Anton Bruckner: "Studiensymphonie" ("Doppelnullte")

  • Die Doppelnull ist zumindest unter britischen Geheimagenten eine hohe Auszeichnung – bei Anton Bruckners frühester und wohl gemeinhin unbekanntester Symphonie, der sog. "Studiensymphonie" bzw. eben "Doppelnullten" von 1863, klingt es gleichsam eher abwertend.


    Mit diesem Thread wird eine Lücke geschlossen, da jetzt wirklich jede Bruckner-Symphonie ein eigenes Thema hat.


    Welche Einspielungen gibt es? Welche davon sind zu empfehlen?


    Ich habe mir interessehalber folgende bestellt:


    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Inbal hat sie vor Jahren in seiner Gesamtaufnahme eingespielt und Skrowaczewski:




    Und dann hat es noch eine Einspielung von Gennadi Roshdestwenskij gegeben, die aber z.Z. wohl nicht erhältlich ist.


    Einen direkten Vergleich kann ich im Moment nur zwischen Tintner und Skrowaczewski machen, bei dem Tintner eindeutig besser abschneidet. Deswegen, weil dieser sich nicht bemüht, in die f-moll Sinfonie mehr Bruckner reinzulesen, als drin ist. Von dem her gemahnt diese Sinfonie doch deutlich mehr an Mendelssohn und Schumann, womit auch eindeutig klar wird, warum sie Bruckner nicht in die Reihe seiner gezählten Sinfonien aufnahm.


    Viele Grüße
    John Doe

  • Nicht erhältlich ? Nicht für mich :


    und


    gleich doppelt - hat ja auch zwei Nullen ;)

    Es wird immer weitergehn, Musik als Träger von Ideen.

    Kraftwerk

  • Hallo Rolo Betmann,


    man soll nie CDs an Kommilitoninnen verleihen, die dann irgend einen heiraten, ohne dessen Namen mitzuteilen. :no:


    Die Doppel-CD ist es. Hast du sie erworben? Wenn ja, wie ist sie? Das einzige, an das ich mich bei dieser Aufnahme noch erinnere, ist der Klang, der zumindest auf meiner damaligen Anlage arg schrill war.


    Viele Grüße
    Siegfried

  • Ich stelle gerade fest das die Studiensinfonie f-moll (1863) ((Nr.00))
    in der Aufnahme mit
    Eliahu Inbal / RSO Frankfurt (TELDEC, 1992, DDD)


    nur noch beim amazon-marketplace (ohne Abb) zu haben wäre.


    :) Die Aufnahme bietet einen überzeugenden klaren Blick auf Bruckners Frühwerk. Klanglich ausgefeilt mit natürlicher Orchesterabbildung.


    * Nach dieser Studiensinfonie ließ Bruckner die Sinfonie Nr.1 c-moll folgen und dann erst die später sogenannte Nullte d-moll. Das Werk klingt sehr akademisch und trägt noch nicht die späteren für Bruckner so typischen Züge. Daher kein Wunder, das Bruckner diesem Studienwerk keine Zählnummer zuordnen wollte.
    Es reicht IMO dafür auch die einen wirklich guten Einblick bietende Inbal-Aufnahme.


    Mit Tintner habe ich orchestral bisher nie die gewünschten Erfahrungen gemacht; das werde ich auch bei diesem Werk nicht austesten, zumal Inbal und TELDEC in allen Punkten überzeugen.
    Trotzdem gestatte ich mir den Hinweis auf diesesmal sogar schnellere Spielzeiten bei Tintner.
    Inbal´s angemessene Spielzeiten für die 4 Sätze:
    17:21 - 13:03 - 5:22 - 10:11

    Gruß aus Bonn, Wolfgang

  • Tintner ist zumindest hier nicht schlecht. Ob Inbal besser ist, weiß ich allerdings auch nicht. :D


    Ich denke auch, daß es sich bei diesem Frühstwerk kaum lohnt, zig Aufnahmen zu besitzen. Dazu ist die "Doppelnullte" dann doch zu nichtssagend.


    Die "Nullte" sehe ich schon als "echte" Bruckner-Symphonie an, zumal bei Solti (den ich hier mal vorbehaltlos empfehle).

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • John F. Berky (abruckner.com) listet von diesem Werk mittlerweile immerhin 14 Aufnahmen.


    In den letzten sieben Jahren gab es auch einige kommerzielle Neuerscheinungen der "Doppelnullten":



    Den Anfang machte 2012 Marcus Bosch mit dem Sinfonieorchester Aachen, im Jahr darauf folgte Simone Young mit den Philharmonikern Hamburg und 2015 schließlich Gerd Schaller mit der Philharmonie Festiva.


    Die Spielzeiten sind gerade im Kopfsatz recht unterschiedlich; vielleicht lässt Bosch eine Wiederholung aus:


    Bosch: 11:04 - 10:18 - 5:08 - 9:59 = 36:29
    Young: 14:36 - 11:50 - 5:20 - 10:10 = 41:59
    Schaller: 15:48 - 12:15 - 4:44 - 10:32 = 43:23

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Lieber Joseph,


    Marcus Bosch ist bei Bruckner sehr gerne einmal recht zügig unterwegs (seine Aufnahme von Bruckners 9. Sinfonie passt auf eine CD. Das ist nur dann verwunderlich, wenn man bedenkt, dass er mit rekonstruiertem Finale spielen ließ... ;) ).


