Inkompetentes Publikum (! - ?)

  • Zitat

    Wenn besagte "musikalische Grammatik" durch das Publikum zunehmend nicht mehr beherrscht wird, herausfluktuiert, dann ist es logische Folge, dass sich auch das Verhalten der Konzertbesucher zumindest ein Stück weit wandeln wird.

    Natürlich ändern sich die Voraussetzungen des Publikums mit der Zeit. Dass in Liszts H-moll-Sonate die Fuge in der falschen Tonart steht, ist einem zeitgenössischen Hörer sofort aufgefallen, weil für ihn die harmonische Sukzession noch "Grammatik" war, für uns eher nicht mehr. Da müssen wir dann schlaue Kommentare lesen um das zu verstehen. Aber wir reden hier doch gar nicht über solche komplizierten Dinge, sondern wirklich das Allereinfachste, populäre und populärste Stücke und ganz elementare Selbstverständlichkeiten. Wenn man selbst die nicht mehr vorraussetzen darf, wird das Dasein vor allem für die Musiker ziemlich frustrierend. Man merkt doch in dem Video, dass Yundi Lee das überhaupt nicht lustig fand. Wenn ich Künstler wäre und nur noch so ein Publikum bekäme, hätte ich schlicht keine Lust mehr aufzutreten.


    Zitat

    Was Du da mit IMHO drastischen Worten umschreibst, lieber Holger, ist Ausfluss Deines Bildungsstandes und Wertekosmos. Es ist mAn verfehlt, andere Musikhören mit derartigen Bezeichnungen zu diffamieren, nur weil sie in ihrem Leben vielleicht andere Schwerpunkte setzen (müssen? gesetzt bekommen haben?).
    Musik ist erst einmal - und begrüßenswerter Weise ! - heute in einem hohen Maße für sehr viele Menschen verfüg- und greifbar, völlig egal, für wie kompetent sie eine (selbsternannte) Bildungselite auch hält. Und das ist IMHO auch sehr gut so.

    Diese Argumentation ist gefährlich, weil man, wenn man will, darin auch ein Ressentiment erblicken kann. Klassische Musik verkörpert nun mal Werte, ist einfach Hochlkultur wie Dramen von Goethe oder Lyrik von Hölderlin auch. Wer sich damit beschäftigen will, dass er wirklich versteht, muss sich eben ein bisschen geistig anstrengen. Wer andere Schwerpunkte setzt, sollte sich zumindest zurückhalten und z.B. abwarten, bis das erfahrene Publikum klatscht, dann macht er nichts falsch. Anderenfalls ist das genauso ärgerlich für das wirklich kenntnisreiche Publikum wie Störungen durch Bonbon-knisternde Operndamen. Warum sollen die "Ungebildeten" das Recht haben, den "Gebildeten" - und auch den Künstlern - einen solchen Abend zu vermiesen? Es wird von Niemandem etwas verlangt, außer Zurückhaltung. Ich bin auch im 2. Semester als "Grünschnabel" ohne Anmeldung in ein Oberseminar für Fortgeschrittene und Doktoranden gegangen (damals ging so etwas, heute im bürokratisch verschulten Betrieb bedauerlicher Weise nicht mehr), habe dann aber den Mund gehalten und nur zugehört.


    Schöne Grüße
    Holger

  • Wer sich damit beschäftigen will, dass er wirklich versteht, m9uss sich eben ein bisschen geistig anstrengen.


    Nur ist eben der Unterschied, dass man an klassischer Musik auch auf einem "Oberflächenlevel" seine Freude haben kann und prima unterhalten wird.
    Man "muss" dazu eben nicht tief eintauchen, wenn man denn nicht will.

    Zitat

    Ich bin auch im 2. Semester als "Grünschnabel" ohne Anmeldung in ein Oberseminar für Fortgeschrittene und Doktoranden gegangen (...), habe dann aber den Mund gehalten und nur zugehört.


    Beinahe kaum vorstellbar... :angel::untertauch::D


    Viele Grüße
    Frank

  • Lieber Holger,


    inhaltlich auf die mir nachfolgenden Beiträge kann ich mir nunmehr ersparen, denn präziser als Du kann man es kaum auf den Punkt bringen. Auf jeden Fall bin ich sehr einig mit Deinen beiden Beiträgen!


