Urgewalt trifft Ewigkeit - Berlioz und sein Requiem

  • Hallo Miteinander,



    Das monumentale Requiem von Hector Berlioz, im Orginal mit Grande Messe des Morts überschrieben und als op. 5 veröffentlicht, datiert auf das Jahr 1837. Bereits 1824 hatte Berlioz eine Messe geschrieben, die ihm aber nicht genügte und welche er vernichtete. Glücklicherweise kam diese Messe solenelle in einer Kopie auf uns, aber das ist ein anderes Thema. Teile aus dieser frühen Messe verwendete er in seinem großen Requiem aber wieder.


    Das Requiem besteht aus zehn Teilen, Berlioz verlangt einen großen Chor, einen gewaltigen Orchesterapparat aber lediglich einen Solisten (Tenor). Das Werk stotzt nur so von Außergewöhnlichkeiten von großartiger Wirkung. Durch Mark und Bein geht die musikalische Gewalt des Tuba mirum, wenn vier separate Blechbläsergruppen mit Pauken den jüngsten Tag heraufbeschwören. Es gibt Passagen in denen ausschließlich der Chor zu hören ist. Es gibt öfters unerwartete Tonartwechsel. Und am Ende die schwingt sich die Seele sanft der Ewigkeit entgegen. Das ist die einzige tröstliche Stelle am ganzen Werk, alles andere wirkt eher verstörend und beängstigend. Für mich ist dieses Werk eine Schöpfung eines Genies.




    Ich habe folgende zwei Aufnahmen vom Stück:



    Die Inbal-Aufnahme aus der Brilliant-Box sagt mir schon sehr zu. Bei Maazel dagegen ist IMO alles schlechter, der Chor, das Orchester, der Solist und auch Maazels Lesart des Werks halte ich für absolut ungenügend.


    Welche Aufnahmen kennt und schätzt ihr? Was gibt es noch zu sagen zum Werk?



    Auf Anregungen und Kaufempfehlungen freut sich
    Thomas

    Da freute sich der Hase:
    "Wie schön ist meine Nase
    und auch mein blaues Ohr!
    Das kommt so selten vor."
    - H. Heine -

  • Hallo Thomas,


    wer Berlioz' Requiem live gehört hat, der mag sich mit "der Konserve" nicht so recht anfreunden.


    Ich hatte vor etlichen Jahren das Vergnügen, im Rahmen des Schleswig-Holsteinischen-Musik-Festivals zwischen zwei Bläsergruppen sitzen zu dürfen. Ein paar Monate später konnte ich wieder hören ;) . Ganz so schlimm war es nicht, aber die immense und extreme Dynamik dieses Werkes kommt live um einiges prägnanter herüber als via CD.


    Dennoch, Favoriten habe ich folgende:



    Berlioz und Davis paßt immer. Auch wenn die Aufnahme (aus 11/69) alles andere als ideal klingt (sie rauscht und ist in den Passagen mit den Bläsergruppen dynamisch recht lasch), ist sie meine liebste, weil Davis sowohl in den derben als auch den lyrischen Passagen zu gefallen weiß.


    Einen anderen Ansatz wählt Charles Dutoit


    Die Einspielung vom Mai 1997 klingt natürlich besser als die mit Davis. Das Klangbild ist sehr durchsichtig und dynamisch fein abgestuft.
    Dutoit kostet imo besonders die sensiblen, leisen, verinnerlichten Stellen sehr gut aus. Es scheint fast, als ob er das Requiem "kammermusikalischer" sieht als Davis. Das ist natürlich nur sinnbildlich gemeint, denn das Requiem ist alles andere als "kammermusikalisch". Es ist stellenweise gewaltig bis gewalttätig und pompös. In diesen Teilen vermisse ich bei Dutoit ein wenig die Durchschlagskraft.
    Aber wer es gerne ein wenig "leiser" mag, der ist mit Dutoit gut bedient.


    Die von Dir angesprochene Aufnahme mit Inbal mag ich auch gerne. Sie ist imo das Highlight der selten mehr als durchschnittlichen Brilliant-Sammlung.

    Grüße aus der Nähe von Hamburg


    Norbert


    Das Beste in der Musik steht nicht in den Noten.

    Gustav Mahler


  • Ich halte das Berlioz-Requiem für eine grandiose Komposition, in der die Raummusik der alten Venezianer und die Errungenschaften moderner Harmonik zusammenfließen - und noch dazu hat Berlioz eine Klangfantasie, sie so bestürzend modern ist, dass Komponistengenerationen davon zehren können. Schade, dass er kein gar so guter Melodiker war - aber auch da bietet das Requiem die eine große Ausnahme, das "Sanctus".


