Das Kunstlied im Interpretenvergleich

  • Anmerkung hierzu:
    Der zugrundeliegende Text stellt eine Montage dar, bei der Mahler sich in großer Eigenmächtigkeit einschließlich eigener Wortschöpfungen zweier Wunderhorn-Gedichte bedient hat. Die Vermutung des Mahler-Freundes Siegfried Lipiner, dass es hier um die Begegnung eines Mädchens mit dem Geist eines Soldaten gehe, dürfte abwegig sein. Mahler hat ihr – wie Natalie Bauer- Lechner berichtet – zu Recht widersprochen. Die Liedmusik lässt in der Art und Weise, wie sie den beiden Personen zugeordnet ist und die Begegnung der beiden in Gestalt motivischer Verflechtung reflektiert, recht eindeutig – und auf beeindruckende Weise – vernehmen, dass hier ein „Herzallerliebster“ bei einem Mädchen Einlass findet, um sich danach als in den Krieg ziehender Soldat in der Ahnung, dass er dort den Tod finden wird, zu verabschieden.


    Für mich hat daran auch nie ein Zweifel bestanden. Auch wenn Mahler - wie uns Helmut verdeutlicht - dem selbst widersprochen hat. Interpretation kann kann nach meiner Überzeugung weiter gehen, auch über die eigentlichen Intentionen des Schöpfers hinaus. Sonst müsste es ja immer genau so sein wie bei einer Uraufführung. Aus dem Vortrag von Christa Ludwig, begleitet von Otto Klemperer, meine ich die Oehlmannsche Deutung genau herauszuhören. Schon der Beginn ist wie der Ruf aus dem Jenseits. Einer der unheimlichsten Momente, die ich bei Mahler kenne. Dieses Lied hat für mich nichts Irdisches mehr. Wo sonst sollten die "schönen Trompeten" blasen?


    Ich habe mal die beiden zugrunde liegenden Gedichte aus Des Knaben Wunderhorn herausgesucht. In fetter Schrift sind die Textanteile markiert, die Mahler dann original oder mehr oder weniger verändert übernommen hat.


    Unbeschreibliche Freude.
    (Mündlich. III. Band, Kapitel 81)


    Wer ist denn draussen und klopfet an?
    Der mich so leise wecken kann?
    Das ist der Herzallerliebste dein,
    Steh auf und laß mich zu dir ein.


    Das Mädchen stand auf, und ließ ihn ein,
    Mit seinem schneeweissen Hemdelein;
    Mit seinen schneeweissen Beinen,
    Das Mädchen fing an zu weinen.


    Ach weine nicht, du Liebste mein,
    Aufs Jahr sollt du mein eigen seyn;
    Mein eigen sollt du werden,
    O Liebe auf grüner Erden.


    Ich wollt daß alle Felder wären Papier,
    Und alle Studenten schrieben hier;
    Sie schrieben ja hier die liebe lange Nacht,
    Sie schrieben uns beiden die Liebe doch nicht ab.


    Bildchen.
    (III. Band, Kapitel 61)


    Auf dieser Welt hab ich keine Freud,
    Ich hab einen Schatz und der ist weit,
    Er ist so weit, er ist nicht hier,
    Ach wenn ich bei mein Schätzgen wär!


    Ich kann nicht sitzen und kann nicht stehn,
    Ich muß zu meinem Schätzgen gehn;
    Zu meinem Schatz, da muß ich gehn,
    Und sollt ich vor dem Fenster stehn.


    Wer ist denn draussen, wer klopfet an?
    Der mich so leis aufwecken kann;
    Es ist der Herzallerliebster dein,
    Steh auf, steh auf und laß mich rein!


    Ich steh nicht auf, laß dich nicht rein,
    Bis meine Eltern zu Bette seyn;
    Wenn meine Eltern zu Bette seyn,
    So steh ich auf und laß dich rein.


    Was soll ich hier nun länger stehn,
    Ich seh die Morgenröth aufgehn;
    Die Morgenröth, zwey helle Stern,
    Bey meinem Schatz, da wär ich gern.


    Da stand sie auf und ließ ihn ein,
    Sie heißt ihn auch willkommen seyn;

    Sie reicht ihm die schneeweiße Hand,
    Da fängt sie auch zu weinen an.


    Wein nicht, wein nicht mein Engelein!
    Aufs Jahr sollst du mein eigen seyn;
    Mein eigen sollst du werden gewiß,
    Sonst keine es auf Erden ist.


    Ich zieh in Krieg auf grüne Haid,
    Grüne Haid die liegt von hier so weit,
    Allwo die schönen Trompeten blasen;
    Da ist mein Haus von grünem Rasen.


