Beethoven - leidenschaftlich: Klaviersonate Nr 23 in f-moll-op. 57 "Appassionata" - CD-Rezensionen und Vergleiche (2014)

  • Lieber Hans,


    ja, den gibt es. Ich habe keine einzige Aufnahme von Fazil Say und will erst mal mit meinen bisherigen Aufnahmen nennenswert weiterkommen. Ich habe zur Zeit 1580 Sonaten-Aufnahmen, davon alleine 80 mal die Appassionata. Aber ich habe natürlich Fazil Say nicht aus dem Auge verloren. Mal schauen, was die nähere Zukunft bringt. :D


    Liebe Grüße


    Willi :)

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

  • Hallo Willi,


    die Appassionata habe ich zum ersten Mal von einem privaten Pianisten gehört, der Teile des Stücks zu Aufnahmetestzwecken mehrfach einspielte und mir zur Beurteilung gab.


    Hier ging es um technische Details bei den unterschiedlichen Aufnahmegeräten, nebenbei wurde mir die Appassionata aber immer vertrauter.


    Als ich dann käufliche CD Aufnahmen im Vergleich hatte, ist mir sehr deutlich vor Augen (oder waren es die Ohren?) geführt worden, mit was für einer künstlerischen Qualität wir im Normalfall handieren als wäre es das Selbstverständlichste der Welt.


    Will damit sagen, selbst Aufnahmen, die uns weniger gut gefallen, haben ja ein sehr sehr hohes Niveau.


    Und trotz dieser künstlerischen Topleistungen sind das dann die "Verlierer".


    Das ist schon irgendwie grotesk, oder?



    Aber zu deiner Frage:


    Auch bei Fazil Say - als Vertreter für die jüngere Generation - ist mir der Flügel zu dunkel abgestimmt. Upsss, nach Absenden sehe ich, daß er gerade erwähnt worden ist.


    Dann habe ich mir noch Carol Rosenberger für eine weibliche Interpretin geschnappt, die ist mir zu bedächtig, es fehlt die Energie und das Temperament.


    S. Richter bleibt hier die Meßlatte für mich.

  • Lieber Willi


    Dir als sicher profundesten Beethovenkenner des Forums möchte ich doch Say ans Herz legen.Wenn du magst,sieh Dir bei Youtube das C Moll Konzert an.Eine der spannendsten Interpretationen.Das gilt auch für die Wiedergabe der Sonaten


    Schöne Grüße


    Hans

  • Zu viel der Ehre, lieber Hans, aber du hast insofern Recht, dass ich das vorhaben mit Fazil Say nicht mehr auf die lange Bank schieben sollte, zumal ich Ende September alle aktuellen Erinnerungsberichte für das ganze Jahr fertig ahbe und nach vorsichtiger Schätzung pro Tag 2 bis 3 Stunden mehr Zeit habe. Um so mehr kann ich mich dann um die Sonaten kümmern. navh meiner Recherche gibt es zur Zeit von Fazil Say folgende Beethoven-Sonaten, verteilt auf zwei CD's:


    Nr. 14, 17, 21, 23 und 32:



    Ich habe sie beide bestellt, allerdings am Marketplace, da sind sie wesentlich günstiger. Die Appassionata scheint ja unglaublich zu sein, er ist da zeitlich praktisch gleich mit Berman (1962) und Richter (1953). Nur klanglich sind das weitaus bessere Aufnahmen, auch die Arietta, grandios. Ich freue mich schon darauf und werde, wenn die CD's angekommen sein werden, die Appassionata dazwischen schieben.


    Liebe Grüße


    Willi :)

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).


