Anmerkung hierzu:
Der zugrundeliegende Text stellt eine Montage dar, bei der Mahler sich in großer Eigenmächtigkeit einschließlich eigener Wortschöpfungen zweier Wunderhorn-Gedichte bedient hat. Die Vermutung des Mahler-Freundes Siegfried Lipiner, dass es hier um die Begegnung eines Mädchens mit dem Geist eines Soldaten gehe, dürfte abwegig sein. Mahler hat ihr – wie Natalie Bauer- Lechner berichtet – zu Recht widersprochen. Die Liedmusik lässt in der Art und Weise, wie sie den beiden Personen zugeordnet ist und die Begegnung der beiden in Gestalt motivischer Verflechtung reflektiert, recht eindeutig – und auf beeindruckende Weise – vernehmen, dass hier ein „Herzallerliebster“ bei einem Mädchen Einlass findet, um sich danach als in den Krieg ziehender Soldat in der Ahnung, dass er dort den Tod finden wird, zu verabschieden.
Für mich hat daran auch nie ein Zweifel bestanden. Auch wenn Mahler - wie uns Helmut verdeutlicht - dem selbst widersprochen hat. Interpretation kann kann nach meiner Überzeugung weiter gehen, auch über die eigentlichen Intentionen des Schöpfers hinaus. Sonst müsste es ja immer genau so sein wie bei einer Uraufführung. Aus dem Vortrag von Christa Ludwig, begleitet von Otto Klemperer, meine ich die Oehlmannsche Deutung genau herauszuhören. Schon der Beginn ist wie der Ruf aus dem Jenseits. Einer der unheimlichsten Momente, die ich bei Mahler kenne. Dieses Lied hat für mich nichts Irdisches mehr. Wo sonst sollten die "schönen Trompeten" blasen?
Ich habe mal die beiden zugrunde liegenden Gedichte aus Des Knaben Wunderhorn herausgesucht. In fetter Schrift sind die Textanteile markiert, die Mahler dann original oder mehr oder weniger verändert übernommen hat.
Unbeschreibliche Freude.
(Mündlich. III. Band, Kapitel 81)
Wer ist denn draussen und klopfet an?
Der mich so leise wecken kann?
Das ist der Herzallerliebste dein,
Steh auf und laß mich zu dir ein.
Das Mädchen stand auf, und ließ ihn ein,
Mit seinem schneeweissen Hemdelein;
Mit seinen schneeweissen Beinen,
Das Mädchen fing an zu weinen.
Ach weine nicht, du Liebste mein,
Aufs Jahr sollt du mein eigen seyn;
Mein eigen sollt du werden,
O Liebe auf grüner Erden.
Ich wollt daß alle Felder wären Papier,
Und alle Studenten schrieben hier;
Sie schrieben ja hier die liebe lange Nacht,
Sie schrieben uns beiden die Liebe doch nicht ab.
Bildchen.
(III. Band, Kapitel 61)
Auf dieser Welt hab ich keine Freud,
Ich hab einen Schatz und der ist weit,
Er ist so weit, er ist nicht hier,
Ach wenn ich bei mein Schätzgen wär!
Ich kann nicht sitzen und kann nicht stehn,
Ich muß zu meinem Schätzgen gehn;
Zu meinem Schatz, da muß ich gehn,
Und sollt ich vor dem Fenster stehn.
Wer ist denn draussen, wer klopfet an?
Der mich so leis aufwecken kann;
Es ist der Herzallerliebster dein,
Steh auf, steh auf und laß mich rein!
Ich steh nicht auf, laß dich nicht rein,
Bis meine Eltern zu Bette seyn;
Wenn meine Eltern zu Bette seyn,
So steh ich auf und laß dich rein.
Was soll ich hier nun länger stehn,
Ich seh die Morgenröth aufgehn;
Die Morgenröth, zwey helle Stern,
Bey meinem Schatz, da wär ich gern.
Da stand sie auf und ließ ihn ein,
Sie heißt ihn auch willkommen seyn;
Sie reicht ihm die schneeweiße Hand,
Da fängt sie auch zu weinen an.
Wein nicht, wein nicht mein Engelein!
Aufs Jahr sollst du mein eigen seyn;
Mein eigen sollst du werden gewiß,
Sonst keine es auf Erden ist.
Ich zieh in Krieg auf grüne Haid,
Grüne Haid die liegt von hier so weit,
Allwo die schönen Trompeten blasen;
Da ist mein Haus von grünem Rasen.
Ein Bildchen laß ich mahlen mir,
Auf meinem Herzen trag ichs hier;
Darauf sollst du gemahlet seyn,
Daß ich niemal vergesse dein.
So gesehen, neige ich dazu, diese textlichen Vorlagen und die beschriebenen Geschehnisse sehr diesseitig zu finden. Selbst die erwähnte Todesahnung des Soldaten wäre für mich nicht so eindeutig belegbar. Bedenkt man die Entstehungszeit der Wunderhorn-Gedichte, mag das "Haus von grünem Rasen" auch simpel auf ein Zelt/Biwak in freier Natur referenzieren, in dem Soldaten im Felde sicherlich genächtigt haben...
Aber das mag G. Mahler schon anders empfunden und bei der Komposition intendiert haben... und jeder Hörer hat seine eigene, begründete Sicht auf dieses Lied...
Gibt es weitere KLAVIER-Versionen, dieses Liedes, die Euch besonders beindrucken? Der Vergleich mit den Orchesterliedern hinkt leider immer etwas...