Tamino Opernkanon

  • Ich würde bei Rameau und evtl. auch bei Händel evtl. je eine rauswerfen, wenn man noch für andere Komponisten Platz haben will. (Da Händel sozusagen zu drei Musikländern gehört, während Rameau nur eine Tradition repräsentiert, schiene mir auch gerechtfertigt, wenn Rameau ein oder zwei Stücke weniger drin hat.)


    Bei Händel ist es zwar nicht so leicht 5-6 auszuwählen, aber in der Praxis dominiert m.E. ein gutes Dutzend recht deutlich, man hat sicher nicht 40 in etwa gleichermaßen bekannte und häufig gespielte Stücke. Von den unten genannten sind meinem Eindruck nach Cäsar und Alcina die bekanntesten Händel-Opern überhaupt und auch unbestritten von außerordentlich hoher Qualität und mit vergleichsweise bekannten "Ohrwürmern".
    Für Acis & Galatea würde ich plädieren, weil es ein anderes Genre repräsentiert und außerdem wie oben schon mal gesagt, im Ggs. zu den italienischen Opern nahezu durchweg seit Händels Zeit präsent war. (Sicher nicht als Repertoirestück, aber wenn Komponisten wie Mozart und Mendelssohn ein Stück etwa 70 oder mehr als 100 Jahre nach seiner Entstehung bearbeitet haben, dann spricht das erst einmal für das Stück - außer Messiah ist vergleichbares kaum einem Stück passiert.)


    Serse, Orlando und Rinaldo könnte man sicher auch durch z.B. Rodelinda, Ariodante, Tamerlano u.ä. ersetzen (das würde die Auswahl insgesamt zu etwas düstereren Opern verschieben). Für Rinaldo spricht, dass es das spektakuläre Londoner Debut Händels war, und auch die große Popularität mit mindestens drei Ohrwürmern (Cara sposa, Lascia ch'io pianga, Or la tromba). Orlando kenne ich zu schlecht, aber die Wahnsinnszene ist ähnlich wie der Selbstmord des Bajazet in Tamerlano eine der großen Szenen der Barockoper, die die Mär von den fantasielosen Ketten dacapo-Arien mindestens relativiert. Serse kenne ich noch weniger, aber das ist wohl eine der wenigen eher heiteren "Seria"-Opern und ebenfalls recht populär. Sicher fände man für die drei vorstehend genannten Alternativen und vermutlich auch noch eine Handvoll anderer auch gute Gründe. Ich sehe aber mit diesen Opern (wobei ich freilich auch lange nicht alle kenne) keine Fehldarstellung von Händels Opernschaffen, sondern eine sehr plausible Auswahl. Und wenn man die Liste auch als Einladung sieht, sind das alles Werke, die nicht nur problemlos auf DVD, CD zugänglich sind, sondern die man auch regelmäßig auf der Bühne sehen kann. (Soweit ich sehe, gilt das auch, vielleicht etwas eingeschränkt, für den Rameau-Vorschlag.)


    Händel - Rinaldo - 5
    Händel - Giulio Cesare in Egitto - 11
    Händel - Orlando - 3
    Händel - Alcina - 7
    Händel - Serse - 5
    Händel - Acis & Galathea - 3

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)

  • Ich möchte zu bedenken geben, dass die frühe Oper kaum als "barock" zu bezeichnen ist, ich denke, der Begriff "Renaissance" ist hier besser. Cavalieris "Rappresentazione" gehört unbedingt mit hinein, weil sie eine wichtige Vorstufe ist und weil man sie tatsächlich auch als Oper aufführen kann (vor Jahrzehnten in Düsseldorf sehr erfolgreich). Bei Monteverdi würde ich den "Ulisse" nicht rausnehmen, alle drei Monteverdis gehören in die erste Kategorie. Zu Cavalli: er ist ja hier relativ unbekannt, insofern kann ich eine Reduzierung verstehen. "Ercole amante" ist untypisch für Cavalli, den brauchen wir nicht. "Il Giasone" muss unbedingt hinein, weil dieses Werk die erfolgreichste Oper der 2. Hälfte des 17. Jahrhunderts war und fast 50 Jahre auf dem Spielplan stand. Bei "La Calisto" und "La Didone" würde ich subjektiv "La Calisto" nehmen; sie hat die schönere Musik und liegt auch als CD in einer perfekten Aufnahme vor, was man von "La Didone" nicht sagen kann.

    Schönheit lässt sich gerne lieben...

