DOVE, Jonathan: THE ADVENTURES OF PINOCCHIO

  • Jonathan Dove (*1959):


    THE ADVENTURES OF PINOCCHIO
    (Pinocchios Abenteuer)
    Familienoper in zwei Akten - Libretto von Alasdair Middleton nach Carlo Collodis „Le Avventure di Pinocchio“


    Uraufführung am 21. Dezember 2007 in Leeds, Grand Theatre



    DIE PERSONEN DER HANDLUNG


    Pinocchio (Mezzosopran)
    Geppetto (Bariton)
    Grille / Papagei (Sopran)
    Kater (Tenor)
    Fuchs / Kutscher (Countertenor)
    Blaue Fee (Sopran)
    Feuerschlucker / Affe / Zirkusdirektor / Bauer (Bass)
    Taube / Schnecke (Alt)
    Lampwick (Bariton)
    Ausrufer (Bariton)
    Arlecchino (Tenor)
    Rosaura (Sopran)
    Pantalone (Bariton)
    Trommelmacher (Bass)
    Kohlenhändler (Bariton)
    Maurer (Tenor)
    Statisten / Chor: Zirkustruppe, Zuschauer, Dorf- und Stadtbewohner, Schüler, Lehrer, Angestellte, Arbeiter;
    Stumme Rollen: Puppenspieler, Akrobaten, Gefangene, Tänzer


    Märchenzeit, Italien.



    INHALTSANGABE


    ERSTER AKT


    Der Holzschnitzer Gepetto findet im Wald ein Stück sprechendes Holz; er soll, so sagt es, aus ihm eine Puppe schnitzen. Überrascht und belustigt zugleich folgt er der Forderung und wird dabei immer wieder beschimpft, was er manchmal amüsiert, manchmal aber auch ärgerlich zur Kenntnis nimmt. Als er mit der Arbeit fertig ist, lässt sich das Holzmännchen vor lauter Lebenslust nicht mehr bremsen: Es hüpft umher, übt mit Freudenrufen das Laufen, während Gepetto seinen Spaß auch nicht verbergen kann: Er nennt ihn erst „Sohn“ und gibt ihm dann den Namen „Pinocchio“ (zu Deutsch: Pinienkern).


    Und Pinocchio verlangt energisch Essen; doch das Brot, das ihm Gepetto gibt, weist er zurück - ein Steak muss es schon sein! Gepetto erklärt ihm, dass Steaks nicht auf Bäumen oder im Erdreich wachsen, sondern beim Fleischer gekauft werden müssen. Und das notwendige Geld wächst auch nicht in der Erde oder auf Bäumen, sondern muss durch Arbeit verdient werden. Mit „Arbeit“ und „Geld“ kann Pinocchio nichts anfangen, es sind ihm fremde Worte. Und das bedeutet für Gepetto, dass der Sohnemann in die Schule muss! Auch „Schule“ ist für Pinocchio ein Fremdwort, signalisiert Langeweile, wo doch Spaß und Spiel sein Lebenszweck ist! Gepetto bleibt beharrlich: Ohne Lernen wird er später keine Arbeit finden und kann sich dann auch keine Steaks leisten.


    Gepetto hat sich überlegt, für das nötige Schulbuch seinen einzigen Mantel zu versetzen. Und er trägt Pinocchio auf, während seiner Abwesenheit die Stube zu fegen. Das gefällt dem Kerlchen überhaupt nicht; er hockt sich nach Gepettos Weggang lieber vor den Ofen und genießt Wärme und Ruhe. Da zirpt plötzlich eine Grille und schimpft ihn regelrecht aus:

    Du morsches Stück aus schlechtem Holz! Wisch den Boden! Wie du sollst! […]
    Sei faul, sei schlapp, krümm keinen Finger! So machen’s alle dummen Dinger!
    Bleibe so stur wie ein Klotz! Bess’re dich, denn sonst rächt sich dein Trotz!

    Die Grille nervt Pinocchio und er versetzt ihr einen (vermeintlich) tödlichen Schlag. Statt nun an die Arbeit zu gehen, hockt er sich wieder vor den Ofen und bemerkt nicht das plötzliche Qualmen seiner Füße, reagiert erst, als sie lichterloh brennen. Da er sich allein nicht aufrichten kann, trifft es sich gut, dass Gepetto gerade wieder nach Hause kommt und dem reuigen Sünder, der jetzt hoch und heilig Gehorsam verspricht, neue Füße schnitzt. Dann gibt er Pinocchio das Schulbuch und schickt ihn in die Schule.


    Pinocchio verspricht sich auf dem Schulweg, Lerneifer zu zeigen, um Papa Gepetto zu erfreuen. In Gedanken sieht er sich schon Geld verdienen und Gepetto einen neuen Mantel kaufen. Aber alle Gedanken sind hinfällig, als er eine kleine Menschenmenge in ein Puppentheater gehen sieht. Neugierig will auch er hinterher, wird aber zurückgewiesen, weil er keine Eintrittskarte hat und sie auch nicht kaufen kann. Kurz entschlossen verkauft er sein Schulbuch (an einen „unheimlichen“ Mann) und geht damit stolz hinein.


    Er lernt Arlecchino, Rosaura und Pantalone kennen, schließt mit ihnen Freundschaft, und darf sogar im Stück mitspielen. Aber er bringt das Geschehen durch seinen Übermut durcheinander und verursacht beim Publikum und den Mitspielern Ärger. Der Feuerschlucker ist so wütend, dass er Pinocchio verbrennen will, wird jedoch weich, als er den kleinen Kerl zittern sieht. Als Ersatz packt er sich Arlecchino, den er partout nicht leiden kann. Das empfindet Pinocchio als ungerecht und bittet für den Freund, der doch nichts verbrochen hat, um Gnade - und der Feuerschlucker lässt sich tatsächlich erweichen: Er lässt beide am Leben und schenkt Pinocchio sogar fünf Goldmünzen. Die will der Knirps für Gepettos neuen Mantel einsetzen und verlässt das Puppentheater.


    Ein Kater und ein Fuchs, der eine einen Blinden, der andere einen Lahmen mimend, lungern herum. Für einen Spaß kommt Pinocchio ihnen gerade recht: Der Fuchs erwähnt, dass Gepetto (den er angeblich schon lange kennt) ohne seinen Mantel friert. Pinocchio macht jetzt aus Naivität Fehler: Er sagt nicht nur, dass er Papa einen neuen Mantel und für sich ein neues Schulbuch kaufen will, sondern er zeigt den beiden sogar die Goldmünzen. Und die reagieren sofort: Der Kater behauptet allen Ernstes, durch Lese- und Lerneifer blind geworden zu sein, und dem Fuchs hat sein Wissensdurst die Beine gelähmt.


    Aber wie wäre es, so fragen sie, wenn Pinocchio statt der fünf Goldmünzen fünftausend hätte? Das ist unkompliziert und mit ihrer Hilfe einfach zu erreichen:

    In der Nähe ist ein Ort, den nennt man Feld der Zauberei.
    Dort gräbst du einen Groschen ein, du gießt ihn und draus wächst ein Schein.

    Sie wollen Pinocchio - ganz uneigennützig - dorthin bringen und dafür auch nicht belohnt werden, ergänzen sie Aber sie müssen erst noch ihre „Siebensachen“ holen, Pinocchio solle einen Augenblick warten. Und während der wartet, hört er plötzlich ein Geräusch, das ihm bekannt vorkommt und das er nicht leiden kann: Das Zirpen einer Grille. Es ist der Geist der von ihm getöteten Grille und warnt ihn vor Fuchs und Kater: Besser wäre es, nach Hause zu gehen, denn Gepetto sorgt sich um ihn. Doch Pinocchio überhört die Warnung, zu sehr ist er vom Gedanken an Reichtum geblendet.


    Kater und Fuchs kommen (als Mörder verkleidet) zurück und sind plötzlich wie umgewandelt: Sie verlangen von Pinocchio die Herausgabe der Goldmünzen, andernfalls wollen sie ihn und Gepetto töten. So schnell es möglich ist, rennt Pinocchio davon und kommt dabei zu einer alten Kate, vor der er laut um Hilfe ruft. Aber es rührt sich zunächst nichts, dann ruft plötzlich aus einem der oberen Fenster eine Mädchenstimme, dass hier niemand mehr lebe, dass sie auch schon tot sei und nur noch darauf warte, abgeholt zu werden. Und schon sind Fuchs und Kater wieder bei ihm; Pinocchio kann soeben noch die Goldstücke in seinen Mund nehmen. Der Fuchs will, dass der Kater Pinocchio ersticht, aber der meint, dass sein Messer am Holz zerbrechen würde; besser wäre es, den Kerl aufzuhängen, dann werde er das Gold schon ausspucken. Dann wünschen die beiden Gauner Pinocchio höhnisch eine gute Nacht und verschwinden. Sie sind davon überzeugt, dass sie am nächsten Morgen reich sein werden, Pinocchio aber ärgert sich, nicht auf die Grille gehört zu haben.


