Austausch über Höreindrücke zu den Sänger-Jubilaren

  • Teilweise ist das tatsächlich so, teilweise, insbesondere bei den forcierten Spitzentönen, jedoch nicht - oder hörst du bei 4:08 wirklich "Schmelz"?


    Lieber Stimmenliebhaber,


    doch, das würde ich ihm schon attestieren! Ich habe natürlich jetzt nicht den Vergleich zu Joseph Calleja, und stimme Deiner Beschreibung auch zu, dass Alfredo Kraus hier schon aufmachen muss, um den Ton zu bilden - aber ungeachtet dessen singt er sauber und sicher, und ich finde seine Höhe schon elektrisierend. Ich habe es auch, auf Deine Nachfrage, mehrfach über die Stereoanlage gehört und das Bild dabei bewusst außer Acht gelassen; auch das modifiziert den Eindruck wieder; aber wie gesagt, ich habe da eigentlich nichts nenneswert zu beanstanden, im Gegenteil. Vielleicht bist Du da wirklich durch Joseph Calleja etwas verwöhnt ;) wobei da der live empfundene Eindruck sicher auch noch stärker ist als das schon etwas betagtere Video des noch recht jungen Alfredo Kraus.
    Übrigens fand ich Deine Bemerkung interessant, dass er hier tatsächlich schon fast mehr in Richtung spinto geht; und nach mehrfachem Hören kann ich dem auch tatsächlich nur beipflichten.
    Danke Dir auch für diese Rubrik und Deine Eindrücke, ich lese alle Deine Beiträge auch immer mit großem Gewinn :hail:
    Einziges Problem ist, dass ich nicht immer zeitnah genug zum Schreiben komme, manchmal sehe ich ein interessantes Video, komme aber nicht zum Reagieren - aber das lässt sich ja in den speziellen Sängerthreads ggf. noch fortführen.
    Bei René Kollo -soviel noch in aller Kürze- gehe ich auch in weiten Teilen mit Dir konform, ich fand auch die Steigerung im Preislied toll, und sehe als die einzige Eintrübung das von Dir trefflich geschilderte "h", das er öfters mal einflickt zwischen den Si-hi-hi-hi-hilben ;) aber ansonsten insgesamt sicherlich eine sehr lohnende Aufnahme. Bei Gelegenheit gehe ich noch ausführlicher im René-Kollo-Thread darauf ein, sobald die Beiträge dort hinkopiert worden sind.


    Mal sehen, wer als nächstes in Willis Rubrik auftaucht - am Wochenende habe ich wieder ein bisschen Zeit zum Hören.


    liebe Grüße

  • Lieber "Don_Gaiferos",

    das würde ich ihm schon attestieren!


    Wirklich? ("Komm' aus dem Staunen nicht heraus!")


    stimme Deiner Beschreibung auch zu, dass Alfredo Kraus hier schon aufmachen muss, um den Ton zu bilden - aber ungeachtet dessen singt er sauber und sicher


    Und "sauber und sicher" ist für dich schon "Schmelz"?


    und ich finde seine Höhe schon elektrisierend


    Das finde ich leider nicht, vor allem nicht durchgängig.


    Übrigens fand ich Deine Bemerkung interessant, dass er hier tatsächlich schon fast mehr in Richtung spinto geht; und nach mehrfachem Hören kann ich dem auch tatsächlich nur beipflichten.


    Das freut mich, dann verstehst du vielleicht auch, was mein Problem mit seinem Nadir ist, weil ich finde, dass das keine Spinto-Partie ist.


    Bei René Kollo -soviel noch in aller Kürze- gehe ich auch in weiten Teilen mit Dir konform, ich fand auch die Steigerung im Preislied toll, und sehe als die einzige Eintrübung das von Dir trefflich geschilderte "h", das er öfters mal einflickt zwischen den Si-hi-hi-hi-hilben ;)


    Das freut mich zu lesen, dass du das ganz ähnlich hörst. :hello:


    aber ansonsten insgesamt sicherlich eine sehr lohnende Aufnahme.


    Das habe ich nie bestritten, sonst hätte ich die nicht eingestellt. Ich habe ja beschrieben, warum ich mich für diese Aufnahme entschieden haben.


    Fazit: Mit dir macht mir der Austausch über Höreindrücke riesigen Spaß, weil es in diesem Fall wirklich einer ist! :jubel: :yes: :hello:


    (Da betrifft auch noch mindestens zwei andere "Taminos", die sich in dieser Rubrik schon häufig zu Wort gemeldet haben, gestern aber wohl beide verhindert waren, sich jedoch vielleicht noch heute oder wann auch immer zum Kraus-Nadir-Video äußern. Ich bin gespannt! :yes: )

    Beste Grüße vom "Stimmenliebhaber"

  • Und nun noch ein paar - in dieser Deutlichkeit leider notwendige - Worte an "m.joho", der sich in dieser Rubrik zwar auch schon einige Male zu Wort gemeldet hat, aber keinen einzigen eigenen frischen Höreindruck beigesteuert hat, sondern immer und immer wieder nur das runterbetet, was sich an Urteilen vor Jahrzehnten bei ihm gebildet hat: Das Ganze hier hat überhaupt nichts mit "Pingeligkeit" zu tun, sondern einzig und allein mit der Fähigkeit und dem Willen, durch neues Hören Stimmen mit ihren Vorzügen und Nachteilen neu zu beschreiben und aufgrund dieser Beschreibung neu zu bewerten. Aber du scheinst dazu weder Willens noch fähig zu sein! Und wenn du ernsthaft(?) glaubst, Argumente zum diskutierten Video dadurch ersetzen zu können, indem du einfach ein zweites, anderes einstellst (wobei du eine Beschreibung hier wie dort schuldig bleibst), dann muss ich dir offen und ehrlich sagen, dass das auf mich einfach nur erbärmlich und peinlich wirkt und dass ich dich auf diesem Niveau als Mitdiskutanten nicht ernst nehmen kann! :no: :no: :no:
    (Aber du diskutierst ja hier auch gar nicht wirklich über die konkreten Videos mit, insofern muss ich das ja auch gar nicht... :D )

    Sehr freundlicher Tonfall. So schafft man sich Freunde. Oder auch nicht. Ich halte hier lieber meine Klappe, ich möchte nicht Gefahr laufen, als "erbärmlich" und "peinlich" beschimpft zu werden.

    La Roche

    Ich streite für die Schönheit und den edlen Anstand des Theaters. Mit dieser Parole im Herzen leb' ich mein Leben für das Theater, und ich werde weiterleben in den Annalen seiner Geschichte!

    Zitat des Theaterdirektors La Roche aus Capriccio von Richard Strauss.

  • Es ist immer gut, so konsequent zu sein wie du und sich fest vorzunehmen, in einer Rubrik keine Beiträge mehr zu schreiben, wie man sieht... :hahahaha:

    Beste Grüße vom "Stimmenliebhaber"

  • Es ist immer gut, so konsequent zu sein wie du und sich fest vorzunehmen, in einer Rubrik keine Beiträge mehr zu schreiben, wie man sieht

    Ich mag Dich...


    La Roche

    Ich streite für die Schönheit und den edlen Anstand des Theaters. Mit dieser Parole im Herzen leb' ich mein Leben für das Theater, und ich werde weiterleben in den Annalen seiner Geschichte!

    Zitat des Theaterdirektors La Roche aus Capriccio von Richard Strauss.

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  • Fazit: Lieber Operus, ich schätze dich wirklich sehr, aber nimm es mir bitte nicht übel, wenn ich feststellen muss, dass du das Anliegen dieser Rubrik offenbar nicht verstehen kannst oder willst - oder dich zumindest nicht am Austausch aktueller Höreindrücke beteiligen kannst oder willst, wofür ich ja angeschts deines fortgeschrittenen Alters durchaus großes Verständnis habe, was ich dir also gar nicht übel nehme. Dennoch würde ich dich bitten, deine allgemeinen Aussagen zu Sängern, die nicht mit aktuellen Höreindrücken zu tun haben (zum Beispiel, in welchen Rollen dir ein Sänger am besten gefallen hat), lieber in die jeweiligen Sängerrubriken zu schreiben, da sind sie wirklich besser aufgehoben.

