Mendelssohn Streichquintett Nr.2 B-Dur op.87

  • Ich möchte hier ein bislang vernachlässigtes Meisterwerk der Kammermusik würdigen, da es hierzu kaum Beiträge gibt (scheinbar auch noch gar keinen eigenen Thread hat) und die Veröffentlichungen auch überschaubar sind. In Einzelfällen frage ich mich, warum manche Werke kaum beachtet werden und hier wäre so ein exemplarischer Fall. Es kann eigentlich nicht an der musikalischen Substanz liegen, wenn auch das Werk an manchen Stellen etwas ernhsthafter ausfällt (das gewohnt elfenhafte Scherzo wird hier durch ein eher nachdenklich, ernstes Intermezzo, ein Adagio scherzando in Moll ersetzt, also mit „scherzando“ im eigentlichen Sinne nicht mehr viel zu tun hat), bietet das Werk ebenso überwiegend die essentiellen Stärken Mendelssohns, wie sie in seinen weitaus bekannteren Kammermusikwerken vorkommen: die prägnante eingängige Melodik Mendelssohns, welche sich durch alle Sätze zieht. Die stellenweise virtuos, verspielten Akzente, die ausgefeilte, nicht spärlich eingesetzte Rhythmik, sowie kunstvolle Behandlung der Nebenstimmen.


    Mendelssohn schrieb das Werk 2 Jahre vor seinem Tod im Alter von 36 Jahren. Er komponierte es bei seinem Sommeraufenthalt in Bad Soden und wurde für Ferdinand David komponiert, einem Geigenvirtuosen, welchem auch ein Jahr zuvor das Violinkonzert in e-moll gewidmet wurde. Dieser wünschte sich ein Kammermusikstück in „stilo moltissimo concertissimo“. Mendelssohn war aber scheinbar mit dem Finale nicht zufrieden und wollte das Werk zunächst für eine spätere Überarbeitung zurücklegen. (Der Komponist Ignaz Moscheles hatte 1846 in sein Tagebuch eingetragen: „Das Violin-Quintett in B-Dur wird auch angesehen, und Mendelssohn behauptet, das letzte Stück sei nicht gut“) Dazu kam es aber durch seinen Tod am 4. November 1847 nicht mehr.
    Julius Rietz wurde nach dem Tod Mendelssohns mit der Herausgabe seiner noch nicht veröffentlichten Werke betraut und dieser nahm sich die Freiheit in das Werk (wie auch in Anderen) willkürlich und eigenmächtig einzugreifen und Veränderungen vorzunehmen. Leider wird noch heute oftmals seine abgeänderte Version eingespielt.


    Das Allegro vivace besitzt ein sehr markantes, energiegeladenes Hauptthema, welches in seinem Kern zwar optimistisch erscheint, aber in typischer Weise Mendelssohns, durch leichte Veränderungen und fortlaufenden Kontrastierungen zeitweise in eine kurze melancholische Trübung verfällt und schließlich auch als Moll-Variante in der Durchführung auf verschiedenste Art und Weise variiert, sowie einem düster erklingenden Seitenthema und Triolen ergänzt wird. Die Kontrastierungen zwischen dem strahlenden Hauptthema mit kurzen trübsinnigen Abgründen, werden in der Reprise fortgesetzt, bis sich die positive Grundstimmung am Ende schließlich duchsetzt.


    Im zweiten Satz, dem bereits erwähnten „Adagio scherzando“, wird zwar das rhythmisch, tänzerische Stilelement im 6/8 Takt sehr betont, doch wie man durch den Titel vielleicht mutmaßen würde, nicht in einer ausgelassenen, heiteren Stimmung. Hingegen dominieren vielmehr Ernst und Eleganz in g-moll, welche nur kurze fröhlichere Lichtblicke zulassen. Stellenweise erinnert dieser Satz an Tänze älterer Epochen.


    Viel tragischer und düsterer mutet noch der dritte Satz (Adagio e lento) an. Die teils sehr triste Stimmung in d-moll (Bemerkung: Todestonart bei Mozart) in Zusammenhang mit dem Rhythmus läßt den Eindruck zu, hier könnte es sich um einen Trauermarsch handeln. Kontrastiert wird dieses mit dem, manche würden sagen „tröstlichen“, Seitenthema in D-Dur, welches aber für mich noch ausreichend wehmütigen Beigeschmack enthält. Es folgen Variationen und Verarbeitung der beiden Themen und schließlich führt dieser Satz durch ein langsam anschwellendes Crescendo zu einem sehr besinnlichen, erhabenen Höhepunkt. Für mich ein grandioser Satz.


    Im letzten Satz, dem Allegro molto vivace, kehrt Mendelssohn wieder zu einer positiven Grundstimmung zurück. Die fast durchgängig grazile, rhythmische Melodik in welchen Sechzehntel dominieren, wechselt sich mit ein paar kunstvoll, kontrapunktisch gestaltete Passagen ab. Hier meinen manche Kritiker, Mendelssohn habe wohl gespürt dass das Finale durch seine überwiegend positive, nahezu euphorische Grundstimmung nicht ganz zu den zuvorgehenden Sätzen paßt. Vielleicht mag das auch von der emotionalen Seite der schwächste Satz dieses Werkes sein (von der Satztechnik ist er sicher der Anspruchsvollste), aber dennoch steht das ganze Werk insgesamt gesehen seinen bekannteren Kammermusikwerken um kaum etwas nach.


    Wer es sich gleich anhören bzw. ein wenig hineinhören möchte:


    Ich habe das Werk in dieser Einspielung:



    und ich glaube mich zu erinnern, Johannes hat bei seiner Entrümpelung eine andere Interpretation per Post zugeschickt. Die Einspielungen sind wie geschrieben recht spärlich für so ein ziemlich gewichtiges Werk. Wer kennt dieses Werk noch und möchte seine Eindrücke dazu schildern?
    grüße

    „Eine Erkenntnis von heute kann die Tochter eines Irrtums von gestern sein.” (Marie von Ebner-Eschenbach)

  • Eine schöne Einführung, danke dafür! Ein paar Notenbeispiele wären interessant, in denen man etwa die Themen nachvollziehen kann. (Da kann ich, falls wider Erwarten Interesse besteht, vielleicht hilfreich sein)
    Jedoch, die vorgestellte Aufnahme ist übler Etikettenschwindel, und enthält leider nicht Mendelssohns Werk.


    Die momentan einzige Einspielung des Werkes ist diese hier:





    LG,
    Hosenrolle1


  • Auch von mir besten Dank für diesen wunderbaren Thread.
    Ich habe in meiner Sammlung nachgesehen und vorerst ebenfalls die Aufnahme mir dem Mannheimer Streichquartett gefunden. Ich habe die Gelegenheit genützt un mir das Werk angehört. Allerdings: Einmal ist keinmal - das ist zuwenig um einen Beurteilung abzugeben, eigentlich reit nicht mal für einen Eindruck. Dennoch war ich irgendwie überrascht von der "Attacke des Beginn des erstsn Satze - und überhaupt vom "packenden" Zugriff der Ausführenden, wobei ich das Werk nicht soweit kenne, zu sagen ob es in dieser Form vom Komponisten gewollt ist. Ich erinnerte mich dunkel, daß es da wohl noch eine zweite Aufnahme geben müsste, ich hatte sie vor gut 10 Jahren erworben - als Reaktion eines unserer Weihnachtpreisrätsel, damals noch von einem Ex-Mitglied im Alleingang durchgeführt. Und siehe da - ich fand sie auf anhieb. Es handelt sich um die längst gestrichene Aufnahme der Hausmusik London für Virgin-Veritas. Diese Aufnahme ist unvergleichlich lieblicher . und das bei nahezu sekundengleicher Spieldauer. Englisch weichgespült gewissermaßen...... ;)
    Über den "Etikettenschwindel" wird uns Hosenrolleq1 sicher aufklären - Er hats ja spannend gemacht.
    Ich vermute, daß es sich hier um die schon von âme beanstandte Bearbeitung handelt.
    In einem Punkt möchte ich übrigens widersprechen: Es gibt doch einige aktuell verfügbare Aufnahmen beider Streichquintette Mendelssohns.
    Deren Authenzität und Interpetationsqualität vermag ich indes nicht zu beurteilen.....


    mfg aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Zitat

    Jedoch, die vorgestellte Aufnahme ist übler Etikettenschwindel, und enthält leider nicht Mendelssohns Werk.


    Mit solchen bestenfalls satirisch überzogenen Formulierungen machst Du Dein Anliegen, das ja nicht völlig unberechtigt ist, gewiss nicht glaubwürdiger.


    Leider können wir die Uraufführenden nicht mehr zum Leben erwecken. Möglicherweise würden sie sich nämlich in der Einspielung der Archibudelli auch nicht wiedererkennen - oder in beiden Einspielungen durchaus.


    Das HIP-Phänomen ist viel zu umstritten und vielschichtig, als dass man ihm mit Billig-Polemik beikäme.


    :hello: Wolfgang

    Lieber Fahrrad verpfänden denn als Landrat enden!

  • Ich möcht die Palette der durch youtube verfügbaren Interpretationen, bzw Ausschnitten daraus, erweitern
    So kann man sich über die mögliche Spannweite der Möglichkeine ein Bild machen


    Hier beispielsweise, wird von Mitgliedern des Amici -Ensembles musiziert:



    Eigentlich hate ich meine beiden Vergleichsaufnahmen schon gewählt, da fand uch überraschend noch diese, die IMO eine sehr ausgewogene klangschöne Interpretation bietet - unter Verzicht auf überzogene Dynamil/Dramatik
    Wunderbare Kammermusik, teilweise auch sehr intim, gespielt vom Aydno Quintet
    Es dürfte sich bei dieser etwa 5 Jahre alten Aufnahme um eine Studentenaufführung handeln, ich konnte das Adyno Quartett zumindest nicht finden, lediglich den Hinweise, daß Jacob Schafer hier mitspielt, wie es scheint ist er auf dem Weg in eine Solistenkarriere (oder schon mittendrin)
    https://schaferjacob.wordpress.com/



    Und hier nun ein weiteres MaL Wie sagt Ihr Deutschen doch ? "Quasi auf der Stuhlkante gespielt"
    Alles wird hier bis an die Grenze ausgekostet, schon beinahe orchestral
    Colburn Chamber Music Society November 2013, Zipper Hall, The Colburn School, Los Angeles


    pkQ-mF32fhY&t=30s


    mit freundlichen Grüßen aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



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  • Jedoch, die vorgestellte Aufnahme ist übler Etikettenschwindel, und enthält leider nicht Mendelssohns Werk.


    Und ich hoffe doch stark, dass zumindest in dieser Aufnahme Mendelssohns Werk dargeboten wird: :baeh01:


    Einer der erhabensten Zwecke der Tonkunst ist die Ausbreitung der Religion und die Beförderung und Erbauung unsterblicher Seelen. (Carl Philipp Emanuel Bach)


  • Und ich hoffe doch stark, dass zumindest in dieser Aufnahme Mendelssohns Werk dargeboten wird: :baeh01:



    In der Tat eine ausgezeichnete Einspielung! :yes:


    :hello: Wolfgang

    Lieber Fahrrad verpfänden denn als Landrat enden!

  • Ich hab wieder vergessen abzuspeichern bzw. meinen Text zu kopieren und jetzt ist alles weg. ;( (gibt es kein verzweifelteres Smiley hier?) Frage mich warum man hier so schnell wieder ausgeloggt wird, aber ich muss jetzt immer daran denken den Text vor absenden zu kopieren.


    Kurz und bündig nochmal...zu dem "Etikettenschwindel" hat ja Wolfgang schon alles gesagt, deswegen gehe ich darauf nicht mehr ein.


    Bezüglich der Notenbeispiele, ich weiss nicht wie ich das anstellen sollte ohne dass es zu zeitaufwändig wird. Aber man kann bei diesem Youtube-Video die Noten verfolgen:


    Ab etwa 27:22 gibt es einer der schön ausgefeilten Kontrapunkt-Passagen, mit teils motivischer Imitation, Engführung, Chromatik, Weiterentwicklung des Materials,... ich halte wie ich hier ja schon mal geschrieben habe Mendelssohn als einer der größten Komponisten bezüglich der Polyphonie, da hätten noch so manche sehr bekannte Namen (die ich hier nicht nenne) noch etwas von ihm lernen können.


    Zitat von Alfred Schmidt

    In einem Punkt möchte ich übrigens widersprechen: Es gibt doch einige aktuell verfügbare Aufnahmen beider Streichquintette Mendelssohns.


    Zwar muss ich zugestehen, dass ich dachte es gäbe noch weniger, doch ich bleibe dabei, dass dieses Werk gegenüber seinen Streichquartetten, Klaviertrios und ganz zu schweigen vom Oktett, viel zu sehr im Schatten steht. Wenn ich auf jpc als Suchbegriff "Mendelssohn op.87" eingebe, erhalte ich lediglich 10 Einspielungen (bei "Mendelssohn Streichquintett" kommen vielleicht noch paar dazu, aber hier werden komischerweise auch viele Streichquartetteinspielungen gelistet die nichts mit dem Werk zu tun haben) Dagegen "Mendelssohn op. 13", etwas über 50 Resultate, bei op. 12 noch mehr. Auch wenn das von Anbieter zu Anbieter noch etwas variieren kann zeichnet sich hier schon ein deutlicher Trend ab. Vielleicht mag man seine Streiquartette einen Tick orgineller, einfallsreicher, homogener,... empfinden, doch dieser höchstens kleine Unterschied steht in keiner Relation zu der doch recht deutlichen Differenz an Einspielungen. Dass es hier bislang auch keinen eigenen Thread hatte untermauert ja auch meine These. ;)
    grüße

    „Eine Erkenntnis von heute kann die Tochter eines Irrtums von gestern sein.” (Marie von Ebner-Eschenbach)

  • Normal antworte ich auf sowas gar nicht, aber trotzdem:


    Dein Anliegen,


    Du kennst, wie deine Antwort zeigt, mein "Anliegen", wie du es nennst, ganz gar nicht.
    Für mich sind diese Aufnahmen Etikettenschwindel, und das ist zu akzeptieren.


    Das HIP-Phänomen ist viel zu umstritten und vielschichtig, als dass man ihm mit Billig-Polemik beikäme.

    Dann müsstest du konsequenterweise auch die "Eine Versündigung an Mozarts Werk" und "Das Werk wurde in die heutige Zeit verlegt, Etikettenschwindel, Geld zurück!"-Aussagen kritisieren und als Billig-Polemik bezeichnen. Gleiches Recht für alle!
    (Und in der Vergangenheit habe ich durchaus eingehender darüber geschrieben)


    Bezüglich der Notenbeispiele, ich weiss nicht wie ich das anstellen sollte

    Mein Angebot ziehe ich hiermit wieder zurück. Interessiert mich nicht mehr.



    Gruß,
    Hosenrolle1

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  • Erklär uns doch mal anhand einer beliebigen Passage im verlinkten Video, warum genau das "Etikettenschwindel" ist. Sonst bleibt das nämlich einfach Geschwätz, auf das wir vernünftigerweise nicht reagieren sollten.


    EDIT: Dass das ein unsinniger Vorwurf ist, kann man mit einem ganz leichten Test herausfinden: Niemand, der "naiv" und unvoreingenommen die verlinkte Aufnahme des Academy Quintetts und die von Archibudelli oder Hausmusik hören würde, käme auf die Idee, es würde sich bei den jeweiligen Einspielungen um unterschiedliche Stücke handeln. Das zeigt auch, dass der Vergleich mit manchen modernen Operninszenierungen hinkt, denn hier würde man z.B. anhand eines Standbildes nicht immer leicht und zuverlässig erkennen, ob es sich um dasselbe Stück handelt.

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Da ich auch der letzten Antwort von Hosenrolle keinen nachvollziehbaren Inhalt entnehmen kann - schon gar keinen, der etwas mit der Qualität von Aufnahmen des Mendelssohn-Quintetts zu tun hat -, möchte ich mich der Meinung von Johannes Roehl anschließen.


    :hello: Wolfgang

    Lieber Fahrrad verpfänden denn als Landrat enden!