    Klassische Musik erfordert nun einmal Aufmerksamkeit ( d.h. man muss erst einmal still sein) und ein gewisses Verständnis.
    Neulich bin ich mit einigen christlichen Syrern aus unserer Kirchengemeinde bekannt geworden - wunderbare Menschen übrigens.
    Wenn ich denen nun diese deutschsprachige Webseite hier aufriefe und zeigte, oder Josquin von der CD vorspielte, dann verstehen die vor allem eines: Bahnhof.
    Genauso erginge es auch mir, wenn ich mir deren arabische Musik anhöre ( sie haben es mir vorgespielt...) oder ihre arabischen Texte mir ansehe, von denen ich nicht einen Buchstaben verstehen kann.
    Die Idee, dass Musik und Kultur weltweit von jedem einfach so und völkerverbindend verstanden werden kann, ist sehr naiv, vielleicht auch ideologisch angehaucht. Ein Beethoven war mit dem Schlusschor seiner 9. vielleicht sogar von dieser schönen Illusion inspiriert, aber die Realität - auch der Rezeption dieses Werkes- zeigt doch, dass es so eben nicht ist.


    Mit zunehmender Erfahrung merke ich ja selbst, wie man sich früher an bestimmten Haken (Elementen) festhalten konnte, die man an der Musik mochte. Mit der Zeit kommen immer mehr Aufhänger hinzu, was das Vergnügen des Hörens und Spielens ja steigert. Das heißt aber noch lange nicht, das nicht immer noch ein gewisser Teil der ergreifenden Dinge an einem unbemerkt vorbeirauscht.
    Das gilt für alle Bereiche der Musik: Melodik, Harmonie, Rhythmus, Gestik, die Affekte.......und alles Mögliche, was eigentlich zwischen den Zeilen gesagt werden soll.
    Für mich gehört zu den wunderbaren Dingen der echten Kunstwerke, dass ein Leben nicht ausreicht, immer wieder Neues daran zu entdecken.


    Wenn dem also so ist, dann erscheint es mir vor diesem Hintergrund als umso unbegreiflicher, dass Leute sich der Erkenntnis schlichtweg verweigern wollen, dass eine gewisse Musik (z.B. die klassische) eben auch ein Publikum mit einer gewissen Kompetenz im Sinne von Hörerfahrung und grundlegendem musikalischen Verständnis erfordert. Das bedeutet nicht, dass es Zuhörer sein müssen, die Medizin, Juristerei oder gar Philosophie ( sorry... :D ) studiert haben. Es können durchaus Menschen sein, die einer gepflegten Pausenkonservation der Akademiker mit Sektglas in der Hand ggf. nicht ganz folgen können, aber viel mehr davon verstehen und erfühlen, was der Brendel da wirklich macht. Intelligenz kann ja sehr vielfältig ausgebildet sein. Auch innerhalb der Musik gibt es auch nicht ein einfaches "Musiker A ist besser als Musiker B". Dazu ist das Feld der Musik zu vielschichtig.


    Rohheit und Unsensibilität kann es sowohl bei akademischen Nadelstreifen-Leuten, als auch bei Kanalarbeitern geben; das Gegenteil davon auch.
    Die klassische Musik braucht eben ein solches sensibles und auch zu einem gewissen Maß auch verständiges Publikum, das sich vom musikalischen Analphabetentum unterscheidet.
    Dass davon jeder Musik studiert haben müsse, sage ich nicht. Unempfindlichkeit und wenig Phantasie habe ich sogar bei Musikstudenten beobachten können.


    Gruß nach Münster :hello:
    Glockenton



    PS:


    So what? Ist das wirklich ein schwerwiegender Makel?
    Wahrscheinlich würde sie Dir (und mir!) Dinge erläutern können, bei denen Du gleichsam nur "Bahnhof" verstehst, die aber in ihrer Generation zu den essentiellen Dingen gehören.


    Der "schwerwiegende Makel" besteht keineswegs in der Unkenntnis, sondern in der erschreckenden Ignoranz gegenüber dem phantastischen Ergebnis einer jahrtausendealten ägyptischen Hochkultur, die durch die absolute Unwilligkeit zum Ausdruck kam, nichts aber auch gar nichts über die Herkunft dieses Gesichtes erfahren zu wollen. Wer meint, dass er über die kulturelle und auch die sonstige Geschichte nichts zu wissen braucht, der hat m.E. auch keine kulturelle und sonstige Zukunft. Nicht für umsonst werden Bildungsreisen für Schulklassen veranstaltet, bei denen den Schülern das berüchtigste aller Konzentrationslager in Polen gezeigt wird.


