Beethoven : Missa solemnis

  • Zitat

    dr. pingel: Machaut, Ockeghem, Josquin, di Lasso, Palestrina, Victoria, Tallis, Schütz, Schein, Bach, Händel, Brahms, Janacek, Britten..

    Das halte ich für ein Gerücht, lieber Dr. Pingel: Obwohl ich schon Palestrina, Schütz, Bach, Händel und Brahms mit aufgeführt habe, kann ich mich nicht erinnern, dass bei allen diesen Herrschaften auch nur ein Werk dabei gewesen wäre, dass mit der Missa Solemnis vergleichbar wäre. Auf die Frage von Stabia gibt es nur eine Antwort: nirgends!
    Aber da können wir uns noch bis zum St. Nimmerleinstag drüber unterhalten und werden nie zu einem Konsens kommen.
    Solche Musik wie die Missa Solemnis ist einmalig, ebenso wie die h-moll-Messe, das WO und die Passionen von Bach, der Messias von Händel oder das Deutsche Requiem von Brahms. Vergleichbar sind diese Werke nicht, weil sie alle in verschiedenen musikalischen Epochen entstanden sind (von den Werken der Zeitgenossen Bach und Händel einmal abgesehen).
    Wenn man von ihrer musikalischen Größe ausgeht, wäre ein Vergleich m. E. schon eher gestattet, aber der punctum saliens der Betrachtung liegt zwischen dir und mir ja auf einer ganz anderen Ebene, und das ist auch gar nicht schlimm. Von den übrigen von dir genannten Komponisten ist mir kein Werk bekannt, das von der musikalischen Größe her mit den oben genannten vergleichbar wäre.


    Liebe Grüße


    Willi ^^

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

  • Ich bin erstaunt und erfreut über diesen Artikel (dafür gebührt dir der Titel Klaus 1!) und würde die Sache am liebsten gleich auf Mozart erweitern. Ich habe ja hier einen ständigen Kampf auszufechten gegen die Verehrer der Chormusik von Beethoven. Das sind die Chöre im Fidelio, der 4. Satz der 9., die Chorfantasie und die Missa solemnis. Ich habe die letzten 30 Jahre in verschiedenen Vokalensembles gesungen; unsere Literatur war Josquin, Palestrina, Schütz, Bach, Brahms, Britten. Daneben fällt die Chormusik von Beethoven doch stark ab, was aber nicht sein darf. Ich keine keinen Sänger aus einem Vokalensemble, der Lust hätte, eines dieser Chorwerke von Beethoven zu singen, es sei denn, familiäre Bande oder eine vorgehaltene Pistole würden ihn dazu zwingen. NIMM DAS, WILLIAM!!

    Aller Anfang ist schwer - außer beim Steinesammeln (Volksmund)

  • Am ehesten ist Beethovens Messe m.E. mit seiner eigenen C-Dur-Messe, mit den späten Messen Haydns, mit Brahms' Requiem und vielleicht der f-moll-Messe Bruckners zu vergleichen. Auch hier findet man (mindestens stellenweise) so etwas wie einen "sinfonischen Stil". (Mozarts c-moll-Messe und Requiem wirken auf mich dagegen eher wie eine Fusion von barocker Kirchenmusik und Oper...)


    Aber vieles ist sehr Beethoven-spezifisch und einzigartig. Man nehme das "Violinkonzert" im Benedictus. Oder das Ende des Gloria, in dem einer zunächst traditionell-pflichtmäßigen Fuge zuerst diverse kontrapunktische Steigerungen, als eigentlicher Höhepunkt aber die überschlagende Reprise des Gloria-Anfangs folgen

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Lieber William, dieses Thema überschneidet sich mit dem Thema "Das Experiment". Dort habe ich auch dir eine Antwort gegeben, die ich hier nicht wiederholen will.

    Aller Anfang ist schwer - außer beim Steinesammeln (Volksmund)

  • Zitat

    dr.pingel: Ich kenne keinen Sänger aus einem Chorensemble, der Lust hätte, eines dieser Chorwerke zu singen....

