Robert Franz. Seine Lieder, in Auswahl vorgestellt und betrachtet

  • Hier ein Link zu einer gesanglichen Interpretation des am Ende der vorangehenden Seite vorgestellten und besprochenen Liedes "Gewitternacht", op.8, Nr.6


  • Weil' auf mir, du dunkles Auge,
    Übe deine ganze Macht,
    Ernste, milde träumerische,
    Unergründlich süße Nacht.


    Nimm mit deinem Zauberdunkel
    Diese Welt von hinnen mir,
    Daß du über meinem Leben
    Einsam schwebest für und für.


    (Nikolaus Lenau)


    Eine Beschwörung der Nacht ist das, was Lenau mit diesen Versen vornimmt. Eine, die zwar nicht lyrisch-sprachlich, wohl aber in der zugrunde liegenden Haltung in spätromantischer Manier erfolgt. Ein Leiden am Tag des Lebens steht dahinter. Worin dieses besteht, sagt der lyrische Text nicht. Dass es aber ein großes und ein schwer wiegendes sein muss, geht aus dem Wunsch hervor, dass die Nacht das Leben „nehmen“ solle. Das ist nicht physisch gedacht, vielmehr als eine Herrschaft der Nacht über das Leben, - in Gestalt ihres Auges und mit dem Mittel des „Zauberdunkels“, das ihm als träumerische Unergründlichkeit innewohnt und die harte Faktizität des realen Lebens aufzulösen und zum Verschwinden zu bringen vermag.


    Den Grundgestus der lyrischen Sprache, die innig-monologisch artikulierte Bitte, greift die Komposition von Robert Franz mit einer Liedmusik auf, die in ihrer, ein wenig an Schubert erinnernden Schlichtheit und mit der tief-innigen Ruhe, die ihr innewohnt, tief anzurühren vermag. Man empfindet das, was der lyrische Text sagen will, nicht nur in vollkommener Weise darin ausgedrückt, sondern darüber hinaus auch noch um eine Dimension bereichert: Die des dringlichen, aus dem Leiden am Leben kommenden Wünschens und Begehrens. Es handelt sich um ein stark variiertes Strophenlied, es steht in Ges-Dur als Grundtonart, ein Zweivierteltakt liegt im zugrunde, und die Vortragsanweisung lautet: „Larghetto sostenuto (Mit tiefster Innigkeit). Es ist Joseph Fischhof gewidmet, dem 1804 geborenen, 1857 verstorbenen und dem Kreis um Robert Schumann zugehörigen österreichischen Komponisten. Dieser hat zwar auch einige Lieder komponiert, war darin aber nicht sehr erfolgreich. Dass Robert Franz allerdings einem „Schumannianer“ dieses Lied widmet, verrät einiges über das liedkompositorische Ideal, an dem er sich selbst in seinem kompositorischen Schaffen orientiert.


    Es ist eine melodische Figur, aus der das Lied seinen ganzen musikalischen Geist bezieht. Sie erklingt gleich auf dem ersten Vers, kehrt bei dritten Vers der ersten und beim dritten der zweiten Strophe wieder, und der melodischen Linie, die auf dem ersten Vers der zweiten Strophe liegt, auf den Worten „Nimm mit deinem Zauberdunkel“ also, liegt die gleiche Struktur, der gleiche deklamatorische Gestus zugrunde, nur in seinem Ambitus leicht gedämpft. Das ist ein durchaus bemerkenswerter Sachverhalt, denn er lässt die Intensität erkennen, mit der Franz mit seiner Liedmusik die Aussage des lyrischen Textes reflektiert. Darauf wird noch einzugehen sein, aber zuvor ist die Struktur dieser für die Liedmusik so zentralen und grundlegenden melodischen Figur zu beschreiben.


    Die melodische Linie steigt bei den Worten „Weil´ auf mir, du dunkles Auge“ zunächst in Gestalt von Noten im Wert eines Viertels syllabisch exakt mit einem Terz- und einem Quartsprung in obere Mittellage empor, senkt sich danach mit einem Achtel-Sekundschritt auf dem Wort „du“ ab und steigt nach einem weiteren Sekundfall bei dem Wort „dunkles“ mit einem Sekundschritt in Vierteln wieder an. Auf dem Wort „Auge“ liegt dann ein weiterer Sekundfall in zwei Schritten, davon der erste in Gestalt von zwei Achteln. Aber diese letzte Fallbewegung auf dem Wort „Auge“ wiederholt sich nur noch einmal bei den Worten „Daß du über meinem Leben“ (dritter Vers, zweite Strophe). Bei den beiden übrigen Fällen des Auftritts dieser melodischen Figur nimmt sie an diesem ihrem Ende eine andere Gestalt an. Im Gestus des sich wiederholenden Anstiegs drückt sich in dieser für die Liedmusik so zentralen melodischen Figur die Innigkeit und Dringlichkeit der Bitte aus, die das lyrische Ich äußert. In diesem Zusammenhang kommt dem Klaviersatz eine große Bedeutung zu. Mit nur zwei Ausnahmen folgt das Klavier in Gestalt von Akkorden der melodischen Linie nicht nur in syllabisch exakter Übereinstimmung, sondern – und das ist gerade bei dieser Figur der Fall – auch ihrer Bewegung selbst. Auf diese Weise erfährt sie eine Steigerung in ihrer Innigkeit und Eindringlichkeit. Die Harmonik bleibt dabei – mit Ausnahme der variierten Form, die auf dem Anfangsvers der zweiten Strophe liegt - im Bereich der Grundtonart Des-Dur, mit nur einer kurzen Rückung in die Dominante vor dem Ende.


    Den sich an dieses melodische Hauptmotiv anschließenden Bewegungen der melodischen Linie wohnt eine fallende Tendenz inne, allerdings auch hier in Gestalt von Wiederholungen. Man empfindet das wie ein Ausatmen und Ausklingen der Melodik nach dieser im Gestus der Bitte erfolgten Anstiegsbewegung. Die Melodik auf den ersten beiden Versen weicht, bedingt durch die lyrische Aussage, freilich davon ab. Aber bei den Worten „übe deine ganze Macht“ beschreibt die melodische Linie drei Mal einen Fall: Zunächst einen Septfall bei „übe“ und danach zwei Mal eine jeweils aus einem Sprung hervorgehende Abwärtsbewegung in Sekundschritten. Dem Wort „übe“ wird dabei nicht nur durch den Fall über ein solch großes Intervall wie eine Septe ein besonderer Akzent verliehen, sondern auch durch die Tatsache, dass das Klavier hier nicht der Deklamation folgt, sondern einen durch Legato-Bindung zwei Takte ausfüllenden Akkord erklingen lässt, bei dem es sich überdies um einen in es-Moll handelt. Man kann dies durchaus als Ausdruck der Innigkeit auffassen, mit der das lyrische Ich seine Bitte an die Nacht richtet.


    In ähnlicher Weise wie beim zweiten Vers beschreibt die melodische Linie auch beim letzten Vers der ersten Strophe eine zweimal ansetzende Fallbewegung. Und das ist auch beim letzten Vers der zweiten Strophe der Fall. Hier wiederholt sich auf den Worten „einsam schwebest für und für“ sogar in vollkommen identischer Weise, auch was den Klaviersatz und die Harmonisierung anbelangt, die Liedmusik, die auf dem zweiten Vers der ersten Strophe liegt. Bei dem ersten Verspaar der zweiten Strophe nimmt sie aber im Bereich von Melodik und Harmonik leicht abgewandelten Charakter an. Die melodische Linie wirkt in ihrer Struktur wie eine Wiederkehr der zentralen Figur in gedämpfter, in ihrem Ambitus zurückgenommener Form. Sie steigt bei den Worten „Nimm mit deinem Zauberdunkel“ wie zögerlich, nämlich in Sekundschritten an, von denen der zweite sogar ein verminderter ist, und erreicht auch nicht nur die übliche Höhe nicht, sie geht, bevor sie einen Quintsprung vollzieht, sogar noch einmal in einen Sekundfall über. Und überdies ist sie auch noch anfänglich in es-Moll harmonisiert, das erst bei dem Wort „Zauberdunkel“ eine Rückung nach As-Dur vollzieht.


    Wie soll man diese Modifikationen der Liedmusik verstehen? Vielleicht ist die Antwort auf diese Frage in der Melodik des zweiten Verses zu finden. Diese weicht nämlich in geradezu markanter Weise vom Grund-Gestus der Melodik dieses Liedes ab. Bei den Worten („Nimm“) „diese Welt von hinnen mir“ verharrt die melodische Linie zunächst in einer dreifachen Tonrepetition in der tiefen Lage eines „Des“, steigt danach in zwei Sekundschritten zu einem „F“ empor und verharrt danach erneut dort in dreifacher Tonrepetition. Das Klavier folgt dieser Bewegung synchron mit Akkorden, macht aber daraus bei dem Wort „hinnen“ einen arpeggierten. Das ist von der Harmonik her ohnehin eine ungewöhnliche Stelle in der Liedmusik, denn die vollzieht hier eine Rückung von Ges-Dur nach F-Dur, das am Ende dieser Melodiezeile in b-Moll übergeht. Und in b-Moll hat sie am Anfang, bei der melodischen Tonrepetition auf dem Wort „diese“ ja auch eingesetzt.


    Was also ereignet sich hier in der liedmusikalischen Aussage? Vielleicht, so möchte man vermuten, schreckt das lyrische Ich, so wie Franz diese beiden Verse gelesen hat, vor den Worten, die es da gerade artikuliert, einen kurzen Augenblick zurück, - sich bewusst werdend, was es da gerade als Bitte geäußert hat: Einen Todeswunsch. Daher also die gestischen Zurücknahmen in der melodischen Linie der Grundfigur, das auffällige Verharren in tiefer Lage in Gestalt von Tonrepetitionen und die mehrfachen Einbrüche von Moll-Harmonik mitsamt starken Rückungen in einer Liedmusik mit Des-Dur als Grundtonart. Aber das lyrische Ich bleibt, wie Franz diese Verse von Lenau aufgefasst hat, doch bei diesem Wunsch, diesem als unerträglich erfahrenen Leben entfliehen zu wollen. Daher dieser singuläre arpeggierte F-Dur-Akkord auf dem Wort „hinnen“.


    Die Wiederkehr der Liedmusik der ersten beiden Verse auf den beiden letzten der zweiten Strophe lässt freilich vernehmen: Das Entfliehen aus diesem Leben soll kein definitives Beenden sein, nur eine Einvernahme des Geistes der Nacht in dieses, und damit die Aufweichung von dessen harter Faktizität durch dessen träumerische Unergründlichkeit und Süße. Und deshalb weicht das Klavier nur in einem Punkt von der Liedmusik des Anfangs ab: Es akzentuiert die Viertel-Akkorde im Diskant in ihrer Begleitung der melodischen Linie nun mit Achtel-Oktaven im Bass und verleiht auf diese Weise der melodischen Grundfigur dieses Liedes noch größere Eindringlichkeit.


    Dieses Lied ist in der Art und Weise, wie es die Verse Lenaus in Musik umsetzt und darin die Dimensionen der „Bitte“ auslotet, ein zweifellos beeindruckendes, - gerade weil es so schlicht daherkommt.

  • Hier, ein wenig spät nachgereicht, weil heute erst aufgespürt, ein Link zu einer Aufnahme von diesem Lied. Es ist, wie ich am Ende meiner Besprechung meinte, tatsächlich eine den lyrischen Text Lenaus auf höchst kunstvolle Weise aufgreifende und sich doch dabei schlicht gebende Komposition.


  • Apropos „nachreichen“...
    Nachreichen würde ich gerne auch die Frage:
    Wer teilt hier im Forum dieses mein Urteil über das Lied „Bitte“, das ich ja doch in der Besprechung desselben in detaillierter Weise zu begründen versucht habe?
    Sieht das der oder die unter den Taminos vielleicht ganz anders?


    Gar gerne erführe ich etwas darüber, - beschäftigt mich doch in diesem Thread die für mich so bedeutsame Frage, weshalb die Liedmusik von Robert Franz der Vergessenheit anheimgefallen ist, wo sie einen – jedenfalls mich – doch so sehr anzusprechen vermag und nachweislich über hohes liedkompositorisches Niveau verfügt.


    Muss aber wohl ein Wunsch bleiben. Denn solche Fragen beziehen sich auf Liedmusik als solche, und nicht auf ihre gesangliche Interpretation.
    Letztere ist aber das, worum, wie man gerade wieder sehen kann, das Interesse hier im Forum eigentlich und in erster Linie kreist.

  • "Muss aber wohl ein Wunsch bleiben"...
    ...und ist es leider auch geblieben. Einen Beitrag dieser Art werde ich niemals mehr verfassen.
    Ich setze die Betrachtung der Lieder von Robert Franz nach dieser Pause des Wartens fort, und nun wird´s interessant. Denn in den vorangehenden Liedopera ist Franz jenen Heine-Texten ausgewichen, die bereits in Vertonungen von Robert Schumann vorlagen. Bei "Ja, du bist elend" griff er sogar ganz bewusst zu dem an "Ich grolle nicht" anbindenden lyrischen Text. Nun aber, einsetzend mit dem nachfolgenden Lied, setzen die Parallelvertonungen ein, und man kann gar nicht anders, als Vergleiche anzustellen. Das wollte ich ursprünglich auch dergestalt tun, dass nach jeder Franz-Vertonung ein Blick auf die entsprechende von Schumann geworfen wird. Das aber hätte diesen Thread innerlich zerfranst, so dass ich mich entschloss, ihm einen Thread mit dem Titel "Schumann und Heine" nachfolgen zu lassen, so dass man dann auf diese Weise in gleichsam geordneter Form vergleichende Betrachtungen anstellen kann.

  • Allnächtlich im Traume seh' ich dich
    Und sehe dich freundlich grüßen,
    Und laut aufweinend stürz' ich mich
    Zu deinen süßen Füßen.


    Du siehst mich an wehmütiglich
    Und schüttelst das blonde Köpfchen;
    Aus deinen Augen schleichen sich
    Die Perlentränentröpfchen.


    Du sagest (Heine: „sagst“) mir heimlich ein leises Wort
    Und gibst mir den Strauß von Zypressen.
    Ich wache auf, und der Strauß ist fort,
    Und das Wort hab' ich vergessen.


    Ein Traum ist ins lyrische Wort gefasst, einer der wiederkehrt, ein „allnächtlicher“. Die Begegnung mit dem geliebten Du ist darin eine, die auf vielsagende Weise zwischen Nähe und Distanz verbleibt. Die Geliebte grüßt freundlich, aber auf die Demuts-und Unterwerfungs-Geste des lyrischen Ichs, die indirekt ja auf uneingeschränkte Zuwendung und lieberfüllte Zweisamkeit gerichtet ist, antwortet das Du mit dem Schütteln des „Köpfchens“ und mit „Perlentränentröpfchen“. Eine Geste der Zuneigung gibt es freilich: Den Strauß von Zypressen, verbunden mit einem „leisen Wort“, dessen Inhalt allerdings ungenannt bleibt. In geradezu schroffer Weise lässt Heine die Folge der träumerisch zarten Bilder abreißen. In sprachlich lakonischer Form folgt Feststellung auf Feststellung, nur durch Konjunktionen miteinander verbunden. Das lyrische Ich weiß längst: Die Bilder der realen Welt sind andere.


    Diese Verse Heines wurden von vielen Komponisten vertont, u.a. auch von Felix und Fanny Mendelssohn. Die bekannteste Vertonung ist ohne Zweifel die von Robert Schumann. Aber während diese große Hochschätzung genießt und auf Liederabenden auch heute noch vorgetragen wird, ist die von Robert Franz völlig unbekannt und vergessen. Und eigentlich ist das ein wenig verwunderlich, begegnet sie einem doch als durchaus ansprechendes und die lyrische Aussage in wesentlichen Aspekten aufgreifendes und mit seinen musikalischen Mitteln interpretierendes Lied. Es ist ein durchkomponiertes, das in der Grundtonart es-Moll steht, einen Viervierteltakt aufweist und mit der Tempo-Anweisung „Allegro agitato“ versehen ist. Für die in der Liedmusik von der ersten und der dritten sich deutlich abhebende zweite Strophe gilt allerdings, was das Tempo anbelangt, die Anweisung „un poco più lento“, und der Vortrag soll „innig“ erfolgen.


    Damit ist schon angedeutet, worin sich die Liedmusik von Robert Franz von der Schumanns grundlegend unterscheidet. Ihr liegt eine andere kompositorische Intention zugrunde, die ihrerseits aus eine anderen Rezeption der Heine-Verse hervorgeht. Franz geht es darum, den Zauber der Traum-Bilder musikalisch zum Ausdruck zu bringen und zugleich, und daran anschließend, die Schmerzlichkeit ihres Verlusts vernehmlich und erfahrbar werden zu lassen. Daraus ergibt sich für ihn die Notwendigkeit einer deutlich stärkeren Binnendifferenzierung, als dies bei Schumann der Fall ist, bei dessen Komposition man, was die Struktur der melodischen Linie anbelangt, eigentlich von einem variierten Strophenlied sprechen kann. Seine liedkompositorische Intention ist freilich auch eine andere: Sie zielt ab auf die seelische Erfahrung des Traumes aus der Perspektive des Erwachens danach.


    Ein Vorspiel mag man das gar nicht nennen, womit das Lied einsetzt: Fallende Achtel im Bass, darüber zwei Viertel-Akkorde, davon einer bitonal, der andere arpeggiert, und schon setzt die Singstimme auftaktig ein und geht in lebhafte Bewegung über. Es ist tatsächlich ein „Allegro agitato“, was sich hier vom ersten Takt an abspielt. Und das lässt erkennen, worauf die Liedmusik dieser ersten Strophe ausgerichtet ist: Auf das Erfassen eines Geschehens. So hat Franz diese erste Strophe des Heine-Gedichts ganz offensichtlich liedkompositorisch gelesen. Ganz und gar handlungsorientiert: Die nächtliche Traum-Erscheinung der Geliebten grüßt freundlich, und das lyrische Ich wirft sich ihr zu Füßen. Dass sich das „allnächtlich im Träume“ abspielt, also eigentlich ein ruhevoll-phantastisches Geschehen ist, findet in dieser sich in raschen deklamatorischen Schritten entfaltenden Melodik keine Berücksichtigung. Auf dem Wort „allnächtlich“ liegt zwar eine Kombination aus Quartsprung und –fall, die wegen des Viertels zwischen zwei Achteln und der Legato-Deklamation des Falls leicht gedehnt ist. Das wirkt aber eher wie eine szenische Einleitung zu dem, was die Liedmusik im Folgenden zu sagen hat. Und dazu passt der Sekundanstieg der melodischen Linie, der mit einer Rückung vom anfänglichen es-Moll in die Dur-Dominante „B“ verbunden ist, und überdies noch die Tatsache, dass eine Achtelpause nachfolgt. Die Liedmusik auf dem ersten Vers wirkt in der Tat, nicht nur von der Struktur der melodischen Linie her, sondern auch in ihrer Harmonisierung und in den Staccato-Akkorden des Klaviersatzes wie eine Art einleitender Auftakt zur Liedmusik auf den folgenden Versen der ersten Strophe.


    Darin behält der Klaviersatz zwar seine Grundstruktur aus einer durch zwei Achtelpausen unterbrochenen Folge von sechs Achtelakkorden im Diskant über lang gehaltenen Einzeltönen und Oktaven im Bass bei, die melodische Linie geht aber – unter Beibehaltung ihrer Lebhaftigkeit – zu dem Gestus einer große tonale Räume in Gestalt von Sprüngen und bogenförmigen Linien durchmessenden Bewegung über. Dem Vorgang des Sich-zu-Füßen-Stürzens“ wird dabei in der Struktur der melodischen Linie besondere Beachtung geschenkt. Aber schon bei den Worten „und laut aufweinend“ entfaltet sie große Expressivität. Dies in Gestalt eines veritablen, in hoher Lage ansetzenden Septfalls von „laut“ hin zu ersten Silbe des Wortes „aufweinend“ und dem nachfolgenden Sekundanstieg der melodischen Linie bei den dem Wortteil „-weinend“. Hier herrscht es-Moll-Harmonik vor. Danach geht die melodische Linie zu bogenförmiger Entfaltung über, die den Raum einer ganzen Oktave einnimmt und sich in der Abfolge von deklamatorischen Schritten im Wert von Vierteln, Achteln und sogar Sechzehnteln ereignet, - Ausdruck des hohen emotionalen Potentials, das diesem Bild innewohnt. Dazu liefert auch die Harmonik einen gewichtigen Beitrag. Sie vollzieht nämlich zwei Mal, nämlich bei der melodischen Fallbewegung auf den Worten „stürz ich mich“ und der klanglich lieblich wirkenden, weil gedehnten auf den Worten „süßen Füßen“ eine hochexpressive Rückung von es-Moll nach F-Dur.


