Johannes Brahms. Seine Lieder, gehört und betrachtet im Bemühen, ihr Wesen zu erfassen

  • Da kannst Du Dich gleich nochmal freuen, denn ich wollte mich ähnlich dazu äußern ...
    Vielleicht hört man bei Dieskau heraus, dass er dem Jugendwerk keine so große Bedeutung beigemessen hat.

  • Und ob ich das tue, lieber hart. Dass es erstmals Stellungnahmen gibt zu dem, was ich hier zu den Liedern ausführe, ist für mich wie ein Weihnachtsgeschenk.


    Deine Bemerkung "Vielleicht hört man bei Dieskau heraus, dass er dem Jugendwerk keine so große Bedeutung beigemessen hat." nehme ich mal als Frage. Ich habe - weil ich gestern den Gedanken auch schon hatte - mal einen Hörvergleich zwischen der gesanglichen Interpretation des Liedes durch Dietrich Fischer-Dieskau (begleitet von Gerald Moore), Juliane Banse (begleitet von Helmut Deutsch) und Erna Berger (begleitet von Michael Raucheisen angestellt). Was sich dabei an Erkenntnissen eingestellt hat, möchte ich hier nicht näher ausführen. Den lyrischen-naiven Freude-Ton Reinicks vernimmt man bei Berger am deutlichsten. Sie leistet sich allerdings gesangliche Bögen und Portamenti, die wohl heutzutage nicht mehr akzeptabel sein dürften, Und die melodischen Bögen dieses Liedes kostet sie in geradezu exzessiver Weise aus und singt sogar dort welche, wo gar keine vorliegen, bei den Worten "so schön, so schön" zum Beispiel. Die Interpretation von Juliane Banse steht in starkem Kontrast dazu, mutete geradezu sachlich an.


    Was nun Fischer-Dieskau anbelangt, so vermag ich bei ihm nicht zu hören, dass er das Lied für nicht so ganz gelungen hält, - dies im Sinne einer gleichsam nachlässigen Interpretation desselben. Im Gegenteil: Seine Interpretation ist von den dreien eindeutig die differenzierteste. Bei dem gefährlichen, bis zum hohen "As" reichenden Bogen bei den Worten "in den blauen Himmel hinein" nimmt er sich in bemerkenswerter Weise zurück, führt das Ritardando nur sehr wenig aus. Und was mich vor allem beeindruckt hat: Das von Brahms vorgeschriebene - und auch höchst angebrachte! - Diminuendo und Piano bei dem so wiederholungsreichen Schlussteil ist bei ihm großartig ausgeführt. Diese jegliche Expressivität vermeidende, stimmlich in der Dynamik hochgradig differenzierte und abgestufte Interpretation der letzten zwölf Takte der melodischen Linie könnte - so denke - sehr wohl eine Schlussfolgerung aus seiner kritischen Haltung gegenüber diesen - ja nun tatsächlich exzessiven - Wiederholungen sein, die Brahms hier vornimmt.
    Ich halte sie, wie ich ja schon ausführte, im Unterschied zu Fischer-Dieskau nicht für in unangemessener Weise übertrieben. Die Liedkomposition reflektiert darin den Geist des lyrischen Textes.


    Aber vielleicht hörst Du das ja ganz anders, - mit den zweifellos feineren und geübteren Ohren für Liedgesang, als sie mir zur Verfügung stehen.

  • Wie die Wolke nach der Sonne
    Voll Verlangen irrt und bangt
    Und durchglüht von Himmelswonne
    Sterbend ihr am Busen hangt.


    Wie die Sonnenblume richtet
    Auf die Sonn´ ihr Angesicht
    Und nicht eh´r auf sie verzichtet
    Bis ihr eignes Auge bricht.


    Wie der Aar auf Wolkenpfade
    Sehnend steigt ins Himmelszelt
    Und berauscht vom Sonnenbade
    Blind zur Erde niederfällt:


    So auch muß ich schmachten, bangen,
    Spähn und trachten, dich zu sehn,
    Will an deinen Blicken hangen
    Und an ihrem Glanz vergehn.


    (August Heinrich Hoffmann von Fallersleben)


    Das Gedicht Hoffmann von Fallerslebens ist in seinen vier Strophen ganz auf die Aussage der letzten ausgerichtet. Drei Mal setzen sie mit der den Vergleich suchenden Partikel „wie“ ein, bis dann endlich das erlösende „so“ kommt. Alle lyrischen Bilder davor sind solche des Sehnens und Verlangens. In ihnen findet das lyrische Ich sich wieder, das ganz und gar in diesem schmachtenden Sich-Sehnen nach dem Du aufgeht und wie die Wolke vor der Sonne im Glanz der Blicke der Geliebten vergehen möchte.


    Der überaus eingängige Schmelz der Liedmusik auf diese Verse generiert sich aus der das Zentrum der lyrischen Aussage bildenden letzten Strophe. Mit seinen die melodische Linie der Singstimme begleitenden Sexten und Terzen ist er in der Tat so überwältigend, dass sich D. Fischer-Dieskau - wie so oft beim jungen Brahms – genötigt sieht, dem Lied kritisch eine gewisse Verliebtheit in die eigenen Klänge vorzuhalten. Aber wird es gerade darin nicht dem hochgradig schwärmerischen Gestus der lyrischen Sprache und dem Geist ihrer Bilder gerecht?


    Die Liedmusik, die als variiertes Strophenlied angelegt ist, in H-Dur als Grundtonart steht und einen Viervierteltakt aufweist, kulminiert in der letzten Strophe, indem sie, nach einer partiell in Moll gehaltenden Passage davor, in den Gestus ihres Anfangs zurückkehrt, diesen dann aber, bei der Wiederholung der Worte „und an ihrem Glanz vergehn“ sich langen Dehnungen der deklamatorischen Schritte überlassend, sich klanglich voll ausleben lässt. Das ist keine in sich selbst verliebte Liedmusik, es ist eine, die den aus dem Verliebt-Sein kommenden Gestus der schwärmerischen Exorbitanz ohne Scheu davor, klanglich selbst ins Schwärmen zu verfallen, ins adäquater Weise einfängt und vernehmlich werden lässt. Dieser Mut zum dem lyrischen Text gerecht werdenden klanglichen Schwärmen ist typisch für die liedkompositorische Grundhaltung von Brahms. Aus dieser heraus vermag er es auch, mit einer entsprechend affektiv aufgeladenen Liedmusik den existenziellen Grunderfahrungen Leid, Schmerz und Tod in liedmusikalisch voll überzeugender Weise gerecht zu werden.


    An der Liedmusik auf die ersten beiden Verse der ersten Strophe, der ja eine das Lied klanglich prägende Bedeutung zukommt, da die melodische Linie darin bei allen nachfolgenden Strophen wiederkehrt, lässt sich recht deutlich ausmachen, worin ihre so überwältigende Eingängigkeit gründet. Die melodische Linie beschreibt zweimal die gleiche Figur aus doppeltem Sekundanstieg und Sextfall. Den nachfolgenden deklamatorischen Schritten liegt im Grunde der gleiche Gestus zugrunde: Bei „voll Verlangen“ erfolgt der Anstieg im Sinne einer expressiven Aufgipfelung in Terzen, und bei „irrt und bangt“ kehrt die melodische Linie wieder zum Sekundanstieg zurück, nur dieses Mal ohne die Rhythmisierung durch die Dehnung am Anfang. Das Klavier folgt dieser Bewegung der melodischen Linie in Gestalt eines geradezu raffinierten Zusammenspiels von Bass und Diskant. In die Achtelpausen, die die Sexten und Terzen in ihrer Begleitung der deklamatorischen Schritte der Singstimme lassen, setzen sich im Bass zwei- und dreistimmige Akkorde, die ebenfalls der Singstimme folgen. Die ohnehin schon lieblich anmutende melodische Linie wird in ihrem klanglichen Charakter durch die Einbettung in diesen leicht rhythmisierten Klaviersatz ihren so überaus großen Zauber gesteigert.


    Bei dem zweiten Verspaar setzt sich dieser Zauber fort. Der melodische Sprung zu einem hohen „E“ bei „durchglüht“, der danach bei „Himmelswonne“ in eine vorübergehende Moll-Harmonisierung gebettet ist, wiederholt sich zu dem Wort „sterbend“ hin. Hierbei ereignet sich aber eine harmonische Rückung, und zusammen mit der Dehnung, die auf dem Quartfall liegt, bewirkt dies, dass das Wort einen starken Akzent erhält. Den verstärkt das Klavier, indem es aus hoher Lage fallende Terzen erklingen lässt. Auch das Wort „hangt“ am Ende dieser Melodiezeile wird durch einen höchst ausdruckstarken, weil wieder mit einem, mit einer Rückung (nach Fis-Dur) verbundenen gedehnten Sekundfall hervorgehoben. Das Klavier ist nun zu einer anderen klanglichen Figur übergegangen:Zwei in Sekundschritten ansteigende Terzen beschreiben einen Septfall. Diese Figur leitet auch das fünftaktige Zwischenspiel vor der Wiederholung dieser Liedmusik in der zweiten Strophe ein und geht dann in einen einfach Septfall von Terzen über. Eine Anmutung von Lieblichkeit und Wehmut zugleich ist ihr eigen.


    Die melodische Linie, die auf dem ersten Verspaar der dritten Strophe liegt („Wie der Aar auf Wolkenpfade…“), setzt mit den gleichen deklamatorischen Schritten ein, wie sie auch auf dem Anfang der ersten und der zweiten Strophe liegen, nur dass sie nun nicht in H-Dur, sondern in h-Moll harmonisiert sind. Schon bei „Wolkenpfade“ ereignet sich aber eine Rückung nach D-Dur, das dann über G-Dur nach A-Dur moduliert. Auch im weiteren Verlauf erinnert die melodische Linie an die des ersten Verspaares der vorangehenden Strophen. Nur die Kombination aus Quartsprung und Terzfall auf „Himmelszelt“ ist neu; sie dient als Überleitung zur Melodiezeile auf dem zweiten Verspaar. Auch hier sucht Brahms den melodischen Anklang an die ersten Verspaare der anderen Strophen: Die melodischen Schritte auf den Worten „und berauscht vom Sonnenbade“ sind den dortigen verwandt, nur dass sie jetzt in hoher tonaler Lage deklamiert werden. Bei den Worten „blind zur Erde niederfällt“ ereignet sich aber, bedingt durch die melodische Aussage, Neues, - freilich wieder klanglich Beeindruckendes: Auf einem hohen „G“ ansetzend, senkt sich die melodische Linie langsam in großen und kleinen Sekundschritten ab, wobei auf den Worten „nieder“ und „fällt“ Dehnungen liegen. Leichtes Chroma kommt hier in die Harmonik, in Gestalt von Modulationen im Moll-Bereich. Am Ende aber herrscht A-Dur vor.


    Die melodische Linie der letzten Strophe ist mit der der beiden ersten identisch, - bis auf die Wiederholung des letzten Verses. Der Klaviersatz ist aber ein anderer. Durchweg besteht er im Diskant – bis auf die Wiederholungspassage – aus der Abfolge einer Achtel-Figur: Aus einem bitonalen Akkord erfolgt der Fall eines Einzeltons. Bei den Worten „Und an ihrem Glanz vergehn“ ereignet sich aber der in hoher Lage ansetzende Fall von Terzen, den man aus der ersten Strophe bei dem Wort „sterbend“ erstmals vernommen hat. Bei der Wiederholung des letzten Verses entfaltet das Lied große Emphase, die deshalb so ausdrucksstark ist, weil sie aus der Ruhe heraus erfolgt. Bis zu dem Wort „ihrem“ hin verharrt die melodische Linie ausschließlich auf einem hohen „E“. Danach senkt sie sich, wiederum langsam, weil im Wert von halben Noten erfolgend, bei dem Wort „vergehn“ um eine Sekunde ab, um aber danach wieder zu dem hohen „E“ zurückzukehren und dort über das Taktende hinaus zu verharren. Das Klavier begleitet hier mit einer hell und lieblich wirkenden springhaft nach oben und unten sich ereignenden Folge von Terzen und Eizeltönen


    Damit ist das Lied aber noch nicht zu Ende. Nach einer Viertelpause deklamiert die Singstimme das Wort „vergehn“ noch einmal, nun aber auf einem „Gis“ in mittlerer Lage ansetzend und danach in einen Sekundfall mit langer nachfolgender Dehnung übergehend.. Damit verbunden ist eine die Liedmusik zur vollkommen Ruhe in einem doppelten H-Dur-Akkord führende Rückung von der Subdominante in die Tonika.

  • Von den Nachbetrachtungen, die ich früher bei meinen Liedbesprechungen anstellte, habe ich ja Abstand genommen. Vielleicht aber sollte ich, so denke ich gerade, die Gepflogenheit wieder aufgreifen, da und dort mal eine Notiz einzuschieben, in der sich niederschlägt, was einem alles so durch den Kopf geht und widerfährt, während man sich abmüht, die Faktur, die musikalische Aussage und das Wesen der einzelnen Lieder zu erfassen und ins Wort zu bringen.


    Eben klaubte ich, auf der Suche nach einem Werk über Brahms, das mir in meinen völlig unüberschaubar gewordenen Bücherregalen vielleicht entgangen sein könnte, ein uraltes, schmales und ziemlich verstaubtes Bändchen aus der Serie „Langewiesche-Bücherei“ heraus. Ich muss es in den sechziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts gekauft und wohl auch mal gelesen haben. Joseph Müller-Blattau ist der Verfasser dieser wenigen, gerade mal etwas über sechzig Seiten. Neugierig schlage ich das Büchlein auf, - und bin verblüfft über das, was ich da lese. Nicht nur, dass es von tiefer Kenntnis des Komponisten Brahms und seines Werkes zeugt, es weist auch eine höchst eigenständiges Urteil darüber auf.


    Und da lese ich nun, und das beschäftigt mich seitdem, die ersten Lied-Opera betreffend, an denen ich mich ja gerade abmühe:
    „In einigen Liedern aus op.3, op.6 und op.7 meldet sich deutlich Schumanns Einfluß, vor allem in den Eichendorff-Liedern.“
    Ja, denke ich, das hast du ja auch bemerkt und hier darauf hingewiesen, - wenn auch vielleicht nicht hinreichend detailliert genug. Ich lese weiter und stutze. Da steht über das Lied „In der Fremde“:
    „Brahms hat die gleiche Tonart gewählt, eine ähnlich webende Begleitung, die Strophik genauer beachtet als Schumann. Aber das Ganze zu einer Einheit zusammenzufassen, ist ihm nicht gelungen. Die starken Aufschwünge ins Forte, die zugleich Aufhellungen nach Dur sind, stören, und der Schluß ist allzu unvermittelt.“


    Das erinnert mich an D. Fischer-Dieskaus Urteil über dieses Lied („Das Ergebnis enttäuscht“), dem ich bei der Vorstellung desselben ja widersprochen habe. Und nun werde ich mich hinsetzen und mir das Lied noch einmal vornehmen müssen. Was Müller-Blattau da kritisiert, war mir gar nicht als kritikwürdiges Merkmal der Faktur aufgefallen. Ich könnte wohl gezwungen sein, mein eigenes Urteil zu revidieren.
    Wäre das schlimm? Im Gegenteil! Was gibt es Schöneres, als die Revision und die Bereicherung eigener Ansichten und Urteile in der reflexiven Auseinandersetzung mit denen eines Anderen. Vor allem dann, wenn es nicht nur eine reflexive ist, sondern darüber hinaus auch noch eine diskursive wäre.

  • Von den Nachbetrachtungen, die ich früher bei meinen Liedbesprechungen anstellte, habe ich ja Abstand genommen. Vielleicht aber sollte ich, so denke ich gerade, die Gepflogenheit wieder aufgreifen, da und dort mal eine Notiz einzuschieben, in der sich niederschlägt, was einem alles so durch den Kopf geht und widerfährt, während man sich abmüht, die Faktur, die musikalische Aussage und das Wesen der einzelnen Lieder zu erfassen und ins Wort zu bringen.


    Lieber Helmut, da ich mich schon mehrfach bemüht habe, Deine tiefschürfenden und immer erhellenden Ausführungen zu den besprochenen Liedern zu würdigen, setzt es diese hoffentlich nicht herab, wenn ich sage, dass ich Deine persönlich gefärbten Nachbetrachtungen besonders gerne lese. Denn dort wird über den musikliebenden Gelehrten hinaus der Mensch Helmut Hofmann sichtbar. Also bitte gerne wieder mehr davon!

    Der Traum ist aus, allein die Nacht noch nicht.

  • "...setzt es diese hoffentlich nicht herab,..."


    Nein, in gar keiner Weise, lieber Bertarido!
    Ich ahne schon lange, dass meine so sehr ins Detail der Faktur eines Liedes gehenden Betrachtungen dem Leser meiner Beiträge nicht wirklich viel bringen. Es wäre viel sinnvoller, einfach nur meinen Höreindruck zum jeweils anstehenden Lied in Worte zu fassen und mich dabei auf all das, was in mir emotional und gedanklich vorgeht, zu beschränken.
    Es wäre nicht nur sinnvoller, es würde mir auch eine Menge Arbeit ersparen. Immer wieder nehme ich mir vor, mich auf dieses Konzept der Liedbetrachtung auszurichten und mich daran zu orientieren. Aber irgendwie bin ich wie vom liedanalytischen Teufel geritten.
    Eben sitze ich an der "Schönen Magelone". Für das Lied sechs habe ich an vier Tagen mühseliger Detailarbeit fünf DIN A4-Seiten Text zusammengeschrieben.
    Das kann und darf eigentlich so nicht weitergehen.

  • Eben sitze ich an der "Schönen Magelone". Für das Lied sechs habe ich an vier Tagen mühseliger Detailarbeit fünf DIN A4-Seiten Text zusammengeschrieben.


    Ich finde immer noch, dass Deine Texte einer Buchpublikation mehr als würdig wären!

    Der Traum ist aus, allein die Nacht noch nicht.

  • Hallo Helmut!


    Du haderst ab und an damit, dass sich nur wenige an Deinen Threads beteiligen. Die Anerkennung, die in den beiden letzten Beiträgen zum Ausdruck kam ist Dir sicherlich Ansporn, auch 2017 in dieser bewundernswerten Qualität weiter zu machen.


    Ich habe mir eine Zusammenstellung zu all jenen Lieder ausgedruckt, die Bestandteil des von uns gemeinsam zusammen gestellten Schubert-Liederabends waren.


    Einen schönen zweiten Weihnachtsfeiertag wünscht
    WoKa

    "Die Musik drückt das aus, was nicht gesagt werden kann und worüber Schweigen unmöglich ist."


    Victor Hugo

  • An sich sollte ja jetzt hier die Vorstellung des letzten Liedes von Opus 6 („Nachtigallen schwingen“) erfolgen, aber ich möchte doch auf eure Beiträge antworten, lieber Bertarido, WolfgangZ und WoKa. Dies auch auf die Gefahr hin, dass ich dabei als Person in ungebührlicher Weise in den Vordergrund trete. Aber erstens gehört es sich so, dass man antwortet, und zweitens geht´s tatsächlich um Sachfragen.


    Zu Punkt eins:
    Ich bin ein so alter Mensch, dass ich noch akademische Lehrer hatte – haben durfte – die einem auf ziemlich deutliche und manchmal rabiate Weise bewusst gemacht haben, dass man sich zu fachwissenschaftlichen Sachverhalten, Fragen und Problemen nur dann – mündlich, aber vor allem schriftlich – äußern kann und darf, wenn man über die entsprechende Qualifikation verfügt, also mindestens entsprechende Grundkenntnisse hat und das fachwissenschaftliche Handwerkszeug und seine Anwendung voll und ganz beherrscht. So etwas geht einem in Fleisch und Blut über.
    Um über Lieder in wirklich solider und sachlich angemessener Weise zu schreiben, muss man Musikwissenschaftler oder – wie etwa Dietrich Fischer Dieskau, der das ja auch in vielfältiger Weise getan hat (und darin ein singulärer Fall ist!) – einschlägig sich betätigender Musiker sein. Beides bin ich – leider – nicht. Im Tamino-Forum kann ich nur deshalb schreiben, weil in diesem kein fachwissenschaftlicher Anspruch erhoben wird. Hier darf man dilettieren, weil man von vornherein als Dilettant angetreten ist.


    Zu Punkt zwei:
    Hier komme ich noch einmal zurück auf das, was mich in meinem Schreiben hier im Tamino-Forum seit längerer wirklich beschäftigt, für mich ein Problem ist. Ich meine die Gefahr, dass man sich bei einer allzu sehr ins Detail gehenden analytischen Betrachtung eines Liedes verzettelt und dabei die Darstellung seines musikalischen Wesens wenn nicht verfehlt, so doch mindestens vernachlässigt, weil die Ausführungen dazu nicht auf eben dieses Wesen fokussiert sind.


    An einem Beispiel sei das konkretisiert. Oben in Beitrag 15 bis ich auf das erste Lied von Opus 3, „Liebestreu“, eingegangen. In dem von mir oben erwähnten Langewiesche-Bändchen beschreibt Joseph Müller-Blattau dieses Lied mit den Worten:
    „… Die Abwandlung der Grundempfindung ist hier zunächst in eine vielsagende strophische Melodie gebannt. Erst die dritte Strophe erscheint verändert und gesteigert (agitato), um nach dem Höhepunkt völlig abzuebben und harmonisch und melodisch zusammenzusinken. Darüber hinaus ist, nach Art eines Volksliedes, das Ganze ja ein Zwiegespräch der Mutter und Tochter. Beide sind scharf unterschieden, besonders deutlich in der Form der Begleitung. Erst am Schluß, zu den gesteigerten Worten der Tochter, ist auch zu ihrer Begleitung die tiefe Klanglage gewählt, aus welcher der Schluß dann so überzeugend gestaltet wird.“
    Genügt das nicht, so frage ich mich, um die kompositorische Faktur dieses Liedes und sein liedmusikalisches Wesen zu erfassen? Was Müller-Blattau ausführt, findet sich zwar auch in meinem Beitrag, aber musste ich wirklich die Faktur in so detaillierter Weise beschreiben? Hätte es nicht genügt, wenn ich das für mich auf einem großen Blatt Papier mache, um dann daraus die Quintessenz in der Weise zu ziehen und sprachlich abzufassen, wie Müller-Blattau das in diesem Fall getan hat? 
    Aber lassen wir´s dabei nun bewenden. Jetzt steht wirklich das Lied op.6, Nr.6 an.

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  • Nachtigallen schwingen
    Lustig ihr Gefieder,
    Nachtigallen singen
    Ihre alten Lieder.


    Und die Blumen alle,
    Sie erwachen wieder
    Bei dem Klang und Schalle
    Aller dieser Lieder.


    Und meine Sehnsucht wird zur Nachtigall
    Und fliegt in die blühende Welt hinein,
    Und fragt bei den Blumen überall,
    Wo mag doch mein, mein Blümchen sein?


    Und die Nachtigallen
    Schwingen ihren Reigen
    Unter Laubeshallen
    Zwischen Blütenzweigen,
    Von den Blumen allen,
    Aber ich muß schweigen.


    Unter ihnen steh´ ich
    Traurig sinnend still:
    Eine Blume seh´ ich,
    Die nicht blühen will.


    (Hoffmann von Fallersleben)


    Auch dieses Gedicht Hoffmann von Fallerslebens findet durch all die lyrischen Bilder davor erst in der letzten Strophe, tatsächlich erst im letzten Vers, zu seiner zentralen Aussage. Metapher dafür ist die „Blume“, die in der Subjektivität der Perspektive zum „Blümchen“ wird. Sie bildet aber, zusammen mit den „Nachtgallen“, den metaphorischen Raum, in dem sich diese zentrale Aussage konstituiert. Das „Blümchen“ wird am Ende wieder zur Blume, die „nicht blühen“ will, - metaphorischer Ausdruck nicht erfüllter Liebe. Oder gar einer, der die Erfüllung verwehrt bleiben wird?


    Bedenkt man, dass dieses Gedicht seine lyrische Aussage aus der Binnenspannung zwischen einer naturhaft blühendes und klingendes Leben evozierenden Metaphorik und einem lyrischen Ich bezieht, dem die Erfüllung einer Sehnsucht nach Liebe verwehrt ist, dann würde man eigentlich eine Liedmusik erwarten, in der sich in der Struktur und der Harmonisierung der Melodik ein Bruch ereignet: Lebhafte und aufwärts gerichtete Entfaltung der melodischen Linie in Dur-Harmonisierung da, fallende, in der Entfaltung stockende und chromatisch eingefärbte Melodik dort. Das ist aber nicht der klangliche Eindruck, den dieses Brahms-Lied macht. Moll-Harmonik begegnet einem zwar darin, sie dominiert aber nicht. Die Grundtonart ist As-Dur, ein Viervierteltakt liegt ihm zugrunde, und es soll „Allegro non troppo“ vorgetragen werden. Der im Vorspiel mit seinen triolischen Terzsprüngen sich einstellende Eindruck von ungebrochenem Leben, der sich in der melodischen Linie mit ihrem nach dem anfänglichen Quintfall eisetzenden Aufschwung in die Ausgangslage und darüber hinaus einstellt, ist einer, der im Grunde über das ganze Lied hin erhalten bleibt, - und keine wirkliche Brechung erfährt.


    Aber ein Sich-Einfinden in die gelassene Ruhe einer Liedmusik ereignet sich am Ende, indem die melodische Linie nach einer Fallbewegung sich wieder aufschwingt und in mittlerer tonaler Lage in reinem As-Dur ausklingt. Und das sagt alles darüber, wie Brahms diesen lyrischen Text gelesen hat. Die Verse „Und meine Sehnsucht schwingt sich auf zur Nachtigall“ sind es, die ihn ganz offensichtlich zu dieser Komposition beflügelt haben. Nicht der Schlussvers. Der ist für ihn nur Ausdruck der Faktizität dieses Lebens, das Nichterfüllung von Sehnsucht beinhalten kann, womit man sich abfinden muss. Eben das will die Liedmusik am Ende sagen, - in der ruhigen Bewegung der melodischen Linie, dem Verzicht auf eine Wiederholung der lyrischen Aussage und einem Klaviersatz, der vom Terzenschwung des Nachtigallen-Motivs ablässt und zur ruhig fließenden Klanglichkeit von Akkordrepetitionen im Diskant über dem Auf und Ab von Einzeltönen im Bass übergeht.


    Unter formalem Aspekt handelt es sich bei dieser Komposition um ein stark variiertes Strophenlied. Die Liedmusik auf den ersten beiden Strophen wiederholt sich bei den beiden letzten bis einschließlich des ersten Verses der letzten Strophe. Mit den Worten „traurig sinnend still“ nimmt sie eine neue Gestalt an. Das ist auch bei der sich ja auch durch die Länge der Verse von den anderen Strophen abhebenden dritten der Fall. Bei ihr kann man eigentlich nicht von einer Variation sprechen: Melodik, Klaviersatz und Harmonik sind völlig eigenständige kompositorische Gebilde, in denen sich keine liedmusikalischen Anklänge an die anderen Strophen und auch keine strukturellen Übernahmen aus der Melodik derselben finden. Allein schon die Rückung von der Grundtonart As-Dur nach E-Dur macht, von der Struktur der Melodik und des Klaviersatzes einmal abgesehen, diese dritte Strophe unter formalen Gesichtspunkten zu eine Art Fremdkörper in diesem Lied. Bemerkenswert aber – und für der Geist der Liedkomposition von Brahms typisch: Man empfindet als Hörer diese dritte Strophe in gar keiner Weise als klanglichen „Fremdkörper“. Im Grunde reflektiert die Liedmusik hier ja nur die lyrische Aussage in voll adäquater Weise: Während die lyrischen Bilder der beiden ersten Strophen in deskriptiv objektivierender Weise naturhafte Lebenswelt evozieren, richtet sich die Perspektive in der dritten erstmals auf das lyrische Ich, das sich durch eben diese Bilder zur Suche nach dem geliebten Du inspiriert fühlt.


    In dieser sich vom liedmusikalischen Grundtext abhebenden kompositorischen Faktur reflektiert die dritte Strophe die dualistische Anlage des lyrischen Textes. Auch hier spricht das lyrische Ich wieder von sich selbst und bekennt sich als Fremder in dieser von Nachtigallen und Blumen ausgefüllten und in die Idylle abgehobenen Welt. Dieses lyrische Ich begegnet auf seiner Suche einer Blume, die nicht blühen will, und es verfällt am Ende in den melodischen Fallbewegungen auf den Worten „traurig sinnend still“ und „eine Blume seh´ ich“ erst einmal in den Gestus der dritten Strophe. Aber nicht bis zum Ende des Liedes. Mit den Worten „die nicht blühen will“ rafft es sich wieder zu einem melodischen Anstieg auf, - als wolle es sagen: So ist das eben, damit muss ich mich abfinden.


    Mit Ausnahme der dritten Strophe und des Liedschlusses begleitet das Klavier im Diskant und im Bass mit einer Figur, die sich aus einer Folge von jeweils drei repetierenden bitonalen Akkorden zusammensetzt, wobei deren Intervall zumeist aus einer Terz besteht, die sich aber über die Quarte bis zur Quinte erweitern kann. Die Repetition der zweiten Dreiergruppe findet dabei auf höherer tonaler Ebene statt und das Intervall ist unterschiedlich groß, reicht von der Quarte bis zur Sexte. Der klangliche Eindruck, der von diesem Klaviersatz ausgeht, entspricht den lyrischen Bildern dieser Strophen, und man kann sich dabei durchaus entfernt an Nachtigallengesang erinnert fühlen. Auf jeden Fall hat er eine klanglich stark prägende Funktion. Der Klaviersatz der dritten Strophe und des letzten Verses ist hingegen akkordisch angelegt. Dreiergruppen von Achtelakkorden erklingen, durch Achtelpausen voneinander getrennt auf im Bass angeschlagene und länger gehaltene bitonale Akkorde.


    Etwas behutsam Drängendes, Nachdrückliches wohnt diesem Klaviersatz klanglich inne, und das fügt sich gut in die Fragen, die im Zentrum dieser Strophe stehen. „Wo mag doch mein, mein Blümchen sein, wo mein Blümchen sein“. Sie werden auf kleinen, von Pausen gegeneinander abgesetzten fallenden Melodiezeilen deklamiert, wobei die Harmonik jeweils von a-Moll nach E-Dur rückt. Die Intensität, mit der das lyrische Ich diese Fragen artikuliert, bringt Brahms nicht nur durch diese Art der melodisch zerstückten Wiederholung des lyrischen Textes zum Ausdruck, er steigert sich darin sogar noch, indem er am Ende auf die Worte „wo“ und „mein“ nur einen Ton legt und eine Viertelpause dazwischen setzt und die Worte „Blümchen sein“ wiederum nach einer Viertelpause in gewichtiger Weise auf einem Quartfall deklamieren lässt, dessen Anfang und Ende gedehnt ist.


    Durchweg begegnet man in diesem Lied dem ganz spezifischen Charakter der Brahmsschen Melodik: Sie ist ausdrucksstark und nachdrücklich, weist aber zugleich dabei einen überaus eingängigen klanglichen Zauber auf, wobei das Prinzip der Wiederholung melodischer Figuren unter Modifikation derselben eine große Rolle spielt. Die melodische Linie auf der ersten Strophe lässt das in exemplarischer Weise sinnfällig werden. Der Quintfall mit nachfolgendem Sekundanstieg auf den Worten „Nachtigallen schwingen“ wiederholt sich bei den Worten „Nachtgallen singen“. Aber der bogenförmige Aufschwung der melodischen Linie bei den Worten „lustig ihr Gefieder“ wird bei den Worten „ihre alten Lieder“ zu einem Abfall in untere Mittellage, von der sich die melodische Linie mit einem Terzsprung noch einmal erhebt, um mit einem Sekundfall zu einem ersten Abschluss zu kommen, der mit einer Rückung von B-Dur nach Es-Dur verbunden ist.

  • Eduard Ferrand: „Treue Liebe“


    Ein Mägdlein saß am Meeresstrand
    Und blickte voll Sehnsucht ins Weite:
    „Wo bleibst du, mein Liebster, wo weilst du so lang?
    Nicht ruhen läßt mich des Herzens Drang.
    Ach, kämst du, mein Liebster, doch heute!“


    Der Abend nahte, die Sonne sank
    Am Saum des Himmels danieder.
    „So trägt dich die Welle mir nimmer zurück?
    Vergebens späht in die Ferne mein Blick.
    Wo find´ ich, mein Liebster, dich wieder?“


    Die Wasser umspielten ihr schmeichelnd den Fuß,
    Wie Träumer von seligen Stunden,
    Es zog sie zur Tiefe mit stiller Gewalt;
    Nie stand mehr am Ufer die holde Gestalt,
    Sie hat den Geliebten gefunden!


    Dieses Lied ist das erste von insgesamt sechs Kompositionen, die Brahms unter dem Titel „Sechs Gesänge für Singstimme mit Begleitung des Pianoforte“ im Jahre 1854 veröffentlichte. Dieses Opus 7 ist dem Jugendfreund Albert Dietrich gewidmet, der ein Schüler Robert Schumanns war und später Kapellmeister in Oldenburg wurde. Das genaue Entstehungsdatum der Lieder ist unbekannt, Brahms muss sie zwischen 1851 und 1854 komponiert haben.


    Der lyrische Text, der diesem Lied zugrunde liegt, stammt von Eduard Ferrand. Das ist ein Pseudonym für den im Januar 1813 in Landsberg an der Warthe geborenen und früh, nämlich am 23.10.1842, in Berlin verstorbenen Dichters Eduard Schulz. Brahms entnahm ihn dessen erstem Lyrik-Band „Gedichte“, der 1834 erschien. Es handelt sich dabei um eine kleine Ballade mit im Grunde eigentlich banalem, ein wenig theatralisch anmutendem Inhalt: Ein „Mägdlein“ am Strand des Meeres, der Geliebte kommt nicht mehr zurück, weil in den Wellen zu Tode gekommen, sie folgt ihm nach, indem sie sich selbst diesen übergibt und beweist auf diese Weise „treue Liebe“.


    Das Bemerkenswerte nun: Brahms macht aus dieser poetisch wenig gehaltvollen Ballade große musikalische Lyrik: Eine melodische Linie, die in kunstvoll modulierender Moll-Harmonisierung den Schmerz über den Verlust des Geliebten und die Sehnsucht nach Vereinigung mit ihm zum Ausdruck bringt, eingebettet in einen Klaviersatz, der mit klangmalerischen Mitteln nicht nur die Szenerie zu imaginieren vermag, sondern auch das Verhalten des Meeres, - vom schmeichelnden Umspielen des Fußes bis zum Hineinziehen in seine Tiefe, die mit „stiller Gewalt“ erfolgt. Das Lied steht in fis-Moll als Grundtonart, ein Sechsachteltakt liegt ihn zugrunde, und die Vortragsanweisung lautet „Andante con espressione“.


    Unter formalem Aspekt liegt hier ein variiertes Strophenlied vor: Erste und zweite Strophe sind in der kompositorischen Faktur identisch, die dritte weicht deutlich davon ab. Melodik und Klaviersatz weisen eine andere Struktur auf. Allerdings stellt Brahms eine Anbindung dieser Strophe an die beiden vorangehenden dadurch her, dass er auf die Worte „Die Wasser umspielten ihr schmeichelnd den Fuß“ die gleiche melodische Linie legt wie auf den ersten Vers der andere Strophen, und auch die Worte „Nie stand mehr am Ufer die holde Gestalt“ werden auf dieser melodischen Linie deklamiert, nur dass der Quartsprung, der sich (zum ersten Mal) bei „am Meeresstrand“ ereignet, nun zu bei „die holde“ zu einem Quintsprung wird, der mit Portato vorgetragen werden soll, damit das, was sich da ereignet hat, in seiner Bedeutung bewusst gemacht wird. Schließlich ging ja gerade das mit klanglichen Mitteln hochexpressiv gestaltete In-die-Tiefe-gezogen-Werden des Mädchens voraus.


    Dem Klaviersatz kommt in diesem Lied eine große Bedeutung zu. Das, was das Klavier mit seinen klanglichen Mitteln ausdrückt, wird aber erst im Zusammenspiel mit der melodischen Linie der Singstimme voll vernehmlich und erfassbar. Diese ist in ihrer Struktur von der Duplizität von episch-erzählenden und Passagen der wörtlichen Rede geprägt. Die Melodik der ersten – und damit auch der zweiten – Strophe lässt das sehr schön erkennen. Bei den beiden ersten Versen schlägt sich dieser epische Gestus zunächst in einem ruhigen Auf und Ab der melodischen Linie in mittlerer Lage nieder. Bei den Worten „Und blickte voll Sehnsucht ins Weite“ steigt sie dann aber in Sekundschritten aus tiefer in obere Mittellage auf und verfällt, um das Wort „Weite“ klanglich sinnfällig werden zu lassen, in einen gedehnten, den ganzen Takt ausfüllenden Quartfall. Bei der nachfolgenden wörtlichen Rede weist die melodische Linie in ihrer Struktur auffällig viele Tonrepetitionen auf, die die innere Unruhe, „des Herzens Drang“, reflektieren. Bei dem mit dem Klageruf „Ach“ eingeleiteten Wunsch am Ende beschreibt sie dann eine in hoher Lage ansetzende und forte und mit Portati zu deklamierende Fallbewegung, die am Ende aber in einen wiederum gedehnten Aufschwung übergeht. Dem Wort „heute“ wird auf diese Weise großes melodisches Gewicht verliehen.


    Auch der Klaviersatz weist diese Duplizität von der epischen Perspektive verpflichteten schildernden Strukturelementen und solchen auf, die die Seelenlage des Mädchens mit klanglichen Mitten imaginieren. Gleich am Anfang begegnet man den deskriptiv-schildernden Elementen. Das Klaviersatz besteht aus Sechzehntel-Figuren, in denen sich ein Auf und Ab im Intervall einer Terz oder einer Quarte ereignet, wobei die klangliche Raffinesse darin besteht, dass sich dabei permanent eine Rückung von fis-Moll in das tiefer angesiedelte f-Moll ereignet. Man interpretiert wohl nicht zu viel in das Lied hinein, wenn man das als Imagination der Wellen versteht, die aus der Weite des Meeres auf das Mädchen zukommen. Aber schon an der Stelle, wo die Melodik in eine Dehnung bei dem Wort „Weite“ übergeht, lässt das Klavier eine in hohe Lage aufsteigende Folge von Sechzehnteln erklingen, die am Ende einen kleinen Fall beschreibt.


    Diese Folge von Sechzehnteln erweist sich alsbald als Ausdruck der seelischen Befindlichkeit des Mädchens. Die so stark von Tonrepetitionen geprägte melodische Linie auf den mit „Ach“ eingeleiteten Klagerufen des Mädchens begleitet das Klavier mit einer fortlaufenden Folge von pyramidenartig emporsteigenden und wieder fallenden Sechzehnteln, wobei sich das am Ende bei dem gedehnten Quintsprung und Sekundfall der melodischen Linie zu einer in extrem hohe Lage aufsteigenden und nun in Sprüngen wieder fallenden Bewegung steigert. Das Klavier reflektiert darin die Seelenlage des Mädchens, das den Geliebten schmerzlich herbeisehnt, wissend freilich, dass dies ein vergeblicher Wunsch ist. Bemerkenswert ist im übrigen, wie Brahms hier die Harmonik zur Steigerung der Expressivität der Liedmusik einsetzt. Wenn das Mädchen in die Weite blickt, ereignet sich eine Rückung von fis-Moll nach D-Dur. Wenn es in seine Klagerufe ausbricht, dominiert wieder Moll-Harmonik, freilich in Gestalt von die Expressivität steigernden Rückungen: Von fis-Moll über h-Moll und cis-Moll wieder zurück nach fis-Moll.


    Seine Doppelfunktion als episch-deskriptive und die Seelenlage des Mädchens reflektierende Begleitung der Singstimme entfaltet das Klavier voll und ganz – und auf beeindruckende Weise - in der letzten Strophe. Hier taucht eine neue Figur auf: Triolisch aus dem tiefen Bass in den Diskant aufsteigende Sechzehntel, die in eine Sexte münden, aus der sich ein Sekundfall ereignet. Man meint darin das lyrische Bild zu vernehmen: „Die Wasser umspielen ihr schmeichelnd den Fuß“. Daraus wird aber alsbald eine neue Klaviersatz-Figur. Auf den Worten „Es zog sie zur Tiefe mit stiller Gewalt“ liegt eine melodische Linie, die zunächst aus Tonrepetitionen auf der Ebene eines „A“ in mittlerer Lage besteht, zu dem Wort „stiller“ hin aber einen Quartsprung mit einem nachfolgenden kleinen Sekundanstieg beschreibt, der über einen Quartfall und einen neuerlichen Anstieg in eine lange, den Takt übergreifende Dehnung auf der letzten Silbe des Wortes „Gewalt“ übergeht. Das Klavier vollzieht hier im Diskant einen regelrechten Ausbruch in seine Sechzehntel-Folgen. Zweimal schießen diese Sechzehntel aus tiefer Lage in den hohen Diskant und münden in einen sechsstimmigen Akkord. Danach ereignet sich, eben bei diese Dehnung auf dem Wort „Gewalt“, ein regelrechter Wirbel von sich auf und ab bewegenden Sechzehnteln, der sich in der tonalen Ebene erst anhebt, dann wieder absenkt und damit die zweitaktige Pause für die Singstimme füllt.


    Was nachfolgt, die Liedmusik auf den beiden letzten Versen, mutet zunächst wie ein Nachklang dieses unerhörten Ereignisses an. Die melodische Linie kehrt zu den Bewegungen des Liedanfangs zurück, und das Klavier begleitet sie darin mit lang gehaltenen Akkorden. Aber es hat sich ja Unerhörtes ereignet. Und deshalb macht die melodische Linie beim letzten Vers einen auftaktig eingeleiteten und mit Portato-Zeichen versehenen, also mit Nachdruck zu deklamierenden Sekundfall , der bei dem Wort „gefunden“ über einen Quartsprung in eine zwei Takte übergreifende Dehnung in Gestalt eines Sekundanstiegs und –falls übergeht und im dritten, dem letzten Takt, in den wiederum gedehnten Grundton „Fis“ mündet. Die Harmonik moduliert bei diesem Liedschluss vom anfänglichen fis-Moll über D-Dur, G-Dur und Dis-Dur zurück nach fis-Moll.


    Und das Klavier? Es reflektiert das Ungeheuerliche des Ereignisses, indem es von seiner akkordischen Begleitung ablässt und wieder zu seinen auf und ab stürmenden Sechzehnteln zurückkehrt. Aber in den letzten Takten des Nachspiels werden daraus wieder die Wellenfiguren des Liedanfangs. Das Mädchen hat den Geliebten gefunden. Das Meer kann zur Gleichförmigkeit seines Daseins zurückkehren.

  • Ich stoße leider jetzt erst auf diese Seite, die ja schon fortgeschritten ist. Sie hat natürlich alle die Hofmannschen-Qualitäten wie immer. Wie Stimmenliebhaber habe ich den Wolf-thread nicht verfolgt, weil ich diesem Komponisten nichts abgewinnen kann. Ich habe ihn auch ein bißchen in meinem Satire-thread verspottet, etwa mit dieser Frage: Was haben Brahms und Hugo Wolf miteinander gemeinsam? Beide haben keine Oper geschrieben, die von Wolf heißt "Der Corregidor". Das ist natürlich eine Gemeinheit und nicht mal wahr, denn diese Oper mag ich doch sehr!
    Leider kann ich hier in dieses Thema nicht oft hereinsehen, weil ich mit meinen eigenen Themen viel zu tun habe und da auch schon oft da nicht hinterher komme. Übrigens denke ich, dass du mit der Analyse der Mahler-Lieder eine neue Gattung hier im Forum erfunden hast. Im Neuen Jahr werde ich auch ein solches Unternehmen starten, natürlich aus der Alten Musik. Der Unterschied wird allerdings sofort klar werden. Ich werde die Musik nur vorstellen (mithilfe von Literatur), nicht analysieren.

    Canada is the US running by the Swiss (Richard Ford)

  • Schön, lieber dr. pingel, dass Du zu diesem Thread gefunden hast, auch wenn Du dich nicht daran beteiligen kannst, was ich angesichts der vielen eigenen Threads, die zu betreuen und zu beackern hast, gut verstehen kann. Was Deinen Scherz über Johannes Brahms und Hugo Wolf anbelangt („Was haben Brahms und Hugo Wolf miteinander gemeinsam? Beide haben keine Oper geschrieben, die von Wolf heißt "Der Corregidor".), so sagst Du ja selbst, dass er nicht so ganz trifft. Und das ist gleich in zweifacher Weise der Fall, denn Brahms hat ja tatsächlich auch so eine Art „Oper“ komponiert: Die 15 Romanzen zu Tiecks „Schöner Magelone“. Man hat bei diesem Werk nicht ohne Grund von „Brahms´ einziger Oper“ gesprochen. Er selbst fasste das Wesen seiner Romanzen einmal in die Frage: „Sind sie nicht auch ein Art von Theater?“.


    Es ist übrigens eine interessante Frage warum Hugo Wolf von dem Verlangen getrieben war, eine Oper zu komponieren, Brahms aber nicht. Man sollte denken, dass es ihm, wo er doch dem Lied eine solche Bedeutung zumaß wie jener, genauso gegangen wäre. Das dürfte aber ein Irrtum sein. Beide haben als Komponisten ein durchaus unterschiedliches Verhältnis zum lyrischen Wort. Wolf ist in seiner Liedkomposition in einer gleichsam radikalen Weise auf dieses hingeordnet: Auf seine Semantik, die syntaktische Einbindung und die prosodische Gestalt, in der es ihm entgegen tritt. Das ist bei Brahms nicht der Fall. Sein unbekümmerter Umgang mit der lyrischen Sprache, von der Wiederholung lyrischen Textes bis hin zu dem deklamatorischen Sich-Hinwegsetzen über die prosodischen Gegebenheiten, ist diesbezüglich höchst verräterisch. Als Melodiker, der er wesenhaft ist, interessiert ihn als Liedkomponist nicht primär die lyrische Sprache als solche, sondern all das, was sie in ihm bei ihrer Rezeption kognitiv und emotional auslöst. Das wird dann der eigentliche Gegenstand seiner Komposition.


    In dieser Haltung dem lyrischen Wort gegenüber konnte es ihn nicht so zur Oper hinziehen, wie das bei Hugo Wolf der Fall war. Der vermochte von seiner anders gearteten Haltung her in seiner Liedkomposition nicht nur genuin lyrisch zu denken, sondern auch szenisch-dramatisch. Ein kleines Werk wie die „Storchenbotschaft“ hätte Brahms nicht komponieren können und wollen. Er hätte das Mörike-Gedicht gar nicht in die Hand genommen.

  • denn Brahms hat ja tatsächlich auch so eine Art „Oper“ komponiert: Die 15 Romanzen zu Tiecks „Schöner Magelone“. Man hat bei diesem Werk nicht ohne Grund von „Brahms´ einziger Oper“ gesprochen. Er selbst fasste das Wesen seiner Romanzen einmal in die Frage: „Sind sie nicht auch ein Art von Theater?“.


    Na ja, selbst wenn sie (entfernt?) auch eine "Art von Theater" sein sollten, sind sie deshalb noch lange keine Oper! ;)


    Für mich ist der Liedkomponist Brahms in zahlreichen "Einzelliedern" (auch wenn hier natürlich Lieder zu Opus-Gruppen zusammengefasst wurden) und in seinen "Vier ernsten Gesängen" (mindestens den ersten dreien davon) weit stärker als in seiner "Schönen Magelone", die meines Erachtens gegenüber den großen Liederzyklen von Schubert und Schumann doch stark abfällt, was man bei den "Einzelliedern" eben so nicht konstatieren kann, da finde ich eine absolute Augenhöhe vor. Theatralik war wohl doch nicht so sein, trotz aller expressiven Stellen etwa in seinen Sinfonien und Solokonzerten, die mich als Ganzes dennoch voll überzeugen, was bei der "Schönen Magelone" jedoch nicht der Fall ist. Daher bin ich schon sehr gespannt, was von dir zu diesem Thema ("Magelone" einerseits und - der für mich bedeutendere Brahms-"Liederzyklus" "Vier ernste Gesänge" andererseits) noch kommt. :yes:

    Beste Grüße vom "Stimmenliebhaber"

  • Brahms hat, dies zu Deinem Betrag hier, lieber Stimmenliebhaber" seine "Schöne Magelone" natürlich in gar keiner Weise für eine Art "Oper" gehalten. Bezeichnend ist in dem Zusammenhang, dass er es abgelehnt hat, die Lieder mit Auszügen aus der Erzählung von Ludwig Tieck zusammen zu publizieren. Für ihn war das ein ganz und gar eigenständiger Zyklus von Liedern, der einen solchen Bezug zum narrativen Text, in den die Gedichte eingebettet sind, nicht bedarf.
    Ich werde selbstverständlich auf diesen Liederzyklus eingehen, weiß aber nicht, ob es schaffe, es an der Stelle zu tun, wie es von der Opus-Zahl her geboten wäre. im Augenblick sitze ich gerade dran, habe aber Mühe damit, denn die Lieder sind lang und zum Teil sehr komplex. Drei Tage bis vier Tage brauche ich für eines mindestens. Und immer wieder verzage ich und muss eine Pause einlegen. Mal sehen!
    Zum Verhältnis Brahms-Wolf im Nachtrag:
    Ich bin ja hier schon einmal auf diese Wesensverschiedenheit der Liedsprache von beiden eingegangen, - anlässlich der Komposition „Spanisches Lied, op.6, Nr.1 (Beitrag 21). Das werde ich dann später noch einmal tun, nämlich bei Lied „An eine Äolsharfe“, op.19, Nr.5. Es wird freilich noch ein wenig dauern bis dahin.

  • Bezeichnend ist in dem Zusammenhang, dass er es abgelehnt hat, die Lieder mit Auszügen aus der Erzählung von Ludwig Tieck zusammen zu publizieren. Für ihn war das ein ganz und gar eigenständiger Zyklus von Liedern, der einen solchen Bezug zum narrativen Text, in den die Gedichte eingebettet sind, nicht bedarf.


    Lieber Helmut, das ist interessant, weil es ja heute genau so häufig zu erleben ist: Sänger und Pianist plus Schauspieler, der rezitiert.


    Ich freue mich wie gesagt schon sehr auf die Fortsetzung dieser Rubrik im nächsten Jahr, wenn dann sicherlich all diejenigen Lieder behandelt werden, die mir besonders am Herzen liegen.


    Dafür wünsche ich dir viel Zeit und Kraft! :hello:

    Beste Grüße vom "Stimmenliebhaber"

  • Danke, lieber Stimmenliebhaber!
    Für mich wird interessant und sicher aufschlussreich sein, welche Lieder das sein werden, die Dir, wie Du sagst, "besonders am Herzen liegen".
    Auf das Problem, wieweit die Lieder des "Magelone"-Zyklus wirklich vom Text der Erzählung ablösbar und im Sinne von Brahms ganz und gar eigenständige liedmusikalische Gebilde sind, die ohne Kenntnis der narrativen Grundlage verstanden werden können, werde ich dann, wenn die Besprechung hier ansteht, wohl noch eingehen müssen. Im Augenblick verfahre ich so, dass ich der Besprechung der Lieder einen kurzen Vorspann voranstelle, in dem die Situation kurz umrissen wird, in der sie in Tiecks Erzählung "gesungen" werden.

  • Die "Magelone" liebe ich besonders, auch ohne Rezitation; da werde ich hier doch eifrig mitlesen. Was die Sache mit der Brahmsschen Oper betrifft, gibt es eine Parallele, wobei ich nicht weiß, ob sie zutrifft. Jeder, der die Passionen von Bach gut kennt oder gesungen hat, ist sich des gravierenden Unterschieds zwischen Johannes- und Matthäuspassion bewusst. So bezeichne ich die Johannespassion als im sehr weiten Sinn als Oper. Ich habe sie in meinen verschiedenen Chören 5x gesungen; vor allem die Turbae-Chöre haben eine Wucht, wie man sie in der Chorliteratur selten findet: "Lasset uns den nicht zerteilen", "Kreuzige, kreuzige", "Weg, weg mit ihm, kreuzige, kreuzige" "Wir haben keinen König". Selbst für ein geübtes Ensemble sind sie schwer zu singen, aber schon beim Proben lief uns immer eine Gänsehaut über den Rücken.

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  • Zit. dr. pingel: "Die "Magelone" liebe ich besonders,..."
    Zit. Stimmenliebhaber: "Für mich ist der Liedkomponist Brahms in zahlreichen "Einzelliedern" (...) weit stärker als in seiner "Schönen Magelone", die meines Erachtens gegenüber den großen Liederzyklen von Schubert und Schumann doch stark abfällt".


    Daraus könnte ein interessanter Dialog werden. Ich werde mich auf die Hosen setzen müssen, damit ich mit der "Schönen Magelone" rechtzeitig fertig werde.

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  • Lieber Helmut,
    ich teile die Meinung von Stimmenliebhaber durchaus nicht, dass die Einzellieder stärker als die Magelone sind. Es ist nicht von ungefähr, dass ich die Magelone besser kenne als die Einzellieder. Aber das sind subjektive Vorlieben, die man nicht diskutieren muss. Eins möchte ich dir doch raten: Lass dir Zeit! Du stehst nicht unter Druck, von uns Liebhabern schon gar nicht!

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  • Joseph von Eichendorff: „Parole“


    Sie stand wohl am Fensterbogen
    Und flocht sich traurig das Haar,
    Der Jäger war fortgezogen,
    Der Jäger ihr Liebster war.


    Und als der Frühling gekommen,
    Die Welt war von Blüten verschneit,
    Da hat sie ein Herz sich genommen
    Und ging in die grüne Heid´.


    Sie legt das Ohr an den Rasen,
    Hört ferner Hufe Klang –
    Das sind die Rehe, die grasen
    Am schattigen Bergeshang.


    Und abends die Wälder rauschen,
    Von fern nur fällt noch ein Schuß,
    Da steht sie stille zu lauschen:
    „Das war meines Liebsten Gruß!“


    Da sprangen vom Fels die Quellen,
    Da flohen die Vöglein ins Tal.
    „Und wo ihr ihn trefft, ihr Gesellen,
    O, grüßt mir ihn tausendmal!“


    Diese Verse finden sich im 22. Kapitel von Eichendorffs Novelle „Dichter und ihre Gesellen, allerdings gehören dort noch zwei weitere Strophen dazu, die sich aus der Einbindung in die Erzählung ergeben und die Brahms deshalb nicht in seine Vertonung einbeziehen konnte. Brahms entnahm das Gedicht ohnehin der ersten Gesamtausgabe der Eichendorff-Gedichte von 1837, die im wesentlichen sein Freund Adolf Schöll zu verantworten hatte. Dort tragen die Verse auch den Titel „Parole“, den Brahms übernahm. In der von Eichendorffs ältestem Sohn später edierten Neuausgabe sind sie mit „Die Verlassene“ betitelt. Komponiert wurde das Lied im Dezember 1852. Es handelt sich um ein variiertes Strophenlied: Die beiden ersten Strophen sind in der Liedmusik identisch, die dritte und die vierte sind, aber sich ebenfalls darin wiederholend, liedmusikalisch eigenständig angelegt, und bei der fünften und letzten liegen auf den ersten beiden Versen die melodische Linie und der Klaviersatz der beiden Eingangsstrophen. Ein Sechsachteltakt liegt zugrunde, die Grundtonart ist e-Moll, und die Tempovorschrift lautet „Andante con moto“. Dietrich Fischer-Dieskau meint, das Lied sei „bevorzugt von einem Sopran zu singen. Die Gründe dafür nennt er nicht, und ich vermag sie auch nicht zu erkennen. Bei Eichendorff singt es übrigens „ein wunderschöner Jüngling in zierlicher Jägertracht“.