    Doch es ist schon eine alte Volksweisheit, dass Gottes Hilfe am nächsten, wenn die Not am größten: Die Hilfe ist die Blaue Fee, die Vögel herbeiruft, damit sie Pinocchios Fessel zerbröseln und ihn dann in ihr Haus tragen. Dort legt sie den Kleinen in ein warmes Bett und schon erscheint das Doktoren-Triumvirat aus Eule, Krähe und Käfer, die über den Zustand des Patienten beratschlagen und ihn besorgniserregend finden:

    Er hat Holzitis, Borkenfieber, Astfraktur, Wurzelpocken, Knospenruhr. […]
    Wär' er aus Eiche oder Teak, er blieb am Leben. […]
    Er hat Fäule und Schimmel und Borkenkäfer und Holzwurm und Blattwurm und Astwurm [...]

    Pinocchio ist fertig mit der Welt, als er diese Diagnose hört, lehnt aber die Medizin, den die Doctores verordnet haben, wegen des bitteren Geruchs ab. Selbst das Angebot der Fee, ihm hinterher ein süßes Bonbon zu geben, stimmt ihn nicht um, er sagt sogar, er wolle lieber sterben. Kopfschüttelnd gehen die drei Doctores ab und die Blaue Fee erteilt nun Pinocchio eine Lektion: Auf ein Zeichen von ihr bringen sechs Kaninchen, in düsteres Schwarz gekleidet, gemessenen Schrittes einen Sarg auf die Szene. Während die Fee die Ausstattung des Sarges in höchsten Tönen lobt, reagiert Pinocchio entsetzt und ist sofort bereit, die Medizin einzunehmen. Kaum hat er sie geschluckt, ist er putzmunter und ärgert sich, dass sein so daher gesagter Todeswunsch ernst genommen wurde. Er dankt der Fee und gelobt, ab sofort brav und gehorsam zu sein.


    Doch das Gelöbnis nimmt Pinocchio offensichtlich nicht so ernst, wie sich jetzt zeigt, denn als die Fee ihn fragt, warum er am Baum hing, tischt er ihr eine wunderliche Geschichte auf: Er war im Wald unterwegs, als plötzlich zehn oder zwölf Mörder auftauchten und ihn bedrohten. Aber er hat mutig den Kampf mit den (jetzt auf einmal) fünfzehn Mördern aufgenommen und mit drei wuchtigen Schlägen jeweils fünf von ihnen unschädlich gemacht. Die Fee zeigt sich skeptisch, aber Pinocchio fabuliert weiter: Der Sieg war leider nicht endgültig, denn aus allen Richtungen kamen nun weitere Mörder, mindestens fünfzig, und er musste sich der Übermacht ergeben. Und die Halunken haben ihn an einem Baum aufgehängt, damit er schön langsam sterbe. Dabei fielen die Goldmünzen auf den Boden und Elstern fraßen sie auf. Die Fee ist baff…


    …und muss plötzlich laut lachen: Ohne dass Pinocchio es bemerkt hat, ist während seiner Lügenerzählungen seine Nase immer ein Stück länger geworden. Durch das Lachen der Fee aufmerksam geworden, ist es um seine „Contenance“ geschehen: Er verspricht, ab sofort artig zu sein und nie wieder lügen zu wollen. Die Fee glaubt ihm und auf ein Zeichen von ihr kommen Spechte geflogen, die Pinocchios Nase peu à peu wieder kleiner hacken. Dabei gibt sie an, ihn trotz der Lügerei zu mögen und schlägt ihm vor, dass er als kleiner Bruder bei ihr bleiben soll. Doch Pinocchio will zu Gepetto, der ihm fehlt. Als er hört, dass sein Schöpfer bereits auf dem Weg hierher sei, beschließt er, ihm entgegenzugehen. Die Blaue Fee mahnt, im Wald achtzugeben.