    Bei der zweiten Strophe nimmt die Liedmusik einen anderen Charakter an. Die schon zitierten Vortragsanweisungen dazu sind nur Ausfluss ihres klanglichen Wesens. Sie entfaltet sich nun, im deutlichen Kontrast zur ununterbrochenen Lebhaftigkeit der Melodik der ersten Strophe, in Gestalt von melodischen , wie klangliche Inseln wirkenden Kurzzeilen, denen lange, vom Klavier mit akkordischen Figuren ausgefüllten Pausen nachfolgen. Bei diesen handelt es sich zwar strukturell um die gleichen, die man schon aus der ersten Strophe kennt, nur dass sie dieses Mal im Bass angesiedelt sind, während das Klavier im Diskant taktausfüllende und mit Vorschlag versehene und in extrem hohe Lage ausgreifende bitonale Akkorde erklingen lässt. Auf diese Weise vermag die Liedmusik die Atmosphäre der Unwirklichkeit, wie sie diesen Traum-Bildern eigen ist, in klanglich beeindruckender Weise zu imaginieren.


    Auf den Worten „Du siehst mich an“ liegt ein in eine Dehnung mündender und aus einer Tonrepetition hervorgehender Quartsprung, der in eine Dehnung mündet und mit einer Rückung von Ges-Dur nach es-Moll verbunden ist. Bei dem Wort „wehmütiglich“ steigt die melodische Linie in Sekunden an und fällt am Ende, bei der Silbe „-lich“ um wieder um eine Sekunde zurück in eine neuerliche Dehnung. Hier rückt die Harmonik von as-Moll, nach es-Moll. Diese beiden kleinen Melodiezeilen kehren dann wieder bei den Worten „aus deinen Augen“ (hier ohne Dehnung am Ende) und „schleichen sich“. Der klangliche Reiz besteht dabei darin, dass die melodische Linie jeweils erst nach dem Erklingen von zwei Achtel-Akkorden einsetzt und das Klavier mit der Artikulation dieser Akkorde auch in den langen Pausen zwischen ihnen fortfährt, so dass sie jeweils in diese kontinuierliche und leicht rhythmisierte Folge von Akkorden gebettet wirkt. Die Worte „und schüttelst das blonde Köpfchen“ und „die Perlentränentröpfchen“ begleitet das Klavier hingegen mit lang gehaltenen, Bass und Diskant übergreifenden Akkorden, während die melodische Linie beim ersten Mal eine nach unten gerichtete Bogenbewegung beschreibt, beim zweiten Mal aber bogenförmig ansteigt, sich wieder senkt und dann auf dem Wortteil „-tröpfchen“ einen auf dem Grundton „Es“ endenden und aus einer Dehnung hervorgehenden Quintfall beschreibt.


    Beim ersten Vers der dritten Strophe setzt die Liedmusik mitsamt dem Vorspiel so ein wie am Liedanfang. Vermutlich hat Franz auch deshalb aus dem Heine-Wort „sagst“ wegen des gedehnten melodischen Falls an dieser Stelle ein „sagest“ gemacht. Schon beim zweiten Vers nimmt die Melodik aber, die lyrische Aussage reflektierend, eine neue Struktur an: Sie beschreibt drei Mal eine in der tonalen Lage jeweils ansteigende Fallbewegung, am Ende eine gedehnte, um das Wort „Zypressen“ mit einem Akzent zu versehen.


    Und nun, nach einer Viertelpause für die Singstimme, steigert sich die Liedmusik in einen geradezu dramatisch anmutenden Gestus. Bei den Worten „Ich wache auf, und der Strauß ist fort“ steigt die melodische Linie forte in Ces-Dur-Harmonisierung und unisono mit Oktaven im Klavierdiskant zunächst in Sekundschritten auf mittlerer Lage an, senkt sich danach wieder ab, um danach mit einem Sextsprung in einen in hoher Lage ansetzenden fortissimo auszuführenden und stark gedehnten, weil bis in den nächsten Takt sich erstreckenden und in einer Fermate endenden zweifachen Sekundfall überzugehen. Auch hier folgt das Klavier der melodischen Linie mit Oktaven im hohen Diskant, und die Harmonik vollzieht eine Rückung von as-Moll nach B-Dur. Die Liedmusik hat aus der lapidaren Feststellung des lyrischen Ich bei Heine ein geradezu Schrecken erregendes Ereignis gemacht.


    Und das setzt sich zunächst einmal in diesem liedmusikalischen Gestus fort, denn es folgt ein dreitaktiges Zwischenspiel, in dem das Klavier im Bass über z.T. arpeggierten Akkorden im Diskant drei Mal die fallend angelegten Achtel-Figuren erklingen lässt, mit denen das Lied einsetzt. Das aber nun schon anfänglich mezzoforte und am Ende, wenn die Achtel staccato in die Tiefe sinken, mit der Anweisung „dim. poco riten.“ versehen. Für das, was liedmusikalisch nachfolgt, gelten zunächst die Anweisungen „più lento“ und „piano“. Der Schrecken klingt ab und geht in ernüchternde Erkenntnis über, die sich der Struktur der melodischen Linie und der einzigen Wiederholung Ausdruck verschafft, die sich Franz hier erlaubt. Bei den Worten „Und das Wort, und das Wort“ geht die melodische Linie nach einem Quartfall in einen Sekundanstieg über, der aber am Ende in einen gedehnten Sekundfall mündet, dem eine Pause im Wert von einem Takt folgt, in der das Klavier die Fallbewegung der melodischen Linie noch einmal nachvollzieht. Man vernimmt diese Pause wie ein sich seiner Situation Bewusst-Werdens des lyrischen Ichs.


    Die Worte „hab´ ich vergessen“ kommen danach wie ein wahrlich lapidarer Nachtrag. Die melodische Linie steigt aus tiefer Lage in drei Schritten, von denen zwei in Gestalt von Achteln erfolgen, an und geht auf den Silben „-gessen“ in einen Sekundfall über, der nicht etwa in eine Dehnung mündet, wie man das am Ende eines Liedes eigentlich erwartet, sondern in ein die Melodik abreißen lassendes Achtel. Das Klavier hat dazu nur noch einen aus der Dominante hervorgehenden es-Moll-Akkord beizutragen.

  • Das ist die erste unter den hier bereits vorgestellten Heine-Vertonungen, bei der sich die Frage stellt, die sich bei den nachfolgenden Lied-Besprechungen noch mehrfach aufdrängen wird: Wie geht Robert Franz mit Heines lyrischer Ironie um?
    Dieses Heine-Gedicht ist ja ein geradezu exemplarischer Fall von ironischer Brechung der lyrischen Aussage, wie sie einem in Heines Lyrik so oft begegnet und als geradezu konstitutiv für ihr Wesen gelten kann. Als Heine es einmal im Freundeskreis vorgetragen hat, soll es zu lautem Gelächter gekommen sein. In zwei ihrer Erscheinungsformen ist sie hier zugegen: Im desillusionierenden Schluss und in der Übersteigerung des evokativen Potentials des lyrischen Bildes durch Überzuckerung. Das Bild vom „lautaufweinenden Sturz“ zu den „süßen Füßen“ der Geliebten stellt eine solche Übertreibung dar, garniert auch noch mit einer lyrisch-sprachlich dick aufgetragenen Wiederholung des Umlauts „ü“ bei „süßen Füßen“. Und das wiederholt sich bei dem Bild von den „Perlentränentröpfchen“. Das ist ein lyrisches Wort, das als aus drei Elementen gebildetes Kompositum auf gekünstelte Weise konstruiert erscheint, und das Sich-aus-den- Augen-Schleichen“ verstärkt diesen Eindruck noch. Hinzu kommen sprachliche Klischees wie „blondes Köpfchen“ und „wehmütiglich“. Und dann ist da noch der geradezu abrupte Schluss, eingeleitet mit der apostrophierten Konjunktion „und´s“. Solche Schlüsse finden sich bei Heine sehr oft. Alberto Destro hat in seiner Untersuchung des „Buchs der Lieder“ dafür den höchst treffenden Begriff „Attesa contradetta“ geprägt.


    Robert Schumann hat sich mit dieser spezifischen Eigenart der Heineschen Lyrik, die dieser selbst einmal unter Bezugnahme auf das „Buch der Lieder“ als „maliziös-sentimental“ charakterisiert hat, intensiv auseinandergesetzt, und seine Heine-Vertonungen reflektieren sie auf vielfältige Weise. Das ist auch bei diesem Gedicht der Fall, soll aber erst im nachfolgenden Thread genauer aufgezeigt werden.


    Was aber nun Robert Franz anbelangt, so ergibt sich aus dem Höreindruck und aus dem Blick in die kompositorische Faktur ein eindeutiges Bild: Er setzt sich konsequent darüber hinweg, indem er die lyrischen Bilder und die daraus hervorgehende poetische Aussage voll und ganz ernst nimmt. Seine kompositorische Intention ist es tatsächlich, wie bei der Besprechung des Liedes aufzuzeigen und zu konkretisieren versucht wurde, den Zauber der Traum-Bilder musikalisch zum Ausdruck zu bringen und zugleich, und daran anschließend, die Schmerzlichkeit ihres Verlusts vernehmlich und erfahrbar werden zu lassen.


    Auf den Worten „und laut aufweinend stürz ich mich zu deinen süßen Füßen“ liegt eine Liedmusik, die dieses Bild in seinem Gehalt ohne jegliche innere Brechung aufgreift und mit ihrer Melodik und deren Harmonisierung in evokative Klanglichkeit umsetzt:: Mit dem expressiven, in e-Moll harmonisierten Septfall auf den Worten „laut aufweinend“ und den lieblich anmutenden Bogenbewegungen, die nachfolgen, einschließlich des dreifachen Sekundfalls in hoher Lage auf dem Wort „Füßen“, der bezeichnenderweise, Ausdruck des Ernst-Nehmens dieses Bildes, mit einer harmonischen Rückung von es-Moll nach F-Dur verbunden ist. Und die zweite Strophe ergeht sich durchweg in inniger, in der Melodik in kleine Zeilen untergliederter, durchweg in Moll harmonisierter und vom Klavier in akkordische Klanglichkeit gebetteter Liedmusik, mündend in die in as- und es-Moll harmonisierte und lieblich anmutende melodische Wellenfigur auf dem Wort „Perlentränentröpfchen“.


    Der Frage, ob hinter diesem liedkompositorischen Umgang mit Heines Lyrik eine naive, unreflektierte, nicht in die semantische Tiefe und die spezifische Struktur der lyrischen Sprache vordringende Rezeption derselben steht, oder ob Franz um all das sehr wohl wusste, aber nicht bereit war, es in seiner Vertonung zu berücksichtigen, wird ganz sicher noch weiter nachgegangen werden müssen. Sie tangiert übrigens nicht zwangsläufig die nach der Qualität der Liedmusik selbst, wie man an dieser Komposition sehen kann. Sie begegnet einem als ein ausdrucksstarkes, in sich stimmiges Lied, das einen – wie ich finde- durchaus nicht weniger anzusprechen vermag, als dies bei der Komposition von Robert Schumann der Fall ist.
    Umso nachdenklicher wird man, wenn man bei YouTube den Titel von Heines Gedicht eingibt: Man bekommt zahlreiche Aufnahmen des Schumann-Liedes präsentiert, aber nicht eine einzige von der Komposition von Robert Franz.

  • Eingewiegt von Meereswellen
    Und von träumenden Gedanken,
    Lieg' ich still in der Kajüte,
    In dem dunkeln Winkelbette.


    Durch die off´ne Luke schau' ich
    Droben hoch die hellen Sterne,
    Die geliebten, süßen Augen
    Meiner süßen Vielgeliebten.


    Die geliebten, süßen Augen
    Wachen über meinem Haupte,
    Und sie blinken, und sie winken
    Aus der blauen Himmelsdecke.


    Nach der blauen Himmelsdecke
    Schau' ich selig lange Stunden,
    Bis ein weißer Nebelschleier
    Mir verhüllt die lieben Augen.


    (Heinrich Heine)


    Den lyrischen Text hat Franz dem Heine-Zyklus „Die Nordsee I“ entnommen, speziell der Gruppe „Nachts in der Kajüte“. Der Titel „Auf dem Meere“ stammt also von ihm. Insgesamt hat er sechs Lieder komponiert, die diesen Titel tragen und denen jeweils Heine-Verse aus diesem Zyklus zugrunde liegen. Auf eines davon (op.5, Nr. 3) wurde ja bereits eingegangen, die Besprechung eines weiteren soll später noch folgen. Gemeinsam ist der Gruppe „Nachts in der Kajüte“, dass das lyrische Ich sich in der situativen Einsamkeit den Gedanken und Gefühlen hingibt, die sich im Zusammenhang mit der Sehnsucht nach der Geliebten beim Erleben des nächtlichen Meeres und des Himmels über diesem einstellen. So auch hier. Die erste Strophe skizziert lyrisch die Ausgangssituation, und in den drei nachfolgenden Strophen, die sich dadurch von der ersten absetzen, dass sie durch das Aufgreifen von Versen miteinander verkoppelt sind, ereignet sich eine imaginative Vergegenwärtigung der Geliebten dadurch, dass das lyrische Ich meint, in den Sternen ihren Augen zu begegnen, wobei das Sich-Hineinsteigern in diese Imagination so intensiv wird, dass die Augen Leben annehmen. Es ist freilich eine ambivalente Erfahrung, die das Ich da macht: Einerseits „selig lange Stunden“ der Imagination „geliebter süßer Augen“, andererseits das untergründige Wissen um die Tatsache, dass die Sterne in unerreichbarer Ferne blinken.


    Robert Franz übernimmt in seiner Komposition auf dieses Gedicht Heines zwar dessen strophische Gliederung und setzt die Liedstrophen durch ein jeweils eineinhalb- bis zweitaktiges Zwischenspiel voneinander ab, gleichwohl weist das Lied eine andere liedmusikalische Binnenstruktur auf, insofern sich Heines Zweigliedrigkeit, wie sie durch die Funktion der ersten Strophe als lyrische Exposition zustande kommt, nicht übernommen wird. Die beiden ersten Liedstrophen bilden eine Einheit durch die partielle Wiederkehr melodischer Figuren, die Struktur des Klaviersatzes und die Harmonik. Beide stehen in e-Moll als Grundtonart, und die Liedmusik der zweiten endet nur deshalb nicht in b-Moll, wie das bei der ersten der Fall ist, sondern vielmehr in H-Dur, weil auf diese Weise eine harmonische Brücke über die Dominante zur Grundtonart der dritten Strophe geschaffen werden soll. Denn diese steht in E-Dur als Grundtonart und weist in Melodik und Klaviersatz eine sich deutlich von dem vorangehenden Strophenpaar abhebende Liedmusik auf. Die vierte Strophe stellt eine Art Synthese aus der Liedmusik der ersten drei Strophen dar: Sie setzt mit der melodischen Linie auf dem ersten Verspaar der beiden Anfangsstrophen ein, diese sind aber nun in E-Dur, der Grundtonart der dritten Strophe harmonisiert.


    Diese sich aus der Liedmusik der einzelnen Strophen ergebende Binnengliederung des Liedes lässt die kompositorische Intention vernehmen und erkennen, die ihm zugrunde liegt: Die liedmusikalische Ausrichtung auf die letzte Strophe. Das mutet auf den ersten Blick zunächst einmal als dem lyrischen Text entsprechend und ihm darin gerecht werdend an. Die Frage wird dabei allerdings sein, inwieweit die Liedmusik dabei die lyrische Aussage reflektiert und ob sie dabei das affektiv-emotionale Potential der lyrischen Bilder und die darin sich niederschlagende seelische Befindlichkeit des lyrischen Ichs zu erfassen vermag.


    Bei den beiden ersten Strophen ist die Liedmusik ganz auf die tonmalerische Imagination der Situation abgestellt, wie sie in der Eingangsstrophe skizziert wird. Dem Klaviersatz kommt dabei – und das gilt für das ganze Lied – eine dominante Rolle zu, während die melodische Linie sich funktional auf das Erfassen und die Wiedergabe der oberen semantischen Ebene des lyrischen Textes beschränkt, ohne dabei sonderlich in dessen affektiv-emotionale Tiefe vorzustoßen. Auch diese Feststellung kann man auf das ganze Lied ausdehnen. Die melodische Linie entfaltet sich in den ersten beiden Strophen durchweg auf mittlerer tonaler Ebene, und dies in einem auffällig gleichförmigen deklamatorischen Gestus: In durchgehaltener Regelmäßigkeit folgen in trochäischem Metrum ein betonter und ein unbetonter deklamatorischer Schritt aufeinander. Das soll wohl Niederschlag der wiegenden Bewegung des Schiffes sein, in dessen Kajüte sich das lyrische Ich seinen Gedanken und Gefühlen überlässt. Nur an einer Stelle findet die melodische Linie in dieser Gleichförmigkeit ihrer Entfaltung zu etwas größerer Expressivität: Bei der aus einer Kombination aus Quart- und Terszprung hervorgehenden Fallbewegung am Ende der Strophen, also bei den Worten „dunkeln Winkelbette“ in der ersten und in ähnlicher Form bei „süßen Vielgeliebten“ in der zweiten Strophe.


    Der Klaviersatz besteht bei den beiden ersten Strophen im Diskant durchweg aus einer einzigen Figur: Sechs Sechzehntel, die sich entweder auf einer steigenden, einer fallenden oder einer bogenförmigen Linie bewegen. Man empfindet sie in ihrer permanenten Aufeinanderfolge als eine tonmalerische Imagination des dem Gedicht zugrundliegenden Bildes vom Eingewiegt-Sein des lyrischen Ichs in die „Meereswellen“. Das Bassfundament dazu liefern lang gehaltene und zum Teil arpeggierte Akkorde. In der dritten Strophe weist der Klaviersatz eine andere Struktur auf, wie das ja auch bei der melodischen Linie und ihrer Harmonisierung der Fall ist. Hier will die Liedmusik das lyrische Bild von den „geliebten süßen Augen“ aufgreifen, und das tut sie mit einer melodischen Linie, die sich beim ersten und beim zweiten Vers jeweils aus tiefer Lage in obere Mittellage empor bewegt und danach in einen ruhigen Fall über Terzen und Sekunden übergeht. Die Harmonik beschreibt dabei eine Rückung von der Dominante H-Dur zur Tonika E-Dur, und das Klavier begleitet mit repetierenden drei-und zweistimmigen Akkorden in Bass und Diskant, die im Diskant in zum Teil länger gehaltene arpeggierte Akkorde übergehen. Im Zusammenspiel von melodischer Linie und Klavierbegleitung entsteht so ein liebliches Klangbild mit der Anmutung von partieller Süßlichkeit.


    Auch bei den nachfolgenden Worten „und sie blinken und sie winken“ beschreibt die melodische Linie zweimal eine ähnle Bewegung, nämlich einen Fall über eine Quarte und eine Terz, der bei dem Verb auf tiefer tonale Ebene zur Ruhe kommt. Das nachfolgende Bild vom Winken aus der blauen Himmelsdecke“ wird mit einer melodischen Linie aufgegriffen, die in ihrem Sich-Aufschwingen in hohe Lage und der nachfolgenden bogenförmigen und in einer Dehnung vorübergehen innenhaltenden Fallbewegung die Anmutung großer klanglicher Lieblichkeit aufweist, zumal das Klavier hier nun wieder mit Arpeggien im Diskant begleitet und die Harmonik mehrfach zwischen Dominante und Tonika moduliert.


    Die letzte Strophe wirkt, sowohl im Bereich der Melodik wie auch in dem des Klaviersatzes, wie eine Synthese aus der Liedmusik der vorangehenden Strophen. Die melodische Linie auf den ersten beiden Versen („Nach der blauen Himmelsdecke…“) ist bis zum dem Wort „Stunden“ identisch mit der auf dem ersten Verspaar der ersten Strophe. Auch im Klaviersatz erklingen wieder die Sechzehntel-Figuren, allerdings nun im Wechsel mit staccato angeschlagenen bitonalen Sechzehntel-Akkorden im Diskant über Staccato-Oktaven im Bass. Bei den Worten „Bis ein weißer Nebelschleier mir verhüllt die lieben Augen“ geht die melodische Linie nach einem anfänglichen Fall über zwei Terzen in eine zweimalige, in der tonalen Ebene dabei angehobene Aufstiegsbewegung über, die sie beim zweiten Mal bis zu einem hohen „Fis“ auf der zweiten Silbe des Wortes „verhüllt“ führt, danach beschreibt sie einen Fall erst über eine Quarte, dann über eine Sekunde und geht danach bei dem Wort „Augen“ zu einer gedehnten, legato auszuführenden und klanglich lieblich wirkenden Kombination aus Sekundsprung und –fall über.


    Das Klavier vollzieht, nach einem nochmaligen Erklingen-Lassen der Sechzehntel-Figur am Anfang, diese Bewegungen der melodischen Linie in Gestalt von dreistimmigen Akkorden im Diskant mit, und die Harmonik bettet die Melodik auf den Worten „die lieben Augen“ in das Tongeschlecht Moll. Franz will es dabei nicht belassen, - Lieder, die in Moll-Harmonik enden, mag er nicht. So werden denn diese Worte wiederholt, nun auf einem in der tonalen Ebene sich absenkenden Auf und Ab der melodischen Linie, das in der, auch für diese letzte Strophe geltenden Grundtonart E-Dur mit einer Rückung über die Dominante harmonisiert ist und auf dem Grundton „E“ in tiefer Lage endet. Ein viertaktiges Nachspiel folgt, in dem das Klavier seine Sechzehntel-Figuren erklingen lässt, die am Ende ins Stocken geraten und zweimal in einen arpeggierten Akkord münden.