    Lieber Stimmenliebhaber,
    danke für die Offenheit und den "Rausschmiss", der sogar mit Wertschätzung und gewissem Charme verbunden ist. Ich verstehe das Anliegen dieses für mich nach wie vor interessantem Threads, bei dem ich weiterhin mitlesen werde, gut. Es reizt mich nach wir vor, auch über Sänger zu schreiben, jedoch nicht unbedingt in dieser detalliert, sezierenden Form, in der von Euch die Aufnahmen beurteilt werden. Vielleicht steht mir da meine Kritikervergangenheit im Weg, wo immer resümierender geurteilt werden musste, weil der Platz für so stark detaillier,te Betrachtungen nicht gewährt wurde. In meiner letzten großen Besprechung über den neu herausgekommenen Wolfgang Wagner-Kempe-Ring als Erstveröffentlichung auf CD aus Bayreuth 1962, den ich auch hier im Forum in der Rubrik," Der Ring, der nie gelungen" einstellte, kannst Du sicherlich erkennen, dass ich sehr wohl Höreindrücke von Sängern erkennen und beurteilen kann, nur anders und vielleicht in der Tat allgemeiner, als Ihr "Höromanen" dies in diesem Thread wollt.
    Wenn ich selbst oft mit meinem Alter kokettiere, dann ist da auch "fishing for compliments" dabei. Hält Dir jedoch ein geschätzter Partner den Spiegel mit den Worten vor:.
    " wofür angesichts Deines fortgeschrittenen Alters durchaus großes Verständnis habe, was ich Dir also gar nicht übel nehme" dann tut das weh. Denke bitte über die Aussagen nach, hinterfrage sie unter dem Eindruck auf den Empfänger. Vorsicht auch Du wirst älter und dann mit gnädigen Entschuldigungen über Deine ach so verständlichen Defizite konfrontiert werden.
    Machen wir also in diesem Forum und auch sonst weiter. Jeder an der Stelle, wo er den meisten Nutzen bringen kann. :hello:
    Herzlichst
    Operus

    Umfassende Information - gebündelte Erfahrung - lebendige Diskussion- die ganze Welt der klassischen Musik - das ist Tamino!

  • Lieber "Operus",


    vielen Dank für dein Teilverständnis, dass diese Rubrik eben mal anders laufen soll als die sonstigen Sänger-Rubriken, mit dem Austausch aktueller Höreindrücke, was bei einigen auch sehr gut funktioniert. :yes:


    Vielleicht steht mir da meine Kritikervergangenheit im Weg, wo immer resümierender geurteilt werden musste


    Ich habe selbst genug Rezensionen geschrieben und habe auch dort gerne mein Urteil durch detailreiche Argumente begründet - unabhängig davon bleibe ich bei meinen hiesigen Höranalysen mein Resümee am Ende des Beitrags selten schuldig.


    Wenn ich selbst oft mit meinem Alter kokettiere, dann ist da auch "fishing for compliments" dabei. Hält Dir jedoch ein geschätzter Partner den Spiegel mit den Worten vor:.
    " wofür angesichts Deines fortgeschrittenen Alters durchaus großes Verständnis habe, was ich Dir also gar nicht übel nehme" dann tut das weh. Denke bitte über die Aussagen nach, hinterfrage sie unter dem Eindruck auf den Empfänger.


    Lieber "Operus", ich habe einfach deine hiesige Aussage, ernst genommen, wie ich dich immer ernst nehme:


    Höreindrücke beschreiben geht immer noch, obwohl leider auch das Gehör nicht mehr das allerbeste ist.


    Lieber "Operus", weh tun wollte ich dir wirklich nicht und ich würde mich immer noch sehr freuen, wenn du mir hier auf eine ähnliche Weise mit eigenen Höreindrücken antworten könntest bzw. wölltest wie "Don_Gaiferos" oder der "Melomane", weil diese Art und Weise das Wesen dieser Rubrik sein soll - aber wenn du lieber allgemeinere, "resümierendere" Betrachtungen zu den jeweiligen Sängern schreiben willst und mehr deren Lebensleistung würdigen willst, als en detail über eine konkrete Aufnahme zu diskutieren, dann bieten sich die Sängerrubriken dafür ideal an - und ich werde das mit Sicherheit mit großem Interesse lesen! :yes: :hello:


    Im Übrigen bin ich mir in deinem Falle ganz sicher, dass auch du vor ein paar Jahrzehnten die Aufnahmen auch lieber selbst hören und beurteilen wolltest, als blind (bzw. ungehört) dem Urteil Älterer darüber zu vertrauen, und dass du dir auf der Grundlage deiner eigenen Höreindrücke auch dein eigenes Urteil gebildet hast. :hail:

    Beste Grüße vom "Stimmenliebhaber"

  • Machen wir also in diesem Forum und auch sonst weiter. Jeder an der Stelle, wo er den meisten Nutzen bringen kann. :hello:

    Lieber "Operus", beinahe hätte ich dein wunderbares Schluss-Resümee (resümieren kannst du sehr gut, gar keine Frage! :thumbup: ), dem eigentlich nichts hinzuzufügen ist! :jubel: :jubel: :jubel:

    Beste Grüße vom "Stimmenliebhaber"

  • Im Übrigen bin ich mir in deinem Falle ganz sicher, dass auch du vor ein paar Jahrzehnten die Aufnahmen lieber selbst hören und beurteilen wolltest, als blind (bzw. ungehört) dem Urteil älterer darüber zu vertrauen, und dass du dir auf der Grundlage deiner eigenen Höreindrücke auch dein eigenes Urteil gebildet hast. :hail:

    :angel: :angel: :angel: :hello: :hello: :hello:

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  • Für heute stünden Yvonne Kenny, Annelies Burmeister, Oralia Dominguez, Hakan Hagegard und Mark Reizen zur Auswahl. Möchte jemand mal in Vorlage gehen? (Bin heute zeitlich etwas knapp und würde mich gerne einmal wieder nur dranhängen... ;) )

    Beste Grüße vom "Stimmenliebhaber"

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  • Der große russische Bassist Mark Reizen starb heute vor 25 Jahren im gesegneten Alter von 97 Jahren in Moskau. Eine große Berühmtheit hat er durch die Tatsache erlangt, dass er noch an seinem 90. Geburtstag, 65 Jahre (!!!) nach seinem Debüt am Moskauer Bolschoi-Theater, ebenda den Fürsten Gremin sang. Anders als Schaljapin, als dessen legitimer Nachfolger der gebürtige Ukrainer Reizen einigen gilt, gab er wenige Auslandsgastspiele, sein künstlerisches Zentrum war das Bolschoi-Theater, dessen erster Bass Reizen über Jahrzehnte hinweg war. Große Berühmtheit hat er - natürlicherweise - vor allem in den großen Basspartien des russischen Faches erlangt, also als Iwan Sussanin, Dossifej und vor allem als Boris. Da man ihm jedoch nachsagt, er sei von den großen russischen Bässen der kantabelste gewesen, möchte ich ihn in einer Aufnahme als König Philipp II. vorstellen.



    Schon das einleitende "Ella giammai m'amò!" ist ein echtes Statement - wir begegnen einer riesigen, kraftvollen, dunklen Bassstimme, die zwar ansatzweise etwas die typische Knorrigkeit slawischer Bassstimmen aufweist, jedoch gleichzeitig über einen weichen Kern verfügt. Gestalterisch bleibt Reizen allerdings in dieser Phrase eher vage, er dröhnt sie zwar nicht, ist jedoch auch weit vom piano entfernt, welches Verdi an dieser Stelle schreibt. "Amor per me non ha, per me non ha" hat zwar einen rollengerechten traurigen Unterton, das starke Abdunkeln des "a"s deutet jedoch darauf hin, dass italienisch nicht seine bevorzugte Gesangssprache war. Denen von Verdi bohrend geschriebenen Triolen ("Io la rivedo ancor...") nährt sich Reizen nicht nur mit rhythmischer Prägnanz, sondern auch mit einer für so eine schwere Bassstimme erstaunlichen Eloquenz. Beim zum es hinauf gehenden "No, amor per me non ha!" stellt Reizen eine erstaunlich leichte Höhe unter Beweis, lässt sich den ganz großen Effekt aber nehmen, indem er auf das pianissimo bei der Wiederholung des Textes verzichtet. In der mit der Ausdrucksbezeichnung "più animato" versehenen Phrase "Passar veggo imiei giorni lenti..." stellt Reizen nicht nur ein beeindruckendes tiefes g (auf occhi) aus, sondern zeigt mit einem wunderbar geformten Triller ("languenti") wie biegsam seine schwere Stimme ist.
    "Dormirò sol..." ist für meinen Geschmack wiederum etwas zu laut angesetzt, versöhnt aber durch den schier endlosen Atem und die feine legato-Kultur. Auf die fermate auf "del Escurial" wird freilich verzichtet. Mit der im forte angesetzten, triolenreichen Phrase "Se il serto regal a me desse il poter..." ist Reizen ganz in seinem Element: Er legt eine derart überwältigende vokale Autorität an den Tag, dass der Zuhörer beinahe Sympathie für sein anmaßendes Begehren, in das Herz aller Menschen schauen zu können, entwickelt. "Se dorme il prence" strahlt für mich zu wenig Angst aus, während die Wiederholung von "Dormirò..." immerhin im piano angesetzt ist, wobei hier konstatiert werden muss, dass sein piano nicht die gleiche Saftigkeit hat wie sein mezzoforte. Trotzdem ist auch diese Phrase wieder von hoher Kantabilität geprägt. Das letzte "Ella giammai mi amò" ist zwar piano gesungen, hat aber nichts von der fahlen Farbe, die an dieser Stelle beim Zuhörer eine große Erschütterung auslösen könnte, das e auf "amor", für viele Bässe ein Angst-Ton, kommt hingegen wieder mit bestechender Souveränität, wird aber ungebührlich ausgestellt (Verdi schreibt hier nur eine Achtel), so dass der Abschluss der Arie für mich einen zu heroischen Charakter erhält.
    Eine wahrhaft beeindruckende Stimme mit toller Tiefe, super Höhe, erstaunlicher legato-Kulur, aber leider kein Philipp, der mich das Schaudern lehrt. Diese Interpretation klingt für mich vokal zu gesund, die fahlen Farben fehlen ihr fast völlig, so dass der große emotionale Zwiespalt zwischen autoritärem Herrschaftsanspruch und Verletzlichkeit letztlich nicht zur Genüge versinnbildlicht wird.