  • Beethoven, Sonate Nr. 23 f-moll op. 57 "Appassionata"
    Fazil Say, Klavier
    AD: Juni 2005
    Spielzeiten: 8:55-5:33-6:46 --- 21:14 min.;


    Fazil Say ist temporal im Kopfsatz noch etwas schneller als Emil Gilels 1951 und Lazar Berman 1962, allerdings bei weitem nicht so schnell wie Friedrich Gulda 1967. Dynamisch legt auch er eine enorme Spannweite vor, vom tiefen pp in Takt 1 bis hin zu einem markerschütternden ff in den Takten 17, 20 und 22.
    Nach einer luziden modulierenden Überleitung spielt er das Dolce-Seitenthema doch sehr zügig und setzt auch das Crescendo (Takt 399 schon zwei Takte früher. Das habe ich schon ganz anders gehört.
    Die Trillertreppe ab Takt 44 mit dem nachfolgenden Achtelabstieg spielt er dann wiederetwas verhaltener.
    Den Schlusssatz mit der neuerlichen Überleitung mit dem variierten Klopfmotiv spielt der dann wieder mit gehörigem dynamischen Impetus und pianistisch auf höchstem Niveau. Auch die Durchführung mit ihrem tastenden ersten Teil, pp beginnend mit maßvollen dynamischen Akzenten auf den Trillern Takt 71, 73, der mir sehr gut gefällt, ebenso wie der nachfolgende Basslauf, ab Takt 79, der dann wieder zur Überleitung ab Takt 93 führt.
    Ab Takt 110 mit Auftakt spielt er die Durchführung des Seitenthemas, das Beethoven hier gleichsam zerlegt, was er sehr ansprechend spielt, aber m. E. nicht an den dramatischen Furor heranreicht, den Richter 1959 im Prager Rudolfinum entfesselt.
    In der Überleitung zur Reprise ab Takt 130 lässt er die Bässe mächtig dröhnen, ebenso wie in der Reprise in den Takten 152 und 155, während er sie in den Takten 157, 159 und 161 schon wieder zurücknimmt und langsam zum Seitenthema überleitet.
    In der hohen Lage lässt er es auch sehr rasch zerfleddern, was mir hier noch etwas besser gefällt als zuvor in der Exposition.
    Auch die anschließenden Triolenketten und Arpeggien spielt Say glänzend, ebenso wie das die Reprise abschließende und zur Coda überleitende Ritartando.
    Die Coda selbst spielt er m. E. großartig mit einem beeindruckenden Morendo-Schluss in den letzten 6 Takten.


    Im Andante ist er temporal bei Gulda und Berman, also schneller als Richter und Gilels. Im Thema beginnt er dynamisch sehr verhalten und spielt auch das Sforzando in Takt 5 erst in der Wiederholung, warum, erschließt sich mir nicht. Auch im zweiten Thementeil kann ich eine dynamische Ungenauigkeit ausmachen. Hier betont er zwar den Takt 10 richtig, setzt aber dann das Crescendo schon in Takt 11 an, statt in Takt 13.
    Im ersten Teil der ersten Variation begegnet mir eine rhythmische Variante, die sich mir nicht erschließt. Hier spielt er alle Achtelakkorde im Diskant staccato, obwohl weit und breit keines verzeichnet ist. Allerdings erstreckt sich diese Unart auch auf den zweiten Teil (Takt 25 bis 32).
    In der zweiten Variation hat der große Meister selbst ein "P" davorgesetzt, indem er diese Variation mit "sempre ligato" überschrieben hat, und also spielt Say es tatsächlich auch so. Schon ist der fließende Charakter des Stückes wieder hergestellt.
    In der letzten, der Zweiunddreißigstel-Variation, drückt Fazil Say m. E. mächtig aufs Tempo. Ich hätte es, eine Spur langsamer, passender gefunden. Auch kommt dadurch m. E. ab Takt 77 kein großes Crescendo mit Zielpunkt Fortissimo in Takt 79 sowie kein besonders deutliches Diminuendo in Takt 80 zu Stande, sondern es bewegt sich m. E. zwischen mp/mf und p. Im abschließenden Thema betont er wieder so wie in den Takten 11 bis 13, also vorgezogenes Crescendo.


    Im Finale spielt er keinesfalls "Allegro, ma non troppo", sondern m. E. schon "presto".. Wie will er das denn am Schluss noch steigern, wenn wirklich "Presto" angesagt ist? So braucht er bis Takt 118 "la seconda parte due volte" gerade mal 1:18 min- welche seltsame Zahlenübereinstimmung!
    Allerdings ist die Atempause ab Takt 184 mit den Achteltriolen nach dieser Tempohatz um so bemerkenswerter.
    Ein weiterer Punkt: in so einem Temporausch geht natürlich ein Rinforzando wie hier in Takt 226 gnadenlos unter. Das klingt natürlich alles höchst eindrucksvoll, aber viele dynamische Bögen fallen dadurch auch unter den Tisch, z. B. zu Beginn der seconda parte, wo er die drei Subitofortepiani nur als Sforzandi spielt, als hernach dynamisch nicht zurückgeht.
    Zumindest hält er sich aber dergestalt an die Partitur, dass er la seconda parte auch wiederholt.
    Wie ich mir schon gedacht habe, kann er im Presto temporal gar nicht mehr steigern. Eher ist er sogar ein Ideechen langsamer.
    Hätte er eine Minute länger gebraucht, wäre es immer noch schnell genug gewesen, aber, wenn ein Presto nur um die Hälfte schneller wäre als ein Allegro, ma non troppo, wäre es schon unspielbar gewesen.


    Hier hat Fazil Say, wie ich finde, ohne Not eine höchst fragwürdige Tempoentscheidung getroffen.


    Liebe Grüße


    Willi :thumbsup::thumbsup::thumbsup:

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

  • Banner Trailer Gelbe Rose
  • Lieber Willi


    Sehr interessant, Deine Wahrnehmung von Say zu lesen. Er ist sicher ein hochgradiger Bauch- Musiker, dem die Texttreue kein besonders hoher Wert ist.
    Sehr interessant deswegen, weil ich seine Beethoven – Interpretationen auf nur auf der Gefühlsebene empfinde und Say deswegen so schätze, weil er der Leidenschaftlichkeit von Beethoven zu nahe kommt.


    Schöne Grüße aus dem kalten Osten


    Hans

  • Da hast du vollkommen Recht, lieber Hans, so sehe ich ihn auch, er lässt sich wirklich von Beethoven mitreißen, aber da ich so viele zu vergleichen habe, muss ich mich an eine Richtschnur halten, und das ist die Partitur. Sonst kann ich nicht vergleichen. Übrigens werde ich morgen Fazil Says Lesart der Waldstein-Sonate besprechen. Vielleicht stellt sich da schon alles anders dar.


    Liebe Grüße


    Willi :)

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

  • Da hast du vollkommen Recht, lieber Hans, so sehe ich ihn auch, er lässt sich wirklich von Beethoven mitreißen, aber da ich so viele zu vergleichen habe, muss ich mich an eine Richtschnur halten, und das ist die Partitur.

    Lieber Willi,


    Fazil Say kenne ich bislang nur aus dem Fernsehen und da wirkte er mich eher wie ein "Paradiesvogel". Die Aufnahmen von ihm müßte ich hören, um dazu etwas zu sagen. :hello:


    Herzlich grüßend
    Holger

  • Zitat

    Die Aufnahmen von ihm müßte ich hören, um dazu etwas zu sagen. :hello:


    Schau mal in deinen Briefkasten!


    Liebe Grüße


    Willi :)

