Paul Hindemith - Die Streichquartette

  • Es gibt zwar schon einen Kammermusik-Thread zu Paul Hindemith (1895-1963), aber da es sehr viel Kammermusik von ihm gibt und insgesamt 7 Streichquartette ist ein eigener Thread für letztere durchaus sinnvoll. Ich kenne die Streichquartette bisher nur von sporadischen Hörsitzungen einzelner Werke, beabsichtige aber in den nächsten Wochen alle nacheinander bewusster und intensiver zu hören.


    Es geht um folgende Werke:


    1. Streichquartett op. 2 (1915)
    2. Streichquartett op. 10 (1918)
    3. Streichquartett op. 16 (1920)
    4. Streichquartett op. 22 (1921)
    5. Streichquartett op. 32 (1923)
    6. Streichquartett (1943)
    7. Streichquartett (1945)


    Schon aufgrund der zeitlichen Verteilung lassen sich drei Phasen unterteilen. Jugendwerk (1), frühe Meisterwerke (2-5), Werke im amerikanischen Exil (6+7). Das erste Quartett wollte Hindemith ursprünglich nicht in die offizielle Liste aufgenommen wissen, dies wurde aber bei Ausgaben nach seinem Tod nicht befolgt. Dadurch gibt es bei der Nummerierung auf frühen Tonträgern ein gewisses Durcheinander wie wir es auch von Schuberts Symphonien her kennen. Von der Aufführungsdauer her betrachtet findet eine klare Verdichtung statt, das 1. ist mit 35 min auch das längste, das 7. mit 16 min das kürzeste.


    Wenn wir uns die Lage am Tonträgermarkt anschauen fällt vor allem eines sofort auf. Lediglich eines der großen Streichquartette hat bisher eine Gesamtaufnahme vorgelegt, nämlich das Juilliard String Quartet. Und selbst hier scheint es der angestammten Plattenfirma (CBS/Sony) zu riskant gewesen zu sein, dass zu finanzieren, die Aufnahmen auf 3 CD sind beim deutschen Avantgarde-Label Wergo erschienen. Diese Aufnahmen kenne ich leider nicht, was u.a. daran liegt, dass selbst 20 Jahre nach Erscheinen immer noch der ursprüngliche hohe Preis verlangt wird. Ich vermute, die aktuellen Verkaufszahlen pro Jahr bewegen sich im ein-oder zweistelligen Bereich. Hier wäre es sicher geboten, eine 3-CD-Box zum Preis von € 20-30 auf den Markt zu bringen, um diese Aufnahmen bekannter zu machen. Daneben gibt es seit vielen Jahren eine Gesamtaufnahme von cpo mit dem Danish String Quartet (nachdem ein erster Anlauf mit dem Sonate Quartett aus unbekannten Gründen nach einer CD abgebrochen wurde) und es entsteht derzeit bei Naxos eine mit dem Amar String Quartett, das sich nach dem gleichnamigen Quartett von Hindemith benannt hat. Vom Original-Quartett mit Hindemith an der Bratsche scheint es keine Aufnahmen zu geben, was natürlich schade ist.


  • Das 3. Streichquartett op. 16 von 1920 war sein Durchbruch und bleibt ein Höhepunkt. Ist zwar noch nicht unverkennbarer Hindemith-Stil, aber vielleicht kann man es als erstes "Spitzenwerk" des Komponisten nennen. Vorher geht es doch noch ein wenig eklektisch zu, so beeindruckend es auch ist, zu beobachten, was er alles beherrscht hat.


    Mich erinnert das op. 16 noch sehr an Schönberg und seinen Kreis, natürlich die tonale Phase, die Zuschreibungen eines "sachlichen" Tonfalls kann ich nicht ganz nachvollziehen.


    Die cpo-Aufnahme befriedigt mich (ohne Notenkenntnisse).

  • Das Streichquartett C-dur op. 2 komponierte Hindemith 1915 als zwanzigjähriger noch während seiner kompositorischen Ausbildung bei Arnold Mendelssohn und Bernhard Sekles in Frankfurt am Hoch'schen Konservatorium. Es handelt sich also noch um ein Schülerwerk, allerdings ein beachtliches. Das viersätzige Werk fußt noch ganz in der Spätromantik und ist somit vergleichbar dem frühen Streichquartett D-dur (1897) von Arnold Schönberg. Der erste Satz "Sehr lebhaft" könnte von Dvorak sein, speziell sein op. 96 lässt grüßen. Das "Adagio" kommt in der für Streichquartette ungewöhnlichen Form eines Trauermarsches daher. 1915 fiel der Vater Rudolf Hindemith an der französischen Front. Beide Sätze fast orchestral anmutend. Das "Scherzo. Sehr lebhaft" mit seiner flirrenden Oberfläche lässt dann zum ersten Mal den zukünftigen modernen Hindemith erahnen. Im Finalsatz "Ziemlich lebhaft" wird ein Gedanke des 2. Satzes wieder aufgegriffen und dadurch das ganze Werk abgerundet, auch hier schon typische Hindemith-Passagen, vor allem der musikantische Zug. Sicher insgesamt noch ein frühes Werk, aber durchaus gelungen und eines gelegentlichen Hörens wert. Die Partitur war Jahrzehnte verschollen und wurde erst 1994 veröffentlicht.


    An der mir vorliegenden Aufnahme durch das junge Sonare-Quartett (die ja auch die bisher einzige Krenek-Totale verantworten) habe ich nichts auszusetzen. Die CD enthält auch das SQ 5. Bei dem einen Werbepartner ist diese CD seit langem vergriffen, beim anderen gebraucht derzeit für € 1,16 zu haben. Warum die als Vol. 1 titulierte CD nie einen Nachfolger gefunden hat, bleibt offen.

  • Mein Favorit fürs Gesamtpaket ist immer noch das Kocian-Quartett, obwohl technisch nicht auf dem Juilliard-Level. Die Dänen sind ok, aber nicht mehr, Juililard mußte sich offenbar in den Zyklus finden, ihre erste Aufnahme ist die relativ schwächste in einem insgesamt natürlich soliden Zyklus. Die mir unbekannte Sonare-Einspielung hat wohl keine so positiven Rezeption gefunden, vielleicht gab es also doch künstlerische Gründe für den Ausstieg. Das "wiederbelebte" Amar-Quartett kenne ich ebenfalls noch nicht, könnte die maue Quartettsituation aber bereichern (hat echt gedauert, Herr Heymann!). Die theoretisch optimale Lösung ist natürlich die Eigenzusammenstellung, dabei sollten dann auch Hollywood, Borodin und Zehetmair vertreten sein.
    Notiz: So hoffnungslos überfüllt ist der Hindemith-Kammermusik-thread jetzt auch nicht!

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  • Mein Favorit fürs Gesamtpaket ist immer noch das Kocian-Quartett, obwohl technisch nicht auf dem Juilliard-Level.

    Danke für den Hinweis, vom Kocian-Zyklus wusste ich nichts, da fehlt allerdings offensichtlich auch das erste Quartett (was manche sicher auch für verzichtbar halten, ich aber nicht :) ). Leider auch hochpreisig. :(


    Notiz: So hoffnungslos überfüllt ist der Hindemith-Kammermusik-thread jetzt auch nicht!

    Wohl war, aber was nicht ist, kann ja noch werden ;) . Für die unzähligen Sonaten muss sich aber jemand anderes erwärmen.

  • 8| Warum steht da "(6)" ?
    In meiner Praga-Ausgabe - mit anderem Cover - sind sieben Quartette enthalten, op. 2 wird als Nummer 0 gelistet.

  • Es handelt sich auch nur um eine Doppel-CD, vielleicht hat man das erste einfach weggelassen.
    Die alte Praga 3 CD-Box gibt es nur zum Fantasiepreis.

  • Die Einschätzung bzw Beliebtheit von Hindemiths Kammermusik ist ja sehr unterschiedlich: Brachte es dieser Thread bisher auf lediglich 132 clicks (da sind die Mitleser mitgezählt) so widmet der Harenberg Kammermusikführer (der zahlreiche wichtige Komponisten des 18. Jahrhunderts unterschlägt) dem Komponisten 25 !!! Seiten.....

    Ich habe in den letzten Tagen das Streichquartett Nr 5 in der hier abgebildeten Einspielung gehört, und muß sagen, daß es auf mich wesentlich spröder, dissonanter und unzugänglicher wirkt als beispielsweise die Nr 2. Allerdings kann man das nicht verallgemeinern - es gibt durchaus Stellen, die auch den konservativen Musikgeschmack ansprechen - ein "Ohrwurm ist indes nicht zu orten - und wurde auch nicht erwartet.
    Das Quartett war der Sopranistin Beatrice Sutter-Kottlar (1883-1935) gewidmet.-für die gute Zusammenarbeit bei der Uraufführung von Hindemiths Liederzyklus "Marienleben". Die Uraufführung des Quartett fand am 5- November 1923 statt. Es spielte das "Amar Quartett" - welches allerdings mit dem gleichnamigen Ensemble auf der Naxos CD nicht identisch ist.
    Das originale Amar-Quartett bestand von 1921-1929 und stammte aus Stuttgart. Benannt war es nach seinem ersten Geifer Licco Amar) Das derzeitige Amar Quartett stammt aus Zürich. Es darf diesen Namen seit 1995 tragen.
    2012 erhielt das AMAR QUARTETT für die beiden ersten CDs der Gesamteinspielung aller Hindemith Streichquartette beim Label Naxos je einen Diapason d'or.
    Die Gesamteinspielung ist indes bis heute nicht komplettiert worden....


    mfg aus Wien
    Alfred


    clck 134

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Das originale Amar-Quartett bestand von 1921-1929 und stammte aus Stuttgart. Benannt war es nach seinem ersten Geifer Licco Amar)

    Der Geiger Licco Amar erinnert sich: «Ich [...] erhielt kurz vor den Ferien ein Telegramm aus Donaueschingen von einem mir völlig unbekannten Musikdirektor Heinrich Burkard. Dieser schlug mir vor, gemeinsam mit einem anderen Geiger [Walter Caspar] an dem bevorstehenden Musikfest in Donaueschingen, dem ersten dieser Art, teilzunehmen und ein Quartett eines mir gleichfalls völlig unbekannten Komponisten namens Paul Hindemith zu spielen. Ich nahm natürlich die Einladung mit Vergnügen an. Ohne irgend etwas Näheres zu wissen, begab ich mich zunächst einmal in den Schwarzwald in die Ferien und erhielt dort Partitur und Stimmen des [...] Streichquartetts op. 16. Ich will nicht behaupten, dass ich gleich im ersten Augenblick bei der Lektüre der Partitur diese neuartige Musik vollkommen verstanden hätte, aber ich erinnere mich sehr wohl daran, dass mir etwas Besonderes aus diesen Noten entgegenschlug: eine Kraft und Vitalität, die ich allerdings mehr instinktiv als bewusst erfasste.
    Groß war mein Erstaunen, als ich zu der festgesetzten Zeit nach Donaueschingen kam und dort von zwei schmächtigen, eigentlich kindlich aussehenden jungen Leuten am Bahnhof empfangen wurde. Der eine war Paul Hindemith, und der andere war sein Bruder Rudolf, der den Cellopart in diesem Quartett übernahm. Die beiden, die so schmächtig aussahen, bemächtigten sich meines Koffers – ich sehe noch heute dieses Bild – und schleppten ihn fort. [...] In acht Tagen haben wir dann dieses Quartett hübsch einstudiert, wobei sich die beiden Brüder Hindemith als ganz ungewöhnliche Quartettpartner erwiesen. Die Aufführung wurde – kurz gesagt – ein donnernder Erfolg.»




  • Ich halte auch das dritte Streichquartett (op. 16) für das beste der sieben - ich habe es mir auch bis jetzt am öftesten angehört. Der langsame Satz und der Finalsatz sind wirklich absolute Spitzenklasse. Der Kopfsatz begeistert mich ein Stück weniger, aber ich finde ihn immer noch gut. Bei den anderen Quartetten, vor allem dem 4. und 5., finde ich einige Sätze fantastisch (z.B. das Scherzo aus dem 4.), aber in ihrer Gesamtheit überzeugen sie mich nicht so recht. Das ist eigentlich überhaupt das Problem, das ich mit Hindemith habe. Es gibt relativ Werke, die ich als Ganzes mag (das 3. SQ, die 3. Klaviersonate und der Schwanendreher würden mir spontan einfallen). Was völlig außer Frage steht, ist die musikhistorische Bedeutung der Hindemithschen SQ. Sie haben ganz klar Janácek (man vergleiche sein 1. Q mit Hindemith 3.) und Schostakowitch (vor allem von
    Hindemiths 4. und 5.) beeinflusst.

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  • Ich habe soeben ebenfalls das 3. Streichquartett von Hindemith gehört und kam zu ähnlichen Ergebnissen wie Felix Meritis, lediglich daß meine Beurteilung etwas weniger begeistert ausfällt, denn ich fand den Kopfsatz als eher unangenehm und unruhig, den zweiten als melancholisch. Daß ich melancholische Musik meide wie der Teufel das Weihwasser ist sicher nicht Hindemiths schuld. Aber der Einsatz von Pizzicati und der stellenweise hypnotische Effekt - das hat schon was.
    Der Dritte Satz indes ist IMO zumindest hochinteressant und bemerkenswert, besonders die flirrenden Stellen gegen Ende des Quartetts. Anzumerken wäre noch, daß das 3. Streichquartett zur Gründung es "originalen" Amar-Quartetts führte, weil es auf Grund seiner Komplexität kein etabliertes Ensemble aufführen konnte oder wollte. Es wurde Anfang 1920 komponiert und zwar in umgekehrter Reihenfolge - Hindemith hat mit dem Schlußsatz begonnen. Das Werk ist seinem Bruder Rudolf Hindemith gewidmet, der es ebenso wie Paul Hindemith selbst, mit Licco Amar und Walter Caspar erstmals spielte. Das Quartett war in einschlägigen Kreisen ein großer Erfolg und gilt noch heute als eine seiner bedeutendsten Kompositionen für Kammermusik

    mit freundlichen Grüßen aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Inzwischen ist die dritte und letzte Folge der Streichquartette von Paul Hindemith mit dem Schweizer Amar Quartett erschienen und das Naxos-Laben kann sich wohl rühmen, die für die nächsten Jahre gültige Referenzeinspielung im Programm zu haben. Jedenfalls hat das Hören des vierten Streichquartetts das von vielen Seiten bestätigte exzeptionelle Niveau dieser Gesamtschau bestätigt. Wenn ich es richtig sehe, hat sich vorher wohl auch kein Streichquartett derart intensiv und über einen derart langen Zeitraum mit diesen Werken auseinandergesetzt. Die ja nach wie vor im Konzertsaal selten anzutreffen sind. Ich habe seit vielen Jahren ein Kammermusikabo, aber ich kann mich nicht erinnern, je einem der Hindemith Werke dort begegnet zu sein. Sie sind sicher auch nicht so eingängig wie die Werke von Janacek oder Bartok. Aber gut, dass sie in einer preisgünstigen Spitzenaufnahme jetzt alle vorliegen. Vielleicht wird das ja zu einer Aufwertung führen.


  • Inzwischen ist die dritte und letzte Folge der Streichquartette von Paul Hindemith mit dem Schweizer Amar Quartett erschienen und das Naxos-Laben kann sich wohl rühmen, die für die nächsten Jahre gültige Referenzeinspielung im Programm zu haben.

    Danke für den Hinweis. Ich habe bisher nur die Einspielung mit dem Juilliard-Quartett. Da werde ich wohl demnächst bestellen müssen.

  • Eigentlich wollte ich hier über das erste Streichquartett von Hindemith schreiben, aber in Beitrag 3 habe ich das vor fast zwei Jahren schon getan. Und ich hätte heute ziemlich genau das Gleiche geschrieben. Das gut 40-minütige Werk ist eines fürs Leute, die Hindemith eigentlich nicht mögen. Hier frönt er noch fast ungehemmt der Spätromantik wie sie von Brahms und Dvorak überliefert wurde. Und das Amar Quartett, das mit dieser CD ihren Gesamtschau beendet, spielt das alles ganz wunderbar. Bleibt nur noch, die jungen Musiker mal vorzustellen.



    Anna Brunner, Igor Keller, Hannes Bärtschi und Christopher Jepson bilden das in Zürich ansässige AMAR QUARTETT. Seit Paul Hindemiths 100. Geburtstag 1995 hat das Ensemble die Ehre, den Namen AMAR QUARTETT zu tragen. Hindemith gründete 1922 als Bratschist unter diesem Namen ein Quartett, benannt nach dessen erstem Geiger Licco Amar. Mit besonderer Leidenschaft widmet sich das AMAR QUARTETT seit seiner Gründung den Werken Paul Hindemiths.

  • Wer bisher noch keine Einspielung der sieben Quartette von Paul Hindemith besitzt - vielleicht mit dem Argument: zu teuer - hat jetzt keine Ausrede mehr. Naxos bietet die drei CDs mit dem schweizerischen Amar Quartett jetzt als Box zum Preis einer Midprice CD an.

  • Etwas teurer, aber immer noch moderat ist der Preis der nunmehr in eine Box zusammengefassten Streichquartette mit dem Juilliard-Quartett veröffentlich bei WERGO, In Beitrag Nr 1 wurde noch der hohe Preis (3 Einzel-Cds a 19.99) moniert. Dagegen sind die derzeit verlangten 27.99 Euro für die 3CD-BOX ein Schnäppchen....
    Die Edition soll ab 7. 4. 2017 lieferbar sein Die Aufnahmen in digitaler Technik stammen aus den Jahren 1995-1997

    mit freundlichen Grüßen aus Wien
    Alfred


    clck1277

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Wer bisher noch keine Einspielung der sieben Quartette von Paul Hindemith besitzt - vielleicht mit dem Argument: zu teuer - hat jetzt keine Ausrede mehr. Naxos bietet die drei CDs mit dem schweizerischen Amar Quartett jetzt als Box zum Preis einer Midprice CD an.

    Und wer zu wenig Platz im Regal hat, kann die drei CDs jetzt auch als Download kaufen, wahlweise als MP3 oder in CD-Qualität (und Volume 3 sogar in noch besserer Klangqualität als High Resolution) und mit Booklet als PDF: http://www.prestoclassical.co.…emith+string+quartet+amar

  • Vom Original-Quartett mit Hindemith an der Bratsche scheint es keine Aufnahmen zu geben, was natürlich schade ist.


    Vom vierten Quartett gibt es eine mit den Hindemith-Brüdern, aber die Tonqualität ist ziemlich übel.



    Was das dritte Quartett betrifft:

    Mich erinnert das op. 16 noch sehr an Schönberg und seinen Kreis, natürlich die tonale Phase, die Zuschreibungen eines "sachlichen" Tonfalls kann ich nicht ganz nachvollziehen.


    Ja und nein. Es ist ein stilistischer Zwitter, wie er bei Hindemith in dieser Phase oft vorkommt. Einerseits finden sich schon die "Kraftlinien", also die ganz bewußt geformten Themen und Melodien, die gar nicht vorgeben, "Inspiration" zu sein, sondern erlernbaren Prinzipien (stufenweiser Bau, Sequenz etc.) folgen, andererseits ist die Harmonik über weite Strecken noch spätromantisch geprägt und von Terzen dominiert. Vergessen wir aber nicht, daß diese frühe Phase einige der bemerkenswertesten frühexpressionistischen Werke hervorgebracht hat, etwa "Drei Gesänge" (1917), die Opern "Mörder, Hoffnung der Frauen" (1919), "Das Nusch-Nuschi" (1920) und "Sancta Susanna" (1921), wobei in letztgenannter Oper bereits die Musik ihre eigenen Wege geht und die Singstimme mehr einbettet, als daß sie ihrer Überhöhung dient, mit dem Ergebnis, daß das Werk klingt, als habe Schreker versucht, seine Klangekstasen aus absoluten Formen und kontrapunktischen Linien zu gewinnen.
    Dieser stilistische Balanceakt schlägt sich auch in den Quartetten 2-4 nieder, die ich persönlich am spannendsten finde. Übrigens gibt es verblüffende Parallelen zu Bartók 2-4, vor allem die Kontrapunkte von Linien, die, nach prägnantem Beginn, in engstufiger Chromatik fortgesetzt werden und eigentümliche Geflechte ergeben, in denen sich der Zuhörer, vom Komponisten wohl beabsichtigt, verlieren soll. Interessant ist auch, daß Hindemith in dieser Zeit dem Klang durchaus einen Reiz abzugewinnen weiß, seine Farben gar glühen und leuchten läßt, egal, ob in der Orchester- oder Kammermusik, während er später eine gewisse Mehligkeit offenbar sogar ganz bewußt anstrebte.
    Das fünfte Quartett ist dann der charakteristische 20er-Jahre-Hindemith mit absichtlicher (und nur vorgeblicher) Hemdsärmeligkeit und Spielmusikhaltung - warum nicht, es war halt einer der modischen Zeitstile, noch dazu einer, den Hindemith mit erfunden und wesentlich geprägt hat.
    Die Quartette 6 und 7 hingegen sind es, die mir wirklich Probleme bereiten: Ich verneige mich vor der kompositionstechnischen Meisterschaft, vor ihrer stilistischen Reinheit und der Klarheit der Gedankengänge. Dennoch lassen mich diese Werke seltsam unberührt, sogar kalt. Hindemiths in den USA geschriebenen Werke wie die "Pittsburgh Symphony", "Das lange Weihnachtsmahl" oder das Flieder-Requiem sind für mich arg ausgeblutet, und selbst die "Harmonie der Welt" ist über weite Strecken einfach lähmend. (Letzteres dürfte Hindemith selbst irgendwie gespürt haben - für eine Konzertaufführung unter seiner eigenen Leitung kürzte er die Oper radikal.)
    Auch die letzten beiden Streichquartette gehören für mich in diese Gruppe der handwerklich perfekten Arbeiten, die letzten Endes aber doch sehr deutlich "gemacht" sind. Wobei "gemacht" zu Hindemiths Ästhetik gehört - nur, daß eben Werke wie die "Symphonischen Tänze", "Nobilissima Visione", "Mathis der Maler", "Das Unaufhörliche" oder die "Metamorphosen" sich zu einer Größe erheben, in denen das Handwerk gleichsam geadelt wird, während sehr viele der US-Werke Hindemiths Handwerk ohne Adel bleiben - so für mich auch die letzten beiden Streichquartette.

    ...

  • Ursprünglich habe ich mich geärgert, daß Folge 2 solange auf sich warten ließ, den üblicherweise höre ich vorzugsweise Werke des 20- Jahrhunderts in der Reihenfolge ihres Entstehens (und höre dann nach den Kugendwerken auf), weil da der Komponist noch ein wenig Rückbindung mit der Vergangenheit hatte und er noch nicht so avantgardistische Tendenzen aufwies. So auch hier.Die CD lag hier orignalverpackt schätzungsweise knappe 2 Jahre auf dem immer größer werdenen Stapel ungehörter Aufnahmen - und ich konnte mich nicht wirklich entschliessen sie zu hören. Jetzt ist es endlich soweit. Mein erster Eindruck war: Klingt wie unbekannter Dvorak. Kann man das schreiben oder macht man sich lächerlich - mal nachsehen - aha - das hat schon jemand anderer festgestellt und schriftlich hier im Thread festgehalten. Lächerlich mache ich mich somit nicht, wenn ich das schreibe - aber der Bonus, der erste gewesen zu sein, der das bemerkt hat, ist auch flöten gegangen. Na ja
    Der zweite Satz ist ein wenig schräger, weist moderate Modernismen auf, die ich persönlich aber als interessant empfunden habe und die zusätzlich noch mit Passagen von geradezu überirdischer Schönheit abwechseln.
    Auf jeden Fall ist Hindemith Streichquartett Nr 1 op 2 aus den Jahren 1914/15 absolut hörenswert, speziell auch dann, wenn man der Musik des 20. Jahrhunderts kritisch bis ablehnend gegenübersteht. Eigentlich schade, daß sich die Komponisten immer "weiterentwickeln wollen oder müssen :untertauch:
    Ich bin eigentlich mit den Naxos-Aufnahmen der Hindemith-Streichquartette in jeder Hinsicht sehr zufrieden. Dennoch lockt mich auch die Alternativaufnahme von cpo mit "The Danish Quartet "in der 3CD Box zum Vergleich (Der Preis machts möglich) - Hätte mir das jemand vo 10 Jahren voprgeschlagen - ich hätte ihn ausgelacht....


    mfg aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Nachdem ich mich heute noch mal mit Mahler befasst und in seine Musik reingehört habe, um festzustellen, dass es immer noch rein überhaupt nichts für mich ist, ist es mir ein inneres Bedürfnis, wenigstens mal kurz zu erwähnen, dass Hindemiths Streichquaertette 6 und 7 genau das richtige für mich ist. Tatsächlich hat mich besonders das 6te so direkt angesprochen, dass ich hinterher eine Stunde lang erst einmal keine weitere Musik hören konnte, weil das Streichquartett einfach noch innerlich nachhalte.


    Ich habe es in der Aufnahme vom Amar Quartet und war eigentlich etwas enttäuscht, weil ich als erstes das 1te hörte, und nicht besonders begeistert war. Aber das 6 hat mich dann gleich beim ersten hören dermaßen begeistert, dass ich jetzt auch von der ganzen Gesamtaufnahme begeistert bin und sie eigentlich boch zu den best buy einsortieren müsste.



    Vielleicht gibt es ja noch mehr Leute hier, die Hindemith Kammermusik schätzen....

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  • Heute habe ich erneut das Streichquartett Nr 1 (Naxos) gehört, wobei "astewes" der Auslöser war, der innerhalb der letzten 2 Stunden einen Beitrag im Hindemith Kammermusik- Thread geschrieben hat. Erst später fand ich heraus, daß es ja ebenso bereirts einenHindemith- Streichquartett - Thread gibt, und ich hier schon geschrieben hatte - auch über das Streichquartett Nr 1.

    Immerhin habe ich zusätzlich einige Informationen anzubieten. Das Quartett entstand während der Studienzeit am Hochschen Konservatorium - das ist bereits geschrieben worden. Heut habe ich aber gelesen, daß der erste Satz VOR dem ersten Weltkrieg geschrieben wurde, der zweite aber erst nach dem Krieg. Das Datum der Uraufführung ist mir nicht bekannt, aber sie fand deshalb statt, weil der Kompositionslehrer von Hindemith sie ohne Rücksprache mit diesem auf das Programm einer Veranstaltung gesetzt hatte.

    Damit zwang er indirekt den Komponisten zur Fertigstellung des bislang noch unfertigen Werkes.


    Das gut 40-minütige Werk ist eines fürs Leute, die Hindemith eigentlich nicht mögen. Hier frönt er noch fast ungehemmt der Spätromantik wie sie von Brahms und Dvorak überliefert wurde

    Treffender kann man es nicht sagen


    und hier eine schriftliche Notiz von Hindemit im Werkeverzeichnis:

    Zitat

    "Den ersten Satz habe ich bald verachtet, weil er so altmodisch war, aber besonders stolz war ich auf die beiden letzten"

    Das erklärt, warum ich speziell die ersten beiden Sätze mag - sie gehören zu einer mir vertrauten Tonsprache.


    mfg aus Wien

    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



  • Wer einen Zugang auch zu den späteren Streichquartetten Hindemiths sucht, der modernerer Musik nicht so aufgeschlossen ist, dem empfehle ich dei Einspielung des Kocian Quartettes aus dem Jahre 1995. Die Aufnahmen sind bei Praga erschienen und gerade beim Werbepartner nicht zu haben ;)



    Das Kocian Quartett hat vielleicht nicht dieselbe Präzision wie die Juilliards, es hat aber einen musikantischen Zugang zu Hindemith, was ihm etwas von seiner Spröde nimmt.


    Als Download gibt es die Einspielungen noch! und im Web einiges. Hier als Kostprobe das sechste Quartett: