Sergei Prokofjew: Alexander Newski op. 78

  • Die Kategorisierung dieses großartigen Werkes fällt schwer. Ursprünglich handelte es sich um die Filmmusik zum gleichnamigen Film von Sergei Eisenstein von 1938. Im Jahr darauf arbeitete Prokofjew diese um zur Kantate Alexander Newski op. 78 für Mezzosopran, Chor und Orchester. Es handelt sich um eines der wenigen Beispiele, wo sich Filmmusik einen dauerhaften Platz im Standardrepertoire sichern konnte, was sicherlich zu einem ganz erheblichen Teil an der herausragenden Qualität der Komposition liegt. Ein Großteil der verwendeten Texte stammt von Wladimir Lugowskoj.


    Einige Worte zum historischen Hintergrund: 1241 fällt eine Streitmacht des Livländischen Ordens (eine Vereinigung aus Deutschem Orden und Schwertbrüderorden) ins Territorium der Republik Nowgorod ein und erobert die Stadt Pskow. Fürst Alexander Newski mobilisiert die Rus und es gelingt ihm, die Kreuzfahrer am 5. April 1242 in der berühmten Schlacht auf dem Eise (bzw. Schlacht auf dem Peipussee) zurückzuschlagen. Triumphal zieht Newsi schließlich in Pskow als Sieger ein.


    Die Kantate unterteilt sich in sieben Teile:


    1. Russland unter dem Mongolenjoch
    2. Das Lied von Alexander Newski
    3. Die Kreuzfahrer in Pskow
    4. Erhebt euch, ihr Russen!
    5. Die Schlacht auf dem Eise
    6. Das Feld der Toten
    7. Alexanders Einzug in Pskow


    Der Beginn ist von einem desolaten Tonfall geprägt und charakterisiert das von den mongolischen Tataren geplagte Russland um die Mitte des 13. Jahrhunderts. Im zweiten Bild erinnert man sich der Heldentaten des Alexander Newski, der bereits 1240 die Schweden am Fluss Newa besiegte (daher sein Beiname). Die nächste Szene schildert harsch und düster den Einfall der Deutschordensritter, unterlegt mit einem grotesk anmutenden lateinischen Text: Peregrinus expectavi pedes meos in cymbalis (wörtlich: Ein Pilger, erwartete ich meine Füße mit Zimbeln bedeckt). Schließlich erheben sich die Russen und stellen sich zur Schlacht auf dem Eise, welche in der Schlüsselszene des Werkes dann erfolgt und in einem verlustreichen Sieg der Russen endet. Im anschließenden Feld der Toten sucht eine Frau verzweifelt nach ihrem Geliebten, der sein Leben für Russland gab. Sie preist seine Tapferkeit. Zuletzt erfolgt Alexanders Einzug in Pskow, wo das Lied zu seinem Lob wiederum zitiert wird.


    An Aufnahmen herrscht kein Mangel. Darunter: Samuil Samossud (1947), Eugene Ormandy (1949 und 1972), Fritz Reiner (1959), Jewgeni Swetlanow (1966 und 1988), Leopold Stokowski (1970), André Previn (1971 und 1987), Claudio Abbado (1980), Charles Dutoit (1992) und Valery Gergiev (2002). Vieles ist allerdings derzeit leider vergriffen und nur mit etwas Mühe zu beschaffen. Die idiomatischste Aufnahme dürfte (mal wieder) Swetlanow mit dem Staatlichen Symphonieorchester der UdSSR sein (die spätere ist mit dem Philharmonia Orchestra), der Klassiker im Westen wohl Reiners legendäre Einspielung für RCA Victor. Temirkanow machte 1993 zudem eine vollständige Einspielung der Filmmusik.





    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões


  • Nach einigem vergleichenden Hören stellt sich die Einspielung von Jewgeni Swetlanow mit dem Staatlichen Symphonieorchester der UdSSR von 1966 als meine Referenz heraus. Hierzu trägt nicht zuletzt der spezifische sowjetische Orchesterklang bei, was gepaart mit dem idiomatischen Chor und dem superben Dirigat und nicht zuletzt dem sehr guten Stereoklang für mich den Spitzenreiter ausmacht (Stereokanäle hier allerdings vertauscht). Unerbittlicher wurde die Schlacht wohl nicht eingespielt. Auch die lyrischen Stellen (die letzte Minute der Schlacht!) geraten famos und werden in spätromantischer Pracht präsentiert.



    Gleich dahinter sehe ich die ebenfalls slawische Aufnahme von Karel Ancerl mit der Tschechischen Philharmonie von 1962. Ancerl ringt dem Orchester teilweise Details ab, die man so nirgendwo hört. Der Prager Philharmonische Chor meistert seine Aufgaben perfekt. Die Tontechnik ist mehr als zufriedenstellend.



    Die womöglich gelungenste westliche Aufnahme stammt von Mstislaw Rostropowitsch mit dem London Symphony Orchestra von 1991, der sich mehr Zeit nimmt und weniger das Harsche als vielmehr die Schönheit der Partitur hervorhebt.


    Bychkov mit dem Orchestre de Paris (1991) und Slatkin mit dem St. Louis Symphony Orchestra (1979) haben ebenfalls ihre Meriten. Previn mit dem Los Angeles Philharmonic (1986) ist nicht mehr als gediegen. Gergiev mit dem Kirov Orchestra (2002) bleibt auch nur im oberen Mittelfeld; die Tontechnik von Philips zudem enttäuschend. Stokowski mit dem Niederländischen Rundfunkorchester (1970) an sich interessant, aber hier zu gehetzt.



    Quasi außer Konkurrenz läuft die vollständige Einspielung der kompletten Filmmusik durch Juri Temirkanow mit den Sankt Petersburger Philharmonikern. Damals (1993) klangen diese noch richtig sowjetisch geprägt, so dass es keinerlei Einschränkungen beim Orchesterklang gibt. Eine der besten Aufnahmen dieses ein wenig verkannten Dirigenten! Noch dazu wunderbar eingefangen. Besonders die Szene, wo das Eis bricht und die in der Kantate fehlt, sorgt hier für Gänsehaut: Ein regelrechtes Paukeninferno, an dem teleton seine Freude hätte. :thumbsup:

    »Und besser ist's: verdienen und nicht haben,

    Als zu besitzen unverdiente Gaben.«

    – Luís de Camões