eine Arie/Lied zu zerpfücken. Es muss einfach von innen kommen und eine Aussage transportieren die meinem Gefühl entgegenkommt, ich lese auch immer wieder den Text mit auch wenn ich ihn auswendig kenne, so höre ich doch was der Sänger/in mit dem jeweiligen Text anfangen kann! Das muss sich dann aber nicht nur im reinen Schöngesang vollziehen. Besonders wichtig finde ich, was ich als erstes vernehme ist die Stimme und wenn die nicht gefällt ist es bei mir schon fast vorbei, und das ist doch auch das was Orsini beschäftigt da soll er sich auch mal keine größeren Gedanken darüber machen, er soll das hören was ihm gefällt. Übrigens kann auch ich so la la Noten lesen, für mein Chor singen reicht es wohl. ;)
    Ich lese liebend gerne H.Hofmanns Lieder Thread's auch wenn ich nicht immer alles nachvollziehen kann, so sind jedoch immer viele Anregungen dabei und ich höre manchesmal beim Nachhören ganz anders und achte mehr auf dieses und jenes!


    LG Fiesco

    Il divino Claudio
    "Wer vermag die Tränen zurückzuhalten, wenn er den berechtigten Klagegesang der unglückseligen Arianna hört? Welche Freude empfindet er nicht beim Gesang seiner Madrigale und seiner Scherzi? Gelangt nicht zu einer wahren Andacht, wer seine geistlichen Kompositionen anhört? … Sagt nur, und glaubt es, Ihr Herren, dass sich Apollo und alle Musen vereinen, um Claudios vortreffliche Erfindungsgabe zu erhöhen." (Matteo Caberloti, 1643)

  • Einige Fachleute auch hier im Forum (zum Glück nicht alle) mögen ruhig voller Verachtung auf die Nichtfachleute blicken, das wäre ja nicht schlimm. Aber ihre Verachtung und Geringschätzung hier zum Ausdruck zu bringen, das führt zu einem Gefühl, nicht "dazuzugehören." Und das halte ich für grundfalsch.


    Lieber La Roche, auch ich gehöre zu den bildungsfernen banausischen Genussmenschen. Ich erlaube mir, auch ohne die neueste wissenschaftliche Partitur in eine Opernaufführung zu gehen. In einem Liederabend habe ich auch nicht zehn Bände der neuesten Schubert-Ausgabe auf dem Schoß. Und in einem Restaurant lasse ich auch nicht den Wein - bevor ich ihn trinke - oder das Mahl - bevor ich es zu mir nehme - von einem Lebensmittelchemiker in seine Bestandteile zerlegen. Ich verlasse mich auf meinen Geschmack und mein Urteil. Dadurch wird mir auch schnell klar, wenn ein Sänger fürchterlich bellt, obwohl er vielleicht alles richtig macht und die historische Rolle Metternichs in einem Lied gründlich herausarbeitet. ;)


    Von einen Dirigenten weiß ich, dass er sich lange vor Auffürungen bei einem sehr berühmten deutschen Festival die originalen Noten zeigen ließ und sie immer und immer wieder studierte. Nur war dieser Dirigent in der Vorstellung der größte Langweiler, den ich je gehört habe.

    Es grüßt Rüdiger als Rheingold1876


    "Was mir vorschwebte, waren Schallplatten, an deren hohem Standard öffentliche Aufführungen und zukünftige Künstler gemessen würden." Walter Legge (1906-1979), britischer Musikproduzent

  • Wie gut, denke ich gerade, dass mich meine Faulheit davor bewahrt hat, eine Torheit zu begehen!


    Denn um eine solche hätte es sich gehandelt, wie mir nach der Lektüre der drei voranstehenden Beiträge bewusst wird, wenn ich eine vergleichende Betrachtung der hier vorgestellten gesanglichen Interpretationen von Schuberts "Frühlingsglaube" vorgenommen und das Ergebnis hier präsentiert hätte.
    Es wäre ja - weil ich nun mal der Auffassung bin, dass sich so etwas auf sachlich fundierte, aus der Liedmusik hergenommene Kriterien stützen muss - auf eine wahre Orgie der rationalen Zerpflückung von Liedgesang hinausgelaufen.


    Wieso, so frage ich mich, weiter meinen durch die Beiträge ausgelösten Gedanken nachgehend, muss eigentlich die auf diese Weise rational erfolgende Beschäftigung mit Liedmusik und deren gesanglicher Realisation das "Genussmenschentum" und das "Bauchgefühl" stören, - um die zwei zentral relevanten Begriffe dieser Beiträge aufzugreifen?


    Kein Liebhaber des Kunstliedes käme auf die Schnapsidee, mit den " zehn Bände der neuesten Schubert-Ausgabe auf dem Schoß" in einen Schubert-Liederabend zu gehen. Aber wir sind hier im Kunstliedforum doch nicht in einem Konzertsaal, sondern an einem Ort der diskursiv-reflexiven, also wesenhaft rationalen Zuwendung zur klassischen Musik und Beschäftigung mit dieser. Und ein wirklicher Diskurs kann sich doch wohl nur auf der Basis rationaler, sachlich fundierter Argumentation entfalten. "Bauchgefühle" und "Genüsslichkeiten" können - einmal abgesehen davon, dass sie schwer in Worte zu fassen sind - schon infolge ihres extrem hohen Grades an Subjektivität eine solche Basis schwerlich liefern.
    Will sagen:
    Die Aversionen gegen eine rational-analytische Beschäftigung mit klassischer Musik - hier Liedmusik - sind mir zwar sehr wohl verständlich und nachvollziehbar, aber in ihrer Sinnhaftigkeit einsichtig werden sie mir nicht, das Wesen, die Grundlage und den Ertrag dessen bedenkend, was sich in diesem Forum ereignen soll.

  • Lieber Helmut,


    irgendwie haben wir uns da mißverstanden. Deine sachlichen Analysen habe ich immer mit großem Interesse gelesen, Deine Beiträge gehören für mich zu den das Forum prägenden Beiträgen, sie sind immer fachlich kompetent, durchdacht und von einer beneidenswerten Sachkenntnis. Dabei verstehst Du es in jedem Beitrag, Dein Fachwissen so zu verbreiten, daß der interessierte Leser sich angesprochen fühlen kann und das Gefühl erhält, etwas gelernt zu haben.