    Ein Bildchen laß ich mahlen mir,
    Auf meinem Herzen trag ichs hier;
    Darauf sollst du gemahlet seyn,
    Daß ich niemal vergesse dein.


    So gesehen, neige ich dazu, diese textlichen Vorlagen und die beschriebenen Geschehnisse sehr diesseitig zu finden. Selbst die erwähnte Todesahnung des Soldaten wäre für mich nicht so eindeutig belegbar. Bedenkt man die Entstehungszeit der Wunderhorn-Gedichte, mag das "Haus von grünem Rasen" auch simpel auf ein Zelt/Biwak in freier Natur referenzieren, in dem Soldaten im Felde sicherlich genächtigt haben...
    Aber das mag G. Mahler schon anders empfunden und bei der Komposition intendiert haben... und jeder Hörer hat seine eigene, begründete Sicht auf dieses Lied...


    Gibt es weitere KLAVIER-Versionen, dieses Liedes, die Euch besonders beindrucken? Der Vergleich mit den Orchesterliedern hinkt leider immer etwas...

    ... in diesem Sinne beste Grüße von orsini


    „Das Denken ist zwar allen Menschen erlaubt, aber vielen bleibt es erspart.“
    Curt Goetz

  • So gesehen, neige ich dazu, diese textlichen Vorlagen und die beschriebenen Geschehnisse sehr diesseitig zu finden.

    So sehe ich das auch! Und NBL ist eine anerkannt zuverlässige Quelle, da hat Helmut Hofmann Recht, darauf zu verweisen. Was dort steht ist Mahlers Auffassung, davon kann und darf man ausgehen. Da ich den Text, schaue ich nachher mal, ob ich die Stelle finde. Der gebrochene "Ton" der Liedvertonung ist natürlich so, dass die Endgültigkeit des Abschiedes mitschwingt. Die Feldwacht in "Schildwaches Nachtlied" ist eine "verlorene", dieser Soldat ist wohl auch verloren.


    Schöne Grüße
    Holger

  • Hallo!



    Es wäre sicher interessant, in einem gesonderten Thread über Gustav Mahlers Haltung zum Soldatischen und die Wirkung auf seine Musik zu diskutieren (wobei ich da sicherlich mehr mitlesen als beitragen würde). Denn was ich gefunden habe, ist eine Tetstelle in einer Dokumentarbiografie von Kurt Blaukopf, wo er einen Freund Mahlers, Guido Adler, zitiert:


    Zitat

    In Iglau ... wuchs der Knabe heran... Seine Phantasie wurde angeregt durch ... das muntere Treiben der Garnison, deren Signale symbolischer Bedeutung bei ihm gewannen. Morgen- und Abendappell, Rufe und Exerziermotive setzten sich bei ihm in Klangbilder um, die sich um die Gestalt des alten deutschen Landsknechtes verdichteten.


    Doch nun zum Interpretenvergleich:


    Eine Aufnahme mit Klavierbegleitung, die ich sehr schätze, die ich allerdings nicht in youtube finde, stammt von der CD "Behnd the Lines" von Anna Prohaska.



    Die Interpretation, die Präsenz und die Klavierbegleitung wirken klar und der "diesseitigen" Interpretation zugehörig. Die Betonung der "Berufung" wieder in den Krieg zu ziehen und diese Bestimmung der Liebe vorzuziehen ("Ich zieh´in Krieg..."), wird durch den kurzzeitig deutlich erkennbaren Marschrhythmus unterstrichen.


    Gruß WoKa

    "Die Musik drückt das aus, was nicht gesagt werden kann und worüber Schweigen unmöglich ist."


    Victor Hugo

  • So gesehen, neige ich dazu, diese textlichen Vorlagen und die beschriebenen Geschehnisse sehr diesseitig zu finden.


    Man sollte dabei aber bedenken, dass Mahler die Gedichte eben nicht unverändert vertont hat, sondern aus Teilen beider Gedichte eigentlich einen neuen Text geschaffen hat, wodurch sich auch die Bedeutung verändert. Und es ist sicher kein Zufall, dass er sein Lied dann mit den Zeilen enden lässt "Allwo die schönen Trompeten blasen; Da ist mein Haus von grünem Rasen." und nicht mit der in der Tat diesseitig-rührenden letzten Strophe des originalen Gedichtes.

    Der Traum ist aus, allein die Nacht noch nicht.

  • "Allwo die schönen Trompeten blasen; Da ist mein Haus von grünem Rasen." und nicht mit der in der Tat diesseitig-rührenden letzten Strophe des originalen Gedichtes.