    Zu den Aufnahmen: Ich kann mich den Vorrednern nur anschließen: Davis macht alles richtig, sein Tontechniker leider weniger. Dutoit finde ich reizvoll, weil er das Werk nicht als Toten-Show interpretiert - und umso stärkere, intensivere Wirkungen erzielt, was bei Maazel wegen zu viel Effekthascherei völlig daben geht. Eine tolle und technisch gut aufpolierte Aufnahme gibt's von Charles Munch, der von allen, die mir unterkamen, zugleich der exzessivste und lyrischeste Interpret des Requiem ist.

    ...

  • Hallo zusammen,


    bisher bin ich in Sachen Berlioz-Requiem (bzw. der "Grande messe des morts") mit dem bewegenden (aber nicht fehlerfreien) Live-Mitschnitt mit Simoneau, dem Wiener Staatsopernchor und den Wiener Philharmonikern unter Mitropoulos recht gut gefahren, wohl beachtend, dass es sich um einen Mono-Mistchnitt handelt (aber auch Stereo kann dieses Werk nur höchst unvollkommen wiedergeben).



    Nun ist vor kurzem eine Neuaufnahme mit Sabbatini, der Konzertvereinigung Wiener Staatsopernchor, der Wiener Singakademie und den RSO Wien unter dem zu Recht hier vielgelobten Bertrand de Billy erschienen, wohlfeil bei Oehms. Kennt jemand die Aufnahme?



    Beste Grüsse,


    C.

    Die wirkliche Basis eines schöpferischen Werks ist Experimentieren - kühnes Experimentieren! (Edgar Varèse)

  • hallo, auch die bernstein und die levine aufnahmen sind sehr zu empfehlen. ... allerdings gebe ich zu, daß das werk - trotz seiner eminenten bedeutung - mich größtenteils langweilt...man freut sich auf dies irae und das tuba mirum, danach tritt ewige langeweile auf, bis der schluß wieder einige versöhnung bereitet .... ich muß es mir nochmals zu gemüte führen ....

    --- alles ein traum? ---


    klingsor

  • Liebe Mitforianer,
    ich habe dieses Werk schon häufiger mitsingen dürfen. Eines der bleibenden Erinnerungen war eine Auffürung in der "Église Saint Roch", Paris. Ich habe, von wenigen Ausnahmen abgesehen, selten ein so dankbares Publikum erlebt. Und eine in einer kleinen Kirche in Hilden bei Düsseldorf. Ich habe geglaubt, mein Körper als auch die Kirche zerbirst. Am Ambo stand der damals noch junge und lyrische Tenor Peter Seiffert und sang ein seraphisches 'Sanctus'.


    Mein Tip ist eine Aufnahme von der ich nicht weiß, ob sie je noch mal in Deutschland erscheinen wird: Charles Munch, Chor und Orchester des Bayerischen Rundfunks, Tenorsolo: Peter Schreier (wunderschöne Leistung!!!). (DG). Gerade wegen Munchs Altersweisheit eine wunderschöne Aufnahme!
    Für Spanienurlauber und sonstige -reisende: Die Aufnahme ist dort relativ häufig auf CD finden!


    Liebe Grüße
    Bernd Hemmersbach (hemmi)

  • Hallo,


    in einigen Tagen kommt das Berlioz-Requiem mit Roger Norrington auf Hänssler heraus. Vielleicht kann dazu irgendjemand beizeiten etwas sagen, da ich dieses Werk auch einmal kennen lernen will.




    Gruß, Peter.

  • Zitat

    Nun ist vor kurzem eine Neuaufnahme mit Sabbatini, der Konzertvereinigung Wiener Staatsopernchor, der Wiener Singakademie und den RSO Wien unter dem zu Recht hier vielgelobten Bertrand de Billy erschienen, wohlfeil bei Oehms. Kennt jemand die Aufnahme?


    Ich kenne nicht die Aufnahme, ich war aber in einer der Aufführungen. De Billy dirigierte das Werk mit viel Klangfantasie, kluger Tempodramaturgie und sehr vernünftiger Dynamik.
    Dennoch....
    Dennoch war das Ergebnis enttäuschend, weil die Besetzung arg klein war. Mir ist schon klar, dass Berlioz' Besetzungsexzess kaum 1:1 wiederzugeben ist, aber ab einer gewissen Reduktion gehen die intendierten Massenwirkungen, die eben durch Unschärfen erzielt werden, verloren. Soll heißen: Im Konzert vermisste ich die Übersteigerung - oder zumindest den Versuch der Übersteigerung.