    Bei einem Beitrag über Mark Reizen, darf natürlich die berühmte Gremin-Arie zu seinem 90. Geburtstag nicht fehlen, die ich aber natürlich aufgrund des hohen Alters des Protagonisten nicht so sezieren möchte, wie die Philipp-Arie. Die Stimme ist aber durchaus noch imposant und hat noch immer eine enorme Tiefe, finde ich!


  • Der große russische Bassist Mark Reizen starb heute vor 25 Jahren im gesegneten Alter von 97 Jahren in Moskau. Eine große Berühmtheit hat er durch die Tatsache erlangt, dass er noch an seinem 90. Geburtstag, 65 Jahre (!!!) nach seinem Debüt am Moskauer Bolschoi-Theater, ebenda den Fürsten Gremin sang.

    Da man ihm jedoch nachsagt, er sei von den großen russischen Bässen der kantabelste gewesen, möchte ich ihn in einer Aufnahme als König Philipp II. vorstellen.

    Lieber "Melomane",


    sei ganz herzlich bedankt für deinen Beitrag und deine darin enthaltene Höranalyse der Philipp-Arie des Bassisten Mark Reizen, die ich mit sehr großem Interesse gelesen und nachgehört habe. :jubel: :jubel: :jubel:


    Soll ich mich nun überhaupt noch dazu äußern und mich dadurch wieder persönlich angreifbar machen, wo doch dein Beitrag bislang keinen Widerspruch provoziert hat und somit allgemeiner Konsens zu sein scheint?
    Ich hätte Mark Reizen nicht vorstellen wollen. Warum nicht? Weil mich seine Stimme bislang nicht berührt und begeistert hat - wie es mir leider mit fast allen russischen Sängerinnen und Sängern geht. In der Top-50 meiner historischen (also nicht mehr live erlebten) wie meiner live erlebten Lieblingssänger dürfte sich vermutlich kein einziger russischer finden - und selbst bei den großen russischen Bass-Partien sind Sänger aus Bulgarien oder Finnland eher meine Favoriten. Natürlich habe ich mich gefragt, warum das so ist? Es scheint mir die spezielle russische Gesangsschule zu sein, mit der ich wenig bis gar nichts anfangen kann: die Stimme sitzt dabei für meinen Geschmack häufig zu weit hinten im Hals und erzeugt Töne, die ich als dumpf, mulmig und eher "ungefähr" empfinde. Das betrifft natürlich nicht alle russischen Sängerinnen und Sänger (am wenigsten die lyrischen Tenöre, von denen einige der besten ja erstaunlich hell klingen), aber als ich jetzt (nach einigen Jahren Pause) die Stimme von Mark Reizen mit der Philipp-Arie wiedergehört habe - hat sich dieses grundsätzliche Problem, das ich mit dieser Art des Singens habe, nicht in Wohlgefallen aufgelöst.
    Dass du ihn hier mit einer sehr bekannten italienischen Arie vorgestellt hast, scheint mir Segen und Fluch zugleich zu sein - Segen, weil man diese Arie natürlich viel besser kennt und somit auch besser beschreiben und vergleichen kann, als man das bei einer relativ unbekannten russischen Opernarie könnte - und Fluch, weil dadurch das, was ich im Vergleich zu anderen Interpreten als defizitär ansehe, meiner Meinung nach besonders deutlich zum Erklingen kommt.


    Schon das einleitende "Ella giammai m'amò!" ist ein echtes Statement - wir begegnen einer riesigen, kraftvollen, dunklen Bassstimme, die zwar ansatzweise etwas die typische Knorrigkeit slawischer Bassstimmen aufweist, jedoch gleichzeitig über einen weichen Kern verfügt.


    Das mit dem "weichen Kern" habe ich mit sehr großem Interesse gelesen und überlege mir, was du damit meinst - ich hätte meinen Höreindruck so beschrieben, dass mir bei dieser Stimme der klingende Kern, der Mittelpunkt, der Fokus fehlt, dass mir die Stimme zu breit, zu unzentriert ist und für mich an den Rändern irgendwie "ausgefranzt" klingt. Meinen wir das Gleiche oder bin ich in meinem subjektiven Urteil zu hart?


    Gestalterisch bleibt Reizen allerdings in dieser Phrase eher vage, er dröhnt sie zwar nicht, ist jedoch auch weit vom piano entfernt, welches Verdi an dieser Stelle schreibt.


    In einer anderen Rubrik schrieb gestern gerade ein Tamino, dass es bei ihm immer eine Frage der ersten Sekunden ist, ob ihn eine Stimme anspreche und begeistere oder nicht. Einer "sezierenden Analyse" bedürfe es deshalb gar nicht. Nun sehe ich das schon differenzierter, weil mich Stimmen manchmal auch erst im Verlauf einer Aufnahme begeistern können, wenn auch nicht ungetrübt, denn auch für mich ist nicht unwichtig, ob sich bei den ersten Tönen des Erklingens einer Stimme der gewisse "Wow"-Effekt einstellt oder nicht - und hier stellt er sich bei mir nicht ein. Als ich seinen ersten Einsatz bei dieser Arie zum ersten Mal hörte, fragte ich mich, ob ich die Arie jetzt wirklich durchhören möchte oder ob das beste an diesem Video vielleicht doch die ersten knapp drei Minuten der (sehr schön musizierten, das darf man hier auch mal sagen) Orchester-Einleitung waren?


    Beim zum es hinauf gehenden "No, amor per me non ha!" stellt Reizen eine erstaunlich leichte Höhe unter Beweis, lässt sich den ganz großen Effekt aber nehmen, indem er auf das pianissimo bei der Wiederholung des Textes verzichtet.


    Bei der "erstaunlich leichten Höhe" gebe ich dir Recht, frage mich aber, ob man bei diesem emotionalen Ausbruch nicht gerade mehr forcieren und fortissimo singen müsste und ob nicht schon "die leichte Höhe" viel von dem ganz großen Effekt nimmt, dessen Fehlen du nur dem fehlenden Pianissimo danach ankreidest? Der Kontrast ließe sich nach beiden Seiten hin vergrößern.


    Mit der im forte angesetzten, triolenreichen Phrase "Se il serto regal a me desse il poter..." ist Reizen ganz in seinem Element: Er legt eine derart überwältigende vokale Autorität an den Tag, dass der Zuhörer beinahe Sympathie für sein anmaßendes Begehren, in das Herz aller Menschen schauen zu können, entwickelt.


    Da stimme ich dir voll zu, diese Passagen finde auch ich besonders gelungen - und frage mich daher, ob man ihm nicht einen größeren Gefallen getan hätte, ihn in einer eindimensionaleren Bass-Arie zu besprechen, wo er genau mit diesen Stärken überzeugen kann, und wo seine Schwächen, die in der Philipp-Arie deutlich werden, gar nicht vorkommen? Interessanter ist es aber freilich, gerade über solche Beispiele wie dieses zu sprechen, in dem sich Gelungenes und weniger Gelungenes die Klinke in die Hand geben. Insofern hast du - mal wieder - ein gutes Werk getan! :thumbup:


    Eine wahrhaft beeindruckende Stimme mit toller Tiefe, super Höhe, erstaunlicher legato-Kulur, aber leider kein Philipp, der mich das Schaudern lehrt. Diese Interpretation klingt für mich vokal zu gesund, die fahlen Farben fehlen ihr fast völlig, so dass der große emotionale Zwiespalt zwischen autoritärem Herrschaftsanspruch und Verletzlichkeit letztlich nicht zur Genüge versinnbildlicht wird.


    Dein Fazit kann ich so absolut unterschreiben: Sein Material ist in allen Lagen eindrucksvoll, obwohl es für mich aufgrund bestimmter russischer Eigenarten bei der Klangformung nicht so eindrucksvoll ist, wie es meines Erachtens andernfalls klingen könnte (mit dem Klang dieser Stimme tue ich mich wie gesagt schwer) - und interpretatorisch bleiben doch einige Wünsche offen, meine Lieblings-Interpretation dieser Arie ist das mit Sicherheit nicht.