    Es heißt aber bezeichnend "allwo" = "überall", lieber Bertarido. Da wird also gar kein fester Ort bezeichnet, wie es bei einer Grabstätte sein müsste, sondern überall, wo es Krieg gibt und die Trompeten blasen, ist sein Zuhause. Ich finde auch, dass es für die Oehlmann-Deutung einfach keinen eindeutigen Beleg gibt.


    Schöne Grüße
    Holger

  • "allwo" = "überall",

    nach dem Grimm Wörterbuch ist allwo einfach verstärktes "wo":


    "jener neptunischen stadt, allwo man geflügelte löwengöttlich verehrt."
    Göthe


    "allwo das skäische thor war"



    ansonsten scheint mir das "Haus vom grünen Rasen" eindeutig ein Grab zu bedeuten, siehe z.B.





    Ich grub ein Grab, legt ihn zur
    Ruh, Deckt ihn mit grünem Rasen zu


    Grabt mir ein Grab im Wasen, Deckt
    mich mit grünem Rasen



    (Die schöne Müllerin)


    Das heißt natürlich nicht, daß da ein toter Soldat erscheint. Sondern nachdem der Soldat seine Liebste getröstet hat auf "aufs Jahrs", sagt er dann doch, was ihm eigentlich bevorsteht.

  • nach dem Grimm Wörterbuch ist allwo einfach verstärktes "wo":

    Danke! :) Ich hab das Grimmsche Wörterbuch ja auch! ;)


    Aber - die Trompeten sind sehr diesseitig:


    https://www.vsl.co.at/de/Trumpet_in_C/Symbolism


    Darüber hinaus wird die Trompete von allen Instrumenten am meisten mit Macht assoziiert. Diese Machtsymbolik steht in besonderem Bezug zu Krieg und Herrschaft:


    Seit jeher demonstrieren Trompetenklänge militärische Stärke, sei es als Signalinstrument in der Schlacht, sei es in der Militärmusik. Unzählige Beispiele aus dem Orchesterrepertoire vermitteln eine Aura von Heldenmut, Kraft, Stärke, Dominanz, Triumph und hehre Gefühle, die sich auf männliche Akteure, Herrscher und Nationen bezieht.


    Hand in Hand mit der Kriegssymbolik geht das Bild der Trompete als Repräsentant von Herrschaft und sozialem Status.


    Schöne Grüße
    Holger

  • Bei Mahler und in der Textquelle ist aber ausdrücklich von "schönen Trompeten" die Rede.

    Es grüßt Rüdiger als Rheingold1876


    "Was mir vorschwebte, waren Schallplatten, an deren hohem Standard öffentliche Aufführungen und zukünftige Künstler gemessen würden." Walter Legge (1906-1979), britischer Musikproduzent

  • Hallo orsini!
    Eine Information, die sich ausschließlich (!) an Dich (als neues Mitglied dieses Forums) richtet:


    Als ich zu dem Kommentar, den Du Deiner Präsentation des Liedes "Wo die schönen Trompeten blasen" beigabst, Stellung nahm und dabei eine bestimmte Rezeption dieses Liedes als die von Mahler intendierte - und aus dem Notentext auch herauslesbare! - bezeichnete, stützte ich mich auf meine intensive Beschäftigung mit dieser Komposition. Was dabei herauskam, kannst Du, falls Du interessiert sein solltest, hier nachlesen:


    http://tamino-klassikforum.at/…ompeten+blasen#post575169
    http://tamino-klassikforum.at/…ompeten+blasen#post575313

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  • Das ist in der Tat interessant und hilfreich. Deshalb schauen wir uns nun die ganze Strophe an:


    O Lieb auf grüner Erden.
    Ich zieh’ in Krieg auf grüne Haid,
    die grüne Haide, die ist so weit!
    Allwo dort die schönen Trompeten blasen,
    da ist mein Haus,
    mein Haus von grünem Rasen!


    da 1. von einem die Rede, der die Absicht äußert, in den Krieg zu ziehen. Das tut kein Gespenst, das aus dem Grab herkommt.


    2. gibt es die Reihung


    grüner Erden
    grüne Haide
    grünem Rasen


    Was bedeutet das aber? Mir scheint das auf den Konflikt zweier Existenzweisen hinzudeuten - häusliches Glück und die Erfüllung des Soldatendaseins. Der Soldat sagt: Mein eigentliches Ziel ist nicht Haus und Familie, sondern ruhmvoll im Krieg zu sterben. Mein "Haus", meine Ruhestätte und mein Ziel ist eigentlich das Grab und nicht "Dein" Zuhause. Zugleich verspricht er aber dem armen Mädchen, dass er wegen des "höheren" weltlichen und nicht häuslichen Lebenszieles wegen verlässt, tröstend die Ehe. Was aber nun wirklich ein schwacher Trost ist und den Abschied nur um so trauriger macht. Bei Homer gibt es das Motiv in Bezug auf Achill: Lieber jung sterben und unsterblichen Ruhm erlangen als ein langes ruhmloses häusliches Leben. Auf jeden Fall ist wohl klar, dass es sich bei diesem Soldaten um einen Lebenden handelt und keinen Toten aus dem Jenseits.


