Mit der Zeitmaschine in die Vergangenheit

  • Meine dritte Zeitreise geht ins London des Jahres 1972, genauer gesagt in die Royal Festival Hall am 14. Juni 1972 und am besten auch noch zur Wiederholung am folgenden Tag in die Royal Albert Hall:


    Leopold Stokowski, 90, dirigierte dort sein triumphales "60th Anniversary Concert" mit demselben Programm wie 1912 bei seinem Debüt beim London Symphony Orchestra. Kurz zuvor war er nach Jahrzehnten in den USA in sein Geburtsland Großbritannien zurückgekehrt und verlebte dort seine letzten fünf Jahre.


    Das Programm:


    Wagner: Die Meistersinger von Nürnberg - Vorspiel zum I. Aufzug
    Debussy: Prélude à l'après-midi d'un faune
    Glasunow: Violinkonzert (Solistin: Silvia Marcovici)
    Brahms: Symphonie Nr. 1
    Tschaikowski: Marche slave (Zugabe)


    Decca hat es aufgenommen und später als "Phase 4 Stereo" veröffentlicht. Die Original-LP (Decca OPFS 3-4 bzw. London SPC 21090/1) sah so aus:



    Auf CD muss man sich die einzelnen Bestandteile recht kompliziert zusammensuchen. Besonders der Brahms (auch bei Cala neu remastered erschienen) ist dermaßen außergewöhnlich, dass sich die Anschaffung auf jeden Fall lohnt.


    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Bekanntlich bin ich ein großer Verehrer von Leonard Bernstein. Leider hatte ich nur einziges Mal Gelegenheit, Bernstein live zu erleben, bei einem schon sehr späten Auftritt im Rahmen eines Dirigierkurses beim Schleswig Holstein-Musikfestival, wo er allerdings nur kurz einige Male selbst zum Taktstock griff. Daher werde ich nun meine vierte Zeitreise verwenden, um eines seiner Konzerte mitzuerleben. Dafür kommt nur Gustav Mahler in Frage, der Komponist, dem sich Bernstein so nahe fühlte wie keinem anderen. Die Auswahl ist groß, ich habe mich für seine einzige Zusammenarbeit mit den Berliner Philharmonikern entschieden. Am 4. Oktober 1979 dirigierte Bernstein dieses Orchester im Rahmen der Berliner Festwochen in der Philharmonie bei einer Aufführung von Mahlers 9. Symphonie. Das Konzert wurde mitgeschnitten, und natürlich ist die - klanglich leider nicht berauschende - Aufnahme im neuesten Esoteric-Remastering in meinem Besitz. Aber gerade bei Bernstein ersetzt nichts das Live-Erlebnis. Und auch die Wiederholung des Konzerts am Folgetag würde ich mir dann noch anhören, bevor ich wieder in die Zeitmaschine steige, idealerweise mit einem Autogramm von Lenny als Trophäe.



    Der Traum ist aus, allein die Nacht noch nicht.

  • Hallo!


    Da ich im Vorgriff auf Bertaridos Großzügigkeit schon einen vierten Wunsch geäußert habe, bleibt mir jetzt noch der fünfte:


    25. April 1926
    Mailand, Scala


    Ich möchte den Momet erleben, als Arturo Toscanini bei der Uraufführung von Puccinis Turandot nach dem Tode der Liù den Taktstock niederlegte und sagte: "Hier endet das Werk des Meisters. Danach starb er." Nach Schweigen im Saal rief eine Stimme:"Viva Puccini!" und ohrenbetäubender Jubel brach los.



    Gruß WoKa

    "Die Musik drückt das aus, was nicht gesagt werden kann und worüber Schweigen unmöglich ist."


    Victor Hugo

  • Reise Nr. 5 führt mich in das Teatro San Cassiano in Venedig, es ist der 5.1. 1649. Die berühmteste und meistgespielte Oper des 17. Jahrhunderts wird uraufgeführt, "Il Giasone" von Cavalli. Das einzige Privileg, das ich haben will: ich möchte in der 1. Reihe sitzen.