    Um zu einer Antwort auf die eingangs gestellte Frage zu kommen, in welchem Grad die Liedmusik hier das lyrische Aussage-Potential der Heine-Verse zu erfassen und zu reflektieren vermag:
    Sie kann das nur unzureichend. Dies deshalb, weil sie gleichsam an der Oberfläche des lyrischen Textes verbleibt, indem sie sich auf die Reproduktion von dessen Semantik auf der Ebene der Liedmusik beschränkt und sich insbesondere im Bereich der Melodik bei dem Verharren in einer gleichförmig trochäisch rhythmisierten Entfaltung zu wenig auf eine Auslotung des evokativen Potentials der lyrischen Bilder einlassen will.

  • Nun die Schatten dunkeln,
    Stern an Stern erwacht:
    Welch ein Hauch der Sehnsucht
    Flutet durch die (Geibel: „in der“) Nacht!


    Durch das Meer der Träume
    Steuert ohne Ruh',
    Steuert meine Seele
    Deiner Seele zu.


    Die sich dir ergeben,
    Nimm sie ganz dahin!
    Ach, du weißt, daß nimmer
    Ich mein eigen bin.


    (Emanuel Geibel)


    Es ist ein lyrisch etwas abgegriffenes Thema, dem Geibel sich hier widmet. Aber er tut es in Gestalt einer relativ schlichten lyrischen Sprachlichkeit: Drei regelmäßig gebaute Strophen aus vier Versen mit dreihebig trochäischem Metrum und wechselnd klingender und stumpfer Kadenz, wobei nur die Verse zwei und vier durch einen Reim miteinander verbunden sind. Die Liedkomposition von Robert Franz greift genau diese spezifische formale Eigenart des Geibel-Gedichts auf und setzt es in eine ebenso einfach und schlicht aufgebaute und strukturierte Liedmusik um. Aber gerade das lässt ihre in das Bekenntnis des „Nimmer-sein eigen-Seins“ mündende musikalische Aussage als durchaus wahrhaftig und überzeugend erscheinen, und darin atmet sie den Geist des Volksliedes.


    In vielerlei Hinsicht weist diese kleine Komposition eine Nähe zum Volkslied auf: In ihrer Anlage als nur leicht variiertes Strophenlied, in der in ihrer Struktur einfachen und in ihrer Binnengliederung versgebundenen Melodik, in der mit nur wenigen Ausnahmen im Bereich von Tonika, Dominante und Subdominante modulierenden Harmonik und dem relativ schlicht angelegten Klaviersatz. Die Grundtonart ist Ges-Dur, ein Dreivierteltakt liegt zugrunde, und die Tempoanweisung lautet: „Andante molto sotenuto“.


    Mit Ausnahme des letzten Verses ist die melodische Linie aller anderen nach dem gleichen deklamatorischen Muster angelegt. Aber gerade darin, in diesem Ausbruch der Melodik aus einer geradezu suggestiv wirkenden Gleichförmigkeit, gründet der klangliche Zauber, der von diesem Lied ausgeht. Die Melodiezeilen auf den ersten drei Versen der Strophen weisen durchweg die gleiche Struktur auf: Auf eine Tonrepetition in Gestalt von zwei Achteln folgt ein Sekundfall im Wert von zwei Vierteln, der die melodische Linie zur tonalen Ausgangslage zurückführt, und danach ereignet sich, um eine Terz angehoben, noch einmal ein Sekundfall, dieses Mal aber in gedehnter Gestalt, aus einem Ton im Wert von einer halben Note heraus. Die melodische Linie macht also in jeder Zeile pro Vers permanent die gleiche Grundbewegung, nur dass diese sich gleichsam durch Dehnung der deklamatorischen Schritte verlangsamt und am Ende in der tonalen Ebene ansteigt. Mit dem gedehnten Fall am Zeilenende reflektiert die Melodik die regelmäßig auf den Wechsel von klingender und stumpfer Kadenz ausgerichtete Sprachlichkeit der lyrischen Verse.


    Auch die Melodiezeilen auf den Schlussversen der ersten beiden Strophen sind strukturell gleich angelegt. Bei den Worten „flutet durch die Nacht“ und „deiner Seele zu“ beschreibt die melodische Linie zunächst die anfänglich immer erfolgende Achtel-Tonrepetition. Sie geht nun aber nicht in einen Sekundsprung über, dem der gedehnte Sekundfall folgt, vielmehr erfolgt ein aus einem Sekundfall hervorgehender Aufstieg über eine Tonrepetition auf einer um eine Terz angehobenen tonalen Ebene, der ein weiterer Terzsprung hin zu einer Dehnung auf einem „Ges“ in hoher Lage nachfolgt. Das ist, wenn man so will, die für die Volksliedmelodik charakteristische, auf Kadenz ausgerichtete Modifikation der melodischen Grundstruktur am Ende der Strophe. Und sie ist auch in ihrer Harmonisierung ganz konsequent mit einer Rückung von der Subdominante Ces-Dur hin zur Tonika Ges-Dur verbunden.


    Was die Harmonik des Liedes anbelangt, so gibt es eine Abweichung von der ansonsten durchaus volksliedgemäßen Fixierung auf Tonika und die beiden Dominanten. Und das lässt erkennen, dass hinter der stereotypen Schlichtheit der Liedmusik ein liedkompositorisches Konzept steht. Beim zweiten Vers der drei Strophen beschreibt die Harmonik eine von der Fixierung auf die Tonika deutlich abweichende Rückung von as-Moll nach Es-Dur. Es sind in Geibels Gedicht die Verse, in denen sich Bewegung artikuliert, kosmische und seelische: Stern an Stern erwacht, die Seele des lyrischen Ichs steuert der Seele des geliebten Du zu, und am Ende bittet es: „Nimm sie hin“. Die hier jeweils herausragende harmonische Rückung auf der Basis des einzigen Molls, das es in diesem Lied gibt, ist liedmusikalischer Niederschlag des tiefen Begehrens nach Vereinigung mit dem Du, das durch die Erfahrung der Nacht im lyrischen Ich geweckt wird.


    Von daher erweist sich die Liedmusik auf dem Schlussvers als endgültiger Beleg für die Hintergründigkeit des so stark auf uniforme Schlichtheit angelegten liedkompositorischen Konzepts, das sich ja auch im Klaviersatz zeigt, der in allen Strophen die gleiche Gestalt hat: Abfolge von Einzelton und biotonalem bzw. dreistimmigem Akkord im Diskant über Viertel-Akkorden im Bass, von denen einer bei gedehnten Sekundfall der melodischen Linie am Ende der Zeile ein arpeggierter ist. Bei den Worten „nimmer ich mein eigen bin“, in denen die lyrische Aussage zu ihrem eigentlichen Zentrum kommt, geschieht das auch in der Liedmusik. Nicht nur dadurch, dass Franz hier die Worte „mein eigen bin“ noch einmal wiederholen lässt, sondern auch – und vor allem – durch ihren Ausbruch aus dem Gestus der stereotypen Uniformität.


    Dieser ereignet sich keineswegs nur in der Melodik, sondern auch im Klaviersatz und in der Dynamik. Schon in der Melodik auf dem dritten Vers erfolgt eine zweifache Abweichung vom Grundmuster des Liedes: Die melodische Linie beschreibt nun vor dem letzten gedehnten Sekundfall eine Aufstiegsbewegung, und in das das ganze Lied zuvor beherrschende Piano tritt ein Crescendo. Bei den Worten „ich mein eigen bin“ beschreibt sie, was ein wahrlich singuläres Ereignis in diesem Lied ist, eine in Terzen bis zu einem hohen „As“ aufsteigende und danach in Sekundschritten wieder fallende Bewegung, und das in Gestalt von deklamatorischen Achtel-Schritten, die im Fall allerdings legato auszuführen sind. Das Klavier folgt ihr dabei mit Oktaven im Diskant über fallenden Akkorden im Bass. Die nachfolgenden Worte „mein eigen bin“ wirken wie eine nachklingend-innige Bekräftigung dieses expressiven und mezzoforte deklamierten Geständnisses. Sie werden – nun piano – auf einer Kombination aus Quintfall und Terzsprung deklamiert, dem ein doppelter und mit der Rückung aus der Dominante in die Tonika verbundener Sekundfall folgt, der auf dem Grundton „Ges“ endet. Ein Nachspiel gibt es nicht.

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  • Wie schienen die Sternlein so hell, so hell
    Herab von der Himmelshöh'!
    Zwei Liebende standen auf der Schwell',
    Ach, Hand in Hand: »Ade!«


    Die Blümlein weinten auf Flur und Steg,
    Sie fühlten der Liebenden Weh' --
    Die standen traurig am Scheideweg,
    Ach, Herz an Herz: »Ade!«


    Die Lüfte durchrauschen die Waldesruh', --
    Aus dem Tal und aus der Höh'
    Da wehn weiße Tücher einander zu:
    »Ade! -- Ade -- Ade! --«


    (Siegfried Kapper)


    Der Abschied zweier Liebenden ist in diesem Gedicht des deutsch-tschechischen Schriftstellers Siegfried Kapper ( 1821 bis 1879 ) in eine Szenerie gebettet, die Anteilnahme der naturhaften Umwelt am Menschen suggeriert, mit lyrisch-sprachlichen Diminutiva das Geschehen auf die Ebene wehleidiger Rührung hebt und es damit der tief-schmerzlichen und existenziell erschütternden Dimension beraubt, die dem Abschied zweier sich liebender Menschen gemeinhin eigen ist. Die Liedkomposition von Robert Franz mutet in ihrer lieblich-wehmütigen und darin durchaus anrührenden Klanglichkeit an wie eine adäquate Umsetzung eben dieser – im Grunde ja doch poetisch verlogenen - lyrisch-szenischen Gestaltung des Themas „Abschied“ in Liedmusik. Allerdings ist es keine, die sozusagen nach dem Modus eins zu eins geschieht. Vielmehr nutzt Franz im Rahmen des liedkompositorischen Konzepts „variiertes Strophenlied“ sehr wohl die Möglichkeit einer musikalischen Auslotung eben dieser existenziellen Dimension des lyrischen Themas. Dies allerdings nicht bis zu der Tiefe, die ihm innewohnt, der lyrische Text bindet ihm diesbezüglich mit seiner Aussage und Metaphorik die kompositorischen Hände.


    „Abschied“ ist ein variiertes Strophenlied nach dem Schema „A-B-A´“. Es steht in A-Dur als Grundtonart, weist einen Dreiachteltakt auf, und es soll „Andante, zart“ vorgetragen werden. Wie Robert Franz es liebt – und wie es ein durchaus tragendes liedkompositorisches Konzept ist - , generiert sich die Liedmusik aus einem zentralen melodischen Motiv, das die musikalische Substanz bildet und gleichsam die Keimzelle von all dem darstellt, was sich in der Melodik ansonsten noch ereignet. Es ist der gleichsam weiterentwickelte Geist des Volksliedes, der dabei Pate steht. Und volksliedhaft schlicht mutet die Musik dieses Liedes ja durchaus an.


    Das zentrale melodische Motiv klingt gleich auf den ersten beiden Versen der ersten Strophe an. Es setzt auftaktig mit einem Sechzehntel-Quartsprung ein, und das ohne Klavierbegleitung, - was das Gewicht des nachfolgenden gedehnten Falls unterstreicht, der auf dem Wort „schienen“ liegt Auf dem Wort „Sternlein“ beschreibt die melodische Linie danach eine Kombination aus Quintfall und Sekundsprung, der über einen weiteren Sekundschritt in den ersten Ruhepunkt dieser Figur mündet: In Gestalt eines Viertels auf dem Wort „hell“. Hier rückt die Harmonik von der Tonika A-Dur in die Dominante „E“, was eine Akzentuierung dieses kurzen Innehaltens in der melodischen Bewegung mit sich bringt. Bei der Wiederkehr trägt das Wort „hell“ erneute eine kleine Dehnung, und danach beschreibt die melodische Linie bei den Worten „von des Himmels Höh“ zunächst einen in der Subdominante harmonisierten und leicht rhythmisierten Aufstieg, geht anschließend noch einmal in einen Fall über, um mit einem Sekundsprung in eine lange Dehnung auf dem Wort „Höh“ zu münden. Auch das ist mit einer Rückung in die Dominante verbunden.


    Großer klanglicher Liebreiz geht von dieser melodischen Figur aus, und sie entfaltet darin eine das Lied stark prägende Wirkung, kehrt sie doch in ihrem ersten Teil – also bis zu dem Quartsprung auf der Wiederholung der Worte „so hell“ – noch drei Mal wieder: Auf dem dritten Vers dieser ersten Strophe und auf dem ersten und dem dritten Vers der dritten. Die sich auf den jeweils nachfolgenden Versen ereignenden melodischen Bewegungen wiederholen sich nicht. Der Faktor „Variation“ greift also bei diesem Lied durchaus tief in die melodische Substanz ein. Der Klaviersatz ist dabei aber durchweg der gleiche: Im Diskant ein zweifacher Sechzehntel-Oktavsprung, und im Bass z.T. leicht rhythmisierte bitonale Akkorde, die am Ende zweimal in arpeggierte übergehen. Die der Liedmusik innewohnende Lieblichkeit erfährt durch die klangliche Silbrigkeit des Klaviersatzes eine deutliche Steigerung.


    Bei der zweiten Strophe geht die Liedmusik zu einem leicht wehmütigen Ton über, der sich in der Struktur der melodischen Linie und auch in ihrer Harmonisierung niederschlägt. Das Tongeschlecht Moll (h-Moll, fis-Moll) dominiert, und die kurzen Rückungen nach Fis-Dur und Cis-Dur haben nur Vorhalt-Funktion. Nur einmal beschreibt die – auch hier wie durchweg im Dreiachteltakt leicht rhythmisierte - melodische Linie in eine Aufstiegsbewegung, bei den Worten „(„Die Blümlein“) „weinten auf Flur“ nämlich. Danach aber folgt Fallbewegung auf Fallbewegung, immer wieder über einen Quartsprung neu ansetzend und in Sekundschritten sich ereignend. Nur bei den Worten „sie standen“ erfolgt der Fall über zwei Terzen. Das Klavier begleitet hier mit einer anderen Figur: Über Einzeltönen im Bass erklingt im Diskant pro Takt eine legato auszuführende Folge von Sechzehntel und dreistimmigem Achtelakkord, der mehrmals in ein Arpeggio übergeht.


    Zum Höhepunkt ihrer Expressivität findet die Liedmusik jeweils in den Schlussversen der drei Strophen, im Sich-Einlassen auf den Aussage-Kern des lyrischen Textes also, das „Ade“. Und hierin, so empfindet man das als ihr Rezipient, offenbart sie sich in ihrer liedkompositorischen Größe.


    Beim ersten Schlussvers wird das „Hand in Hand“ in seiner Semantik ausgelotet, indem die melodische Linie nach einer Dehnung auf dem ersten „Hand“ aus einem Sechzehntel-Sekundfall in einen Quintsprung übergeht, der in eine neuerliche, nun um eine Terz angehobene Dehnung auf dem zweiten „Hand“ mündet. Dies ereignet sich in a-Moll-Harmonisierung mit nachfolgender Rückung nach E-Dur bei der langen Dehnung auf dem Wort „Ade“. Beim zweiten Schlussvers widmet sich die Liedmusik den Worten „Herz an Herz“ in der gleichen Intention, nun aber mit anderen Mitteln. Zunächst liegt auch hier wieder eine aus einem Sekundfall der melodischen Linie hervorgehende Dehnung auf dem Wort „Herz“. Bei der Wiederholung wird daraus aber ein in h-Moll harmonisierter Legato-Terzprung, der Bestandteil einer Dreier-Achtelfigur ist, die am Ende über einen neuerlichen Terzsprung in den Sekundfall auf dem Wort „Ade“ mündet, der, in einem kurzen G-Dur stehend, nun nicht in eine Dehnung übergeht, sondern ein klanglich komplexes viertaktiges Zwischenspiel auslöst, in dem das Klavier in der harmonischen Modulation zwischen Cis-Dur und fis-Moll aus Akkorden hervorgehende und in immer höhere Diskantlage aufsteigende Oktavsprünge hervorgehen lässt.


    Auf dem letzten, das Lied beschließenden dreifachen „Ade“ liegt je eine melodische Sprungbewegung. Das erste Mal ist es ein kleiner, in a-Moll harmonisierter Sekundsprung, beim zweiten Mal wird daraus ein, nun in E-Dur stehender und mit einem dynamischen Crescendo versehener Quintsprung. Und beim letzten Mal kehrt die Melodik zu ihrem anfänglichen Sekundsprung auf der gleichen tonalen Ebene zurück, nur dass es diesmal ein großer ist, der auf der Terz der Tonika A-Dur endet und vom Klavier, mit einem arpeggierten A-Dur begleitet wird. Es fügt dem Lied in Gestalt seiner immer höher steigenden Sechzehntel-Sprünge noch ein dreitaktiges, in einen A-Dur-Akkord mündendes Nachspiel hinzu.
    Aber bemerkenswert ist: Franz lässt das Lied in Dur-Harmonik enden. Er hat das lyrische „Ade“ zwar durchaus – und darin über die poetische Textvorlage hinausgehend – in seinen schmerzlichen Dimensionen musikalisch ausgelotet, will diese aber nicht als dauerhafte existenzielle Erfahrung sehen und verstehen. „Abschied“ ist für ihn in diesem Lied ganz offensichtlich auch „Aufbruch“ in neue Lebenswelt.

  • Im Rhein, im heiligen (Heine: „schönen“) Strome,
    Da spiegelt sich in den Well'n
    Mit seinem großen Dome
    Das große, heilige Köln.


    Im Dom da steht ein Bildnis,
    Auf goldenem Grunde (Heine: Leder) gemalt;
    In meines Lebens Wildnis
    Hat's freundlich hineingestrahlt.


    Es schweben Blumen und Englein
    Um unsre liebe (Heine: Unsre Liebe) Frau;
    Die Augen, die Lippen, die Wänglein,
    Die gleichen der Liebsten genau.


    (Heinrich Heine)


    In einem großen, religiös überhöhten Raum und Rahmen (dem „Dom“ im „heiligen“ Köln) ereignet sich eine im Grunde blasphemische, aber vom lyrischen Ich in keiner Weise so empfundene Begegnung mit dem Bild der Geliebten im Bild einer Heiligen, der ausdrücklich als „Unsre liebe Frau“ titulierten Jesu-Mutter Maria nämlich. Von dem „auf goldenem Leder“ gemalten Bildnis sagt das lyrische Ich, es habe „freundlich“ in seines „Lebens Wildnis“ „hineingestrahlt“, und Heine lässt dabei ganz bewusst offen, ob dieses “Hineinstrahlen“ aus der transzendenten Dimension der Heiligen kommt oder aus der ganz und gar irdischen der Geliebten.


    Das muss er auch, ist es doch gerade die Verschmelzung beider Dimensionen und die darin sich ereignende Überhöhung der Geliebten, die den Kern der lyrischen Aussage bildet. Robert Schumann, dessen Vertonung dieser Heine-Verse sich Robert Franz hier wieder einmal stellt – und dies in Kenntnis derselben, wie das der erste Vers mit der Ersetzung von „schönen“ durch „heiligen“ vermuten lässt – wird dieser Überhöhung mit der Übernahme Bachscher Polyphonie und Choralvorspiel-Motive gerecht, dies sogar in einer Art und Weise, die man als eine Potenzierung der religiösen Aura der Heineschen Lyrik empfinden kann. Und wenn er dann die Verse der letzten Strophe in eine liebliche Liedmusik umsetzt und dabei die Worte „die Lippen“ deklamatorisch wiederholen lässt, dann ereignet sich auf der Ebene der Liedmusik genau das, worauf Heines Lyrik poetisch hinausläuft: Die Verschmelzung der Dimensionen von irdischer Lebenswelt und religiöser Transzendenz. Und auch hier mutet Schumann Liedmusik wie eine künstlerische Potenzierung von Heines Lyrik an.


    Das konnte der konservative Robert Franz in gar keiner Weise kompositorisch mit- und nachvollziehen. Und so hört sich seine diesbezügliche Liedkomposition auch an. Sie steht in D-Dur als Grundtonart und entfaltet sich auf der Grundlage eines Sechsachteltaktes. Vielsagend, weil ihr Wesen direkt ansprechend, ist die Vortragsanweisung. Sie lautet: „Im Legendenton, Andantino, leise“. Und in der Tat: Es ist eine legendenhaft daherkommende musikalische Veredelung der lyrischen Bilder im Geiste der religiösen Aura, in die Heine sie gesetzt hat. Aber darin liedmusikalisch nur auf diese ausgerichtet und die irdische Dimension der sinnlichen Schönheit der Geliebten sozusagen außen vorlassend. Worin ist das zu vernehmen und der kompositorischen Faktur des Liedes zu entnehmen? Es gibt ein einfaches Indiz dafür: Auf den Worten „Es schweben Blumen und Englein“ liegt die gleiche melodische Figur wie auf den Eingangs-Worten „Im Rhein, im heiligen Strome“.