    Nun kann man eigentlich schlecht Äpfel mit Birnen vergleichen, lieber Dr. Pingel. Zumindest, was die von dir genannten Komponisten Josquin und Ockeghem betrifft, die, wenn ich nicht irre, Renaissance-Komponisten sind, werden diese doch zumeist von Spezialensembles wie dem Hilliard-Ensemble und dem Orlando Consort eingespielt, die beide jeweils 4 Mitglieder haben. Dieses Werke werden also, wenn ich das richtig sehe, häufig solistisch gesungen. Bei der Missa Papae Marcelli von Palestrina wären dann diese Ensembles aus dem Rennen, denn die ist sechsstimmig und im Agnus Dei sogar siebenstimmig. Da müssen dann zumindest die Oxford Camerata oder die Tallis Scholars ran, die ja in jeder Stimme mindestens doppelt besetzt sind oder der King's College Choir, der 16 festgeschriebene Mitglieder hat.
    Aber im Ernst: solche Ensembles könnten gar nicht die Missa Solemnis oder die Chöre aus dem Fidelio aufführen, selbst wenn sie wollten. Dafür sind sie nämlich viel zu klein. Der kleinste Chor, den ich in meiner Sammlung mit der Missa Solemnis und Fidelio, aber auch mit Bachs WO und Brahms Deutschem Requiem habe, ist der Monteverdi Choir, und der singt mit 36 Mitgliedern, und deren Namensgeber, Claudio Monteverdi, an der Wende zum Barock, hat ja durchaus auch schon etwas komponiert, das mit größeren Ensembles gesungen wird.
    Und es gibt viele Chöre, die sowohl Bach, als auch Händel, Mozart, Beethoven und Brahms aufführen, und dass sie im Angebot weitaus in der Mehrzahl sind, liegt ja nicht daran, dass sie gegenüber den Werken der Renaissance minderwertigere Chormusik aufführen.
    Vergleichen aber, und da gebe ich Johannes Recht, lassen sich bestenfalls die späten Messen Haydns und Mozarts mit denen Beethovens bzw. mit dem Deutschen Requiem von Brahms, weil sie in etwa den gleichen musikalischen Rahmen haben. Ebenso verhält es sich mit den großen Oratorien Bachs und Händels, die sich miteinander vergleichen lassen. Das sind dann Äpfel, die ich mit Äpfeln vergleiche.
    Wenn du das nimmst, lieber Dr. Pingel, ist es gut, wenn nicht, ist es auch nicht schlimm.


    Liebe Grüße


    Willi ^^

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  • Lieber William,
    du hast natürlich Recht mit den Äpfeln und Birnen; und ich nehme natürlich die Äpfel. Ich denke, es liegt hier an der unterschiedlichen musikalischen und chorischen Sozialisation, wer in welchem Chor singt und welche Stücke er liebt. Ich denke auch, dass es ein bisschen Ping Pong zwischen uns beiden ist, bei dem auch jeder zu punkten versucht. Aber absolutieren will ich meinen Standpunkt auf keinen Fall, das habe ich ja hier gelernt.

    Aller Anfang ist schwer - außer beim Steinesammeln (Volksmund)

  • Aus gegebenem Anlass (Konzertbesuch; SOdBR nebst Chor unter Haitink) beschäftige ich mich derzeit intensiver mit der missa, einem Werk, das mir eine Zeit lang abweisend hart und unzugänglich erschien.
    Inzwischen freilich werden die Worte, die Beethoven diesem Monument, dem Ergebnis eines intensiven Ringens beigab, auch bei mir Wirklichkeit: Diese Musik geht wahrhaft zu Herzen.
    Es ist in jeder Note zu hören, wie sehr Beethoven nach Form und Ausdruck seines geistlichen Bekenntnisses in der Musik gesucht hat. Keine selbstverständliche Leichtigkeit wie bei Mozart, sondern ein mit unerhörtem Willen regelrecht herausgemeißeltes Fanal menschlicher Schöpfungskraft. Das macht die Musik für mich so ergreifend, denn die Schönheit liegt in ihrer Größe, die dennoch frei von jeder pathosbeladener Großtuerei ist. Sondern eben von Herzen kommt.


    Interessant fand ich unten stehenden Satz, den ich nachvollziehen kann, freilich aber nicht im Geringsten teile:

    Daneben fällt die Chormusik von Beethoven doch stark ab, was aber nicht sein darf. Ich keine keinen Sänger aus einem Vokalensemble, der Lust hätte, eines dieser Chorwerke von Beethoven zu singen, es sei denn, familiäre Bande oder eine vorgehaltene Pistole würden ihn dazu zwingen.


    Dass ein Sänger "Lust" hätte, dieses Werk zu singen, das mag wohl tatsächlich selten vorkommen. Es ist weder ein Werk, das es der Stimme leicht macht, ihr entgegen kommt, noch ihr Gelegenheit gibt, zu brillieren.
    Mitunter mag man, so man auf Kritik aus ist, sicher das Gefühl haben, Beethoven hätte geradezu gegen die menschliche Stimme ankomponiert; dies freilich wäre eine unsinnige Verdrehung der zugrundeliegenden Absichten.
    Es war schlichtweg wohl so ziemlich Beethovens letzte Intention, hier ein Werk zu schaffen, das die Sänger lieben werden. Um etwas zum Ausdruck zu bringen, was für Beethoven zu Anfang des Kompositionsprozesses noch nahezu unausprechlich schien, brachte er Klänge in eine Form, die - so wirkt dieses Stück auf mich - einzig einem genialischen Schöpfungswillen verpflichtet war, dem sich natürlich auch die Befindlichkeiten des Sängers unterordnen mussten, um etwas Gestalt werden zu lassen, das für mich eine einzigartige Verbindung von Innigkeit und Größe darstellt.

    'Architektur ist gefrorene Musik'
    (Arthur Schopenhauer)

  • Sagitt meint


    Vielleicht sollte man sich einmal die Noten der missa besorgen,um dann festzustellen,dass diese den Laien einfach über fordert (den Durchschnitts-Dirigenten ebenfalls).

  • Vielleicht sollte man sich einmal die Noten der missa besorgen,um dann festzustellen,dass diese den Laien einfach über fordert(den Durchschnitts Dirigenten ebenfalls).


    Ich bin zwar (leider) des Notenlesens nicht wirklich mächtig, doch entspricht diese Über-Forderung genau meinem Eindruck.
    Dies wollte ich auch zum Ausdruck bringen durch meine Ausführungen, Beethoven hätte solche praktische Belange wie problemlose Aufführbarkeit schlichtweg seinem gestalterischen Konzept untergeordnet.
    Und zum Erreichen des intendierten Ausdrucks sind eben die Anforderungen an die Ausführenden so hoch, dass es häufig als Überforderung wahrgenommen wird.
    Der Qualität der künstlerischen Substanz tut das meines Erachtens in diesem Fall aber nicht den geringsten Abbruch; auch wenn ich ansonsten solchen "Vergewaltigungen" des "Materials" im Sinne einer subjektiven Verwirklichung schon eher kritisch gegenüberstehe.

    'Architektur ist gefrorene Musik'
    (Arthur Schopenhauer)

  • Beethoven hat mit Werken wie den mittleren und späten Klaviersonaten und Streichquartetten die seinerzeitigen Profis überfordert; nur würde heute eben kein Hobbypianist die Hammerklaviersonate versuchen, während Laienchöre meinen, die Missa solemnis stemmen zu können. Und es studiert auch niemand aus dem Laienchor die Isolde ein bzw. wundert sich, wenn das schief geht.

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  • Zitat

    novecento: Dass ein Sänger "Lust" hätte, dieses Werk zu singen, dass mag wohl tatsächlich selten vorkommen.

    Wenn ich stimmlich dazu in der Lage wäre, dieses Werk zu singen, d. h. wenn ich ein Berufs(Chor)-sänger wäre, könnte ich mir nicht vorstellen, dieses Werk ohne "Lust" zu singen. Da käme nichts dabei heraus, ebenso wenig, wie wenn ein Orchestermusiker oder gar ein Solist ohne Lust spielen würde.
    Dass unser verehrter Dottore keinen Sänger aus einem Vokalensemble kennt, der ein Werk Beethovens gerne singen würde, glaube ich ihm unbesehen, weil er sicherlich mit dem Ausdruck "Vokalensemble" eben diejenigen Gruppierungen meint, die in überschaubarer Größe (ein bis eineinhalb Dutzend SängerInnen) vorwiegende a capella-Literatur der Renaissance und des frühen Barock singen, wo sie natürlich auch nur mit "Lust" zum Ziel einer erfüllenden Interpretation gelangen, ebenso, wie die großen Opern- und Konzertchöre nur mit Lust zu großen Interpretationen kommen. Als eingefleischter Sänger in einem klein besetzten Vokalensemble wäre ich auch nicht vorwiegend mit Opern- und Konzertchoristen bekannt.
    Chorformationen mit kleiner, mittlerer oder großer Besetzung haben natürlich alle ihre Berechtigung und ihre Mitglieder haben selbstverständlich das Recht, ihre bevorzugte Literatur zu lieben und die andere eben weniger oder gar nicht.