    Bei einem Beitrag über Mark Reizen, darf natürlich die berühmte Gremin-Arie zu seinem 90. Geburtstag nicht fehlen, die ich aber natürlich aufgrund des hohen Alters des Protagonisten nicht so sezieren möchte, wie die Philipp-Arie.


    Lieber "Melomane", das tust du auch sehr gut dran, denn das wäre wirklich unfair gewesen, gerade diese Arie - die ich von der ersten Passage an grenzwertig finde (und die 90 Gründe dafür liegen ja auf der Hand) und die dem Faszinosum seiner Stimme (mit allem Pro und Kontra) nicht mehr gerecht wird, sondern eher ein Schatten vergangenen Ruhmes ist - hier detailliert unter die Lupe zu nehmen. Insofern wäre sie in dieser Rubrik tatsächich entbehrlich gewesen, zumal Willi sie ja in seinen Gedenkbeitrag eingebaut hat.


    Mein nichtrussischer Arienfavorit von ihm ist dieser Don Basilio, wo mich auch der "Dreck" auf der Stimme nicht wirklich stört:





    https://www.youtube.com/watch?v=IGd279zNMwI



    Aber in seinem ureigensten russischen Fach hat er natürlich noch größere Meriten, auch wenn ich da andere Interpreten mit größerer Ausdrucks- und Gestaltungspalette bevorzuge (vor allem Boris Christoff mit seiner gewaltigen Interpretationspannbreite vom veristischen Poltern mit zum zartesten, verletztlichsten Pianissimo), aber das ist von Reizen schon sehr gut gesungen und auch mit viel Ausdruck und Emotion verkörpert (weit mehr als beim Philipp):





    https://www.youtube.com/watch?v=JfTTj3nGLXM



    Nach dem Eindruck dieses Boris-Monologs aus dem Zaren-Gemach, wo er auch dynamisch sehr differenziert singt (viel mehr als beim Philipp!) zu urteilen, gestehe ich ein, dass das ein ganz Großer war. Wie er da die Höhen entweder im wirklichen Piano oder aber mit heldenbaritonalem Aplomb machtvoll heraufzieht und dann doch wieder jederzeit, wenn es naheliegt, ins Piano zurückgehen kann, das hat schon große Klasse! Und da gefällt mir auch sein Klang, der allerdings für einen Bass schon ziemlich hell und baritonal ist.


    War deine Auswahl der Philipp-Arie also vielleicht doch auch ein Stückchen weit Angst vor der Auseinandersetzung mit der russischen Materie und Sprache, während die dir die italienische Oper und Sprache eben doch näher steht? ;) :hello:


    Dieser Boris-Monolog ist jedenfalls eine echte Entdeckung und Bereicherung und ich würde danach mein eingangs geäußertes Statement. dass mich die Stimme dieses Bassisten noch niemals berührt oder wirklich erreicht hat, nicht mehr aufrecht erhalten wollen. Kann es schönere Früchte aus dem Austausch von Höreindrücken in dieser Rubrik geben? :angel: :angel: :angel:


    So, nun habe ich doch wieder viel Subjektives und Polarisierendes geschrieben - und kitzle damit vielleicht noch die eine oder andere (Gegen-) Reaktion hervor, die deiner hochqualitativen eloquenten Analyse mangels Reibefläche (trotz so vieler gut nachvollziehbar analysierter Details) bisher nicht vergönnt war.


    Auf alle Fälle hast du, lieber "Melomane", hier einmal mehr einen ganz starken Beitrag beigesteuert, der mich sehr freut, weil er genau dem Anspruch dieser Rubrik, sich wieder mehr über Stimmen selbst auszutauschen, mehr als genügt, ja ihn ganz hervorragend umsetzt. So soll es hier sein! :yes: :jubel: :hail: :hello:

    Beste Grüße vom "Stimmenliebhaber"

  • Willi hat heute in seiner Gedenkrubrik dankenswerterweise an den 101. Geburtstag des deutschen Tenors Gerhard Unger erinnert. Er gilt als einer der führenden Tenor-Buffos seiner Zeit und wird vor allem mit Rollen wie Pedrillo, Monostatos, Jaquino, aber auch David (in beiden Kempe-Studioaufnahmen der "Meistersinger") assoziiert, und das völlig zu Recht, weil er hier wirklich Maßstabsetzendes leistete. Allen genannten Rollen ist gemeinsam, dass es sich jeweils um den zweiten Tenor im Stück handelt.
    Unger hat jedoch auch erste Tenor-Rollen auf der Bühne verkörpert, hat etwa an der Staatsoper Berlin über Jahre in jeder "Così fan tutte" den Ferrando gesungen.


    Und so möchte ich hier seine Arie des Ferrando vorstellen, gesungen in deutscher Sprache, was damals bei seinen Bühnenauftritten in dieser Rolle selbstverständlich war - und ich bedauere beim Anhören dieser Arie zwar nicht, dass das nicht mehr selbstverständlich ist, aber doch, dass es leider selbstverständlich geworden zu sein scheint, dass das nicht mehr so ist (die Diskussion über die richtige Aufführungesprache sollten wir aber lieber in anderen Rubriken führen, obwohl diese Arie für mich ein eindrucksvolles Plädoyer für die Aufführungssprache Deutsch ist):



    https://www.youtube.com/watch?v=8AL3awHiGSM


    (Leider knistert die LP etwas...)


    Ich höre hier überhaupt keine "Buffo-Stimme", sondern eine sehr edel und geschmackvoll geführte helle und wirklich "tenorale" lyrische Tenor-Stimme eines Sängers, der dieser Arie in seiner (deutschsprachigen) Interpretation kaum etwas schuldig bleibt.


    Schon die erste Phrase "Der Odem der Liebe" ist wunderbar lyrisch auf langem Bogen und ohne jegliche Forcierung gesungen.


    Bei den Vokalen "i" und "o" tendiert die Stimme mitunter zu einer leichten "buffonesken" Unruhe, die "a"-Vokale sind freilich ganz wunderbar gefärbt und klingen ideal.


    Die Textverständlichkeit ist ideal, ich verstehe auch in dieser hohen Lage jedes Wort und habe jederzeit das Gefühl, dass er genau weiß was er singt, und den Gehalt dem Zuhörer nicht nur tranportieren will, sondern auch tatsächich transportiert. Das "Labsal" ist ein Labsal, "Wonnig" klingt wonnig und "schmeichelnd" ist schmeichelnd.


    Im Mittelteil ("begehret nicht weiter, ist selig und reich") merkt man etwas, dass die Stimme im Volumen nicht unbegrenzt ist. Das Forte-"reich" als Spitzenton stößt hörbar an Grenzen - aber wie wunderschön ist das dieses Mittelteil abschließende Piano-"reich" gesungen?! :rolleyes:


    Sehr schön im Piano beginnt dass die Wiederholung des A-Teiles.


    Herrlich finde ich das unerwartete Subito-Piano bei der ersten direkten Wiederholungen von "so schmeichelnd" (bei 3:29)


    Der letzte Spitzenton auf "schmeichelnd" stößt dann wieder etwas an Grenzen, was erklärt, warum Unger hauptsächlich eben doch das "zweite" Fach gesungen hat und nicht das erste.


    Dennoch: Diese so unerwartete lyrische Ruhe, Reinheit und Leichtigkeit, die in dieser Ferrando-Arie eben auch zu hören ist, beeindruckt mich - und das gilt ebenso für folgende Ottavio-Arie:



    https://www.youtube.com/watch?v=EfGADgsPShM


    :jubel: :jubel: :jubel:


    Ich werde heute keinen weiteren Sänger hier ins Feld führen, freue mich aber, wenn andere Taminos hier nicht nur ihre Höreindrücke zu Gerhard Unger, sondern vielleicht auch zu Heinrich Knote, Fernando Corena oder Marcel Cordes schildern würden. :yes:


    Über Frau Galli-Curci haben wir uns ja hier bereits ausgetauscht.


    http://tamino-klassikforum.at/…&postID=622769#post622769


    "Caruso41" hat ja frecherweise schon verraten, warum heute nicht mehr alzuviele Beiträge von mir zu erwarten sind... :D


    P.S.: Hat Unger eigentlich die Nadir-Arie eingespielt?

    Beste Grüße vom "Stimmenliebhaber"

  • Zitat von Stimmenliebhaber

    Das mit dem "weichen Kern" habe ich mit sehr großem Interesse gelesen und überlege mir, was du damit meinst - ich hätte meinen Höreindruck so beschrieben, dass mir bei dieser Stimme der klingende Kern, der Mittelpunkt, der Fokus fehlt, dass mir die Stimme zu breit, zu unzentriert ist und für mich an den Rändern irgendwie "ausgefranzt" klingt. Meinen wir das Gleiche oder bin ich in meinem subjektiven Urteil zu hart?