    Dagegen gibt es im Forum auch Mitglieder, die vor persönlichen Angriffen nicht zurückschrecken, wenn man auf gleich hohem Niveau nicht mitdiskutieren will oder kann. Man wird aufgefordert, keine Beiträge mehr zu schreiben, wenn man Stimmenvergleiche nicht analytisch begründet und eher emotionale Meinungen vertritt. Der Tonfall dieser Diskutanten mißfällt mir, und Du gehörst keinesfalls dazu, auch Dr. Kaletha nicht (unsere Meinungsverschiedenheiten sind eher grundsätzlicher Art).


    Sollten wir uns da mißverstanden haben und sollte das meine Schuld sein, so bitte ich Dich um Entschuldigung. Keinesfalls solltest Du Dich davon abhalten lassen, weiterhin das Forum mit Deiner Domäne, dem Liedgut und ihrer Interpretation zu bereichern.


    Herzlichst La Roche

    Ich streite für die Schönheit und den edlen Anstand des Theaters. Mit dieser Parole im Herzen leb' ich mein Leben für das Theater, und ich werde weiterleben in den Annalen seiner Geschichte!

    Zitat des Theaterdirektors La Roche aus Capriccio von Richard Strauss.

  • Nein, nein, lieber La Roche, Du hast nicht den mindesten Grund und Anlass, Dich mir gegenüber zu entschuldigen!
    Ich habe die Intention Deines Beitrages, wie auch die der nachfolgenden Beiträge hier, sehr wohl verstanden und in gar keiner Weise persönlich genommen. Es geht um ein allgemeines Problem: Das der Art und Weise, wie man mit Liedmusik ganz allgemein und speziell ihrer gesanglichen Realisation umgehen kann und soll, um einen Diskurs darüber möglich werden zu lassen. Darauf bezog sich da mein Beitrag (Nr.147), durch den diese kleine Diskussion hier überhaupt erst in Gang kam.
    Darauf versuchte ich noch einmal einzugehen, habe aber vielleicht - wieder mal - nicht den hinreichend sachlichen Ton gefunden. Denn es steht ja auch ein wenig persönliche Betroffenheit dahinter.
    Und so denke ich denn:
    In der Sache habe ich eigentlich nichts von dem zurückzunehmen, was ich gesagt habe. Aber der meinen Beitrag einleitende Satz ("Wie gut, denke ich gerade, dass mich meine Faulheit davor bewahrt hat, eine Torheit zu begehen!") war ein Fehler.

  • Hallo!


    Soweit es meine Erkältung zulässt, habe ich mir einen Eindruck der eingestellten Aufnahmen gemacht. Der Vergleich mit einem Ölgemälde bzw. einem Aquarell trifft es sehr schön. Bei Quasthoff ist es für mich vor allem die Natürlichkeit der Stimme, da ist nichts artifizielles zu erkennen (was ich auch den anderen Interpretationen nicht unterstelle).


    Da ich ebenfalls keine musiktheoretischen Kenntnisse besitze, würde mich interessieren, wie Sänger mit unterschiedlichen stimmlichen Voraussetzungen ihren Zugang zu den jeweiligen Stücken finden. Bariton ist ja wohl nicht gleich Bariton?


    Apropos Bariton: Ich habe den Eindruck, wir sind in diesem Thread eher männerlastig. Daher möchte ich noch eine sehr schöne, meines Erachtens ebenfalls (ich denke auf Bostridge trifft das auch zu) fragile Interpretation von Edith Wiens ein. Sie wird begleitet von Rudolf Jansen.



    Gruß WoKa

    "Die Musik drückt das aus, was nicht gesagt werden kann und worüber Schweigen unmöglich ist."


    Victor Hugo

  • hallo WoKa,


    als erstes meine besten Wünsche für eine baldige Besserung!


    Mit Edith Wiens hast Du eine sehr schöne Version mit einer Sopranstimme herausgesucht. Sie hat eine sehr schöne, strahlende Sopranstimme, die mir noch einen Tick besser gefällt als bei Christiane Karg. Eine sehr anmutig-verhaltene Interpretation, bei vorbildlicher Textverständlichkeit (die gerade bei hohen Sopranstimmen nicht gerade selbstverständlich ist). Das läßt mich etwas bedauern, dass ich fast keine Aufnahmen von Edith Wiens habe...


    Ein paar Gedanken zu Deiner Frage, wie verschiedene Baritonisten die Interpretation angehen: ich denke, es gibt da neben der vom Sänger "intellektuell" gewollten Interpretation ein paar sehr individuelle Faktoren wie z.B. Stimmfarbe, Stimmvolumen, Stimmumfang (d.h. muß transponiert werden?), Gesangstechnik, Atemvolumen, ... die mit entscheidend sind, wie die Interpretation ausfällt und vor allem, wie sie letztlich vom Hörer empfunden wird. Hat ein Sänger Defizite z.B. im Stimmvolumen oder mit der Atmung, wird er versuchen, dies durch die anderen Faktoren zu überspielen oder gar wettzumachen. Das müßte man aber am konkreten Beispiel anschauen und vergleichen, sonst klingt es zu theoretisch und zu allgemein...


    viele Grüße,
    orsini

    ... in diesem Sinne beste Grüße von orsini


    „Das Denken ist zwar allen Menschen erlaubt, aber vielen bleibt es erspart.“
    Curt Goetz

  • Hallo!


    Lieber Orsini - wir sind momentan zwar alleine, was das Einstellen von Vorschlägen anbelangt. Solange es Dir jedoch Freude bereitet, macht es mir auch Spaß.


    Daher möchte ich als nächstes das Lied "Der Wanderer an den Mond" von Franz Schubert nach einem Gedicht von Johann Gabriel Seidl einbringen.


    Der Wanderer an den Mond


    Ich auf der Erd, am Himmel du,
    wir wandern beide rüstig zu:
    ich ernst und trüb, du mild und rein,
    was mag der Unterschied wohl sein?


    Ich wandre fremd von Land zu Land
    so heimatlos, so unbekannt;
    bergauf, bergab, waldein, waldaus
    doch bin ich nirgend, ach! zu Haus.


    Du aber wanderst auf und ab
    aus Westens Wieg' in Ostens Grab,
    wallst länderein und länderaus,
    und bist doch, wo du bist, zu Haus.


    Der Himmel, endlos ausgespannt,
    ist Dein geliebtes Heimatland:
    O glücklich, wer, wohin er geht,
    auf der Heimat Boden steht.


    Anm.: Die Kopie habe ich aus diesem Thread, in dem Alfred den Text einst eingestellt hat:


    La Luna - Der Mond in der Musik


    Als erstes die Interpretation, die mich dazu gebracht hat, das Lied einzustellen: Gérard Souzay.