    Wie sehr diese Mahnung notwendig war, zeigt sich sehr schnell, denn Kater und Fuchs sind auch hier unterwegs; sie haben ihr Ziel, Pinocchios Goldmünzen zu stehlen, keinesfalls aufgegeben. Als sie sich gegenüberstehen, ist ihr Vorgehen aber eine freundlicher wirkende: Sie führen Pinocchio zum Zauberfeld, und schlagen ihm vor, dass er die Goldstücke in die Erde buddelt, die Augen schließt (weil sonst der Goldmünzenbaum nicht wachsen kann) und dabei bis Hundert zählt. Kurze Zeit später wird er reich sein, kann Gepetto einen neuen Mantel kaufen und sie werden niemals mehr Geldsorgen haben. Pinocchio folgt genau diesen Anweisungen und merkt nicht, dass die beiden Ganoven die Münzen ausbuddeln und verschwinden. Erst als er die Augen aufschlägt, das Loch sieht und von einem bunten Papagei ausgelacht wird, begreift er das Geschehene. Wütend über sich selbst geht er ab.


    Nach einem instrumentalen Zwischenspiel befindet sich Pinocchio in einem Gerichtssaal. Die Zuschauer fordern „Freiheit fürs Holzkind“, doch der Affenrichter meint, soviel Dummheit, wie sie Pinocchio gezeigt habe, gehöre bestraft - und verdonnert ihn zu einem Jahr Gefängnis. Dort hockt er nun hinter Gittern, erhält aber von anderen Gefangenen und den Wärtern viel Zuspruch. Da erscheint plötzlich der Affenrichter und entlässt den Gefangenen wieder in die Freiheit. Und der eilt während eines Orchesterzwischenspiels zum Haus der Blauen Fee...


    ...das jedoch nicht mehr existiert; an seiner Stelle steht ein marmorner Grabstein, auf dem Pinocchio liest:

    Hier ruht das Elfenkind mit blauem Haar, sie starb vor Kummer, denn ihr kleiner Bruder hat sie verlassen.

    Untröstlich wünscht er sich, auch zu sterben. Da gurrt eine Taube über ihm und berichtet, dass Gepetto ihn am Meer sucht. Weil das aber ein sehr weiter Weg ist, will sie ihn - wie ein Flugtaxi - hinbringen. Tatsächlich sehen sie Gepetto am Strand inmitten von Menschen, die ihn zum einen anfeuern, zum anderen aber vor den Gefahren auf dem Meer warnen. Gepetto rudert hinaus.


    Die Taube setzt Pinocchio ab und fliegt wieder davon. Der Knirps sieht Gepetto weit draußen, doch sein lautes Rufen hört der Vater nicht und so stürzt er sich ins Wasser und schwimmt hinter ihm her, von den Leuten laut angefeuert. Das Geschehen kommentiert der Chor und ruft schließlich die Meeresgötter um Gnade und Hilfe an, weil Pinocchio und Gepetto nicht mehr zu sehen sind. Ein nur fünftaktiges Nachspiel, vom dreifachen Forte zum pianissimo sinkend und mit sforzatissimo endend, schließt den ersten Akt.



    ZWEITER AKT


    Pinocchio wurde im Sturm auf die „Insel der fleißigen Bienen“ geworfen, ohne Gepetto gefunden zu haben. Er ist überzeugt, dass er tot ist. Aber jetzt muss er an sich selber denken, denn sein Magen knurrt und Durst macht ihn verrückt. Einen vorbeiziehenden Kohlenhändler bettelt er um Geld an, doch der schwarze Mann will nur bei Mithilfe im Geschäft Geld geben, was Pinocchio entrüstet ablehnt. Dann solle er doch seinen Stolz fressen, der werde ihn schon satt machen, rät ihm der Kohlehändler. Auch der Versuch bei einem Maurer hat keinen Erfolg, auch der gibt Bares nur gegen Mithilfe. Aber eine Frau mit Krügen, die er sofort als Blaue Fee erkennt (sie ihn offensichtlich nicht), reagiert freundlich zustimmend. Sie will gebratenes Huhn und Apfelsaft servieren, wenn er denn ihre Krüge ins Haus trägt. Pinocchio schimpft zwar über „diese schreckliche Insel“, hilft der Fee aber aus Hunger und Durst dann doch.