    Schönheit lässt sich gerne lieben...

    (Andreas Hammerschmidt,1611-1675)

  • Genau, Veränderungen der Geschichte sind strikt verboten! Wir wollen keine Zeitparadoxien auslösen und schon gar keinen Ärger mit dem Department of Temporal Investigations bekommen (letzteres verstehen nur Trekkis ).


    Eben :thumbup:


    Ich wünschte mir so eine Art von unsichtbarem Beobachterstatus, damit ich die Zeitlinie nicht kontaminiere.


    Meine drei Wünsche?


    Bach improvisiert an der Orgel
    Bach führt die Matthäus-Passion auf
    Bach führt eine meiner Lieblingskantaten auf.


    Mit "Bach" meine ich natürlich den Johann Sebastian.... ( naja, wird wohl klar sein ^^ )


    Unter der Voraussetzung, dass ich drei Momente des Gesprächs hätte ( das kann nur "Q" hinbekommen, die Zeitlinie wird nicht kontaminiert, die historischen Persönlichkeiten werden aus ihrer Zeitlinie geholt und vergessen anschließend alles. Wer Star Trek Voyager kennt, der weiß, was ich meine) :


    Bach aus seiner Zeitlinie holen
    - und ihm verschiedene heutige Kantaten-Einspielungen etc. vorspielen, seine Meinung hören
    - und ihm Bach-Klavier-Aufnahmen mit Flügel vorspielen, Flügel selbst anspielen lassen, seine Meinung hören
    - und ihm spätere Musik vorspielen, Mozart, Beethoven, Schubert, Brahms, Wagner....und Jazz....und seine Meinung hören


    Gruß
    Glockenton

    "Jede Note muss wissen woher sie kommt und wohin sie geht" ( Nikolaus Harnoncourt)

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  • Ich bin erst bei Nummer 2.
    Nachdem ich bei Nummer 1 einen Minnesänger belauscht habe (den ich noch nicht ausgesucht habe ...) gehe ich bei meiner 2. Reise ein bisschen weiter in die Vergangenheit nämlich in die Antike. Nachdem die Herren Griechen und Römer so großartige Skulpturen produziert haben, wird ihre Musik ja auch nicht ohne gewesen sein. Vielleicht ein Triumphzug eines siegreichen Caesaren? Oder ein religiöses Fest? Nero muss es aber nicht sein.

  • Nachdem nun 5 Reisen gestattet sind, schiebe ich die neumodische mehrstimmige Musik noch ein wenig vor mir her und besuche als 3. einen Kaiser von China aus der T'ang-Dynastie (9. Jh.) um das Pipa-Stück "Angriff von allen Seiten" zu hören, als es noch frisch war.


    Wahrscheinlich werde ich dann als Kuriosität einkassiert und das war's dann.

  • Dieser schöne und interessante Thread ist ja etwas zum Erliegen gekommen. Und vielleicht kann ich ihn mit einem Beitrag und meinem Wunsch "Reise in die jüngste Vergangenheit"
    wieder zum Leben erwecken. Zumal in einem anderen Thread zur Oper Tosca etwas kontrovers diskutiert wird, kann ich vielleicht die Wogen ein wenig glätten.
    Auch hier geht es um "Tosca"...
    Schon im Vorfeld wurde damals ein medialer Rummel in Funk und Presse mit Berichten und Interviews gemacht, wie ich es wohl vorher noch nie so erlebt habe.