    Und worüber die junge Generation mehr versteht als ich, ist übrigens folgendes: Was z.B. eine Foundation beim Schminken ist.....



    Na toll - da halte ich die Info über die schöne Ägypterin langfristig dann doch für relevanter:



    Ich teile diesen Relativismus , diese Verneinen absoluter Maßstäbe und jenes "für den Einen ist das Eine gut und für den Anderen das Andere" nicht. Jeder Begriff von gut und schlecht, besser oder schlechter und damit jeder Qualitätsbegriff wird damit aufgehoben. Das halte ich für falsch.

    "Jede Note muss wissen woher sie kommt und wohin sie geht" ( Nikolaus Harnoncourt)

  • Zitat

    Nur ist eben der Unterschied, dass man an klassischer Musik auch auf einem "Oberflächenlevel" seine Freude haben kann und prima unterhalten wird.
    Man "muss" dazu eben nicht tief eintauchen, wenn man denn nicht will.

    Darum geht es auch nicht, lieber Hüb. Das Publikum ist sehr unterschiedlich zusammengesetzt und hat unterschiedliche Voraussetzungen und Interessen. Aber es ist schon ein Unterschied, ob es ein Abbonnementspublikum ist oder ein Solistenkonzert, oder wo das Konzert stattfindet. Es gibt Weltmusikstädte wie London, Paris, Wien oder auch New York, die auch bei Solisten geschätzt werden, da sie traditionell ein erfahrenes, kompetentes Publikum haben. Für Moskau gilt Ähnliches, da gehört der Tschaikowsky-Wettbewerb zur nationalen Identität und entsprechend sind auch ziemlich fundierte Kenntnisse da selbst bei ganz "normalen" Menschen. Wer eine Karte für Alfred Brendel gekauft hat oder Svjatoslav Richter, dem ist eigentlich doch klar, wer Brendel oder Richter ist. Ein reiner Beethovenabend (wie ihn Brendel z.B. in Serie gegeben hat) ist schon vom Programm her kaum auf Unterhaltung ausgerichtet und das hört sich in der Regel auch nur jemand an, der sich mit Beethoven näher beschäftigt hat, jedenfalls die Mehrheit. Ich habe auch schon erlebt, dass jemand bei einem Konzert von Vladimir Ashkenazy gegangen ist, weil er mit Schumanns "Kreisleriana" überfordert war. Noch schlimmer ist allerdings Ignoranz. Wirklich erschreckend, wenn der damalige Ministerpräsident und spätere Bundespräsident, der inzwischen verstorbene Johannes Rau, eine Konzertserie mit selten gespielten Symphonien von Allan Peterson in der Düsseldorfer Tonhalle und anderen Städten in NRW sponsort. Man bekam damals Karten in Düsseldorf für 13 deutsche Mark (!) - und es kam ein Gastorchester, nämlich das wirklich phantastische Royal Stockholm PhO mit Leif Segerstam! Eigentlich also eine teure Aufführung. Was passierte? Vor der Pause gab es Brahms, nach der Pause dann die Peterson-Symphonie. Das eigentlich Unfaßbare: Wenn man wieder Platz nahm zum zweiten Teil, war der Saal auf einmal leer. Das Publikum bekam die Karten quasi geschenkt, hatte aber einfach keine Lust, sich das Unbekannte nur anzuhören! Hinterher kann man ja sagen, das hat mir nicht gefallen, aber diese Haltung ist schlicht eine Blamage für eine Stadt wie Düsseldorf. Ein Freund erzählte mir, dass dasselbe passierte bei einem Violinabend: Vor der Pause Brahms, nach der Pause Bartok - und vor dem Bartok gingen die Leute einfach nach Hause. Bei Yundi Lee vermute ich mal, dass es ein Chopin-Abend war. Also darf man auch voraussetzen, dass diese Stücke der Mehrheit bekannt sind und sie wissen, was der Chopin-Preis ist. In den USA, wo die sozialen Gegensätze größer sind, gibt es schon eine sehr bildungsbewußte Elite, die das Konzertleben mangels solcher in Europa üblicher staatlicher Subventionierung auch noch finanziell unterstützt. Entsprechend ist dann das Beste gut genug und sie sind stolz auf die Qualität des Musiklebens ihrer Stadt, dass sie mit ihrem Geld am Leben erhalten. Ich habe ja mal in Chicago ein Konzert mit dem Chicago SO und Haitink in seiner letzten Saison gehört, das Publikum machte einen sehr, sehr gediegenen Eindruck. Eine solche Reaktion in New York ist deshalb erst einmal erschreckend.


    Die klassische Musik braucht eben ein solches sensibles und auch zu einem gewissen Maß auch verständiges Publikum, das sich vom musikalischen Analphabetentum unterscheidet.
    Dass davon jeder Musik studiert haben müsse, sage ich nicht. Unempfindlichkeit und wenig Phantasie habe ich sogar bei Musikstudenten beobachten können.

    Das finde ich auch, lieber Glockenton! Hier in Münster sind die Musikstudenten zum Glück noch wirklich sehr engagiert, geben zum Nulltarif sehr schöne Konzerte mit erlesenem Repertoire und finanzieren sich auch noch zum großen Teil selbst.


    Schöne Grüße aus Münster
    Holger

  • Also ich habe mir das Video jetzt ebenfalls angehört und muss fragen ob ein paar Personen hier, nicht mehr hinein interpretieren und alles schlimmer machen als tatsächlich war. Für den Künstler wird es erst einmal störend gewesen sein, man spielt hochkonzentriert und plötzlich entsteht ein tosender Lärm, auf der anderen Seite ebbte der Applaus doch sehr schnell ab...
    Ich würde nicht sagen, dass das zwangsweise auf die Kompetenz des Publikums schließen lässt. Vielleicht haben ein paar geklatscht, die nicht so bewandert sind und ein paar Leute die leicht beeinflussbar sind oder waren und andächtig der Musik gelauscht haben sind auf den Zug aufgesprungen? Das Publikum, egal wie gebildet es sein mag, ist eben doch "nur" eine Masse und die Masse ist ein Tier, das man leicht reizen kann. Solche Vorfälle gibt es eben immer wieder, Menschen sind halt auch fehlbar. Nicht jeder hat so viel Wissen wie die Taminos wenn er in den Konzertsaal hinein geht oder hat Zeit sich dieses zu erarbeiten. Vielleicht gingen die "ungehobelten" Klatscher auch einfach nur rein um sich zu amüsieren, leichtfertig und froh, da kann doch so ein kleiner Patzer vorkommen! Mag sein, dass das den Moment des Konzerts zerstört hat, ich habe aber den Eindruck, dass das doch vielleicht Jammern auf hohem Niveau ist, vor allem aus der Sicht des Zuschauers? Vielleicht gründet sich meine lockere Haltung in diesem Punkt auch auf Unwissenheit...... ;)

    Die gute Zeit fällt nicht vom Himmel, sondern wir schaffen sie selbst; sie liegt in unserem Herzen eingeschlossen

    .

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  • Nichts ist schöner und ehrlicher als sich spontan artikulierende Begeisterung - klatschen, weil man (innerlich) MUSS, nicht, weil mann gemäß der Konvention) an einer bestimmten Stelle muss...


    (Und das gilt selbst dann, wenn es den einen oder anderen "Kenner" stört, manchmal auch mich...)

    Beste Grüße vom "Stimmenliebhaber"

  • Ich beziehe ja das Jahres Abo für die Liveübertragungen der Wiener Staatsoper. Was mir diese Spielzeit aufgefallen ist , ist ein extrem begeisterter Bravo Jubler am Ende , bei dem sich vor Begeisterung fast immer die Stimme überschlägt. Auch wenn der Jubel am Ende wie bei Madama Butterfly eher durchwachsen ist, sorgt er für Stimmung mit seinen stakato artigen Bravorufen. Und bei jeder Liveübertragung gibt es von ihm für dem Dirigenten Bravo majestro Rufe. Auf der einen Seite finde ich auch spontane Beifallsbekunden gut aber bei ihm frage ich mich , ob er bezahlt worden ist um für Stimmung bei den Liveübertragungen zu sorgen.

  • Im Urlaub las ich von Artur Rubinstein die Autobiographie "Die frühen Jahre" (bis 1917). Dort schreibt er über seine Konzerte um 1900, dass u.a. das Pariser Publikum regelmäßig die mitreißenden Partien mitten in einem Stück beklatschte. Was er von diesem Publikum hielt, machte er aber auch unmißverständlich deutlich: Solche Konzerte waren in erster Linie "Events", musikalischer Sachverstand dagegen eher nicht vorhanden!