    Im Haus der Fee erklärt Pinocchio sich: Er hat sie erkannt, hat an ihrem Grabstein geweint und freut sich jetzt, dass sie noch lebt. Die Fee gibt zu, ihn auch erkannt zu haben und bekennt, dass sie um seine Tränen weiß, die ihr lieber sind als alles Gold der Welt. Es hat sie aber überrascht und gewundert, dass ein Wesen aus Holz echte Tränen vergießen kann. Und weil sie ihn gerne hat, schlägt sie ihm vor, als ihr Sohn für immer bei ihr zu bleiben. Pinocchio nimmt das Angebot freudig an nennt sie Mutter, klagt ihr aber sein Leid: Er möchte gerne größer sein („so wie jeder Strauch wächst“), doch die Fee macht ihm klar, dass er als Puppe nicht wachsen kann.


    Pinocchio will jetzt ernsthaft lernen, wird jedoch von seinem Mitschüler Lampwick gemobbt, der alle übrigen Schüler anstachelt, Pinocchio zu ärgern. Doch der lässt sich nicht unterkriegen, zumal er bei seinen Lehrern alle Unterstützung findet. Aber dann wird Pinocchio wieder schwach: Als Lampwick die Schule schwänzen will, um sich am Strand zu vergnügen, lässt er sich mitreißen, denn der Schlawiner behauptet, dort wäre ein Riesenfisch zu sehen, der sogar Papa Gepetto auf dem Gewissen haben könnte. Am Wasser angekommen gibt Lampwick zu, den Fisch nur erfunden zu haben, um Pinocchio mitzunehmen.


    Plötzlich ist aus einer nahen Höhle eine durchdringende Stimme zu hören; Lampwick zuckt zusammen und rät Pinocchio, sofort wegzulaufen, denn das sei der riesige, grüne Fischersmann. Während Lampwick wegläuft, ist Pinocchio neugierig und bleibt, gerät aber in das Netz des grünen Fischersmanns, das der gerade aus dem Meer zieht. Der hässliche Kerl wirft jeden Fisch in eine riesige Bratpfanne, nur den merkwürdigen Holz-Fisch mag er nicht und wirft ihn in hohem Bogen fort. Pinocchio rennt davon.


    Wieder bei der Blauen Fee angekommen, findet er alles verschlossen vor. Nach langem hin und her öffnet ihm eine Schecke und er klagt der Blauen Fee seinen Hunger, fürchterlichen Durst und schmerzende Füße. Die Fee meint, das seien die Auswirkungen seiner Eskapaden, worauf Pinocchio geknickt um Verzeihung bittet, die von der Fee auch „zum allerletzten Mal“ gewährt wird. Sie geht sogar noch weiter und verspricht ihm, dass er ein „echtes Kind“ werde, wenn er sich endlich bessert. Pinocchio freut sich und steigert sich in einen Freudentaumel, als die Blaue Fee für ihn ein großes Fest auszurichten verspricht.


    Ein instrumentales Zwischenspiel führt zu einem neuen Bühnenbild: Eine Straße mit Lampwick, der an einer Straßenlaterne lehnt. Pinocchio lädt ihn zu seinem Fest ein, doch Lampwick schlägt die Einladung aus, weil er mit in das Spaßland fahren will. Pinocchio wünscht ihm eine gute Fahrt, will aber auf keinen Fall mitfahren. Doch Lampwick gibt nicht auf, malt Pinocchio das Spaßland in den schönsten Farben aus - und Pinocchio wird wieder schwach und steigt doch in die mit Kindern vollbesetzte Kutsche.


    Während eines erneuten Zwischenspiels verwandelt sich die Bühne in das Spaßland mit Karussells und allerlei Buden. Verkäufer rufen ihre Waren aus (Wasserbomben, Pizzen, Waffeln, Hotdogs und so weiter), während die Karussellbetreiber zu ihren Fahrwerken rufen. Doch plötzlich verwandeln sich Kinder in Esel, die von Männern fortgeführt werden. Pinocchio und Lampwick nehmen das zunächst nicht wahr, wollen immer noch mehr Spaß genießen. Dann aber werden auch sie in Esel verwandelt und abgeführt, Lampwick kommt in eine Fabrik und Pinocchio in einen Zirkus.


