Muß man gläubig sein, um geistliche Musik wahrhaft interpretieren zu können?

  • Für mich auch, rein von der Musik her kann ich das ja noch am ehesten verstehen, aber auch vom Text her? ?(


    LG Fiesco

    Ich müsste einmal länger darüber nachdenken, warum dies so ist (nicht am frühen Morgen :)). Vermutlich finde ich die Texte einfach sehr emotional ergreifend und dramatisch, mehr noch als Opern. Ich war jedenfalls bei den Messdienern und als kleines Kind wollte ich aus der Kinderbibel immer die Leidensgeschichte vorgelesen bekommen.

  • Ich war jedenfalls bei den Messdienern und als kleines Kind wollte ich aus der Kinderbibel immer die Leidensgeschichte vorgelesen bekommen.


    Im Jargon der Gegenwart nennt man das "angefixt".... :stumm::baeh01::untertauch:


    mfg aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Für mich auch, rein von der Musik her kann ich das ja noch am ehesten verstehen, aber auch vom Text her? ?(


    LG Fiesco


    Für mich funktioniert es auch. Ich bin Atheist, seitdem mein kritischer Geist mit Einsetzen der Adoleszenz erwachte und ich den Kinderglauben, der mir von meinem Elternhaus vermittelt wurde, endgültig verlor. Ich glaube weder an den christlichen Gott, noch an irgendein anderes göttliches Wesen oder eine andere Form von übernatürlicher Instanz. Trotzdem liebe ich geistliche Musik (und auch sakrale Kunst), seit ich überhaupt begonnen habe, mich mit klassischer Musik zu befassen. Und selbstverständlich spielt auch der durch den Text vermittelte Gehalt dabei eine wichtige Rolle. Geistliche Musik ist schließlich immer "Programmmusik", die man m.E. unabhängig von Text und Intention gar nicht hören kann. Wie funktioniert das? Nun, für mich ist die christliche Religion ein Mythos wie viele andere, und zwar ein in vielen Aspekten sehr schöner und ergreifender, wenn er z.B. vom Leiden Christi oder von der Trauer der Mutter angesichts ihres gekreuzigten Sohnes spricht. Auch wenn ich nicht glaube, dass da wirklich ein Sohn Gottes involviert war, berührt mich diese Geschichte. Ebenso wie mich etwa der Orpheus-Mythos sehr berührt und ich Monteverdis oder Glucks Auseinandersetzungen mit diesem Stoff über alles liebe, auch wenn ich nicht daran glaube, dass da wirklich einmal ein Mensch in die Unterwelt hinabgestiegen ist, um seine verstorbene Geliebte ins Leben zurückzuholen. Diese Musik höre ich ja auch nicht unabhängig vom Text. Und auch wenn ich nicht an ein jüngstes Gericht oder ein Leben nach dem Tode glaube, so erschüttert es mich doch jedes Mal aufs Neue, wenn ich das Dies irae eines Requiems höre.

    Der Traum ist aus, allein die Nacht noch nicht.

  • Als Beispiel sehe ich für mich Mahler an, der zwar immer noch vom Christentum geprägt ist, aber nach meinem Empfinden ohne feste konfessionelle Bindung (und schon gar nicht im Judentum verwurzelt) komponiert. Das ist ein Schritt in die Richtung eines 'universellen Monotheismus'. Was muss man denn sein, um die II. Mahler richtig interpretieren zu können?

    Mahler finde ich in dem Zusammenhang wirklich faszinierend: seine "christlich"(?) inspirierten Texte wie in der 2. feiern einen Glauben, der sich sehr stark auf die einzelne Seele und Gott bezieht, wo aber niemals von Jesus bzw Christus die Rede ist! ist das christlich? Religiös ist es allerdings!
    Noch weiter getrieben in der Symphonie der Tausend, wo ein vom katholischen Pfingsthymnus sturmreif geschossener Geist in einer Art religiöser Opernszene "das Ewigweibliche" besingt. Wenn das nicht gläubig, nicht religiös ist, was soll das Wort "gläubig" sonst bedeuten? und dennoch gibt es die religiöse Institution nicht, wo das seinen Platz findet. Außer vielleicht die vielzitierte "Kunstreligion"....