    Schöne Grüße
    Holger

  • Hallo!


    Entschuldigt, wenn ich das einwerfe, aber der Vergleich wurde mir eben bewusst:


    Mein Großvater kam verletzt während des Krieges nach Hause und ging freiwillig wieder an die Front. Von wo er nicht mehr zurück kam.


    Das dürfte damit wohl in etwa gemeint sein?


    Gruß
    WoKa

    "Die Musik drückt das aus, was nicht gesagt werden kann und worüber Schweigen unmöglich ist."


    Victor Hugo

  • Mein eigentliches Ziel ist nicht Haus und Familie, sondern ruhmvoll im Krieg zu sterben.

    nur teilweise einverstanden. Auf eine "Freiwilligkeit" beim Soldaten wäre ich nicht gekommen. Er muß in den Krieg ziehen. Hätte ja andernfalls mit dem Ruhm argumentiert bzw. sich entschuldigt. das Lied ist ja - mit teilweise schubertschen Durpartien - durchweg tieftraurig. Vgl. z.B. Schumanns Grenadiere, da ist das anders, da ist ein heroischer Tod.

  • nur teilweise einverstanden. Auf eine "Freiwilligkeit" beim Soldaten wäre ich nicht gekommen. Er muß in den Krieg ziehen. Hätte ja andernfalls mit dem Ruhm argumentiert bzw. sich entschuldigt. das Lied ist ja - mit teilweise schubertschen Durpartien - durchweg tieftraurig. Vgl. z.B. Schumanns Grenadiere, da ist das anders, da ist ein heroischer Tod.

    Meist und in der Regel waren die Soldaten, von denen das Lied spricht, ja Söldner - auch im 30jährigen Krieg. Geändert hat sich das eigentlich erst durch die französische Revolution. Und die "schönen Trompeten" sprechen dafür, dass es hier um Ehre, Macht und etwas Erhabenes geht. Das zeigt sich ja auch die Parallele in "Schildwaches Nachtlied", die ich bemüht habe. Da steigert sich der Soldat in seiner Abwehrhaltung gegenüber der Versuchung sehr suggestiv hinein in seinen Dienst für König und Kaiser.


    Schöne Grüße
    Holger

  • P.S. Das Problem war nicht die Freiwilligkeit, sondern die skrupellosen Anwerbemethoden für Söldner, für die etwa die Preußen berüchtigt waren. Man ließ die Söldner, die sich nur für eine Zeit verdingt hatten, einfach nicht mehr los. Deshalb desertierten sie und wurden dann gehenkt. Das ist die Problematik beim "Tambourgsell".

  • Und die "schönen Trompeten" sprechen dafür, dass es hier um Ehre, Macht und etwas Erhabenes geht. Das zeigt sich ja auch die Parallele in "Schildwaches Nachtlied", die ich bemüht habe. Da steigert sich der Soldat in seiner Abwehrhaltung gegenüber der Versuchung sehr suggestiv hinein in seinen Dienst für König und Kaiser.

    das Lied von den "schönen Trompeten" spielt sich praktisch vollständig im leisen und sehr leisen Dynamikbereich ab. "Leise" ist Gesamt-Vortragsbezeichnung. Eine einzige, kurze laute, scharf dissonante Stelle, abgesehen von Akzenten, gibt es. Da ist nicht das geringste von Ehre, Macht etc. zu hören. In der Schildwache ist das ganz anders, das ist keine Parallele.

  • Zit. „In der Schildwache ist das ganz anders, das ist keine Parallele“


    Kinderstück hat recht. Beide Lieder sind, von ihrer kompositorischen Faktur und der liedkompositorischen Aussage her, im Grunde nicht vergleichbar.


    „Der Schildwache Nachtlied“ generiert sich – darin sich fundamental von dem hier anstehenden Lied unterscheidend - in seiner musikalischen Substanz aus der Konfrontation zweier Welten: Der realen, kriegerisch-aktionistischen, in der das harte „Muss“ der Pflicht und des Gehorsams gilt, und der anderen, in nächtlicher Imagination entworfenen, die sich aus der Vision des „Rosengartens“, des zärtlich-liebevollen Verkehrs der Menschen miteinander speist. „Waffengarten“ und „Rosengarten“ treten als sprachliche Antagonismen einander gegenüber, und Mahlers Liedmusik lässt dies auf höchst beeindruckende Weise sinnlich erfahrbar werden.


    Aber vielleicht wär´s ja ganz schön, wenn sich dieser Thread nun seinem eigentlichen Thema wieder zuwenden würde: Dem Vergleich der gesanglichen Interpretationen des von orsini eingebrachten Mahler-Liedes.

  • das Lied von den "schönen Trompeten" spielt sich praktisch vollständig im leisen und sehr leisen Dynamikbereich ab. "Leise" ist Gesamt-Vortragsbezeichnung. Eine einzige, kurze laute, scharf dissonante Stelle, abgesehen von Akzenten, gibt es. Da ist nicht das geringste von Ehre, Macht etc. zu hören. In der Schildwache ist das ganz anders, das ist keine Parallele.

    Es kommt darauf an, worauf man sich bezieht. Mir ging es um die Semantik. Es prallen in "Schildwaches Nachtlied" die Soldatenwelt und die Erotik aufeinander. Die Verführung, die den Soldaten von der Pflichterfüllung abhalten will, wird zurückgewiesen letztlich durch die autosuggestive Beschwörung von Macht und Ehre. In "Wo die schönen Trompeten blasen" haben wir auch einen Soldaten, der sich von der Liebe und Erotik nicht davon abhalten lässt, sein Soldatendasein weiter zu führen. Nur ist die Perspektive, unter der dieser Konflikt betrachtet wird, eine andere, nicht die der dramatischen Konfrontation, sondern die des resignativen und deshalb leise-schmerzvollen Abschieds sowie der empfindsamen Tröstung. Es ist aber im Grunde derselbe Konflikt. Die Suggestionskraft von Ehre und Macht ist da - aber in symbolischer Andeutung: "Wo die schönen Trompeten blasen" heißt ja nicht umsonst der Titel. (Solche Antithesen gibt es bei Mahler ja immer wieder wie die zwischen Natur und menschlicher Welt usw., das ist also typischer Mahler. :) )


    Schöne Grüße
    Holger

  • Lieber Helmut,
    vielen Dank für Deinen Verweis auf Deine Liedanalyse, die ich mit Gewinn gelesen und als Bereicherung beim vergleichenden Hören empfunden habe. Ich habe zu der Zeit zwar schon bei Tamino mitgelesen, aber manchmal vergißt man das naheliegendste... ;)
    Deinem Vorschlage folgend, möchte ich zwei weitere Interpretationen dieses Liedes vorstellen:


    Die erste Version stammt von Christian Gerhaher, begleitet von Gerold Huber. Es dürfte die gleiche Aufnahme sein, die auch als CD verfügbar ist.

    Die "schönen Trompeten" beginnen bei 18:56. Der folgende Link sollte direkt auf diese Stelle springen. Ich stehe dieser Version etwas ambivalent gegenüber. Schon die Einleitungstakte des Klaviers zerfallen in meinen Ohren zu sehr in einzelne Noten, eine rechte Linie will sich nicht einstellen. Gerhaher singt durchgehend mit schönem Ton, einige "R"s sind mir aber zu rollend und zu betont; sie zerstören den musikalischen Fluß (z.B. Morrrgenrrrröt, Sterrrn, Krrrrieg, grrrrün,... ). Die einzelnen Worte einer Phrase werden auch zu stark als einzelne Worte gesungen (für mich nicht ausreichend gebunden) - der Text bekommt dadurch etwas deklamierendes. Insgesamt wirkt der Ansatz auf mich eher prosaisch verglichen mit der Hampson-Aufnahme, so daß sie mich auch nicht so berührt wie die von Hampson.


    Das zweite Beispiel stammt von Margaret Price, begleitet von Geoffrey Parsons aus dem Jahre 1987 und ist auch auf CD erhältlich.

    Die "schönen Trompeten" beginnen bei 8:25. Der folgende Link sollte direkt auf diese Stelle springen. Price singt mit betörender Stimme in dieser perfekten Aufnahme. Der Text fließt ganz natürlich, man hat nicht das Gefühl, dass hier eine gewollte Interpretation vorgestellt wird. Je nach Situation changiert die Stimme zwischen glockenklarer Höhe (ohne das die Stimme jemals "dünn" klänge) und einer leicht verschatteten Tiefe. Die Wort-Ton-Bindung ist bei hervorragender Textverständlichkeit vorbildlich. Der an sich hoch artifizielle Gesang wirkt so, als wäre er eine ganz natürliche Ausdrucksform für Margaret Price. Insgesamt eine sehr poetische Aufnahme, die das Traumhafte des Textes wunderbar zur Geltung bringt. :hail::hail::hail:

    ... in diesem Sinne beste Grüße von orsini


    „Das Denken ist zwar allen Menschen erlaubt, aber vielen bleibt es erspart.“
    Curt Goetz

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  • Hallo Orsini!