    In der liedmusikalischen Aussage kommt ihr eine große Bedeutung zu. Immerhin erklingt sie drei Mal: Auf dem Ersten und dem dritten Vers der ersten Strophe und auf dem ersten der dritten. Ihre Funktion reicht aber noch weiter. Franz geht in kompositorisch subtiler Weise mit ihr um. Die Tonrepetition, mit der sie bei den Worten „Im Rhein, im“ einsetzt, ist ein die melodische Linie maßgeblich prägendes strukturelles Merkmal. Man begegnet ihm immer wieder: Bei den Worten „spiegelt sich“, „große heilige Köln“, „Im Dom, da steht ein Bildnis“ (hier eine doppelte Tonrepetition auf ansteigender tonaler Ebene) und vor allem in der letzten Strophe. Hier besteht die melodische Linie der beiden, für die lyrische Aussage so maßgeblichen letzten beiden Verse nahezu ausschließlich aus Tonrepetitionen auf wechselnder tonaler Ebene. Nur auf dem Wort „Wänglein“ liegt ein leicht gedehnter Sekundfall in hoher Lage. Dem Quartfall auf den Worten „die gleichen“ kommt in diesem Zusammenhang keine sonderliche Relevanz zu, da er als melodischer Auftakt fungiert.


    Man kann diese Neigung der melodischen Linie, in Gestalt von Tonrepetitionen auf der jeweiligen tonalen Ebene zu verharren, wohl als liedmusikalischen Reflex der Tatsache auffassen, dass es gleichsam statische lyrische Bilder sind, die die Grundlage der lyrischen Aussage bilden. Nur dort, wo der lyrische Text seelische Vorgänge anspricht, und das ist explizit nur beim zweiten Verspaar der zweiten Strophe der Fall („In meines Lebens Wildnis / Hat's freundlich hineingestrahlt.“), verlässt der lyrische Text diesen Raum statischer Metaphorik. Indirekt ist dies freilich auch beim letzten Verspaar der Fall, aber es ist Sache des Komponisten, ob und in welcher Weise er diese untergründige emotionale Ebene in die Liedmusik Eingang finden lässt. Robert Schumann tut es, Robert Franz nicht.


    Aber die emotionale Erfahrung des „Hineinstrahlens“ des Bildnisses in des Lebens „Wildnis“ reflektiert die melodische Linie durchaus. Welch große Bedeutung Franz diesem Vers beimisst, zeigt sich darin, dass er zum Mittel der Wiederholung greift. Das tut er in seiner Liedkomposition nicht allzu oft, hier aber gleich zweimal. Auch die Worte „das große heilige Köln“ werden wiederholt, In beiden Fällen erfährt die melodische Linie eine Variation im Sinne einer Steigerung ihrer Expressivität. Zunächst beschreibt sie eine ähnliche, in der tonalen Ebene ansteigende Tonrepetition wie bei den Worten „im Dom da steht ein Bildnis“, hier aber mündet diese am Ende in eine Dehnung auf dem Wort „Köln“. Die Harmonik moduliert dabei innerhalb der Tonart E-Dur am Ende in deren Dominantsept-Bereich und liefert damit den Übergang zu Wiederholung, die in A-Dur Harmonik einsetzt und, nach einer nochmaligen Rückung in die Dominante, auch darin verbleibt. Die melodische Linie setzt nun aber bei den Worten „das große“ mit einem mezzoforte auszuführenden Sextsprung ein, geht danach in sich in der tonalen Ebene absenkende Fall- und Sprungbewegungen über und endet nach einem kleinen Sekundsprung wieder in einer Dehnung auf dem Wort „Köln“. Der ohnehin schon von Anfang an bedeutsam-würdevoll anmutenden melodischen Linie wird auf diese Weise noch eine Steigerung ihrer Bedeutsamkeit verliehen. Das Klavier begleitet hier, wie es das durchweg in diesem Lied tut, mit Akkorden, die in ihrer Aufeinanderfolge den Sechsachteltakt betonen.


    In der zweiten Strophe nimmt die Liedmusik die Anmutung von Beschaulichkeit und Besinnlichkeit an. Das Klavier begleitet nun mit lang gehaltenen Akkorden. Die melodische Linie lässt von ihrer Neigung ab, sich im Raum von nur kleinen Intervallen in mittlerer tonaler Lage zu bewegen und geht nun zu deklamatorischen Schritten über, die sich über den Raum einer ganzen Oktave erstrecken, ohne dass dabei freilich Sprünge oder Fallbewegungen über größere Intervalle als eine Terz oder – nur einmal - eine Quarte erfolgen. Mit einer Ausnahme freilich: Beim dritten Vers nämlich. Hier setzt Franz das Mittel der Wiederholung mit anderer Zielsetzung ein: Nicht Steigerung der Expressivität, sondern Zurücknahme derselben im Sinne einer seelischen Verinnerlichung der melodischen Aussage. Zunächst geht die melodische Linie nach einer wellenartigen Bewegung über den Raum eine Quinte in einen verminderten Quintsprung zu dem Wort „hat´s“ über, beschreibt dann oberer Mittellage einen nach unten gerichteten Bogen, der mit einem Crescendo versehen ist, und das Wort „hineingestrahlt“ wird dann auf einer aus einem Sekundanstieg hervorgehenden, durchaus expressiven Kombination von Sekundsprung und gedehntem Quintfall deklamiert.


    Die Harmonik unterstützt das. Während sie in den Anfängen der Liedmusik dieser Strophe im Bereich des Tongeschlechts Dur modulierte, dort allerdings bemerkenswerte Rückungen vollzog (von A-Dur über G-Dur nach C-Dur, und von dort über D-Dur zurück nach G-Dur), tritt sie nun in den Bereich des Tongeschlechts Moll ein: Sie beschreibt bei der ersten Fassung dieser Melodiezeile eine Rückung von e-Moll über Fis-Dur nach h-Moll und geht dann bei dem Quintfall auf der zweiten Silbe des Wortes „hineingestrahlt“ in A-Dur über. Die Wiederholung dieses Verses weist sowohl in der Struktur der melodischen Linie, wie auch in ihrer Harmonisierung eine Reduzierung der liedmusikalischen Expressivität auf. Die melodische Linie bewegt sich in ruhigen, leicht rhythmisierten deklamatorischen Schritten in unterer Mittellage und beschreibt bei dem Wort „hineingestrahlt“ nun eine melismatisch wirkende Figur aus Quartfall, doppeltem Terzsprung und nachfolgendem, in eine Dehnung mündenden Sekundfall. Die Harmonik vollzieht nur eine ruhige Rückung von D-Dur über die Dominante und wieder zurück.


    Auf den Worten „Es schweben Blumen und Englein um unsre liebe Frau“ beschreibt die melodische Linie, nun im Pianissimo, eine ähnliche Bewegung in mittlerer tonaler Lage, einschließlich des melismatischen doppelten Terzanstiegs mit Sekundfall und Dehnung am Ende. Hier rückt die Harmonik, um dem lyrischen Bild von der „lieben Frau“ die klangliche Anmutung von Wärme zu verleihen, vorübergehend nach h-Moll und e-Moll, geht aber dann doch bei dem Wort „Frau“ wieder zum Tongeschlecht Dur über (D-Dur). Beim letzten Verspaar ereignet sich melodisch und harmonisch Bemerkenswertes. Bei den Worten „Die Augen, die Lippen“ steigt die melodische Linie in Gestalt von rhythmisierten Tonrepetitionen auf um eine Terz angehobener tonaler Ebene in obere Mittellage empor, wobei die Harmonik bei dem Worten „Lippen“ eine Rückung von D-Dur nach a-Moll vollzieht. Bei den Worten „die Wänglein“ beschreibt sie dann einen geradezu überraschenden, weil nach diesem Gestus der Tonrepetitionen eigentlich nicht zu erwartenden Quartsprung in hohe Lage mit nachfolgendem gedehntem Sekundfall, der mit einer – ebenfalls unerwarteten – Rückung der Harmonik nach C-Dur und G-Dur verbunden ist. Diesem Diminutiv „Wänglein“ wird auf diese Weise ein überaus zart anmutender, weil auch mit einem Decrescendo im Pianissimo auszuführender, musikalischer Akzent verliehen.


    Danach geht die melodische Linie bei den Worten „die gleichen der Liebsten genau“ wieder zu ihrem Gestus des Tonrepetition über, wobei sich die tonale Ebene bei dem Wort „Liebsten“ um eine Terz anhebt und die Harmonik eine Rückung von D-Dur in die Dominante A-Dur und wieder zurück vollzieht. Aber auf der zweiten Silbe des Wortes „genau“ fällt sie mit der das Lied beschließenden Dehnung (es gibt kein Nachspiel) wieder auf die Ebene des tiefen „Fis“ zurück, auf der sich die in h-Moll harmonisierte Tonrepetition auf den Worten „gleichen der“ ereignete.


    Was will diese Liedmusik auf dem letzten Vers sagen, - mit ihrem so überraschenden Ausbruch in die extrem verhaltene Pianissimo-Expressivität bei dem Wort „Wänglein“ und dem geradezu starr anmutenden Gestus der Melodik, in den dieser eingebettet ist? Diese Frage muss sich stellen angesichts der Tatsache, dass die lyrische Aussage des Heine-Gedichts ja hier zu ihrem Zentrum findet.


    Auf der Grundlage der notentextlichen Fakten darf man wohl feststellen:
    Den Einbruch der erotisch-sinnlichen Immanenz in die verklärte Transzendenz und die Verschmelzung von beiden, wie er sich bei Heine hier ereignet, vollzieht Robert Franz liedmusikalisch nicht mit. Das maßgebliche Indiz dafür ist die Beibehaltung der melodisch-deklamatorischen Starre der Liedmusik bis zu ihrem Ende, also auch bei dem lyrischen Schlüsselwort „der Liebsten“. Der wunderlich anmutende Ausbruch der Liedmusik in die Pianissimo-Expressivität bei dem Wort „Wänglein“ ist angesichts dieses Sachverhalts wohl als Ausdruck der Entzückung durch das Marienbild zu verstehen.

  • Glücklicherweise - ich hab´s gar nicht erwartet - konnte ich eine Aufnahme von diesem Lied bei YouTube finden. Bei allen Unzulänglichkeiten der Interpretation vermag sie doch einen Eindruck von der Liedmusik zu vermitteln.


  • Ein Kommentar zu diesem Lied


    Interessant ist der Kommentar, den Georg Knepler in seiner „Musikgeschichte des 19. Jahrhunderts“ (Berlin 1961) zu diesem Lied gibt, weil er darin auf die den Liedern zugrundeliegende Haltung des Menschen und Komponisten Robert Franz und die daraus hervorgehende liedkompositorische Intention eingeht.
    Er meint, Heine habe in seinem Gedicht „durch den ironischen Kontrast zwischen der großen Welt und dem eigenen Schmerz“ seine Klage darüber ausgedrückt, „daß die Welt selbst mitten entzwei gerissen ist.“ Davon sei aber in dem Lied von Franz darauf nichts zu vernehmen. Wörtlich heißt es:
    „Die Intonation der Domorgel … gibt bei Franz dem ganzen Lied den Charakter der Frömmigkeit … Nichts von einer Andeutung der reichen Bilder des Gedichts, keine Ahnung von den tiefen Problemen, die das Gedicht widerspiegelt wie der Rhein das große heilige Köln. Für Franz handelt es sich um eine liebliche, legendenhafte Betrachtung …, die eine überraschende, etwas sentimentale Schlußwendung nimmt.“


    Das ist eine harte Kritik. Ist sie angebracht? Die Fakten, auf die sie sich stützt – die liedkompositorische Grundintention und der daraus hervorgehende Umgang mit dem lyrischen Text Heines - , sind ja zutreffend. Aber wie steht es mit der daraus abgeleiteten Bewertung der Liedmusik?
    Darf man aus der Tatsache, dass eine Liedmusik wesentliche Aussagen eines lyrischen Textes nicht erfasst, das Urteil herleiten, dass sie nichts taugt?
    Entfaltet diese Frage vielleicht im Falle der Heine-Vertonungen besondere Relevanz?
    Gerne würde ich diesen Fragenkomplex zur Diskussion stellen, bin ich mir doch höchst unsicher, wie die Antworten darauf lauten könnten.
    Vielleicht lasse ich mich, wenn die letzte Heine-Vertonung besprochen ist, unter Heranziehung weiterer kritischer Äußerungen zu dem Thema „Franz-Heine“ noch einmal darauf ein.

  • Mein Liebchen, wir saßen beisammen,
    Traulich im leichten Kahn.
    Die Nacht war still, und wir schwammen
    Auf öder (Heine: „weiter“) Wasserbahn.


    Die Geisterinsel, die schöne,
    Lag dämm'rig im Mondenglanz;
    Dort klangen liebe Töne,
    Dort wogte der Nebeltanz.


    Dort klang es lieb und lieber,
    Und wogt' es hin und her;
    Wir aber schwammen vorüber,
    Trostlos auf weitem Meer.


    (Heinrich Heine)


    In der für Heines Lyrik typischen Weise haben es diese Vers in sich, was ihr lyrisch-evokatives Potential anbelangt. Die erste Strophe entwirft ein arglos-schönes Bild vom „traulichen“ Beieinander von Ich und Du im „leichten Kahn“ auf „weiter Wasserbahn“. In der zweiten wird den Beiden im Boot ein faszinierendes Bild einer „dämmrig im Mondenglanz“ auftauchenden „Geisterinsel“ vorgegaukelt, auf der „liebe Töne“ erklingen und sich ein zauberhafter „Nebeltanz“ ereignet. Und dann kommt die dritte Strophe und zerstört all diese Idylle in geradezu brutaler Weise: Das lyrische Ich, dem da, neben seinem Du im Kahn, gerade visionär ein Leben in zauberhafter liebevoller Gemeinsamkeit vorgegaukelt wird, sieht sich mit einem Mal „trostlos“ auf „weitem“, das heißt grenzenlosem, keinen Halt, keine existenzielle Perspektive bietendem Meer „treiben“. Hart und schroff ist der Bruch in diesem Gedicht, weil Heine das Wort „trostlos“ in exponierter Lage am Versanfang ganz bewusst in einen Bezug setzt zu dem Wort „traulich“, das das lyrische Bild der ersten Strophe beherrscht und prägt.


    Die Vertonung dieser Verse durch Robert Franz lässt – wieder einmal – die liedkompositorische Intention vernehmen und erkennen, mit der er an Heines Lyrik herangeht. Es ist keineswegs so, dass er in der Vertonung dieser Heine-Verse der lyrischen Aussage nicht gerecht würde. Was sie in ihren lyrischen Bildern zu sagen haben, findet sich in der Liedmusik durchaus wieder, und das gilt auch für den Bruch, der sich in der letzten Strophe ereignet. Melodik, Klaviersatz und Harmonik treten beim letzten Vers sehr wohl in einen Kontrast zur vorangehenden Liedmusik.


    Mit Blick auf die dahinterstehende liedkompositorische Grundhaltung ist aber festzustellen: Die Liedmusik lotet die Hintergründigkeit des Heineschen Metaphorik nicht voll aus und lässt sich auf die Schmerzlichkeit des Bruchs darin nicht in dem Maße ein, wie das die kontrafaktische Semantik der lyrischen Schlüsselworte „traulich“ und „trostlos“ eigentlich fordert. Ihr wohnt in allen drei Strophen eine nur leicht schmerzliche Wehmut inne, und der sich am Ende ereignende Abriss der melodischen Linie bei ihrer in cis-Moll harmonisierten Tonrepetition in tiefer Lage wird zwar sehr wohl der Semantik des Wortes „trostlos“ gerecht, begegnet dem Hörer aber eher wie ein abschließender Teil des Grundcharakters der Liedmusik, nicht als wirklicher Bruch mit ihr.


    Bei dieser Komposition handelt es sich um ein variiertes Strophenlied nach dem Schema „A-B-A´“, wobei die dritte Strophe leichte Variationen in der melodischen Linie aufweist. Ein Zweivierteltakt liegt zugrunde, die Grundtonart ist Fis-Dur, und die Tempoanweisung lautet „Andantino con moto“. Die Liedmusik beginnt ohne Vorspiel mit einer ohne Klavierbegleitung auftaktig einsetzenden melodischen Linie. Die melodische Linie, die auf dem ersten Vers liegt, wiederholt sich nach einer Viertelpause beim zweiten Vers in ihrer Grundstruktur, nun allerdings nicht in Fis-Dur-, sondern in E-Dur-Harmonisierung und mit einem Sekundsprung am Ende, - im Unterschied zu dem Quartfall, auf dem die erste Melodiezeile endet. Diese Grundstruktur ist geprägt von Tonrepetitionen in Gestalt von Achteln und Sechzehnteln am Anfang, einer nachfolgend mit einem Quartsprung einsetzenden zweischrittigen und leicht rhythmisierten Fallbewegung und einem Fall, bzw. einem Sprung am Ende. Das Klavier begleitet das mit Akkorden in Diskant und Bass, aus denen sich bei der Fallbewegung in der melodischen Linie Achtel und Sechzehntel lösen, die dieser folgen. Insbesondere durch die Tonrepetitionen mutet die Melodik des Liedanfangs so an, als würde sie den narrativ-beschreibenden Gestus der ersten beiden Verse der ersten Strophe aufgreifen. Die Funktion des Klaviersatzes erschöpft sich ja im Grunde in seiner Begleitfunktion.


    Auch auf den nächsten beiden Versen der ersten Strophe liegt je eine Melodiezeile mit zwischengelagerter Pause. Diese Struktur prägt die Melodik des ganzen Liedes, allerdings gehen die Melodiezeilen zweimal ohne Pause ineinander über: Beim zweiten und dritten Vers der zweiten und bei den beiden ersten Versen der dritten Strophe. Bei den Worten „Die Nacht war still, und wir schwammen auf weiter Wasserbahn“ geht lässt die melodische Linie von ihren Tonrepetitionen ab und geht zu Bewegungen über, die größere tonale Räume durchmessen und mittels Sprüngen die Worte „still“ und „Wasserbahn“ mit einem Akzent versehen. Auch das Wort „schwammen“ schlägt sich in seiner Semantik in der melodischen Linie nieder: Sie beschreibt hier einen in einen Sekundfall der in eine leichte Dehnung mündet, der eine Achtelpause folgt. Die Harmonik rückt dabei aus der Dominante zurück in die Tonika Fis-Dur.


    Beim letzten Vers nimmt Franz eine Änderung am lyrischen Text vor. Er macht aus „weiter Wasserbahn“ eine „öde“, und die Liedmusik reflektiert das in durchaus markanter Weise. Die melodische Linie beschreibt einen Aufstieg über eine Terz und eine Quarte, wobei der Terzsprung auf dem Wort „öder“ ein leicht gedehnter ist, der eine Rhythmisierung in die melodische Linie bringt und auf diese Weise dieses Wort in besonderer Weise hervorhebt. Auf „Wasserbahn“ aber liegt ein rhythmisch gleichförmiger und am Ende in eine Dehnung mündender Sekundfall, was ja auch wieder dem lyrischen Bild entspricht. Diese letzte Zeile hebt sich nicht nur in ihrer melodischen Struktur, sondern auch ihrer Harmonik von der vorangehenden Liedmusik ab: Diese setzt nämlich anfänglich mit E-Dur ein und vollzieht am Ende eine Rückung hin zur Tonika.


    Was man Franz zu diesem Ersetzen des Wortes „weiter“ durch „öder“ bewogen haben? Das könnte zwar durchaus ein schlichter Fehler im Zugriff auf den lyrischen Text sein, es spricht aber einiges eher für Absicht. Die ganze Liedmusik ist angelegt auf die Wiedergabe und klangliche Evokation der emotionalen Befindlichkeit des lyrischen Ichs im Raum der situativen Gegebenheiten, also der „Meerfahrt“. Da dies, wie sich am Ende ja lyrisch-sprachlich enthüllt, eine „trostlose“ ist, wird dieser emotionale Sachverhalt schon in die erste Strophe übernommen, indem aus der „weiten“ Wasserbahn eine „öde“ gemacht wird, was die Liedmusik in der eine Sexte überspannenden Bogenbewegung der melodischen Linie, die vom Klavier in Diskant und Bass mitvollzogen wird, zum Ausdruck bringt.


    Auf diese Weise mildert Franz allerdings – und das ist ja wohl auch seine Absicht – die Schroffheit des lyrischen Bruchs ab, den Heine in seinen lyrischen Text eingebracht hat. Denn da ist die Welt ja anfänglich noch scheinbar heil, und das bis zu dem Wort „aber“, das mit einem Mal unheilverkündend in den zweitletzten Vers einbricht. Das aber findet liedmusikalisch nicht statt. Die melodische Linie auf den Worten „wir aber schwammen“ ist identisch mit den entsprechenden auf der ersten Strophe: „Die Nacht war still“.