    Schöne Grüße
    Holger

  • In meinem Wiener Semester (1965) gab es die Claque auch schon. Großes Aufsehen erregte damals das Vorgehen von Saalordnern in der Staatsoper, die gegen Buh-Rufer vorging und sie zwang, die Oper zu verlassen. Das hatte die amüsante Wendung, dass der Darsteller des "Frosch" in der nächsten Vorstellung der "Fledermaus" diese Sache genüsslich kommentierte.

    Schönheit lässt sich gerne lieben...

    (Andreas Hammerschmidt,1611-1675)

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  • Claqueure, na sowas! Jetzt habe ich wieder ein neues Wort gelernt :thumbup: Habe ich gar nicht gewusst, dass es so etwas in der Oper gibt. Ich hielt/halte die Oper ja immer als Festung, besucht von Leuten edler Gesinnung, die Platzanweiser gleichen Rittern für Gerechtigkeit und Ordnung...Das habe ich wohl etwas zu rosarot gesehen ;)
    Um aber wieder zum Thema zurück zu kommen, Doc Kaletha spricht da einen interessanten Punkt an. Als erstes fiele mir dazu ein, dass Rubinstein schon fast selbst schuld ist wenn er so mitreißend komponiert und spielt, dass es niemanden auf den Sitzen hält :D Die Frage ist halt mit welcher Motivation die Menschen in ein Konzert oder eine Aufführung gehen. Besuchen sie sie zur Unterhaltung, zur Freude oder wollen sie auch begreifen, verstehen und tief eintauchen? Ich gehöre muss ich gestehen zu ersten Kategorie, ich versuche (und schaffe es selbstverständlich auch meistens, um ja den Taminos keine Schande zu machen) mich ja ordentlich zu benehmen um in das romantisierte Bild eines Opernbesuches zu passen, aber bei manch einer hinreißenden Arie oder einer wirklich tollen Stelle kann man sich halt manchmal nicht zurück halten (Ich könnte mich wenn Hvorostovsky "Largo al facotum" schmettert nur schwer im Zaum halten), ich will nur damit sagen, dass man durchaus Verständnis für so einen Fauxpas aufbringen sollte, solange er nicht zu ausufernd ist (hier stellt sich natürlich die Frage wo zieht man die Grenze?)

    Die gute Zeit fällt nicht vom Himmel, sondern wir schaffen sie selbst; sie liegt in unserem Herzen eingeschlossen

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  • Claqueure, na sowas! Jetzt habe ich wieder ein neues Wort gelernt :thumbup: Habe ich gar nicht gewusst, dass es so etwas in der Oper gibt. Ich hielt/halte die Oper ja immer als Festung, besucht von Leuten edler Gesinnung, die Platzanweiser gleichen Rittern für Gerechtigkeit und Ordnung...Das habe ich wohl etwas zu rosarot gesehen ;)


    Hierzu, lieber Traubi, mag vielleicht auch folgende Erkenntnis passen: Klassische Musik ist auch Arbeit! - Und was die Claquere angeht, so war ich zumindest überrascht, als ich vor einigen Jahren erfuhr, dass es soetwas immer noch gibt ...

    mfG Michael


    Eine Meinungsäußerung ist noch kein Diskurs, eine Behauptung noch kein Argument und ein Argument noch kein Beweis.

  • Lieber Traubi,


    jede einigermaßen vollständige Darstellung über die Wiener Staatsoper wird auch auf die (nur in unseren Vorstellungen unmöglichen!) Claqueure eingehen. Diese "Bagage" wirst Du auch in entsprechenden Büchern über italienische und französische Opernhäuser antreffen.


    :hello:

    .


    MUSIKWANDERER

  • Als erstes fiele mir dazu ein, dass Rubinstein schon fast selbst schuld ist wenn er so mitreißend komponiert und spielt, dass es niemanden auf den Sitzen hält :D

    ... nicht von Anton, sondern Artur Rubinstein war die Rede!!!! :D :D :D :hello:


    Schöne Grüße
    Holger

  • Ich steige verhältnismäßig spät in diesen Thread ein.
    Unsere derzeitige Gese´llschaft betrachtet es als Zeichen von Unbildung, wenn zwischen den Sätzen einer Sinfonie, eines Konzerts etc applaudiert wird. Auch ich rümpfe in solchen Fällen pikiert die Nase: "Was für ein Plebejer Publikum" - denn ich wurde in diesem Sinne "erzogen"
    Tatsache aber ist, dass Applaus zwischen den Sätzen bis ins späte 19. Jahrhundert gang und gäbe war. Das Unterdrücken desselben ist gewissermaßen eine relativ neue Spielart der "Konzert.Etikette"
    Vermutlich wird eines Tages eine künftige Gesellschaft diese eher künstlichen "Anstandsregeln" über Bord werfen und sich über unser Zeitalter lustig machen.