    Es war Sonnabend, der 6. März 1976 – ein Datum, welches ich nicht nachschlagen muß.
    Dieses Datum wird mir für immer und ewig glücklich und dankbar im Gedächtnis bleiben.
    Für die Premiere der Tosca am 3. März bekamen wir keine Karten. Aber für die erste Vorstellung danach. Und diese war so unbeschreiblich unglaublich gut,
    daß ich nur in Superlativen davon sprechen kann. Dieser Abend, diese Aufführung war eine absolut glückliche Sternstunde, die nicht zu überbieten war.
    Und die an diesem Abend, ich bin mir ganz sicher, egal wo, ob Met, Wien oder Scala, gefeiert worden wäre – besser geht nicht. Das war ein Nonplusultra!
    Unter dem hervorragenden Dirigat von Prof. Otmar Suitner gaben alle ihr Bestes - alle, Orchester, Chor, Solisten gaben mehr als 100 %, jeder war in Höchstform.
    Allen voran die drei Hauptsolisten „Anna Tomowa – Sintow, Ruggiero Orofino und Theo Adam“.
    Das Haus war selbstverständlich ausverkauft und das Publikum spendete begeistert Szenenapplaus und am Schluß wollte der tosende Beifall mit Trampeln, Jubeln und Klatschen
    mit vielen Vorhängen kein Ende nehmen. Wir waren von dem vielen intensiven und langen Beifall klatschen richtig erschöpft.
    Auch die Presse überschlug sich damals in Lobeshymnen. Eine Schlagzeile weiß ich noch ganz genau:
    TOSCA in der Staatsoper - „Ruggiero Orofino als Cavaradossi genügt das pure Gold in der Kehle“.
    Und das hatte er tatsächlich. Was war das für ein großartiger hervorragender Tenor.
    Ich bin froh und glücklich, daß ich diesen Abend damals erleben durfte. Er wird mir als ein absoluter Höhepunkt unendlich dankbar in ewiger Erinnerung bleiben.
    Vielleicht war dieser Theaterabend unter meinen vielen, der Allerschönste. Ich habe die Tosca bestimmt noch mind. 10 mal in meiner geliebten Staatsoper gesehen.
    Nicht unerwähnt lassen möchte ich auch die hervorragende Inszenierung von Prof. Carl Riha, wo Bühnenbild und Kostüme perfekt waren.
    Damals gab es noch keine Verunstaltungen oder sinn – und geistlose, entstellende Neudeutungen irgendwelcher Skandal – und Klamauk – Regisseure.
    Da wurde noch zur Freude und zum Genuß des Publikums werkgetreu inszeniert!
    Was gäbe ich darum, diesen Abend so noch einmal zu erleben, oder wenn es wenigstens einen DVD - LIve - Mitschnitt gäbe...


    CHRISSY

    Jegliches hat seine Zeit...

  • Auf seiner Reise zum preußischen Hof kam Mozart am 20. April 1789 aus Dresden kommend Leipzig an. Am nächsten Tag hat er dem damaligen Thomaskantor Johann Friedrich Doles (1715-1795) seine Aufwartung gemacht und hörte eine Bach-Motette, die ihn so beeindruckte, dass er die Partitur einsah und sich eine Kopie davon erbat (welche Motette das war, ist mir momentan nicht erinnerlich). Am 22. April improvisierte er selbst über eine Stunde lang auf der neuen Orgel der Thomaskirche, assistiert vom Thomaskantor und vom Thomasorganisten. Einen Tag später verließ er Leipzig in Richtung Potsdam. Und genau bei dem
    Improvisationskonzert wäre ich wirklich gerne dabei gewesen...


    :hello:

    .


    MUSIKWANDERER

  • Wieder besteht die Qual der Wahl für meine fünfte und letzte (?) Reise. Ich habe mich entschieden, ins Venedig zu Beginn des 18. Jahrhunderts zu reisen, als Antonio Vivaldi dort das Mädchenorchester des Waisenhauses Ospedale della Pietà betreute, zunächst als Maestro di violino, später auch als musikalischer Leiter. Vivaldi hat einen großen Teil seiner Instrumentalwerke für die wöchentlichen Aufführungen dieses Orchesters komponiert. Seinen Zeitgenossen galt er nicht nur als berühmter Komponist, sondern auch als Violinvirtuose, den viele Besucher aus aller Herren Länder spielen hören wollten. Da würde ich mich gerne einreihen. Damit böte sich auch die Möglichkeit zu überprüfen, wie nah unsere historisch informierte Aufführungspraxis wirklich am Original ist.


