Heidelberger Frühling 2017

  • Hallo!


    Gestern fand das erste von drei Konzerten im diesjährigen Heidelberger Frühling statt, für die ich jeweils eine Karte habe:
    Christina Pluhar & l´Arpeggiata mit dem Programm "Via Crucis".


    Neben 8 Instrumentalisten (Zink, Barockgeige, Psalterion, Kontrabass, Perkussionen, Cembalo, Orgel und Theorbe) waren die Sopranistin Céline Scheen, die für Nuria Rial eingesprungen ist und der Altist Vincenzo Capezzuto zu hören.


    Außerdem (was für ein Genuss!), das korsische Vokalquartett "Barbara Furtuna". Das Programmheft schreibt von polyphonem Männergesang, der seine Wurzeln im gregorianischen Choral hat. Die Männer ordnen sich im Halbkreis an, den Arm manchmal auf die Schulter des Nachbarn gelegt und die Hand am Ohr, um sich oder die anderen Sänger besser zu hören.


    Das Programm "Via Crucis" ist 2010 bereits auf CD erschienen. Pluhar kombiniert dabei Musik aus dem Italien des 17ten Jahrhunderts mit zeitgenössischen korsischen und süditalienischen Stücken. Heraus kam eine "Rappresentazione sacra" (Programmtext) zur Osterzeit. Jaroussky und Rial, die auf der CD mitgewirkt haben, waren zwar nicht dabei - aber auch die o.G. waren äußerst beeindruckend und haben mit ihrer sympathischen Ausstrahlung zur Atmosphäre beigetragen.



    Ein wunderschönes, teilweise amüsantes Konzert, das mit seiner Friedfertigkeit und seinem Gemeinsinn das Publikum in seinen Bann zog.


    Im Anschluss interviewte der ehemalige SWR-Redakteur Jörg Tröger Christina Pluhar, die erzählte, wie ihre Programme zustande kommen, wie sie in Rom, Bologna, Florenz oder sonstwo im südlichen Europa nach alten Noten sucht, die sie mit ihren Musikern verwendet, über die sie gemeinsam improvisieren und wie sie sie weiter entwickeln. Interessant fand ich den von ihr zitierten Satz von Jordi Savall: "Die Musik ist nicht alt; alt sind die Manuskripte".


    So erstreckte sich das Programm auch von Barock über Volksmusik bis hin zum Jazz.


    Hier mein Lieblingsstück aus der genannten CD: Maria


    CD-Text: "Maria, eine Schöpfung des korsischen Vokalensembles Barbara Furtuna, basiert auf der Melodie von La Carpionese, einem traditionellen Hirtenlied aus Carpino. Der Text verweist auf die Schmerzen der Mutter, die sich am Leiden ihres Sohnes verzehrt."


    Hier die Zugabe, die sich die beiden Gesangssolisten und der Spieler des Zink gegenseitig zuwarfen. Offenbar improvisierten sie textlich etwas, sodass Pluhar im Interview eine Übersetzung ablehnte und beinahe einen Lachkrampf hatte (ich kann zwar fast kein Italienisch, aber "bunga bunga" habe ich dennoch verstanden).



    Als nächstes steht Ian Bostridge am 20.4. auf dem Programm


    Gruß WoKa

    "Die Musik drückt das aus, was nicht gesagt werden kann und worüber Schweigen unmöglich ist."


    Victor Hugo

  • Beneidensnwert, lieber WoKa. Dieses Konzert hätte ich auch gern wahrgenommen. Wenigstens in CD-Form habe ich es. :) Hier noch ein Titel aus dem Programm: "Ninna nanna alla Napoletana".



    Obwohl ich schon ziemlich viele Auftritte von Philippe Jaroussky erlebte, gemeinsam mit Christina Pluhar, auf die ich ganz große Stücke halte, leider noch nicht. Nach meinem Eindruck ist diese Kombination für beide Seiten besonders glücklich.


    Gruß Rheingold

    Es grüßt Rüdiger als Rheingold1876


    "Was mir vorschwebte, waren Schallplatten, an deren hohem Standard öffentliche Aufführungen und zukünftige Künstler gemessen würden." Walter Legge (1906-1979), britischer Musikproduzent

  • Ja, in der Tat, die hier eingefügten Youtube-Clips sind phantastisch - wenn man sich für diese Musik interessiert ("Alt sind die Manuskripte, nicht die Musik" ist ein toller Satz, ich muss ihn mir merken). Und "Ninna nanna" ist für mich ein wundervolles Stück Musik, das ich Dottore Pingel verdanke und das ich immer wieder hören muss - es geht unter die Haut!


    :hello:

    .


    MUSIKWANDERER

  • Hallo!


    am Donnerstag fand mein zweites "Heidelberger-Frühling-Konzert" 2017 statt.


    Unter der Überschrift "Standpunkte" soll das Gegensatzpaar Heimat - Fremde beleuchtet werden. Igor Levit, musikalischer Leiter der Kammermusik Akademie, sprach einleitende Worte, mit denen er das Konzept erläuterte. Eingeladen wurden zu diesem Zweck Musiker, die in mehreren Kulturen beheimatet sind. Ein Konzept mit politischem Bezug, dem mehrere Konzerte zugeordnet sind und das sich besser erschließen ließe, wenn sich eine Erläuterung im Programmheft finden würden.


    Den Bezug zu Ian Bostridge findet man zwar schwer, den Bezug zum dem ersten von ihm vorgetragenen Werk sehr wohl. Wenn ein Werk von der Fremde handelt, dann Schuberts Winterreise (1. Abtheilung). Begleitet wurde er von Julius Drake. Ich erlebte Bostridge erstmals live und muss gestehen, dass mich seine Interpretation nicht erreicht hat. Die zum Teil extrem langsame Interpretation entspricht nicht meiner Vorstellung von der Winterreise. Die Art, jedes einzelne Wort theatralisch zu inszenieren, unterstützt durch sein "körperbewegtes Singen" (Zitat aus Klassikinfo.de) war mir zu viel an Bedeutung. Mit dieser Erfahrung höre ich während ich das schreibe, seine Aufnahme mit Leif Ove Andsnes. Was für ein entspannender Unterschied (oder der Eindruck ist ein anderer, da der optische Eindruck nicht da ist).


    Das zweite Werk an diesem Abend war "En blanc et noir" für zwei Klaviere von Claude Debussy. Dargeboten von Igor Levit gemeinsam mit Elisabeth Brauß, Studentin an der Hochschule für Musik, Theater und Medien in Hannover. Dass mich auch dieses Stück nicht begeisterte, hatte sicherlich nichts mit der Interpretation zu tun.


    Recht unzufrieden ging ich in die Pause um im zweiten Teil vollauf entschädigt zu werden.


    Der 20-jährige Klarinettist Han Kim aus Korea ist zur Zeit als Austauschstudent an der Musikhochschule Lübeck. Seine Lehrerin ist Sabine Meyer. Das Stück für Klarinette solo, das er darbot, heißt "Song in the Dusk I" von Geon-Yong Lee (*1947). Das Werk umfasst alle Temperamente, spannt einen Bogen von extrem ruhigen Momenten bis zu virtuoser Dramatik. Und vor allem: Alle Achtung, in diesem Alter, alleine auf der Bühne mit einem stellenweise sehr anspruchsvollen Stück...


    Hier ist Han Kim mit dem Werk zu hören und zu sehen:



    Abschließend trat erneut Ian Bostridge auf. Diesmal mit dem Liederzyklus "Winter Words" von Benjamin Britten nach Gedichten von Thomas Hardy. Die Emotionen, die er in die Texte legte, standen seinem Auftritt mit der Winterreise in nichts nach - hier waren sie dem Werk für mein Gefühl angemessen. Der Liederzyklus, den ich bis dahin nicht kannte, hat auf diese Weise seinen Weg in mein Repertoire als Freund des Kunstliedes gefunden.


    Hier das Stück, das mich am stärksten ergriffen hat: Before life and after (allerdings interpretiert von William Hite):


    Morgen geht es zu Benjamin Appl. Bin gespannt...


    Gruß WoKa

    "Die Musik drückt das aus, was nicht gesagt werden kann und worüber Schweigen unmöglich ist."


    Victor Hugo

  • Hallo!


    Vergangenen Sonntag fand das dritte der von mir besuchten Konzerte im Rahmen des Heidelberger Frühlings statt. Benjamin Appl präsentierte in der Alten Aula der Universität sein Programm "Heimat".


    Die Alte Aula bietet ein einzigartiges Ambiente für ein solches Konzert:



    Appl präsentierte die Titel seiner aktuellen CD mit direktem oder indirektem Bezug zum Thema Heimat. So unter anderem Brahms´ "Wiegenlied", "Er ist´s" von Hugo Wolf, "Allerseelen" von Richard Strauss bis hin zu Ralp Vaughan-Williams´ "Greensleeves". Ein absoluter Sympath mit einem herrlich klaren Bariton. Appl, dessen Gesang sich durch eine absolute Textverständlichkeit auszeichnet, war der letzte Schüler von Dietrich Fischer-Dieskau. James Bailieu begleitete den 35-jährigen Appl, der seinen Wohnsitz vor einigen Jahre nach London verlegt hat. Auf die Frage von Jörg Tröger im anschließenden Interview antwortete er auf die Frage der Auswirkungen des Brexit auf sein Musikerleben sinngemäß: "Mal sehen, wie lange sie mich noch haben wollen".


    Um einen altmodischen Begriff zu verwenden: Ein hervorragender Bariton in einem solchen Ambiente mit einem tolen Programm ließen mich "beseelt" nach Hause gehen.



    Gruß WoKa

    "Die Musik drückt das aus, was nicht gesagt werden kann und worüber Schweigen unmöglich ist."