    Mit "weichen Kern" meine ich, dass die Stimme für mich, neben der durch eine etwas kehlige Tonproduktion erzeugten Knorrigkeit, noch eine zweite Facette aufweist: Gerade im Mezzoforte und besonders, wenn Reizen legato singt, tritt eine beinahe balsamische Klangfarbe zutage, die einen interessanten Kontrapunkt zum breiten Fundament der Stimme bildet. Dass die Stimme dir etwas unzentriert vorkommt, kann ich nachvollziehen, dass sie "ausgefranzt" klingt, eher weniger, dazu ist die Tonproduktion gerade in den Extremlagen zu griffig.


    Zitat von Stimmenliebhaber

    War deine Auswahl der Philipp-Arie also vielleicht doch auch ein Stückchen weit Angst vor der Auseinandersetzung mit der russischen Materie und Sprache, während die dir die italienische Oper und Sprache eben doch näher steht? ;) :hello:


    Nein, das war es nicht. Hatte den Boris auch in der engeren Auswahl, habe mich dann aber dagegen entschieden, weil ich das Urteil über Reizen als den kantabelsten aller russischen Bässe im Hinterkopf hatte und dachte, dass ließe sich am ehesten am Philipp überprüfen. Ich bedauere aber in der Tat, dass Reizen die Arie nicht auf russisch eingespielt hat, denn ich habe ein bisschen den Verdacht, dass sich die beschriebenen Defizite aus der Tasache her speisen, dass ihm die Gesangssprache Italienisch nicht allzu vertraut war. (Das italienische Repertoire natürlich schon, aber nur halt auf russisch.)


    Die andere Aufnahme, die ich in der engeren Wahl hatte, ist übrigens folgende - russisch gesungene - Aufnahme von Wotans Abschied, die ich, ohne ins Detail gehen zu wollen, nicht nur ob des fortgeschrittenen Alters Reizens (bereits 70) absolut erstaunlich finde:



  • Ich höre hier überhaupt keine "Buffo-Stimme", sondern eine sehr edel und geschmackvoll geführte helle und wirklich "tenorale" lyrische Tenor-Stimme eines Sängers, der dieser Arie in seiner (deutschsprachigen) Interpretation kaum etwas schuldig bleibt.


    So ganz kann ich in diesen Jubel nicht einstimmen. Was ist eine "Buffo-Stimme" bei einem Tenor? Eine leichte, bewegliche, vielleicht nicht unbedingt schöne, trotz ihrem agilen Charakter aber doch durchschlagskräftige Stimme, oder nicht? (Dass die Höhe gut ist, spricht m. E. auch nicht gegen eine Buffo-Stimme, der Pedrillo, eine von Ungers Paradepartien im Buffo-Fach, erfordert genau das.) All das trifft auf Unger ziemlich genau zu. "Hell", da bin ich ganz bei dir, gut geführt würde ich sie auch nennen. Aber edel? Dafür ist mir ihr Klang etwas zu eng und penetrant, nicht hässlich, aber doch sehr prosaisch.


    Bereits die erste Phrase überzeugt durch sichere Stimmführung und durchaus Musikalität, die besungene "aura" findet aber klanglich kaum Entsprechung, dafür klingt alles zu gerade und auch ein wenig zu phantasielos. "Ristoro" mit der Sechzehntel-Triole ist sehr souverän, beredtsam gesungen, bei "al cor porgerà" stört mich das leichte Nachdrücken auf dem fis, das wäre - glaube ich - gar nicht nötig.


    Die folgenden Sechzehntel-Läufe ("un dolce ristoro") gefallen mir sehr gut, sie werden leicht angegangen und perlen mit höchster Intonationssicherheit. Die Töne im passagio wie das gis auf "da speme" werden obertonreich, in die Phrasenstruktur eingewebt gemeistert, das a auf "migliore" gelingt auch sehr sicher, mit einer minimalen Unsauberkeit in der folgenden Triole, beim nachfolgenden, mehrfach wiederholten "bisogno non ha" fehlt mir, gerade auf den langen Tönen etwas die klangliche Qualität des Tones, wenngleich das piano auf den letzten fermaten-Ton "ha" von hoher Musikalität und technischer Meisterschaft zeugt.


    Die Wiederholung von "Un aura" ist wiederum sehr gerade und auch nicht schwebend genug, zusätzlich missfällt mir das etwas angeschliffene fis auf "cor", ähnlich wie bereits im A-Teil. "Ristoro" könnte mehr Klang und einen etwas großzügigeren Atem vertragen, die zahlreichen a's im Schlussteil gelingen zweifelsohne sehr souverän, wenn auch für meinen Geschmack etwas zu gefistelt. Trotzdem nimmt er hier mit gutem legato ein, störend für mich, dass er sich den Triller auf dem letzten "porgerà" schenkt, so dass sich der Eindruck einer - für mich allzu - geraden Interpretation bei mir verfestigt.


    Bei einem Resümée mit ich mit den Vokabeln "rein" und "leicht" ganz bei "Stimmenliebhaber", dass er das singen kann, steht völlig außer Frage -
    ein Klangzauber, den ich mir bei dieser Arie aber neben der Bewältigung des Notentextes wünsche, stellt sich aber für mich zu keinem Zeitpunkt ein, trotzdem Unger dynamisch viele Facetten auslotet und eine hohe piano-Kultur an den Tag legt.

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  • Lieber "Melomane",


    herzlichen Dank für deine Antwort auf meine Antwort (und meine dabei aufgeworfenen Fragen) auf deinen Reizen-Beitrag. :jubel:


    Mit "weichen Kern" meine ich, dass die Stimme für mich, neben der durch eine etwas kehlige Tonproduktion erzeugten Knorrigkeit, noch eine zweite Facette aufweist: Gerade im Mezzoforte und besonders, wenn Reizen legato singt, tritt eine beinahe balsamische Klangfarbe zutage, die einen interessanten Kontrapunkt zum breiten Fundament der Stimme bildet.


    Vielen Dank für deine Erklärung zum "weichen Kern", die ich jetzt nachvollziehen kann. Das "breite Fundament" höre ich auch, die "beinahe balsamische Klangfarbe" eher weniger.


    Dass die Stimme dir etwas unzentriert vorkommt, kann ich nachvollziehen, dass sie "ausgefranzt" klingt, eher weniger, dazu ist die Tonproduktion gerade in den Extremlagen zu griffig.


    Es freut mich, dass du das mit dem "unzentriert" nachvollziehen kannst. Dass du das mit dem "ausgefranzt" nicht nachvollziehen kannst, verstehe ich gut, der Begriff war in diesem Zusammenhang auch nicht sehr glücklich gewählt, ich ziehe ihn hiermit zurück. :yes:


    Was ist eine "Buffo-Stimme" bei einem Tenor? Eine leichte, bewegliche, vielleicht nicht unbedingt schöne, trotz ihrem agilen Charakter aber doch durchschlagskräftige Stimme, oder nicht? (Dass die Höhe gut ist, spricht m. E. auch nicht gegen eine Buffo-Stimme, der Pedrillo, eine von Ungers Paradepartien im Buffo-Fach, erfordert genau das.) All das trifft auf Unger ziemlich genau zu. "Hell", da bin ich ganz bei dir, gut geführt würde ich sie auch nennen. Aber edel? Dafür ist mir ihr Klang etwas zu eng und penetrant, nicht hässlich, aber doch sehr prosaisch.


    Vielen Dank auch für deine Rückmeldung zu Gerhard Unger, selbst wenn du nicht zu einer so positiven Einschätzung kommst wie ich. :hello:


    Ja, was genau ist ein Buffo-Tenor? Du beschreibst das Ideal, in der Praxis ist ein Buffo-Tenor hingegen ein gesanglich eingeschränkter Tenor, der nicht das erste Fach (auch nicht das lyrische) singen kann, sondern mehr ein Singschauspieler ist und mehr von seinen sprachlichen und darstellerischen Fähigkeiten (eben seiner Bühnenpräsenz) lebt und mindestens ebenso sehr Komödiant wie Sänger ist.


    Der Pedrillo ist ein Sonderfall: Im 1. Akt hat er abgesehen vom Finalterzett nichts zu singen, aber viel zu sprechen, im 2. Akt ist er im Duett mit Osmin tatsächlich ein leichter Spieltenor bzw. Buffotenor, in der Arie davor braucht er hingegen beinahe heldentenorale Fähigkeiten, das geht für mich deutlich über die üblichen Buffoanfoderungen hinaus (so etwas haben Monostatos, Jaquino und Peter Iwanow nicht zu leisten), im Finale des 2. Aktes liegt er im Fugaro so "grundiert", dass er schon beinahe Bassfähigkeiten braucht - und in der Serenade am 3. Akt ist er eher ein lyrischer Tenor als ein typischer Buffo-Tenor. Soll heißen: Ein reiner Buffo-Tenor wird mit dem Pedrillo immer Probleme haben - Unger war mehr als ein reiner Buffo-Tenor und genau deshalb ein so guter Pedrillo!


    Zum Frage edel oder nicht edel: Ich finde sowohl die Ferrando-Arie als auch die Ottavio-Arie weit edler und lyrischer gesungen, als ich das von einem Buffo-Tenor erwarten würde udn auch von Unger aufgrund seiner sonstigen Rollen erwartet hätte. In den beiden Aufnahmen singt für mich eher ein Belmonte als ein Pedrillo, auch wenn an einigen Stellen beim Ferrando doch der Pedrillo durchkommt, wie ich ja selbst eingeräumt habe. Ich würde auch bei Ungers Ferrando- und Ottavio-Arien-Einspielungen nicht von Idealinterpretationen sprechen, finde diese beiden Einspielungen dennoch höchst bemerkenswert im positiven Sinne. :thumbup:


    P.S.: Was ist für dich genau "prosaisch"?


    P.P.S.: Was mich bei deiner Höranalyse der Ferrando-Arie doch etwas irritiert: Du hast schon bemerkt, dass er deutsch und nicht italienisch singt??? :D

    Beste Grüße vom "Stimmenliebhaber"

  • Ein reiner Buffo-Tenor wird mit dem Pedrillo immer Probleme haben


    Trotzdem wird die Rolle - auch in großen Ensembles, die über mehr als einen lyrischen Tenor verfügen - in mehr als 90% aller Fälle von einem Buffo gesungen und fast nie von einem lyrischen Tenor. Dass wie jüngst an der Scala unter Mehta ein lyrischer Tenor, in diesem Fall Maximilian Schmitt, den Pedrillo singt, ist eine absolute Ausnahme, was zum einen daran liegt, dass die Höhe in "Frisch zum Kampfe" zwar da sein sollte, aber nicht wirklich schön klingen muss und dass die von dir angesprochene Serenade auch für einen vokal nicht übermäßig begabten Buffo zu meistern ist, da man mit Text hier vieles ausgleichen kann. Grundsätzlich finde ich es übrigens sehr erstrebenswert, wenn der Buffo-Tenor im Ensemble auch ein guter Sänger und nicht nur ein guter Darsteller ist. Das die Praxis häufig anders aussieht - nun ja.


    P.S.: Was ist für dich genau "prosaisch"?


    Nennen wir es meinetwegen "nüchtern".


    P.P.S.: Was mich bei deiner Höranalyse der Ferrando-Arie doch etwas irritiert: Du hast schon bemerkt, dass er deutsch und nicht italienisch singt??? :D


    Nein. Aber gut, dass mal jemand darauf hinweist.

  • Trotzdem wird die Rolle - auch in großen Ensembles, die über mehr als einen lyrischen Tenor verfügen - in mehr als 90% aller Fälle von einem Buffo gesungen und fast nie von einem lyrischen Tenor.


    Ich habe ja auch nicht gesagt, dass Pedrillo von einem lyrischen Tenor gesungen werden soll. Der hätte unter Umständen mit der Arie sogar mehr Probleme als ein guter Buffo.


    Zitat von »Stimmenliebhaber«
    P.P.S.: Was mich bei deiner Höranalyse der Ferrando-Arie doch etwas irritiert: Du hast schon bemerkt, dass er deutsch und nicht italienisch singt??? :D



    Nein. Aber gut, dass mal jemand darauf hinweist.


    Nachdem du permanent italienischen Text zitiert hast, den Unger gar nicht singt, dachte ich, ich müsste vielleicht darauf hinweisen. :P

    Beste Grüße vom "Stimmenliebhaber"


  • Nachdem du permanent italienischen Text zitiert hast, den Unger gar nicht singt, dachte ich, ich müsste vielleicht darauf hinweisen.


    Jeder so rum, wie er mag - dafür zitierst du beispielsweise in Beitrag 15 ja auch deutschen Text, den Mattia Battistini gar nicht singt. :P

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  • Mark Reizen ist einer der Sänger, die ich besonders schätze.
    Leider habe ich mich zu ihm bei dem letzten Austausch über Hörerlebnisse nicht äußern können.


    Das ist aber vielleicht nicht weiter schlimm, denn ich habe mich im Forum ja nun wirklich des öfteren und meist auch ausführlich mit seiner Stimme sowie mit seiner Gesangs- und Darstellungskunst beschäftigt!


    Mark Reisen, einer der größten Bassisten aller Zeiten


    Mark Reisen, einer der größten Bassisten aller Zeiten


    Mark Reisen, einer der größten Bassisten aller Zeiten


    In dem Zusammenhange sind bereits verschiedene Boris-Aufnahmen von ihm eingestellt worden, wenn auch nicht detailliert besprochen so doch mit Emphase gewürdigt!


    Auch im Austausch über die Arie des König Philipp ist die Aufnahme von Mark Reizen schon Thema gewesen.
    Ich hatte damals die italienisch gesungene Version eingestellt, obwohl ich der Meinung bin, dass sie nicht den außergewöhnlichen Rang hat, welcher der russisch gesungenen Aufnahme ohne Zweifel gebührt!


    Verdi, Don Carlo: Ella giammei m'amò (Sie hat mich nie geliebt), Arie des Filippo II


    Auch über seinen Mephistopheles (in Gounods Faust) habe ich geschwärmt!


    Faust (Gounod): Welche Aufnahme ist zu empfehlen?


    Mit Freude habe ich gelesen, was Melomane und Stimmenliebhaber jetzt aus Anlaß des Jubiläums geschrieben haben. Dazu will ich mich aber nicht noch äußern. Es gibt ja rein statistisch die Wahrscheinlichkeit, dass William alle halbe Jahre in seinem Thread an ihn erinnert!

    Mit ganz besonderer Genugtuung gelesen habe ich eigentlich diese Aussage:

    Dieser Boris-Monolog ist jedenfalls eine echte Entdeckung und Bereicherung und ich würde danach mein eingangs geäußertes Statement. dass mich die Stimme dieses Bassisten noch niemals berührt oder wirklich erreicht hat, nicht mehr aufrecht erhalten wollen.


    Beste Grüße


    Caruso41


    P.S.:
    Auch zu Alfredo Kraus kann ich ja was sagen wenn sein nächstes Jubiläum ansteht!


    :yes: - :yes: - :yes:

    ;) - ;) - ;)


    Wer Rechtschreibfehler findet, darf sie behalten!

  • P.S.:
    Auch zu Alfredo Kraus kann ich ja was sagen wenn sein nächstes Jubiläum ansteht!

    Nein, Nein, lieber "Caruso41", ich finde schon, dass du ein bissl nacharbeiten könntest! ;)


    Gerade deine Meinung zu Kraus, aber auch zu Unger, interessiert mich sehr! (Zumal wir ja vorgestern in der DOB nicht unbedingt in tenoralen Wonnen ertrunken sind....)


    Und es ist nicht von mir als Rubrikeröffner intendiert, dass man über die Leute nur an ihrem Gedenktag sprechn darf, es kann danach gerne noch ein paar Tage weitergehen und jeder, der seiner Höreindrücke verspätet schildern möchte, ist herzlich willkommen! :yes:

    Beste Grüße vom "Stimmenliebhaber"

  • Nein, Nein, lieber "Caruso41", ich finde schon, dass du ein bissl nacharbeiten könntest! ;)


    Doch, doch, doooooch, lieber Stimmenliebhaber!


    Ich war eine Woche weg und da ist viel liegengeblieben, was jetzt keinen Aufschub mehr duldet - zumal ich kommende Woche schon wieder unterwegs sein werde!


    Gerade deine Meinung zu Kraus, aber auch zu Unger, interessiert mich sehr! (Zumal wir ja vorgestern in der DOB nicht unbedingt in tenoralen Wonnen ertrunken sind....


    Ja, "tenorale Wonnen" gab es in der Deutschen Oper Berlin an diesem Abend leider nicht.
    Aber: wo bitte gäbe es die heute für eine Partie, die so exorbitante Anforderungen stellt, wie der Jean?
    Die Zeiten der Tichatschek, Tamberlin, de Reszke, Dalmores oder auch der Vignas, Paoli, Gilion, Escalais und Lazaro sind halt vorbei!
    Der arme Tenor soll ja der Lyrik und den Verzierungen in der Romanze des zweiten Aktes, der in schwindelerregende Höhen führenden Vision und der heroischen Hymne des dritten Aktes gerecht werden und muss schließlich dann noch im fünften Akt die überschäumende Vitalität für das Trinklied haben! Selbst ein Caruso soll da an Grenzen gestoßen sein. Und die Berichte von Martinelli und Melchior beklagen immer, dass sie den spezifischen franzöischen Gesangsstil nicht getroffen hätten.


    Aber etwas mehr als Kunde als Jean geboten hat, sollte es eigentlich schon sein, wenn man denn "Le Prophète" aufführt.


    Beste Grüße


    Caruso41

    ;) - ;) - ;)


    Wer Rechtschreibfehler findet, darf sie behalten!

  • Hat Lauritz Melchior wirklich den Propheten gesungen? Kann ich kaum glauben!