    Liebe Grüße


    Willi :D

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  • Das Pingel-Argument ist in etwa so, wie wenn man gegen Beethovens Hammerklaviersonate oder Liszts h-moll-Sonate einwenden würde, dass alle Hobby-Cembalisten, die man kennt, keine Lust auf diese Stücke hätten. Und deswegen wären Suiten von Froberger, Buxtehude oder Couperin selbstverständlich besser als die Liszt-Sonate, überhaupt hätten Liszt und Beethoven nicht so recht für Tasteninstrumente komponieren können, denn diese Musik klänge ganz anders als Frescobaldi und Froberger.

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  • Beim Bonner Beethovenfest schaute ich einmal in das erleichterte Gesicht von Enoch von und zu Guttenberg nach der Aufführung der missa.
    Dabei hatte er den Chor aus Brno, der u.a. zusammenarbeitet mit: Petr Altrichter, Jiøí Bìlohlávek, Leoš Svárovský, Jakub Hrùša, Ingo Metzmacher, Leopold Hager, Charles Dutoit, Sir Roger Norrington, Enoch zu Guttenberg, Mario Venzago, Hugh Wolff, Marc Soustrot, Jean-Claude Casadesus, Michael Tilson Thomas, Rafael Frühbeck de Burgos, Gerd Albrecht, Lawrence Foster, Zubin Mehta, Nikolaus Harnoncourt, Kurt Masur, Kaspar Zender, Dennis Russel Davies, Vladimír Válek, Marek Janowski, Yuri Simonov, Zdenìk Mácal, Libor Pešek, Tomáš Netopil, Manfred Honeck, Christoph Eschenbach, Gabriel Feltz, Adam Fischer, Eliahu Inbal, Neeme Järvi, Marco Letonja, Marcus Bosch, Yutaka Sado, Steve Slone, Juraj Valèuha, Simone Young, Marc Albrecht, Charles Olivieri – Munroe, Kees Bakels und Jonathan Nott.


    Es war wohl dennoch ein Ritt über den See. Die Missa ist wirklich schwierig, nicht nur die rasenden Schlüsse von Gloria und Credo.

  • Dass das Werk schwierig ist, ist sicher richtig, aber es ist doch als Argument gegen die Qualität außerordentlich fragwürdig, oder?

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  • Sagitt meint:


    Ich habe mich nie gegen die Qualität dieses Werks ausgesprochen. Im Gegenteil. Nachdem ich durch Gardiner (1989) das Werk endlich entdecken durfte, habe ich es bestimmt ein halbes Jahr jeden Tag einmal gehört, so überwältigt war ich von diesem Werk.


    Das ist ein ganz Besonderes. Nur eben von einer Qualität, dass man es Profis überlassen muss.

  • Zitat

    sagitt: Das ist ein ganz Besonderes. Nur eben von einer Qualität, dass man es Profis überlassen muss.


    Da hast du ein wahres Wort gelassen ausgesprochen, lieber Hans, zumal ich den Monteverdi Choir von Sir John Eliot für einen der besten Chöre der Welt halte und die Aufnahme von 1989 für eine der besten der ganzen Diskographie der Missa. Man stelle sich vor, 36 SängerInnen entfachen solche Stimmgewalten und zeichnen die dynamischen Schattierungen der Partitur so exakt nach und erreichen dabei eine Ausdruckstiefe, die ihresgleichen sucht. Bis dahin kannte ich nur die Aufnahmen von Karajan und Old Klemp, aber Gardiner, sein Chor und sein Orchester haben die Sicht auf das Werk für mich noch wesentlich erweitert, als ich es damals nach Erscheinen erwarb.


    Live habe ich das Werk zuletzt zweimal innerhalb von Jahresfrist mit dem Chorus Musicus Köln und dem Neuen Orchester unter Christoph Spering und namhaften Solisten vor einigen Jahren in der Essener Philharmonie erlebt. Der Chor verfügte zwar nicht ganz über die Feinzeichnung der Monteverdianer, aber es waren zwei sehr gelungene Aufführungen, die zeigten, dass Profi-Ensembles, wenn sie gut geprobt haben und engagiert singen und spielen, eine verklärende Aufführung abliefern können. Schwierigkeiten hatte der Chor nämlich keine und konnte sich ebenfalls ganz auf den Ausdruck konzentrieren.


    Liebe Grüße


    Willi :rolleyes:

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

  • Eigentlich hätte ich gestern Abend in der Kölner Philharmonie sitzen müssen, Ljadow (Le lc enchanté), Mozart, KK A-dur KV 488 und Tschaikowsky, 4. Sinfonie standen auf dem Programm, Buchbinder am Flügel un d das WDR-Sinfonieorchester, und die Leitung hätte Alan Gilbert gehabt. Wie ich gerade gelesen habe, war der jedoch auch erkrankt, und er wurde von Cristian Macelaru vertreten (nie gehört).
    Als sich der Rücken am Abend beruhigte, habe ich dann diese DVD aufgelegt:


    Krassimira Stoyanova, Sopran,
    Elina Granca, Mezzosopran,
    Michael Schade, Tenor,
    Franz-Josef Selig, Bass,
    Sächsischer Staatsopernchor Dresden,
    Staatskapelle Dresden
    Dirigent: Chrstian Thielemann
    AD: 13. 2. 2010

    (Gedenken an den 65. Jahrestag der Bombardierung Dresdens und das 25jährige Jubiläum der Wiedereröffnung der Semperoper)
    Mir fällt ja beinahe jedes Mal bie jeder Aufnahme dieses Stückes oder auch des Verdi-Requiems (beide Werke höre ich häufig) etwas anderes stärker auf. Diesmal waren es die Tempo-Kontraste und die große dynamische Spannweite, die Thielemann herausarbeitete. Vor allem beim überragenden Dresdener Chor war dieses zu bewundern, wie z. B. im Gloria, das ja stets sehr rasch beginnt, schon in der zweiten Textzeile jedoch: "et in terra pax hominibus bonae voluntatis" temporal und dynamsich zurückgenommen wird, von Thielemann besonders, und in den nächsten beiden Zeilen wieder beschleunigt wird: "Laudamus te, benedicimus te, adoraumus te, glorificamus te", um dann erneut stark zurückzugehen: "Gratias agimus tibi propter magnam gloriam tuam" und dann wieder die Gegenbewegung erfolgt, ganz wie es die Textauslegung verlangt. M.E. dehnt Thielemann die Spannweite in temporaler wie in dynamsicher Hinsicht besonders weit aus, was diesem Stück einerseits einen unerhörten Drive verleiht, andererseitsts aber auch eine abgeklärte, ja berührende Stimmung hervorruft, die ihm ebenfalls innewohnt.
    So, wie das Chor, Orchester und Solisten machen, immer wieder von Thielemann angetrieben, dann aber auch in den ruhigen Sequenzen quasi getragen werden, ist das schon ein singuläres Ereignis, das ich mir immer wieder äußerst gerne anhöre und ansehe. Und jedes Mal fällt mir wieder dieser Trompeter auf:
    csm_Velenczei_Tamas_D_366ba920e3.jpg
    Ich war jahrelang der Meinung, dass er Solotrompeter der Staatskaelle sei, bis ich herausbekam, dass es sich um Tamas Velenczei, Solotrompeter der Berliner Philharmoniker handelte, der hier in Dresden bloß auch wohl häufiger zu Gast ist, denn in anderen Konzerten der Staatskapelle sah ich ihn auch schon sitzen.
    Woran ich mich freilich nur schwerlich gewöhnen kann, ist die schon m. e. gespentisch stille Atmosphäre vor und nach dem Konzert, was aber bei derlei Konzerten bei Thielemann immer so ist.
    Hier war es besonders auffällog, weil alle musikalischen Mitwirkenden wie auch das Publikum nach dem Konzert einige Minuten stehend und mit ernsten, ja geradezu ergriffenen Mienen verharrten.
    Zu loben war generell außer dem Chor und dem Orchester auch das Solistenqurtett und natürlich der Dirigent. Nur beim Tenor Michael Schade mißfiel mir in den Legatopassagen das ständige überdeutliche "h", das er istets in die Bögen einbaut. Das hat uns unser Dirigent schon längst abgewöhnt. Grandios waren die beiden Damen Krassimira Stoyanova und Elina Garanca, die mir hier noch besser gefallen hat als im Verdi-Requiem unter Barenboim (siehe Verdi-Requiem-Thread), und auch Franz-Josef Selig machte seine Sache ausgezeichnet und hielt sich in den Tuttipassagen wohltuend zurück.
    Ich will an dieser Stelle schließen, sonst säße ich noch bis 6 Uhr am Computer.


    Wer sich das Stück mal zu Gemüte führen will, es aber zu Hause nicht auf DVD hat, kann es auch hier tun:


    Liebe Grüße


    Willi :)

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

    Einmal editiert, zuletzt von William B.A. ()

  • ... und die Leitung hätte Alan Gilbert gehabt. Wie ich gerade gelesen habe, war der jedoch auch erkrankt, und er wurde von Cristian Macelaru vertreten (nie gehört).


    Lieber Willi, vielleicht hast Du da ja etwas verpasst. Der rumänische Dirigent wird zumindest in Kritkerkreisen hoch gehandelt, als einer, der im Kommen ist. Geh ins Netz, und Du wirst sehr viele Berichte und Informationen finden. In Berlin, wo ich wohne, ist er auch schon aufgetreten, ich habe das Konzert aber nicht besuchen können. Interessiert hätte es mich schon, zumal die Orgelsinfonie von Saint-Saëns auf dem Programm stand.


    Wenigstens eine CD hat Cristian Măcelaru bereits vorgelegt:


    Es grüßt Rüdiger als Rheingold1876


    "Was mir vorschwebte, waren Schallplatten, an deren hohem Standard öffentliche Aufführungen und zukünftige Künstler gemessen würden." Walter Legge (1906-1979), britischer Musikproduzent

  • Ja, lieber William, den Cristian Macelaru hättest Du wirklich nicht ignorieren sollen.

    Er ist das, was man in den USA "a rising star on the podium" nennt! Seine Auftritte hat er zur Zeit meistens noch als Einspringer! Aber bei den renommiertesten Orchestern. Ich habe ein Konzert mit ihm beim renommierten "Cabrillo Festival of Contemporary Music"! Sehr eindrucksvoll!!!
    Er wird das Festival in Zukunft leiten. Das ist schon was im amerikanischen Musikleben!


    Hier erfährst Du ein wenig mehr über ihn: https://csosoundsandstories.or…ising-star-on-the-podium/
    Und hier ein aktueller CV: http://cabrillomusic.org/about-us/cristian-macelaru/


    Hier kannst Du nachlesen, wo er zuletzt so dirigiert hat: http://macelaru.com/previous-concerts/
    Und das sind seine nächsten Stationen: http://macelaru.com/upcoming/



    Nimm ihn in jedem Fall schon mal in Deine Geburtstagsliste auf! In ein bis drei Jahren wird der Name jedem Musikfreund vertraut sein!


    Beste Grüße
    Caruso41

    ;) - ;) - ;)


    Wer Rechtschreibfehler findet, darf sie behalten!

  • Zitat

    Rheingold1876: Lieber Willi, vielleicht hast Du da ja etwas verpasst.


    Zitat

    Caruso41: Lieber Willi, vielleicht hast Du da ja etwas verpasst.


    Ihr Lieben,


    dass ich etwas verpasst habe, ist mir klar, denn immerhin war ja auch Buchbinder da. Wenn der rumänische Dirigent wirklich so gut ist, wird er mir früher oder später sowieso über den Weg laufen. Ignoriert habe ich ihn ganz bestimmt nicht. Ich denke dass Buchbinder auch noch mal in unsere Breiten kommt, Badura-Skoda ist ja jüngst sogar fast bis an meine Haustür gekommen (es fehlten nur 30 km).


    Aber ihr wisst ja: wer den Schaden hat, spottet jeder Beschreibung. :D:D


    Liebe Grüße


    Willi :)


    P. S. Sein Geburtsdatum habe ich bis jetzt noch nicht gefunden. ?(

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

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  • Meine liebsten Stellen in der Missa solemnis sind im Credo "et incarnatus est" (im stile antico) und "et homo factus est". Für mich wirkt es so, als seien diese Aussagen (die Mensch-/Fleischwerdung) für Beethoven ein großes Wunder.