    (Andreas Hammerschmidt,1611-1675)

  • Bei Cesti würde ich den Vorschlag mit dem "Pasticcio" unterstützen.
    Haben wir einen Hasse drin?


    Beinahe hätte ich es vergessen: das ganze Thema schien mir am Anfang zu subjektiv und nicht ergiebig, aber dank der tollen Arbeit von Bertarido bin ich jetzt gerne dabei!
    :jubel:

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    (Andreas Hammerschmidt,1611-1675)

  • Haben wir einen Hasse drin?


    "Cleofide" müsste wohl ziemlich sicher inkludiert werden. Das dürfte die bekannteste Oper von Hasse sein, habe ich sogar selbst schon mal an der Semperoper erlebt.

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Frage mal eine Bibliothek Deines Vertrauens oder inskribiere Musikwissenschaft.


    Dass ich da über eine Uni-Bibliothek reinkomme, ist mir schon klar. :) Nur habe ich leider keine direkt nebenan, wo ich schnell mal hingehen könnte. Aber Du sitzt ja offenbar an der Quelle, was doch wunderbar ist.


    Ich möchte zu bedenken geben, dass die frühe Oper kaum als "barock" zu bezeichnen ist, ich denke, der Begriff "Renaissance" ist hier besser.


    Lieber dottore, das Thema hatten wir schon mehrfach. Wir sind hier unterschiedlicher Meinung, aber das spielt für die aktuelle Diskussion keine Rolle. Bitte betrachte "Barock" hier einfach als Kurztitel für die erste Abteilung ab Peri.



    Cavalieris "Rappresentazione" gehört unbedingt mit hinein, weil sie eine wichtige Vorstufe ist und weil man sie tatsächlich auch als Oper aufführen kann (vor Jahrzehnten in Düsseldorf sehr erfolgreich).


    Sorry, aber dann hättest Du das Stück nominieren müssen. Wenn wir jetzt noch nachträgliche Ergänzungen der Vorschlagslisten zulassen, kommen wir nie zum Ende.



    Bei Monteverdi würde ich den "Ulisse" nicht rausnehmen, alle drei Monteverdis gehören in die erste Kategorie.


    Kein Protest von meiner Seite.



    Zu Cavalli: er ist ja hier relativ unbekannt, insofern kann ich eine Reduzierung verstehen. "Ercole amante" ist untypisch für Cavalli, den brauchen wir nicht. "Il Giasone" muss unbedingt hinein, weil dieses Werk die erfolgreichste Oper der 2. Hälfte des 17. Jahrhunderts war und fast 50 Jahre auf dem Spielplan stand. Bei "La Calisto" und "La Didone" würde ich subjektiv "La Calisto" nehmen; sie hat die schönere Musik und liegt auch als CD in einer perfekten Aufnahme vor, was man von "La Didone" nicht sagen kann.


    OK.


    Bei Cesti würde ich den Vorschlag mit dem "Pasticcio" unterstützen.


    Warum nicht.



    Haben wir einen Hasse drin?


    Ja, in der Vorschlagsliste. Kommt aber erst später dran, ebenso wie Händel. Siehe hier.

    Der Traum ist aus, allein die Nacht noch nicht.

  • In Ordnung, ich habe den Cavalieri vergessen, dann bleibt er draußen; wir können ja nicht immer wieder von vorn anfangen!

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  • Ich nehme Johannes' Vorschlag auf, bei Rameau und Händel zu Gunsten einer größeren Vielfalt an vorkommenden Komponisten zu reduzieren. Entsprechend Bertaridos Werbung für Charpentier würde ich also Rameau - Les Boréades (3 Nennungen) gegen Charpentier - Médée (2 Nennungen) austauschen. (Hauptwerk für die Bühne von Charpentier, ausgefeilte Charakterisierung der verschiedenen Schattierungen der Hauptperson, Verbindung italienischer und französischer Elemente, ungewöhnlicher Chromatizismus und Einsatz der Orchesterfarben, etc.)

  • Ich versuche mal ein Zwischenergebnis zu formulieren.


    Peri - Euridice - 3 (?)
    Mit Fragezeichen, würde ich davon abhängig machen, ob am Ende die 25 überschritten werden und noch gestrichen werden muss. Eine zwingende Notwendigkeit sehe ich dafür immer noch nicht.