    Während ich bisher nur "Lexikalwissen" verbreitete, so resultiert das nun Gesagte aus persönlicher Erfahrung.
    Noch vor 40 Jahren war es bei Opernaufführungen üblich das (meist bombastisch. realistische) Bühnenbild nach Öffnen des Vorhangs zu beklatschen (wozu heute allerdings meist kein Anlass besteht.)
    Ferner war es üblich, bei Glanzleistung eines Sängers in die letzten Takte frenetisch hineinzuapplaudieren - von einem Popkonzert kaum zu unterscheiden (Im übrigen waren das noch Reste der alten Sitte "da capo" zu rufen, was eine Aufforderung war, die Arie zu wiederholen)
    Dieses in die Musik hineinzuklatschen ist heute verpönt, aber ich (anders geprägt !!) vermisse es stets uns empfinde das Publikum dann als kühl oder ablehnend. Für die nachwachsende Jugend: Zwischenapplaus in Opernaufführungen kunnten nach einer Aria durchaus einige Minuten dauern.
    Kaiser Franz Joseph I - ein Asketh IMO - war ein sogar Gegener des Applauses NACH einer Aufführung. So verbot er seinerzeit am kaiserlich königlichen Wiener Hofburgtheater (Österreichs bedeutendste Sprechbühne) Applaus und "Vorhänge am Ende einer Vorstellung. Diese Regel wurde traditionell viele Jahre beibehalten. Ob sie heute noch gilt, weiß ich nicht, ich glaube allerdings nicht, denn dies widerspricht einem natürlichen Bedürfnis des Publikums....


    mfg aus Wien
    Alfred

    Wenn ich schon als Vorbild nicht tauge - lasst mich wenigstens ein schlechtes Beispiel sein !



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  • Ich möchte hier dies beitragen: In meiner Jugend war es komplett unmöglich und unschicklich, dass nach einem geistlichen Konzert, vor allem in einer Kirche, geklatscht wurde. Das hat sich heute völlig geändert. Und als Chorsänger muss ich sagen - völlig zu Recht. Der Dirigent muss nur beachten, dass eine würdige Pause nach dem letzten Ton entsteht. Dies gilt auch für nichtgeistliche Konzerte. Er muss reglos mit leicht erhobenen Armen stehenbleiben, der Chor darf sich nicht bewegen. Wenn der Dirigent die Arme sinken lässt, entspannen sich alle und es gibt Applaus. Das ist eine Sache, die immer funktioniert. Der Applaus ist auch berechtigt, denn Musik ist auch Arbeit, wie, glaube ich, Michael Schenk hier zu Recht festgestellt hat.

    Schönheit lässt sich gerne lieben...

    (Andreas Hammerschmidt,1611-1675)

  • Noch vor 40 Jahren war es bei Opernaufführungen üblich das (meist bombastisch. realistische) Bühnenbild nach Öffnen des Vorhangs zu beklatschen (wozu heute allerdings meist kein Anlass besteht.)

    Ein paar Mal habe ich das in den letzten Jahren aber durchaus auch erlebt.

    Beste Grüße vom "Stimmenliebhaber"

  • Ich habe das in Wien erlebt, bei der legendären Zeffirelli-Inszenierung der Bohème. Auch bei Ponnelle-Opern in Düsseldorf kam das vor.

    Schönheit lässt sich gerne lieben...

    (Andreas Hammerschmidt,1611-1675)

  • Ich habe als Jugendlicher und regelmäßiger Opern- und Theaterbesucher in Bonn oft erlebt, daß bei großen und gut gesungenen Opernarien das Publikum laut und lange klatschte. Und Sänger und Sängerinnen wie Sonja Poot, Ray Arbizu, Bengt Wisten, später Werner Hollweg und Robert Schunk gaben auf grund des großen Applaus Zugaben, oft in Originalsprache.

    W.S.