    Ja. Lauritz Melchior hat den Jean van Leyden zumindest an zwei Häusern in Deutschland gesungen1
    1928 in Hamburg (Ich glaube zusammen mit der Fides von Sabine Kalter) und
    1930 an dem Haus, an dem wir Gregory Kunde gehört haben, - also an der Städtischen Oper Berlin.


    Mein Großvater hat mir von den Aufführungen an der Bismarckstraße oft begeistert erzählt. Die Fides war Sigrid Onegin!
    Übrigens lief die Produktion schon seit 1927 - Melchior war also nicht die Premierenbesetzung! Die Hoffnung auf einen adäquaten Jean müssen wir also noch nicht beerdigen!


    Und noch eine Bemerkung: Dass selbst ein Sänger, der schon überall als Tristan, Tannhäuser und Siegfried reüssierte, mit der Romanze im 2. Akt Ehre einlegen kann, hat Jaques Urlus bewiesen: in der deutsch gesungenen Aufnahme von 1910!


    Beste Grüße


    Caruso41

    ;) - ;) - ;)


    Wer Rechtschreibfehler findet, darf sie behalten!

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  • Willi hat heute in seiner Gedenkrubrik dankenswerterweise an den 49. Todestag des Tenors Erwin Wohlfahrt erinnert. Er hat dort ein Video eingestellt, wo der Tenor mit der Pedrillo-Arie zu hören ist, und hat darunter geschrieben: "Herrlich gesungen!!" - Dieser kurze Kommentar verlockte mich, mir diese Arie auch anzuhören - und ich war gespannt, ob ich zum gleichen Ergebnis komme oder nicht.



    https://www.youtube.com/watch?v=5NKe84iagoU


    Der Beginn mit dem letzten Dialogsatz auf dem Vorspiel ist zumindest ungewöhnlich.
    Dann kommt das erste "Frisch zum Kampfe, frisch zum Streite" - und mein erster Eindruck ist leider nicht positiv. "Herrlich" klingt die Stimme für mich dort nun wirklich nicht, sondern eng und gepresst. Beide Phrasen werden nicht wirklich auf Linie gesungen, der obere Ton bei "Kampfe" klingt weder frei noch schön noch entschlossen kämpferisch, sondern eher bemüht. Die Nebensilbe "-pfe" wird eckig und zu betont drangesetzt, anstatt die Phrase edel abzuphrasieren. Beim "Streite" ist es ganz ähnlich - und das "r" bei "frisch" würde ich mir in dieser "Kampfesarie" weit stärker wünschen, man versteht beinahe "Fisch"! Ansonsten ist die Textverständlichkeit allerdings sehr gut, gar keine Frage!


    "Nur ein feiger Tropf verzagt" - in dieser tieferen Lage entspannt sich die Stimme, die Bildung des Diftons "ai" bei "ein" und "feiger" lässt die Stimme allerdings wieder etwas eng werden.


    "Sollt ich zittern, sollt ich zagen" - das Angstvolle, Zaghafte kommt im gewählten Piano sehr gut herüber.
    "nicht mein Leben mutig wagen" - beim letzten Wort stehen Haupt- und Nebensilbe wieder in keinem optimalen Verhältnis zueinander, bei der Wiederholung ist die Nebensilbe lauter als die Hauptsilbe, was nun wirklich nicht ideal ist!


    "Nein, ach, nein, es sei gewagt" - das wird jetzt wesentlich besser gesungen als der Beginn, die Stimme "sitzt" jetzt mehr und wird auf einem Legato-Bogen bis zum hohen "a" geführt.
    Allerdings ist mir das "Nein" vom Ausdruck her viel zu schwach, nicht entschlossen genug gesungen.


    Die erste Wiederholungstelle "Nur ein feiger Tropf verzagt" ist mir zu distanziert, zu sehr mit Charaktertenor gesungen, was meines Erachtens an dieser Stelle nicht passt, weil dadurch nur wenig Empathie mit der Figur aufkommt. Das klingt für mich mehr nach Mime als nach Pedrillo!


    Die erste Wiederholungsstelle ist mir insgesamt auch wieder zu eng gesungen, nur das "zagen" strahlt wunderbar kopfig - das ist wirklich ein "herrlicher" Ton, aber eben nur einer unter vielen anderen, die ich gar nicht als "herrlich" empfinde, wenn ich sie höre.
    Auch das geschlossene "e" auf der ersten Silbe von "Leben" ist mir zu eng im Klang.


    Die erster Wiederholungsstelle von "Nein, ach nein, es sei gewagt" ist wieder sehr gut und klangschön auf Linie gesungen - dieses Mal ist (erfreulicherweise) auch das "Nein" entschlossen genug.
    Das lange "a" von "gewagt" auf dem hohen A ist sicher, aber "herrlich" klingt der Ton für mich auch nicht, sondern schon sehr angespannt. Eine heldische Attitüde sucht man hier vergebens.


    Danach wiederholt sich nicht nur viel an Text und Musik, sondern auch bereits Beschriebenes.
    Der größte heldische Ausbruch "Frisch zum Kampfe, frisch zum Streite, frisch" bleibt immer kontrolliert, es fehlt mir die Euphorie, die Emphase, welche im Orchester erklingt.
    Wenn er dann zum hohen "B" geht, ist dieser Spitzenton zwar sicher, das klingt für mich aber leider mehr nach einem mittelprächtigen Evangelisten (sehr eng!) als nach dem Höhepunkt der Mozartschen Pedrillo-Arie.
    Beim anschließenden "Frisch zu Kampfe" wird das hohe A freilich mit einem schönen freien Vokal erreicht - wenn die Stimme doch immer so schön und frei wäre!
    Positiv anmerken möchte ich noch, dass ich mit dem tiefen Ton "te" nach dem lang gehaltenen "Strei" bei "Streite" sehr zufrieden bin, weil der Ton Substanz hat und klingt. Bei vielen Buffos kommt an der Stelle nur heiße Luft, beim ihm nicht.


    Das letzte "Nur ein feiger Tropf verzagt" mit dem starken Kontrast zum anschließend wieder entschlossen einsetzenden "Frisch zum Kampfe" gefällt mir sehr gut.


    Mein Fazit? Durchwachsen! Mit zahlreichen gelungenen Stellen und nicht minder zahlreichen unbefriedigenden Stellen. Zu Willis Fazit "Herrlich" komme ich also leider nicht, dafür habe ich diese Arie live (vor allem von Andreas Conrad an der Komischen Oper Berlin und an der Semperoper Dresden) und auf Platte (nicht zuletzt von Gerhard Unger, der hier zuletzt von "Melomane" durchaus auch kritisiet wurde) einfach schon zu oft besser gehört.


    Andere Meinungen? Insbesondere würde mich natürlich interessieren, ob "Melomane" meine Einschätzung teilt, dass Unger stimmlich schon noch eine andere Hausnummer ist als Wohlfahrt? Eine Ferrando- oder Ottavio-Arie kann ich mir von Wohlfahrt nach dieser Pedrillo-Arie nun gar nicht vorstellen, eher einen Hauptmann oder einen Mime. :yes:

    Beste Grüße vom "Stimmenliebhaber"

  • Petra Lang ist heute sicher eine der führenden Sängerinnen im deutschen Fach! Sie wechselt zwischen Mezzopartien und Sopranpartien! Inzwischen singt sie wohl meist nur noch Sopran. Kundry, Ortrud, Isolde und Brünnhilde singt sie nahezu allüberall!


    Hier im Forum hat sie bisher keinen eigenen Thread.


    Schön, dass Willliam sie auf Anlaß ihres Geburtstags in den Blick rückt!


    Ein Video, über das man sich aus Anlass des Jubiläums sinnvollerweise austauschen könnte, habe ich nicht gefunden. Meist sind nur lange Szenen eingestellt.
    Wie wäre es mit der Anrufung der Götter aus dem zweiten Akt des Lohengrin?


    https://www.youtube.com/watch?v=7Yc0rxYmM4Y



    Petra Lang singt das horrende Stück mit dem nötigen Furor! Die Dämonie einer Varnay ist ihr nicht gegeben. Auch die Klangintensität einer Ludwig erreicht sie nicht. Aber wer könnte sich mit der einen oder der anderen heute auch messen? Immerhin singt sie mit hochdramatischem vollen Volumen und schreit nicht, wie man es zuletzt häufig hörte. Auch der Text ist vergleichsweise gut zu verstehen. Stimmenliebhaber wird manchen Konsonanten vermissen aber das ist ja vielleicht sogar er bei dem Stück schon gewöhnt! Erstaunlicherweise ist die Tiefe weniger klangvoll als die obere Lage, aber für eine Live-Aufführung mag es gerechtfertigt sein, dass sie sich hier ganz auf die gefährlichen Höhen konzentriert. Die sind denn auch durchaus sauber intoniert, voll und rund. Schön finde ich sie nicht, aber müssen die Töne bei dieser extremen Raserei alle schön sein?