    Aber man muß die geistige Dimension, die religiöse Einstellung, mitvollziehen und nacherleben können, die dem Musikstück zugrunde liegt.

    das denke ich auch, und das macht für mich auch die für einen im Verstand agnostischen Menschen wie mich sehr knorrige Sprache z.B. eines Luther aus: damals haben sie andere Worte benutzt, andere Bilder, und wenn ich mich da hineinversetze, finde ich eigentlich grundmenschliche Empfindungen darin: Hoffnung, auch Zerknirschung, Zuversicht auf Gnade, ein Aufgehobensein in einem gutgemeinten Ganzen - letztlich spirituelle Inhalte, für die es über die Jahrtausende immer andere Ausdrucksformen gab.
    Letztendlich ist sogar ein marxistisch verstandener Beethoven eine gläubige Veranstaltung, insofern er den Glauben ausdrückt, daß es mit dem Menschen wenigstens gut gemeint sein kann.

    Die englischen Stimmen ermuntern die Sinnen
    ermuntern die Sinnen
    daß Alles für Freuden erwacht.
    (G.Mahler, 4. Symphonie)

  • Letztendlich ist sogar ein marxistisch verstandener Beethoven eine gläubige Veranstaltung, insofern er den Glauben ausdrückt, daß es mit dem Menschen wenigstens gut gemeint sein kann.

    Das bezweifle ich stark. Wenn Beethoven marxistisch verstanden wird, kann von einem Glauben im religiösen Sinne schon mal keine Rede sein. Und vor allem kann keine Rede von dem Glauben, dass es mit dem Menschen irgendwie »gemeint« sein kann, egal ob gut oder schlecht. Denn damit es mit dem Menschen irgendwie »gemeint« sein kann, muss es einen oder zumindest etwas geben, dass es mit dem Menschen »meinen« kann. Eben diese Vorstellung ist aber im Marxismus nicht möglich.

  • Der realexistierende Marxismus ist aber auch eine Ideologie und Machtform, die mit quasireligiösen Verheissungen und Ritualen arbeitet. Paradisische Zustände, wenn erst die Weltrevolution gelungen ist, alle Menschen werden Brüder, etc. etc.

    Er hat Jehova gesagt!

  • Er hat erklärt, dass eine marxistische Interpretation mit dem Glauben, dass es »mit dem Menschen gut gemeint« sein könne, kompatibel sei. Und das ist ganz klar nicht der Fall, wie ich gezeigt habe. Dass der Marxismus auch gewisse Elemente enthält, die man als religiös interpretieren kann, spielt für diese Einschätzung gar keine Rolle. Zumal es sich ja in Wahrheit um religiöse Elemente handelt, die er aufnimmt und in seinem Sinne neu deutet und anwendet, weil sein Ziel die Lösung der Menschheitsprobleme ist, zu der er in den Religionen, vor allem in der jüdischen und der christlichen, verwandte Ansätze zu erkennen meint.

  • Denn damit es mit dem Menschen irgendwie »gemeint« sein kann, muss es einen oder zumindest etwas geben, dass es mit dem Menschen »meinen« kann. Eben diese Vorstellung ist aber im Marxismus nicht möglich.

    Vielleicht die Führungsschicht.

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  • Ich finde, gewisse Minimalkenntnisse über einen Gegenstand sollten schon vorhanden sein, wenn man sich zu ihm äußern will. Oder bin ich da zu streng?

  • Uns ist allen bekannt, dass der realexistierende Marxismus "idealerweise" zu einem Staatsatheismus führt. Du bist nicht streng sondern eher herablassend.

    Er hat Jehova gesagt!

  • Uns ist allen bekannt, dass der realexistierende Marxismus "idealerweise" zu einem Staatsatheismus führt. Du bist nicht streng sondern eher herablassend.