    Dass die Liedmusik auf das Erfassen und die Wiedergabe der situativen Gegebenheiten aus der Perspektive des lyrischen Ichs abgestellt ist, zeigt sich nicht nur in der zweiten Strophe, sondern auch – und in besonders bemerkenswerter Weise – darin, dass die spezifische Aussage der lyrischen Bilder der „Geisterinsel“ keine sonderliche liedmusikalische Berücksichtigung im Sinne einer wirklich tiefgreifenden Abkehr von ihrem Grund-Gestus findet. Gewiss, der Klaviersatz ist in der zweiten Strophe ein anderer. Nun ereignen sich darin große tonale Räume überspannende Sprungbewegungen von Einzeltönen, die sich von Akkorden lösen und in bitonale Akkorde übergehen, und das in der für dieses Lied klanglich so typischen Rhythmisierung auf der Grundlage des Zweivierteltaktes. Und auch die melodische Linie reflektiert die lyrischen Bilder in durchaus angemessener Weise. Dies vor allem mit den gedehnten Fallbewegungen am Ende der ihrer Zeilen, also bei den Worten „schöne“ und „Töne“. Und auch das Bild vom wogenden „Nebeltanz“ schlägt sich in ihrer Struktur nieder: In Gestalt von rhythmisierten Sprüngen über das Intervall einer Sekunde. Und dies in einer gis-Moll-Harmonik, die am Ende nach Cis-Dur rückt.


    Auf den ersten drei Versen kehrt die Liedmusik der ersten Strophe mit nur kleinen Variationen in Melodik und Klaviersatz zurück. So nimmt Franz die Pause zwischen den beiden ersten Melodiezeilen der ersten Strophe weg und wird auf diese Weise der Tatsache gerecht, dass die beiden Anfangsverse der dritten Strophe durch eine Konjunktion miteinander verbunden sind. Das Geisterhaft-Verführerische, das dem lyrischen Bild eigen ist, vermag die Liedmusik freilich nicht zum Ausdruck zu bringen, - sie soll es auch nicht in ihrer grundsätzlichen Ausrichtung auf die seelische Befindlichkeit des lyrischen Ichs bei der „Meerfahrt“. Und so wird denn auch dem Wort „trostlos“ am Ende großes liedmusikalisches Gewicht zugemessen. Nach dem Wort „vorüber“ tritt eine Generalpause im Wert eines Viertels in das Lied. Dann lässt das Klavier pianissimo einen cis-Moll-Akkord erklingen, und die Singstimme deklamiert das Wort „trostlos“, ebenfalls pianissimo“ auf zwei tiefen „Cis“, wobei das erste den Wert eines Viertels, das zweite den eines Achtels hat. Da die melodische Linie danach auftaktig erst nach einer Dreiachtelpause einsetzt und auch im Klavier nur der anfängliche cis-Moll-Akkord fortklingt, herrscht bemerkenswerte klangliche Einsamkeit um dieses Wort. Bei den nachfolgenden Worten „auf weitem Meer“ setzt die melodische Linie mit einem Sextsprung an, geht dann in einen Terzfall über, der, weil in Gestalt von Vierteln erfolgend, leicht gedehnt wirkt und damit dem Wort „weitem“ Gewicht verleiht, und nach einem Sekundsprung klingt die melodische Linie mit einer Dehnung auf dem Wort „Meer“ aus.


    Das Klavier hat sich bei dieser – durchaus ausdrucksstarken -Liedmusik auf dem letzten Vers auf die Artikulation von lang gehaltenen Akkorden beschränkt. Und so ist denn auch der Schlussakkord ein sechsstimmiger und fast den ganzen Takt einnehmender. Aber es ist, und das ist bemerkenswert einer in Dur-Harmonik, Cis-Dur nämlich, nachdem zuvor ausschließlich Moll-Harmonik (cis-Moll, fis-Moll) vorherrschte. Und ein weiteres ist bemerkenswert: Die Melodik endet auf der Quinte der Tonika.
    Das ist wohl so zu verstehen, dass Franz mit diesem offenen und in Dur harmonisierten Schluss seiner Liedmusik der Trostlosigkeit in Heines Gedicht eine positive Perspektive beigeben will. Und das läge ja auch ganz in der Logik der musikalischen Aussage des ganzen Liedes.

  • Diese Verse Heines wurden unzählige Male vertont. Es liegen fast sechzig Kompositionen auf sie vor, die bekanntesten stammen von den beiden Mendelssohns, von Hugo Wolf, Vesque von Püttlingen und von Johannes Brahms. (http://tamino-klassikforum.at/…ight=Meerfahrt#post606378)
    Unter den mir bekannten Vertonungen vermag mich die von Brahms am stärksten anzusprechen. Sie ist für mich diejenige, die, anders als das bei Robert Franz der Fall ist, den lyrischen Text auf in die Tiefe von Semantik und Metaphorik reichende und dabei den Kern der lyrischen Aussage erfassende Weise in Liedmusik umzusetzen vermag.


    Brahms hat den Heineschen „V-Effekt“ mit dem Wort „trostlos“, das das anfängliche „traulich“ auf geradezu brutale Weise konterkariert, in kongenialer Weise musikalisch umgesetzt. Nicht unvermittelt schroff wie Heine, stattdessen in Gestalt einer geradezu schmerzhaft wehmütigen, weil sich wiederholenden, in ihrem Gestus dabei sich steigernden und durchgehend in stark modulierende Moll-Harmonik gebetteten Fallbewegung der melodischen Linie. Mit einer auf dem in diesem Lied wie der Inbegriff von Schmerzlichkeit wirkenden „Fis“ in hoher Lage setzt die melodische Linie bei dem Wort „trostlos“ ein. In der Wiederholung liegt auf diesem Wort ein lang gedehnter Sekundfall in mittlerer Lage, der nun in h-Moll harmonisiert ist und am Ende in einen Quartsprung übergeht, der die melodische Linie zu ihren Dehnungen in hoher Lage bei den Worten „weitem Meer“ hinführt. Und die wiederholen sich ja noch einmal in wellenartiger Gestalt, bevor die melodische Linie dann am Ende mit einem Fall über eine Quinte auf dem Grundton „A“ in mittlerer Lage zur Ruhe kommt, - dieses Mal in einer klanglich die Kadenz suggerierenden Rückung über die Dominante E-Dur hin zur Tonika a-Moll.


    Zu dem Mendelssohn-Lied auf diesen Heine-Text liegt übrigens hier im Forum ebenfalls eine Besprechung vor: http://tamino-klassikforum.at/…hlight=Im+Kahn#post423320

  • Das macht das dunkelgrüne Laub,
    Daß der Wald so schattig ist,
    Das macht die liebe Maienzeit,
    Daß so rot das Röslein ist.


    Meines Schatzes Lieb´ war das Röslein rot,
    Das blüht´ am Waldesrain,
    Und das grüne Laub, und das grüne Laub,
    Wie all´ die Gedanken mein.


    Nun ging die liebe Maienzeit,
    Und die schöne Liebe zur Ruh',
    Nun fallen die Blättlein all' herab
    Und decken das Röslein zu.


    (Otto Roquette)


    Diese Verse des 1824 in der Nähe von Potsdam geborenen und 1896 in Darmstadt verstorbenen Otto Roquette greifen das Thema „Vergänglichkeit“ in reichlich abgenutzten und mittels Diminutiva arg in die Nähe von Kitsch gebrachten Bildern auf. Man hat ihn wohl zu Recht als „Butzenscheibenlyriker“ bezeichnet und eingestuft, und er ist heute völlig vergessen. Robert Franz hat sich ganz offensichtlich an der minderen poetischen Qualität dieses Gedichts nicht gestört, vielmehr bot es ihm Gelegenheit, sich liedkompositorisch im Volksliedton zu entfalten. Und es ist ein durchaus anmutiges, klanglich reizvolles kleines Lied dabei herausgekommen, das seine Hörer sehr wohl anzusprechen vermag. Es handelt sich um ein variiertes Strophenlied nach dem Schema „A-B-A´“. Ein Zweivierteltakt liegt ihm zugrunde, die Grundtonart ist D-Dur, und die Vortragsanweisung lautet „Andantino (alla Romanza)“.


    Das Lied wirkt, als lebe es ganz und gar aus und von der melodischen Figur, die auf den anfänglichen Worten „Das macht das dunkelgrüne Laub“ liegt, und als sei alles nur Nachklang, was sich melodisch daran anschließt; und Beiklang, was sich in der zweiten Strophe gleichsam dazwischen schiebt. Denn diese Figur bildet ja im Grunde die melodische Substanz der ersten und der dritten Strophe, insofern sie auf dem jeweils ersten und dritten Vers erklingt, in der dritten Strophe allerdings in leicht variierter Gestalt. Aber ihre das Lied beherrschende Funktion gründet nicht nur in diesem gleichsam quantitativen Sachverhalt, es ist vor allem die ihr eigene klangliche Emphase, die dafür verantwortlich ist.


    Die melodische Linie setzt, dies nur in der ersten Strophe, auftaktig mit einem Sechzehntel-Sprung in der tiefen Lage eines „D“ ein und schwingt sich dann in Sprüngen von Achteln über eine Terz, eine Quarte und zwei Sekunden bis zu einem hohen „Fis“ auf, wo sie in einer kleinen Dehnung kurz verharrt, um danach in einen rhythmisierten Sekundfall (Achtel und Sechzehntel) überzugehen. Ihr Fall ist damit aber noch nicht zu Ende, vielmehr setzt er sich im zweiten Vers der ersten Strophe bei den Worten „dass der Wald“ in Gestalt eines Sekundfalls von zwei Sechzehntel und einem Achtel weiter fort. Beim dritten und vierten Vers besteht der Unterschied nur darin, dass es nur den Sechzehntel-Fall gibt (auf den Worten „daß so“), bevor die melodische Linie zu den wie ein Nachklang wirkenden Bewegungen übergeht. Sie bestehen beim ersten Verspaar aus einem schlichten Auf und Ab in Sekunden auf den Worten „Wald so schattig ist“, das sich in der tonalen Ebene um eine Sekunde absenkt, und beim zweiten – also bei den Worten „rot das Röslein ist“ – in einem zweimaligen, in hoher Lage ansetzenden Fall zunächst über eine Quinte, dann in dreischrittiger und in der tonalen Ebene abgesenkter Weise über eine Quarte.


    Diesen melodischen Bewegungen wohnt so viel Eindringlichkeit inne, weil sie ein gleichsam kollektives Ereignis sind: Das Klavier vollzieht sie im Diskant nämlich mit, und dies mit überwiegend bitonalen Akkorden, bei denen sich – da kann man durchaus von kompositorischer Raffinesse sprechen – das Intervall im Laufe des Anstiegs von der Quarte über die Oktave bis zur arpeggierten Undezime erweitert. Dies beim Gipfelpunkt des melodischen Bogens. Bei den sich an die Hauptfigur anschließenden melodischen Bewegungen treten dann auch Sechzehntel-Figuren in die Akkorde und verleihen dadurch dem Klaviersatz größere klangliche Substanz. Harmonisch tut sich in der ersten Strophe nichts Besonderes: Mit einer Ausnahme gibt es nur Rückungen von der Tonika D-Dur in die Dominante A-Dur. Bei der Wiederkehr des melodischen Bogens ereignet sich dann aber doch Ungewöhnliches: Die Dehnung auf dem Gipfelpunkt, bei der ersten Silbe von „Maienzeit“ also, ist dieses Mal nicht in der Dominante, wie am Liedanfang, sondern in h-Moll harmonisiert, was der Liedmusik an dieser Stelle einen wehmütig-lieblichen Ton verleiht.


    In der zweiten Strophe wirkt die melodische Linie in ihrer Emphase zunächst ein wenig zurückgenommen, in ihrer Lebhaftigkeit gleichwohl gesteigert, denn die deklamatorischen Schritte erfolgen nun überwiegend in Gestalt von Sechzehnteln, dies aber in engerem tonalem Raum mittlerer Lage. Und sie sind in Moll harmonisiert (e-Moll, h-Moll), aus dem heraus sich allerdings immer wieder Rückungen in das Tongeschlecht Dur ereignen. Bezeichnenderweise geschieht das bei den ersten beiden Versen immer dort, wo die melodische Linie in Gestalt von Achtel-Bewegungen in eine leichte Dehnung übergeht, also bei dem Terzfall auf „war das“ (H-Dur), dem Sekundfall auf „blüht´ am“ (G-Dur). Mit den beiden letzten Versen dieser Strophe geht die Liedmusik wieder zu dem emphatischen Gestus über, mit dem es in der ersten Strophe einsetzte. Zwei Mal steigt die melodische Linie wieder mit dem Sechzehntel-Einstieg in Sekundschritten in hohe Lage empor, wobei ihr das Klavier – wie das ja durchweg der Fall ist – wieder folgt, - nun aber mit arpeggierten Akkorden in Diskant und Bass. Und bei den Worten „all´ die Gedanken mein“ geht sie dann in eine in hoher Lage ansetzende, in e-Moll harmonisierte und darin überaus lieblich wirkende Fallbewegung in Sekundschritten über.


    In der dritten Strophe liegt auf dem ersten und dem dritten Vers wieder die bogenförmige melodische Figur aus der ersten Strophe, nun fehlt ihr aber der Sechzehntel-Anlauf aus der Tiefe, und sie setzt beide Male mit einem Terzsprung von einem „Fis“ in mittlerer Lage ein und geht danach zu einer Sechzehntel-Tonrepetition über, bevor sie den Aufstieg wieder zu einem – mit einem arpeggierten Akkord begleiteten – hohen „Fis“ fortsetzt. In dieser Variation schlägt sich ganz offensichtlich die lyrische Aussage nieder: Die „liebe Maienzeit“ geht ja nun zur Ruh, und die „Blättlein“ fallen. Und so tritt denn auch bei den letzten beiden Versen Moll-Harmonik (h-Moll) in die Liedmusik , und am Ende des letzten Bogens will sich die melodische Linie nicht mehr weiter in die Tiefe absenken, sondern geht bei den Worten „und decken das Röslein zu“ zunächst in einen kurzen Aufstieg über, wiederholt diesen dann „ritardando“ auf einer um eine Sekunde angehobenen tonalen Ebene, um danach
    in einen leicht schmerzlich anmutenden verminderten Quintfall überzugehen und mit einem Sekundschritt dann auf dem Grundton „H“ zur Ruhe zu kommen. Und dies begleitet mit einem h-Moll-Akkord.

  • Das ist ein typisches Franz-Lied: In Melodik, Klaviersatz und Harmonik auf Einfachheit hin ausgerichtet, als Strophenlied angelegt und dabei – vielleicht sogar deshalb – eingängig und ansprechend. Die bogenförmige, auf ihrem Gipfel in einer Dehnung kurz innehaltende melodische Figur auf dem ersten Verspaar prägt sich ein, auch deshalb, weil sie insgesamt vier Mal erklingt.
    Hier ist es zu hören:



    Man empfindet darin eine gewisse Näher zum Volkslied, die aber ist von Franz durchaus nicht intendiert, - sie ergibt sich gleichsam indirekt aus seiner liedkompositorischen Grundintention: Einfachheit, im Ambitus der Melodik gemäßigt, Klaviersatz funktional vorwiegend – allerdings nicht immer! - als Begleitung der Singstimme angelegt und grundsätzliche Ausrichtung auf Zeitlosigkeit in der Aussage.
    Das Volkslied war für ihn dabei keineswegs eine Art Ideal mit regulativer Funktion, wie das bei Brahms der Fall war. Seinem Briefpartner Prieger gegenüber behauptet er, dass er sich „niemals um Volkslieder, namentlich um deren Melodien gekümmert“ habe. So ganz kann das freilich nicht stimmen, denn es gibt von ihm „Sechs Gesänge nach Texten deutscher Volkslieder“, versehen mit der Opusziffer 23.

  • Die Lotosblume ängstigt
    Sich vor der Sonne Pracht,
    Und mit gesenktem Haupte
    Erwartet sie träumend die Nacht.


    Der Mond, der ist ihr Buhle,
    Er weckt sie mit seinem Licht,
    Und ihm entschleiert sie freundlich
    Ihr holdes (Heine: „frommes“) Blumengesicht,


    Sie blüht und glüht und leuchtet
    Und starret stumm in die Höh';
    Sie duftet und weinet und zittert
    Vor Liebe und Liebesweh.


    (Heinrich Heine)


    Heines Verse entwerfen in überaus zarten Bildern ein Wesen, das für das milde Licht der Nacht geschaffen ist und das grelle Licht des Tages und der Sonne nicht zu ertragen vermag, - Metapher für introvertiertes, dem Inneren der Seele erwachsendes und dem Aktionismus des Tages nicht gewachsenes menschliches Leben. Es ist ein Um-sich-Kreisen lyrischer Bilder, die in der Binnenspannung von erster Strophe - mit ihrem zentralen Bild vom „gesenkten Haupt“ - und letzter - mit ihrer semantisch divergenten Reihung der Worte „duften“, „weinen“ und „zittern“ - ein geradezu überwältigendes lyrisch-evokatives Potential entfaltet. Dieses Wesen ist für das milde Licht des Mondes geschaffen und öffnet ihm sein ganzes Wesen, aber all sein Sehnen nach Vereinigung mit ihm bleibt ein stummes, von Liebe und Liebesweh schmerzlich erfülltes In-die-Höhe-Starren. Da begegnen sich zwei Welten, und die Kluft zwischen ihnen ist unüberbrückbar.


    Wie man das in Liedmusik umsetzt, hat Robert Schumann in überzeugender Weise vorgemacht, und Robert Franz sah sich in Kenntnis der Schumann-Vertonung dieser Verse sehr wohl dem Anspruch ausgesetzt, ihnen liedmusikalisch etwas Eigenes, vielleicht sogar Gleichwertiges zur Seite zu stellen. Es ist ihm, das sei gleich im Voraus festgestellt, nicht recht gelungen, - so klanglich ansprechend sein Lied auch sein mag. Es handelt sich um ein variiertes Strophenlied nach dem Schema „A-B-A´“, ein Zweivierteltakt liegt zugrunde, die Grundtonart ist g-Moll, und die Vortragsanweisung lautet: „Andantino con moto. Sehr innig“.


    Im eintaktigen Vorspiel lässt das Klavier staccato artikulierte Sechzehntel-Oktaven in Gestalt von Dreiergruppen erklingen. Damit ist die Grundstruktur des Klaviersatzes im Diskant für das ganze Lied vorgegeben: Der besteht nämlich dort durchweg aus vier Gruppen von akkordischen Sechzehntel-Triolen, die überwiegend dreistimmig angelegt sind und nur in wenigen Fällen, so bei den ersten drei Takten der A-Strophen, bitonal. Auch der Bass weist – bis auf eine Ausnahme - akkordische Struktur auf, hier aber nun überwiegend in Gestalt von bitonalen Achtel-Oktaven, die vor allem in der zweiten Strophe und im Varianten-Teil der dritten von dreistimmigen Akkorden abgelöst werden, die am Ende des Liedes gar in arpeggierter Form erklingen.


    Aber was für das Wesen dieser Liedkomposition der relevante Sachverhalt ist: Der Klaviersatz beschränkt sich funktional auf die Begleitung der Singstimme, und dies in der Weise, dass er ihr ein klangliches Fundament liefert und mit unterschiedlicher Intensität den Bewegungen der melodischen Linie folgt. Nur an einer Stelle, nämlich in den Takten elf und zwölf, findet sich eine eigenständige melodische Achtelfigur im Bass. Ihre Funktion steht wohl im Zusammenhang mit der Liedmusik auf die Worte „Der Mond, der ist ihr Zeuge“, worauf dann noch kurz einzugehen sein wird.


    Bei den ersten beiden Versen der ersten Strophe gipfelt die melodische Linie bei dem Wort „Pracht“ auf einem hohen „F“ in Gestalt einer fast den ganzen Takt einnehmenden Dehnung auf, wobei sich eine harmonische Rückung von Es-Dur nach B-Dur ereignet, die Dur-Parallele zur Grundtonart also, die hier aber als Dominante fungiert, denn beim dritten Vers geht die Harmonik wieder nach Es-Dur über. Alle melodischen Bewegungen, die sich vor dieser ersten Aufgipfelung der melodischen Linie ereignen, wirken wie ein Sich Hinbewegen auf diese in Gestalt einer zweimaligen Fallbewegung. Und sogar bei den Worten „vor der Sonne“ ereignet sich erst noch einmal ein Sekundfall, bevor dann der Aufstieg beginnt. Dem Wort „Pracht“ wird auf diese Weise – zusammen mit der Rückung in die Dominante - ein starker musikalischer Akzent verliehen. Das Klavier unterstützt ihn noch, indem es erstmals in Bass und Diskant seine triolischen Achtel-Akkorde erklingen lässt.


    Dass hinter dieser Struktur der melodischen Linie auf dem ersten Verspaar eine musikalische Aussage-Absicht steht, wird bei der auf dem zweiten Paar vollends deutlich. Diese ist nämlich gleichsam kontrastiv angelegt. Nach einem auftaktig wirkenden Sextsprung geht sie bei den Worten „mit gesenktem Haupte“ in einen auf einem hohen „G“ ansetzenden Sekundfall über, der sich bei einem Sprung auf dem Wort „Haupte“ noch einmal wiederholt und sich dann ununterbrochen bis zu einem tiefen „B“ hin fortsetzt. Das ist eine Spanne von dreizehn Tonschritten, die die melodische Linie in ihrer Fallbewegung da nimmt, und sie reflektiert darin ganz offensichtlich das lyrische Bild vom Erwarten der Nacht mit gesenktem Haupte. Aus diesem Grund herrscht hier auch Moll-Harmonik vor: Das g-Moll der Grundtonart.