    Es sind, wie man beim genauen Hinhören auf das Lied bemerkt, drei Motive, bzw. lyrische Bilder, die Brahms zur Komposition animiert haben dürften und die sich dementsprechend in der Faktur niederschlagen: Die seelische Befindlichkeit eines weiblichen Wesens, das von Eichendorff nur mit dem es in die exemplarische Neutralität rückenden Personalpronomen versehen wird, von dem man aber erfährt, dass es „traurig“ ist, weil sein Liebster, der ein Jäger ist, es verlassen hat; die Welt dieses „Jägers“, die in Gestalt von Hornrufen in die Welt der Verlassenen herüberklingt; und der naturhafte Raum, in dem sich das lyrische Geschehen ereignet, - das frühlingshaft-abendliche Rauschen der Wälder und das „Springen der Quellen“. Das Lied weist im Klaviersatz durchaus klangmalerische Elemente auf, wobei den Hornrufen eine besondere Bedeutung zukommt. Aber wie so typisch für Brahms: Sie sind funktional in die Melodik des Liedes eingebunden und weit entfernt davon, sich in den Vordergrund zu drängen, als wären sie die eigentliche Aussage des Liedes. Diese generiert sich aus der – wie immer kantabel eingängigen und vom Geist des Volksliedes beflügelten – Melodik. Und diese reflektiert das lyrische Zentrum: Die Seelenlage einer von ihrem Geliebten verlassenen und sich in Trauer nach ihm sehnenden Frau, die das Ohr an den Rasen legt, um eine Verbindung mit ihm aufzunehmen.


    Mit nach oben steigenden Sechzehnteln, die in eine Terz münden, denen eine Sexte nachfolgt, setzt das sechstaktige Vorspiel ein. Es ist in C-Dur gehalten und soll wohl klanglich Hornrufe imaginieren. Sie erklingen im Nach- bzw. Zwischenspiel zur zweiten Strophe wieder, und hier vernimmt man beim zweiten von ihnen eine leichte klangliche Brechung: Aus der Quarte, mit der das Sechzehntel im zweiten Sprung ansonsten nach oben steigt, wird nun eine Sekunde in Gestalt eines „Ais“. Der Jäger ist fortgezogen, Trauer und Trübnis sind in das Leben der jungen Frau getreten. Die melodische Linie reflektiert das von Anfang an. Auf den beiden ersten Versen der Anfangsstrophen ist sie stark von einer fallenden Tendenz geprägt, - und überdies in Moll harmonisiert (e-Moll). Zwei Mal endet sie nach einem Sekundfall, der beim zweiten Mal bei dem Wort „traurig“ mit Portato deklamiert werden soll, auf einem tiefen „E“. Das Klavier begleitet hier – wie die ganze Strophe über – mit zweimal pro Takt aus dem Diskant in den Bass fallenden Sechzehnteln, eine Figur, die in der letzten Strophe wieder zum Einsatz kommt. Und dort nun enthüllt sie ihren Charakter: Man bringt sie mit den Bildern von den springenden Quellen und den ins Tal fliehenden „Vöglein“ in Verbindung. Sie ist also wohl der Welt zugehörig, in der die junge Frau lebt.


    Auf der zweiten Versgruppe der Strophe („Der Jäger war fortgezogen...“) liegen zwei kleine Melodiezeilen, die sich in ihrer Struktur, einem Aufstieg über ein relativ großes Intervall mit nachfolgendem Fall über ein kleines, stark ähneln. Die Harmonik macht hier jeweils eine Rückung von gis-Moll nach e-Moll. Das Sich-Wiederholen des melodischen Gestus kann man durchaus als Ausdruck der Faktizität des Geschehens aufnehmen und verstehen. Immerhin ist die zweite Feststellung ja im Imperfekt gehalten: Der Jäger war(!) ihr Liebster, - und wird wohl nicht mehr zurückkehren. Bemerkenswert ist nun, wie Brahms diese beiden Melodiezeilen bei der letzten Strophe, in der sich ja die Liedmusik anfänglich (bei den beiden ersten Versen) wiederholt, modifiziert. Auch hier besteht wieder strukturelle Ähnlichkeit, jedoch sind die Zeilen anders angelegt. Und das ist ja auch erforderlich, schließlich bringt die junge Frau hier ihre Bitte um einen tausendmaligen Gruß an den Geliebten zum Ausdruck. Die melodische Linie steigt hier nicht in Sekund- und Terzschritten in hohe Lage auf, sondern in Gestalt von Sprüngen, wobei der zweite (bei „tausendmal“) im Intervall fast doppelt so groß ist wie der erste, nämlich eine Sexte umfasst, statt einer kleinen Quarte. Hier bewegt sich die Dynamik auch nicht im Piano-Bereich, sondern es wird forte deklamiert. Und schließlich verbleibt die Harmonik auch nicht im Moll-Bereich, sondern es ereignet sich pro Zeile eine Rückung von g-Moll nach D-Dur.


    Eine eigentümliche, eigentlich überraschende und deshalb auch beeindruckende klangliche Helligkeit kommt mit den Strophen drei und vier in das Lied, bei denen Brahms ebenfalls mit dem Prinzip der Wiederholung arbeitet. Schon das kurze (zweitaktige) Vorspiel deutet das an: Ein Auf und Ab von Sechzehnteln im Intervall einer Oktave, - und das in C-Dur. Diese Grundstruktur der Begleitung bleibt durchweg in den beiden Strophen erhalten, nur wird die tonale Ebene der Oktavsprünge später um eine Terz angehoben und oben schleichen sich vorübergehend Quarten und Terzen ein. Die Harmonik verbleibt, mit der kurzen Ausnahme einer Rückung nach a-Moll (bei „Das sind die Rehe, die grasen“), durchweg im Dur Bereich (C-Dur, F-Dur, am Ende E-Dur und A-Dur). Die beiden Strophen stellen also harmonisch einen deutlichen Kontrast zu den beiden in Moll gehaltenen ersten Strophen dar.


    Und das gilt auch für die Melodik. Sie ist von einer aufwärtsgesichteten Tendenz geprägt, und überdies ähneln sich die Melodiezeilen auf den beiden Versgruppen: Nach einer Aufwärtsbewegung auf dem ersten Vers, folgt ein kurzes Innehalten im Verbleiben auf mittlerer tonaler Ebene beim zweiten. Die melodische Linie reflektiert hier den narrativen Charakter des lyrischen Textes. Das Geheimnisvolle des Bildes von den in der Ferne grasenden Rehen und das Sich-Öffnen der Seele für diese Ferne reflektiert die Liedmusik mit einer kurzen Moll-Eintrübung der Harmonik. Aber eben deshalb ist am Ende eine Wiederholung der Worte „am schattigen Bergeshang“, bzw. „das war meines Liebsten Gruß“ erforderlich, die „dim. poco rit.“ Zu deklamieren ist. Die Aufhellung der trüben Seelenlage des Mädchens bedarf der Akzentuierung. Und aus diesem Grund greift Brahms auch am Schluss des Liedes zum kompositorischen Prinzip der Wiederholung, - steigert sich sogar noch darin. Das Wort „tausendmal“ wird zweimal wiederholt, wobei die melodische Linie beim zweiten Mal in die hohe Lage eines „Gis“ aufsteigt und dort einen hochexpressiven und weit gespannten, nämlich drei Takte umgreifenden Bogen beschreibt. Die Harmonik rückt dabei über die Dominante H-Dur zurück nach E-Dur.
    Mit drei forte angeschlagenen Hornrufen, die danach in einen Fall von Terzen und einer Quarte übergehen und schließlich in einen E-Dur-Akkord münden, endet dieses zweifellos beeindruckende Lied.

  • Joseph von Eichendorff: „Anklänge“


    Hoch über stillen Höhen
    Stand in dem Wald ein Haus;
    So einsam war´s zu sehen,
    Dort übern Wald hinaus.


    Ein Mädchen saß darinnen
    Bei stiller Abendzeit,
    Tät seidne Fäden spinnen
    Zu ihrem Hochzeitskleid.


    Der zugrundeliegende lyrische Text Eichendorffs ist das zweite einer Gruppe von drei Gedichten, die unter dem Titel „Anklänge“ zusammengefasst sind. Sie gehören zum Kapitel „Frühling und Liebe“ und finden sich dort am Anfang. Der Titel „Anklänge“ ist ein wenig dunkel und rätselhaft. Und das gilt ja auch für das Gedicht. Was will Eichendorff mit diesen lyrisch-sprachlich einfachen, sich mit schlichter lyrischer Deskription begnügenden Versen sagen? Das ist die eine Frage. Und die andere, noch wichtigere ist: Wie hat Brahms sie gelesen?


    Auffällig ist, dass Eichendorff das „Haus“ in die Einsamkeit „stiller Höhen“ setzt und das Mädchen darin ebenfalls in Stille und Einsamkeit seiner Arbeit nachgehen lässt. Es ist freilich eine höchst bedeutsame: Eine, die sie als Vorbereitung auf einen neuen Lebensabschnitt vornimmt: Sie spinnt die Seide für ihr Hochzeitskleid. Das alles wäre im Grunde eine banale Szenerie und eines lyrischen Textes im Grunde nicht wert, stünde es im Präsens. Eichendorf hat diese Szene aber ins Imperfekt gestellt, und daraus bezieht sie ihre eigentliche lyrische Aussage und lässt den Titel „Anklänge“ mit einem Mal verständlich werden. Hier ereignete sich in aller Stille, aller Einsamkeit an einem nicht näher bezeichneten Ort, „hoch über stillen Höhen also, in einem kleinen menschlichen Leben existenziell höchst Bedeutsames: Das Sich-Richten für eine Hochzeit. Aber das war einmal. Es ist wer weiß wie lange Vergangenheit. Es ist möglich, will das Gedicht sagen, dass sich irgendwo, an einem stillen einsamen Ort erfülltes menschliches Leben ereignet. Aber das ist vergangenes Leben, einer Zeit, die es nicht mehr gibt. Die alte schöne Zeit. Der Titel „Anklänge“ wäre dann also zu verstehen als lyrische Annäherung an Wesenselemente des menschlichen Lebens.
    Ein wenig erinnert diese kleine lyrische Impression an Brechts Gedicht „Der Rauch“ („Das kleine Haus unter Bäumen am See…“), - freilich ist diesem eine andere lyrische Aussage eigen. In der – ungenannten – Beschwörung der „alten guten Zeit“ erweist es sich als ein typisches Eichendorff-Werk.


    Was nun die Frage anbelangt, wie Brahms diese Verse gelesen, verstanden und entsprechend in Liedmusik gesetzt hat, so sei noch einmal das Wort „auffällig“ benutzt. Es ist angebracht, denn was bei dieser Liedmusik angesichts des lyrischen Textes auffällig, eigentlich verwunderlich ist: Die Grundtonart des Liedes ist a-Moll. Und dieses Tongeschlecht Moll dominiert auch die Harmonisierung der melodischen Linie. Zwar finden sich auch Passagen von Dur-Harmonisierung darin, aber sie wirken instabil, kippen immer wieder ins Moll um. Bezeichnend ist, dass die melodische Linie auf den Worten „Tät seidne Fäden spinnen“ eine harmonische Modulation von einem anfänglichen C-Dur über a-Moll und ein kurzes F-Dur bis zu einem a-Moll am Ende durchläuft. Und was noch wichtiger und aussagekräftiger ist: Die Wiederholung der Liedmusik auf diese lyrisch so wichtigen Worte, die forte und „sostenuto“ vorzutragen ist, steht ganz und gar in Moll-Harmonik. Gewiss: Das Lied endet im Nachspiel mit einem A-Dur-Akkord. Der erklingt aber wie ein Pianissimo-Nachklang nach reichlichen Moll-Modulationen der langen Dehnung auf der letzten Silbe des Wortes Hochzeitskleid. Dieser Dur-Schluss des Liedes wirkt in seiner A-Dur Harmonik nicht überzeugend.


    In den interpretierenden Kurzkommentaren zu diesem Lied kann man lesen, das Moll sei hier Ausdruck der stillen und heimlichen Sehnsucht des Mädchens nach der Erfüllung seiner innigsten Wünsche, die um die Hochzeit kreisen. Das wäre vielleicht ein zutreffender Interpretationsansatz, wenn sich die Moll-Passagen auf die Liedmusik der zweiten Strophe beschränkten. Dem ist aber nicht so. Mir schein eher, dass Brahms das Gedicht so gelesen und verstanden hat, wie Eichendorff es in seiner Aussage verstanden wissen wollte. Die Moll-Harmonik wäre dann Ausdruck einer schmerzlichen Wehmut, wie sie aus dem Wissen um den Verlust der „alten schönen Zeit“ hervorgeht. Eine kurze Betrachtung der Faktur des Liedes soll diese Interpretation untermauern.


    Klanglich stark geprägt wird das Lied durch die synkopische Rhythmisierung des Klaviersatzes, die sich daraus ergibt, dass die Akkorde im Diskant in ihren Notenwerten aus einer Abfolge von einem Achtel, zwei Vierteln und einem Achtel bestehen, wobei letzteres legato an das erste Achtel des nachfolgenden Taktes gebunden ist. Daraus ergibt sich auf der Grundlage des dem Lied zugrundeliegenden Dreiviertaktes ein nachschlagender Akkord. Da es sich hier um ein durchkomponiertes Lied handelt, unterscheidet sich der Klaviersatz in der zweiten Strophe von dem der ersten: Während hier die zwei- bis dreistimmigen Akkorde allesamt auf der Ebene eines „E“ festgemacht sind und dort häufig repetieren, beschreiben sie in der zweiten Strophe Bewegungen auf und ab, bis sie dann in der zweiten Hälfte wieder zu diesem Verharren auf einer tonalen Ebene (erst ein „G“, dann ein „A“) übergehen. Dies Rhythmisierung der Liedmusik durch einen nachschlagenden Akkord kann man durchaus als Ausdruck ihres wesenhaft impressionistischen Geistes empfinden.