    Wem ist das bekannt? Mir nicht.


    kurzstueckmeister: Nach Fans steht mir nicht so sehr der Sinn. Aber woraus sich ergibt, dass einer sich als »Kommunikationspolizei« (was immer das sein mag) installieren will, wenn der darauf hinweist, dass einige Aussagen einfach nicht stimmen, ist mir nicht ganz klar. Lässt sich das erklären?

  • @ Kurzstückmeister
    Ich nehme nicht an, daß Imhotep vorhat länger als bis zum 8. 1. hier zu bleiben, denn dann müsste er seine Identität lüften.
    Das wird er vermutlich nicht wollen.
    So freuen wir uns bis dahin über die Aufmerksamkeit, die er uns schenkt, denn eine sympathische Ausstrahlung gepaart mit Diplomatie und ein scharfer und gleichzeitig scharfzüngiger Verstand, gepaart mit einer Prise Überheblichkeit und Ironie sind zwei paar Schuhe. Man kann nicht alles haben im Leben.
    Allerdings bin ich mir zu 99% sicher, zu wissen wer da schreibt. Der herablassend -ironische Schreibstil ist IMO geradezu unverkennbar.
    Das klingt jetzt beleidigend - und ich stelle hier gleich fest - daß das nicht so gemeint ist, denn jeder ist wie er eben ist, denn ich bin mir auch der Vorzüge von Imhotep durchaus bewusst. (Allein die Namensgebung war schon ein Geistesblitz, den ich durchaus zu würdigen weiß)
    Und daß man aus seiner Haut nicht raus kann, das wird jeder, der ein "kantiges Profil" hat selber wissen.
    Meine PERSÖNLICHE Annahme ist übrigens dahingehend, daß er über den Marxismus mehr weiß als wir alle miteinander. :stumm::untertauch::P


    PACE !!!
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !




  • Sollte das Jörg Neumann sein ...?!? 8-)

    "Es ist nicht schwer zu komponieren.
    Aber es ist fabelhaft schwer, die überflüssigen Noten unter den Tisch fallen zu lassen"
    Johannes Brahms

  • Er hat erklärt, dass eine marxistische Interpretation mit dem Glauben, dass es »mit dem Menschen gut gemeint« sein könne, kompatibel sei. Und das ist ganz klar nicht der Fall, wie ich gezeigt habe.

    was Du "gezeigt" hast, ist richtig, wenn man "Glauben" so versteht, wie es die monotheistischen Religionen tun. Nun gibts aber auch Religionen ganz ohne Gott (Buddhismus) oder mit vielen Göttern.
    (oder goethehaft: ohne Religion - aus Religion)
    Für den von mir gemeinten Zusammenhang reicht der Glaube an das Gute im Menschen, der ja jeder menschenfreundlichen Utopie irgendwie zugrundeliegen muss.
    einen Glauben, den meines Wissens Beethoven geteilt hat, gepaart mit einem Ethos, das seine Werke ganz klar in den Kontext stellt, der Emanzipation des Menschen von als schicksalshaft empfundenen Zwängen zu dienen.

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    (G.Mahler, 4. Symphonie)

  • Ein Glaube im religiösen Sinne ist ein Glaube im religiösen Sinne. Den gibt es im Marxismus logischerweise nicht. Man kann an einen Gott glauben oder an viele, an Geister oder Dämonen, all das ist ein Glaube in dem Sinne, wie er im Marxismus nicht vorkommt. Übrigens im streng verstandenen Buddhismus auch nicht. Denn es gibt keinen Gott und nichts Ähnliches, woran man glauben kann. Dass es trotzdem eine Vielzahl von Göttern und Geister in der volkstümlichen Religion git, ändert daran nichts, bringt aber wieder das Element des Glaubens ins Spiel, das der Buddha ausdrücklich abgelehnt hat. (Er hat verlangt, dass man seine Lehren nicht glaubt, sondern erst dann annimmt, wenn man sich von ihrer Richtigkeit überzeugt hat.) Der Buddhismus hat Methoden entwickelt, mit solchen scheinbaren Widersprüchen umzugehen. Aber das ist eine ganz andere Sache.


