Ich weiß zwar, dass, eben weil die Familie nach der Emigration lange Zeit in Sorengo lebte, der Wunsch, in der Schweiz begraben zu sein, eigentlich naheliegend war. Aber warum ausgerechnet auf dem Friedhof von St. Abbondio in Gentilino, am Hang der Collina d´Oro? Den kenne ich als kleine sepulchrale Idylle zwar gut, die kleine Kirche mit ihrem zypressengesäumten Zuweg gegenüber hat mich immer wieder beeindruckt, - das aber kann doch für Bruno Walter nicht das Motiv gewesen sein, dort seine letzte Ruhestätte zu finden?!
Das Zitat stammt von einem Beitrag (Nr. 309), der im Oktober 2015 eingestellt wurde. Vordem hatte moderato (Nr. 306) ein Foto vom Grab Bruno Walters gezeigt.
Heute ist der Geburtstag von Bruno Walter, ein Anlass, etwas mehr über sein Leben auszusagen.
Wenn man auf der Suche nach dem Friedhof von unten kommt, bietet sich zunächst dieses Bild, links der Straße; auf der rechten Straßenseite befindet sich der Friedhof mit den Gräbern von Hermann Hesse und Bruno Walter.
Gegenüber der Zypressenallee befindet sich der Friedhofseingang. Gleich nach dem Eingang findet man eine Stele mit dem Friedhofsplan und der Bezeichnung von Gräbern bekannter Persönlichkeiten. Zum Grab von Bruno Walter hält man sich links, das Grab von Hermann Hesse befindet sich auf der rechten Seite des Friedhofs.
Sein Geburtsname war Bruno Walter Schlesinger; er stammte aus einer deutsch-jüdischen Familie und war das zweite von insgesamt drei Kindern seiner Eltern. In der Nähe vom Alexanderplatz wurde er geboren. Der Vater war Buchhalter, die Mutter spielte Klavier, sie hatte am Sternschen Konservatorium studiert. Noch im Kindesalter, mit acht Jahren, begann Bruno mit dem Klavierstudium und hatte schon als Neunjähriger seinen ersten öffentlichen Auftritt als Pianist. Etwas später kam das Interesse am Dirigieren dazu, was wesentlich durch die Bewunderung des jungen Bruno Walter Schlesinger für den Dirigenten Hans von Bülow geweckt wurde, als er diesen mit den Berliner Philharmonikern hörte.
Seine erste Anstellung fand Bruno Walter Schlesinger am Kölner Opernhaus als Korrepetitor; dort wurde er von dem wendigen Hamburger Opernchef Bernhard Pollini entdeckt und für die Spielzeit 1894/95 nach Hamburg geholt, wo Gustav Mahler zu dieser Zeit Kapellmeister war. Mahler fand Gefallen an dem jungen Mann, dessen Wirken für ihn eine wesentliche Erleichterung bedeutete, weil dieser immer mehr Aufgaben übernahm; bald war er zum Chordirektor aufgestiegen und wurde in seinem letzten Hamburger Vertragsjahr sogar noch Kapellmeister. Seit diesen Tagen entwickelte sich ein freundschaftliches Vertrauensverhältnis der beiden Musiker zueinander - nach Mahlers Tod galt Bruno Walter als der kompetenteste Interpret von Mahlers Werken.
Mahler erkannte die große dirigentische Begabung des um sechzehn Jahren Jüngeren und förderte dessen Karriere nach Kräften und ebnete dem jungen Mann den Weg nach Breslau. Zu diesem Zeitpunkt verabschiedet sich der aufstrebende Dirigent von dem Namen Schlesinger und nennt sich fortan Bruno Walter. Es folgte ein Wechsel nach Preßburg, und vor seinem Engagement ins damals russische Riga konvertierte Walter zum Katholizismus.
Erst 1901 folgt er Gustav Mahler, der in Wien Operndirektor geworden war, in die österreichische Metropole. Neben seinem Familiennamen legt er nun auch noch seinen Bart ab, denn Mahler gab ihm praktisch den dienstlichen Befehl: »Rasieren Sie Ihren Bart ab, ehe Sie in Wien eintreffen«. Der Herr Hofoperndirektor hatte den nunmehr 24-jährigen Bruno Walter als Kapellmeister engagiert. Auch im privaten Bereich gibt es für Walter eine Veränderung, er heiratet die Sopranistin Elsa Korneck.
Zu dieser Zeit komponiert Walter auch noch und arbeitet eng mit Musikern wie zum Beispiel Schönberg und Zemlinsky zusammen.
Zwölf Jahre war Bruno Walter in Wien Erster Kapellmeister, dann wechselte er nach München, wo Felix Mottl 1911 überraschend gestorben war. Richard Strauss hatte den Wiener Kapellmeister empfohlen. Bereits am 20. November 1911 fand in der Münchner Tonhalle die Uraufführung von Mahlers »Das Lied von der Erde« statt, dessen Aufführung Gustav Mahler nicht mehr erleben konnte, es war Bruno Walter vorbehalten dieses Werk aus der Taufe zu heben.
Schon vor seinem offiziellen Amtsantritt - im Verlauf der Münchner Festspiele 1912 - hatte er dort einige Aufführungen dirigiert. Nun war Walter an einem großen Ziel angelangt, er hatte die musikalische Leitung eines großen und bedeutenden Opernhauses inne.
Und Bruno Walter setzt hier Maßstäbe; er leitet im Mai1914 die Münchner Erstaufführung des »Parsifal« - die Schutzfrist war gerade abgelaufen, denn vordem war das Werk ausschließlich dem Aufführungsort Bayreuth vorbehalten.
Walter fühlte sich aber auch den zeitgenössischen Werken verpflichtet. So kommt es dann auch 1917 in München zur Uraufführung von Pfitzners Werk »Palestrina«. Bruno Walter ist seit Jahren mit Hans Pfitzner befreundet, in späteren Jahren muss diese Freundschaft dann einiges aushalten.
Walter hatte in München großen Erfolg, hatte vieles voran gebracht, dirigierte an drei Opernhäusern und hat die Presse begeistert. Außerhalb Münchens entwickelte Walter zudem eine ausgedehnte Gastspieltätigkeit und dirigiert in Berlin, Österreich, Italien, Frankreich, England ...
Aber das konnte auf Dauer nicht so bleiben, die Stimmung trübte sich in München ein, einmal mehr kam es zum Disput über die richtige Wagner-Interpretation. Thomas Mann sieht sich genötigt seinen Nachbarn - die Familien leben dicht beieinander - öffentlich zu verteidigen.
Die Probleme in München summierten sich, da war Antisemitismus, wirtschaftliche Schwierigkeiten und einiges mehr; Bruno Walter wurde krank, der rechte Arm war betroffen, Walter konnte und mochte nicht mehr, im Oktober 1922 stellte er sein Amt zur Verfügung.
Im Februar 1923 hatte Walter mit dem New York Symphonie Orchestra sein Debüt in der Carnegie Hall und war in vielen amerikanischen Städten und Kanada auch mit anderen Orchestern präsent.
Ab 1925 ist Bruno WalterGeneralmusikdirektor der Städtischen Oper Berlin-Charlottenburg, also wieder in seiner Heimatstadt tätig, wo er diese Position bis 1929 ausübt. 1925-37 dirigiert er auch bei den Salzburger Festspielen und im Sommer 1926 erstmals an der Mailänder Scala.
Als Bruno Walter die Städtische Oper Berlin verlässt und 1929 in Leipzig Nachfolger von Furtwängler als Gewandhauskapellmeister wird, sind ihm hier nur wenige Jahre vergönnt, das politische Umfeld verdüsterte sich immer mehr. Am 7. März 1933 gab es bereits an der Dresdner Oper einen Riesenskandal, als der Dirigent Fritz Busch bei einer »Rigoletto«-Aufführung am Dirigieren gehindert wurde.
Als Bruno Walter am 16. März 1933 zu seinem Arbeitsplatz im Gewandhaus wollte, um ein Konzert zu dirigieren, durfte er auf Anordnung der Polizei das Haus nicht mehr betreten, als Grund nannte die Behörde »die Volksstimmung«.
Bruno Walter konnte noch erleben, dass ihm 1957 der Arthur-Nikisch-Preis der Stadt Leipzig zuerkannt wurde und er im September 1961 die Anerkennung als Ehrenmitglied des Gewandhaus-Orchesters erhielt.
Bruno Walter hatte sich einen guten Namen erarbeitet und somit keine Schwierigkeit im Ausland seinen Beruf auszuüben und sich dort bejubeln zu lassen. »Deutschland hat seinen größten Dirigenten dem Rest der Welt geschenkt«, schrieb eine englische Zeitung. In Amsterdam bereitete man ihm einen überwältigenden Empfang, 1934-1938 war er Gastdirigent beim Concertgebouw Orchester in Amsterdam; und auch das Wiener Publikum applaudierte beim ersten Konzert des aus Deutschland vertriebenen Dirigenten eine halbe Stunde lang. Walter ging nach Österreich, nach Wien, wo er sich eigentlich nicht fremd fühlen musste, von 1936 bis 1938 war er ja bereits Dirigent an der Wiener Staatsoper gewesen.
1944 schreibt Bruno Walter in seinen Erinnerungen, dass er seiner Seele nach ein Wiener gewesen sei; den Wiener Philharmonikern vermachte er testamentarisch 60 000 Dollar.
1938 erreicht ihn auf einer Konzertreise in Amsterdam die Nachricht, dass die deutsche Wehrmacht in Österreich einmarschiert ist, was dort von einer erklecklichen Mehrheit freudig begrüßt wurde. Nach dem erfolgten »Anschluss« lebte Walter mit seiner Familie bis 1939 in Lugano. Ein Schicksalsschlag von besonderer Wucht traf Walters Familie im August 1939. Tochter Gretel war seit 1933 mit dem Filmproduzenten Robert Neppach verheiratet, die Ehe war nicht glücklich. Gretel hatte ihren Ehemann verlassen und eine Beziehung zu dem italienischen Opernsänger Ezio Pinza - der ein ganz großer Sänger war - aufgebaut.
Neppach hatte seine Frau zu einer Aussprache nach Zürich gebeten. Erika Mann, die alte Freundin aus Münchner Jugendtagen, hatte Gretel in böser Vorahnung noch von diesem Treffen abgeraten, erfolglos - Neppach erschießt seine Frau und dann sich selbst. Erika und ihr Bruder Golo nehmen an der Trauerfeier teil; auch Arturo Toscanini und Adolf Busch waren unter den Trauergästen. Bruno Walter spielte sich und den Anwesenden zum Trost den ersten Satz aus Beethovens Mondscheinsonate.
1942 stand Walter am Pult der »Met« in New York und dirigierte »Don Giovanni«, der Bariton Ezio Pinza sang die Titelrolle ...
1939 verlässt Bruno Walter Europa; von Genua aus geht es mit dem Schiff nach Amerika, wo sich die Familie in Los Angeles im Stadtteil Beverly Hills niederlässt. Dort trifft man viele andere emigrierte Künstler – teilweise kannte man sich seit Jahrzehnten. In den 1920er Jahren war Thomas Mann in München ein Nachbar von Walter gewesen, nun wohnten sie in Kalifornien auch nicht allzu weit voneinander entfernt.
Da Bruno Walter schon vor seiner Emigration ein international bekannter Dirigent war, half ihm seine Bekanntheit beruflich schnell in den USA Fuß zu fassen. Er hatte Angebote der größten Orchester der USA und widmete sich neben dem großen sinfonischen Repertoire vor allem dem Komponisten Gustav Mahler. Los Angeles und New York wurden zu seinen wichtigsten Auftrittsorten, darüber hinaus dirigierte er in weiteren Städten der USA und in Kanada.
Schätzungen gehen davon aus, dass in der Zeit des »Dritten Reiches« mindestens 1500 europäische Musiker über den Atlantik geflüchtet sind, man spricht vom größten Talenttransfer der Weltgeschichte.
Als Walter floh, war Arnold Schönberg schon seit fünf Jahren in den USA. Dort, in Kalifornien, lebten inzwischen auch die Komponisten Erich Wolfgang Korngold und (zeitweilig) Hanns Eisler, während Paul Hindemith 1940 nach Connecticut ging. Im selben Jahr kamen Darius Milhaud aus Frankreich und Béla Bartók aus Ungarn. Es kamen Igor Strawinsky, Kurt Weill , die Dirigenten Otto Klemperer und Erich Leinsdorf, Pianisten wie Rudolf Serkin und Arthur Schnabel, Geiger wie Adolph Busch und Bronislav Huberman und ganze Ensembles wie das Kolisch-Quartett aus Wien . Dazu berühmte Musiker des leichten Genres, der Operettenkönig Emmerich Kálmán oder Friedrich Hollaender, der Komponist des Blauen Engels, und rund neunzig Musikwissenschaftler.
Im privaten Bereich konnten die Walters in Amerika an die alte Tradition der guten Nachbarschaft aus Münchner Tagen anknüpfen. Zwischen Thomas Mann und Bruno Walter hatte sich eine Freundschaft entwickelt, die nach außen dadurch sichtbar wurde, dass man sich duzte. Bruno Walter beriet auch Thomas Mann in Sachen Musik, bevor Adorno in dieser Funktion tätig war.
Mit Bruno Walters Ehe stand es zu dieser Zeit offenbar nicht zum Besten, was durch eine Äußerung Thomas Manns dokumentiert ist, der Walters Ehe als »Waltersche Hölle« bezeichnete.
In dieser Situation hatte nun Erika Mann ihren großen Auftritt, sie verliebte sich in Bruno Walter, eigentlich bewunderte sie schon als Zehnjährige in München den berühmten Nachbarn, aber jetzt war Erika Mitte dreißig und Bruno Walter Mitte sechzig. Erika Mann hatte vordem einige Liebschaften, war mit Gustav Gründgens verheiratet gewesen, aber Bruno Walter war die Liebe ihres Lebens. Sie selbst bezeichnete das alles als ein »Feistes Stück aus des Teufels Tollkiste«. Für das Liebespaar war das ein Ritt auf der Rasierklinge, niemand durfte etwas davon erfahren, dennoch kannte Erikas Mutter das Geheimnis ... gegenüber dem Hausherrn galt die allerhöchste Geheimhaltungsstufe, Thomas Mann hatte von all dem nicht die leiseste Ahnung. Walters Frau Elsa hatte zumindest eine Ahnung, denn es soll im Hause Walter 1944 zu heftigen Szenen gekommen sein.
Erika Mann und Bruno Walter hatten ihre heimliche Beziehung bereits beendet, als sich der Zustand von Walters Ehefrau immer mehr verschlechterte. Nach mehrmonatigem Siechtum starb Elsa Walter 1945 an den Folgen eines Schlaganfalls, aber Bruno Walter mochte keine neue Ehe eingehen. Als er zusammen mit seiner Tochter Lotte zu Konzerten nach Zürich und Wien reiste, fühlte sich Erika beiseitegeschoben und war gekränkt. Bruno Walter wollte wieder in die alte Position der väterlichen Freundschaft zurückkehren.
Nach außen wurde das so sichtbar, dass er die Sängerin Delia Reinhardt, die er schon 1915 entdeckt hatte, und die schon in München seine Geliebte war, zu sich nach Kalifornien holte und ihr ganz in seiner Nähe ein Haus kaufte. Delia Reinhardt sang bis in die frühen 1930er Jahre an fast allen bedeutenden Opernhäusern; 1922-24 stand sie in zehn großen Partien auf der Bühne der Metropolitan Oper New York. 1943 verlor sie bei einem Bombenangriff in Berlin ihr gesamtes Hab und Gut. Durch die Vermittlung von Richard Strauss fand sie bei einer Sängerin in Garmisch-Partenkirchen eine Bleibe. Hier machte sie Bekanntschaft mit dem Dichter Oskar Franz Wienert, der ihr Einblicke in die Anthroposophie vermittelte.
Da ihre Stimme nicht mehr tragfähig war, wandte sie sich der Malerei zu und gab ihr anthroposophisches Wissen an Bruno Walter weiter, der sich diesen Gedanken gegenüber sehr aufgeschlossen zeigte. In seinem Buch »Von der Musik und vom Musizieren« findet sich am Ende ein Bekenntnis zur Anthroposophie.
Der 80. Geburtstag von Thomas Mann war eine große Sache, drei Tage lang wurde gefeiert, in der Schweiz, wohin die Manns inzwischen zurückgekehrt waren. Auch im Zürcher Schauspielhaus wurde gefeiert; Überraschungsgast war Bruno Walter, der eigens zu diesem Termin aus Amerika eingeflogen war, um auf der Bühne Mozarts Kleine Nachtmusik zu dirigieren.
Auch Bruno Walter kam wieder für immer in die Schweiz zurück. Seinem Wunsch entsprechend, wurde er auf dem Friedhof Sant´ Abbondio in Gentilino, nahe Montagnola, zu seiner letzten Ruhe gebracht. Die Beisetzung der Urne erfolgte durch den Priester der Christengemeinschaft Rudolf Mayer.
Das Foto zeigt den Zustand des Grabes im Sommer 2017, vermutlich ist eine Neuanlage geplant ...
Aus den Daten ergibt sich, dass das Grab seit 1939 bestehen könnte.