    Dort wird er auf den Eselstanz dressiert und muss mit Susi, einem Schwein, einem Lurch, der Tanzen kann, und mehreren Spaniels, die Verse von Shakespeare bellen können, in der Manege auftreten. Doch Pinocchio als Esel versagt, als er die Blaue Fee unter den Zuschauern entdeckt. Durch das Malheur verhöhnt ihn das Publikum, und der Zirkusdirektor verkauft ihn verärgert an einen Trommelmacher, warnt den aber vor des Esels Dummheit. Es kommt dem Trommelmacher aber nicht auf Intelligenz an, ihn interessiert nur das Eselsfell, das sicher für zwei oder drei Trommelfelle gut ist. Dann geht er mit dem Esel davon.


    Was geschieht nun mit dem Pinocchio-Esel? Der Trommelmacher erzählt es selbst:

    Einen Stein um den Hals und ab mit ihm ins Meer.
    Schlaf gut, kleiner Esel, zur Trommel wirst du. Schon sehr bald wird dein Fell, kleiner Esel,
    zur Trommel gespannt, du machst ‚bumm‘, kleiner Esel, in des Musikers Hand.

    Doch: Wenn die Not am größten, ist Gottes Hilfe am nächsten! Auf einem Felsen erscheint nämlich die Blaue Fee und ruft alle Fische zu Hilfe, die das Eselsfell abnagen sollen. Kurz darauf taucht Pinocchio, jetzt wieder als Puppe, aus dem Meer auf und schwimmt dem verblüfften Trommelmacher davon, direkt auf die Blaue Fee zu. Aber die Gefahr ist für den kleinen Schwerenöter noch nicht vorbei, denn ein Riesenfisch nähert sich und zieht ihn mit einem Sturzbach von Wasser in sich hinein.


    Im riesigen Fischmagen wird es Pinocchio ganz anders: Muss er nun sterben? Ohne ein richtiges Kind geworden zu sein? Was ist mit Papa Gepetto? In dem kleinen Holzkerl erwacht der Lebenswille, denn er muss wissen, was aus seinem Schöpfer geworden ist. Er ruft immer wieder dessen Namen, in der Hoffnung, dass auch der sich in diesem riesigen Fischmagen befindet. Auf einmal hört er Gepettos matte Stimme, geht ihr nach und dann fallen sich beide in die Arme. Doch Pinocchio hat‘s eilig; er will nicht vom Fisch verdaut werden, will mit Papa in die Freiheit. Er meint, weil der Riesenfisch gerade schlafe, sei eine Flucht durch den Schlund zum Maul der Weg hinaus. Gepetto traut sich das wegen seines Alters nicht zu, doch Pinocchio besteht auf seinem Fluchtplan und reißt mit seiner Energie Gepetto mit: Sie kraxeln bis zum Riesenmaul vor und werden dann vom Riesenfisch wie ein schlechter Fraß ausgespuckt. Schnell schwimmen sie davon und finden zum Strand zurück.


    Pinocchio sieht einen Bauernhof, eilt dahin und trifft hier die Grille wieder, die seinen Mordanschlag tatsächlich überlebt hat. Sie rät ihm, für den entkräfteten Gepetto Milch zu holen, denn nur damit werde er wieder gesund. Und der Bauer ist hilfsbereit und Pinocchio findet, dass Gepetto nach dem Genuss der Milch schon viel besser aussehe. Da tauchen Fuchs und Kater in einem bedauernswerten Zustand auf: Ersterer ist jetzt wirklich lahm, der Kater wirklich blind und sie bitten um Hilfe, doch Pinocchio weist sie zurück und meint ungerührt, dass sie die richtige Strafe erhalten hätten.


    Aus Dankbarkeit dem Bauern gegenüber arbeitet Pinocchio auf dem Hof mit. Dabei sieht er eines Tages in einer Ecke plötzlich einen abgemagerten Esel liegen und erkennt in ihm Lampwick. Der sagt mit brechender Stimme, er warte darauf, ins weit entfernte Spaßland abgeholt zu werden, wo es ihm bessergehen werde - und stirbt dann. Pinocchio steht zunächst wie erstarrt, reißt sich aber zusammen und freut sich, dass Gepetto wieder „auf dem Damm“ ist, während der seine Freude über seine gelungene Schnitzarbeit nicht verbergen kann: Pinocchio ist für ihn wie ein „echtes Kind“ geworden!


    In diesem Moment kommt die Schnecke hinzu und sagt mit erschütternder Stimme, dass die Blaue Fee schwer erkrankt sei. Sofort gibt Pinocchio seine Goldmünzen für den Kauf der Medizin her, stellt die Anschaffung von Schuhe, Hose und Mantel für Gepetto erst einmal zurück. Und tatsächlich wird die Fee gesund und dankt es dem kleinen Kerl mit der Verwandlung in ein Menschenkind und Gepetto in einen jungen Mann. Mit einem großen
    Freudengesang schließt die Oper, in der neben märchenhaft-humoristischen Szenen auch düstere Schattenseiten des Lebens eine Rolle spielen, denn die Frage steht im Raum: Was heißt es wirklich, Mensch zu sein?



    INFORMATIONEN ZUM WERK


    Jonathan Dove, Jahrgang 1959, war (nach eigenen Worten) schon als Kind von Carlo Collodis (geboren 1826 als Carlo Lorenzini, umbenannt in Collodi, dem Geburtsort seiner Mutter, gestorben 1890) Kinderbuch „Storia di un burattino“ gefesselt. Von 1881 bis 1883 wurde die Erzählung in unregelmäßigen Abständen im „Giornale di Bambini“ veröffentlicht. Der Herausgeber, Ferdinando Martini, hatte es sich zur Aufgabe gemacht, das staatliche Bildungsproblem, darunter das Analphabetentum, zu beheben. Und Collodi hat mit seinem „Pinocchio“ eines der bedeutendsten Kinderbücher aller Zeiten geschrieben. Darin sind Elemente des Erziehungsromans, der Satire und der Fabel, des Märchens und der Commedia dell’arte ebenso vereinigt wie Bezüge zur Stegreifkomödie.


    Die Komposition zeigt Doves große Kenntnis aller Musikstile und Epochen, lässt aber hauptsächlich Anklänge an Ravel, Strawinsky und Britten erkennen. Dabei ist die durchkomponierte Oper mit einer Spielzeit von etwa zweieinhalb Stunden illustrativ aufgebaut, d.h. sie setzt klangmalerische Akzente in den Szenen mit melodischen und rhythmischen Figurationen um.


    Das Werk ist eine Auftragsarbeit der Opera North und des Sadler’s Wels Theatre in Zusammenarbeit mit dem Theater in Chemnitz; „Pinocchios Abenteuer“ wurde am 21. Dezember 2007 in Leeds uraufgeführt, kam im Februar 2008 im Sadler’s Wells Theatre auf die Bühne (wo eine DVD-Produktion entstand) und am 28. Juni 2008 in Chemnitz als deutsche Erstaufführung heraus. In den USA wurde sie erstmals 2009 an der Minnesota Opera gezeigt, eine Neuproduktion (Markus Bothe) im Januar 2010 an der Staatsoper Stuttgart.


    Es sei noch darauf hingewiesen, dass auch Hans Werner Henze Motive aus Collodis Kinderbuch für seine Oper „Pollicino“ (siehe den Tamino-Opernführer)verwendet, und Wilfried Hiller den Stoff ebenfalls aufgegriffen hat („Pinocchio“ in Trier 2002).



    © Manfred Rückert für den Tamino-Opernführer 2017
    unter Hinzuziehung des dankenswerterweise vom Verlag Peters überlassenen Klavierauszuges

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    MUSIKWANDERER

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  • Die im Beitrag in den Werkinformationen erwähnte DVD-Produktion von "Pinocchios Abenteuer" ist beim Tamino-Werbepartner Amazon zu bekommen. Als Interpreten werden im Angebot genannt
    Victoria Simmonds (Pinocchio)
    Jonathan Summers (Geppetto)
    Mary Plazas (The Blue Fairy)
    Rebecca Bottone (Cricket / Parrot)
    Graeme Broadbent (Puppeteer / Ape-Judge / Ringmaster)
    Allan Clayton (Lampwick)
    The Orchestra and Chorus of Opera North; David Parry
    Stage Director: Martin Duncan
    Date of Performance: 2008
    Running Time: 213 minutes
    :hello:

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    MUSIKWANDERER