    Die Angelegenheit ist auch viel leichter: Um an etwas oder jemanden zu glaube, muss etwas oder jemand da sein, an das oder den ich glaube. Wenn ich glaube, dass es mit dem Menschen irgendwie gemeint ist, muss ich an etwas oder jemanden glauben, der es mit den Menschen irgendwie gemeint haben kann. Da ein solche Glaube im Marxismus ausgeschlossen ist, ist er ausgeschlossen. Da muss man nicht lange diskutieren.


    Übrigens ist es keineswegs zwingend, dass der Glaube an »das Gute im Menschen« jeder »menschenfreundlichen Utopie« zugrunde liegen muss. Der Marxismus geht nicht von einem Glauben an »das Gute im Menschen« aus, sondern erklärt (in der überaus wichtigen 6. Feuerbachthese), dass der Mensch »seinem Wesen nach das Ensemble der gesellschaftlichen Verhältnisse« sei. Das hat mit einem Glauben an »das Gute im Menschen« nichts zu tun und schließt ihn geradewegs aus. Vielmehr heißt es: ob der Mensch gut oder schlecht ist, hängt von den jeweiligen gesellschaftlichen Verhältnissen ab, in denen er existiert. Aber selbst wenn der Marxismus den Glauben an »das Gute im Menschen« voraussetzen oder auch nur zulassen würde, wäre damit nicht gesagt, das es irgendwer oder irgendwas mit dem Menschen irgendwie gemeint haben könnte oder müsste. Das kann, wie ich gezeigt habe, einer marxistischen Interpretation der Beethovenschen Werke nicht zugrunde liegen. (Ob es richtig ist, oder ob es sinnvoll ist, eine solche Idee der Interpretation Beethovens zugrunde zu legen, ist eine andere Frage. Sicher ist, dass sie dann keine marxistische sein kann. – Um die Möglichkeit, ein Missverständnis zu produzieren, auszuschließen: Ich plädiere nicht für eine solche marxistische Interpretation, ich finde nur, wenn man Begriffe ins Spiel bringt, sollten sie auch stimmen und auf Kenntnis beruhen.)

  • Übrigens ist es keineswegs zwingend, dass der Glaube an »das Gute im Menschen« jeder »menschenfreundlichen Utopie« zugrunde liegen muss. Der Marxismus geht nicht von einem Glauben an »das Gute im Menschen« aus, sondern erklärt (in der überaus wichtigen 6. Feuerbachthese), dass der Mensch »seinem Wesen nach das Ensemble der gesellschaftlichen Verhältnisse« sei.

    Ja.... Bis auf die ungenaue Zitation. Marx spricht nicht vom "Menschen", sondern vom "menschlichen Wesen". Dazu mehr s.u.! ;)

    Vielmehr heißt es: ob der Mensch gut oder schlecht ist, hängt von den jeweiligen gesellschaftlichen Verhältnissen ab, in denen er existiert.

    Das interpretiere ich anders. In der 6. Feuerbach-These wird Feuerbachs Fixierung auf den Menschen als Individuum kritisiert. Dagegen sagt die 6. Feuerbach-These (Punkt 2): Der Mensch muss anders als bei Feuerbach als "Gattungs"-Wesen betrachtet werden. Ob ein Mensch gut oder schlecht ist, betrifft aber das Individuum und gar nicht die "Gattung". Das "menschliche Wesen" ("Wesen" meint in der aristotelischen Tradition immer die Gattungsdefinition) ist bei Marx als "Ensemble der gesellschaftlichen Verhältnisse" definiert, also der Mensch als Gattung und gerade nicht als Individuum.


    Die These, dass die gesellschaftlichen Verhältnisse determinieren, ob ein Mensch (gemeint ist ein Individuum) gut oder schlecht ist, ist auch nicht Marx, sondern die Position des Determinismus und Materialismus, die J.G. Fichte ("Einleitung in die Wissenschaftslehre" von 1798) als Gegenposition zum Idealismus markiert. In der Frühschrift von Karl Marx, den "Pariser Manuskripten" von 1849, sagt Marx mit Blick auf den Materialismus aber, dass seine Philosophie, die er als "Naturalismus" definiert, die "vereinigte Wahrheit" von Idealismus und Materialismus sei.


    Das kann man sich klar machen mit dem bei Marx zentralen Begriff der "Entfemdung", den Marx durch seine Hegel-Interpretation gewonnen hat. Die gesellschaftichen Verhältnisse "determinieren" das menschliche Verhalten nicht im vulgärmaterialistischen Sinne, sie bestimmen lediglich den Grad der Entfremdung. Auch ein "guter Mensch" ist, wenn er in einer kaptialistischen Gesellschaft lebt, entfremdet, d.h. er ist dann verzweifelt z.B. oder ein wütender Kritiker, oder wird dazu gezwungen, Dinge zu tun, die er eigentlich nicht tun will - wenn er z. B. Brot stehlen muss, wenn er Hunger hat wie das arme Mädchen aus Chaplins Film "Modern Times". Keine Gesellschaft - auch die schlechteste nicht - zwingt den Menschen dazu, ein nicht guter sondern schlechter Mensch zu sein. :hello:


    Schöne Grüße
    Holger

  • Übrigens ist es keineswegs zwingend, dass der Glaube an »das Gute im Menschen« jeder »menschenfreundlichen Utopie« zugrunde liegen muss. Der Marxismus geht nicht von einem Glauben an »das Gute im Menschen« aus, sondern erklärt (in der überaus wichtigen 6. Feuerbachthese), dass der Mensch »seinem Wesen nach das Ensemble der gesellschaftlichen Verhältnisse« sei.

    das sind so Feinheiten... die aber nix daran ändern, daß man schon mal grundsätzlich für möglich halten muss, daß der Mensch zu sozialem, nicht nur im kapitalistischen Sinne egoistischem Verhalten befähigt ist (auch wenn die Verhältnisse das befördern oder verhindern können, schon klar), wenn man eine Utopie wie die sozialistische verfolgt. nicht zuletzt daran scheiden sich die Geister zum bürgerlichen Konservatismus, der ja tendenziell den Menschen für unveränderlich hält.

    ich finde nur, wenn man Begriffe ins Spiel bringt, sollten sie auch stimmen und auf Kenntnis beruhen.

    was würde ich nur ohne Deine freundlichen Hinweise auf meine Unkenntnis tun?

    Die englischen Stimmen ermuntern die Sinnen
    ermuntern die Sinnen
    daß Alles für Freuden erwacht.
    (G.Mahler, 4. Symphonie)

  • Banner Trailer 2 Gelbe Rose

  • Ein Beispiel, wo der religiöse Geist nicht getroffen ist - von der sehr sympathischen und ansonsten von mir sehr geschätzten Ragna Schirmer.


    Sposalizio - nach einem Raffael-Gemälde der Vermählung Marias - da muss man den romantisch-hymnischen Ton kontemplativer Andacht treffen. Das gelingt ihr leider gar nicht!


    Schöne Grüße
    Holger

  • Religiös ist nicht identisch mit gläubig.


    Schade, dass Du die CD (oder YouTube-Einspielung) nicht zum Mithören eingestellt hast.

    Wer die Musik sich erkiest, hat ein himmlisch Gut bekommen (gewonnen)... Eduard Mörike/Hugo Distler

  • Das interpretiere ich anders.


    Das kann man tun. Aber hier ging es um den Marxismus, nicht um eine mögliche Marx-Interpretation. Und außerdem ging es um die Frage, ob der Marxismus den Glauben haben kann, dass es mit dem Menschen gut gemeint ist. Dass er diesen Glauben nicht hat, ist vollkommen klar und geht aus dieser These (und vielen, vielen weiteren entsprechenden Äußerungen) unmissverständlich hervor. Damit ist die Frage beantwortet.


    (Die Frage, wie der Marxismus die gesellschaftliche Determination des Handelns sieht und begründet, ist eine andere, die m. E. nicht hierher gehört, jedenfalls nicht angesprochen ist. Aber es stimmt nicht, dass der Marxismus dem Individuum allein die Verantwortung für sein Handeln aufbürden würde. Das ist neoliberale Ideologie und hat nichts mit dem Marxismus zu tun. Aber das nur nebenbei.)