  • Mir fällt in letzter Zeit auf, dass bei Mozart-Opern am meisten die berühmten Arien beklatscht werden. Für mich ist Mozart aber der beste Ensemble-Komponist, der je gelebt hat. Das gilt besonders für die da-Ponte-Opern, und bei denen besonders für den Don Giovanni

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    (Andreas Hammerschmidt,1611-1675)

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  • Heute fand ich einen lesenswerten Artikel im Hamburger Abendblatt zur "Klatsch-Kontroverse": http://www.abendblatt.de/kultu…-sagen-die-Kuenstler.html


    Interessant ist, dass es die Künstler selbst überwiegend viel lockerer zu sehen scheinen als das Publikum, das es oftmals als "feierliche, gottesdienstähnliche Veranstaltung" ansieht. Im Artikel recht schön nebeneinander gestellt. Es äußern sich dort die Dirigenten Kent Nagano und Sir Jeffrey Tate, die Sopranistin Simone Kermes, die Violinistin Baiba Skride, der Pianist Alexander Krichel und die Pianistin Anna Vinnitskaya zu Wort.

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões

  • Wobei Frau Kermes nun nicht die repräsentativste Opernsängerin ist..

    Zwar nicht sehr charmant, aber leider stimmt es. Dazu versucht die Dame auch noch, auf locker, jugendlich und ausgeflippt zu machen. "Man merkt die Absicht und ist verstimmt".


    Herzlichst
    Operus

    Umfassende Information - gebündelte Erfahrung - lebendige Diskussion- die ganze Welt der klassischen Musik - das ist Tamino!

  • Zwar nicht sehr charmant, aber leider stimmt es. Dazu versucht die Dame auch noch, auf locker, jugendlich und ausgeflippt zu machen. "Man merkt die Absicht und ist verstimmt".


    Herzlichst
    Operus


    Vielleicht "macht" sie nicht so, sondern es entspricht ihrem Wesen? Ich empfinde Simone Kermes jedenfalls als eine erfreuliche Erscheinung im Opernzirkus.


    Und es ist ja nicht Frau Kermes allein, sondern alle interviewten Künstler äußern sich ähnlich. Ich muss gestehen, dass ich auch eher zu der Fraktion derjenigen gehöre, die ein bestimmtes, an den gängigen Konventionen orientiertes Verhalten im Konzert erwarten. Aber die Äußerungen der Künstler haben mir dann doch zu denken gegeben.


    Sehr schön fand ich die Erwähnung der ganz besonderen Spezies von Konzert- und Opern-Besuchern, die nach dem Ende blitzartig aufspringen und sich an allen Applaudierenden vorbeidrängen, um die allerersten an der Garderobe und am Ausgang zu sein. :no:

    Der Traum ist aus, allein die Nacht noch nicht.

  • Sehr schön fand ich die Erwähnung der ganz besonderen Spezies von Konzert- und Opern-Besuchern, die nach dem Ende blitzartig aufspringen und sich an allen Applaudierenden vorbeidrängen, um die allerersten an der Garderobe und am Ausgang zu sein. :no:


    Eigentlich noch harmlos. - Ich habe es häufig und inzwischen auch in der Elbphilharmonie - auf welche sich der genannte Artikel ja auch bezieht - erlebt, dass Leute z.B. noch während des letzten Satzes einer Symphonie den Saal verlassen; vermutlich müssen sie noch einen Bus oder eine Bahn erwischen. Dass sind dann nach meinem Beobachten jedoch nicht unbedingt Neulinge, sondern eher älteres Abonnements-Publikum ...
    Problematisch finde ich übrigens nicht einmal unbedingt das Klatschen an sich (z.B. zwischen den Sätzen einer Symphonie, auch, wenn ich persönlich bei noch so großer Begeisterung davon absehen würde), sondern die gestörte Atmosphäre aufgrund Situation, die entsteht, wenn einige mehr unsicher, als begeistert applaudieren, während andere dann maßregelnd Zischen - ist dann kein Fisch und kein Fleisch!

    mfG Michael


    Eine Meinungsäußerung ist noch kein Diskurs, eine Behauptung noch kein Argument und ein Argument noch kein Beweis.

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  • Heute fand ich einen lesenswerten Artikel im Hamburger Abendblatt


    Hab´ besten Dank, lieber Joseph II, für Deinen Hinweis, das war sehr informativ!


    Interessant fand ich in der Zeitung den Beitrag von Frank Heubach, der drastisch aufzeigt, wie es weitergehen könnte ...
    Aber auch die Aussage von Jeffrey Tate ist sehr gut, weil er seine Position nachvollziehbar begründet.