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

  • Banner Trailer Gelbe Rose
  • Tamino Beethoven_Moedling Banner

  • Gestern hörte ich den Kopfsatz, heute frisch am Morgen beginne ich mit dem langsamen Variationssatz. Wunderbar ausphrasiert und ausgesungen ist das Variationsthema – und er hat einen schönen Klavierton, denke ich. Das Crescendo am Schluss wird zwar etwas sehr aufgebauscht zu einem großen dynamisch-dramatischen Aufschwung. Das ist zwar etwas Beethoven mit Musikdramatik à la Richard Wagner aufgeladen, aber so kann man es durchaus machen – wenn man allerdings konsequent diesen Ansatz weiter verfolgt. Genau das passiert aber nicht. Denn Konsequenzlogik, „Denken“ und nicht nur „Fühlen“, ist die Sache von Fazil Say nicht. Da wird plötzlich die Variation statt im Legato des Themas anzuschließen kontrastierend im Staccato gespielt, so als handelte es sich bei diesem Satz um ein Scherzo mit kontrastierendem Trio. Entsprechend ist dann bei ihm die geschwinde Schlussvariation wieder Legato. Da ist einfach vom Sinn für formale Zusammenhänge nichts vorhanden. Hier spielt offenbar ein mit Fantasie begabter Bauchmusiker, der zudem deutlich hörbar in Glenn Gould-Manier seine „Arbeit“ am Instrument mit Brummen und Ächzen begleitet. Der Kopfsatz ist gewiss nicht schlecht, aber auch hier geht ihm der Sinn für das „Syntaktische“ ab, was ein klassisches „Thema“ letztlich bedeutet. Es reicht eben nicht, die Fortissimo-Akkorde des Hauptthemas nur laut in den Flügel zu knallen. Auch sie besitzen Struktur und Substanz. Das Seitenthema gerät konturlos leicht; hier fehlt wiederum das Gewicht eines profilierten Themas mit eigenem, kontrastierendem Charakter. Fazil Say spielt in diesem Satz mit emotionaler Aufladung Bewegungen, aber ohne die „Dialektik“ von Spiel und Gegenspiel, von Kontrastierungen, die ein Sonatensatz-Drama ausmachen. Und das Finale ist natürlich viel zu geschwind im Presto statt Allegro ma non troppo (auf Deutsch: „schnell, aber nicht zu viel“) genommen. Richter und Berman steigern sich da freilich auch nicht notentexttreu in einen Presto-Rausch, aber anders als bei den beiden Russen fehlt bei Say die explosive, dramatische Hochspannung. Und es ist nun mal so, wer zu früh sein Pulver verschossen hat, der hat auch keines mehr im Rohr, wenn er feuern soll, wo er tatsächlich soll. Die Presto-Coda ist in Relation zum Vorherigen zwangsläufig zu langsam, verliert wegen des überschnellen, nicht mehr zu beschleunigenden Tempos zuvor ihre Wirkung der finalen Steigerung auf einen dynamischen Höhepunkt hin. Fazil Say zeigt mit seiner „Appassionata“, dass er ein Virtuose ist, der zweifellos Klavier spielen kann. Aber für mich bestätigt er damit, was ich von ihm bisher gehalten habe: Hier tobt sich ein bunter Paradiesvogel in der Klavier-Szene virtuos und durchaus musikalisch aus!


    Schöne Grüße
    Holger

  • Auch für diesen Beitrag möchte ich mich bedanken, wohl feststellend, dass wir auch hier wieder in Vielem übereinstimmen, auch in der Beurteilung der Lesart Richters und Bermans im Finale.


    Liebe Grüße


    Willi :)

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).


  • Beethoven, Sonate Nr. 23 f-moll op. 57 "Appassionata"
    Herbert Schuch, Klavier
    AD: 27. 5. 2006
    Spielzeiten: 9:10-6:41-7:39 --- 23:30 min.;


    Zum Vergleich habe ich Richter und Rubinstein herangezogen, gegen die man sich erst mal behaupten muss:
    Herbert Schuch spielt den Hauptsatz aus tiefem Pianissimo heraus. Dabei fällt mir eine rhythmische Eigenheit auf, die ich sonst nicht so oft gehört zu haben glaube: Er spielt die letzte Viertel des Themas in Takt 4 auf der Eins und in Takt 8 auf der Eins staccato. In den Trillertakten ab Takt 9 akzentuiert er deutlich und schärft den Klang und im "a tempo" Takt 14 mit Auftakt spielt er ein kraftvolles Forte.
    Die ersten drei ff-Takte 17, 20 und 22 erreichen m. E. bei weitem nicht den dynamisch-dramatischen Furor Richters 1953 und Rubinsteins oder Solomons etwa zur gleichen Zeit entstandenen Aufnahme.
    Die modulierende Überleitung spielt er allerdings mit ganz feiner Klinge, und das kurze Seitenthema zeigt, dass ihm das Lyrische nicht fern liegt. Auch die Achtelabwärtsbewegung nach dem Seitenthema spielt er sehr anrührend.
    In der Schlussgruppe hat er allerdings die vorgeschriebenen Dynamikstufe voll und ganz erreicht und descrescendiert am Ende der neuerlichen Überleitung in Takt 64 sehr aufmerksam.
    Warum er allerdings im 2. Takt der Durchführung (Takt 66) deutlich die Lautstärke anhebt (etwa vom vorgeschriebenen pp zum Mezzopiano), erschließt sich mir nicht.
    In Takt 70 auf der Eins spielt er die Viertel wieder wie in Takt 4 und 8 staccato, diesmal allerdings die zweite Stelle in Takt 72 auf der 1 nicht. Die folgenden Takte spielt er dynamisch sehr moderat, wobei er den Akzente in Takt 73 kaum wahrnimmt, dafür in Takt 76 akzentuiert, wo kein Akzent vorgesehen ist.
    In dem Basslauf des 1. Satzes Takt 79 bis 82 und der anschließenden Überleitung (entspr. Takt 25 bis 35) nutzt er allerdings die dynamischen Spielräume aus. Auch die weitere Überleitung zum neuerlichen lyrischen Seitenthema spielt er dynamisch sehr aufmerksam, und das sich schnell zerlegende Seitenthema über die Sechzehntelarpeggien dynamisch sehr drängend und pianistisch sehr virtuos, wie aus einem Guss, desgleichen die hochdynamische Überleitung zur Reprise.
    Auch die beginnende Reprise, entsprechend dem ersten Teil des Hauptsatzes, gefällt mir sehr gut.
    Allerdings muss ich feststellen, dass er, wie aber auch schon andere Pianisten vor ihm, die nunmehr fünf ff-Takte mit den aufsteigenden Vierteln (Takt 151 bis 161) von Takt zu Takt terrassendynamisch etwas zurückführt. Die Notwendigkeit dafür ist mir schon früher nicht aufgegangen.
    Die modulierende Überleitung (ab Takt 163 spielt er allerdings wieder ausgezeichnet. Das neuerliche Seitenthema mit Trillertreppe und Achtelabstieg (Takt 174 bis 189) mit Schlusssatz und neuerlicher Überleitung stellt mich wieder sehr zufrieden. Auch das wiederkehrende und dynamisch-temporalen Furor spielt er sehr überzeugend, auch die hochvirtuose Sechzehntelpassage ab Takt 218 im sempre ff und die wunderbaren Arpeggien Takt 227 bis 234, zumal er diese unglaubliche Passage mit einem überragenden Ritartando abschließt und eine feurige Coda anschließt, die er zum Schluss in einem atemberaubenden Morendo versinken lässt.
    Dieser Kopfsatz, in dem sich meine Einwände fast wie Erbsenzählerei ausnehmen, zeigt, dass sich Herbert Schuch auf dem richtigen Weg befindet.