    Ich habe gestern eine CD mit Schubertliedern und der Dichterliebe von Robert Schumann mit Gérard Souzay erstanden. Dadurch kann ich auch das Jahr der Entstehung der Aufnahme mit 1956 beziffern.


    Seinen Gesang habe ich seit ich die Winterreise - Aufnahme hörte, schätzen gelernt. Die Stimme hat etwas samtiges, wobei ich immer überrascht bin, was für ein gutes Textverständnis dieser französische Bariton erreichte. Der Gesang betont in seiner Rhythmik und seinem Ausdruck das Wandern - ich habe das Gefühl, er wandert während er singt. Gleichzeitig drückt er sehr poetisch die Sehnsucht aus, "nirgendwo zuhaus" zu sein. Es klingt bei ihm - vor allem am Ende des Liedes, beinahe patriotisch.


    Anders dagegen Benjamin Appl, Das Klavier kommt deutlich zackiger daher. Er differenziert emotional sehr stark und nimmt an den richtigen Stellen das Tempo raus. Er hat dieses Stück auf seiner CD "Heimat" veröffentlicht, passt es doch hervorragend zu diesem Motto.



    Gruß WoKa

    "Die Musik drückt das aus, was nicht gesagt werden kann und worüber Schweigen unmöglich ist."


    Victor Hugo

  • hallo WoKa,


    gerne nehme ich den Ball auf, zumal dieses Lied für mich fast so etwas wie Neuland bedeutet. Will sagen, ich kenne es nicht so gut, wie die anderen, über die wir schon geschrieben haben.


    Deine beiden vorgestellten Versionen habe ich mir sorgfältig angehört. Ich muß sagen, dass mir Gerard Souzay ob seiner Diktion und Gesangstechnik doch schon recht fern steht. Da hört man, finde ich, dass dies eine Interpretation aus einer anderen Zeit ist. Für mich am ehesten noch vergleichbar mit einigen Liedversionen, die wir hier von Kathleen Ferrier gehört haben...
    Sehr viel besser gefällt mir da Benjamin Appl; sehr gelungen das Gegenüberstellen der Ich-Perspektive mit sehr kerniger, forscher Tongebung, wohingegen die auf den Mond bezogen Phrasen viel weicher (wie weiches Mondlicht?) gesungen werden. Was beide Aufnahmen eint, ist die starke Betonung des rhythmischen Elements - sowohl im Klavierpart als auch in der Gesangsstimme. Auf der Appl-CD ist das Klangverhältnis Klavier - Stimme wesentlich ausgeglichener als im youtube clip, wo das Klavier geradezu dröhnt.


    Diesen beiden Bariton-Versionen möchte ich eine fast völlig gegensätzliche Interpretation zur Seite stellen.


    Hier singt Lucia Popp begleitet von Irwin Gage am Klavier in einer Aufnahme aus dem Jahre 1983. Das ganze Lied erscheint wie durch einen Weichzeichner geglättet. Der rhythmische Fluß des Klaviers tritt deutlich hinter die Melodielinie zurück. Noch extremer in der Gesangstimme, hier dominiert Wohlklang - ja fast schon Melodienseligkeit. Trotz dieses Abschleifens der Kontraste, differenziert L. Popp sehr gut zwischen den unterschiedlichen Perspektiven. Obwohl ich öfter Probleme mit der Wortverständlichkeit bei Popps Gesang habe, hier kann man jedes Wort mitschreiben. Für mich eine faszinierende, wenngleich auch ungewöhnliche Interpretation...


    es grüßt,
    orsini

    ... in diesem Sinne beste Grüße von orsini


    „Das Denken ist zwar allen Menschen erlaubt, aber vielen bleibt es erspart.“
    Curt Goetz

  • Hallo!


    Ja das mit der anderen Zeit ist so eine Sache. Mir ging es lange wie Dir, bei der etwas intensiveren Beschäftigung mit dem Kunstlied fallen allerdings meine Grenzen zunehmend. So hat bei der Zusammenstellung des Schubert - Liederabends hier in Tamino Alfred dieses Lied in der Interpretation von Karl Erb vorgeschlagen - ich muss zugeben, ich konnte nichts damit anfangen. Mittlereile nähere ich mich diesen Aufnahmen. Auf Gérard Souzay hat mich Bertarido gebracht.


    Lucia Popp gefällt mir sehr gut - es ist allerdings irgendwie ein anderes Lied. Es betont sehr stark die lyrische und romantische Sicht auf den Mond. Sie ist in sich gekehrt, während Appl auf Wanderschaft ist. Beides hat meines Erachtens seine Berechtigung.


    Ähnlich wie Appl empfinde ich die sicher mustergültige Interpretation von Dietrich Fischer-Dieskau aus dem Jahre 1955:



    Bei ihm sind die Stiefel mustergültig geschnürt, der Rucksack perfekt gepackt. Allerdings strahlt er mir beinahe zu viel Zuversicht aus für das eher einsame Bild des Wanderers, das Schubert so nahe lag.


    Gruß WoKa

    "Die Musik drückt das aus, was nicht gesagt werden kann und worüber Schweigen unmöglich ist."


    Victor Hugo

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  • hallo WoKa,


    mit den älteren Stimmen an sich habe ich kein Problem. Ich höre z.B. mit großer Freude Aufnahmen z.B. von Luisa Tetrazzini, John McCormack oder Helge Rosvaenge, deren Zeit z.T. noch weit vor Souzay oder Ferrier liegt. Es ist wohl mehr ein unterschwellig anderer Interpretations- oder Gesangsstil der Generation Ferrier/Souzay, der diese Liedaufnahmen für mich so wenig hörenswert erscheinen läßt: vieles wirkt für mich zu bleiern schwer und zu bedeutungsaufgeladen. Mag sein, dass die nicht perfekte Aussprache des Deutschen ein übriges tut... Da hat sich bei heutigen Nicht-Muttersprachlern doch einiges zum besseren verändert.


    Aber zurück zum Lied selbst: Ja, die Version mit Fischer-Dieskau gefällt mir auch sehr gut. Ich empfinde sie als einen guten Mittelweg zwischen den fast etwas über-rhythmisierten und den zu lyrischen Aufnahmen, die wir gehört haben.
    Auch wenn ich zu Christian Gerhaher nichts mehr sagen wollte :stumm:, aber seine Version dieses Liedes geht in die Richtung der Fischer-Dieskau-Interpretation. Einige Akzentuierungen (z.B. am Himmel du oder bei du mild und rein) finde ich etwas zu stark (ebenso wie einige rrrrrrrrrrrrr's) - trotzdem gefällt es mir im großen und ganzen sehr gut.



    es grüßt,
    orsini

    ... in diesem Sinne beste Grüße von orsini


    „Das Denken ist zwar allen Menschen erlaubt, aber vielen bleibt es erspart.“
    Curt Goetz

  • Lieber Orsini!


    Vielen Dank für Deinen Beitrag.


    Folgende Lieder haben wir bisher betrachtet:


    Richard Strauss:Allerseelen
    Schubert: Gretchen am Spinnrad
    Beethoven: Adelaide
    Brahms: Von ewiger Jugend
    Robert Schumann: Widmung
    Mahler: Wo die schönen Trompeten blasen
    Schubert: Frühlingsglaube
    Schubert: Der Wanderer an den Mond


    Während wir hier die Interpreten hin- und herspielen, überlege ich bereits, welches Lied wir uns als nächstes vornehmen könnten. Mir fallen immer zu viele ein, gleichzeitig bin ich unsicher, ob Interesse für das ausgewählte Stück besteht und ob (von mir) der Anspruch zu bewältigen ist, Interpretationen mit Kommentaren einzustellen, die der "Tiefe" des Werkes auch gerecht werden.


    Ich möchte daher an der Stelle einige Lieder (von vielen), die mir in den Sinn kommen, nennen. Jeder ist eingeladen, ebenfalls Kunstlieder zu benennen, die eventuell betrachtet werden sollen, ohne dass daraus eine Verpflichtung entsteht, sich ggf. auch zu beteiligen (was natürlich dennoch schön wäre).


    Über folgende Lieder denke ich derzeit nach:


    Gustav Mahler:
    Um Mitternacht
    Ich bin der Welt abhanden gekommen


    Schubert:
    Der Erlkönig (Die Diskussion um die Interpreation von Elisabeth Söderström hier in Tamino hat mich einst auf die Idee für diesen Thread gebracht)
    Der Leiermann


    Schumann:
    Im wunderschönen Monat Mai


    Richard Strauss:
    Morgen!


    Gruß WoKa

    "Die Musik drückt das aus, was nicht gesagt werden kann und worüber Schweigen unmöglich ist."


    Victor Hugo

  • Besteht Interesse an einer kleinen Analyse vom Erlkönig? Dann könnte ich bei den nächsten Zugfahrten mal daran arbeiten. Das wäre dann aber kein Interpretenvergleich (ich habe nur Fischer-Dieskau), sondern eine Analyse der Noten.

  • Besteht Interesse an einer kleinen Analyse vom Erlkönig? Dann könnte ich bei den nächsten Zugfahrten mal daran arbeiten. Das wäre dann aber kein Interpretenvergleich (ich habe nur Fischer-Dieskau), sondern eine Analyse der Noten.

    Also ich finde so etwas immer sehr interessant. Es würde mich freilch wundern wenn es eine solche "Erlkönig"-Analyse von Helmut Hofmann in diesem Forum nicht längst gäbe, aber auch das spricht nicht gegen eine zweite. :hello:

    Beste Grüße vom "Stimmenliebhaber"

  • Hallo!


    Schön - das steht sich ja nicht entgegen.


    Über Deine Hinführung können wir zum Interpretenvergleich kommen. Aber Vorsicht, das Feld ist leicht vermint!


    Erlkönig Söderström


    Posts 183 bis 258


    Gruß WoKa

    "Die Musik drückt das aus, was nicht gesagt werden kann und worüber Schweigen unmöglich ist."


    Victor Hugo

  • Dann stelle ich mal online, was ich mir gestern überlegt habe:


    Schubert: Erlkönig


    - Es handelt sich um ein durchkomponiertes Kunstlied (op. 1).
    - Die Tempoangabe lautet "schnell", nur die letzten beiden Akkorde im Klavier sind Andante. Die Tonart ist g-Moll; laut Wikipedia "ernst, schwermütig, traurig, süß oder rührend".


    Klavierbegleitung:
    - Die rechte Hand spielt in der Nicht-Erlkönig-Realität bis auf den Schluss durchgehend Triolen-Achtel. Damit soll wohl der schnelle Lauf des Pferdes dargestellt werden. Am Anfang und oft, wenn die Singstimme schweigt, der Grundton g in Oktaven (wegen der fehlenden Terz noch keine Tonart/-geschlecht erkennbar), später auch ganze Akkorde.
    - Anfangs g-Moll (t), dann Wechsel zwischen D-Dur (D), c-Moll (s) und B-Dur.
    - In der linken Hand sind eingestreut aufsteigende Tonleitern in Triolenachteln und danach manchmal absteigende Dreiklänge in Vierteln, wenn nicht der Erlkönig spricht.
    - Wenn der Erlkönig "Willst, feiner Knabe, ..." spricht, gleichmäßige Achtelläufe auf und ab (gebrochene Akkorde), die wohl "nächtlichen Reihn und wiegen und tanzen und singen dich ein" darstellen sollen.
    - Wenn der Erlkönig spricht, Modulation nach Dur (B-Dur, C-Dur, Es-Dur), bloß bei "Gewalt" am Ende Sprung auf d-Moll (d).
    - Bei "Dem Vater grauset's ... das ächzende Kind" geht die rechte Hand langsam hoch, wohl um die steigende Dramatik auszudrücken.
    - Am Ende nach "... mit Müh und Not;" und beim Beginn des Rezitatives ist ein Neapolitanischer Sextakkord s^n (kann als verminderte II. Stufe interpretiert werden oder besser als verminderter Sextakkord auf der Moll-Subdominante). Dieser drückt Schmerz und Tod aus. Zwischen "das Kind" und "war tot" ist eine Fermate, die Spannung erzeugt. Die Singstimme schweigt und das Klavier spielt einen verminderten Mollseptakkord, der wiederum Schmerz und Tod ausdrückt. Es folgt (Andante) eine Kadenz D^7 (D-Dur-Septakkord) und t (g-Moll).


