Ein paar Gedanken über den "Genusshörer" und ähnliche Phänomene in der klassischen Musik

  • Kann man ein Requiem mit erstklassiger Besetzung genießen?

    Das Verdi-Requiem auf jeden Fall! Es erinnert mich eher an eine konzertante Oper als an ein Requiem. Und die Karajan-Aufnahmen (vor allem mit dem jungen Pavarotti) sind einfach Spitze. Sogar für mich als Atheisten!! Mit Mozart hab ich´s leider nicht so.


    Herzlichst La Roche

    Ich streite für die Schönheit und den edlen Anstand des Theaters. Mit dieser Parole im Herzen leb' ich mein Leben für das Theater, und ich werde weiterleben in den Annalen seiner Geschichte!

    Zitat des Theaterdirektors La Roche aus Capriccio von Richard Strauss.

  • Dass ihm derartiges nachgesagt wurde durchaus sein, wenn man diesen Urteilen jedoch nicht blinden Glauben schenkt, dann stellt sich immer die Frage wer ihm solche Verdienste attestiert, welches Wissen um Mozarts Musik diese Leute hatten, und was für sie eine „perfekte Auslotung“ bedeutet,


    Die Frage nach dem WER stellt sich insofern nur indirekt, weil ich sie mit - grob verallgemeinernd - "alle" beantworten könnte. Das bezieht sich auf die Dirigentenkolllegen*, die Interpreten die mit Böm ztusammenarbeiteten, die Sänger und die Musikkritiker. Mir ist auch lein Musikwissenschaftler dieser Tag bekannt der irgenwelche Artikel gegen Böhms Interpretationen verfasste, bzw herausgab. Man darf ja nicht vergessen, daß Böhms "Mozartbild" nicht von ihm "erfunden", es stellt lediglich eine Verfeinerung auf höchstem Niveau dar. Böhms Ruf kann man am besten ermessen, wenn man sich vor Augen führt, daß der gottähnliche Herbert von Karajan in Sachen Mozart immer nur als ZWEITER gesehen wurde - das sogar akzeptierte, und vermutlich selber so sah.
    Ein weiterer Hinweis war, daß, als Stastsoperndirektor Ian Holender 1995 bei einer Galaveranstaltung der Wiener Staatsoper anlässlich der Wiederherstellung der Republik Österreich 1945, ausgebuht und ausgezischt wurde. Man konnte das im Fernsehen gut sehen, obwohl sofort der Ton reduziert wurde....
    Davon findet man - so glaubte ich - nichts mehr im Internet, Das ist unangenehm, weil man dan bei gewissen Leuten , denen das in den Kram passt, unglaubwürdig wirkt. Aber ich habe es danK intensiver Recherche doch gefundern: Im "Spiegel" wird die Situation sieben jahre später fogendermaßen beschrieben:


    Zitat

    Dass ihn Teile der Wiener Presse jetzt immer ungenierter unter Beschuss nehmen, liegt nach seiner Meinung "weniger an einzelnen Inszenierungen als an der Rede", die er im April 1995, zum 50-jährigen Jahrestag der Wiederherstellung der demokratischen Republik Österreich, gehalten hat: "Da habe ich darauf hingewiesen, dass der letzte von den Nazis ernannte Direktor der Staatsoper mit dem ersten Direktor der wiederaufgebauten Oper identisch war. Der hieß Karl Böhm. Jeder hat''s gewusst. Keiner hat''s gesagt. Ich hab''s gesagt. Das vergessen die mir nie."


    Hier der Link zum gesamten Artikel
    http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-22019403.html
    Vielleicht sollte man erwähnen, daß bei dieser Vorstellung vo allem Wiener Prominenz geladen war - wenn nicht sogar exklusive.


    Dazu kommt, dass zu Böhms Lebzeiten HIP entweder praktisch gar nicht existierte, oder in den Kinderschuhen steckte und für die Allgemeinheit zu unwichtig war


    Das ist nur bedingt richtig, es exitierte, wurde aber BEWUSST negiert. Herbert von Karajan verhinderte das Auftreten von Harnoncourt bei den Salzburger Festspielen
    (Damit brach er einen in seiner Jugend gefassten Vorsatz, sich nie einem Kollegen gegenüber so zu verhalten, wie Wilhelm Furtwängler es ihm gegenüber getan hatte, dieser hatte nämlich versucht Karajan ais dem EMI Vertrag zu drängen mit der - Er oder ich - Methode, was durch den Einfluß von Walter Legge zugunsten Karajans entschieden wurde.) Harnoncourts Musizierstil war Karajan über alle Maßen zuwider, widersprch dessen ästehischem Geschmack völlig.
    HIP kommte sich nur entwickeln, weil die Schallplattenindustrie irgend etwas benötigte, das die Umsätze wieder hochschraubte, da traf es sich gut, daß einerseits die CD eingeführt wurde (an die niemand glaubte) und daß man mit historisierenden Interpretationen etwas "Neues" anbieten konnte.
    All die "alten" Interpreten sollten in der Versenkung verschwinden - nur mehr digitale Neuaufnahmen....
    Letztlich hat das dann doch nicht geklappt. Man hat gegen das allmächtige Publikum produziert und einige Firmen haben das nicht überlebt.
    Man darf in diesem Zusammenhang nicht ausser acht lassen, daß die Romantisierung der Wiener Klassik ein lang andauernder Prozess war, der schon von Mendelssohn und seinen Kollegen allmählich in Gang gebracht wurde. Und vielleicht ist es gerade dieses "falsche" Mozartbild, das ihn so beliebt gemacht hat....
    vor allem bei den "Genussörern (Uiiii - das war jetzt aber schon elegant wie ich die Kurve gefunden habe, die wieder zum eigentlichen Threadthema führt....)


    mfg aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Ein Mozart-Exkurs passt doch recht gut in diesen Thread:


    Ich weiß nicht, wer Mozart mit Zuckerguß überhaupt interpretiert haben sollte und sehe dies als eine bewusst manipilative Phrase an, initiiert von Leuten, die eigentlich nicht davor zurückschrecken ALLE Werte auf ihr Weltbild hinzubiegen. Sie wollen Mozart (und nicht nur ihn) als radikalen Neuerer sehen . bzw uns Glauben machen, daß er einer war. Allein das Wort "Rokoko" macht sie erschauern und sie haben es aus ihrem Sprachschatz gestrichen - und würden das mit unserem ebenfalls gerne tun.Mozart war nun aber ein Mensch des Rokoko - und auch jene in dessen Diensten er stand.


    Diesem tradierten Cantus firmus kann ich nicht ganz folgen. Als Mozart nach Wien kam, um seine sämtlichen Hauptwerke zu schaffen, war das Rokoko gemäss allen gängigen Definitionen bereits Geschichte.


    Zudem wurde Österreich auch zuvor vom Rokoko nur gestreift. In der Architektur gibt es, trotz des reichen zeitgenössischen Baubetriebs, kaum eine Handvoll entsprechender Werke, anders als etwa in Frankreich oder den Ländern der Hohenzollern oder Wittelsbacher. Bezeichnender ist eher der Übergang von einem klassizistischen Spätbarock zu einem spätbarocken Klassizismus, wie er sich beim Generationswechsel zwischen Johann Bernhard und Joseph Emanuel Fischer von Erlach manifestiert. Auch in der Malerei wäre mir kein österreichisches Äquivalent zu Watteau oder Boucher bekannt. Etwas präsenter sind die entspechenden Stilelemente im Bereich Kunsthandwerk und Bildhauerei - in erster Linie bei importierten Künstlern. Insgesamt stand Österreich dem Rokoko aber doch ähnlich fern wie Spanien oder Grossbritannien?


    Ist der "gallante Stil" dem Rokoko gleichzusetzen? Einerseits gibt es keine halbwegs klare Unterscheidung zur "Empfindsamkeit" oder zum "Sturm und Drang". Andererseits mangelt es an an klaren Analogien zu Rokokoelementen anderer Disziplinen. Und selbst wenn dies fassbar wäre, beträfe es beispielsweise jene selten gespielten Werke Mozarts, die sich deutlich an Christian Bach anlehnen (der freilich ebenfalls in einem rokokofernen Land wirkte).


    Auch die erwähnten Dienstherren Mozarts sind kaum "Rokokofiguren". Sowohl Colloredo als direkter als auch Joseph II. als indirekter Dienstherr waren radikale Aufklärer, die ihre eigenen Herrschaftgrundlagen als Fürstbischof b.z.w. Römischer Kaiser fleissig unterminiert haben - ironischerweise gegen den Widerstand des "Pöbels".


    Der "Zuckerguss" stellt vielleicht eine polemisch wirkende, aber doch nicht unzutreffende Umschreibung dar. Die Konturen werden verwischt, die Oberfläche sieht überall ähnlich aus. Ob man es mag oder nicht, ist eine Frage des internen Zuckerspiegels. Jedenfalls bleiben Mozarts Modulationen und Dissonanzen bestehen, gleichgültig ob Böhm diese Elemente überdeckt oder Harnoncourt sie herausstellt - mir erscheinen übrigens beider Lesarten als zu radikal.


    Bezeichnenderweise betreibt allerdings der bürgerliche Karl Böhm mit seiner gross-sinfonischen Levée en masse eine der franzöischen Revolution gemässe Egalisierung, während die Differenzierungsversuche des Aristokraten Harnoncourt zu einer Hierarchisierung führen.

  • Sowohl Colloredo als direkter als auch Joseph II. als indirekter Dienstherr waren radikale Aufklärer, die ihre eigenen Herrschaftgrundlagen als Fürstbischof b.z.w. Römischer Kaiser fleissig unterminiert haben

    Lieber "Gombert", dem meisten, was du in deinem Vorbeitrag schreibst, stimme ich ausdrücklich zu. Nur hier glaube ich, dass die genannten (in der Tat!) Aufklärer nicht ihre eigenen Herrschaftsgrundlagen aus Lust am eigenen Untergang bewusst untergraben haben, sondern dass sie durch die Aufklärung nach einer neuen Legitimation dieser Herrschaft gestrebt haben - und durch ihr entsprechendes Handeln auch einer drohenden Revolution den Wind aus den Segeln nehmen wollten - einer Revolution, wie sie ab 1789 in Frankreich, aber nicht in Österreich stattfand. Ob sie ohne das Wirken der genannten Aufklärer auch ausgeblieben wäre, darf bezweifelt werden.


    Aber wie schon gesagt: Dass die Mozart-Zeit die Zeit der Aufklärung war und nicht die des "Rokoko", darüber herrscht zwischen und völlig Einigkeit! :yes: :hello:

    Beste Grüße vom "Stimmenliebhaber"

  • Banner Trailer Gelbe Rose
  • Gewiss strebten die genannten Herren nach einer "neuen Legitimation der Herrschaft" - freilich umsonst. Zum Zenit der Französischen Revolution war der grösste Teil der Reformen Josephs II. bereits aufgehoben - vorzugsweise wegen des Widerstandes von Volk und Ständen. Sie vermochten folglich auch nichts zu verhindern. Eine besondere Revolutionsgefahr war für Österreich ohnehin nie erkennbar gegeben, da die Beziehungen zwischen Hof und Untertanen auf verschiedenen Ebenen anders gestaltet war als in Frankreich. Irreversibel war - wie ich ausdrücklich schrieb - die Aushöhlung der Stellung eines Römischen Kaisers, nicht zuletzt mittels der Säkularisation. Dies war im Herrschaftsgebiet Colloredos noch problematischer: ein Erzbischof, der sich an der Religionsausübung störte. Die Bevölkerung, der Wallfahrten und die Ausübung religiösen Brauchtums untersagt ward, wurde beinahe in Aufstände getrieben - das Gegenteil von Revolutionsvermeidung. Ähnlich war etwas später die Situation des höchst aufgeklärten bayerischen Staatsministers Montgelas, der die Tiroler Bauern mit den Segnungen von Aufklärung und Revolution beglücken wollte. Die Resultate sind bekannt... Grundsätzlich sehe ich auch keinen Gegensatz zwischen Aufklärung und Rokoko - nur befanden sich Colloredo oder Joseph II. in einer anderen (kultur-)historischen Situation als der junge Friedrich II. Aber nun wird's tatsächlich off topic...