    Monteverdi - L'Orfeo - 14
    Monteverdi - Ritorno d'Ulisse in Patria - 8
    Monteverdi - L'incoronazione di Poppea - 11



    Cavalli - Il Giasone - 4
    Cavalli - La Calisto - 5
    exemplarisch für Cavallis Dramme per Musica


    Dem Vorschlag von dr. pingel folgend, das sind auch die beiden mit den meisten Stimmen. Der Zusatz vermeidet den Anschein, dass wir diese Werke als die bedeutendsten Cavalli-Opern auszeichnen wollen, wozu uns schlicht die Kompetenz fehlt.


    Cesti - Il pomo d’oro – 3 (???)


    Problem: Es gibt keine Aufnahme dieses Werkes (jedenfalls habe ich keine gefunden), auch das angegebene Pasticcio von Jacobs ist nicht mehr lieferbar. Und laut operabase hat es zumindest seit 2014 auch keine Aufführung gegeben und es ist keine in Sicht. Wir würden also ein Werk in den Kanon aufnehmen und damit den Lesern sagen: „Das solltest Du kennen“, obwohl keine Chance besteht, es kennenzulernen. Finde ich nicht sinnvoll.


    Dann zu Lully. Es gab mit dem Lullisten einen Lully-Experten hier im Forum (den ich übrigens schmerzlich vermisse) und daher auch einen Thread zu Lullys Opern: http://www.tamino-klassikforum…?page=Thread&threadID=854


    Nach seiner Einschätzung ist „Armide“ wenn nicht die beste, dann zumindest eine der besten Opern, auch „Atys“ und „Persée“ werden sehr hoch bewertet. Da das auch mit unserer Rangfolge übereinstimmt (vielleicht ist die crowd intelligence doch gar nicht so dumm :rolleyes: ), können wir „Armide“ und „Atys“ auch nehmen. Oder, lieber kurzstueckmeister, steht im Grove Music Online etwas anderes?


    Wenn ihr noch „Le bourgeois gentilhomme“ haben wollt, dann würde ich gerne ein Argument dafür hören, dass das eine Oper ist. Meiner Meinung nach ist dieses „comédie-ballet“ (so die Originalbezeichnung) ein Schauspiel mit Musik-, Tanz- und Gesangseinlagen und damit bestenfalls eine Vorform der Oper. Dann könnten wir auch Mendelssohns "Sommernachtstraum" aufnehmen. :D


    Lully - Armide - 4
    Lully - Atys - 4

    exemplarisch für Lullys Tragédie lyrique


    Lully - Le bourgeois gentilhomme (???)


    Charpentier M.-A. - Médée – 2 (?)
    Danke für die Unterstützung, lieber kurzstueckmeister. Ich lasse das Stück mal drin, aber mit Fragezeichen, falls wir am Ende noch streichen müssen. Ich will ja auch meine Vorlieben hier nicht durchsetzen.


    Von Rameau würde ich unter Berücksichtigung der Grove-Bewertung und unserer Stimmen die vier schon genannten aufnehmen:


    Rameau - Hippolyte et Aricie - 5
    Rameau - Dardanus – 4 (?)

    exemplarisch für Rameaus Tragédie en musique


    Rameau - Les indes galantes - 6
    exemplarisch für Rameaus Opéra-ballets


    Rameau - Platée - 5
    exemplarisch für Rameaus Comédies lyriques


    Ich habe bei „Dardanus“ ein Fragezeichen gesetzt, falls wir am Ende noch streichen müssen. Es ist die mit den wenigsten Stimmen, und die Tragödien sind mit „Hippolyte et Aricie“ schon abgedeckt.


    Purcell: Über die Semi-operas haben wir noch nicht gesprochen. Wenn es denn unbedingt sein muss, dann „King Arthur“.


    Purcell - King Arthur - 3 (?)
    exemplarisch für Purcells Semi operas.


    Purcell - Dido and Aeneas - 10


    „The Beggar's Opera“ fliegt raus.


    Zu klären ist noch, was wir mit dem „goldenen Apfel“ machen. :)

    Der Traum ist aus, allein die Nacht noch nicht.

  • "King Arthur" könnte man ebenfalls davon abhängig machen, wie knapp es am Ende wird. Das Werk ist musikalisch großartig und vergleichsweise präsent (und hat mindesten zwei ziemlich bekannte Stücke, die Szene des Cold Genius und "Fairest Isle"); dass Aufführungen weitgehend auf die Musik gekürzt sind, finde ich eigentlich keinen Ausschlussgrund.


    Den "goldenen Apfel" würde ich im Zweifel weglassen, wenn dieses Stück de facto nicht einmal in Auszügen greifbar ist.

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  • dass Aufführungen weitgehend auf die Musik gekürzt sind, finde ich eigentlich keinen Ausschlussgrund.

    Das war jetzt in Berlin im Schiller-Theater unter René Jacobs nicht der Fall, da war es eher ein Schauspiel mit Musik-Einlagen.

    Beste Grüße vom "Stimmenliebhaber"

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  • Das Problem ist: wenn man bei "King Arthur" nur die Musik aufführt, dann hat man eine Aneinanderreihung von thematisch völlig unverbundenen Stücken, die keinen Sinn ergeben. Also muss jede szenische Aufführung entweder so viele Teile der gesprochenen Dialoge übernehmen wie nötig oder sich neue verbindende Texte oder sogar eine ganz neue Rahmenhandlung ausdenken. Herve Niquet hat das Werk in Bordeaux mal als eine Art von Farce aufgeführt, verbunden durch Slapstick-Einlagen, moderne Chansons etc., an denen er selber mitgewirkt hat. Das hatte nicht mehr viel mit dem eigentlichen Stück zu tun, war aber trotzdem spaßig. In letzter Zeit scheinen im Zuge der HIP-Bewegung auch wieder komplette oder fast komplette Aufführungen der Semi-Operas stattzufinden, wie dann wohl auch in Berlin. Aber wie Stimmenliebhaber zu Recht sagt: dann ist der Anteil gesprochener Dialoge so groß, dass es wie ein Schauspiel mit Musikeinlagen wirkt. So war auch mein Eindruck bei der "Fairy Queen" in Glyndebourne.


    Wie auch immer: wir würden "King Arthur" ja wegen der Musik aufnehmen, die wirklich "Purcell at his best" ist, und die ist in allen Varianten dabei. Also lassen wir es erstmal mit Fragezeichen drin.

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  • Vielleicht gehen wir mal zu den Opern, die Du bislang ausgeblendet hast?
    Rameau würde eigentlich zeitlich in die zweite Gruppe gehören, ich finde es komisch, ihn jetzt in Zusammenhang mit der Oper des 17. Jahrhunderts zu besprechen und Händel und dessen übrige Zeitgenossen noch außen vor zu lassen.


    Wir können ja anmerken, dass wir den wichtigen Purcell-Vorläufer John Blow mit dessen Venus and Adonis ebenso fortgelassen haben wie die Opern der deutschen/österreichischen Komponisten des 17. Jahrhunderts mit Stadens Seelewig, Bibers Arminio und Conradis Ariadne (da ich immer schreibe, wie wenige der Opern ich hier kenne, freue ich mich, anmerken zu können, dass ich z.B. diese 4 schon gehört habe). Wenn Peri und Cesti auch noch wackeln, dann liegt die Latte für das 18. Jahrhundert in meinen Augen schon sehr hoch. Die volle Dröhnung Lortzing, Flotow und Cornelius, die uns bevorsteht, macht mir da kein gutes Gefühl.


    Ich bin dafür, Peri und Cesti drinzulassen.

  • Meiner bescheidenden Meinung nach sollte "King Arthur" trotz der Einwände auf die Liste. In einem Opernkanon sollte doch zumindest auch eine Semi-Oper vertreten sein. Daraus dürfte zudem die vielleicht bekannteste Musik von Purcell überhaupt stammen. Den "Cold Song" kennen sogar Leute, die mit Klassik sonst kaum was am Hut haben.

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    – Luís de Camões

  • Mit den drei Monteverdis und den beiden Cavallis bin ich mehr als zufrieden. Könnte man bei Cesti nicht "Orontea" nehmen?
    Ich möchte noch anmerken, dass in puncto Sachkunde und Umgangston dieses Thema jetzt schon sehr erfolgreich ist.

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    (Andreas Hammerschmidt,1611-1675)

  • Könnte man bei Cesti nicht "Orontea" nehmen?


    Von mir aus gerne. Das hätte den Vorteil, dass von "Orontea" mehrere Aufnahmen existieren und das Stück auch aufgeführt wird (z.B. in Hamburg 2014, in Frankfurt 2015).


    Vielleicht gehen wir mal zu den Opern, die Du bislang ausgeblendet hast?
    Rameau würde eigentlich zeitlich in die zweite Gruppe gehören, ich finde es komisch, ihn jetzt in Zusammenhang mit der Oper des 17. Jahrhunderts zu besprechen und Händel und dessen übrige Zeitgenossen noch außen vor zu lassen.


    Kommt in Kürze. :) Ich sehe allerdings nicht, warum man Rameau im Kontext mit Händel besprechen muss.