    Da ich die Aufnahme besitze, werde ich bei Gelegenheit mal reinhören...

    Grüße aus der Nähe von Hamburg


    Norbert


    Das Beste in der Musik steht nicht in den Noten.

    Gustav Mahler


  • Danke, lieber Norbert.


    Wie ich anhand der Diskographie von Berky feststellte, wurde die Weltersteinspielung der Symphonie in f-Moll tatsächlich bereits 1972 gemacht:


    Kein geringerer Klangkörper als das London Symphony Orchestra unter dem israelischen Dirigenten Elyakum Shapirra für EMI.



    Die Spielzeiten: 15:50 - 14:16 - 5:41 - 10:38 = 46:43


    Die Aufnahme schaffte es offenbar bisher nicht auf eine kommerziell erhältliche CD.

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • John Berky stellt auf seiner vorzüglichen Bruckner-Seite einen Download der digitalisierten LP bereit (allerdings nur mp3 320 kb/s).


    Ich habe mir die Symphonie in f-Moll gestern seit vielen Jahren wieder angehört und war eigentlich durchaus positiv überrascht. Natürlich darf man hier noch nicht den späteren Bruckner-Stil erwarten, doch deutet er sich in Details bereits an. So gern behauptet wird, es sei noch viel Schumann und Mendelssohn enthalten, so eigenständig ist das Ganze doch auch. Handwerklich ist das bereits eine beachtliche Komposition. Der großorchestrale Ansatz dieser Pioniereinspielung hat mich voll überzeugt. Ein prominenteres Orchester als das London Symphony Orchestra hat dieses Werk auch 45 Jahre später nicht eingespielt. Man merkt, dass Shapirra und die Londoner hier nicht bloß aus Gründen der Vollständigkeit eine Aufnahme machten. Es ist unverständlich, wieso diese bis heute nicht auf CD erschienen ist.

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

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  • Die Spielzeiten sind gerade im Kopfsatz recht unterschiedlich; vielleicht lässt Bosch eine Wiederholung aus:


    Bosch: 11:04 - 10:18 - 5:08 - 9:59 = 36:29
    Young: 14:36 - 11:50 - 5:20 - 10:10 = 41:59
    Schaller: 15:48 - 12:15 - 4:44 - 10:32 = 43:23


    Lieber Joseph,


    ich konnte beim Vergleichshören zwischen Bosch und Schaller nicht feststellen, dass eine Wiederholungen ausgelassen wurde.


    Georg Tintner ist im ersten Satz ähnlich schnell wie Marcus Bosch: 11'21'', 12'31'', 5'05'' und 8'13''. Wie zu erkennen ist, differieren auch die Spielzeiten des Finalsatzes deutlich. Das ist zwar ungewöhnlich bei solch kurzen Spielzeiten, kommt aber mal vor.

    Grüße aus der Nähe von Hamburg


    Norbert


    Das Beste in der Musik steht nicht in den Noten.

    Gustav Mahler


  • Sieht man sich die Rankings an, so landet Bruckners Studiensymphonie f-Moll, die sogenannte "Doppelnullte" (Nr. 00), fast immer auf dem hintersten Platz. Bewusst gehört habe ich dieses Frühwerk von 1863 (und auch bei diesem war Bruckner ja schon beinahe 40 Jahre alt) wohl nur seinerzeit zur Threaderstellung 2009 und dann nochmal 2017, wie man im Verlauf des Threads ersehen kann.

    Heute wurde diese Einspielung aufgelegt:



    Deutsches Symphonie-Orchester Berlin
    Vladimir Ashkenazy
    Aufnahme: Jesus-Christus-Kirche, Berlin-Dahlem, 9/1998

    Ondine ODE 920-2 (Strichcode 0761195092026)

    Bruckner und Ashkenazy? Das ist eine exotische Kombination. Laut abruckner.com hat der Dirigent sonst nie etwas von diesem Komponisten eingespielt. Und doch: Ich glaube, dass ich die "Doppelnullte" noch nicht besser gehört habe als hier. Ashkenazy wertet sie, soweit das möglich ist, zur großen Symphonik auf. Das Orchester ist bestens aufgelegt, klanglich ist die Koproduktion von DeutschlandRadio und Ondine ausgezeichnet plastisch und detailreich. Ashkenazy nimmt das Werk hörbar ernst. Und es hat auch wirklich großartige Momente. Der Kopfsatz (16:05) ist stark, gerade aber auch der langsame Satz (11:51) weiß zu gefallen (hier zeichnet sich eine spätere Stärke Bruckners bereits ab). Das Scherzo (5:21) mag der leichtgewichtigste Satz sein, doch im Finale (10:23) kehrt der Komponist noch einmal zu seinem Hang zur Monumentalität zurück. Die feurige Coda ist in dieser Interpretation famos. Überhaupt hebt Ashkenazy die Pauken hervor, wie sie mir bei der Studiensymphonie noch gar nicht aufgefallen sind. Fazit: Eine große Empfehlung meinerseits in allen Belangen. Wie ich eben feststelle, ist die CD derzeit leider wohl nur ziemlich schwierig erhältlich. Digital sieht es besser aus (Qobuz, Presto Classical etc.).

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões