Da nur Leid und Leidenschaft
Mich bestürmt in deiner Haft,
Biet' ich nun mein Herz zu Kauf.
Sagt, hat einer Lust darauf?
Soll ich sagen, wie ich's schätze,
Sind drei Batzen nicht zu viel.
Nimmer war's des Windes Spiel,
Eigensinnig blieb's im Netze.
Aber weil mich drängt die Not
Biet' ich nun mein Herz zu Kauf,
Schlag' es los zum Meistgebot -
Sagt, hat einer Lust darauf?
Täglich kränkt es mich im Stillen
Und erfreut mich nimmermehr.
Nun wer bietet? - wer gibt mehr?
Fort mit ihm und seinen Grillen!
Daß sie schlimm sind, leuchtet ein,
Biet' ich doch mein Herz zu Kauf.
Wär´ es froh, behielt' ich's fein -
Sagt, hat einer Lust darauf?
Kauft ihr's, leb' ich ohne Grämen.
Mag es haben, wem´s beliebt!
Nun wer kauft? Wer will es nehmen?
Sag' ein Jeder, was er gibt.
Noch einmal vorm Hammerschlag
Biet' ich jetzt mein Herz zu Kauf,
Daß man sich entscheiden mag -
Sagt, hat einer Lust darauf?
Nun zum ersten und zum zweiten
Und beim dritten schlag' ich's zu!
Gut denn! Mag dir's Glück bereiten;
Nimm es, meine Liebste du!
Brenn' ihm mit dem glüh'nden Erz
Gleich das Sklavenzeichen auf;
Denn ich schenke dir mein Herz,
hast du auch nicht Lust zum Kauf.
In diesem lyrischen Text eines unbekannten spanischen Autors bietet das lyrische Ich sein Herz zu Kauf an, weil es in der Haft eines anderen Menschen, und dabei geht es wohl um Geliebte, von „Leid und Leidenschaft“ bestürmt wurde. Immer wieder wird dieses Verkaufs-Angebot erneuert, und es werden unter Bezugnahme auf die Situation, in die das Herz geraten ist, die Gründe angeführt, die den Verkauf unumgänglich machten. Das endet schließlich in dem sarkastisch resignativen Entschluss eines Verschenkens des Herzens an „die Liebste“ unter der Vorgabe, sie möge doch gleich ihr „Sklavenzeichen“ drauf brennen.
Lyrisch-sprachlich liegt hier ein wie auf einem Markt vorgebrachtes werbendes Verkaufs-Angebot vor, das freilich mit einem sarkastisch-bitteren Unterton versehen ist, der seine Subtilität in dem das Schlagen des Herzens pervertierenden Wort „Hammerschlag“ enthüllt. Wolfs Liedmusik fängt das alles ein, - die situative Gegebenheit, den vielfältigen sprachlichen Gestus, in dem sie sich präsentiert, und die seelischen Untergründe, die er aufweist. Die Folge ist: Es kommt eine Komposition dabei heraus, die, eben weil sie ganz auf das gleichsam Bühnenhafte des lyrischen Geschehens ausgerichtet ist, dieses „Nun wer bietet? Wer gibt mehr?“, weniger wie ein Lied, als vielmehr wie eine Arie wirkt. Mit den einzelnen Strophen, ihrer sprachlichen Gestalt und ihrem Gehalt wechselt die Liedmusik in ihrem Grundton permanent. Der Gestus der melodischen Linie und Struktur des Klaviersatzes ändern sich fließend, ebenso Harmonik, Dynamik und Tempo. Es scheint so, als habe sich Wolf hier – wie das ja in seinem liedkompositorischen Schaffen immer wieder einmal geschehen ist – seiner geheimen Liedschaft für die Oper hingegeben.
Der rhetorisch-ariose Charakter dieses Liedes, das am 20. April 1890 komponiert wurde, zeigt sich nicht nur in der hoch ausgeprägten Bindung der melodischen Linie an die Syntax und die Semantik des lyrischen Textes, er äußert sich auch in der klanglichen Dominanz des Klaviersatzes. Dieser ist höchst vielgestaltig, aber einer Figur begegnet man immer wieder, und sie prägt den klanglichen Charakter des Liedes sehr stark. Gleich im dreitaktigen Vorspiel erklingt sie: Eine aufsteigenden Sechzehntel-Triole in Bass und Diskant mündet in drei markant angeschlagene sechsstimmige Akkorde in Gestalt von punktierten Vierteln und ein lang gehaltener sechsstimmiger Akkord folgt nach. In der Liedmusik der ersten Strophe begegnet man dieser Figur gleich fünf Mal, und man erfährt sie als klangliche Artikulation der Entschlossenheit, mit der lyrische Ich hier auftritt, um sein Herz zum Verkauf anzubieten. Es finden sich noch zwei weitere Strukturmerkmale im Klaviersatz, die häufig wiederkehren: Akkordrepetitionen und fallende und steigende Folgen von Achtel-Oktaven, bzw. -Akkorden. Sie sind jeweils einem bestimmten rhetorischen Gestus zugeordnet, in dem das lyrische Ich auftritt: Wenn es von seinem Herzen spricht, begleitet das Klavier die melodische Linie mit Akkord-Repetitionen, geht es in einen appellativen oder fragenden Gestus über, finden sich im Klaviersatz entweder die aufsteigenden oder fallenden Oktavketten oder die Figur, mit der das Lied im Vorspiel einsetzt.
Auch die melodische Linie der Singstimme ist vielgestaltig, jedoch durchweg, wie das auch im vorangehenden Lied der Fall ist, stark wortorientiert, das heißt sie ist in relativ kleine Zeilen unterglieder und weist keine weit ausgreifende Phrasierung mit gebundener Linienführung auf. Darin reflektiert sie den rhetorischen Gestus des lyrischen Textes kompromisslos. Aber auch hier nimmt sie unterschiedliche Gestalt an, wie ja auch das lyrische Ich aus unterschiedlicher Haltung heraus spricht. Wenn es von sich selbst und seinem inneren Zustand spricht, wie das anfangs bei den beiden ersten Versen der Fall ist, bewegt sich die melodische Linie relativ ruhig, reflektiert dabei auch durchaus die Semantik, etwa wenn sie auf das Wort „leiden“ einen gedehnt fallenden Bogen legt oder bei den Worten „bestürmt in deiner Haft“ in eine aufsteigende und am Ende in einen Quartfall mündende Bewegung übergeht. Das Verharren der melodischen Linie in mittlerer tonaler Lage bei den Worten „biet ich nun mein Herz zu Kauf“ reflektiert den Feststellungs-Charakter der Aussage. Wenn hingegen die Frage gestellt wird „Sagt, hat einer Lust darauf?“, dann setzt die melodische Linie mit einer Dehnung in hoher Lage ein, und nach einer Achtelpause, die das Wort „sagt“ hervorhebt, geht sie in eine nach unten gerichtete Bogenbewegung über, die am Ende wieder in eine längere Dehnung mündet, die dem Wort „darauf“ einen Akzent verleiht und der Frage die entsprechende Nachdrücklichkeit. Das Klavier lässt dazu prompt im Nachspiel nach oben schießende Zweiunddreißigstel in Bass und Diskant erklingen.
Es ist wohl wenig sinnvoll – und auch sachlich nicht erforderlich – das ganze Lied in seiner Faktur unter diesen Gesichtspunkten analysierend zu betrachten und zu beschreiben. Nur auf wenige typische Details seiner Faktur soll noch hingewiesen werden. Wie eng Wolf die melodische Linie an den Text bindet und sie darin die Haltung reflektieren lässt, in der er vom lyrischen Ich artikuliert wird, dann kann man u.a. daran erkennen, dass er die die melodische Linie auf Frage, „sagt, hat einer Lust darauf“, die ja vier Mal gestellt wird, in ihrer Gestalt variiert. Die Gestalt, die sie beim ersten Mal hat, wiederholt sich nur noch einmal, nämlich in der siebten Strophe nach den Worten „Daß man sich entscheiden mag“. Am Ende der dritten Strophe ändert Wolf das Ende ab und mildert den Quartsprung dadurch, dass er das Wort „darauf“ ganz und gar auf einem hohen „C“ deklamieren lässt. Das lyrische Ich gibt sich hier zurückhaltender in seiner Frage. Am Ende der fünften Strophe (nach den Worten „Wär´ es froh, behielt' ich's fein“) weist die melodische Linie eine gänzlich andere Struktur auf: Das Wort „sagt“ wird zwar wieder gedehnt auf einem hohen „E“ deklamiert, dann aber folgt eine Viertelpause, und die melodische Linie setzt in tiefer Lage an, steigt in zwei Schritten über das Intervall einer Septe auf und beschreibt am Ende auf dem Wort darauf eine Fallbewegung aus Sechzehnteln, die in eine lange Dehnung mündet. Hier preist das lyrische Ich in regelrecht beschwingtem Ton sein Herz als guten Kauf an, und das Klavier unterstützt es darin, indem es mit zunächst aufwärts und dann abwärts gerichteten Folgen von Oktaven begleitet.
Am Ende des Liedes taucht die Frage noch einmal auf, nun aber direkt an das Du gerichtet. Hier setzt die melodische Linie wieder in hoher Lage an, senkt sich dann in Sekunden ab und geht mit einem Terzsprung zu einer langen Dehnung in hoher Lage auf dem Wort „Lust“ über, die sich am Ende mit einem Melisma zu einem „H“ in mittlerer Lage absenkt. Hier vermeint man einen leicht höhnischen Unterton zu vernehmen. Und bemerkenswert ist: Das Klavier begleitet hier wieder mit seiner Entschlossenheit imaginierenden Figur aus einer nach oben gerichteten Sechzehntel-Triole, die in punktierte Viertel-Akkorde mündet.