    Der Traum ist aus, allein die Nacht noch nicht.

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  • Da es seit der letzten Aktivität in diesem Thread eine ganze Reihe neuer Mitglieder gegeben hat, hole ich das Thema mal wieder hoch - vielleicht hat ja noch jemand Lust, hier mitzumachen.


    Die Regeln finden sich im 1. Beitrag.

    Der Traum ist aus, allein die Nacht noch nicht.

  • In Erweiterung meines Beitrages Nr. 22 würde ich meinen 4. Wunsch einstellen.


    Ich möchte noch einmal in der Zeit von 1957 bis 1990 leben, alle 33 Jahre noch einmal bewußt erleben und jeden Tag genießen. Neben einer politisch noch intakten Welt (zumindestens in meiner Heimat) und der noch vorhandenen Jugend und Tatkraft könnte ich jeden Tag ins Theater gehen und bräuchte mich nicht zu ärgern. Ich könnte Helge Rosvaenge noch einmal persönlich in Gera erleben (Troubadour, Rigoletto, Bajazzo und Maskenball), Karl-Schmitt-Walter und Walter Ludwig live im Konzertsaal mit zwei unvergeßlichen Opernkonzerten genießen. Und ich könnte entscheiden, ob meine Berufswahl immer noch mit einem Chemiestudium verbunden würde.


    Und ich könnte mich noch einmal für die Frau entscheiden, mit der ich jetzt fast 50 Jahre verheiratet bin.


    Herzlichst La Roche

    Ich streite für die Schönheit und den edlen Anstand des Theaters. Mit dieser Parole im Herzen leb' ich mein Leben für das Theater, und ich werde weiterleben in den Annalen seiner Geschichte!

    Zitat des Theaterdirektors La Roche aus Capriccio von Richard Strauss.

  • 1.
    Unter der Annahme, dass Bach seine KdF-Mucke vollendete:
    http://www.youtube.com/watch?v=qn9Mf9dBlfU
    Zurückbeamen, um schnellstens die Noten des kompletten Contrapunctus 14 ('Nummerierung nach Bärenreiter-Ausgabe) in die Gegenwart zu retten und diese dann dem ½ Quartetto Italiano rechtzeitig nach Bergamo rüberwachsen lassen.
    2.
    Mäuschen während Schönberg John Cage unterrichtet.
    3.
    entweder
    Uraufführung von Rogers Sessions (1896-1985) „Montezuma“ in der DOB am 19 April 1964. bzw. NYC- Premiere 1982.
    http://www.youtube.com/watch?v=gYpFEU28aQA


    oder
    UA von Giselher Klebes (1925 - 2009) Oper „Jakobowski und der Oberst“ am 02.11.1965 in HSV-Town.

  • 1.
    Unter der Annahme, dass Bach seine KdF-Mucke vollendete:
    http://www.youtube.com/watch?v=qn9Mf9dBlfU
    Zurückbeamen, um schnellstens die Noten des kompletten Contrapunctus 14 ('Nummerierung nach Bärenreiter-Ausgabe) in die Gegenwart zu retten und diese dann dem ½ Quartetto Italiano rechtzeitig nach Bergamo rüberwachsen lassen.


    Das wäre in der Tat sehr interessant. Das andere, das mich interessieren würde, wäre, wie Johannes Roehl oben schon geschrieben hat, die historische Aufführungspraxis.

  • mit Nummerierung verhaspelt... in der Erstausgabe ist es Contrapunctus 14 in Bärenreiter Nr. 18..
    HIP gibt es davon viel.. irgendwo mal gelesen, dass KdF vermutlich usprünglich für Cembalo vorgesehen war ...

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  • Die Nummerierung des unvollendeten Contrapunctus habe ich noch nie verstanden. Ich habe schon 14, 18 und 19 gelesen.


  • In dieser Box findest du das gesamte Programm dieses Konzerts - auch den Brahms. Der Boxen-Wahn macht's möglich!



    Grüße
    Garaguly