  • Gibt es Internetseiten, die mehr Informationen als die dürftigen Artikel der deutschen und englischen Wikipedia über die Missa solemnis enthalten?

  • Etwas mehr findst Du bei der französichen Wikipedia
    Die deutsche Wikipedia dürfte sich derzeit generell in einer Art Rückzugsgefecht befinden.


    mfg aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Zitat

    Alfred Schmidt: Die deutsche Wikipedia dürfte sich derzeit generell in einer Art Rückzugsgefecht befinden.


    Da ist sehr nachteilig für meine Erinnerungstätigkeit, aber diese Gedanken haben mich auch schon beschlichen.


    Lieber Timo,


    her steht auch noch etwas: https://cantusbasel.ch/Rueckblick/Werke/misol2002werk.html
    oder hier gibt es gar ein Taschenbuch:


    Liebe Grüße


    Willi :)

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

  • Derzeit im CD-Spieler:



    Der Werbepartner teilt mir mit, dass ich diese Aufnahme am 5. Juni 2016 gekauft habe. Ich höre sie, glaube ich, heute erst zum zweiten Mal (oder mit einer kleineren Wahrscheinlichkeit zum dritten Mal, was letztendlich auch egal ist).


    Der leicht ambivalente Eindruck des ersten Hörens setzt sich auch heute fort. Orchestral ist das eine insgesamt sehr gelungene Aufnahme. Die für Harnoncourt speziellen bzw. typischen "Fingerzeige" (schaut her, so hat der Komponist es gemeint) halten sich in Grenzen, bis auf einige Kleinigkeiten befindet sich die Musik in einem wunderbaren, stimmigen Fluss und vermittelt exemplarisch das bekannte Motto: "Von Herzen, möge es zu Herzen gehen".


    Harnoncourt beschreibt im Beiheft, dass er sich lange Zeit mit dem Werk sehr schwer tat. Er empfand die Aufführungen, denen er zu seiner Zeit als Cellist bei den Wiener Symphonikern beiwohnte, als "leeres Pathos" und wollte die Missa Solemnis "aus der Stille heraus" entwickeln, ohne Monumentalität und dem "üblichen Klangrausch". Das gelingt ihm vortrefflich.


    Der Arnold Schönberg Chor, mit dem Harnoncourt oft und gerne zusammen arbeitete, ist an stimmlicher Differenzierung nicht zu übertreffen.


    Auch Bernard Fink fügt sich in das intime, fein differenzierende, Gesamtkonzept hervorragend ein. Sie vermeidet jegliche Opernattitude, jeglichen Bombast, jegliche übermäßige Lautstärke.


    Die Aussagen des letzten Satzes gestehe ich auch gerne den anderen drei Gesangssolisten, Laura Aikin, Johannes Chum und Ruben Drole, zu. Bloß ist mir der Sopran in den Höhen zu schrill, der Tenor zu "dünn" und der Bass zu "blass".


    Auch wenn zu Harnoncourts künstlerischen Aussage keine "schweren Stimmen" passen, so hätte es für mich bessere Alternativen gegeben. Hätte er das Gesangsquartett seines (leider nur auf DVD erhältlichen) Konzerts mit dem Concertgebouworchester in Amsterdam zur Verfügung gehabt (Sopran: Marlis Peterson, Alt: Elisabeth Kulman, Tenor: Werner Güra, Bass: Gerald Finley ), so wäre diese Aufnahme immer noch keine "Referenz" gewesen (dazu war das Konzert in Amsterdam mit wesentlich langsameren Tempi, aber noch mehr "Stimmung", noch mehr "Intimität" trotz größerer Besetzung im Orchester und Chor einfach zu überragend), aber ich wäre etwas glücklicher mit der CD gewesen.


    So gibt es, wie so häufig, ein lachendes und ein weinendes Auge...


    Grüße aus der Nähe von Hamburg


    Norbert


    Das Beste in der Musik steht nicht in den Noten.

    Gustav Mahler


  • Zitat von Rheingold1876

    Lieber Willi, vielleicht hast Du da ja etwas verpasst. Der rumänische Dirigent wird zumindest in Kritkerkreisen hoch gehandelt, als einer, der im Kommen ist. Geh ins Netz, und Du wirst sehr viele Berichte und Informationen finden. In Berlin, wo ich wohne, ist er auch schon aufgetreten, ich habe das Konzert aber nicht besuchen können. Interessiert hätte es mich schon, zumal die Orgelsinfonie von Saint-Saëns auf dem Programm stand.