    Singstimme:
    - Die Singstimme ist fast durchgängig syllabisch, nur kurze Melismen auf "spiel" und "gülden". Der Melodieverlauf und der Rhythmus sind der Sprachmelodie und dem Sprachrhythmus angepasst. Beispielsweise geht die Stimme bei der Frage "Wer reitet so spät durch Nacht und Wind?" am Ende nach oben.
    - Teilweise Chromatik, meist aufsteigend: "so bang dein Gesicht", "(Er)lenkönig mir leise verspricht", "-(kö)nigs Töchter am düstern Ort", "bist du nicht willig", "so brauch ich Ge(walt)"; auch ganz kurz: "bunte Blu(men)", "sind", (säu)selt der Wind", "(Kna)be du mit", "(Tö)chter", "Gestalt".
    - Seufzermotive auf "Vater" (mehrfach).
    - Es gibt vier Sprecher, die unterschiedlich interpretiert werden müssen: Erzähler, Vater, Kind und Erlkönig.
    - Der Vater singt relativ tief, das Kind anfangs in fast ähnlicher Tonlage, dann bei jedem Einsatz höher und eindringlicher. Der Höhepunkt wird auf "hat" bei "hat mir ein Leids getan." erreicht.
    - Der letzte Vers "in seinen Armen das Kind war tot." ist ein Rezitativ. Hier wechselt Goethe vom Präsens zum Imperfekt.


    Dynamik:
    - Viele Lautstärkenänderungen, manche langsam, andere plötzlich:
    - Anfang in f, vor dem Einsetzen des Erzählers Wechsel zu pp, später weitere Wechsel.
    - Der Erlkönig in pp/ppp/p mit decrescendo eingeleitet und mit plötzlichem Sprung wieder auf f beendet, bloß bei "Gewalt" am Ende plötzlicher Sprung zu fff.


    Interessant wäre vielleicht auch noch, andere Vertonungen der Ballade zu betrachten. In der Wikipedia sind einige aufgelistet.

  • Jeder ist eingeladen, ebenfalls Kunstlieder zu benennen, die eventuell betrachtet werden sollen, ohne dass daraus eine Verpflichtung entsteht, sich ggf. auch zu beteiligen (was natürlich dennoch schön wäre).


    hallo WoKa,


    anbei einige Lieder, die mir für diesen Vergleich in den Sinn kommen:
    # Schubert Erlkönig - das ist sicherlich eines der nächsten Lieder, die dran kommen sollten (auch auf der Basis von Timos und Helmuts Überlegungen und Analysen)
    # Loewe Erlkönig - ich finde Timos Anregung schön, den Erlkönig auch mal zwischen den Komponisten zu vergleichen


    Dann ohne weitere Kommentare folgende Vorschläge von Liedern, die ich persönlich sehr gerne mag:
    # Mozart - Abendempfindung, Sehnsucht nach dem Frühling
    # Loewe - Prinz Eugen, Heinrich der Vogeler, Graf Eberstein, Odins Meeresritt
    # Schumann - Mondnacht
    # Brahms - Mainacht, Wie bist Du meine Königin, Feldeinsamkeit
    # Schubert - Der Hirt auf dem Felsen, Du bist die Ruh, Das Wirtshaus und Nebensonnen aus der Winterreise
    # Strauss - Wiegenlied, Traum durch die Dämmerung
    # Mahler - Rheinlegendchen
    # ggf. etwas von Debussy, Tschaikowski oder Rachmaninow


    Gruß,
    orsini

    ... in diesem Sinne beste Grüße von orsini


    „Das Denken ist zwar allen Menschen erlaubt, aber vielen bleibt es erspart.“
    Curt Goetz

  • vergessen hatte ich in meinem vorigen post
    # Wolf - Verschwiegene Liebe, Der Feuerreiter

    ... in diesem Sinne beste Grüße von orsini


    „Das Denken ist zwar allen Menschen erlaubt, aber vielen bleibt es erspart.“
    Curt Goetz

  • Hallo!


    Dann wollen wir eine konstruktive und offene Diskussion über verschiedene Interpretationen des Erlkönigs in der Vertonung von Franz Schubert beginnen.


    An Timo:
    Vielen Dank für Deine umfassende Analyse dieser Ballade. Obgleich ich keine Noten lesen kann, kann ich viel damit anfangen.


    Ich habe heute sehr viele Interpretationen gehört. Die meisten zeichnen sich durch eine sehr hohe Dynamik aus, die natürlich auch beherrscht sein will. Wobei die meisten Interpreten zumindest ansatzweise Stimmänderungen je nach "Rolle" vornehmen. Wer fast ohne dieses dramatische Mittel auskommt (wobei ich durchaus die Anpassung der Stimme an die unterschiedlichen Rollen schätze), ist Mauro Peter, dessen Interpretation im Verhältnis zu allen anderen Aufnahmen deutlich langsamer und damit "geordneter" ist. Einige der Interpretationen, die ich gehört habe, springen am Ende des Lieder durch Tempo und Dramatik beinahe aus den Schienen. Hier gefällt mir Mauro Peter sehr gut, wenngleich es Aufnahmen gibt, die noch leidenschaftlicher sind. Er wird von Helmut Deutsch begleitet, die Aufnahme stammt aus dem Jahr 2005.



    Gruß WoKa

    "Die Musik drückt das aus, was nicht gesagt werden kann und worüber Schweigen unmöglich ist."


    Victor Hugo

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  • hallo,


    dann möchte ich - schon fast als Gegenentwurf zu M. Peter - die Version von Benjamin Appl vorstellen. Die Aufnahme stammt aus dem Jahre 2016. Am Klavier begleitet James Baillieu (für meinen Geschmack wie immer etwas zu laut...).
    Gegenentwurf zu Peter, weil Appl/Baillieu eine ganz andere Spannung in dem Lied aufbauen können. Peter singt den Text sauber und mit schöner lyrischer Stimme, von einer Interpretation höre ich aber fast nichts. Bedenken sollte man allerdings, dass er zum Zeitunkt der Aufnahme gerade mal 18 Jahre alt war (geboren 1987), da wird ein Großteil der Aufmerksamkeit der stimmlichen Beherrschung gegolten haben, weniger dem Ausdruck... Es wäre interessant, ihn mit reiferer Stimme mit diesem Lied zu hören.


    Wo bei Peter gepflegte Langeweile herrscht (sorry für den etwas harten Ausdruck, aber ich hoffe, die Übertreibung macht deutlich), breitet Appl ein Seelendrama vor uns aus. Appl gestaltet den Text mit unterschiedlichen Stimmfärbungen: den Vater abgedunkelt, das Kind mit hellerer Stimme, einschmeichelnd die Worte des Erlkönigs. Hervorragend die Binnenspannung zwischen den einzelnen Strophen. Anfänglich gibt es ein paar Vokalverfärbungen, die A's geraten zu dicht an O's (bei "Er hat den Knaben... er fasst ihn sicher..."). Das verschwindet aber im weiteren Verlauf des Liedes. Einige Worte des Vaters geraten für meinen Geschmack etwas zu pathetisch... trotz dieser winzigen Einschränkungen alles in allem eine fesselnde Interpretation, die mich sehr überzeugt.