    ...

  • Berlioz' »Requiem« ist IMO die Totenmesse schlechthin. Abgründig, verzweifelt, beklemmend, verstörend, trostlos und untröstlich - der Schluß ist da doch ein eher flackerndes Kerzchen in tieftrauriger Finsternis. Was mich gleich beim ersten Hören dieses Werks gefesselt hat war (und ist bis heute) der ungeheur modernistische Zugriff Berlioz' auf diesen liturgischen Text des Requiems. Schon das »Requiem aeternam« ist tatsächlich unerhört dahingehend, daß Berlioz den Text als »Sprach- und Klangmaterial« behandelt, die Wörter in ihre Bestandteile zerlegt und Silben in einer langsam fallenden chromatischen Linie im Stakkato hervorstoßen läßt: »Re - qui - em ae - ter - nam«. Das ist wirklich erschütternd! Ganz ähnlich geht es mir gegen Ende des ersten Satzes im »Kyrie«, das eigentlich weniger als bittend denn als verzweifelt fordernd und schmerzvoll verbittert zu charakterisieren ist. Das »Dies irae« ist dann so tieftraurig, wie ich es in keinem anderen Requiem jemals gehört habe. Über die infernalisch apokalyptische Explosion des »Tuba Mirum« ist hier im Thread ja schon einiges gesagt worden. Das »Lacrimosa« kehrt dann zu der eher verzweifelten Stimmung des »Dies Irae« zurück. Allein im mit Tenorsolo betzten »Sanctus« scheint dann etwas Hoffnung auf. Allerdings ist es interessant, daß Berlioz gerade das »Sanctus« - neben dem »Gloria« ja eigentlich der Lobgesang in der Katholischen Liturgie und ein Gemeinde- bzw. Chorschlager - als einzigen Satz seines Requimes eben nicht für Chor gesetzt hat. Es ist eine einzelne Stimme, die das Licht in die Dunkelheit der Trauer trägt.


    Nun zu den Aufnahmen:
    Ich persönlich liebe insbesondere drei Enspielungen des Requiem (mit Davis kann ich persönlich nicht viel anfangen, Maazel hat das Requiem IMO recht blutleer exekutiert):
    Die Einspieluhg unter Charles Munch mit dem Bosten SO, die Edwin genannt hat, ist tatsächlich exzessiv und in den stilleren Passagen ungeheur ergreifend (Munch's spätere Einspielung für die DGG mit Peter Schreier, dem Chor und dem Symphonieorchester des Bayerischen Rundfunks fällt dagegen ein wenig ab).
    Eine wundervolle Alternative - und unter den Interpretationen des Requiems ziemlich einmalig - ist die Interpreatation von Charles Dutoit (den ich persönlich überhaupt für den Berlioz-Dirigenten schlechthin halte): eher introvertiert, die Trauer verinnerlichend, den Schmerz weniger herausschreiend - selbst in den exzessiven Passagen wie dem »Tuba mirum« noch zurückgenommen. Wenn man die totale Apokalypse will, ist Dutoit hier sicherlich nicht die richtige Adresse - aber seine Lesart finde ich höchst interessant und kohärent.
    Mein Favorit ist allerdings Leonard Bernsteins im Jahr 1975 im Invaliden-Dom zu Paris aufgezeichnete Interpretation (Stuart Burrows, Orchestre National de France, Choer et Orchestre Philharmonique de Radio France)!!! Diese Einspielung hat einfach ALLES: Dramatik, Tiefe, Exzessivität, Apokalyptik, Trauer, Verzweiflung und am Ende: ein wirklich tröstliches Licht in der Finsternis. Hier sind mit Berlioz und Bernstein zwei höchst unkonventionelle Genies aufeinandergetroffen. Diese Einspielung gehört IMO zu den absoluten Meisterleistungen Bernsteins - wie das Requiem zu den Meisterleistungen des Herrn Berlioz gehört...
    Herzlichst,
    Medard

  • Zitat

    Original von Edwin Baumgartner
    Schade, dass er kein gar so guter Melodiker war


    Einspruch, Euer Ehren!


    Spätestens in dem vorhin von Zwielicht, Klawirr, Pbrixius und mir verabredeten Tamino-Berlioz - Jahr 2008 werde ich mich bestimmt noch eingehender dazu und auch zum REQUIEM allgemein äußern. Im Augenblick muss saison- und uhrzeitbedingt der Hinweis auf diesen Thread genügen: Berlioz' musikalischer Weihnachtsfilm: L'ENFANCE DU CHRIST


    In diesem Werk wimmelt es nachgerade von zauberhaften Melodien, vor allem im zweiten und dritten Teil.


    Aber mit dem Rest hast Du natürlich Recht. Nicht nur auf das REQUIEM bezogen, das auch ich noch vor Verdi, Brahms und anderen für das ausdrucksstärkste Requiem schlechthin halte, ausgenommen das in seiner Innigkeit ganz andere, aber auch ganz anders angemessene Requiem von FAURE.


    :hello: Rideamus

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  • Meine persönlcihe Erfahrung mit dem Berlioz-Requeim war eine gemeinsame deutsch-englische Aufführung vor über 20 Jahren , verbunden mit einem Austauschprogramm unserer Jugendorchster und Chöre in London zu irgendeinem Gedenktag bezüglch des zweiten Weltkriegs.
    Ich musste mich damals entscheiden, ob ich mitsingen oder mitspielen(Violine) wollte und habe mich gottseidank fürs Singen entscheiden-das geht sowas von unter die Haut, dass man das niemals vergisst!
    Ihr animiert mich , mir dieses Werk endlich nochmal anzuhören, denn ich muss zu meiner Schande gestehen, dass ich mich seitdem nie mehr damit befasst habe-aus reiner Nachlässigkeit :untertauch:


    Was die Melodien bei Berlioz angeht: in den Nuits d'été konnte er schon, :yes: aber ich glaube zu verstehen was Edwin meinen könnte: er schafft oft wunderschöne Phrasen, die dann aber nicht melodisch zu Ende kommen und auch nur teilweise wirklich "cantabel" sind.(siehe "Le spectre de la rose) Ein Beispiel ist auch die herrliche Arie aus der Damnation "D'amour l'ardente flamme" Fângt mit einer ergreifenden cantablen Melodie an und verknäult sich dann hochkompliziert und "sängerunfreundlich."


    Aber da bin ich hier im falschen Thread......


    F.Q.

  • hallo,


    die munch aufnahme als SACD habe ich mir bestellt. im harenberg wird davis als referenz genannt - leider scheint ja die tonqualität bescheiden zu sein - es gibt aber 3 neuere abmischungen, sind die etwas besser ? - gerade von pentantone sollte man das ja erwarten können :



    oder diese - identisch ?


    als SACD von pentatone :


    gruss


    kalli

  • Ich tue mich ja eigentlich immer sehr schwer mit religiösen Werken, aber es gibt das eine oder andere Requiem, das mir doch immer wieder gefällt. Hierunter fällt mit Sicherheit das von Faure, das ich in der Aufnahme des Limburgs Simfonie orchest kenne. Aber es ist schon richtig, Berlioz macht da richtig was her. Es sind vor allem die Pauken, die mcih immer wieder so richtig bewegen und fesseln.


    In dieser Aufnahme, ich kenne keine andere, kommen mir die allerdings manchmal doch zu gebremst daher.
    Mir gefällt, dass Berlioz so richtig mit den Urängsten zu spielen scheint, die uns die Kirche eingebläut hat, da spürt man den Hauch der ewigen Verdammnis. Doch wirklich : ein beeindruckendes Werk.


    Tschö
    Klaus

    ich weiß, dass ich nichts weiß. Aber ganz sicher bin ich mir da nicht.

  • Eine wundervolle Alternative - und unter den Interpretationen des Requiems ziemlich einmalig - ist die Interpreatation von Charles Dutoit (den ich persönlich überhaupt für den Berlioz-Dirigenten schlechthin halte): eher introvertiert, die Trauer verinnerlichend, den Schmerz weniger herausschreiend - selbst in den exzessiven Passagen wie dem »Tuba mirum« noch zurückgenommen. Wenn man die totale Apokalypse will, ist Dutoit hier sicherlich nicht die richtige Adresse - aber seine Lesart finde ich höchst interessant und kohärent.
    Mein Favorit ist allerdings Leonard Bernsteins im Jahr 1975 im Invaliden-Dom zu Paris aufgezeichnete Interpretation (Stuart Burrows, Orchestre National de France, Choer et Orchestre Philharmonique de Radio France)!!! Diese Einspielung hat einfach ALLES: Dramatik, Tiefe, Exzessivität, Apokalyptik, Trauer, Verzweiflung und am Ende: ein wirklich tröstliches Licht in der Finsternis. Hier sind mit Berlioz und Bernstein zwei höchst unkonventionelle Genies aufeinandergetroffen. Diese Einspielung gehört IMO zu den absoluten Meisterleistungen Bernsteins - wie das Requiem zu den Meisterleistungen des Herrn Berlioz gehört...
    Herzlichst,
    Medard

    danke !



    habe ich auch noch bestellt - dutoit würde mich noch reizen - die ist aber recht teuer ( ungefähr wie die pentatone SACD von davis )


    kalli

  • Vorweg: Colin Davis war für mich ein hervorragender Berlioz-Dirigent. Seine Philips-Aufnahme des Requiems gehört für mich zu den drei gelungensten überhaupt (neben der von Dutoit und der Bernsteins, wobei ich die Munch-Einspielungen allerdings nicht kenne).
    Umso enttäuschender ist für mich das Ergebnis der Live-Aufnahme vom Juli 2012.



    Vielleicht ist das Konzertereignis ja beeindruckend oder berührend oder sogar beides gewesen. Colin Davis, der mit 94 Minuten wieder eine recht lange Spielzeit benötigt, hat natürlich seine starken Momente. Der Schluss des "Offertoire" z.B. gerät wunderbar in den Chorpassagen.
    Bloß ist das eine Stelle, die sich im dynamischen mezzo-Bereich befindet und die mit keinen großen Temposchwankungen aufwartet.


    Mit solchen Passagen ist die Tontechnik gut zurechtgekommen. Aber alles was sich im piano-Bereich befindet, ist so gut wie nicht differenziert zu hören, es sei denn, man hat Lust, dauernd den Lautstärkeregler zu bedienen.
    Einzelne Orchestergruppen oder Chorstimmen zu vernehmen, wenn es im Tempo etwas schneller wird, ist so gut wie unmöglich. Der Hall der St. Paul's Cathedral verschluckt schlichtweg Feinheiten. Heraus kommt zu häufig "Klangbrei".


    Der Solist, Barry Banks, ist wenig präsent zu hören. Das allerdings wird schon fast mit Erleichterung aufgenommen, denn das einzige, das an seinem Timbre auffällig ist, ist ein enormes, flackerndes Vibrato. Ferner ist er noch nicht einmal in der Lage, das "sanctus" richtig zu intonieren. Es heißt fast immer entweder "sainctus" oder auch einmal "saänctus".


    Mir ist klar, daß es eine "perfekte" Einspielung des Requiems wohl nie geben wird. Bereiche von piano (oder noch leiser) bis fortissimo kann man bei der riesigen Anzahl von Akteuren im Orchester und Chor wohl nicht wiedergeben. Das ist in Ordnung, aber wenn eine Aufnahme aus 1969 (Philips-Davis) besser durchhörbar und verständlicher klingt als eine von 2012 (LSO-Davis), dann ist irgendwo irgend etwas ganz gewaltig schief gelaufen.

    Grüße aus der Nähe von Hamburg


    Norbert


    Das Beste in der Musik steht nicht in den Noten.

    Gustav Mahler


  • Wie beurteilen unsere Berlioz-Experten folgende Aufnahmen dieses Monumentalwerkes?



    Robert Tear
    London Philharmonic Choir
    London Philharmonic Orchestra
    André Previn
    1980



    Luciano Pavarotti
    Ernst-Senff-Chor
    Berliner Philharmoniker
    James Levine
    1989



    Keith Ikaia-Purdy
    Chor der Sächsischen Staatsoper Dresden
    Sinfoniechor Dresden
    Singakademie Dresden
    Staatskapelle Dresden
    Sir Colin Davis
    1994


    Angeblich soll das die überzeugendste der drei Aufnahmen von Davis sein. Die ältere fällt ja leider tontechnisch etwas ab.

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Lieber Joseph,


    ich besitze 2/3 der Aufnahmen ( ;) ), nämlich die mit Levine und die mit Davis.
    Ich habe beide als sehr gelungen in Erinnerung, aber leider länger nicht mehr gehört. Ich hole das demnächst nach und melde mich dann detaillierter.

    Grüße aus der Nähe von Hamburg


    Norbert


    Das Beste in der Musik steht nicht in den Noten.

    Gustav Mahler


  • Hallo,


    ich bin kein Berlioz-Experte; die Aufnahme mit J. Levine schätze ich wegen der sehr guten Leistung des Ernst-Senff-Chores.


    Viele Grüße
    zweiterbass

    Wer die Musik sich erkiest, hat ein himmlisch Gut bekommen (gewonnen)... Eduard Mörike/Hugo Distler

  • Der Ernst-Senff-Chor, der in den 80ern, 90ern oft auf Aufnahmen der DGG mit den Berliner Philharmonikern zu hören war, macht seine Sache wirklich gut.


    Er ist stimmlich gut abgestuft zu hören, singt mit sehr guter Qualität und wirkt weder zu dominant, zu "bombastisch", noch zu "unterbesetzt" im Vergleich zum großen Orchester.


    Über die Qualität der Berliner Philharmoniker muss man keine Worte verlieren, auch hier hört man keinen "Bombast", auch nicht im "Dies irae", das nach vier separaten Blechblasorchestern verlangt und das hier relativ transparent klingt.


    Welche luxuriösen Zeiten Anno 1989 herrschten, merkt man daran, dass für die kleine, aber nicht unwichtige Solistenrolle im "Sanctus" Luciano Pavarotti verpflichtet werden konnte. Er macht keine "Opernarie" aus seiner Rolle, sondern singt "geschmackvoll"-zurückhaltend.


    James Levine benötigt für das "Requiem" gute 84 Minuten und stellt den Hörer vor keine großen Rätsel wegen der eingeschlagenen Tempi. Er hütet sich vor zu viel "sakrale Emphase" und bemüht sich um einen vergleichsweise transparenten Klang - so weit bei diesem Riesenwerk überhaupt von "Transparenz" gesprochen werden kann.


    Klangtechnisch gibt es auch nichts zu bemängeln, so dass ich von der Aufnahme rundherum begeistert bin und sie vorbehaltlos empfehlen kann.

    Grüße aus der Nähe von Hamburg


    Norbert


    Das Beste in der Musik steht nicht in den Noten.

    Gustav Mahler


  • Möchte noch eine weitere Aufnahme in den Ring werfen:



    Requiem op. 5 (Grande Messe des Morts)
    Gabrieli Consort & Players,
    Paul McCreesh


    Robert Murray, Tenor
    Wroclaw Philharmonic Choir
    Chetham's School of Music Symphony Brass Ensemble


    Stereoplay 01 / 12: "Vor allem die bei diesem Werk oft so problematische Mischung von Streichern, Bläsern und Chor ist hier exemplarisch gelungen, auch dank der sehr guten Aufnahmetechnik. Alte und neue Musikpraxis gehen perfekt zusammen: Auf der einen Seite Gabrieli Consort & Players, auf der anderen Wroclaw Philharmonic Choir & Orchestra, dazwischen das Chetham's School of Music Symphonic Brass Ensemble."

    Einer der erhabensten Zwecke der Tonkunst ist die Ausbreitung der Religion und die Beförderung und Erbauung unsterblicher Seelen. (Carl Philipp Emanuel Bach)

  • Banner Trailer 2 Gelbe Rose
  • Guten Morgen,


    Gerade hat sie dir Post gebracht - scheint sehr gut abgemischt zu sein:



    Ich habe sie aber bei JPC ( ist gerade im Angebot ) bestellt - leider hat es mit dem Bild nicht geklappt....


    Ich höre weiter.....


    Kalli


  • Das ist in der Tat eine sehr schöne Aufnahme, bei der mir leider der Versuch, aus dem lateinischen Text einen französischen beim Vokal "u" zu machen, den Spaß an der Aufnahme ziemlich verleidet.


    Es ist nicht von "Jerusalem" die Rede, sondern von "Jerüsalem", im "Tuba Mirum", sorry, "Tüba Mirum" heißt es u.a. "Mors stüpendit et natüra, cum resürget creatüra Jüdicanti responsüra."


    Dass der sehr geschmackvoll und klangschön singende Tenor Robert Murray kein "Sanctus", sondern ein "Sanctüs" anstimmt, ist in sofern folgerichtig, trägt aber nicht zu meinem akustischen Wohlbefinden bei. ;)

    Grüße aus der Nähe von Hamburg


    Norbert


    Das Beste in der Musik steht nicht in den Noten.

    Gustav Mahler


  • Das ist in der Tat eine sehr schöne Aufnahme, bei der mir leider der Versuch, aus dem lateinischen Text einen französischen beim Vokal "u" zu machen, den Spaß an der Aufnahme ziemlich verleidet. Es ist nicht von "Jerusalem" die Rede, sondern von "Jerüsalem", im "Tuba Mirum", sorry, "Tüba Mirum" heißt es u.a. "Mors stüpendit et natüra, cum resürget creatüra Jüdicanti responsüra." Dass der sehr geschmackvoll und klangschön singende Tenor Robert Murray kein "Sanctus", sondern ein "Sanctüs" anstimmt, ist in sofern folgerichtig, trägt aber nicht zu meinem akustischen Wohlbefinden bei. ;)


    Ohne die hier besprochene Aufnahme zu besitzen, demzufolge sie auch nicht zu kennen, möchte ich doch die sprachlichen Probleme, die Du ansprichst, auch als meine Wahrnehmungen benennen. Ich habe einige Aufnahmen französischer Ensembles mit geistlichen und liturgischen Werken in denen mich das "ü" einfach nur nervt! Aber so ist das mit den Sprachen...


    :hello:

    .


    MUSIKWANDERER

  • Wenn diese Aufnahme dann wenigstens etwas französisches hätte... ;)
    Gustavo Dudamel kam Anno 2014 auch auf die Idee, den Text französisch aussprechen zu lassen, aber er dirigierte das Werk in der Kathedrale Notre-Dame in Paris, und es sangen der Chor von Notre-Dame und der Chor von Radio France, so dass mit Wohlwollen ein Auge zugedrückt werden kann wegen des "Lokalkolorits".


    Aber hier dirigiert ein britischer Dirigent ein polnisches Orchester und einen polnischen Chor, gespielt in einer polnischen Kirche (alles in und aus Breslau).


    Sei's drum.


    Colin Davis' zweite Aufnahme des Requiems ist tatsächlich seine gelungenste:



    Am 13. und 14. Februar 1994 dirigierte der damalige Ehrendirigent zwei Gedenkkonzerte in der Kreuzkirche Dresden, die den Opfern der Zerstörung Dresdens in der Nacht vom 13. auf den 14. Februar 1945 gewidmet waren. Auf den CDs ist der Mitschnitt vom 14. Februar 1994 zu hören.


    Auch ohne das Wissen um den Schrecken des Krieges und des speziellen Ereignisses, die unterschwellig in den Konzerten vielleicht mit eine gefühlsmäßige Rolle gespielt haben, bleibt festzuhalten, dass das eine sehr bewegende Aufnahme des Requiems ist.


    Davis' Kompetenz als Berlioz-Dirigent ist unbestritten, er hat die Musik geliebt, und was mir bei seinen Dirigaten immer sehr gefallen hat bzw. gefällt ist, dass diese Liebe spürbar ist.


    So auch in dieser Aufnahme. Mit einer Spielzeit von 90 Minuten liegt er fast exakt bei den Zeitmaßen der frühen Aufnahme von 1969, kann aber natürlich mit der wesentlich besseren Tontechnik aufwarten.


    Die Einspielung klingt sehr "organisch", die Kirchenakustik mit leichtem Hall ist gut eingefangen und gibt dem Werk "Würde" und "Größe", ohne musikalische Details zu verschlucken.


    Die Chöre und das Orchester bewegen sich auf allerhöchstem musikalischen Niveau; beim Tenor Keith Ikea-Purdy kann man, wenn man möchte, seltene, leichte Intonationsschwächen monieren. Sein Timbre ist recht "robust", er kommt aber mit den stimmlich hochgelegenen Passagen des "Sanctus" gut zurecht.


    Natürlich bedient Davis auch den "Bombast", auch sein Requiem bleibt ein riesiges Chor- und Orchesterwerk, aber die stärksten Momente hat er in den "verinnerlichten", leisen Passagen. Colin Davis war für mich ein Dirigent, der "Menschlichkeit" musikalisch gut ausdrücken konnte, und die "menschlichen Seiten" des Requiems hat er besonders bewegend herausgearbeitet.


    Wer wissen möchte, was ich meine, höre sich das werkabschließende "Agnus Dei" an - und versteht dann. ;)


    Für mich gehört diese Aufnahme zu den "unverzichtbaren".

    Grüße aus der Nähe von Hamburg


    Norbert


    Das Beste in der Musik steht nicht in den Noten.

    Gustav Mahler


  • Es ist nicht von "Jerusalem" die Rede, sondern von "Jerüsalem", im "Tuba Mirum", sorry, "Tüba Mirum" heißt es u.a. "Mors stüpendit et natüra, cum resürget creatüra Jüdicanti responsüra."


    Bei einem Werk eines französischen Komponisten würde mich das nicht stören - wahrscheinlich hat es bei der Uraufführung nicht anders geklungen.