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  • Barock, 2. Teil


    V. Die Anfänge der deutschen Oper


    Schütz‘ “Daphne“ ist leider verloren, daher macht eine Aufnahme in den Kanon wenig Sinn.


    Bleibt die Hamburger Bürgeroper am Gänsemarkt, die immerhin für 60 Jahre das wichtigste deutschsprachige Theater war und deren Existenz von teils heftigen Debatten um die Zulässigkeit der Kunstform Oper begleitet wurde (der sogenannte Hamburgische Theaterstreit). Ich bin dankbar, dass einige dort uraufgeführte Werke genannt wurden, denn ich kenne mich hier nicht aus. Die Werke, die der junge Händel für Hamburg verfasst hat (u.a. „Almira“), kann man vernachlässigen, weil er noch nicht auf der Höhe seiner Kunst angelangt war. Bleiben Reinhard Keiser, von dem der „Croesus“ genannt wurde, und Telemann als die wichtigsten Vertreter. Vielleicht kann jemand, der diese Werke vorgeschlagen hat, etwas zu deren Bedeutung sagen. Ich kenne sie nur in Auszügen, wenn überhaupt. Maximal eines könnte man aufnehmen.


    VI. Die frühe Opera seria


    Um 1700 bildete sich eine mehr oder weniger standardisierte italienische Oper heraus: Da capo-Arien mit immer stärker ausgeprägte Verzierungen, durchgehende orchestrale Begleitung, dreisätzige Sinfonia als Ouvertüre etc. Ebenso werden die komischen Elemente aus der „ernsten Oper“ in die Buffa-Oper verbannt, während beim späten Monteverdi und bei Cavalli immer beides zusammen auftrat.


    Zur frühen Opera seria gehören z.B. Giovanni und Antonio Bononcini, aber auch Alessandro Scarlatti, von desen 114 (!) Opern „nur“ 30 überliefert sind. Wie bedeutend er ist, darüber scheiden sich die Geister. Man liest oft, er sei Begründer der sogenannten neapolitanischen Opernschule gewesen, aber das scheint von der Forschung inzwischen widerlegt zu sein. Auch das vom Streichorchester begleiteten Accompagnato-Rezitativ, dessen Erfindung ihm zugeschrieben wurde, lässt sich schon früher nachweisen. Er hat sicher auf der Höhe der Zeit komponiert, war aber eher Traditionalist als Innovator. Muss er also im Kanon vertreten sein? Und wenn ja, mit welchem Werk? „Griselda“, seine letzte Oper, hat die meisten Stimmen, aber bestenfalls könnte man die exemplarisch angeben, u.a. weil es Aufnahmen davon gibt. Bei Aufführungen allerdings Fehlanzeige.


    Mindestens ebenso wichtig wie Scarlatti finde ich Vivaldi, der als Opernkomponist in den letzten Jahren wiederentdeckt wurde, wovon zahlreiche Einspielungen und auch Aufführungen zeugen (es gibt erheblich mehr Aufführungen als von Scarlatti). Als beste Oper Vivaldis gilt der „Orlando furioso“, Zitat Schreiber: „gehört zum Besten, was das italienische Musiktheater in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts hervorgebracht hat“. Ich plädiere also nachdrücklich dafür, diese Oper aufzunehmen.


    VII. Händel


    Im Prinzip finde ich die Auswahl, die sich herauskristallisiert hat, gut und repräsentativ für sein Opernschaffen, wobei sechs Händel-Opern vielleicht eine zu viel ist. Auch im Vergleich mit dem, was Post-Barock noch kommt.


    Als erste Meisterwerke Händels gelten die drei Opern „Giulio Cesare“, „Tamerlano“ und „Rodelinda“, die in nur einem Jahr zwischen 1724 und 1725 entstanden. Nicht am besten, aber am bekanntesten davon ist zweifellos „Giulio Cesare“, bei uns ja auch am häufigsten genannt. Daher spricht nichts dagegen, dieses Werk repräsentativ für diese Schaffensperiode auszuwählen. (Als Bertarido würde ich natürlich „Rodelinda“ bevorzugen. ;) )


    Als zweites mache ich mich für „Serse“ stark, eine seiner späten Opern (1738 uraufgeführt). Sie ist deswegen bemerkenswert, weil Händel hier die Regeln der Operia seria besonders verwegen unterläuft: er vermischt wieder Ernstes mit Komischem wie in der alten venezianischen Oper, er bezieht Elemente der französischen Oper ein (Ballette und Chöre), die Arien sind knapp und haben zur Hälfte kein Da capo, und sie werden zum Teil der Handlung und sind nicht mehr nur Mittel zur Darstellung von Affekten wie in der schulmäßigen Opera seria, wo die Handlung ausschließlich in den Rezitativen stattfindet. Der „Xerxes“ ist Händels abwechslungsreichste Oper und kann nur jedem ans Herz gelegt werden, der Barockoper langweilig findet. Außerdem erreicht Händel hier eine Höhe der musikalischen Personenzeichnung wie m.E. in keiner seiner anderen Opern. Und natürlich enthält die Oper eines der bekanntesten Stücke von Händel überhaupt, das berühmte „Largo“ (das eigentlich ein Larghetto ist). „Serse“ sollte also unbedingt in den Kanon.


    "Orlando" ist gut und ziemlich bekannt, also sicher nicht falsch.


    „Rinaldo“ und „Alcina“ gehören zu Händels sogenannten Zauberopern (neben den heroischen und den anti-heroischen). Der frühe „Rinaldo“ (das erste in London präsentierte Werk) ist vielleicht bekannter, die reifere „Alcina“ wahrscheinlich besser (und sie hat auch deutlich mehr Nennungen). Beide halte ich für nicht unbedingt erforderlich.


    Wenn man ein möglichst vielfältiges Bild von Händels Operschaffen gewinnen will, ist „Acis and Galatea“ sicher eine gute Wahl, auch wenn eher am Rande des Genres Oper stehend. Zitat aus der englischen Wikipedia: „Acis and Galatea was the pinnacle of pastoral opera in England. Indeed, several writers, such as musicologist Stanley Sadie, consider it the greatest pastoral opera ever composed.“


    Ich würde also hinter "Rinaldo" und "Alcina" ein Fragezeichen setzen, weil ich finde, dass eine davon gestrichen werden kann:


    Händel - Rinaldo – 5 (?)
    Händel - Giulio Cesare in Egitto - 11
    Händel - Orlando - 3
    Händel - Alcina – 7 (?)
    Händel - Serse - 5
    Händel - Acis & Galathea - 3


    To be continued… (es kommt noch einiges von Bedeutung)

    Der Traum ist aus, allein die Nacht noch nicht.

  • Ich kann zwar bei Händels Opernschaffen nicht wirklich groß mitreden (eher noch bei den Oratorien), aber zumindest zwei seiner Opern habe ich live bereits gehört, nämlich "Giulio Cesare" an der Semperoper und "Alessandro" konzertant am Theater an der Wien (u. a. mit Cencic). Ich müsste lügen, würde ich behaupten, dass mich der viel bekanntere "Cesare" mehr überzeugte. Galt der "Alessandro" nicht sogar als eine der großartigsten und zu Lebzeiten Händels erfolgreichsten seiner Opern? Der offenbar sehr hohe Schwierigkeitgrad für Sänger/innen scheint wohl dazu geführt haben, dass diese Oper relativ selten aufgeführt wird. Mich als eher barockopernkritischen Hörer überzeugte sie jedenfalls vollkommen. In einen Opernkanon wird sie aber vermutlich keine Aufnahme finden, da doch zu exquisit? Wie schätzt Du, lieber Bertarido, dieses Werk im Hinblick auf das gesamte Opernschaffen Händels ein?

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    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Ich kann zwar bei Händels Opernschaffen nicht wirklich groß mitreden (eher noch bei den Oratorien), aber zumindest zwei seiner Opern habe ich live bereits gehört, nämlich "Giulio Cesare" an der Semperoper und "Alessandro" konzertant am Theater an der Wien (u. a. mit Cencic). Ich müsste lügen, würde ich behaupten, dass mich der viel bekanntere "Cesare" mehr überzeugte. Galt der "Alessandro" nicht sogar als eine der großartigsten und zu Lebzeiten Händels erfolgreichsten seiner Opern? Der offenbar sehr hohe Schwierigkeitgrad für Sänger/innen scheint wohl dazu geführt haben, dass diese Oper relativ selten aufgeführt wird. Mich als eher barockopernkritischen Hörer überzeugte sie jedenfalls vollkommen. In einen Opernkanon wird sie aber vermutlich keine Aufnahme finden, da doch zu exquisit? Wie schätzt Du, lieber Bertarido, dieses Werk im Hinblick auf das gesamte Opernschaffen Händels ein?


    Lieber Joseph, ich habe "Alessandro" lange nicht mehr gehört und leider nie auf der Bühne gesehen. Es gibt wohl auch nicht allzu viele Aufführungen. Viele der Arien haben mir gefallen und sind mir als besonders virtuos in Erinnerung. Die Uraufführung war ziemlich spektakulär, weil die beiden berühmtesten Sängerinnen der Zeit dort zum ersten Mal gemeinsam aufgetreten sind: Francesca Cuzzoni und Faustina Bordoni. Der von allen erwartete "Zickenkrieg" blieb aber wohl aus. Die Oper war jedenfalls sehr erfolgreich. Das Stück gehört aber zu den weniger oft genannten, wenn in Opernführern über Händel gesprochen wird, und ich kann mich nicht erinnern, dass es zu den besonders herausragenden Werken gezählt wird (wirklich schlecht ist ja eigentlich nichts von Händel). Ich muss es mal wieder hören.


    Deiner Einschätzung des "Giulio Cesare" kann ich mich anschließen. Mir gefällt diese Oper von den drei meist in einem Atemzug genannten (mit "Tamerlano" und "Rodelinda") am wenigsten. Und auch in meiner TOP 5 der Händel-Opern wäre sie nicht vertreten. Es gibt sehr schöne Arien, aber auch einige Längen, wie ich finde. Trotzdem ist es vielleicht die bekannteste Oper von Händel überhaupt, was ja auch die Zahl der Nennungen hier bestätigt. Liegt vielleicht am Thema? Ich weiß es nicht.

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  • Barock, 2. Teil, Fortsetzung


    VIII. Die späte Opera seria


    Ein Thema, was aus dem Barock in die Klassik hinausreicht, Fortsetzungen dieser Tradition finden wir noch bei Salieri und Mozart. Hier sind zum einen die Komponisten interessant, die oft der „neapolitanischen Schule“ zugerechnet werden, obwohl es wohl keine Schule im engeren Sinne ist, sondern nur ein zeitweise räumlich benachbartes Wirken in Neapel: Vinci, Leo, Pergolesi, Hasse, Porpora… Aber auch Caldara und der in Berlin wirkende Graun wären hier zu nennen. Auch in der Buffo-Oper haben sich diese Komponisten ausgetobt. Zum Glück erfahren sie in den letzten Jahren verstärkte Aufmerksamkeit, es gibt viele Arien-Platten z.B. von Cecilia Bartoli und Simone Kermes oder von Countertenören und auch etliche Gesamtaufnahmen und Aufzeichnungen auf DVD. Zu Recht, wie ich finde, denn es sind wunderschöne Werke darunter, und mindestens zwei dieser Opere serie sollten exemplarisch in einem Kanon vertreten sein. Hasses „Cleofide“ hat die meisten Nennungen, ist sicher eine seiner besseren Opern und liegt auf CD vor, es spricht also nichts dagegen. Pergolesi wird schon mit einer Buffa-Oper vertreten sein, muss also hier nicht unbedingt vorkommen. Ich schlage daher als zweites Werk Vincis „Artaserse“ vor, eine der vielen Vertonungen von Metastasios Libretto, die als Vincis Meisterwerk gilt. Bei der Uraufführung in Rom wurden wegen des Verbots von Frauen auf der Bühne alle weiblichen Rollen von Kastraten gesungen. Es gibt eine wunderbare DVD-Aufzeichnung, in der diese Situation durch die Besetzung ausschließlich mit Countertenören nachgestellt wurde.


    IX. Die frühe Opera buffa


    Ursprünglich entstanden als komische Intermezzi (Scene buffe) in ernsten Opern vom gleichen Komponisten, hat sich die Buffo-Oper verselbstständigt und die Opera seria schließlich sogar verdrängt und um einige Zeit überlebt. Eine Reihe von nominierten Buffo-Opern habe ich dem allgemeinen Teil zugeschlagen, weil ihre Uraufführungen deutlich nach 1750 lagen und/oder die Komponisten stilistisch schon dem „galanten Stil“ oder der Klassik zugerechnet werden (Galuppi, Cimarosa, Piccinni). Wie so oft in Zeiten des Übergangs kann man das im Einzelfall auch anders sehen. Hier im Barock blieb nur Pergolesi übrig, wo „La serva padrona“ wohl gesetzt ist. Auch das war ursprünglich nur ein Intermezzo der Seria-Oper „Il prigionier superbo“!


    Damit wären wir im Barock am Ende, wenn die noch offenen Fragen geklärt sind. Und dann müssen wir zählen, wie weit wir über 25 liegen…

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  • Im Prinzip finde ich die Auswahl, die sich herauskristallisiert hat, gut und repräsentativ für sein Opernschaffen, wobei sechs Händel-Opern vielleicht eine zu viel ist. Auch im Vergleich mit dem, was Post-Barock noch kommt.