    Bemerkenswert aber: Auf dem Wort „Nacht“ liegt zwar der tiefste Ton der melodischen Fallbewegung, bei diesem aber ereignet sich eine Rückung von g-Moll in die Dur-Parallele „B“. Und was nachfolgt, ist ebenso überraschend: Im zweitaktigen Zwischenspiel steigen dreistimmige Achtel-Sextakkorde aus unterer Diskantlage in hohe empor und erweitern sich am Ende dabei zu oktavischen mit einer obenliegenden Terz. Und alsbald wird vernehmlich: Das ist die Überleitung zur zweiten Strophe, in der das Klavier die Singstimme mit solchen klanglich hell wirkenden Akkordfolgen begleitet und damit wohl das Bild vom hellen, milden Mondlicht klanglich imaginiert, das im Zentrum der Aussage des ersten Verspaares steht. Auch in der melodischen Linie schlägt sich dieses Bild nieder: Sie verbleibt in ruhigen Schritten in oberer Lage, beschreibt bei dem Wort „Buhle“ eine Dehnung in Gestalt eines kleinen Melismas und geht dann bei den Worten „weckt sie mit seinem Licht“ zunächst in eine Fallbewegung über, die aber nur dazu dient, dem nachfolgenden Aufstieg über eine Terz und eine Quarte und der langen Dehnung auf dem Wort „Licht“ den angemessenen Akzent zu verleihen.


    Die Harmonik moduliert bei diesem ersten Verspaar, darin ihrerseits die Metaphorik reflektierend, ganz und gar im Dur-Bereich, und dies mit Schwerpunkt auf der Dur-Parallele B mit Rückungen in die Unter- und Oberdominante. Hier, wie auch bei der Liedmusik auf dem zweiten Verspaar, wird sinnfällig, dass Franz die Harmonik als wichtiges Ausdrucksmittel benutzt und einsetzt. Die Aufgipfelung der Melodik bei den Worten „mit seinem Licht“ harmonisiert er mit der ausdrucksstarken Rückung von der Subdominante „Es“-Dur in die Dominantsept-Harmonik. Und auch der Klaviersatz erfährt an dieser für ihn bedeutsamen Stelle der lyrischen Aussage eine bemerkenswerte Modifikation. Ausnahmsweise erklingen bei den Worten „Der Mond, der ist ihr Buhle“ im Bass zwei Achtel-Sechzehntel-Figuren, die der melismatischen melodischen Figur auf dem Wort „Buhle“ ähneln und dem Klaviersatz einen klanglich ausgeprägt lieblichen Ton verleihen.


    Beim zweiten Verspaar der zweiten Strophe beschreibt die melodische Linie drei Mal hintereinander eine bogenförmige Bewegung, insgesamt also eine Art Wellenbewegung, die am Ende, bei den Worten „holdes Blumengesicht“ in Gestalt einer eingelagerten Sechzehntel-Triole wieder einen melismatischen Akzent erhält. Auch hier schlägt sich also die lyrische Aussage und ihre Metaphorik in der Melodik nieder. Und auch im Klaviersatz und in der Harmonik ist das der Fall. Das Klavier geht nach anfänglichen Akkordrepetitionen zu einem Auf und Ab von Oktaven im Bass über und lässt das Klangbild dadurch deutlich transparenter werden. Und die Harmonik beschreibt bei dem Bild vom holden Blumengesicht eine ausdrucksstarke Rückung von B-Dur über g-Moll nach Es-Dur und zurück nach B-Dur.


    Seinen expressiven Höhepunkt erreicht das Lied nach dem erneuten Erklingen der Liedmusik des Anfangs auf dem ersten Verspaar mit den letzten beiden Versen der dritten Strophe. Hier greift Franz auch zu dem von ihm ansonsten sparsam eingesetzten Mittel der Wiederholung: Die Worte „Vor Liebe und Liebesweh“ werden noch einmal deklamiert. Bei den Worten „Sie duftet und weinet und zittert“ entfaltet sich die melodische Linie in enger Anbindung an die sprachliche Struktur des lyrischen Textes: In syllabisch exakter Deklamation beschreibt sie, dies unter Einbeziehung von Sechzehntel-Schritten, eine nach unten gerichtete bogenförmige Bewegung und setzt das in höherer Lage fort. Das Klavier folgt ihr darin mit Oktaven im Diskant über triolischen Akkordfolgen im Bass. Hierbei ereignet sich eine ausdrucksstarke harmonische Rückung von Es-Dur nach D-Dur.


    Beim letzten Vers geht die melodische Linie bei dem Wort „Liebe“ in einen mit einer Rückung von Dur nach Moll kombinierten Quartfall mit nachfolgenden Tonrepetitionen über, erhebt sich aber am Ende wieder über zwei in eine Dehnung mündenden Sekundschritten, bei denen die Harmonik eine Rückung in die Dominante B-Dur macht. Das ist im Grunde auch die Grundstruktur der melodischen Linie bei der Wiederholung des letzten Verses. Nur dass sie sich dieses Mal in deutlich langsamer, weil in deklamatorisch gedehnten Schritten entfaltet. Bedeutsam ist aber: Nun liegt auf dem Wort „Liebe“ kein Fall, sondern eine lange, freilich in g-Moll harmonisierte und mit zwei arpeggierten g-Moll-Akkorden begleitete Dehnung. Der Fall – dieses Mal einer über eine Terz – ereignet sich nun bei dem Wort „Liebesweh“ und ist mit einer harmonischen Rückung nach c-Moll verbunden. Danach steigt die melodische Linie zwar mit zwei ruhigen Sekundschritten wieder an, um in einer langen Dehnung zu enden. Das aber ist die Quinte zum Grundton, und sie ist in g-Moll harmonisiert.


    Das Lied endet also in melodisch offener und schmerzlicher Klanglichkeit. In seiner Liedmusik reflektiert es durchaus die lyrischen Aussagen des Heine-Gedichts. Dem evokativen Potential, das seiner Metaphorik innewohnt, wird es dabei aber nicht voll gerecht.

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  • In meiner voranstehenden Besprechung des Liedes meinte ich kühn:
    Robert Franz sah sich in Kenntnis der Schumann-Vertonung dieser Verse sehr wohl dem Anspruch ausgesetzt, ihr liedmusikalisch etwas Eigenes, vielleicht sogar Gleichwertiges zur Seite zu stellen. Es ist ihm, das sei gleich im Voraus festgestellt, nicht recht gelungen, - so klanglich ansprechend sein Lied auch sein mag.
    Und nun lese ich in dem Aufsatz von Robert Spring mit dem Titel „Begegnung mit dem Liedkomponisten Robert Franz“ (Vox Humana, 2015. Ein Link dazu findet sich oben in Beitrag 21):
    „Die Lotosblume, m.E. einer der wenigen Fälle, wo Franz bei seinen 13 Doppelvertonungen zu Heine/Schumann (…) eine gleichgewichtige Alternative bietet“.
    Und ich denke mit einem Mal: Vielleicht hast du nicht genau hingehört, waren dir, ganz im Bann des Schumann-Liedes stehend, die Ohren für den klanglichen Reichtum dieses Franz-Liedes versperrt. Den gibt es ja in Melodik und Klaviersatz sehr wohl, und die Schumann-Komposition wirkt vergleichsweise schlicht dagegen.
    Nun bin ich unsicher und meine, dass ich mich mit dieser Frage noch einmal beschäftigen sollte. Vielleicht ist es ja sinnvoll, dies bei der Besprechung des entsprechenden Schumann-Liedes im nachfolgenden Schumann-Heine-Thread zu tun.
    Wer sich ein eigenes Urteil bilden möchte, aber über keine eigene Aufnahme von diesem Lied verfügt, der kann es hier hören:


  • Ich hab' im Traume geweinet,
    Mir träumte, du lägest im Grab!
    Ich wachte auf, und die Träne
    Floß noch von der Wange herab.


    Ich hab' im Traume geweinet,
    Mir träumt', du verließest mich.
    Ich wachte auf, und ich weinte
    Noch lange bitterlich.


    Ich hab' im Traume geweinet,
    Mir träumt´, du wärst mir noch gut.
    Ich wachte auf, und noch immer
    Strömt meiner Tränen Flut.


    (Heinrich Heine)


    Dieses Gedicht Heines bezieht seine lyrische Aussage in dem ihr eigenen hohen evokativen Potential aus der dreifachen Wiederholung des Eingangsverses und der nachfolgenden, prosodisch gleichförmigen lyrischen Fortführung, die sich als immer neue und darin sich steigernde Erfahrung von Schmerzlichkeit im Verlust der liebeerfüllten Zweisamkeit darstellt. Bis sie dann aus der Sphäre des Traums in das Schrecknis der Realität gerissen und ihr ausgesetzt wird: Der Traum vom „Gut-Sein“ enthüllt sich in seiner harten lyrisch- sprachlichen Rückung vom Konjunktiv in den Indikativ als ein fiktionaler. Das Erwachen wird zur Tränenflut.


    In der inneren Anlage des Liedes von Robert Franz schlägt sich diese Binnenstruktur des Gedichts in deutlicher Weise nieder: In Gestalt einer im Verlauf der drei Strophen sich ausweitenden und vertiefenden Variation der Liedmusik, die sich sowohl auf die Struktur der melodischen Linie, als auch den Klaviersatz, die Harmonik und die Dynamik erstreckt. Es handelt sich also um ein Strophenschema nach dem Muster „A-A´-A´´“, wobei sich die Variation in der zweiten Strophe noch auf den letzten Vers beschränkt, die Liedmusik beim letzten Verspaar der dritten Strophe aber eine gänzlich neue Gestalt annimmt. Dem Lied liegt ein Sechsachteltakt zugrunde, und es soll „Unruhig bewegt“ vorgetragen werden. Als Grundtonart ist zwar fis-Moll vorgegeben, die Harmonik moduliert jedoch sehr stark, - Niederschlag der vielfältigen seelischen Erfahrungen des lyrischen Ichs.


    Alle drei Strophen setzen im ersten Vers mit der gleichen melodischen Linie, einer identischen Harmonisierung und dem gleichen Klaviersatz ein. Darin reflektiert die Liedmusik die Anlage des lyrischen Textes und die spezifische Art und Weise, wie sich darin die lyrische Aussage konstituiert. Nun folgen ja in den einzelnen Strophen auf diesen Einleitungsvers jeweils unterschiedliche, in ihrem Gehalt und den lyrischen Bildern voneinander abweichende Aussagen, und die Frage stellt sich, wie weit und tiefgreifend dies von der Liedmusik aufgegriffen wird.
    Diesbezüglich lässt sich feststellen: Die Bilder vom „Im-Grab-Liegen“ und vom „Verlassen-Werden“ werden liedmusikalisch gleich behandelt, denn hier wird keine Variation vorgenommen. Erst der Traum vom „Noch-gut-Sein“ und seine Folgen hat für Franz ein so starkes Gewicht, dass er die Liedmusik tiefgreifend modifiziert. Von daher könnte man sagen, dass er das evokative Potential der lyrischen Bilder nicht voll ausschöpft und es gleichsam reduziert, indem er die Aussage der Liedmusik in ihrer Expressivität auf die dritte Strophe hin ausrichtet.


    Im zweitaktigen Vorspiel, in dem die Singstimme auftaktig einsetzt, erklingt eine Figur, die in den Zwischenspielen und im Nachspiel wiederkehrt: Auf vier hochlaufende Zweiunddreißigstel folgt eine triolische Figur aus Sechzehnteln, die über einen Sekundfall in ein Viertel mündet und so gleichsam offen endet. Man kann sie als klangliche Imagination der tiefen Unruhe und inneren Verstörung des lyrischen Ichs aufnehmen und verstehen. Und der Klaviersatz ist in seiner Struktur – und dies in durchaus kompositorisch subtiler Weise – so angelegt, dass man in ihm gleichsam ein Nachhallen dieser Figur vernehmen kann, - dies allerdings in einer klanglich keinesfalls erschreckenden, vielmehr klanglich milden Weise. Immer wieder erklingen triolische Oktaven im Diskant, die mit Terzen im Bass kombiniert sind. Sie stellen gleichsam das Pendant zum anderen Baustein des Klaviersatzes dar: Dreistimmige Akkorde, die als punktierte Viertel die Deklamation der melodischen Linie am Anfang des ersten und zweiten Taktteils mit einem Akzent versehen. Im letzten Teil des Liedes, der Liedmusik auf den beiden letzten Versen, nehmen sie eine dominante Rolle ein, so dass für die triolischen Oktaven-Figuren kein Raum mehr bleibt.


    Die für die Liedmusik so bedeutsame, weil sie jeweils von Strophe zu Strophe einleitende melodische Linie auf dem Anfangsvers empfindet man als adäquaten musikalischen Ausdruck seiner Semantik. Sie setzt mit einem auftaktigen Quintfall ein, der dem Wort „hab“ einen starken Akzent verleiht, weil auf ihm eines Dehnung in Gestalt eines Viertels unter lauter deklamatorischen Achtel- und Sechzehntel-Schritten liegt. Erst am Ende dieser Zeile, nach dem Anstieg der melodischen Linie im Anschluss auf diesen Fall, ereignet sich erneut eine Dehnung. Nun aber eine von noch höherer Expressivität: Eine Kombination von Sekundsprung und Fall mit Dehnung in der Mitte auf dem Wort „geweinet“.


    Die Harmonik macht dabei eine ausdrucksstarke Rückung hin zur Subdominante h-Moll und wieder zurück zur Tonika fis-Moll, und das Klavier begleitet mit seiner schmerzlich-verhaltenen triolischen Figur aus Oktaven und Terzen. Es ist ein leises Weinen im Innern der Seele, das Franz mit dieser so zentralen Melodiezeile zu Musik werden lässt. Und so erhebt sich die Dynamik nur mit einem kurzen Crescendo aus dem Piano und kehrt am Ende wieder dorthin zurück, ohne es wirklich verlassen zu haben. Es ist von großer Bedeutung für die musikalische Aussage des Liedes, dass die Liedmusik am Ende in einen starken Kontrast zum Geist dieser Einleitungs-Zeile tritt.


    Auch bei den nachfolgenden Versen der ersten Strophe empfindet man die Struktur der melodischen Linie als musikalischen Niederschlag der lyrischen Aussage. Und das gilt generell für alle Strophen, was durchaus etwas über die liedkompositorische Qualität dieser Vertonung des Heine-Textes aussagt. Bei den Worten „Mir träumte, du lägest im Grab“ beschreibt sie auf dem Wort „lägest“ einen regelrechten Sturz über eine Sexte in tiefe Lage, erhebt sich zwar daraus noch einmal mit einem Terzsprung, aber nur, um erneut über eine Sekunde auf ein tiefes „Cis“ zurückzufallen und dort, bei dem Wort „Grab“ in Gestalt einer Dehnung zu verharren. Auch die Harmonik reflektiert hier die lyrische Aussage. Sie beschreibt eine bemerkenswerte Rückung zuerst nach D-Dur und von dort nach Cis-Dur.


    Und all das kann man bei dem entsprechenden Vers der zweiten Strophe („Mir träumt', du verließest mich“) als durchaus ebenso gültig empfinden. Erst bei dem Parallel-Vers der dritten Strophe lässt Franz die melodische Linie eine andere Bewegung beschreiben. Und das ist, so wie er dieses Heine-Gedicht gelesen hat, auch voll und ganz überzeugend. Der Traum vom „Wieder-gut-Sein“ ist schließlich ein überaus schöner. Also fällt die melodische Linie hier nicht in Grabes-Tiefe ab, vielmehr schwingt sie sich in einer wellenartigen Bewegung über eine ganze Oktave in hohe Lage auf. Dort verharrt sie mit einem dynamischen Sforzato in langer Dehnung. Diese geht allerdings aus einem verminderten Terzsprung hervor, und sie ist nicht in Dur, sondern in verminderte H-Harmonik gebettet und vom Klavier mit einem entsprechenden lang gehaltenen achtstimmigen und sforzato ausgeführten Akkord begleitet. Der Schrecken des Erwachens kündigt sich an.


    Auch die Melodik auf den Worten „Ich wachte auf“ und auf denen, die in diesem Vers jeweils nachfolgen, weicht in der dritten Strophe in ihrer Struktur von den Parallelen der ersten und zweiten Strophe ab. Dort setzt die melodische Linie, dem Wort „aufwachen“ entsprechend, in oberer Lage ein, senkt sich in leichter Rhythmisierung in Mittellage ab, und geht erneut in einen sie in noch höhere Lage führenden Aufstieg über, dem dann über einen Fall Tonrepetitionen nachfolgen, die in der ersten und zweiten Strophe unterschiedlich rhythmisiert sind, der lyrischen Aussage entsprechend. In der dritten Strophe liegt auf den Worten „Ich wachte auf“ ein forte auszuführender Quintsprung mit nachfolgendem Fall in zwei Schritten zurück auf den Ausgangston. Der nun nicht in cis-Moll, sondern in A-Dur harmonisiert ist. Die Faktizität des Erwachsens kommt auf diese Weise viel stärker zum Ausdruck. Und auf das Wort „immer“ wird jetzt, anders als die Worte „Träne“ und „weinte“, nicht auf einem Sekundfall deklamiert, sondern auf einem repetierenden „Dis in hoher Lage, das mit einem verminderten Dis-Akkord begleitet wird.


    In diesen beiden letzten Versen erreicht das Lied unüberhörbar seinen expressiven Höhepunkt. Die melodische Linie setzt bei den Worten „Strömt meiner Tränen Flut“ fortissimo auf einem hohen „E“ ein, steigt dann um eine Sekunde an und senkt sich anschließend in deklamatorischen Sekundschritten im Wert eines Viertels und eines Achtels auf ein „His“ in mittlerer Lage ab, wo sie bei dem Wort „Flut“ in einer Dehnung verharrt. Das Klavier begleitet diese letzte Melodiezeile mit permanenten fortissimo ausgeführten triolischen Akkordgruppen, die Harmonik vollzieht ausdrucksstarke Rückungen von einem anfänglichen E-Dur über A-Dur nach cis-Moll und fis-Moll. In dieser Harmonisierung endet die melodische Linie, und in ihr drückt die Schmerzlichkeit der Erfahrung des Aufwachens auf klanglich beeindruckende Weise aus.


    Es ist ein offener Schluss, in dem das Lied endet, - nicht nur, weil die melodische Linie auf der Quarte zum Grundton verharrt, sondern auch weil das Nachspiel mit der Wiederholung der Zweiunddreißigstel- und Sechzehntelfiguren des Vorspiels auf einem einzelnen „Fis“ endet, - ohne Schlussakkord. Und es dürfte deutlich geworden sein, dass diese Komposition einem Vergleich mit der Vertonung dieser Verse durch Robert Schumann durchaus standhält.

  • Morgens steh´ ich auf und frage:
    Kommt Feinsliebchen (Heine: feins Liebchen) heut´?
    Abends sink´ ich hin in klage:
    Aus blieb sie auch heut!


    In der Nacht mit meinem Kummer
    Lieg´ ich schlaflos wach,
    Träumend wie im halben Schlummer,
    Wandle ich bei Tag.


    (Heinrich Heine)


    In einfacher lyrischer Sprachlichkeit, im Gestus des Konstatierens verbleibend und auf große Metaphorik verzichtend, drückt das lyrische Ich seine seelische Befindlichkeit aus, wie sie sich in der Anwesenheit des „Liebchens“ einstellt, von der offen bleibt, ob sie nicht tiefere Gründe haben mag. Von daher gewinnt die zweite Strophe ein ganz eigenes Gewicht, denn Kummer und Schlaflosigkeit lassen eher auf die Erfahrung von Lieblosigkeit schließen. Dann aber erscheinen die Schlichtheit der lyrischen Sprache und die einfache Faktur des Gedichts (kreuzreimig angelegter Wechsel von vierhebigen und dreihebigen Trochäen mit jeweils klingender und stumpfer Kadenz) in neuem Licht: Sie werden zum lyrischen Ausdruck eines resignativen Sich-Einfindens in die Hoffnungslosigkeit der Liebe.


    Die Liedmusik von Robert Franz greift die Heine-Verse mit einem volksliedhaft schlichten Grundton und einer ihrerseits einfachen kompositorischen Faktur auf. Dem Lied liegt ein Zweivierteltakt zugrunde, es steht in cis-Moll als Grundtonart und ist mit der Tempoanweisung „Larghetto“ versehen. In seinem Aufbau handelt es sich um ein variiertes Strophenlied. Die Liedmusik auf dem ersten Verspaar der ersten Strophe wiederholt sich auf dem ersten Verspaar der zweiten. Danach erfährt die Liedmusik eine Variation in Melodik und Klaviersatz. Grundsätzlich aber gilt: Beide sind in ihrer Struktur einfach angelegt, und das Klavier beschränkt sich im wesentlichen auf die Begleitfunktion und entwickelt gegenüber der melodischen Linie keine Eigenständigkeit, die so weit ginge, dass sich ein dialogisches Verhältnis entwickeln könnte. Allenfalls im Variationsteil der zweiten Strophe sind Ansätze dazu zu vernehmen und zu erkennen.