    Und dann habe ich noch eine Live-Version aus dem Jahre 1949 gefunden: Set Svanholm, Tenor, singt begleitet von Arne Sunnegårdh am Klavier. Auch diese Version läßt die fiebrigen Visionen des Kindes hautnah erlebbar werden, auch Svanholm singt mit verschiedenen Stimmfärbungen, teilweise bis ins extrem ausgereizt (die Stimme des Jungen wird immer schriller), einige Betonungen sind ungewöhnlich/gewöhnungsbedürftig, nicht jeder Ton sitzt im Eifer des Gefechts ("und siehst Du nicht dort")... aber all das wird mehr als wettgemacht durch den packende Zugriff Svanholms. Würde ein Sänger heute das so dramatisch singen, würde er (im besten Falle) wahrscheinlich Kopfschütteln ernten und hören, dass ein Lied von Schubert keine Opernarie sei. Nichtsdestotrotz eine atemberaubende Version.

    ... in diesem Sinne beste Grüße von orsini


    „Das Denken ist zwar allen Menschen erlaubt, aber vielen bleibt es erspart.“
    Curt Goetz

  • Hallo!


    Ich kann gut nachvollziehen, was Du zu Mauro Peter schreibst. Ich habe mir die beiden von Dir eingestellten Aufnahmen angehört. Benjamin Appl geht bei mir eigentlich immer - so auch hier. Doch was ich oben zu beschreiben versucht habe, gilt auch hier: Bei "die alten Weiden so grau" springt beinahe der Zug aus den Schienen. Man hat die Befürchtung, das Lied gerät sozusagen "außer Kontrolle". Doch die beiden kriegen die Kurve.


    Die zweite Aufnahme ist "interessant". Du stellst sie in ihrer Theatralik ja auch in Frage, wenn ich Dich richtig verstehe. Nach dieser Interpretation braucht man erst mal eine kurze Erholungspause.


    Dazu passt allerdings, die Aufnahme, die im Thread über die Jubilare zur Auseinandersetzung geführt hat. Die Version von Elisabeth Söderström spielt stärker als Benjamin Appl mit "verzerrten" Stimmen. Die Aufnahme hat mich beim ersten Hören fasziniert. Wobei sie auch eher langsamer daher kommt als andere Interpretationen.



    Auch wenn das Lied von Franz Schubert wohl für Männerstimme geschrieben wurde, höre ich gerne weibliche Erzählerinnen. Zuerst dachte ich, Frauen müssten stärker die Stimme variieren, da alle Protagonisten männliche Personen sind. Den Gegenbeweis erbringt allerdings Brigitte Fassbaender:



    Klassisch dargeboten - ohne Sperenzchen. In ihrer Dramatik bleibt sie dadurch hinter anderen Aufnahmen zurück. Ich denke, das ist eine Aufnahme, die denjenigen, die eine unverstellte Darbietung wünschen (außer möglicherweise der Tatsache, dass eine Frau singt) entgegen kommt.


    In diese Kategorie passt auch die - ebenfalls eher langsame - Version von Waltraud Meier:



    Um genau zum Erlkönig zu gelangen, bitte hier klicken: Waltraud Meier Erlkönig


    Gruß WoKa

    "Die Musik drückt das aus, was nicht gesagt werden kann und worüber Schweigen unmöglich ist."


    Victor Hugo

  • hallo WoKa,


    Die zweite Aufnahme ist "interessant". Du stellst sie in ihrer Theatralik ja auch in Frage, wenn ich Dich richtig verstehe. Nach dieser Interpretation braucht man erst mal eine kurze Erholungspause.


    für mich ist die Svanholm-Version durchaus eine hörenswerte Interpretation, die mich fesselt. Die Theatralik passt für mich sehr gut zu Stimmung und zum Inhalt des Gedichtes. Ich kann mir aber gut vorstellen, dass andere Hörer, die eine ebenmäßigere Liedinterpretation erwarten und mögen, das Gefallenfinden nicht teilen werden...


    Zu E. Söderström hatte ich mich ja schon im anderen Thread geäußert, insofern nur noch einige Bemerkungen zu den Versionen von Brigitte Fassbaender und Waltraud Meier. Dass Damen dieses Lied singen stört mich überhaupt nicht; die typische Geschlechtertrennung finde ich bei Liedern nicht so evident (Ausnahmen: Frauenliebe und -leben oder Vier letzte Lieder - das mag ich nur von Frauenstimmen hören).


    Fassbaenders Version ist in meinen Ohren eine ganz klassische Interpretation aus dem Notentext heraus, ohne hinzugefügte, übertriebene dramatische Effekte.
    W. Meier geht da einen Schritt weiter: gerade beim Erlkönig setzt sie recht starke Temporückungen ein, es klingt sehr gedehnt, wenn der Erlkönig spricht "Du liebes Kind, komm geh mit mir...". Vater und Sohn singen dagegen im gefühlt normalen Zeitmaß. Wo z.B. Söderström mit z.T. extremen Stimmfarben gestaltet, schattiert Meier mehr durch unterschiedliche Tempi, erzeugt damit fast so etwas wie einen Sog-Effekt in den Aussagen des Erlkönigs. Trotzdem - oder deswegen - spricht mich diese Version etwas mehr an.


    Und dann - hors concours - eine weitere Version des Erlkönigs, die nicht ernst gemeint, aber sehr unterhaltsam ist (weil Musik ja auch Freude bereiten soll) :untertauch:
    Aber vielleicht veranlasst sie ja den einen oder anderen Mit-Tamino, diese zu kommentieren und damit wieder in diesen Thread einzusteigen.



    beste Grüße,
    orsini

    ... in diesem Sinne beste Grüße von orsini


    „Das Denken ist zwar allen Menschen erlaubt, aber vielen bleibt es erspart.“
    Curt Goetz

  • Hallo!


    Wahrscheinlich im Gegensatz zu den meisten von Euch kenne ich das Lied "Die Uhr" von Carl Loewe erst seit kurzer Zeit. Mittlerweile habe ich es unzählige Male gehört. Oft im Vergleich verschiedener Interpreten.


    Doch zunächst einige Hintergründe zu dem Lied.