    Bei der Melodik der ersten Strophe greift Brahms wieder zu dem Prinzip der Wiederholung: Die melodische Linie auf den ersten beiden Versen ähnelt der der zweiten in ihrer Struktur sehr stark, nur dass bei der zweiten der Schluss nicht aus einem Sekundsprung, sondern – zum Zwecke der Kadenzierung – aus einem Sekundfall besteht. Bemerkenswert aber: Zwei Mal steigt die melodische Linie in gedehnten Sekundfall-Schritten aus mittlerer, bzw. tiefer Lage in hohe empor und geht nach einer Viertelpause von dort aus in eine Fallbewegung in ebenfalls gedehnten Sekundschritten über. Dabei ist sie durchweg in a-Moll harmonisiert, nur ganz am Ende der beiden Melodiezeilen ereignet sich eine Rückung nach E-Dur, bzw. C-Dur bei der zweiten. Das Klavier folgt der Bewegung der melodischen Linie mit Terzen im Bass. Dieser Liedmusik ist eine Anmutung von leicht schmerzlich angehauchter Wehmut eigen. Elegisch möchte man sie nennen in dem Eindruck, den sie macht. Es ist der Ton, der aus der Trauer um ein schönes Bild kommt, das verloren gegangen ist.


    Mit dem Einsatz der Liedmusik zur zweiten Strophe scheint er verdrängt zu werden. Die melodische Linie steigt bei den Worten „Ein Mädchen saß darinnen“ nicht mehr in schleppenden Schritten von fallen Sekunden aus mittlerer in hohe Lage auf, sondern in entschiedener Weise über eine Terz und eine Quarte, geht allerdings am Ende wieder um die gleiche Quarte zurück. Immerhin aber folgt ihr das Klavier darin mit Sexten, Quinten und Terzen, und an die Stelle des a-Molls der ersten Strophe tritt nun E-Dur. Geradezu hell leuchtet die Liedmusik bei diesem ersten Vers der zweiten Strophe. Aber beim zweiten Vers wiederholt sich diese melodische Bewegung, und nun ist sie in e-Moll harmonisiert. Und obwohl die melodische Linie wieder bis zu einem hohen „E“ emporsteigt und das Klavier ihr dahin erneut mit Terzen folgt, empfindet man diese Moll-Eintrübung der melodischen Linie, die man gerade in E-Dur-Harmonisierung vernommen hat, als Wiederkehr des elegischen Tons aus der ersten Strophe, - nun auf die Situation des „Mädchens“ übertragen.


    Und dieser harmonischen Modulation begegnet der Hörer gleich wieder bei der melodischen Linie auf den Worten „Tät seidne Fäden spinnen“: Die Harmonik rückt von einem anfänglichen C-Dur über a-Moll und ein neuerliches kurzes Dur (F-Dur) am Ende wieder nach a-Moll. Aber noch etwas ist hier bemerkenswert: Die melodische Linie ist die auf dem zweiten und dem vierten Vers der ersten Strophe liegt, - nur mit dem Unterschied, dass das Klavier ihr hier mit dreistimmigen Akkorden im Diskant in ihrer Sekund-Fallbewegung folgt. Das ist wohl so zu verstehen, dass das Mädchen in die Welt dieses „Hauses“ voll eingebunden ist. Kein Wunder also, dass der elegische Ton, mit dem diese musikalisch geschildert wird, auf es übergreift. Das geschieht ja beim letzten Vers und seiner Wiederholung am Ende erneut, - und auf ganz besonders beeindruckende Weise.


    Bei den Worten „Zu ihrem Hochzeitskleid“ steigt die melodische Linie wie beim ersten Vers dieser zweiten Strophe noch einmal in entschiedenen Schritten über einen für dieses Lied ungewöhnlichen Quartsprung und über nachfolgende Sekund-Schritte in hohe Lage auf. Mit einem Crescendo geschieht das, und die Harmonik rückt von einem anfänglichen a-Moll nach einem hellen und klaren C-Dur. Die Melodik ist an ihrem höchsten Ton (einem „G“) angelangt und scheint weit entfernt von jeglicher klanglichen Eintrübung zu sein. Was ja auch gar nicht verwunderlich ist, schließlich ist das „Hochzeitskleid“ Gegenstand der Liedmusik.


    Aber dann ereignet sich Bemerkenswertes: Bei der Wiederholung der beiden letzten Verse gerät die Liedmusik wieder ganz und gar in den Bann des elegischen Grundtons dieses Liedes. Die melodische Linie auf den Worten „Tät seidne Fäden spinnen“ wird wieder auf der in gedehnten Sekunden ansteigenden melodischen Linie deklamiert, die man vom Liedanfang kennt, nur dass sie dieses Mal einen noch kleineren Anstieg nimmt. Und sie ist wieder ganz und gar in a-Moll harmonisiert und wird vom Klavier mit den repetierenden Akkorden der ersten Strophe begleitet. Und bei der Wiederholung des letzten Verses bringt das Bild vom Hochzeitskleid die melodische Linie keineswegs mehr zu einer entschiedenen Aufwärtsbewegung. Es geht von einem hohen „E“ aus abwärts zum Grundton in Mittelage. Und bei dem Wort „Hochzeitskleid“ geschieht erneut Bemerkenswertes. Eine fast drei Takte einnehmende melodische Dehnung in Gestalt des Grundtones liegt auf der Silbe „-kleid“. Die Harmonik moduliert dabei, als wisse sie nicht recht wohin, von einem anfänglichen F-Dur nach d-Moll, wird aber dann am Ende doch zur Grundtonart a-Moll. Aus dem Forte, mit dem diese Wiederholungspassage des Liedes einsetzte, ist hier ein Pianissimo geworden.


    Das Bild vom seidene Fäden für das Hochzeitskleid spinnenden Mädchen ist fraglos ein schönes, ungebrochen positives. Und die Liedmusik sagt das auch, wenn sie sich einen Augenblick auf es fokussieren kann. Aber das kann sie nicht durchhalten. Das Bild ist Teil der Welt des Hauses „hoch über stillen Höhen“ Es ist Teil einer vergangenen Welt der „schönen alten Zeit“, der die Liedmusik in elegischem Ton nachblickt.

  • Eichendorff gehört zu den Dichtern, deren Werk Brahms überaus schätzte. Er muss – eifriger Leser, der er war - sich schon in jungen Jahren intensiv damit befasst haben und es liegen von ihm ja auch einige Kompositionen auf lyrische Texte von Eichendorff vor. Insgesamt sind es sechs „für eine Singstimme mit Begleitung des Pianoforte“. Vier davon sind hier bereits besprochen worden:
    „In der Fremde“ (Beitrag 19), „Lied“ (Beitrag 20) und eben gerade „Parole“ und „Anklänge“.
    Auf die Vertonung des Gedichts „Vom Strande“ (op.69, Nr.6), das sich in Eichendorffs Werk unter der Kapitelüberschrift „Aus dem Spanischen“ findet, soll hier, dem allgemeinen Zwang zur Auswahl folgend, nicht eingegangen werden, obgleich es sich aus den übrigen Liedern dieses Opus durch den hohen Grad seiner sich auf den lyrischen Text einlassenden kompositorischen Durchgestaltung heraushebt.


    Und da ist dann ja auch noch die Vertonung des berühmten Gedichts „Mondnacht“, mit der sich Brahms in Konkurrenz zu Robert Schumann begeben hat. Er muss sie wohl kritisch gesehen haben, denn sie wurde, obgleich in jungen Jahren entstanden, erst später von ihm veröffentlicht, und das ohne Opuszahl. Dietrich Fischer-Dieskau meint, das sei 1872 geschehen. Das dürfte aber unzutreffend sein, denn das Lied erschien 1854 erstmals 1854 in einer Sammelpublikation unter dem Titel „Album-Blätter“, und das zusammen mit Liedern von Louis Spohr, Joseph Joachim, Hans von Bülow und Carl Reinecke. Fischer-Dieskau meint auch, Brahms habe, als er das Lied komponierte, Schumanns Vertonung nicht gekannt. Dagegen spricht aber, dass er, wie das auch bei dem Lied „In der Fremde“ der Fall ist, den Text offensichtlich nicht der Werkausgabe von Eichendorffs Lyrik entnommen hat, sondern eben dem Notentext von Schumanns Lied. Wie anders wäre zu erklären, dass es bei ihm im vierten Vers der ersten Strophe heißt: „von ihm nur träumen müßt“. Bei Eichendorff heißt es „nun träumen müßt“, Schumann hat aber aus dem „nun“ ein „nur“ gemacht, - wie Brahms ebenfalls. Wunderlich mutet bei Brahms die Ersetzung des Wortes „Lande“ („flog durch die stillen Lande“) durch „Räume“ an. Sie lässt sich nicht erklären.


    Zuzustimmen ist Fischer-Dieskau freilich, wenn er feststellt: „Seine (also Brahms`) Fassung kann sich nicht entfernt mit dem Vorläufer messen, so hübsch sie auch ist.“ Man kann die beiden Lieder freilich kaum miteinander vergleichen, denn es liegt ihnen ein ganz und gar unterschiedlicher liedkompositorischer Ansatz zugrunde. Was den von Schumann anbelangt, so ist dazu hier einiges dem entsprechenden Thread Robert Schumann - Liederkreis op. 39 zu entnehmen. Auf das Lied „Mondnacht“ gehen darin insbesondere die Beiträge 79, 80 und 88 ein. Die Brahms-Vertonung lässt eine ganze Reihe von typischen strukturell-konzeptionellen und musikalisch-klanglichen Elementen seiner Liedsprache vernehmen und erkennen. So legt er auf die ersten beiden Strophen eine volksliedhaft schlicht anmutende und sich wiederholende melodische Linie, und er wiederholt auch, wie für sein liedkompositorisches Konzept so bezeichnend, nicht nur hier Worte des jeweils letzten Verses („nur träumen müßt“, bzw. „so sternklar“), er wendet dieses Prinzip auch in der zweiten Strophe an. Und hier verrät das viel über seine liedkompositorische Intention: Sie zielt ab auf eine musikalische Evokation des Potentials der lyrischen Bilder, bzw. Aussagen.


    Die dritte Strophe trägt eine eigene Liedmusik. Und die weicht deutlich von der der vorangehenden Strophen ab. Zwar behält Brahms die Struktur des Klaviersatzes mit seinen aus einem Auf und Ab von Sechzehnteln bestehenden Figuren im Diskant bei, die Melodik ist nun aber weit von einer Anmutung von Volksliedhaftigkeit entfernt. Und typisch ist, wie Brahms sie anlegt. Auf die Worte „und meine Sinne“ legt er eine lange Dehnung in mittlerer Lage. Dann folgt eine Pause für die Singstimme, denn den nachfolgenden lyrischen Aussagen soll adäquates musikalisches Gewicht verliehen werden. Und so liegt denn auf den Worten „spannte weit“ ein melodischer Quintsprung. Und es folgt eine neuerliche Pause, dieses Mal freilich nur eine im Wert eines Achtels. Dann folgt der ganze Vers, wobei nun die melodische Linie bei dem Wort „spannte“ in hoher Lage ansetzt und auf den Worten „weit“ und „aus“ nicht nur lange Dehnungen liegen, sondern die Liedmusik auch in ein Sostenuto übergeht. Man meint, dieses „Ausspannen“ in der Liedmusik regelrecht zu vernehmen.


    Brahms will dieses lyrische Bild mit musikalischen Mitteln imaginieren. Und so verfährt er auch bei dem Schlussbild. Bei den Worten „flog durch die stillen Räume“ lässt er sich von dem Wort „still“ leiten und die melodische Linie in Tonrepetitionen auf mittlerer Lage verharren. Bei den Worten „als flöge sie nach Haus“ (bei dem Eichendorff übrigens einen falschen Konjunktiv verwendet) greift er wieder, und das zum Zwecke der Steigerung der Expressivität, zum kompositorischen Mittel der Wiederholung. Zunächst verharrt die melodische Linie in deklamatorisch gewichtigen, weil gedehnten (punktierte Viertel) Schritten auf der tonalen Ebene eines Cis, bzw. C in oberer Mittellage, mit Abweichungen davon nur um eine Sekunde nach oben und unten. Auf dem Wort „Haus“ liegt dabei eine taktübergreifende Dehnung. Dann aber ereignet sich harmonisch und melodisch Bedeutsames, das durchaus herausragendes liedkompositorisches Format erkennen lässt. Die Worte „nach Haus“ werden auf einem zur hohen Lage eines „Ges“ führenden und dort in auf einem in eine fast drei Takte einnehmende Dehnung mündenden verminderten Terzsprung deklamiert, der mit einer Rückung in die Dominantseptharmonik verbunden ist. Und danach senkt sich die melodische Linie bei der Wiederholung des ganzen Schlussverses, ganz und gar in Moll-Harmonik gebettet, langsam, weil in kleinen und großen Sekundschritten im Wert von punktierten Vierteln vollzogen, von einem hohen „Es“ zu einem „B“ in mittlerer Lage ab, um am Ende zu dem Wort „Haus“ hin einen in eine lange Dehnung mündenden Sekundsprung zu beschreiben.


    Aber zurück zum allgemeinen Thema dieses Beitrags:
    Dass Brahms sich liedkompositorisch intensiv mit Eichendorffs Lyrik auseinandergesetzt haben muss, und das in weitaus größerem Umfang, als dies die von ihm publizierten Kompositionen vermuten lassen, kann man aus einer von ihm überlieferten Äußerung schließen. Er ging bekanntlich unerbittlich-kritisch mit seinen Kompositionen um, insbesondere mit denen aus jüngeren Jahren. Und so berichtet er von einer ganzen Reihe von Sonaten und Quartetten, mit denen er die Wand seiner Bodenkammer in Hammer tapeziert hatte. Er riss sie eines Tages alle herunter und verbrannte die Kompositionen mit noch vielen anderen Werken. „Es waren recht nette Liedchen dabei“, soll er gesagt haben, und er fügte hinzu: „Den ganzen Eichendorff und Heine hab´ ich in Musik gesetzt.“
    Wie gerne würde man hören können, wie die Liedmusik auf diese so bedeutenden Lyriker in der musikalischen Sprache des jungen Brahms klang, - und wie sie sich darin, die lyrische Sprache reflektierend, unterscheidet. Aber es ist uns nicht vergönnt. Brahms verfuhr mit seinem kompositorischen Werk in einer höchst selbstkritischen und darin radikalen und rücksichtslosen Weise. Es ist höchst bezeichnend, wie lange er brauchte, um, mit dem Giganten Beethoven in seinem Rücken – dies wörtlich, denn dessen Büste stand in seiner Wiener Wohnung an der Wand hinter ihm, wenn er am Klavier saß – seine erste Symphonie zu komponieren und zu publizieren.

  • Beim nochmaligen Hören des Liedes „Anklänge“ und Überdenken dessen, was ich dazu hier schrieb, frage ich mich: Wie kam mir der assoziative Vergleich mit dem Brecht-Gedicht „Der Rauch“ in den Sinn? Es ist Bestandteil der sog. „Buckower Elegien“, die Brecht im Juli/August 1953 verfasste, und es lautet:


    Das kleine Haus unter Bäumen am See
    Vom Dach steigt Rauch
    Fehlte er
    Wie trostlos dann wären
    Haus, Bäume und See.


    Was hat das mit Eichendorffs Gedicht zu tun? Gewiss, die Konzentration einer deskriptiv angelegten lyrischen Sprache auf eine kleine Szenerie mit einem Haus in der Mitte haben Eichendorffs und Brechts Verse gemeinsam. Aber die von Brecht sind in ihrer sachlich-kargen sprachlichen Nüchternheit nun doch weit von denen Eichendorffs entfernt, und es hat sich auch kein einziger Komponist, wohl eben deshalb, auf eine Vertonung derselben eingelassen. Brechts „Haus“ hat mit dem von Eichendorff gemeinsam, dass es abgelegen ist, - das eine „unter Bäumen am See“, das andere „hoch über stillen Höhen“. Aber das ist es auch schon. Brecht lässt sich, im Unterschied zu Eichendorff, nicht auf das Innere des Hauses ein. Nur der „Rauch“ ist für ihn ein Indiz für menschliches Leben und Wirken darin. Eichendorff aber beschreibt es, und das in einer für menschliches Leben hoch relevanten Ausprägung: Der Vorbereitung eines jungen Mädchens auf seine Hochzeit.


    Und doch: Die Beiden, so weit sie historisch und literarisch auseinander liegen, kreisen als Lyriker um das gleiche Thema. Es das der sinnstiftenden Funktion menschlicher Existenz im Raum naturhafter Welt. Haus Bäume und See wären „trostlos“ ohne den Rauch, und Eichendorffs Haus ist zwar „einsam zu sehen“, es ist aber nicht wirklich „einsam“, denn es regt sich menschliches, auf Zweisamkeit ausgerichtetes Leben darin. Mir scheint: In solchen Versen Eichendorffs, und sie stehen bei all ihrer Unscheinbarkeit und Unbekanntheit durchaus in einem inneren Zusammenhang mit seinen bekannteren Gedichten, erweist sich in die Aktualität dieses Dichters und Lyrikers. In der Sehnsucht nach existenziell erfülltem Leben bringen sie ein Grundbedürfnis des Menschen in unserer heutigen modernen Lebenswelt zum Ausdruck.


    Bemerkenswert im Zusammenhang mit diesem Thread ist nun: Brahms hat eben diese Aktualität Eichendorffs im Kontext moderner Existenz erkannt. Und darin erweist er sich der Lebenswelt seiner Zeit aufgeschlossener und verpflichteter Musiker und Komponist. Auf die genuin spätromantische Metaphorik von Eichendorffs Lyrik lässt er sich, wie die Auswahl der zur Vertonung herangezogenen Gedichte verrät, liedkompositorisch nicht ein. Er ist also zu keinem der großen Eichendorff-Liedkomponisten geworden, wie das Schumann, Hugo Wolf und Hans Pfitzner sind. Bei den Gedichten, die er ausgewählt hat, geht es allemal um sein liedkompositorisches Grund-Thema: Das menschliche Leben in all seinen lebensweltlichen Erscheinungsformen und existenziellen Dimensionen.


    Höchst bezeichnend erscheint mir unter diesem Aspekt die Art und Weise, wie er das einzige von ihm ausgewählte Eichendorff-Gedicht mit genuin romantischer Metaphorik und lyrischer Aussage in Liedmusik gesetzt hat: Die „Mondnacht“ nämlich. Ihre kompositorische Faktur wurde vorangehend kurz beschrieben. Dazu ist ein mit Blick auf die Intentionen des Liedkomponisten Brahms wichtiger Sachverhalt noch zu ergänzen. Schumann hat, als dem Geist der literarischen Romantik tief innerlich verwandter Komponist, die dritte Strophe seiner Vertonung von Eichendorffs Mondnacht aus dem liedmusikalischen Material und Geist der beiden vorangehenden Strophen gestaltet, - wohl wissend, dass das lyrische Ich, das sich in dieser Strophe mit den Worten „und meine Seele spannte…“ artikuliert, Teil eines hier sich lyrisch-sprachlich ereignenden Vorgangs von Stiftung naturhaft-kosmischer Einheit ist. Brahms aber ist kein musikalischer Romantiker. Er liest in diesem Gedicht die dritte Strophe ganz anders als Schumann: Als Ausdruck der Sehnsucht eines Menschen nach Heimat, - Heimat ist ja eines der zentralen Themen seiner Liedmusik. Und so legt er denn auf die beiden ersten Strophen eine sich nach dem Modell des Strophenliedes sich wiederholende und volksliedhaft schlicht anmutende Melodik. Die dritte Strophe aber weist eine davon sich deutliche abhebende, ungleich gewichtigere, weil melodisch und harmonisch komplexere Liedmusik auf. Und hört man hin auf das, was in ihr mit einem besonderen musikalischen Akzent versehen ist, dann zeigt sich: Es sind die lyrischen Worte, aus denen Brahms das Sich-Sehnen nach Heimat, nach Geborgenheit herauslas. Und darin zeigt er sich Im Vergleich mit Schumann als der Jüngere. Nicht als Spätromantiker, sondern als Künstler und Musiker einer Zeit, die auf dem Weg in die Moderne ist.

  • Die Schwäble ziehet fort, ziehet fort,
    Weit an en andre, andre Ort.
    Und i sitz do in Traurigkeit,
    es isch a böse, schwere Zeit.


    Könnt i o fort durch d´Welt, fort durch d´Welt,
    Weil mir´s hie garnet, garnet g´fällt!
    O Schwäble komm, i bitt, i bitt!
    Zeig mir de Weg, und nimm mi mit.


    Das ist das erste Lied auf einen Volksliedtext, das Brahms komponiert hat, - darin einer Neigung folgend, die repräsentativ für seine liedkompositorische Grundintention ist. Er wird ihr gleich noch einmal in diesem Opus 7 folgen und das später immer wieder und in ausführlicher, gründlicher und sorgfältiger Weise tun. Die Komposition entstand im August 1852, sie ist – natürlich, möchte man sagen – als Strophenlied angelegt, steht in e-Moll als Grundtonart und weist einen Dreivierteltakt auf. „Bewegt“ soll sie vorgetragen werden. Brahms fand den Text vermutlich in der 1851 erschienenen und von Georg Scherer herausgegebenen Sammlung „Deutsche Volkslieder“ vor.


    Das Volkslied war für Brahms ästhetisches Vorbild und Richtschnur seines liedkompositorischen Schaffens, und darin bleibt er sich seiner Grundhaltung als Komponist treu, bei aller Zukunftsorientiertheit seines Schaffens, auf den historischen Fundes der Musik zurückzugreifen und die dort vorfindbaren Grundprinzipien, Regeln und Zielsetzungen des kompositorischen Schaffens auf ihre Gegenwartsrelevenaz zu überprüfen. Ein Unbehagen an der Liedkomposition der Gegenwart spielt dabei freilich auch eine Rolle. In einem Brief an Clara Schumann (Oktober 1885) meinte er: „Das Lied segelt jetzt so falschen Kurs, daß man sich ein Ideal nicht fest genug einprägen kann. Und das ist mir das Volkslied.“


    In der Struktur seiner Melodik und seines Klaviersatzes ist das Lied von großer Einfachheit. Das schlichte Auf und Ab von Achteln im Intervall einer Terz, mit dem das vieraktige Vorspiel einsetzt, ist im Grunde die Struktur des Klaviersatzes, nur dass in der oberen Linie aus den Einzeltönen bitonale Akkorde (zumeist Terzen) werden und die Intervalle der Sprünge sich zu Quinten und Sexten erweitern. Im Bass-Bereich dominieren länger gehaltene Akkorde. Gleichwohl ist das Klavier, bei aller Schlichtheit dieser Faktur, in seiner Funktion nicht auf die schiere Begleitung der Singstimme beschränkt: Darüber hinaus akzentuiert es die melodische Linie in ihrer Bewegung und kommentiert sie in ihrer Aussage mit einem dreitaktigen Zwischenspiel nach den ersten beiden Versen und einem siebentaktigen zwischen den beiden Strophen, das am Ende zum Nachspiel wird.


    Brahms hat bei diesen Volksliedern die Melodie, die er vorfand, durch eine eigene ersetzt und einen auf sie hin ausgerichteten Klaviersatz hinzugefügt. Was er damit bewirkt, wird an diesem – wie auch an den vielen nachfolgenden „Volksliedern“ – deutlich: Die jeweilige lyrische Aussage wird tiefgreifender und vieldimensionaler zum Ausdruck gebracht und vernehmlich gemacht, als die Volksliedmelodik dies vermag. Dem Klaviersatz kommt dabei eine große Bedeutung zu, aber auch die melodische Linie ist in der Regel ein wenig differenzierter angelegt, ohne ihre Volksliedanmutung dabei zu verlieren. Schließlich setzt Brahms sich auch, dies freilich in behutsamer Weise, und nur wenn der Text dies erforderlich macht, über die in der Regel zwischen Tonika, Dominante und Subdominante modulierende Harmonik des Volksliedes hinweg.


    All das ist ansatzweise in diesem Lied zu vernehmen. Die Harmonik pendelt zwar zwischen e-Moll und a-Moll hin und her, aber einmal ereignet sich eine Rückung in den Dur-Bereich: Am Ende der Liedmusik auf den zweiten Vers der beiden Strophen eine Rückung von a-Moll nach G-Dur. Und es ist recht deutlich, wodurch sie ausgelöst wurde: Der „andre Ort“, an den die „Schwälble ziehen, ist für das lyrische Ich der Ort seiner Sehnsucht und als solcher natürlich mit positiven Konnotationen besetzt. Die Schwäche des Strophenlied-Konzepts zeigt sich hier allerdings wieder einmal: Bei den Worten „gar net g´fällt“ der zweiten Strophe ergibt die Rückung nach G-Dur keinen rechten Sinn.


    Die melodische Linie der Singstimme reflektiert in all ihrer strukturellen Schlichtheit auf durchaus beeindruckende Weise die Seelenlage dieses lyrischen Ichs: Seine Sehnsucht, auszubrechen aus einer Welt, in der es ihm „net g´fällt“. Wobei diese Wendung als Ausdruck einer gewissen Hilflosigkeit zu nehmen ist, sich sprachlich adäquat auszudrücken, denn in der zweiten Strophe wird deutlich, dass es um mehr als ein schlichtes „Nicht-Gefallen“: Dieser Mensch durchlebt eine „böse, schwere Zeit“.


    Um die für das Volkslied so typische und charakteristische Einfachheit der Struktur und Architektur zu wahren, gliedert Brahms die melodische Linie der Strophe in zwei durch ein dreitaktiges Zwischenspiel voneinander abgehobene, je zwei Verse umfassende Melodiezeilen, wobei die erste noch einmal durch zwei Viertelpausen untergliedert ist. Aber auch diese weisen strukturelle Parallelen auf: Beim ersten, bzw. dritten Vers bewegt sich die melodische Linie im Wechsel von Werten einer halben und einer Viertelnote auf mittlerer tonaler Ebene auf und ab; beim zweiten und vierten Vers geht sie hingegen in eine lebhafter anmutende Fallbewegung von Vierteln über, die am Ende in eine Dehnung mündet. Das Prinzip der Wiederholung melodischer Figuren, das er in seiner Liedmusik besonders präferiert, findet sich auch also auch hier. Und das ist nicht verwunderlich, denn das Volkslied ist seine Quelle.


    Gleichwohl reflektiert die melodische Linie bei aller Einfachheit ihrer Struktur, wozu die Wiederholung von Bewegungsfiguren gehört, die Aussage des lyrischen Textes, und das Klavier unterstützt sie darin. Und darin nun hebt sich diese Komposition tatsächlich von der Musik des Volksliedes, der sie wie einem regulativen Prinzip zu folgen sich bemüht, deutlich ab. Im ersten Teil, in dieser Abfolge von gedehnten und relativ kurzen melodischen Schritten weist die Vokallinie einen eher konstatierenden Charakter auf. Beim zweiten Teil ist das aber anders: Hier nimmt sie einen expressiven Gestus an, der die Seelenlage des lyrischen Ichs zum Ausdruck bringt. Bei den Worten „Weit an andre, andre Ort“ kommt sogar ein Faktor der Steigerung in ihn. Drei Mal beschreibt die melodische Linie eine Fallbewegung in Sekunden, wobei sie jeweils um eine Terz höher ansetzt, um dann bei dem Wort „Ort“ in einer Dehnung zu enden. Das Klavier folgt ihr darin nicht nur mit Quinten, Quarten und Terzen im Diskant, sondern auch mit sich aus einem bitonalen Akkord lösenden Vierteln im Bass.


    Das nun ist höchst artifizielle Liedmusik, die freilich diesen ihren strukturellen Charakter so geschickt zu verbergen weiß, dass die Anmutung von „Volkslied“ gänzlich ungebrochen erhalten bleibt. Und bei der Liedmusik auf den vierten Vers begegnet das dem Hörer gleich noch einmal. Hier beschreibt die melodische Linie wieder eine Fallbewegung in Terzen, nun aber auf durchgehend fallender Linie, nur durch ein gedehntes Verharren auf der tonalen Ebene kurz aufgehalten. Und auch hier folgt das Klavier ihr darin mit Terzen im Diskant und lang gehaltenen bitonalen Akkorden im Bass. Der Klageruf des lyrischen Ichs „Isch a böse, schwere Zeit“ findet auf diese Weise einen musikalisch voll adäquaten Ausdruck.

  • Lieber Helmut,


    auch hier möchte ich mich zu Wort melden. In Beitrag Nr. 32 schreibst du einen Antwortbeitrag auf den zuvor von hart geschriebenen. Das bezieht sich wohl auf das Lied "Juche" von Reinik, und du nennst u. a. die Interpretation von Dietrich Fischer-Dieskau mit Gerald Moore und Erna Berger mit Michael Raucheisen. Da ich von Michael Raucheisen seine Gesamtaufnahme habe, müsste auch eigentlich diese Aufnahme dabei sein. Ich habe zwar auch Einiges an Brahmsliedern von Fischer-Dieskau, aber das wäre sicherlich bei der Fülle von Liedern im Brahms-Oeuvre Zufall, wenn es dabei wäre.
    Wenn ich es nachgehört habe, melde ich mich mal wieder.


    Liebe Grüße


    Willi

    1. "Das Notwendigste, das Härteste und die Hauptsache in der Musik ist das Tempo". (Wolfgang Amadeus Mozart).
    2. "Es gibt nur ein Tempo, und das ist das richtige". (Wilhelm Furtwängler).

  • Zit.: „Wenn ich es nachgehört habe, melde ich mich mal wieder“

    Zwar ist mein Gegenstand hier, wie Du ja weißt, lieber Willi, das Lied selbst in seiner kompositorischen Faktur und seiner musikalischen Aussage, aber ich freue mich natürlich sehr, wenn von anderer Seite der Aspekt seiner jeweiligen gesanglichen Interpretation in diesen Thread eingebracht und er dadurch um eine Dimension bereichert wird, der ich mich, ganz einfach aus Zeitgründen, aber auch, um den Thread nicht zu überlasten, nicht widmen kann.


    Gleichwohl ist das ein sehr wesentlicher Aspekt, denn die musikalische Aussage erschließt sich für den „normalen“ Rezipienten eines Liedes erst wirklich durch die Realisierung im gesanglichen und pianistischen Vortrag, - wobei ich mit „normal“ jemanden wie mich meine, der nicht in der Lage und dazu fähig ist, beim reinen Notenlesen das Lied tatsächlich zu hören. Ich muss also bei dem, was ich hier tue, die einzelnen Lieder in Gestalt von Aufnahmen hören, und dabei ziehe ich in der Regel mehrere, mindestens aber zwei heran, weil man dann mehr von dem musikalischen Potential hört, das im Notentext steckt, mir aber verborgen bleibt.


    Bei dem von Dir angesprochenen Beitrag 32 ging es um die – nicht von mir selbst aufgeworfene - Frage, ob man bei der Interpretation des Liedes „Juchhe“ durch Dietrich Fischer-Dieskau möglicherweise hören kann, dass er der Komposition kritisch gegenübersteht, vor allem wegen der in der Tat geradezu exzessiven Wiederholung, die Brahms bei den letzten lyrischen Worten betreibt. Ich verglich seine Interpretation mit der von Juliane Banse und Erna Berger und kam zu dem Ergebnis, dass sie von den dreien eindeutig die differenzierteste sei. Das stellte ich zur Diskussion, einfach deshalb, weil ich gerne gewusst hätte, ob ich diesbezüglich richtig liege oder möglicherweise bestimmte Details der Interpretation nicht wahrgenommen oder falsch gedeutet habe. Es gab aber keine Reaktion darauf.

  • Mei Mueter mag mi net,
    Und kein Schatz han i net,
    Ei warum sterb´ i net,
    Was tu i do?


    Gestern ist Kirchweih g´wä,
    Mi hot mer g´wiß net g´seh,
    Denn mir isch´s gar so weh,
    I tanz´ ja net


    Laßt die drei Rose stehn,
    Die an dem Kreuzle blühn:
    Hänt ihr das Mädle kennt,
    Die drunter liegt?


    Was ein Volksliedtext an poetischer Aussage hervorzubringen vermag, dafür ist dieser ein guter, beindruckender, ja betroffen machender Beleg. Hier bringt ein Mensch seine absolute existenzielle Einsamkeit zum Ausdruck, die sich auf höchst scherzhafte Weise als Nicht-Teilhabe am gesellschaftlichen Leben in allen seinen Formen äußert. Betroffen machen vermag das, weil es sprachlich in unverblümt direkter Weise geschieht, in schlichten lapidaren Feststellungen, die gleichwohl Ungeheuerliches beinhalten. Der Dialekt bringt dabei eine Erhöhung der Authentizität mit sich. Dass in der dritten Strophe der Dialekt ein wenig zurückgenommen wird - an den Versenden nämlich, die eigentlich „stehe“,“blühe“ lauten müssten – deutet auf den Eingriff des Herausgebers der Volksliedsammlung von 1824 hin, der Brahms diese Verse entnahm.


    Sie müssen ihn sehr beeindruckt haben, wie der ernste, ja gewichtige Ton der Liedmusik darauf vernehmen lässt. Den zugrundeliegenden Dreivierteltakt lässt er sich im Gestus der Sarabande entfalten, und die harmonischen Rückungen im Raum der Grundtonart a-Moll weisen die Anmutung von geistlicher Musik auf. Das Lied stellt ein variiertes Strophenlied dar: Erste und zweite Strophe sind in der Faktur identisch. In der dritten behält die melodische Linie zwar ihren Grundgestus bei, nimmt aber neue Formen an. Die innere Verwandtschaft mit der Melodik der beiden Vorgänger-Strophen erweist sich aber am Schluss: Auf den Worten „die drunter liegt“ findet sich die gleiche melodische Linie wie auf den Worten „was tu i do?, bzw. „i tanz ja net“. Das lässt den Tiefsinn erkennen, den Brahms in diese im Grunde ja doch in der Textur schlichte Liedmusik gelegt hat.


    Das Lied soll „langsam“ und „espressivo“ vorgetragen werden, und vor allem die erste Anweisung ist regelrecht zwingend: Nur so nämlich kommt der Schreit-Gestus der melodischen Linie in seiner die Aussage des Liedes maßgeblich konstituierenden Eigenart voll zur Geltung, und die Moll-Harmonisierung kann ihre volle klangliche Wirkung entfalten. Geprägt ist die melodische Linie durchgehend vom Prinzip der zweifachen Tonrepetition. Sie bewegt sich in diesem Gestus, nimmt also die verschiedenen tonalen Ebenen, die sie in ihrer Entfaltung durchläuft, in Doppelschritten, was diesen – und damit der ganzen Melodik – ein starkes Gewicht, hohe Bedeutsamkeit der musikalischen Aussage also, verleiht. Hinzu kommt, dass alle Melodiezeilen am Ende in einen Fall münden, der sich immer über die Quarte „A-E“ erstreckt und in seiner Moll-Harmonisierung seinerseits hohe Expressivität aufweist: Die der schmerzlichen Klage nämlich.


    Die Melodik des Liedes ist in kleine Melodiezeilen untergliedert, die durch Viertelpausen voneinander getrennt sind. Jede umfasst nur einen Vers. Nur in der dritten Strophe sind die beiden ersten Verse zu einer melodischen Einheit zusammengefasst, was von der Syntax her ja auch geboten ist. Ansonsten aber reflektiert die Liedmusik in dieser Struktur ihrer Melodik den konstatierenden Gestus der lyrischen Sprache, ihren im Grunde lapidaren und deshalb so betroffen machenden Charakter. Die melodische Figur, die auf den Worten „Mei Mueter mag mi net“ liegt, prägt das Lied klanglich sehr stark, da sie noch zweimal wiederkehrt: Auf den Worten „Ei, warum sterb i net“ und „Hent ihr das Mädle kennt“ (dritte Strophe). Ihre sich in Doppelschritten langsam um eine Sekunde senkende und am Ende über einen Quartfall regelrecht abstürzende Bewegung mutet wie der Ausdruck abgrundtiefer schmerzlicher Resignation an. Das Klavier verstärkt diesen Eindruck, indem es der Fallbewegung der melodischen Linie mit Terzen und Quinten im Diskant und im Bass folgt.


    Bei den Worten „und kei Schatz han i net“ beschreibt die melodische Linie in ihren Doppelschritten zwar eine Aufwärtsbewegung, das ist aber eine, die sich, in der tiefen Lage eines „F“ ansetzend, nur über as Intervall einer Terz erstreckt und am Ende wieder in den gleichsam obligatorischen Quartfall mündet. Auch hier folgt das Klavier der Bewegung der melodischen Linie mit sich im Intervall vergrößernden bitonalen Akkorden. Die Liedmusik reflektiert hier die weniger introvertierte, sich gleichsam an die Außenwelt richtende Klage über einen Sachverhalt: Das Mädchen hat keinen Schatz, und man hat sie auf der Kirchweih nicht gesehen.


    Noch ein zweites Mal beschreibt die melodische Linie eine Aufwärtsbewegung in Sekund-Doppelschritten: Bei den Worten „Laßt die drei Rosen stehn“ in der dritten Strophe,. Sie wiederholt sich bei den Worten „die an dem Kreuzle blühn“ und erstreckt sich wieder nur über das Intervall einer Terz, mit Dehnung am Anfang und am Ende, wie das typisch ist für dieses Lied ist und die Anmutung eines Sarabande- Rhythmik bewirkt. Dieses Mal ereignet sich der melodische Anstieg aber in hoher Lage und mündet in einen verminderten Terzfall, der mit einer für das Lied ungewöhnlichen Rückung von a-Moll nach A-Dur verbunden ist, - ungewöhnlich deshalb, weil die Harmonik ansonsten durchweg zwischen a-Moll, e- Moll und d- Moll moduliert. Der lyrische Text hat hier den Raum der subjektiven schmerzerfüllten Klage des Mädchens verlassen und sich auf eine gleichsam objektive Ebene begeben. Die Liedmusik wird dem mit dieser veränderten Struktur gerecht.


    Aber das ist nur eine klangliche Episode: Der so anrührende resignativ-schmerzliche Grundton des Liedes kehrt wieder. Seine stärkste klangliche Verdichtung erfährt er in der gewichtigen, weil in Gestalt von Viertelnoten im Sekundanstieg erfolgenden und am Ende in einen Quartfall mit Dehnung mündenden melodischen Figur auf den Worten „was tu i do?“: Die in ihrer lapidaren liedmusikalischen Gestalt tatsächlich betroffen machende Frage nach dem Sinn der Existenz. Und sie kehrt am Ende des Liedes wieder, hier die Antwort auf diese Frage in der gleichen lapidaren Form gebend. Gebettet ist sie in ein a-Moll, in das sich vorübergehend ein E-Dur einschleicht. Es kann sich aber dort nicht halten, - wie auch das Nachspiel noch einmal vernehmen lässt, - in der Legato-Rückung eines fünfstimmigen E-Dur-Akkords nach einem achtstimmigen und lang gehaltenen in a-Moll am Ende

  • Zu den wichtigsten Themen unserer Existenz gehört nun einmal die Frage nach der Partnerwahl, bzw. ob man überhaupt alleine oder verheiratet leben möchte. Gerade in der gefühlsbetonten Romantik wird diese Frage oft - aus heutiger, "sachlicher" Sicht- überbewertet: Entweder diese Eine, entweder unendlich glücklich, oder eben keine und unendlich elend, wenn nicht gar tot.


    Brahms entschied sich privat bekanntlich für den bewussten Verzicht auf die Freuden ( und Leiden...) des Zusammenlebens mit einer Frau, die in seinem Fall, wenn überhaupt, am Ende wohl Clara hätte heißen müssen.
    Von ihm stand auch jener Satz, den er anlässlich der Entlobung mit einer Frau von Siebold prägte: "Ich liebe dich, aber Fesseln tragen kann ich nicht."
    Dieses in der Romantik durchaus bekannten Motto, welches "Frei, aber einsam" lautete, machte er sich im Laufe seines Lebens zu eigen. Er hat es auch in seiner 3. Symphonie verarbeitet, wobei Analysten dort auch irgendwann vom F A F sprechen, vom Frei aber Froh....


    Ob gewisse Hinweise auf dieses Motto in dem hier besprochenen Lied vorhanden sind oder nicht, wird wohl -wenn überhaupt- Spekulation bleiben. Selbst wenn wir Brahms noch fragen könnten, würde er es uns mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit nicht mitteilen. Ihn nach seiner Musik und insbesondere nach privaten Zusammenhängen zu fragen, wäre keine gute Idee gewesen...


    Tatsache ist jedoch, dass dieser Quartsprung in der Tat resignativ wirkt, denn die Melodie versucht sich zwar zu erheben, aber sie fällt dann wieder zurück, ähnlich wie ein Mensch, der am Ende doch nicht die Kraft findet, auf seinen Rollstuhl zu verzichten und sich resignierend mit dem Ende der Träume abfinden muss. Er landet immer am Ende wieder im selben Vehikel, ähnlich wie die Melodie obligatorisch an den Phrasenenden vom A in das E hineinfällt.


    Der Quartsprung A - E kann einen schon an jenes bekannte Lebensmotto F A E erinnern, insbesondere auch deshalb, weil in Takt 3 eine Linie F - (G) -A -E erkennbar ist. Das G könnte nun der melodisch-harmonischen Flüssigkeit in der Progression geschuldet sein, ebenso einer gewissen Verschleierung, damit das bekannte F A E - Motto möglicherweise nicht gleich zu direkt ins Auge springt ( ganz anders als etwa bei der Tripel-Schlussfuge aus der Kunst der Fuge von Bach, bei der man ja sehr konkret das B A C H-Motiv hören kann).
    Ein weiterer Ansatz zu meiner Vermutung kann der diesbezüglich aus meiner Sicht passende Text sein, der sich eben gerade mit dem Thema der Partnerlosigkeit und den damit verbundenen Gefühlswelten resignativ und sehr direkt ( durch die Verwendung des Dialektes) beschäftigt.
    Brahms vermag es hier in seiner unnachahmlicher Weise, diesen tiefen und in der Seele unheilbaren Leise-Schmerz durch seine Melodik/Harmonik (beides hängt zusammen, kann hier kaum isoliert betrachtet werden) einen sehr nachvollziehbaren Ausdruck zu verleihen.


    Doch wie gesagt: Ich will die F A E-These hier weder behaupten, noch ausschließen. Ein Hörer kann oder Musiker kann in diesem Fall selbst wählen, ob er dieses Lied damit in irgendeiner Verbindung sehen will.


    Gruß
    Glockenton

    "Jede Note muss wissen woher sie kommt und wohin sie geht" ( Nikolaus Harnoncourt)

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