    Stört es Dich auch, wenn italienische Ensembles Latein italienisch aussprechen (also g und c vor Vokalen betreffend)?

    Der Traum ist aus, allein die Nacht noch nicht.

  • Es mag sein, lieber Bertarido, dass bei der Uraufführung der lateinische Text französisch gesungen wurde, bloß bin ich der Meinung, dass ein Text möglichst in der Originalsprache gesprochen oder gesungen werden sollte.
    Ich bin also grundsätzlich ein Freund der idiomatischen Aussprache, aber was gefällt oder nicht, ist eine spontane Angelegenheit und keine starre Definitionssache bei mir.


    Ich kann im "Agnus Dei" sowohl mit der Aussprache "Anjus" als auch mit "Agnus" leben, störe mich nicht daran, ob "Kyrie" "Kürie" oder "Kirie" gesprochen oder gesungen wird, kann auch mit sprachspezifischen Akzentuierungen bequem leben, denke aber, dass der grundsätzlichen sprachwissenschaftlichen Entwicklung zwischen der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts und heute Rechnung getragen werden sollte.


    Und da klingt ein lateinischer Text auf Latein besser als auf Französisch. ;)

    Grüße aus der Nähe von Hamburg


    Norbert


    Das Beste in der Musik steht nicht in den Noten.

    Gustav Mahler


  • Lieber Norbert, ich danke für Deine kundigen Ausführungen zu den beiden Aufnahmen. Ich werde insbesondere die Dresdner Aufnahme von Sir Colin Davis mal im Auge behalten. ;)

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • ..., bei der mir leider der Versuch, aus dem lateinischen Text einen französischen beim Vokal "u" zu machen, den Spaß an der Aufnahme ziemlich verleidet.

    Es ist so, dass die Franzosen lateinischen Text grundsätzlich "französisch" aussprechen, es ist also bei einem anderen angeführten Beispiel sicher nicht Dudamels Idee gewesen, das haben die Franzosen schon selbst besorgt. Es erhebt sich jetzt die Frage, wie Polen in der Regel mit lateinischem Text umgehen. Es ist nicht auszuschließen, dass sie (zumindest bei gesungenem lateinischen Text) dem französischen Vorbild folgen.



    Und da klingt ein lateinischer Text auf Latein besser als auf Französisch.

    Es gibt keine "lateinische" Aussprache, wir haben keine Ahnung, wie die Römer gesprochen haben. Es gibt immer wieder Diskussionen darüber und es gibt Vertreter der Meinung, dass unser Schul-Latein völlig falsch gelehrt wird. Man weiß z.B. nicht, ob Caesar wie "Cäsar" oder wie "Kaiser" ausgesprochen wurde, aber es gibt Befürworter der letzteren Variante.


    :hello:

    Ciao


    Von Herzen - Möge es wieder - Zu Herzen gehn!


  • Man weiß ziemlich genau, wie klassisches Latein (also zu Caesars oder Neros Zeiten) ausgesprochen wurde (Caesar = Kaesar mit ae nicht als ä, daher eher wie Kaisar, Kaisar wird er nämlich in griechischen Texten geschrieben, nicht "Zäsar"), aber es ist dennoch richtig, dass es für gesungenes "Kirchenlatein" keine korrekte Aussprache gibt, weil es hier viele regionale Unterschiede gab und gibt.
    Und natürlich wurde seit über 1000 Jahren in keiner Kirche klassisches Latein gesungen, da sich schon im frühen Mittelalter (oder noch früher) regionale Aussprachen herausgebildet haben.
    International ist die italienische Aussprache die am meisten verbreitete beim Singen, u.a. weil sie sich am einfachsten singen lässt. Aber es ist auch nicht abwegig, ein französisches Stück mit "französischer", ein deutsches, österreichisches mit der dort üblichen (c vor hellen Vokalen = z usw., ich dachte allerdings, dass die slawischen Länder auch diese Aussprache verwenden) Aussprache singen zu lassen, weil das normalerweise die Aussprache war, die der Komponist gehört hat.
    (Wobei ich zugeben muss, dass ich "lodamüs" etc. auch extrem gewöhnungsbedürftig finde... Französisch ist sowieso die mit Abstand größte Verunstaltung, die Latein über sich hat ergehen lassen müssen (o.k., ich kann noch weniger Rumänisch oder Portugiesisch, aber schlimmer können die kaum sein :untertauch: )

    Struck by the sounds before the sun,
    I knew the night had gone.
    The morning breeze like a bugle blew
    Against the drums of dawn.
    (Bob Dylan)