    Victor Hugo

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  • Danke für den Bericht, den ich sehr gern gelesen habe. Die CD "Heimat" kenne ich, nur den Sänger habe ich noch nie live erleben können. Mich hat beeindruckt, dass sich jemand in seinem Alter, der zudem noch in England lebt, diesem Thema künstlerisch zuwendet. Sängerisch habe ich ähnliche, wenn nicht die gleichen Eindrücke gewonnen wie Du. Mir fällt auf, dass er älter klingt als er in Wirklichkeit ist. In Berlin, wo ich lebe, ist Appl leider noch nicht eingekehrt. Aber das ist ein Andres. Nach dem gestrigen EU-Gipfel der Verbliebenen, bin ich optimistisch, dass der junge Bariton nicht in die Themse geworfen oder aus seiner Wahlheimat verjagt wird. :)

    Es grüßt Rüdiger als Rheingold1876


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  • Die Alte Aula bietet ein einzigartiges Ambiente für ein solches Konzert:

    Was für ein wunderschöner Raum!! Glückwunsch, daß Du in solch einem Gebäude ein so herrliches Konzert erleben durftest!


    Herzlichst La Roche

    Ich streite für die Schönheit und den edlen Anstand des Theaters. Mit dieser Parole im Herzen leb' ich mein Leben für das Theater, und ich werde weiterleben in den Annalen seiner Geschichte!

    Zitat des Theaterdirektors La Roche aus Capriccio von Richard Strauss.

  • Benjamin Appl präsentierte in der Alten Aula der Universität sein Programm "Heimat".


    Das muß ein schönes Konzert gewesen sein.
    Für Liederabende eignet sich die Aula auch akustisch.


    Übrigens ist Benjamin Appl im Beitrag #30 ff. des Treads "Neue Stimmen" vorgestellt worden.
    Im Beitrag #240 ff. ist auf die neue CD hingewiesen worden.


    Beste Grüße
    Caruso41

    ;) - ;) - ;)


    Wer Rechtschreibfehler findet, darf sie behalten!

  • Die Alte Aula bietet ein einzigartiges Ambiente für ein solches Konzert:


    Hallo WoKa
    Nicht nur danke für Deinen interessanten Bericht, den ich gern gelesen habe, ich lese solche Berichte immer gern,
    danke auch für das Foto. Was ist das für ein prächtiger Saal... Unglaublich schön und beeindruckend!


    CHRISSY

    Jegliches hat seine Zeit...

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  • Das ist nicht richtig, im Februar hat er in Berlin Schuberts "Winterreise" gesungen. (Ein guter Freund von mir war dabei, während ich leider termnlich verhindert war.)


    Schön für den guten Freund!
    Von der Location, in der dieser Berliner Liederabend von Benjamin Appl stattgefunden haben soll, habe ich noch nie etwas gehört ?( Mir scheint das ehr eine halbprivate Veranstaltung gewesen zu sein. Vielleicht sollte ja ein bestimmter Flügel ausprobiert werden. Dieser Salon in der Uferstraße liegt in einer Gegend im Wedding, die ich gewöhnlich meide. Ich frage mich wirklich, wie dieser Sänger dorthin kommt? Das hätte er auch in London haben können. ;) Da ist die Alte Aula der Universität in Heidelberg schon eine ganz andere und angemessene Klasse. Eine Werbung oder Ankündigung habe ich jedenfalls nicht gesehen oder gelesen.

    Es grüßt Rüdiger als Rheingold1876


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  • Um einen altmodischen Begriff zu verwenden: Ein hervorragender Bariton in einem solchen Ambiente mit einem tollen Programm ließen mich "beseelt" nach Hause gehen.


    Benjamin Appl kann sich hier ja wie zuhause fühlen.
    Einige Jahre lang hielt Thomas Hampson in dieser Aula seine Meisterkurse ab, auch Brigitte Fassbaender und Thomas Quasthoff waren als Lehrer hier.
    Beim Meisterkurs im April 2012 konnte man an diesem Ort eine Woche lang acht Gesangsstipendiaten von ganz hoher Qualität erleben, bekam mit, wie Wort für Wort erarbeitet wurde. Als der Meisterkurs zu Ende war, gab es ein Abschlusskonzert aller Stipendiaten.
    Zwei der Stipendiaten sind mir damals schon aufgefallen, es waren Diana Haller, die nun an der Staatsoper Stuttgart singt und der Bariton Benjamin Appl.
    In den letzten Jahren finden diese Meisterkurse nun nicht mehr in der alten Aula der Universität, sondern im Ballsaal der Stadthalle statt.

  • Der Saal hat 200 Plätze und war proppenvoll!


    Und so sieht der Saal, in dem Appl die WINTERREISE sang, von innen aus:

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  • Ja, eine ehemalige S-Bahn-Halle, heute stehen ca. 100 Flügel drin!
    Du solltest dir da mal ein Konzert anhören, dann reden wir weiter! ;)


    Jedenfalls hat Herr Appl da im Februar die "Winterreise" gesungen! :yes:

    Beste Grüße vom "Stimmenliebhaber"

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