    Lieber Rüdiger,


    mittlerweile ist Cristian Macelaru ja ab der neuen Saison neuer Chefdirigent des WDR-Sinfonieorchesters, und ich habe gleich das Freitagsabo abgeschlossen (13 Konzerte). Ich werde demnächst mein Saisonprogramm hier einstellen (ohne die Konzerte beim Klavierfestival Ruhr 2020, die ja noch nicht feststehen).


    Um beim Thema zu bleiben. die Missa selemnis habe ich zuletzt am 28. April in der Kölner Philharminie live erlebt. Ich berichtete hier darüber:

    Ludwig van Beethoven, Missa solemnis D-dur op. 123 am 28. 4. 2019, 20.00 Uhr in der Kölner Philharmonie


    Liebe Grüße


    Willi:)

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

    Einmal editiert, zuletzt von William B.A. ()

  • Mit Ludwig van Beethoven und seinen Chorkompositionen bin ich persönlich nie warm geworden. Auch wenn es sich um ein singuläres Werk der Musikgeschichte handelt, finde ich keinen Zugang zu dieser Musik, obwohl ich Chorwerke überaus schätze. Das ist ein persönliches Problem.


    In meiner Sammlung ist diese längst vergriffene amerikanische Aufnahme des Labels TELARC der Missa Solemnis D-Dur op. 123: Es dirigiert Robert Shaw das Atlanta Symphonie Orchestra & Chor. Sylvia McNair, Janice Taylor, John Aler und Tom Krause sind die solistische Gesangsgruppe.

    Die 14 englischsprachigen Rezensenten beim Werbepartner zeigen sich begeistert und die Aufnahme erhält im Schnitt 4,5 Sterne.


    Vor Schuberts Musik stürzt die Träne aus dem Auge, ohne erst die Seele zu befragen:
    so unbildlich und real fällt sie in uns ein. Wir weinen, ohne zu wissen warum; Theodor W. Adorno - 1928




  • ......und hier das Cover ;)


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    LG Fiesco

    Il divino Claudio
    "Wer vermag die Tränen zurückzuhalten, wenn er den berechtigten Klagegesang der unglückseligen Arianna hört? Welche Freude empfindet er nicht beim Gesang seiner Madrigale und seiner Scherzi? Gelangt nicht zu einer wahren Andacht, wer seine geistlichen Kompositionen anhört? … Sagt nur, und glaubt es, Ihr Herren, dass sich Apollo und alle Musen vereinen, um Claudios vortreffliche Erfindungsgabe zu erhöhen." (Matteo Caberloti, 1643)

  • Wie hast du das geschafft!?


    Kopfkratz


    8|

    Vor Schuberts Musik stürzt die Träne aus dem Auge, ohne erst die Seele zu befragen:
    so unbildlich und real fällt sie in uns ein. Wir weinen, ohne zu wissen warum; Theodor W. Adorno - 1928




  • Robert Shaw (1916-1999), der amerikanische Dirigent der von mir in Beitrag 87 erwähnten Aufnahme, ist in seiner Probenarbeit mit einem riesigen Chor zu beobachten und erklärt das Werk. (in englischer Sprache)

    Er weiss, wie er seine Chorsängerinnen und Chorsänger bei der Stange hält. (Marschieren in zwei gegenläufigen Kreisen, singendes Durchzählen, Kreisaufstellung, Witz und Humor)


    Vom gleichen Dirigenten gibt es übrigens weitere 7 (!) plusminus 100minütige Dokumentationen der Einstudierung anderer Chorwerke. ("Preparing a Masterpiece Robert Shaw" in die Suchmaske bei YouTube eingeben.)


    Verdi Requiem,

    Belioz Requiem,

    Britten War Requiem,

    Hindemith "When Lilacs Last in the Dooryard Bloom'd",

    Mendelssohn Elias,

    Haydn Schöpfung und Jahreszeiten,

    Brahms Deutsches Requiem


    .

    Vor Schuberts Musik stürzt die Träne aus dem Auge, ohne erst die Seele zu befragen:
    so unbildlich und real fällt sie in uns ein. Wir weinen, ohne zu wissen warum; Theodor W. Adorno - 1928




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