    Schon in den ersten Takten des göttlichen Andante con moto verstärkt sich dieser mein Eindruck. Schon im achttaktigen ersten Thementeil lässt er das Subitofortepiano in Takt 5 auf der Zwei wie einen Leuchtturm aus dem Thema hervor steigen. Und so ganz allmählich komme ich auch hinter seine rhythmischen Überlegungen. Er trennt ganz stark zwischen Non Legato und Legato, was ja, wenn man sich das Notenbild anschaut, auch Sinn macht. Denn im Thema und in der ersten Variation sind nur ganz seltene Legatobögen anzutreffen, zumal hauptsächlich im Tiefbass der Begleitung. Ich habe mir da kaum Gedanken drüber gemacht, solange das alles gebunden bzw. non staccato gespielt wurde.
    In der ersten Variation fällt mir wieder etwas auf, nämlich dass er sie gegenüber dem Thema im tiefen Pianissimo spielt.
    Auf diese Weise wirkt die zweite Hälfte der ersten Variation mit dem Crescendo in Takt 25 und dem Forte in Takt 29ff. fast wie ein Sonnenaufgang.
    Die zweite Variation modifiziert er wiederum etwas gegenüber der Partitur, und wieder mit Sinn. Er setzt die Wiederholung dynamisch kaum merklich herauf, verschafft diesem luziden Satz also zusätzlich dynamische Bewegung. Im zweiten Teil der zweiten Variation spielt er die dynamischen Akzente wiederum im Rahmen einer Gesamtentwicklung über den ganzen Satz hinweg, nämlich vom ganz Leisen langsam zum Stärkeren. Das verlangt viel Übersicht, die er offensichtlich besitzt.
    Die dritte Variation ist dynamisch naturgemäß der Höhepunkt dieses Satzes. Auch das stellt er ganz organisch dar. Auch hier bleibt der Puls und die Ruhe des ganzen Satzes völlig erhalten, eine Eigenschaft, die er offensichtlich bei seinem Lehrer Alfred Brendel gelernt hat. Ohne allzu große dynamische Ausschläge nach oben und unten und in einem vorbildlichen Fluss hat er diesen Satz gestaltet, einschließlich des ab schließenden Themas, dass ich in seiner Schlichtheit und seinem Ausdruck sicherlich zu den Bemerkenswertesten zählen darf, die ich bisher gehört habe (dies ist Nr. 73).


    Im abschließenden Allegro ma non troppo verfällt Herbert Schuch nicht in den Fehler, auf Teufel komm heraus nun einen temporalen Ritt über den Bodensee zu versuchen. Er ist langsamer als der frühe Rubinstein und der frühe Richter und stattdessen temproal bei dem späten Gilels und dem späteren Rubinstein. Er ist also temporal in bester Gesellschaft.
    Dynamisch hebt er moderat an. Er lässt auch die Sechzehntel nach dem einsetzenden Diminuendo Takt 18 ruhig laufen. Im Mitteil vom ersten Abschnitt zeichnet er die dynamischen Akzentwellen (Takt 64 bis 72) aufmerksam nach. Ab dem Crescendo in Takt 74 steigert er sich dynamisch kontinuierlich und erreicht in den terrassenförmigen Sforzandoakkorden ab Takt 99 mit Auftakt ein sattes Fortissimo, dass ihn über das unglaublich Diminuendo ab Takt 116 in "La seconda parte" führt, in dem alsbald die dynamischen Wellen höher schlagen.
    Diesem gesteigerten dynamischen (aber auch rhythmischen) Impetus trägt Herbert Schuch aufmerksam Rechnung. In "la seconda parte" spielt er den hochdynamischen Kern (nach art einer Durchführung) sehr gekonnt und spielt anschließend nach diesem hochdynamischen und -temporalen Mittelabschnitt eine wunderbare Atempause (Takt 184 bis210).
    Im reprisenförmigen Abschnitt ab Takt 212 spielt er das Thema auch mit den leicht geänderten musikalischen Figuren aufmerksam weiter, wobei er die dynamischen Verläufe weiter sehr aufmerksam beachtet. Gegen Ende von "la seconda parte" beschleunigt Herbert Schuch kaum merklich und wiederholt dann selbstverständlich la seconda parte.
    Insgesamt glaube ich, dass er das Tempo insgesamt in der Wiederholung von "la seconda parte" etwas anhebt, Und am Beginn des Presto erlebt man einen großen und entscheidenden Unterschied im temporalen Interpretationsplan zwischen dem zuletzt von mir besprochenen Fazil Say und Herbert Schuch. Der eine hat die Tempovorgaben Beethovens ernstgenommen, der andere nicht, und m. E. spielt Herbert Schuch das Presto grandios (und nach Ansicht des Publikums auch).


    Eine grandiose Einspielung!


    Liebe Grüße


    Willi :thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup::thumbsup:

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).