    Was mich mehr stört: Petra Lang bewältigt die Götteranrufung durchaus respektabel, aber sie hat kein heiliges Pathos, keine Besessenheit, keine zerstörerische Wut! Das ist kein Ausbruch einer fanatischen , wilden Seherin! Hier singt ein Sopran an den Grenzen seiner Möglichkeiten, aber die innere Erregung ist nicht Rachsucht. Ihr geht es nur um die Produktion der geforderten Töne!


    Gerechterweise sollte ich sagen, dass sie die Szene mit Telramund vorher durchaus eindrucksvoll gestaltet hat!
    Petra Lang gehört für mich heute doch zu den besseren Ortruds.
    Ihre Aufnahme unter Semyon Bychkov ist aller Ehren Wert. Aber wenn man Varnay, Dalis, Dvorakova und Ludwig in der Partie gehört hat, ist es schwer, die Erinnerung zu verdrängen!


    Eine eigenen Thread im Forum hätte Petra Lang allemal verdient!


    Beste Grüße


    Caruso41

    ;) - ;) - ;)


    Wer Rechtschreibfehler findet, darf sie behalten!

  • Lieber "Caruso41",


    ich danke dir, dass du hier eine neue Jubilarin würdigst, indem du ein Video von ihr eingestellt und an diesem Beispiel deine Höreindrücke beschrieben hast. So soll es sein! :jubel:


    Ich muss aber ganz ehrlich sagen, dass ich mir heute verschiedene Sängerjubilare angehört (auch zwei Tenöre, aber auch Petra Lang) und mich dann dagegen entschieden hatte, hier etwas von meinen Eindrücken kundzutun, weil mich kein Video so angesprochen hat, dass ich mich wirklich motiviert fühlte, darüber zu schreiben. Ich möchte mich daher auch nicht dezidiert über die "Entweihten Götter" von Frau Petra Lang äußern, stimme aber insbesondere deinen kritischen Anmerkungen zu.


    Mein Fazit, ganz ohne vorherige detaillierte Beschreibung: Diese Sängerin singt meines Erachtens im hochdramatischen Fach mit einer gefährlichen Konsequenz über ihren Möglichkeiten. Ich höre das in allen Lagen, in der Tiefe wie in der Höhe. Im Mezzofach (man kann von ihr eine komplette Brangäne von ihr aus Wien 2015 bei Youtube finden) gefällt sie mir recht gut, aber dass sie inzwischen Isolde und Brünnhilde singt, kann ich nur schlecht goutieren, obwohl ich weiß, dass die Not in diesem Fach groß ist, aber schon ihre im Februar 2016 in Dresden live erlebte Sieglinde hat mich nicht überzeugt. :no:


    Mir ist natürlich klar, dass eine Isolde und Brünnhilde weit besser bezahlt werden als eine Brangäne und Waltraute, und sie ist auch in einem Alter, wo sie sich nicht mehr viel an sängerischer Zukunft verbauen kann und mitnehmen muss, was geht - aber mich als Hörer begeistert das leider nicht, im Gegenteil: Ich meide Vorstellungen, in denen sie die weibliche Hauptrolle singt.


    Am besten am von dir eingestellten Video gefällt mir, dass es mit 1:22 so schön kurz ist! :hahahaha:


    Ich muss immer an einen Satz eines älteren Opernbekannten, geäußert vor etwa 25 Jahren, denken. Der sagte mir damals: "So eine Sängerin wie Margarethe Klose müsste heute die Brünnhilde singen." (Das hohe C hätte sie gehabt, meinte er.) Ich wollte das damals nicht so recht glauben, aber wenn ich heute sehe, dass Petra Lang die Brünnhilde singt, kommt mir diese "Prophezeiung" gar nicht mehr so absurd vor wie damals... (Und die Ortrud der Kose klang noch ein bissl anders!)


    Insofern bleibe ich jetzt mit meinem Antwortbeitrag unter meinen eigenen Ansprüchen einer detaillierten Beschreibung, muss aber darauf verweisen, dass du ja auf meine Beschreibungen von Höreindrücken zu zahlreichen Sängerinnen und Sängern auch nichts Detailliertes entgegengesetzt hast, sofern du überhaupt geantwortet hast. :D :hello:


    Aber deine Meinung zur Pedrillo-Arie von Erwin Wohlfahrt würde mich trotzdem interessieren. :yes:

    Beste Grüße vom "Stimmenliebhaber"

  • Lieber Stimmenliebhaber!


    Was Du zu Petra Lang geschrieben hast, finde ich total hinreichend. Mehr muss man dazu ja nicht sagen. Ich habe die Aufnahme auch ausgesucht, weil alle anderen, die ich auf YouTube fand, zu lang und trotzdem nicht aussagekräftig waren. Ich habe sie nur eingestellt, weil ich dachte, eine heute so viel eingesetzte Sopranistin sollte in unserem Forum nicht ganz ignoriert werden!


    Leider gibt es nicht die Wesendonk-Lieder, die ich schon zweimal von ihr gehört habe: unter Ivan Fischer in Hannover und in Amsterdam unter van Zweeden. War sehr gut!


    Zu Erwin Wohlfahrt werde ich nichts sagen. Ich fand ihn immer medioker, wenn ich ihn live gehört habe. Darum will ich mich nicht mit Aufnahmen von ihm beschäftigen. Da geht es mir wohl, wie es Dir mit den heutigen Tenor-Jubilaren geht.


    Ich benutze meine Zeit lieber, um die Aufmerksamkeit auf Frau Devieilhe zu lenken! Lohnt sich!
    Sehr sogar!


    Beste Grüße


    Caruso41

    ;) - ;) - ;)


    Wer Rechtschreibfehler findet, darf sie behalten!

  • Diese Aufnahme war mir durchaus bekannt, entstammt sie doch einem Mitschnitt aus dem Jahr 1961 unter István Kertész von den Salzburger Festspielen, der vor allem wegen Fritz Wunderlichs Belmonte Berühmtheit erlangt hat.
    "Herrlich" klingt die Aufnahme freilich auch für mich nicht, aber ich kann mir ihr leben. Das "Nur ein Feigling verliert alles" über die Einleitung gesprochen ist, hatte offensichtlich szenische Gründe, Regisseur dieser Produktion war - die Chronistenpflicht gebietet diese Erwähnung - Hans Hartleb. Wohlfahrts Stimme selbst übt auf mich keinen besonderen Reiz aus, sie ist sehr hell, der Tonansatz liegt sehr weit vorne, so dass ein - für meinen Geschmack etwas zu - direkter Klang ensteht. Oben (das erste "Streite") verengt sich die Stimme, an ein Aufblühen kann man nicht einmal entfernt denken. "Nur ein feiger Tropf verzagt" wird sehr deklamatorisch angelegt, was in Ordnung ist. "Sollt' ich zittern" geht er mit wenig Volumen und einer ängstlichen Beifärbung an, vielleicht hat das szenisch damals Sinn gemacht, ich finde es etwas zu illustrativ (und eigentlich ist ja eher das Gegenteil gemeint). Da a auf gewagt finde ich durchaus imposant, etwas gestemmt zwar, aber absolut sicher und durchaus strahlend. Wiederholung von "Soll ich zittern" gelingt mit etwas obertonreichem passagio auch ganz ordentlich. Der nächste hohe Ton auf "gewagt" muss ziemlich abgedunkelt werden und wackelt auch etwas. Die Wiederholung von "Nur ein feiger Tropf verzagt" klingt jetzt für mich etwas zu extrem deklamiert, vielleicht hatte er für diese Interpretation einen szenischen Grund, den kann natürlich die Aufnahme nicht überliefern.
    Das folgende "Frisch zum Kampfe..." wird zwar bewältigt, auch wenn die hohen Töne sehr falsettlastig und damit wenig männlich wirken, dem gleiche Problem begegnen wir auch im Schlussteil mit den hohen a's und dem hohen b, die Spitzentöne werden durch das Beimischen der Kopfstimme etwas erschummelt, so dass keine einheitliche Linie entsteht. Bezüglich der guten Wortdeutlichkeit ist "Stimmenliebhaber" beizupflichten.
    Für mich eine ganz ordentliche Bewältigung der Arie, leider nicht mehr, dafür sind vokalen Grenzen doch zu eng gesteckt in diesem Fall. Unter Umständen hat er auf der Bühne durch engagiertes Spiel einiges wettmachen können, auch wenn der rein vokale Eindruck bei mir wenig Aufbruchstimmung oder gar Begeisterung für Belmontes und Pedrillos Plan erzeugt.
    Und um "Stimmenliebhabers" Frage zu beantworten: Weder einen Ferrando noch einen Ottavio möchte ich von Wohlfahrt hören. Und ja, natürlich ist Unger als Pedrillo eine andere Hausnummer (habe gerade noch einmal in die Beecham-Aufnahme reingehört) - was allerdings nichts an meinen Kritikpunkten an seiner Ferrando-Arie ändert.

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