    Erkläre doch bitte kurz, wie Du diese Links auf die jeweilige Stelle im youtube-Video setzt.


    Danke und Gruß
    WoKa

    "Die Musik drückt das aus, was nicht gesagt werden kann und worüber Schweigen unmöglich ist."


    Victor Hugo

  • Die "schönen Trompeten" beginnen bei 8:25. Der folgende Link sollte direkt auf diese Stelle springen. Price singt mit betörender Stimme in dieser perfekten Aufnahme. Der Text fließt ganz natürlich, man hat nicht das Gefühl, dass hier eine gewollte Interpretation vorgestellt wird. Je nach Situation changiert die Stimme zwischen glockenklarer Höhe (ohne das die Stimme jemals "dünn" klänge) und einer leicht verschatteten Tiefe. Die Wort-Ton-Bindung ist bei hervorragender Textverständlichkeit vorbildlich. Der an sich hoch artifizielle Gesang wirkt so, als wäre er eine ganz natürliche Ausdrucksform für Margaret Price. Insgesamt eine sehr poetische Aufnahme, die das Traumhafte des Textes wunderbar zur Geltung bringt. :hail: :hail: :hail:

    Das ist wirklich unglaublich gesungen! Und besser kann man das nicht beschreiben! :hail:


    Wo das Mädchen zu weinen anfängt hört man in diesem Lied übrigens sehr schön das jüdische Element bei Mahler. Darauf wird wohl Bernstein hingewiesen haben in seinen Vorlesungen.... :hello:


    Schöne Grüße
    Holger

  • Erkläre doch bitte kurz, wie Du diese Links auf die jeweilige Stelle im youtube-Video setzt.


    hallo WoKa,
    das ist eigentlich recht einfach:
    - Du suchst im youtube clip die entsprechende Stelle, wo die Wiedergabe starten soll und häst genau dort die Wiedergabe an
    - rechts unterhalb des nun gestoppten Bildes findest Du einen kleinen Pfeil und das Wort "Teilen" --> dort draufdrücken
    - im sich öffnenden Fenster findest Du unter der Zeile mit dem Link einen kleinen Kasten "Starten bei". Dort setzt Du einen Haken und klickst anschließend auf "Kopieren"
    - dann im Tamino-Editor markierst Du das Wort (z.B. Link oder was auch immer gerade passt) mit der Maus und klickst auf das Kettensymbol in der Menüleiste des Editors (unter Schriftart)
    - ein kleines Fenster geht auf, wo Du nur noch CTR-V (Einfügen des kopierten Textes aus der Zwischenablage) drücken mußt und mit OK bestätigen
    - fertig


    viele Grüße,
    orsini

    ... in diesem Sinne beste Grüße von orsini


    „Das Denken ist zwar allen Menschen erlaubt, aber vielen bleibt es erspart.“
    Curt Goetz

  • Hallo!


    Dir Orsini vielen Dank für die Erklärung.


    Ich war bereits versucht, das nächste Stück einzustellen, habe mich dann allerdings entschlossen, ein Fazit aus der Diskussion über dieses Lied von Gustav Mahler für mich zu formulieren. Dabei muss ich voran stellen, dass ich "Mahler-Laie" bin. Bitte nehmt es daher nicht als Majestätsbeleidigung (na ja, der Paragraf ist ja abgeschafft).


    Ich habe bei der Besprechung des Liedes viel gelernt - ich bin allerdings auch verwirrter als zuvor.


    Was hat Mahler hier gemacht? Er hat zwei Gedichte, die meines Erachtens sehr unterschiedlich sind, zu einem Gedicht "zusammengeschweißt".


    Ist das den Ursprungswerken angemessen?
    Ist es zulässig?
    Ist er bei weiteren Liedern ebenso vorgegangen?
    Ist Mahler dadurch auch ein Dichter?
    Reden wir über das, was Mahler aussagen wollte oder über die ursprünglichen Aussagen?
    Hat er es gut gemacht?


    Ich empfinde das Ergebnis nicht als schlüssig.


    Mein Zweifel bezieht sich beispielsweise auf diese Strophe:


    "Das Mädchen stand auf und ließ ihn ein;
    sie heißt ihn auch willkommen sein.
    Willkommen lieber Knabe mein,
    so lang hast du gestanden!"


    Hier fügt Mahler die Bezeichnung "Knabe" ein. Ist das nun ein erwachsener - sicherlich junger - Mann oder ein Knabe, ein männliches Kind? Für mich ist das nicht schlüssig.


    Ich weiß, dass diese Fragen nicht von der eigentlichen Zielsetzung des Threads abgedeckt sind. Dennoch...


    Gruß WoKa

    "Die Musik drückt das aus, was nicht gesagt werden kann und worüber Schweigen unmöglich ist."


    Victor Hugo

  • Hier fügt Mahler die Bezeichnung "Knabe" ein. Ist das nun ein erwachsener - sicherlich junger - Mann oder ein Knabe, ein männliches Kind? Für mich ist das nicht schlüssig.

    Lieber Woka,


    kurz ins Grimmsche Wörterbuch geschaut findet man als Bedeutung eben auch Knabe=Jüngling korrespondierend mit Mädchen=Jungfrau oder auch Knabe=Junggeselle. Die Bedeutung ist sicher nicht auf "männliches Kind" verengt. Die Sammlung heißt ja auch "Des Knaben Wunderhorn". Dazu morgen mehr! :hello:


    Schöne Grüße
    Holger

  • Lieber WoKa,


    Mahler hat nichts anderes gemacht als die Art mit den Textquellen umzugehen, genauso wie die Textsammlung "Des Knaben Wunderhorn" erstellt wurde. Arnim und Brentano haben auch schon fleißig Texte mit anderen kontaminiert sowie Eigendichtungen - ohne sie als solche auszuweisen - eingefügt. Der Romantik ging es um die Herstellung eines Volkslied-Idioms und nicht um philologische Objektivität im heutigen Sinne.


    Mahler hat Texte immer wieder modifiziert - auch beim "Lied von der Erde". Wenn man dagegen die Originalfassung von Bethge liest, sieht man, was für eine glückliche Hand Mahler dabei hatte. "Das klagende Lied" und die "Lieder eines fahrenden Gesellen" sind Eigendichtungen von Mahler. :)


    Warum findest Du das Eegebnis nicht schlüssig?


    Schöne Grüße
    Holger

  • Was das »Lied von der Erde« betrifft, muss man sagen, dass schon Bethges Gedichte eher Neuschöpfungen als Nachdichtungen sind. Mahler hat da tatsächlich so einiges verändert (manchmal verbessert), sich dabei allerdings meist noch weiter von den chinesischen Vorlagen (die er nicht kennen konnte) entfernt. Am drastischsten ist der Eingriff im letzten Lied, wo er zwei ganz verschiedene Gedichte zu einem zusammenfügt. Man erkennt die Nahtstelle am überraschenden Wechsel der Erzählperspektive (vom »ich« zum »er«), die freilich durch das lange Zwischenspiel davor eine sinnvolle Begründung erfährt.


    Für den Schlussteil der 2. Sinfonie hat er einen Teil eines Gedichts von Klopstock genommen und den größeren Teil selbst gedichtet, und zwar mit einer Tendenz, wobei er Klopstocks Tendenz vollkommen verändert hat.


    In der 8. Sinfonie hat er vom Pfingsthymnus einige Stellen einfach ausgelassen, andere anscheinend nicht richtig verstanden, und Goethes Texte für den zweiten Teil behandelt er so frei, dass sie teilweise einen ganz anderen Sinn erhalten.


    Mit den Wunderhorntexten, die er verwendet, geht so er so frei um, wie es die Sänger in den Spinnstuben oder auf den Feldern, auch getan haben. Da kann man philologische Genauigkeit nicht verlangen und erwarten.


    Aber das kann man sowieso nicht. Die Lieder und Sinfoniesätze sind Neuschöpfungen des Komponisten, nicht komponierte Interpretationen von Werken anderer Autoren. Er nimmt die Texte her und macht sein Eigenes daraus. Die Frage, ob das dem Autor der Texte gerecht wird, ist einfach nicht angemessen. Angemessen ist die Frage, ob Mahlers Vertonung den Texten gerecht wird, die er tatsächlich vetont hat, also ob er das Ziel, das er sich mit seiner Komposition gesetzt zu haben scheint, erreicht hat. Aber das ist eine ganz andere Frage und hat nichts damit zu tun, ob er den Autoren (wenn von denen überhaupt die Rede sein kann) der Texe gerecht wird.

  • Guten Morgen Holger!


    Vielen Dank für Deine Erläuterung.