    Das Gedicht (das Willi kürzlich anlässlich des 150ten Todestages von Carl Loewe im Thread "Carl Loewe - Meister der Ballade und des Liedes" eingestellt hat), stammt von dem Österreicher Johann Gabriel Seidl. Er wurde 1804 in Wien geboren, wo er auch 1875 verstarb. Aus seiner Feder stammt auch die österreichische Kaiserhymne "Gott erhalte, Gott beschütze, unsern Kaiser, unser Land".

    Die Uhr

    Ich trage, wo ich gehe, stets eine Uhr bei mir;

    Wieviel es geschlagen habe, genau seh ich an ihr.

    Es ist ein großer Meister, der künstlich ihr Werk gefügt,

    Wenngleich ihr Gang nicht immer dem törichten Wunsche genügt.


    Ich wollte, sie wäre rascher gegangen an manchem Tag;

    Ich wollte, sie hätte manchmal verzögert den raschen Schlag.

    In meinen Leiden und Freuden, in Sturm und in der Ruh,

    Was immer geschah im Leben, sie pochte den Takt dazu.


    Sie schlug am Sarge des Vaters, sie schlug an des Freundes Bahr,

    Sie schlug am Morgen der Liebe, sie schlug am Traualtar.

    Sie schlug an der Wiege des Kindes, sie schlägt, will's Gott, noch oft,

    Wenn bessere Tage kommen, wie meine Seele es hofft.


    Und ward sie auch einmal träger, und drohte zu stocken ihr Lauf,

    So zog der Meister immer großmütig sie wieder auf.

    Doch stände sie einmal stille, dann wär's um sie geschehn,

    Kein andrer, als der sie fügte, bringt die Zerstörte zum Gehn.


    Dann müßt ich zum Meister wandern, der wohnt am Ende wohl weit,

    Wohl draußen, jenseits der Erde, wohl dort in der Ewigkeit!

    Dann gäb ich sie ihm zurücke mit dankbar kindlichem Flehn:

    Sieh, Herr, ich hab nichts verdorben, sie blieb von selber stehn.


    Johann Gabriel Seidl


    Mich fasziniert die Metamorphose des Gedichtes, von der Beschreibung der mechanischen Uhr, wie sie zu Lebzeiten Seidls als Statussymbol in bürgerlichen Kreisen üblich wurde, hin zu der Metapher der Lebensuhr und der Vergänglichkeit des Menschen.


    Ich besitze drei Aufnahmen auf CD, youtube bietet selbstverständlich eine enorme Auswahl verschiedenster Interpretationen über die Jahrzehnte hinweg.


    Verglichen habe ich insbesondere die Interpretationen von Hermann Prey (begleitet von Helmut Deutsch) aus dem Jahr 1984 und die Einspielung von Theo Adam (begleitet von Rudolf Dunckel). Dabei habe ich bewusst die spätere Aufnahme Preys mit Deutsch der Aufnahme aus 1968 begleitet von Karl Engel vorgezogen, da sie mir deutlich reifer erscheint.




    Den wesentlichen Unterschied zwischen beiden Aufnahmen sehe ich in der Haltung sowohl der Sänger als auch der Liedbegleiter, ohne damit eine Wertung vornehmen zu wollen. Während ich bei Prey das schätze, was ihn in sehr vielen Liedern auszeichnet, nämlich eine melancholische "Süße", ein Schmelz in der Stimme, die hervorragend dem anfangs naiven Stolz, der Bewunderung, der Wehmut und der furchterfüllten Demut vor dem Unvermeidlichen Ausdruck verleiht. Diese Stimmung wird von Helmut Deutsch in hervorragend zurückhaltender und gleichzeitig präsenter Weise unterstützt. Der Protagonist hat stets einen Begleiter an seiner Seite, der sich nie in den Vordergrund drängt.


    Dagegen höre ich Theo Adam klarer, ohne Weichzeichner. Das wird bereits deutlich, als Rudolf Dunckel das Lied einleitet. Das ist klar, präsent, manchmal (für meinen Geschmack) zu "abgehackt". Er klingt in den Phasen des Gedichtes, in denen dies angezeigt erscheint, stolzer, nahezu majestätisch, wird auch in den düsteren Phasen des Lebens düsterer im Klang. Faszinierend finde ich, dass die Dynamik im Wort "Ewigkeit" klingt, als wäre es technisch durch einen leichten Halleffekt verstärkt.


    Gruß WoKa

    "Die Musik drückt das aus, was nicht gesagt werden kann und worüber Schweigen unmöglich ist."


    Victor Hugo

  • Lieber WoKa,


    schön, dass Du den Interpretationsvergleich weiter machst. Prey singt eine kontinuierliche melodische Linie und Adam mehr die isolierte Phrase. So höre ich das auch. Trotzdem finde ich Prey irgendwie klarer, das ist bei Adam dann doch nicht so ganz präzise für meinen Geschmack. Aber ich bin kein Sängerexperte. Zudem gefällt mir bei Prey diese an Mozart erinnernde Leichtigkeit - wirklich sehr schön gesungen ist das.


    Schöne Grüße

    Holger

  • Wunderbar, dass WoKa hier auf Loewes "Uhr" gekommen ist. Die Ballade ist immer ein besonderer Fall gewesen. Auf ihr beruhte ja vor allem das hartnäckige Vorurteil vom betulichen Balladenkomponisten, der sich ans Biedermeier klammert. Loewe hat den Text mehr als zwanzig Jahre nach dessen Entstehen vertont. Auf historische Hintergründe der Dichtung wurde bereits verwiesen. Loewe nun reagierte auf eine bedeutende Entwicklung. Als er 1852 die Ballade komponierte, hatte gerade die industrielle Fertigung von Taschenuhren begonnen. Sie wurden nun auch für die mittleren und unteren Schichten erschwinglich. Vielleicht hatte sich Loewe, der kein reicher Mann gewesen ist, nun selbst eine anschaffen können. Die Uhr als solche war ein damals sehr aktuelles Thema. WoKa hat zwei sehr gute Interpretationen herausgesucht und - wie ich auch finde - trefflich bewertet. Holger gab das Seine hinzu. Prey gefällt mir auch einen Tick besser als Adam, weil er stimmlich so elegant ist. Adam bringt aber in meinen Ohren ein wenig mehr inhaltliche Interpretation hinein. Die Loewe-Platte, aus der die Aufnahme stammt, war übrigens eine der ersten dieses Sängers. Sie wurde 1968 produziert. Viel später nahm Adam die Ballade nochmals auf. Er wird von Rudolf Dunckel begleitet, der den musikalischen Beginn etwas schräger nimmt als Helmut Deutsch. Als würde bereits das Ende angedeutet. Mich hat das immer sehr beeindruckt. An Aufnahmen der "Uhr" ist kein Mangel. Sogar Fischer-Dieskau hat sie eingespielt. Ihm gelingt die vielleicht philosophischste Auslegung. Es gibt auch sehr rührselige Versionen - mit und ohne Orchester. Wenn ich mich nicht verzählt habe, müsste ich mehr als sechzig Aufnahmen beisammen haben. Und das sind bestimmt noch nicht alle. Eine der gewöhnungsbedürftigsten ist diese:


    Es grüßt Rüdiger als Rheingold1876


    "Was mir vorschwebte, waren Schallplatten, an deren hohem Standard öffentliche Aufführungen und zukünftige Künstler gemessen würden." Walter Legge (1906-1979), britischer Musikproduzent

    Einmal editiert, zuletzt von Rheingold1876 ()

  • Wunderbar, dass WoKa hier auf Loewes "Uhr" gekommen ist. Die Ballade ist immer ein besonderer Fall gewesen. Auf ihr beruhte ja vor allem das hartnäckige Vorurteil vom betulichen Balladenkomponisten, der sich ans Biedermeier klammert. Loewe hat den Text mehr als zwanzig Jahre nach dessen Entstehen vertont. Auf historische Hintergründe der Dichtung wurde bereits verwiesen. Loewe nun reagierte auf eine bedeutende Entwicklung. Als er 1852 die Ballade komponierte, hatte gerade die industrielle Fertigung von Taschenuhren begonnen. Sie wurden nun auch für die mittleren und unteren Schichten erschwinglich. Vielleicht hatte sich Loewe, der kein reicher Mann gewesen ist, nun selbst eine anschaffen können. Die Uhr als solche war ein damals sehr aktuelles Thema. WoKa hat zwei sehr gute Interpretationen herausgesucht und - wie ich auch finde - trefflich bewertet. Holger gab das Seine hinzu. Prey gefällt mir auch einen Tick besser als Adam, weil er stimmlich so elegant ist. Adam bringt aber in meinen Ohren ein wenig mehr inhaltliche Interpretation hinein. Die Loewe-Platte, aus der die Aufnahme stammt, war übrigens eine der ersten dieses Sängers. Sie wurde 1968 produziert. Viel später nahm Adam die Ballade nochmals auf. Er wird von Rudolf Dunckel begleitet, der den musikalischen Beginn etwas schräger nimmt als Helmut Deutsch. Als würde bereits das Ende angedeutet. Mich hat das immer sehr beeindruckt. An Aufnahmen der "Uhr" ist kein Mangel. Sogar Fischer-Dieskau hat sie eingespielt. Ihm gelingt die vielleicht philosophischste Auslegung. Es gibt auch sehr rührselige Versionen - mit und ohne Orchester. Wenn ich mich nicht verzählt habe, müsste ich mehr als sechzig Aufnahmen beisammen haben. Und das sind bestimmt noch nicht alle.


    Das ist alles wirklich hoch interessant, lieber Rüdiger! Ich habe mich schlicht mit diesem Lied nie beschäftigt. Aber diese Problematik des Biedermeier interessiert mich besonders. Was die große Weltbühne angeht, ist die Zeit eigentlich stehen geblieben, da bewegt sich nichts mehr. Die große Weltuhr steht, sie läuft nicht mehr weiter. Im häuslichen Bereich aber kann man seine Taschenuhr, wenn sie stehen zu bleiben droht, immer wieder aufziehen. Musikalisch finde ich diese Vertonung meisterhaft - vielleicht gerade, weil sie diese biedermeierlichen Züge hat. Für eine Ballade als dramatische Form ist der Gesang schon betont häuslich schlicht. Wenn man zum Vergleich die Klavierliteratur nimmt - Chopins 4 Balladen - da gehen die Kontraste bis zur Erschütterung, als ob die Welt einstürzen könnte, besonders in der 2. Ballade z.B., die mit einem scheinbar harmlosen schlichten Liedthema beginnt und dann bricht der Sturm los. Aber gleichwohl gelingt es Loewe, den Wechsel der Töne auch im Schlichten und Leisen sehr eindringlich zu gestalten. Die Ballade ist bei ihm zweifellos "häuslich" geworden, man kann aber nicht sagen finde ich, dass dies eine "bornierte Häuslichkeit" (Hölderlin) wäre. Den Einwand des "Betuhlichen" finde ich da ungerecht. Schon etwas unzeitgemäß ist eigentlich der Schluss - die naive Geborgenheit, die man bei Gott, im behüteten Haus der christlichen Theologie, findet. Das ist - typisch Beidermeier - ein sehr bürgerliches Quietiv. Nur sehr angenehm bei der Vertonung und auch den beiden Interpretationen ist, dass sie das nicht affirmativ irgendwie hymnisch feiern bzw. mit Sentimentalität aufladen. Diese Geborgenheit wird mehr oder weniger deskriptiv als Zeichen für die eigene Befindlichkeit vorgetragen. Das ist einfach sehr authentisch und völlig kitschfrei. Und es stimmt - ich habe mir es nochmals angehört - Theo Adams in der Tiefe voll klingende Stimme ist gerade bei den dunklen Stellen am Schluss eindrucksvoll. Den "philosophischen" Fischer-Dieskau würde ich mir auch gerne anhören! :)


    Schöne Grüße

    Holger

  • Hallo!



    Die Orchesteraufnahme mit Richard Tauber ist mir persönlich etwas zu "seelig":).


    Hier die Orchesterversion mit Kurt Moll:



    Die Aufnahme (wahrscheinlich gibt es mehrere) von Fischer-Dieskau, begleitet von Jörg Demus, die Rheingold bereits erwähnt hat, möchte ich noch in den Vergleich einbringen



    Hier spricht mich stark die "Ehrfurcht vor dem Meister" an, die er hervorragend zum Ausdruck bringt. Auch bettet er die Erwartung des Stillstandes der Lebensuhr in eine düstere Stimmung, die mir sehr passend erscheint.


    Gruß WoKa

    "Die Musik drückt das aus, was nicht gesagt werden kann und worüber Schweigen unmöglich ist."


    Victor Hugo

  • Ich habe den bisherigen Thread mal eben überflogen und festgestellt, daß es hier wohl nur deutsche Lieder gibt.


    Ist ein englisches von Dowland auch zugelassen?

    Selbst dann, wenn es nicht vom Klavier begleitet wird?


    Wenn nicht, lieber Woka, Mitteilung, und ich lösche es wieder.


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