    Das Lied setzt ohne Vorspiel ein. Jede Strophe enthält zwei Melodiezeilen, die jeweils zwei Verse umfassen und durch eine Viertel-, bzw. Dreiachtelpause voneinander abgehoben werden. In ihrer Grundstruktur ähneln sie einander, denn beide sind bogenförmig angelegt und beschreiben am Ende des Falls noch einmal eine Aufstiegsbewegung. Die zweite Melodiezeile unterscheidet sich im ersten Vers von der ersten nicht nur dadurch, dass die in tieferer tonaler Lage ansetzt und nicht über einen Quartsprung, sondern nur über einen Sekundschritt nach oben ausgreift, sie weist auch einmal eine deklamatorische Sechzehntel-Schrittkombination auf. Gleichwohl bewirkt diese strukturelle Ähnlichkeit der Melodiezeilen die Anmutung von Volksliedhaftigkeit, die dieser Komposition eigen ist.


    Bei der ersten Zeile steigt die melodische Linie in gleichförmigen Achtel-Sekundschritten von einem tiefen „Fis“ zu einem „Cis“ empor, von dort aus macht sie zu dem Wort „und“ hin einen Quartsprung, gipfelt also nach diesem Anstieg über eine ganze Oktave hier auf, dies aber ohne dort zu verweilen. Vielmehr geht sie nun in eine ebenso gleichförmige Fallbewegung in Sekundschritten über, die zu dem Wort „feins“ hin in einen Quartfall übergehen, und nach einem neuerlichen Anstieg endet die Bewegung in einem Auf und Ab in mittlerer Lage bei den Worten „Liebchen heut´“. Das Klavier begleitet – und das gilt mit Ausnahme der beiden letzten Verse für das ganze Lied – im Bass mit einem Auf und Ab von Sechzehnteln, das eine Art Klangteppich erzeugt, wobei diese Sechzehntel-Figuren jedoch nicht aus schlichten Repetitionen bestehen, sondern permanent die tonale Ebene wechseln und dabei zumeist den Bewegungen der melodischen Linie folgen. Das gilt auch für die Achtel und Viertel, die das Klavier im Diskant erklingen lässt, so dass sich der Eindruck einstellt, dass die melodische Linie in eine durch die Moll-Harmonisierung leicht wehmütig-schmerzlich wirkende Klanglichkeit eingebettet ist.


    Bemerkenswert ist die Harmonik des Liedes. Die erste Melodiezeile ist nämlich nicht in der Tonika cis-Moll, sondern in der Dominante fis-Moll – mit kurzer Rückung nach gis-Moll – harmonisiert, und erst bei der zweiten Zeile tritt die Harmonik in den Tonika-Bereich. Man darf wohl davon ausgehen, dass Franz auf diese Weise die Situation des Morgens von der des Abends, bzw. – in der zweiten Strophe – die der Nacht und des Tages, voneinander abheben wollte. In der zweiten Melodiezeile käme dann also, harmonisch betrachtet, die Liedmusik zum Kern ihrer Aussage. Und das schlägt sich ja auch in der Tatsache nieder, dass die melodische Linie insbesondere in der zweiten Strophe eine komplexere Gestalt annimmt, dergestalt dass die bogenförmige Grundgestalt sich wellenförmig und nicht mehr in deklamatorisch gleichförmigen Schritten entfaltet.


    Wie die erste, so steigt auch die zweite Melodiezeile in der ersten Strophe in Sekundschritten an, dies allerdings in der tonalen Ebene um eine Quarte abgesenkt, erreicht bei dem Wort „hin“ - ohne Sprungbewegung davor – ihren Höhepunkt und geht danach wieder in eine Abwärtsbewegung über. Der Bogen, den sie dabei beschreibt, erstreckt sich also nun nicht über eine Oktave, wie das bei der ersten Zeile der Fall ist, sondern nur über eine Quinte. Und was die Unterschiede zu dieser anbelangt, so unterbricht die melodische Linie einmal die Gleichförmigkeit der Bewegung, indem sie bei dem Wort „klage“ einen Sechzehntel-Sekundanstieg einlegt, bevor sie ihren Fall weiter fortsetzt, und auch ihr Ende ist anders angelegt: Bei den Worten „sie auch heut“ beschreibt sie einen in eine lange Dehnung mündenden zweifachen Sekundanstieg.


    Franz scheint dazu zu neigen, seine Heine-Vertonungen sozusagen eindimensional auf das Ende hin auszurichten. Wie das auch bei dem vorangehenden Lied „Ich hab im Traum geweinet“ der Fall ist, finden die für die zentrale liedmusikalische Aussage maßgeblichen Variationen im letzten Teil der Liedmusik statt. Eigentlich ist das ja auch von der Anlage der Heineschen Lyrik in all diesen Fällen durchaus gerechtfertigt, allerdings stellt sich dabei die Frage, ob dies auf Kosten einer nicht hinreichenden Berücksichtigung der lyrischen Aussage und der Metaphorik der vorangehenden Strophen, bzw. Verse geschehen sollte. Robert Schumann legt zum Beispiel auf die zweite Strophe, das lyrische Bild vom nächtlichen Kummer berücksichtigend, eine andere, sich von der der ersten Strophe deutlich abhebende Liedmusik. Und er wird damit der lyrischen Aussage dieses Heine-Gedichts gewiss in höherem Maße gerecht.


    Franz tut das nicht. Er beschränkt sich auf eine Variation der zweiten Melodiezeile mitsamt dem zugehörigen Klaviersatz, dies allerdings in beiden Fällen ohne eine Abweichung von der Grundstruktur derselben. Wieder steigt die melodische Linie bei den Worten „Träumend wie im“ auf einem tiefen „Cis“ ansetzend und in cis-Moll in Sekundschritten an, dieses Mal aber kurzschrittiger, in zwei anfänglichen Sechzehnteln nämlich. Und darin kündigt sich an, was im Folgenden geschieht. Die Gleichförmigkeit der melodischen Bewegung ist abgerissen, und auch beim bogenförmigen Anstieg ist das der Fall. Hier ereignet sich für Franz in der lyrischen Aussage die am tiefsten reichende Verwundung in der seelischen Befindlichkeit des lyrischen Ichs. Und so beschreibt denn die melodische Linie bei den Worten „im halben Schlummer“ einen Sextsprung mit nachfolgendem Fall und Wiederanstieg in Gestalt von Sechzehnteln, und das setzt sich in höherer Lage bei den Worten „wandle ich“ noch einmal fort, wobei die deklamatorischen Schritte zweimal sogar in Zweiunddreißgstel übergehen, bevor dann am Ende ein Sekundfall in Gestalt von Achteln eintritt, der bei dem Wort „Tag“ in eine lange Dehnung auf einem „Cis“ in mittlerer Lage übergeht.


    Auch das Klavier weicht bei dieser letzten Melodiezeile von seinem verhalten ruhigen Gestus ab, ohne freilich dabei in eine wirkliche Eigenständigkeit der musikalischen Aussage überzugehen. Nun aber begleitet es die melodische Linie in Bass und Diskant mit bitonalen und dreistimmigen akkordischen Figuren, und dies, wie diese, auch in Gestalt von Sechzehnteln und einmal, genau dort, wo dies bei dieser der Fall ist, auch mit einer Zweiunddreißigstel-Figur in Bass und Diskant.


    In einem dreitaktigen Nachspiel endet das Lied. Das Klavier vollzieht darin in Gestalt von dreistimmigen Akkorden im Diskant und Einzeltönen im Bass nach einer aus der Schluss-Dehnung der melodischen Linie hervorgehenden Fallbewegung die Figuren noch einmal nach, mit denen es die melodische Linie an deren Ende begleitete. Es sind die Ihrigen. Und so war das ja auch bei den Zwischenspielen der Melodiezeilen und der beiden Strophen der Fall. Der Klaviersatz ist, wie das der Regelfall bei Robert Franz ist, ganz der Melodik zugeordnet.

  • Eben sehe ich, dass es oben nicht "Anwesenheit" sondern "Abwesenheit" des "Feinsliebchens" heißen muss.
    Das ist ein im Grunde unverzeihlicher Fauxpas, weil sich Heines Lyrik ja wesenhaft aus dieser, sich auf der emotionalen Ebene ereignenden "Abwesenheit" des geliebten Menschen und deren seelischer Bewältigung generiert, sich ja geradezu nährt davon.
    Ich bitte um Entschuldigung.

  • Im wunderschönen Monat Mai,
    Als alle Knospen sprangen,
    Da ist in meinem Herzen
    Die Liebe aufgegangen.


    Im wunderschönen Monat Mai,
    Als alle Vögel sangen,
    Da hab' ich ihr gestanden
    Mein Sehnen und Verlangen.


    (Heinrich Heine)


    Es ist ein lyrisches Spiel mit dem volkstümlichen Klischee, das Heine in diesen Versen treibt, die durch Schumanns Vertonung geradezu Berühmtheit erlangt haben. In das reichlich abgegriffene Bild vom „wunderschönen“ Wonne-Monat Mai, in dem bekanntlich „Knospen springen“ und „Vögel singen“, setzt er das Bekenntnis seiner Liebe und des Erwachens seiner Sehnsucht nach deren Erfüllung, - und lässt dabei offen, wem das alles gilt und ob es tatsächlich zur Erfüllung gekommen ist. In diesem Offen-Lassen gründet die lyrische Aussage dieser Verse. Was im Mai naturhaft aufgeht und sich darin auch erfüllt, kann im menschlichen Leben zur schmerzlichen Erfahrung von Versagung und Einsamkeit werden. Die Verse sprechen davon nicht. Aber gerade darin besteht ihre poetische Subtilität und Größe.


    Schumann hat das in seinem Lied mit dem Klaviersatz aufgegriffen und in Musik umgesetzt, der schon im Vorspiel mit einem harmonischen Changieren zwischen fis-Moll und A-Dur einsetzt und in seiner inneren Gebrochenheit der im Gegensatz dazu ungebrochen daherkommenden melodischen Linie immer neue Aussagen abgewinnt und letztendlich dafür verantwortlich ist, dass die Liedmusik offen endet und der lyrischen Aussage der Heine-Verse zweifellos voll gerecht wird. Die oben angedeutete lyrische Subtilität von Heines Gedicht bildet sich in Schumanns Lied im Widerspiel von Klaviersatz und melodischer Linie der Singstimme ab.


    Und wie ist das mit der Liedmusik von Robert Franz? Wird auch sie – freilich auf ihre Weise und mit ihren Mitteln – dem lyrischen Text gerecht? Jedem, der sich in einem analytischen Ansatz seinem Lied zuwendet, drängt sich diese Frage regelrecht auf. Und um es gleich vorweg zu bekennen: Der, dem dieses hier an dieser Stelle widerfahren ist, meint, dass dem nicht in gleicher Weise der Fall ist. Hier dringt die Liedmusik nicht wirklich bis zur Untergründigkeit der Heine-Verse vor. Sie verharrt in einem gleichsam naiven musikalischen Reflex derselben. Was aber nicht bedeutet, dass daraus nicht eine ansprechende Liedmusik hervorgegangen sein könnte. Das ist durchaus der Fall.


    Bei genauem Hinhören und sorgfältigem Blick in die Noten stellt sich diese Komposition als variiertes Strophenlied dar. Die Variation ist freilich minimal: Sie beschränkt sich – bis auf Details im Klaviersatz – tatsächlich auf die Liedmusik der letzten Worte der beiden Strophen: „aufgegangen“ und „Verlangen“. Und um es ganz genau zu konstatieren: Auf die beiden letzten Silben dieser Worte. Aber diese Variation hat es in sich. Denn darin findet die Aussage der Liedmusik zu sich selbst und damit konstituiert sich in ihr definitiv die Art und Weise, wie Robert Franz diese Verse von Heine rezipiert hat und mit seiner Verstonung verstanden wissen wollte. Ihr liegt ein Dreivierteltakt zugrunde, als Vorzeichen sind vier B vorgegeben, was f-Moll und die Parallele As-Dur als Grundtonart beinhaltet, und die Tempo- und Vortragsanweisung lautet „Andantino con grazia“.


    Es gibt ein eintaktiges Vorspiel, das der melodischen Linie den auftaktigen Einsatz ermöglicht und in Bass und Diskant die Grundfiguren vernehmlich werden lässt, mit denen das Klavier sie begleiten wird. Im Bass erklingt – „piano“ und in As-Dur-Harmonik - eine Figur aus über eine Quarte und eine Sexte aufschießenden und in einen dreistimmigen Akkord mündenden Sechzehnteln und Achteln, und diese geht im Diskant über in eine aus bogenförmig ansteigenden und wieder fallenden Sechzehnteln. Diese nehmen danach zwar im tonalen Raum, über den sie sich erstrecken und in den sie sich erheben, unterschiedliche Gestalt an, aber sie stellen die klangliche Substanz des Diskants das ganze Lied über dar. Und im Bass treten zur Hauptfigur nur noch Bewegungen von Oktaven hinzu. Die Funktion des Klaviersatzes beschränkt sich darauf, ein klangliches Bett für die melodische Linie der Singstimme bereitzustellen und sie in ihren Bewegungen zu begleiten.


    Er gibt ihr allerdings auch einen leicht beschwingten Unterton bei, den sie selbst nicht aufbringt. Sie entfaltet sich in ruhigen, nur leicht rhythmisierten Bewegungen, und lässt das innere Beflügelt-Sein des lyrischen Ichs durch die Erinnerungen an den „wunderschönen Monat Mai“ dadurch vernehmen, dass sie mehrfach in hoher Lage aufgipfelt. So gleich bei der ersten, den ersten Vers beinhaltenden Melodiezeile. Sie geht bei dem Wort „wunderschönen“ nach einem anfänglichen Sekundfall mit einem Quartsprung, der sogar mit einem Vorschlag versehen ist, in die Lage eines hohen „Es“ über und überlasst sich danach einem mehrfachen Sekundfall, der auf einem „As“ in mittlerer Lage in Gestalt einer Dehnung zu einer vorläufigen Ruhe kommt. Bemerkenswert ist hier zweierlei: Die Harmonisierung der melodischen Linie und die Tatsache, dass sie am Ende in einen Fall übergeht. Denn dieser mündet in ein f-Moll, und dies in Gestalt einer Rückung von As-Dur über die Dominante Es-Dur. Diese Rückung vom Tongeschlecht Dur nach Moll und umgekehrt ist ein Wesensmerkmal dieser Liedmusik. Und es stellt sich die Frage, wie sie zu verstehen ist.


    In der zweiten Melodiezeile ereignet er sich gleich wieder, dieses Mal allerdings in umgekehrter Richtung von f-Moll in die Parallele As-Dur, aber wiederum beim letzten deklamatorischen Schritt. Und vielleicht findet man hier schon die Antwort auf die Frage, die ja beinhaltet, ob Franz diese Heine Verse so gelesen hat, dass den Erinnerungen des lyrischen Ichs Schmerzlichkeit innewohnt, weil die im Mai „aufgegangene“ Liebe keine Erfüllung fand. Dem scheint nicht so zu sein. Denn diese Melodiezeile setzt auf einem „As“ in mittlerer tonaler Lage an und bewegt sich wellenartig nach oben, um in ein leicht gedehntes „C“ zu münden. Wäre es also möglich, dass die Moll-Harmonisierung der melodischen Linie eher als Ausdruck von Wehmut zu verstehen ist, die sich bei der Erinnerung an ein schönes Erlebnis einstellt? Diese Vermutung legt auch der Klaviersatz nahe, denn diesem wohnt keinerlei Anmutung von klanglicher Schmerzlichkeit inne. Den melodischen Bewegungen in den einzelnen Melodiezeilen folgt er mit bitonalen und dreistimmigen Akkorden, die bei dem Wort „wunderschönen“ sogar arpeggiert sind, und in den Pausen dazwischen lässt er die durchaus beschwingt wirkende bogenförmig angelegte Figur von steigenden und fallenden Sechzehnteln erklingen.


    Die letzte Gewissheit, dass Franz das Lied in diesem Sinn verstanden wissen will, liefern die beiden letzten Melodiezeilen auf dem zweiten Verspaar der Strophen. Anders als die beiden ersten bilden sie, obgleich auch durch eine – allerdings kleinere – Pause getrennt, eine melodische Einheit, weil sich die melodische Bewegung der dritten Zeile in der vierten in absteigender tonaler Lage fortsetzt, um am Ende in eine lange Schluss-Dehnung zu münden. Auf den Worten „Da ist in meinem Herzen“ bewegt sich die melodische Linie nun in überaus gleichförmiger und nicht mehr rhythmisierter Bewegung in Gestalt eines Bogens in Sekundschritten, der am Ende, bei dem Wort „Herzen“ in einen Quartsprung mit nachfolgendem Fall zurück auf den Ausgangston übergeht. Die Harmonik rückt hier vom anfänglichen es-Moll nach der Grundtonart f-Moll, und dieses Mal begleitet das Klavier noch während der melodischen Bewegungen mit seinen steigenden und fallenden Sechzehnteln.


    Alle Melodiezeilen kehren auf den Versen der zweiten Strophe unverändert wieder. Nur das Klavier leistet sich eine kleine Abweichung, indem es in der ersten Pause in die Sechzehntel-Figur arpeggierte Terzen einfließen lässt. Und auch die letzte Melodiezeile bleibt unverändert, - bis auf die letzten beiden Takte. Bei den Worten „die Liebe aufgegangen“ beschreibt die melodische Linie zweimal einen dreifachen Sekundstieg auf der gleichen hohen tonalen Ebene: Einmal in Gestalt von zwei Sechzehnteln und einem Achtel, das zweite Mal nur in Achteln. Dazwischen geht sie bei dem Wort Liebe in einen gedehnten Sekundfall über, und danach auf den beiden letzten Silben des Wortes „aufgegangen“ in eine lange, den Takt übergreifende Dehnung in Gestalt eines Sekundanstiegs mit nachfolgendem Quintfall. Die Harmonik beschreibt dabei eine zweimalige Rückung von es-Moll nach f- Moll. Das heißt: Da es sich bei dem „C“ in mittlerer Lage um die Quinte zum Grundton handelt, endet die Liedmusik der ersten Strophe in einem offenen, und überdies in Moll (f-Moll) harmonisierten Schluss.


    In der zweiten Strophe ist das ganz anders. Hier geht die melodische Linie bei dem Wort „Verlangen“ nach den gleichen vorangehenden Bewegungen auf den Worten davor in einen zweifachen und wiederum taktübergreifenden gedehnten Sekundfall von einem hohen (gedehnten) „F“ über ein „Es“ zu einem „Des“ in oberer Mittellage über. Das Klavier begleitet das mit seinen Achtelfiguren, die ebenfalls einen Fall beschreiben, und die Harmonik macht eine Rückung von Des-Dur über die Dominante As-Dur zurück nach Des-Dur.
    Das ist kein offenes Ende in Moll-Harmonik mehr, vielmehr eines auf dem Grundton einer Dur-Harmonik. Und das darf man doch wohl so verstehen, dass Franz die Verse Heines so gelesen und in Musik gesetzt hat, dass sich darin ein von Glück erfülltes Maien-Erlebnis in der Retrospektive niederschlägt.

  • Leider ist weder von diesem, noch von der vorangehend besprochenen Heine-Vertonung durch Robert Franz eine Aufnahme bei YouTube zu finden. Gibt man dort die Lied-Titel ein, wird einem ausschließlich das jeweilige Schumann-Lied angeboten, und das gleich in einer Fülle von gesanglichen Interpretationen.
    So ist das halt, mit dem liedkompositorischen Werk von Robert Franz: Es ist der Vergessenheit anheimgefallen. Dabei finde ich das, je länger ich mich damit beschäftige, desto verwunderlicher. Denn bei diesen Liedern handelt es sich mit nur wenigen Ausnahmen durchweg um in ihrem liedkompositorischen Gehalt gewichtige und überdies auch noch klanglich ansprechende Kompositionen.


    Natürlich könnte da der der klassische Fall von Betriebsblindheit vorliegen, dergestalt, dass die intensive Beschäftigung mit dieser Liedmusik die Distanz zu ihr so stark verringert, dass ein objektives Urteil über sie nicht mehr erfolgen kann. Die Tatsache, dass dieser Thread auf keinerlei Resonanz hier im Forum stößt, legt diese Vermutung sogar nahe. Aber ich denke: Dem ist ja nicht so. Die Distanz stellt sich ja gerade im Fall der Heine-Vertonungen gerade dort ein, wo die Schumann-Kompositionen jenen von Franz zur Seite treten und den Vergleich geradezu herausfordern.


    Hier allerdings muss ich mich selbstkritisch fragen, ob ich bei diesen Vergleichen die Liedmusik von Franz nicht, gewiss ungewollt, aber de facto doch schlecht rede. Hier, im Fall dieses Liedes, stellte ich gleich am Anfang fest: „Hier dringt die Liedmusik nicht wirklich bis zur Untergründigkeit der Heine-Verse vor. Sie verharrt in einem gleichsam naiven musikalischen Reflex derselben.“ Zwar habe ich sofort die Einschränkung hinzugefügt: „Was aber nicht bedeutet, dass daraus nicht eine ansprechende Liedmusik hervorgegangen sein könnte“. Aber wenn ich meine nachfolgenden Ausführungen zu diesem Lied noch einmal kritisch unter die Lupe nehme, so habe ich zwar die kompositorische Faktur, nicht aber ihren spezifischen musikalischen Charakter hinreichend deutlich beschrieben und damit die These eingelöst, dass es sich hier um eine Liedmusik handelt, die ihre Hörer anzusprechen vermag und – was ich nicht hinzufügte – als eine liedhistorisch bedeutsame kompositorische Auseinandersetzung mit dem lyrischen Werk Heinrich Heines zu betrachten ist.

    Vielleicht sollte ich das von mir immer wieder mit Beharrlichkeit in Anschlag gebrachte Kriterium „Grad und Tiefe des Erfassens der lyrischen Aussage“ auf seine Relevanz hinsichtlich der kompositorischen Qualität von Liedmusik einmal grundsätzlich kritisch überprüfen.

  • In dem Dornbusch blüht ein Röslein,
    Ist ein' Lust, es anzusehn!
    Wollt' es pflücken, mich zu schmücken,
    Doch der Dorn läßt's nicht geschehn.


    Sang ein Vöglein in den Lüften,
    Klang der Sang süß in's Gemüt:
    „Willst du brechen, laß dich stechen,
    Ohne Dorn kein Röslein blüht.“


    Lieber Schatz, sei wieder gut mir,
    Lieber Schatz, leg ab dein'n Zorn:
    Immer Schmollen, immer Grollen --
    Für ein' Ros' wär's zu viel Dorn!


    (Karl Wilhelm Osterwald)


    Das ist eines von den vielen – nahezu sechzig – Liedern auf Gedichte des mit Franz befreundeten Pädagogen und Schriftstellers Karl Wilhelm Osterwald, der sich dieses Mal in einem volksliedhaften Spiel mit der Metapher von der Geliebten als dornenbewehrtem Röslein ergeht, wobei er mit der Wendung, die sein Gedicht mit der letzten Strophe nimmt, den Geist des Volksliedes gleichsam interpretatorisch unterläuft.


    Und Franz folgt ihm mit seiner Liedmusik in all dem. Das Lied trägt im Untertitel den Zusatz „Im Volkston“, und es ist kompositorisch als variiertes Strophenlied angelegt, wobei sich die Variation auf die letzten drei Verse der dritten Strophe beschränkt. Ein Dreivierteltakt liegt ihm zugrunde, und die Harmonik pendelt zwischen g-Moll und der Dur-Parallele „B“ hin und her, mit gelegentlichen Rückungen in die Dominante d-Moll. Das ist nicht wirklich volksliedhafte Harmonik, aber in der Vermeidung weit ausgreifender Modulationen immerhin eine Anmutung davon. Und dass Franz – darin im Grunde ja Osterwald folgend – nicht konsequent im Volksliedton verbleiben, sondern mit ihm nur liedkompositorisch spielen wollte, das zeigt sich am Schluss seines Liedes: Mit der – im Grunde überraschenden – Rückung von der Tonika g-Moll über die Dominante „D“ nach Es-Dur bei dem Wort „Dorn“. Das ist liedkompositorische Hintergründigkeit und darin musikalischer Niederschlag des poetischen Geistes, der in Osterwalds Gedicht weht.


    Damit ist ja eigentlich schon das Wesentliche zu diesem Lied gesagt, und man könnte sich alles Weitere an Ausführungen dazu sparen. Aber es verdient ja doch, dass man seine Faktur zumindest in groben Zügen beschreibt und den klanglichen Habitus, in dem es seinen Hörern entgegen tritt, in Worte zu fassen versucht. Um dieses gleich vorweg zu nehmen: Es ist ein anmutiges, tatsächlich den Geist des Volkliedes atmendes, sich darin beschwingt entfaltendes und sich einschmeicheln wollendes Lied, das man da vernimmt.


    Schon das zweitaktige Vorspiel, in dem die Singstimme am Ende mit einem doppelten Sekundschritt einsetzt, entfaltet einen zwar harmonisch simplen, gleichwohl gerade deshalb wirkungsstarken klanglichen Zauber: Über in die Tiefe absinkenden und sich daraus wieder erhebenden Einzeltönen im Bass erklingt im Diskant eine in leichter Rhythmisierung wellenartig ansteigende, sich senkende und wieder erhebende Folge von Sexten, und dies in der Dominantsept-Variante der Dur-Parallele „B“ zur Grundtonart g-Moll. Und das ereignet sich noch weitere zwei Male, in den Zwischenspielen nämlich. Bis diese Figur dann am Ende im Nachspiel – und das ist eben die den Volksliedton konterkarierende Raffinesse dieser Komposition – eine vielsagende Brechung erfährt.


    Die melodische Linie atmet freilich ungebrochenen Volksliedgeist. Sie entfaltet sich drei Mal in bogenförmiger Gestalt, dabei in den Melodiezeilen jeweils einen Vers umfassend. Die tonale Ebene steigt dabei jeweils um eine Terz an: Bei der ersten Melodiezeile setzt die bogenförmige Bewegung auf einem „Es“ ein, bei der zweiten auf einem „G“ und bei der dritten auf einem „B“. Die letzte Zeile ist dann fallend angelegt: Sie senkt sich in Sekundschritten von einem hohen „D“ zu einem „Fis“ ab und geht dann mit einem kleinen Sekundschritt in den Grundton „G“ über. Obwohl zwischen diesen Zeilen jeweils eine Achtelpause liegt, empfindet man sie als eine melodische Einheit. Das liegt vor allem daran, dass die deklamatorische Entfaltung durchgängig die gleiche ist: Auf einen deklamatorischen Schritt im Wert von einem Achtel folgt ein Sechzehntel-Schritt und dann zwei im Wert von einem Viertel. Danach ereignet sich das Gleiche immer wieder, - und das auf identischer, nur in der tonalen Ebene ansteigender melodischer Linie.


    Und auch das Klavier agiert in der immer gleichen Weise: Es folgt den Bewegungen der melodischen Linie mit exakt in gleicher Weise rhythmisierten Folgen von Einzeltönen und bitonalen Akkorden und lässt am Ende der Melodiezeilen einen lang gehaltenen Akkord erklingen. Und schließlich trägt auch die Harmonik noch zu diesem Eindruck bei, in jeder Strophe ein einheitliches, in sich geschlossenes musikalisches Gebilde vor sich zu haben. Sie setzt mit der Dur-Subdominante „Es“ ein, rückt dann über die Tonika g-Moll zur Dur-Dominante „B“ und endet nach einem kurzen Ausweichen nach d-Moll auf der Tonika.


    Auf den letzten beiden Versen der dritten Strophe nimmt die Liedmusik eine neue Gestalt an, und dies sowohl in der Struktur der melodischen Linie, wie auch im Klaviersatz. Die Gründe dafür sind nicht nur darin zu suchen, dass hier die Metaphorik des Gedichts auf den Kern der lyrischen Aussage gebracht wird, auch die sprachliche Struktur der Verse und deren Semantik war zu berücksichtigen. Die Reihung „immer Schmollen, immer Grollen“ setzt Franz in zwei kleine, in ihrer Struktur identische, nur sich in der tonalen Ebene und der Harmonisierung voneinander abhebende und durch eine Achtelpause getrennte Melodiezeilchen um, bei denen der deklamatorische Grundrhythmus am Ende abreißt: Sie setzen mit einer Dehnung am Anfang ein, dann folgt ein Terzsprung, der in einen zweimaligen Sekundfall übergeht, bei dem der letzte Ton nicht, wie sonst immer, aus einem Viertel besteht, sondern nun aus einem Achtel.


    Auf dem letzten Vers, den Worten „Für ein Ros´ wär´s zu viel Dorn“ also, liegt eine zweimalige melodische Fallbewegung, wobei die zweite mit einem Sextsprung nach dem Wort „Ros´“ einsetzt und sich nun gleichförmig, das heißt nicht mehr in rhythmisierten Sekund-Schritte, von einem hohen „D“ zum Grundton „G“ hin absenkt und dort in einer Dehnung endet. Die Harmonik rückt bei dieser letzten Melodiezeile von der Tonika g-Moll zur Dominante „d-Moll“ und geht dann überraschenderweise bei dem Wort „Dorn“, obwohl auf dem der Grundton „G“ liegt, nach Es-Dur über. Aber das Nachspiel aus fallenden Sexten steht dann wieder in der Grundtonart g-Moll.


    Wozu diese ungewöhnliche Rückung nach Es-Dur am Ende der melodischen Linie? Man kann das, da die letzten Worte piano auf fallender und in Moll harmonisierter melodischer Linie deklamiert werden, wohl als einen Nachdruck verstehen, der der Aussage, freilich auf sanfte, fast schon zarte Weise, verliehen wird, - Zeugnis einer gewissen kompositorischen Raffinesse.

  • Hier ein Link zu einer gesanglichen Interpretation des Liedes. Dieses Mal habe ich mich - die Konsequenzen aus meinen vorangehenden selbstkritischen Betrachtungen ziehend - stärker um eine Beschreibung seines klanglichen Charakters bemüht. Ich hoffe, es ist zu hören, was ich zusammenfassend schrieb:
    "Es ist ein anmutiges, tatsächlich den Geist des Volkliedes atmendes, sich darin beschwingt entfaltendes und sich einschmeicheln wollendes Lied, das man da vernimmt."




  • Sterne mit den gold´nen Füßchen,
    Wandeln droben bang und sacht,
    Daß sie nicht die Erde wecken
    Die da schläft im Schoß der Nacht.


    Horchend steh´n die stummen Wälder,
    Jedes Blatt ein grünes Ohr!
    Und der Berg, wie träumend streckt er
    Seinen Schattenarm hervor.


    Doch was rief es? (Heine: „dort?“) In mein Herze
    Dringt der Töne Widerhall.
    War es der Geliebten Stimme,
    Oder war´s (Heine: „nur“) die Nachtigall?


    (Heinrich Heine)


    In den drei Strophen ereignet sich ein metaphorischer Abstieg aus dem kosmischen in den irdischen Raum und hin zum Innern des lyrischen Ichs. Er ist verbunden mit einem Bruch: Die Welt des Herzens tritt in einen Gegensatz zur kosmischen und naturhaften Dort evozieren die lyrischen Bilder ferne Zierlichkeit und Zartheit der Erscheinungen und träumerisch unbewusste Ruhe. Im Herzen aber ist der Widerhall eines Rufs. Und das lyrische Ich weiß nicht, ob er von der Nachtigall oder von der Geliebten kommt. Aber dass es sich das fragen muss, lässt ahnen, dass die Geliebte in ähnlicher Ferne, Unzugänglichkeit und Unerreichbarkeit verweilt, wie das die „Sterne mit den goldnen Füßchen“ tun.


    Es ist das Grund-Thema von Heines Lyrik, die Unüberwindbarkeit des existenziellen Dualismus in der Liebe, das Gegenstand dieser in ihrer Ansprache desselben, ihrer lyrischen Sprachlichkeit und ihrer Metaphorik so überaus zarten Verse ist. Der Heinesche Bruch ist in eine sprachliche Partikel zurückgenommen: Das kleine Wörtchen „nur“. Aber es gibt ihn, und man sollte denken, dass eine diesem Gedicht in seiner Aussage gerecht werden wollende Liedmusik ihn berücksichtigt.
    Und um es gleich vorab festzustellen: Die Liedmusik von Robert Franz tut das nicht. Sie ergeht sich – das allerdings in durchaus anheimelnder Weise – in klanglicher Lieblichkeit, darin ganz offensichtlich das evokative Potential der lyrischen Bilder der beiden ersten Strophen reflektierend und ohne jeglichen inneren Bruch auch auf die Aussagen der letzten Strophe übertragend. Ist es ein Versehen, dass Franz das Wort „nur“ aus dem letzten Vers gelöscht und durch „war´s“ ersetzt hat? Das ist ein höchst gravierender Eingriff in den lyrischen Text Heines, denn er beraubt die Frage des lyrischen Ichs ihrer existenziellen Relevanz, lässt sie zu einer belanglosen werden.
    Die Liedmusik verrät: Das war wohl kein Versehen, es war Absicht. Der Liedkomponist Robert Franz mag die Brüche in Heines Lyrik nicht.


    Die Komposition ist nach dem bei Franz fast schon normativ gehandhabten Strophenlied-Schema „A-A-B“ angelegt, wobei die B-Strophe zumeist Elemente der Faktur der A-Strophen aufweist. Das kann in Gestalt einer partiellen Identität des Anfangs sein, wie das beim vorangehend besprochenen Lied der Fall ist, es kann aber auch, wie hier in diesem Lied, in der Wiederkehr der zentralen melodischen Figur bestehen. Es ist in diesem Fall die, die auf den Worten des ersten Verses liegt. Das Lied weist einen Dreiachteltakt auf, die Grundtonart ist E-Dur, und die Vortragsanweisung lautet „Larghetto con grazia“.


    Und tatsächlich: Dem zentralen melodische Thema, das die Liedmusik prägt, ja zu beherrschen scheint, wohnt ein zarter, ans Grazile rührender Gestus inne. Von Zentralität kann man sprechen, weil es in diesem Lied fünf Mal erklingt: In den ersten beiden Strophen zweimal, in der dritten einmal. Den Klaviersatz beherrscht es tatsächlich: Dort vernimmt man es zehn Mal, und das Nachspiel besteht aus einem einzigen Nach- und Ausklingen dieser Figur. Sie weist eine hochgradige Eingängigkeit auf, was ganz offensichtlich in ihrer melodischen Struktur und ihrer Harmonisierung gründet. Sie setzt auf dem Grundton „E“ in hoher Lage ein und endet auf ihm nach dem Fall über eine ganze Oktave. Diese ereignet sich aber in leicht melismatisch geprägter, weil rhythmisierter Weise. Nach einem Quartfall beschreibt die melodische Linie ein triolisches Auf und Ab in Gestakt von Sechzehnteln, geht danach mit einem Sekundsprung in eine kleine Dehnung über und überlässt sich anschließend einem Sextfall, der sie in tiefe Lage führt, aus der sie sich dann mit einer Kombination aus Terzsprung und Sekundfall wieder erhebt. Die Harmonik macht bei diesem Sextfall eine Rückung in die Dominante und kehrt danach wieder zur Tonika E-Dur zurück. Dadurch, dass sich die Rückung im Raum einer Oktave des Grundtons ereignet und harmonisch über die Dominante wieder zur Grundtonart zurückkehrt, weist diese Figur eine starke innere Geschlossenheit auf.


    Der spezifische Reiz der Melodik dieses Liedes – und damit der ganzen Liedmusik – besteht nun darin, dass dieser Figur in den ersten beiden Strophen nach einer Dreiachtelpause, in der das Klavier sie noch einmal erklingen lässt, jedes Mal eine melodische Figur entgegentritt, die gleichsam gegenläufig angelegt ist. Sie tritt zwar in zwei Varianten auf, weist aber die gleiche Grundstruktur auf, nur dass sie in einem zweiten Fall, des Zustandekommens einer Kadenz am Ende der Strophe wegen, in einem kleinen Sekundsprung endet, - so erstmals bei den Worten „der Nacht“. Sie setzt auftaktig mit einem Sechzehntel-Sekundsprung in tiefer Lage ein, steigt in mittlere Lage empor und beschreibt dort einen aufwärts gerichteten Bogen, der in der ersten Variante aus einem Auf und Ab mit einem eingelagerten Sechzehntel-Sprung besteht, also ein wenig komplexer ist, als dies bei der zweiten Variante der Fall ist, wo er nur aus Sekundschritten besteht. In der Harmonisierung unterscheiden sich die beiden melodischen Figuren allerdings. Während sich bei der ersten eine schlichte Rückung in die Subdominante und wieder zurück ereignet, beschreibt die Harmonik bei der zweiten eine Rückung von E-Dur über gis-Moll und Eis-Dur zurück nach g-Moll. Die Liedmusik reflektiert auf diese Weise die jeweilige lyrische Aussage, denn in beiden Strophen geht es am Ende um ein nächtliches Geschehen.


    In der dritten Strophe weicht die Liedmusik auf eine fast schon überraschend anmutende Weise von dem Gestus ab, in dem sie sich zwei Strophen lang entfaltete und ihre Hörer damit durchaus einzufangen vermochte. Franz reagiert damit auf den Wechsel der Perspektive im lyrischen Text. Nun lässt die melodische Linie von ihrem Wechselspiel mit den beiden Grundfiguren ab und geht zu einem rhetorischen Gestus über, - dergestalt dass sie sich bei den ersten beiden Versen in drei kleinen, durch Pausen voneinander abgehobenen Melodiezeilen entfaltet, wobei die erste Pause sogar eine recht lange ist, nämlich eineinhalb Takte einnimmt.


    Aus den Heine-Worten „Doch was rief dort?“ hat Franz „Doch was rief es?“ gemacht, - was eigentlich keinen Sinn ergibt. Darauf legte er eine doppelte melodische Fallbewegung, die „con anima“ vorzutragen ist und vom Klavier mit einer Figur eingeleitet wird, bei der sich bitonale und dreistimmige Akkorde aus einen arpeggierten Akkord lösen: Auf einen mit einem Vorschlag versehenen melodischen Sechzehntel Fall auf den Worten „doch was“ folgt ein Quartfall von Achteln auf „rief es?“. Und das Ganze in E-Dur-Harmonisierung. In der langen Pause danach erklingt diese Figur noch einmal, wobei die Harmonik über Gis-Dur nach cis-Moll rückt.


    Die Worte „in mein Herze“ werden auf einer Kombination von Sekundsprung und Terzfall deklamiert, und nach einer Achtelpause beschreibt die melodische Linie auf den Worten „dringt der Töne Widerhall“ eine leicht rhythmisierte, in oberer Mittellage ansetzende Fallbewegung, in die bei dem Wort „Widerhall“ ein Sechzehntel-Melisma in Gestalt eines Doppelvorschlags eingelagert ist, bevor sich am Ende ein in eine kleine Dehnung mündender Quintsprung ereignet. Nachdem die Worte „War es der Geliebten Stimme“ auf dem melodischen Hauptmotiv deklamiert worden sind, folgt, nach einer erneutet Dreiachtelpause die Deklamation des Schlussverses „Oder war´s die Nachtigall?“. Das geschieht auf einer melodischen Linie, die auftaktig wieder mit dem Sechzehntel-Sekundsprung einsetzt und danach in einen dreischrittigen Sekundfall übergeht, der sich danach mit einem Oktavsprung zur hohen Lage des Grundtons „E“ als dreischrittiger Terzfall fortsetzt. Und auf der letzten Silbe des Wortes „Nachtigall“ geht die melodische Linie dann in eine lange Dehnung auf einem „H“, der Quinte zum Grundton also, über. Die Harmonik beschreibt während des dreifachen Sekundfalls auf den ersten beiden Silben von „Nachtigall“ eine Rückung nach a-Moll, bevor sie am Ende nach E-Dur zurückkehrt.


    In dieser Liedmusik auf dem letzten Vers ist klanglich keine Spur von Enttäuschung darüber zu vernehmen, dass das lyrische Ich nicht die Stimme der Geliebten, sondern möglicherweise die einer Nachtigall vernommen zu haben glaubt. Die kurze Rückung nach a-Moll bringt keine klangliche Eintrübung der Liedmusik mit sich, sondern mutet, da sie sich ja bei einem hoch ansetzenden dreischrittigen Terzfall ereignet, eher wie eine Steigerung der klanglichen Lieblichkeit an, die von der Liedmusik hier ausgeht.

  • Nun habe ich den guten Robert Franz schon wieder kritisiert, indem ich ihm vorhielt, dass er einen Eingriff in den Text von Heines Gedicht vorgenommen hat, der dessen lyrische Aussage verfälscht. Aber immerhin: Es ist ja ein Lied dabei herausgekommen, das seine Hörer mit seinem lieblichen Grundton durchaus anzusprechen vermag, wie man hier vernehmen kann:



    Aber es ist ja in der Tat so, dass dieser Eingriff in den Text ein gravierender ist, denn er beraubt die Frage des lyrischen Ichs ihrer existenziellen Relevanz, lässt sie zu einer belanglosen werden. Und ich frage mich, ob, wenn Franz sich wirklich auf den Kern der lyrischen Aussage von Heines Gedicht eingelassen hätte, nicht vielleicht ein Lied daraus hervorgegangen wäre, das größere Relevanz in seiner eigen musikalischen Aussage aufwiese, - in dem Sinn, dass diese Bezug auf Grundfragen der menschlichen Existenz nimmt, wie das ja auch Heines Lyrik tut. Könnte, so frage ich mich, die Tatsache, dass die Lieder von Robert Franz der Vergessenheit anheimgefallen sind, vielleicht auch damit zusammenhängen, dass seine Liedmusik keinen tieferen Gehalt in diesem Sinne aufweist?
    Obwohl man sich ja inzwischen hier im Kunstliedforum ein wenig abseitig vorkommt, wenn man über Liedmusik nachdenkt, möchte ich auf diese Frage noch einmal kurz eingehen, wenn die Betrachtung der Franz-Lieder abgeschlossen ist (was bald der Fall sein wird). Sie drängt sich ja regelrecht auf, wenn man die Heine-Vertonungen von Franz mit denen Schumanns vergleicht.

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