    Ich versuche durchaus, mich dem anzunähern und anzunehmen, was Helmut Hofmann als "Musikaische Fortdichtung" bezeichnet.


    Es ist zum einen die Hinzufügung wie beispielsweise "der Knabe". Du hast sicher Recht mit Deiner Definition, durch die das Puzzleteil jetzt besser passt. Ich finde auch, dass von der Einsamkeit und Trauer in der ersten Strophe aus "Bildchen" nichts erkennbar bleibt.


    "Auf dieser Welt hab ich keine Freud,
    Ich hab einen Schatz und der ist weit,
    Er ist so weit, er ist nicht hier,
    Ach wenn ich bei mein Schätzgen wär!"


    Aus dieser Hin- und Hergerissenheit macht Mahler einen jungen Mann, der (meine Worte) im Überschwang seines Stolzes auf seinen Kampf für´s Vaterland glaubt, zu wissen, was er tut.


    Vielleicht habe ich auch nur Schwierigkeiten damit, dass jemand dem Ergebnis poetischer Schöpfung seinen ursprünglichen Inhalt entreißt und es instrumentalisiert für ein eigenes Ziel. So hat das Gedicht "Bildchen" mit den Soldatischen so rein gar nichts zu tun.


    Wie wäre es zu beurteilen, wenn Mahler Gedichte von Heine, Rückert oder gar Goethe zu einer Melange zusammen geführt hätte? Oder hat er das und ich weiß es nur nicht?


    In dem Versuch, meinen Zweifel zu begründen, klingt die Ablehnung härter, als sie tatsächlich ist. Was bleibt ist schließlich ein beeindruckendes Liedwerk. Dennoch, bleibt ein leichtes Unwohlsein, das mit der Individualität der Ausgangsgedichte (und einem empfundenen Anspruch der Dichter auf Unversehrtheit ihrer Schöpfung) zusammen hängt.


    Ich hoffe, es wird in etwa klar, was ich meine.


    Gruß und Danke
    WoKa

    "Die Musik drückt das aus, was nicht gesagt werden kann und worüber Schweigen unmöglich ist."


    Victor Hugo

  • Aus dieser Hin- und Hergerissenheit macht Mahler einen jungen Mann, der (meine Worte) im Überschwang seines Stolzes auf seinen Kampf für´s Vaterland glaubt, zu wissen, was er tut.

    Woraus geht denn das hervor? Das ist mir bisher nicht aufgefallen. Und ich meine, das Lied seit gut 40 Jahren zu kennen.

  • Angeregt durch WoKas Fragen, habe ich gestern Abend noch ein bischen über Mahler und seine Lieder nachgelesen und dabei das folgende Zitat gefunden:


    "Es käme ihm auch immer wie Barbarei vor, wenn Musiker es unternähmen, vollendet schöne Gedichte in Musik zu setzen. Das sei so, als wenn ein Meister eine Marmorstatue gemeißelt habe und irgendein Maler wollte Farbe darauf setzen. Er, Mahler, habe sich nur einiges aus dem Wunderhorn zu eigen gemacht; zu diesem Buch stehe er seit frühester Kindheit in einem besonderen Verhältnis. Das seien keine vollendeten Gedichte, sondern Felsblöcke, aus denen jeder daas Seine formen dürfe."
    Alma Mahler-Werfel: Erinnerungen an Gustav Mahler


    Nach diesem Zitat ist es verständlich, daß die Wunderhorn-Texte für Mahler nicht nur nicht unantastbar waren, sondern er hat sie so verändert, wie es der Komposition dienlich war. Das kann die Intention des ursprünglichen Wunderhorn-Textes ändern - erhalten blieb lediglich die volksliedhafte Thematik (wie auch in Herders Volksliedern, von Arnims/Brentanos Wunderhorn u.a.) , die einfache Wortwahl (im Sinne von nicht sehr poetisch) und eine eher balladenhafte Struktur.


    In diesem Zusammenhang wir auch klarer, warum es bei Mahler keine Vertonungen "bedeutender" Lyrik gibt (kein Goethe, kein Heine, ...). Die vertonten Rückert- und Klopstock-Texte mögen eine scheinbare Ausnahme sein - allerdings zählten diese zu Mahlers Zeit nicht gerade zur literarischen Elite (hat sich das bis heute grundlegend geändert?), so daß Mahler auch diese eher als Rohstoff für seine Werkidee gesehen haben mag, und nicht als vollendet schöne Gedichte...

    ... in diesem Sinne beste Grüße von orsini


    „Das Denken ist zwar allen Menschen erlaubt, aber vielen bleibt es erspart.“
    Curt Goetz

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