  • Dieses Statement hat mir gefallen:


    Peter Wigandt, Leser:


    Viele Menschen sind heute immer weniger bereit, persönliche Befindlichkeiten einem höheren Wert unterzuordnen, hier z. B. dem inneren Zusammenhang einer Komposition sowie dem vertieften Genießen vieler Zuhörer, wenn man selber doch gerne klatschen möchte. Um aber Genuss und Kultur auf einem hohen Niveau zu erhalten und zu pflegen, ist es auch notwendig, sich gelegentlich Zügel anzulegen. Das gilt für alle Bereiche. Heute wird Zügellosigkeit oft als (vermeintliche) Freiheit gefeiert, und Disziplin, ohne die Freiheit auf Dauer nicht möglich ist, verpönt.


    Deswegen (wegen des von mir Gesperrten) werden die Trumps und Erdogans und Orbans heute schließlich gewählt. Es hat musikgeschichtlich alles gegeben - es wurde mitten in die Stücke hineingeklatscht usw. Dahinter steht dann aber eine Auffassung von Aufführung, welche Kunst als Event und Unterhaltung betrachtet. Im Zirkus klatscht man auch, während der Artist am Seil hängt. Da hat die Romantik doch Maßstäbe gesetzt, dass ein Werk in seiner Geschlossenheit zu hören sein soll und das zu respektieren ist. Wie zuletzt in der Oper habe ich auch nichts dagegen, dass nach den Arien geklatscht wird, weil das Oper ist und die Szene/Arie eine selbständige Sinneinheit. Man stelle sich aber nun mal vor, jemand spielt die 24 Preludes von Chopin und geklatscht wird nach jedem einzelnen Stück. Da würde wohl so mancher Pianist nach 10 Stücken entnervt den Saal verlassen. Man kann sicher auch mal spontan klatschen, wenn etwas besonders gelungen ist. Aber das sollte nicht zur Regel werden. Die Frage ist dann nämlich auch, wenn in Bezug auf den Beifall alles erlaubt ist, warum dann nicht ebenfalls für die Mißfallensbekundungen, das Buh-Rufen? Die Gefahr ist dann durchaus real, dass wegen solcher Exzesse viele ernsthafte Musikfreunde das Konzert meiden werden und Musik ungestört zuhause von der CD hören.


    Schöne Grüße
    Holger

  • Zwar nicht sehr charmant, aber leider stimmt es. Dazu versucht die Dame auch noch, auf locker, jugendlich und ausgeflippt zu machen. "Man merkt die Absicht und ist verstimmt".


    Was genau disqualifiziert Frau Kermes jetzt mehr, ihre Meinung äußern zu dürfen, als die im Artikel zitierten "Krethi und Plethi"-Leser, wie insbesondere den religiös verbrämten Herrn Schulze?

    mfG Michael


    Eine Meinungsäußerung ist noch kein Diskurs, eine Behauptung noch kein Argument und ein Argument noch kein Beweis.

  • Zwar nicht sehr charmant, aber leider stimmt es. Dazu versucht die Dame auch noch, auf locker, jugendlich und ausgeflippt zu machen. "Man merkt die Absicht und ist verstimmt".


    Herzlichst
    Operus

    Man merkt vor allem, dass die Stimme längst so hinüber ist, dass sie ohne den "Kermes"-Faktor gar nicht mehr auftreten dürfte, auch nie so berühmt geworden wäre. Außerdem erzählt sie in jedem Interview drei Mal, dass sie nicht an die Zukunft der Oper glaubt. Vielleicht nicht für sie...


    Die Meinung von Sängern aus dem "normalen" Opern- und Konzertbetrieb wäre da mindestens genauso interessant gewesen, aber das hätte wohl nicht ins Konzept gepasst...

    Beste Grüße vom "Stimmenliebhaber"

  • Die Meinung von Sängern aus dem "normalen" Opern- und Konzertbetrieb wäre da mindestens genauso interessant gewesen, aber das hätte wohl nicht ins Konzept gepasst...


    Ich denke, die Idee des Artikels war es, anläßlich der vielen Konzert-Neulinge, die jetzt die Elbphilharmonie besuchen, ein kleines Schlaglicht auf das "Klatsch-Problem" zu werfen. - Es ging hier nicht um eine wissenschaftliche Feldstudie! Oder wird hier gar Zensur vermutet ?( Ansonsten vielleicht mal ein bisschen herunterfahren und zur Abwechselung etwas lesen:


    mfG Michael


    Eine Meinungsäußerung ist noch kein Diskurs, eine Behauptung noch kein Argument und ein Argument noch kein Beweis.

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