  • Schade, dass Du die CD (oder YouTube-Einspielung) nicht zum Mithören eingestellt hast.

    Hier bei jpc (aufs Bild mit der Maus klicken) kannst Du Dir wenigstens die Hörschnipsel anhören - das reicht natürlich nicht fürs ganze Stück. Bei Youtube gibt es das leider nicht. :hello:



    Schöne Grüße
    Holger

  • Das kann man tun.

    Das kann man nicht nur tun, das muss man, wenn es um richtig oder falsch geht.

    Und außerdem ging es um die Frage, ob der Marxismus den Glauben haben kann, dass es mit dem Menschen gut gemeint ist. Dass er diesen Glauben nicht hat, ist vollkommen klar und geht aus dieser These (und vielen, vielen weiteren entsprechenden Äußerungen) unmissverständlich hervor. Damit ist die Frage beantwortet.

    Ja, nur die Begründung mit der 6. Feuerbach-These war definitiv falsch. Der Marxismus setzt auf eine Veränderung der gesellschaftlichen Verhältnisse, und als deren Folge ändert sich dann auch der Mensch oder soll es jedenfalls. Er braucht keine Bildungs- und Erziehungsprogramme, die auf das Individuum zielen, das sich erst einmal zu einem besseren Menschen entwickeln müsste im Sinne des Idealismus von Schiller etwa.

    Aber es stimmt nicht, dass der Marxismus dem Individuum allein die Verantwortung für sein Handeln aufbürden würde. Das ist neoliberale Ideologie und hat nichts mit dem Marxismus zu tun. Aber das nur nebenbei.

    Der marxistische Revolutionär rechtfertigt sich damit, dass er die "Notwendigkeit" und die Gesetze der Weltgeschichte vollstreckt, für das das Individuum natürlich nicht die Verantwortung hat, denn es sind ja die Gesetze der Geschichte. (Auch die Problematik der Geschichte wird in der 6. Feuerbach-These angesprochen.) Die Kritik kommt dann bekanntlich vom Existenzialismus, etwa von Albert Camus, der die Verantwortung des Individuums gegen den Marxismus ins Spiel bringt.


    Nur wenn es um die Utopie des "Reichs der Freiheit" geht, stellt sich die Frage dann radikaler, ob es dafür nicht eines "neuen Menschen" bedarf, der über die Alternative guter oder schlechter Mensch im gewohnten Sinne hinaus ist.


    P.S. Der Marxismus ist ein Hegelianismus. Und bei Hegel dreht sich alles um das Allgemeine. Hegel hat das in dem schönen Satz zusammengefasst: "Die Wahrheit des Individuums ist sein Tod!"


    Schöne Grüße
    Holger

  • Zitat von Nietzsche:

    Zitat

    In dieser Woche habe ich dreimal die Matthäuspassion des göttlichen Bach gehört, jedesmal mit demselben Gefühl der unermesslichen Verwunderung. Wer das Christentum völlig verlernt hat, der hört es hier wirklich wie ein Evangelium.

  • Muss man gläubig sein, um geistliche Musik wahrhaft interpretieren zu können? lautet die Frage.


    Mit geistlich wird "christlich" gemeint sein. Ich weite den Gedanken und denke jede Musik mit sakralem, geweihtem und daher heiligen, religiösen Zwecken dienendem Hintergrund gehört dazu. Ich schliesse alle Religionen mit ein.


    Den ganzen Thread habe ich gelesen. Die zitierten Worte aus farinellis Parabel (Beitrag 71) haben mich am meisten angesprochen.


    * * * * *


    Joachim Ernst Berendt hat eine Sammlung mit geistlicher Musik aus verschiedenen Kulturen zusammengestellt: Stimmen! Stimmen! Der riesige Ruf.


    Sie erinnert mich an das Universelle, Verbindende in der Musik.


    Vor Schuberts Musik stürzt die Träne aus dem Auge, ohne erst die Seele zu befragen:
    so unbildlich und real fällt sie in uns ein. Wir weinen, ohne zu wissen warum; Theodor W. Adorno - 1928