    Als erste Meisterwerke Händels gelten die drei Opern „Giulio Cesare“, „Tamerlano“ und „Rodelinda“, die in nur einem Jahr zwischen 1724 und 1725 entstanden. Nicht am besten, aber am bekanntesten davon ist zweifellos „Giulio Cesare“, bei uns ja auch am häufigsten genannt. Daher spricht nichts dagegen, dieses Werk repräsentativ für diese Schaffensperiode auszuwählen. (Als Bertarido würde ich natürlich „Rodelinda“ bevorzugen. ;) )


    Als erstes Meisterwerk gilt Agrippina, mit der er in Italien Furore machte, aber die drei genannten stehen im Zentrum der englischen Karriere, wobei häufig als zweites Dreigestirn etwa 10 Jahre später Orlando, Ariodante und Alcina genannt werden, von denen zumindest die beiden letztgenannten auch Ballett enthalten. Daher scheint mit sinnvoll, von diesen dreien auch eine dabei zu haben und ich wäre dafür, dass Alcina auf jeden Fall drin bleibt, auch weil sie deutlich populärer ist als Orlando. Entsprechend würde ich dann Orlando oder Rinaldo streichen. Ob Cäsar oder Rodelinda ist mir auch egal, beide scheinen mir populärer als Tamerlano.
    Serse kenne ich nicht komplett (ich hatte mal eine Aufnahme, die mir so wenig zusagte, dass ich sie wohl nie vollständig gehört und wieder abgegeben habe), wäre daher mein Streichkandidat, aber das Plädoyer überzeugt mich bzw. kann ich nichts Sachhaltiges entgegensetzen.
    Wenn man 10 Händelopern hätte, würde ich vermutlich sagen: Agrippina, Rinaldo, Giulio Cesare, Tamerlano, Rodelinda, Orlando, Ariodante, Alcina, Serse und eben noch Acis als englischsprachiges Stück. Mit 5-6 kann man überlegen, ob eher die unterschiedlichen Phasen (dann Rinaldo für ein vergleichsweise frühes Werk) oder eher besondere Stücke dabei haben möchte.


    Mir schienen 6 Werke auch vertretbar, zumal wir bislang keine? andere italienische Seria des Hoch/Spätbarock dabeihaben. Und auf den Bühnen ist meinem Eindruck nach Händel seit dem Barockopernrevival weitaus präsenter als z.B. Lully oder Charpentier

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  • Also statt 5 Rameau-Opern nur 4 und eine von Charpentier - da bin ich ja gerne gefolgt - aber Vinci statt A. Scarlatti bildet jedenfalls nicht die Wertschätzung ab, die seit Jahrhunderten vor sich hin tradiert wird.
    Der neue Vivaldi-Boom lässt sich natürlich nicht abschätzen, zu dem sage ich lieber nichts.

  • Als erstes Meisterwerk gilt Agrippina,


    Ich fände nach dieser Diskussion "Agrippina" als Beispiel für die frühe Phase auch gut und besser geeignet als "Rinaldo", aber leider hat niemand dieser Oper vorgeschlagen. Wenn wir das Fass jetzt aufmachen, dann kommt der dottore zu Recht mit Cavalieri...

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  • Also statt 5 Rameau-Opern nur 4 und eine von Charpentier - da bin ich ja gerne gefolgt - aber Vinci statt A. Scarlatti bildet jedenfalls nicht die Wertschätzung ab, die seit Jahrhunderten vor sich hin tradiert wird.


    Ich habe ja gar nichts gegen Scarlatti, habe nur mal die Frage gestellt, ob er drin sein muss :untertauch: . Aber die von Dir gesehene Wertschätzung hat sich dann nicht in der Zahl der Aufnahmen oder gar Aufführungen niedergeschlagen.

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  • Vinci wurde überhaupt nur 1x nominiert, wäre daher meines Erachtens draußen ...


    Und eine Nominierung für Porpora, eine für Graun und zwei für Pergolesis Seria-Opern. Vinci stünde da exemplarisch. Ich nehme aber auch gerne Pergolesis "Olimpiade", nur ist der dann zweimal vertreten.

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  • Solange Peri, Cesti und A. Scarlatti drinbleiben, soll's mir recht sein ... von mir aus reicht aber auch Hasse als Vertreter der späten Seria, warum müssen da zwei rein?

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